Suchergebnisse für ‘Presserat’

Gewalt bei “Pegida”, Rügen für “Bild”, Journalisten und Social Media

1. “Grenzüberschreitungen jeglicher Art”
(taz.de, Daniel Bouhs)
Nadine Lindner berichtet für das “Deutschlandradio” aus Sachsen und nimmt “auf Facebook und in der Hörerpost (…) seit einem guten Jahr eine radikalere Sprache und höhere Aggressivität wahr.” Insbesondere auf “Pegida”-Demos komme “es mittlerweile leider regelmäßig zu tätlichen Übergriffen.” Um Journalistinnen und Journalisten zu schützen, wünscht sie sich “ein höheres Maß an Sensibilität bei der Polizei und dass sie auch mal von sich aus eingreift.” Passend zur “Pegida”-“Lügenpresse”-Debatte: Im “Tagesspiegel” fasst Maria Fiedler einen Redaktionsworkshop zusammen, bei dem eine Frage im Mittelpunkt stand: “Warum verlieren Medien an Glaubwürdigkeit?”

2. Türkei: Das Ende der Pressefreiheit
(daserste.de, Halil Gülbeyaz, Video, 8:53 Minuten)
Halil Gülbeyaz spricht mit Journalisten, Journalistenvertretern und Abgeordneten über “die Abschaffung der Pressefreiheit in der Türkei”.

3. Rügen des Presserrats: “Bild” wieder ganz vorn
(ndr.de, Fiete Stegers)
Bis zum 1. Dezember wurden beim Deutschen Presserat seit Jahresanfang 2200 Beschwerden eingereicht — so viele wie nie zuvor. Während die Gesamtzahl steigt, bleibt eines konstant: “Acht Mal sprach der Presserat eine Rüge für die Berichterstattung der ‘Bild-Zeitung’ aus (…). Damit wurde die ‘Bild’-Zeitung wie in den vergangenen Jahren wieder weit häufiger als alle anderen Redaktionen für Verstöße gegen den Pressekodex bestraft.” Immerhin liegt dieser Anteil diesmal ‘leicht unter dem Durchschnitt der vergangenen 20 Jahre’. Ebenfalls zur aktuellen Presseratsentscheidung: queer.de über eine Rüge für den “Abdruck eines homophoben Leserbriefs”.

4. Die Kaste der Verweigerer
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Christian Jakubetz wundert sich über neue Zahlen, die nahelegen, dass rund die Hälfte der deutschen Journalisten mit Social Media nichts anfangen kann. Allerdings wundert er sich nur auf den ersten Blick, denn wenn er seine Filterblase verlässt, stellt er fest, dass die Branche eben auch nur ein Abbild der Gesellschaft ist. Und auch die Journalisten immer noch “ein tiefer digitaler Graben trennt.” Zum Thema: Nach einer Studie des “American Press Institutes” erhöht es die Glaubwürdigkeit von Journalisten, wenn sie auf Twitter unterwegs sind und mit anderen Nutzern — und ihren Lesern — interagieren.

5. Missachtung des Urheberrechts oder “public service”?
(onlinejournalismus.de, Andrej Reisin und Fiete Stegers)
Armin Wolf hat auf seiner Facebook-Seite die Übersetzung einer kompletten Reportage aus der “New York Times” veröffentlicht (Post mittlerweile offline), nachdem er das Original als einen “der eindrucksvollsten (und bedrückendsten) Texte, die ich bisher über das IS-Kalifat gelesen habe” bezeichnet hatte. Das Problem: Er besaß keinerlei Urheberrechte an dem Text und hatte die “New York Times” nicht angefragt. Andrej Reisin und Fiete Stegers sehen darin einen “Bärendienst für alle Journalisten als Urheber — denn ignoriert wurden letzten Endes eben nicht die Rechte der mächtigen ‘New York Times’, sondern die der einzelnen Autorin.”

6. Wie Jugendliche Politik und Nachrichten konsumieren
(deutschlandfunk.de, Johannes Nichelmann, Audio, 18:17 Minuten)
“Für mich ist Instagram mehr so: Leute teilen ihren privaten Inhalt. Und ‘Tagesschau’ so bei Instagram. Keine Ahnung, ob ich das so gut finde.”

Rügenritt in Sternchenjeans

Dürfen wir vorstellen:

„Georgie“ ist die Kinder-Rubrik der Reitsport-Zeitschrift „St. Georg“ — normalerweise nicht ganz unser Beritt, aber wenn mit einer Redaktion dermaßen die Pferde durchg… okay, zur Sache.

Doch in Wahrheit waren es nicht “Georgie” und die Redaktion von „St. Georg“, die das “herausgefunden” haben, sondern: HKM Sports Equipment.

Denn die Outfits, die Bibi und ihre Freundin Tina im Film tragen, wurden von HKM Sports Equipment gestellt und inzwischen könnt auch ihr euch in Bibi und Tina und eure Pferde in Amadeus und Sabrina verwandeln. Aber wie entsteht eigentlich so eine Kollektion? HKM Sports Equipment erklärt es euch.

Vor allem erklärt HKM Sports Equipment aber, wie umwerfend HKM Sports Equipment doch ist — vier Seiten lang:


Im Laufe des letzten Jahres konnte das HKM-Team immer wieder Einblicke in die Filmwelt erhaschen. Die Darstellerinnen von Bibi & Tina, Lina Larissa Strahl und Lisa-Marie Koroll, haben sogar mal ganz liebe Grüße direkt vom Filmset geschickt. Echt aufregend.

Au ja. Aber der Höhepunkt kommt erst noch.

Im Dezember war es dann so weit: Weltpremiere in Berlin und das Team HKM war mit zwölf Mädels live dabei. Das war mal etwas ganz Besonderes, denn bei der Premiere ebenfalls anwesend waren Schauspieler wie Heino Ferch oder Max von der Groeben. Und die HKMs mitten drin. Während des Films haben sie natürlich immer wieder geschaut, wo Produkte von ihnen verwendet wurden und klar, da waren sie schon ziemlich stolz, als sie die vielen Produkte entdeckt haben.

Auch Teil der Premiere: Die Präsentation der HKM by Bibi & Tina Reitsportkollektion. Das war natürlich ganz besonders aufregend für die HKM-Mannschaft und eigentlich beinahe der wichtigste Teil – ähnlich wie die entscheidende Germany‘s Next Topmodel-Frage, ob Heidi ein Foto für die Kandidatin hat. Hier stellte sich die Frage: Wie kommt die Kollektion bei den kleinen Reiterinnen an? Hat sich die monatelange Arbeit und das Herzblut gelohnt, das hineingesteckt wurde? Gefallen Sternchenjeans in blau und Oversizeblouson in knallrot den Bibi & Tina Fans?

Antwort: Ja, HKM, wir haben ein Foto für Dich! Da waren Freude und Erleichterung bei allen Beteiligten natürlich groß.

Und was noch toller ist: Auch in jenen Ländern, in denen Bibi & Tina gar nicht jeder kennt (stellt euch vor, das gibt‘s!), HKM aber viele Kunden hat, kommt die Kollektion toll an. Und wer freut sich nicht über zufriedene Kunden?!

Übrigens apropos Inspiration – die Begeisterung für das „voll verhexte“ Bibi & Tina Outfit hat Desginchef Stefan und sein Team zur Entwicklung von „Little Sister“ inspiriert, einer neuen Kollektion für die kleine Reiterin, die ab Herbst 2015 erhältlich sein wird.

Übrigens apropos Begeisterung. Der Deutsche Presserat zeigte sich weniger angetan von dieser Schleichwerbung und sprach eine Rüge gegen „St. Georg“ aus.

Es war bei Weitem nicht der einzige Schleichwerbetext, der vom Presserat gerügt wurde. Wir sind zwar etwas spät dran (die Sitzung fand im September statt), wollen uns die Geschichten aber trotzdem noch etwas genauer anschauen.

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Da wäre zunächst dieser Artikel, erschienen in der “Rheinischen Post”:

Eine Bank, die Kredite vergibt? Hammer!

Das Kleveblog (das uns freundlicherweise auch das Foto zur Verfügung gestellt hat) schreibt dazu:

Im Text, Bestandteil des redaktionellen Angebots und nicht als Anzeige gekennzeichnet, heißt es: „DieVolksbank Kleverland stellt ihren Kunden Kunden [sic!] für private Anschaffungen schnell und unkompliziert Darlehen zur Verfügung. Der Wunschbetrag kann dabei bis 75000 Euro betragen.“ Kundenberater Benjamin Brüschke sagt: „Wofür der Kunde den Kredit braucht, spielt dabei gar keine Rolle“. Hey, it’s so easy, nehmt die Kohle! Der junge Mann posiert auch für das Foto, vor einem üppigen Mercedes und mit einem Easy-Credit-Plakat in der Hand, das ein Pärchen zeigt, welches fröhlich verkündet: „Unser Kredit, so individuell wie wir“.

Diese „ausschließlich positive und völlig unkritische“ Berichterstattung der „Rheinischen Post“ sei „nicht von öffentlichem Interesse“ gewesen und habe „deutlich die Grenze zur Schleichwerbung“ überschritten, urteilte auch der Presserat und sprach eine Rüge aus.

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Gerügt wurden auch die „Westfälischen Nachrichten“. Die Zeitung hatte im Rahmen einer „Medienpartnerschaft“ drei redaktionelle Beiträge über Unternehmen und ihr Angebot veröffentlicht. Beigestellt waren den Artikeln Anzeigen der Unternehmen. Auch hier erkannte der Presserat Schleichwerbung.

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Die „Leipziger Volkszeitung“ wurde gerügt, weil sie auf der Titelseite auf eine werbliche Veröffentlichung im Innenteil hingewiesen hatte (es ging um Navigationsgeräte). „Ein solcher Querverweis ist mit der erforderlichen klaren Trennung von Redaktion und Werbung nicht vereinbar“, befand der Presserat.

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Ebenfalls wegen Schleichwerbung gerügt wurde „Sonntag Aktuell“. Das Blatt hatte, so der Presserat, „25 ausgewählte Urlaubshotels vorgestellt und dabei auch werbliche Formulierungen verwendet. Im Umfeld der Artikel wurden zudem zwei redaktionell gestaltete Anzeigen veröffentlicht, die mit ‘Sonderveröffentlichung’ gekennzeichnet waren. Dieser Begriff ist jedoch nicht geeignet, die Werbung für den Leser klar als solche erkennbar zu machen”.

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Eine Rüge ging auch an „L.A. Multimedia“. Die „Zeitschrift für den Einsatz von Multimedia, EDV, IT und Kommunikationstechnologien in Schulen“ (Eigenbeschreibung) hatte „unter anderem in werblicher Sprache über IT-Produkte berichtet und dabei jeweils einen bestimmten Hersteller bzw. Anbieter hervorgehoben“, wie der Presserat schreibt. „Zudem enthielten die Artikel Hinweise auf die Web-Seiten der Unternehmen. Einer der Artikel war sogar von einem leitenden Mitarbeiter eines Herstellerunternehmens verfasst worden.“ Der Presserat beurteilte auch diese Artikel als Schleichwerbung.

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Auch Bild.de bekam eine Rüge. Nicht wegen Schleichwerbung, sondern “wegen einer unangemessen sensationellen Darstellung eines grausamen Unfalls”. Der Presserat schreibt:

Die Redaktion hatte ein Video veröffentlicht, das zeigt, wie Sportler der European Games von einem Bus angefahren werden. Sie erlitten zum Teil schwere Verletzungen.

Im Video wird mehrfach der Moment des Aufpralls gezeigt. Diese Wiederholung des Unfallmoments geht über ein öffentliches Interesse hinaus, die Grenze zur Sensationsberichterstattung nach Ziffer 11 des Pressekodex wird überschritten, bewertete der Presserat.

Inzwischen hat Bild.de das Video geändert; jetzt ist der Aufprall nur noch einmal zu sehen. Natürlich mit vorgeschalteter Werbung.

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Negativer Spitzenreiter war diesmal allerdings „Focus Online“, das gleich drei Rügen kassierte. Einen für diesen Artikel:

„Man fühlt sich nicht wie beim Einkaufen, sondern wie bei Freunden.“ So oder so ähnlich beschreiben viele Frauen die angenehme Einkaufsatmosphäre, für die schon einmal extra Meilen zurückgelegt werden. Statt vollgestopften Regalschluchten in irrgartenartigen Minifilialen sind alle dm-Läden stets aufgeräumt sowie hell und freundlich gestaltet.

In den breiten Gängen kann man mühelos mit dem Einkaufs- oder Kinderwagen manövrieren. Gerade junge Mütter wissen diese Breite des Raumes zu schätzen, auch weil der Nachwuchs mit seinem eigenen Kindereinkaufswagen nicht alle drei Sekunden irgendwo anstößt.

Ein weiterer Pluspunkt: die schräg stehenden, niedrigen Regale ermöglichen selbst kleinen Frauen einen guten (Über-) Blick auf die Produkte.

Toll. Und das war erst Punkt 1 („Die Atmosphäre“). Es folgen acht weitere Lobeshymnen — „Das Lebensgefühl“, „Das Personal“, „Die Beratung“, „Das Angebot“, „Die Eigenmarken“, „Die Transparenz“, „Die Nachhaltigkeit“, „Die Ideologie“ — und nicht ein einziges kritisches Tönchen.

„Focus Online“ argumentierte zwar, „es handle sich zwar um einem wohlwollenden, aber keinen werblichen Beitrag, da keinerlei Vergünstigung für die Redaktion daraus entstand“, dem folgte der Presserat allerdings nicht.

Die zweite Rüge bekam „Focus Online“ für einen Artikel mit der Überschrift:

Dahinter verbarg sich dieses Video (BILDblog berichtete):

„Focus Online“ schrieb:

Eine ganz normale Straßensperre in Russland: Ein Auto wird aufgehalten, weil es nur einen funktionierenden Scheinwerfer hat. Während der Polizist noch mit dem Fahrer redet, taucht plötzlich ein Rudel Wölfe aus dem nichts auf. Gerade noch kann sich der Polizist retten.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Was die Redaktion nicht erwähnte: Das Video ist ein vier Jahre alter Fake und wurde als Teil einer Wodka-Werbekampagne verbreitet.

Darin sah der Presserat „einen schwerwiegenden Verstoß gegen das in Ziffer 1 des Pressekodex festgeschriebene Gebot zur wahrhaftigen Unterrichtung der Öffentlichkeit.“

Eine dritte Rüge bekam „Focus Online“, weil das Portal über den Suizid eines Mädchens berichtet und dabei den vollen Namen genannt und ein Foto des Mädchens gezeigt hatte. Die Rüge bezieht sich dabei explizit nur auf den Facebook-Auftritt von „Focus Online“ (vermutlich, weil nur dazu – und nicht zum Artikel selbst – eine Beschwerde eingegangen war). Der Presserat schreibt: „Die in Richtlinie 8.7 geforderte Zurückhaltung bei der Berichterstattung über Selbsttötung wurde hier grob missachtet.“

***

Neben den zehn Rügen sprach der Presserat auch 19 Missbilligungen aus. Sechs davon gingen an Bild.de.

In diesem Fall hatte “Bild”, wie so häufig, wenn es von grausamen Unfällen keine grausamen Fotos gibt, eine grausame Zeichnung anfertigen lassen — und verstieß damit gegen Ziffer 11 des Pressekodex (“Die Presse verzichtet auf eine unangemessen sensationelle Darstellung von Gewalt, Brutalität und Leid”).

So auch in diesem Fall:


Für beide Zeichnungen erhielt Bild.de Missbilligungen; die mit der Straßenbahn wurde inzwischen gelöscht, die mit der Statue ist weiterhin online.

Eine weitere Missbilligung gab es für diesen Artikel:

(Unkenntlichmachung der Frau von uns.)

Bild.de hatte das Gesicht der Frau nicht verpixelt — ein Verstoß gegen Ziffer 8 (Schutz der Persönlichkeit). Das Foto ist übrigens immer noch unverändert online.

Ebenfalls missbilligt wurde dieser Artikel:

Darin zeigt Bild.de mehrere (Agentur-)Fotos der Opfer ohne jede Unkenntlichmachung. Auch hier erkannte der Presserat einen Verstoß gegen Ziffer 8. Und auch diese Fotos sind immer noch online.

Auch dafür gab es eine Missbilligung. Das Foto verstoße gegen die Ziffern 1 (Achtung der Menschenwürde) und 11 (Sensationsberichterstattung).

Missbilligt wurde schließlich auch dieser Artikel:

Darin zeigt Bild.de ein Video (auch das ist nach wie vor online), auf dem ein hilfloser Mann immer wieder getreten und geschlagen wird. Damit verstößt das Portal nach Auffassung des Presserats gegen Ziffer 11, weil der Leser die Möglichkeit habe, unmittelbar bei der Gewalttat dabei zu sein. Außerdem erhöhe dies das Risiko von Nachahmungen.

Darüber hinaus sprach der Presserat auch zwei “Hinweise” gegen “Bild” bzw. Bild.de aus. Einen wegen des (inzwischen entfernten) Emotions-Tools, mit dem die Online-Leser auch bei den unpassendsten Gelegenheiten “Lachen” konnten:

Der Presserat erklärte, es schade dem Ansehen der Presse, “wenn ein Medium bei einem Beitrag, der sich mit einer Gewalttat gegen einen Menschen beschäftigt, den Usern die Möglichkeit eröffnet, den Artikel mit einer Emotion wie ‘Lachen’ zu bewerten” (siehe dazu auch hier und hier).

Der zweite Hinweis ging an die gedruckte “Bild”-Zeitung, weil sie ein Mädchen, das zunächst vermisst worden aber dann wieder aufgetaucht war, auch nach dem Auftauchen unverpixelt gezeigt hatte:

Eine Rüge, sechs Missbilligungen, zwei Hinweise — da können die Leute von “Bild” ja wieder richtig stolz auf sich sein.

Gegen Recht und Ordner

In Deggendorf steht seit heute eine 47-jährige Frau vor Gericht, weil sie ihren Mann wenige Monate nach der Hochzeit erstochen haben soll. Viele Medien berichten über den Prozess. Bebildert sind die Artikel in den meisten Fällen so:


(br.de)


(welt.de)


(pnp.de)

Voll gemein mit diesem Aktenordner. Da hat man ja kaum eine Chance, die Persönlichkeitsrechte der Frau zu verletzen!

Doch zum Glück war “Bild”-Reporter Jörg Völkerling zur richtigen Zeit in der richtigen Position:

(Unkenntlichmachung von uns.)

Mit Dank an Boris R.

Nachtrag, 1. Dezember: In der Print-Ausgabe hat “Bild” der Frau einen schwarzen Augenbalken spendiert.

Nachtrag, 4. Dezember: … und online ist sie nun doch verpixelt.

n24.de  

Über tote Flüchtlinge lachen mit N24

Am Wochenende berichtete N24 auf seiner Onlineseite:

Wegen der hohen Zahl von Flüchtlingen haben in Südschweden in der Nacht zum Freitag einige Menschen unter freiem Himmel übernachten müssen. Im südschwedischen Malmö liegen die Temperaturen nachts derzeit knapp über dem Gefrierpunkt.

Zuvor hatte die Ausländerbehörde mitgeteilt, dass das Land nicht mehr allen Asylbewerbern ein Dach über dem Kopf anbieten könne.

Und wie reagierten die Leser auf diese Nachricht?

(“belustigt”, “inspiriert”, “überrascht”, “informiert”, “egal”, “erschreckt”, “traurig”, “verärgert”)

Eine ähnliche Emotions-Funktion (“Lachen”, “Weinen”, “Wut”, “Staunen”, “Wow”) gab es bis vor Kurzem auch bei den Springer-Kollegen von Bild.de. Der Unterschied: Die Leser von N24 lachen (im Gegensatz zu denen von Bild.de) nicht über alles. Wenn Menschen Deutsche zu Schaden kommen, reagieren sie sogar meist “erschreckt” oder “traurig”. Wenn jedoch Flüchtlinge die Leidtragenden sind, kommt Freude auf:




































Der Presserat hat sich in seiner letzten Sitzung mit diesem Emotions-Tool beschäftigt. Im konkreten Fall ging es nicht um N24, sondern um Bild.de, und zwar um einen Artikel mit der Überschrift “Schläger attackieren homosexuellen Politiker” (224-mal “Lachen”). Es schade dem Ansehen der Presse, so der Presserat, “wenn ein Medium bei einem Beitrag, der sich mit einer Gewalttat gegen einen Menschen beschäftigt, den Usern die Möglichkeit eröffnet, den Artikel mit einer Emotion wie ‘Lachen’ zu bewerten”. Darum sprach der Presserat einen folgenlosen “Hinweis” gegen Bild.de aus; inzwischen gibt es die Funktion dort nicht mehr.

Bei N24 muss man fairerweise dazusagen: Nicht bei allen Artikeln über Flüchtlinge reagieren die Leser mehrheitlich belustigt.


Mit Dank an Thomas O.!

Nachtrag, 25. November: N24 hat die Funktion jetzt komplett von der Seite entfernt. Übrigens kam die hohe “belustigt”-Zahl im ersten Screenshot (“In Schweden schlafen Flüchtlinge nun in der Kälte”) vor allem dadurch zustande, weil auf der Plattform “pr0gramm” jemand auf die Voting-Funktion hingewiesen hatte.

NPD, Olympia, Snowden

1. Bewährungschance missachtet: taz-Autor darf nicht vom NPD-Bundesparteitag berichten
(blogs.taz.de, Andreas Speit)
“Leider gehören Sie zu der Sorte ‘Journalisten’, die im Umgang mit der NPD bzw. der nationalen Opposition notorisch den presserechtlichen Pflichten zuwider handeln und die journalistischen Sorgfaltspflichten chronisch missachten.” Mit dieser Begründung schloss die NPD den “taz”-Autor Andreas Speit 2010 vom Bundesparteitag aus. Auch fünf Jahre später verweigert ihm die Partei den Zugang, da Speit “in den letzten Jahren nicht dazu beigetragen [habe], dass wir unsere Beurteilung Ihrer Tätigkeit seit dem letzen Akkreditierungswunsch aus dem Jahre 2010 ändern konnten.”

2. No, 1 in 5 British Muslims doesn’t have sympathy with ISIS — here’s why
(mirror.co.uk, Mikey Smith, englisch)
In bester Knallblattmanier titelte “The Sun” gestern: “1 in 5 Brit Muslims’ sympathy for jihadis”. Mikey Smith erkennt an der Geschichte allerdings ein ganz gravierendes Problem: Die Boulevardzeitung frage in ihrem selbsternannten “shock poll” nach etwas ganz anderem als nach “sympathy for jihaids”. Bei der “Independent Press Standards Organisation” seien für die “Sun”-Titelgeschichte bereits mehrere Hundert Beschwerden eingegangen.

3. SPIEGEL blamiert sich mit Social Media-Schelte für @RegSprecher
(jensrehlaender.com)
Der “Spiegel” ärgert sich darüber, durch die Facebook-Seite der Bundesregierung nun vollends die Informationshoheit verloren zu haben. Das wiederum stört Jens Rehländer, der jede Kritik des Nachtrichtenmagazins an Regierungssprecher Steffen Seibert nur als vorgeschoben ansieht. Da werde mit BVerfG-Urteil von 1977 argumentiert, obwohl damals wohl noch niemand soziale Medien für Regierungsposts für möglich gehalten hätte. Rehländer findet: Der “Spiegel”-Artikel ende “als Blamage für das Autoren-Duo”.

4. Presserat bewertet Fotos von Aylan und Leichen in LKW unterschiedlich
(derstandard.at)
Ende August und Anfang September sorgten zwei Fotos für heftige medienethische Diskussionen: die Leichen von Flüchtlingen im Laderaum eines LKWs und der ertrunkene Aylan Kurdi. Der österreichische Presserat hält die Abbildung von Aylan Kurdi für “angemessen” und stellt das Verfahren gegen die Medien ein, die das Bild zeigten. Für den Abdruck des LKW-Fotos erhält die “Kronen Zeitung” dagegen eine Rüge, zuvor waren mehr als 180 Beschwerden eingegangen.

5. Mit Sonne
(sueddeutsche.de, Thomas Hahn)
Thomas Hahn sieht in der Berichterstattung der Hamburger Lokalmedien rund um die Olympiabewerbung der Stadt — ganz im Sinne der sportlichen Veranstaltung, um die es geht — “eine Art Rekordversuch des abhängigen Journalismus”.

6. Citizenfour
(mediathek.daserste.de, Laura Poitras, Video, 1:46:17 Stunden)
Einen Oscar hat er bekommen, einen Emmy und noch eine ganze Reihe weiterer Auszeichnungen. Jetzt (und noch bis zum 30. November) ist der Dokumentarfilm “Citizenfour” in der ARD-Mediathek abrufbar. In aller Kürze: Es geht um Edward Snowden und den NSA-Skandal. Der Journalist Glenn Greenwald und die Dokumentarfilmerin Laura Poitras spielen dabei wichtige Rollen.

Die exklusive München-Terror-Falschmeldung von “Focus Online”

“Focus Online” behauptet aktuell:

Da heißt es:

Antiterror-Fahndung in München: Spezialeinsatzkräfte der Polizei haben am späten Donnerstagabend nach Informationen von FOCUS Online eine verdächtige arabische Gruppe entdeckt, die offenbar einen Anschlag in der bayerischen Landeshauptstadt vorbereitet hat.

Für die Durchführung der Tat wollten die Verdächtigen offenbar mehrere deutsche Polizei-Uniformen benutzen, die auf dem Zimmer des Central Apart Hotels im Münchner Stadtteil Berg am Laim beschlagnahmt wurden. Außerdem fanden die Ermittler auf dem Zimmer mehrere Gasflaschen.

Vier der insgesamt acht Verdächtigen, darunter ein Deutscher mit iranischer Herkunft, flohen mit einem 5er und einem 3er BMW. Die Münchner Polizei leitete eine Großfahndung ein, an der sich auch Fahnder der Bundespolizei beteiligen.

Die Polizei schreibt jedoch:

Nachtrag, 20. November, 8 Uhr: Trotzdem herrschte auch in anderen Medien sofort …




Die Polizei betonte aber weiter:



Daraufhin kamen auch die aufgeschreckten Spätdienstler in den Newsrooms wieder runter und gaben (vorerst) Entwarnung.

Nur „Focus Online“ blieb – scheinbar – stur:

Die Polizei dementierte, dass der Einsatz im Zusammenhang mit einem Terror-Verdacht steht. FOCUS Online bleibt jedoch bei seiner Darstellung.

Allerdings hatte „Focus Online“ seine Darstellung da schon unauffällig geändert. Aus dem Terror-“Alarm” hatte die Redaktion einen Terror-“Verdacht” gemacht, und von der „verdächtigen arabischen Gruppe“, die zuvor noch einen „Anschlag in der bayerischen Landeshauptstadt vorbereitet” hatte, ging plötzlich nur noch eine unkonkrete “Gefahr aus“:

Und das „exklusiv“ war verschwunden. Und das Foto hatte sich geändert – auf dem neuen war zwar noch weniger zu erkennen, aber: geschossen vom „Focus Online“-Chef persönlich.

Jedenfalls hat die Polizei inzwischen in einer Pressemitteilung erklärt:

MÜNCHEN. Am Donnerstag, 19.11.2015, rief eine Angestellte eines Hotels im Stadtteil Berg am Laim die Polizei an. Ihr kamen mehrere Gäste verdächtig vor, da sie eine Butangasflasche bei sich hatten.

Im darauffolgenden Polizeieinsatz wurden ein 30-jähriger Iraner und eine 44-jährige Landsfrau kontrolliert. Bei der Absuche fanden sich keine verdächtigen Gegenstände. Abklärungen ergaben, dass die Butangasflasche zu einem Campingkocher gehört und als Kochgelegenheit benutzt wurde.

Drei weitere Iraner, die zu dem Appartement gehören, wurden im Anschluss ausfindig gemacht und zwischenzeitlich ebenfalls befragt.

Nach jetzigem Kenntnisstand war das Appartement zur Familienzusammenfindung angemietet worden. Bei den Personen handelt es sich ausschließlich um Asylbewerber, die der 30-jährige Iraner dort zusammenführte.

Und “Focus Online”?

FOCUS Online bleibt jedoch bei seiner Darstellung.

Nachtrag, 15.30 Uhr: Jetzt doch nicht mehr. In einem neuen Artikel müssen die Leute von „Focus Online“ nun einräumen, dass sie völligen Quatsch berichtet haben. Natürlich verpacken sie es etwas anders:

Das Portal schreibt:

„Bei der intensiven Absuche fanden sich keine verdächtigen Gegenstände. Es wurden drei kleine 0,5 Liter Butangasflaschen aufgefunden. Des Weiteren ein handelsübliches Baseball-Cap mit der Aufschrift „Police“ und eine schwarze Weste. Bei der Durchsuchung wurden keine Uniformteile gefunden“, so die Polizei über die Razzia. Die Kappe sei als Geschenk für einen „polizeiaffinen Neffen“ eines der Gäste bestimmt. Ermittlungen hätten ergeben, dass die Gasflaschen zu einem Campingkocher gehörten.

Nachtrag, 27. Januar 2016: Wir haben uns beim Presserat über die Berichterstattung von “Focus Online”, FAZ.net und “Huffington Post” beschwert. Bei den letzten beiden konnte er aber “keinen Verstoß gegen die presseethischen Grundsätze feststellen” (hier ausführlicher). Mit “Focus Online” beschäftigt sich der Beschwerdeausschuss im März.

Die Anschläge von Paris in den Medien – eine Linksammlung

In den vergangenen Tagen gab es reichlich Kritik an den deutschen TV-Sendern und ihrer Berichterstattung über die Anschläge in Paris. Viel zu spät seien sie gewesen, hieß es in den sozialen Medien, statt Live-Schalten zu Korrespondenten habe es lange Zeit nur Fußballzusammenfassungen und Krimis gegeben. Es meldeten sich aber auch Fürsprecher, die sagten, die Ruhe und das Sich-Zeitnehmen seien genau richtig gewesen.

Wir haben einige Beiträge zu der Diskussion gesammelt.

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Eine größere Übersicht, “wie das Fernsehen über den Terror in Paris berichtet”, bieten Markus Ehrenberg und Joachim Huber auf tagesspiegel.de

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Terrorismus in Paris — und eine unerfüllbare Anspruchshaltung
(udostiehl.wordpress.com)
Udo Stiehl bloggte noch in der Nacht von Freitag auf Samstag, dass er “so viele absurde Forderungen” noch nie gelesen habe: “Wirklich schockierend waren neben den stetig steigenden Opferzahlen in den Meldungen die Reaktionen, die auf Twitter formuliert wurden. Es entstand eine Erwartungshaltung gegenüber der übertragenden ARD und auch den Medien insgesamt, die schlicht nicht mehr realistisch ist.” Sein Kernargument: Seriöser Journalismus brauche Zeit.

Paris und die Medien: Warum Journalisten nicht so schnell sind wie die Wirklichkeit
(stefanfries.tumblr.com)
Stefan Fries unterstreicht und ergänzt Udo Stiehls Gedanken: “Das Bizarre war in diesem Fall, dass das Ereignis nebenan passierte und sogar im Stadion hörbar war. Daraus resultierte vermutlich die Vorstellung, die Kameramänner im Stadion könnten mal eben nach draußen laufen und dort Aufnahmen machen. Allerdings ist es weder technisch noch journalistisch so ohne Weiteres möglich, von einer Fußballübertragung auf die sogenannten Elektronische Berichterstattung (EB) umzuschalten. Auch Sportjournalisten sind zwar Journalisten, aber in der Regel weder Experten für Terror noch kennen sie sich an den Orten aus, von denen sie über Fußball berichten. Zumal man ihnen aus Sicherheitsgründen auch nicht zumuten kann, an die Tatorte von laufenden Terrorangriffen zu kommen.” Im Medienmagazin “Breitband” spricht Fries darüber, wie beim “Deutschlandfunk” mit der Situation umgegangen wurde (ab Minute 4:20).

Terror in Paris, die ARD, Twitter und Journalismus: Be first, but first be right
(journalismus-handbuch.de, Paul-Josef Raue)
Paul-Josef Raue reagiert ebenfalls auf Udo Stiehls Blogeintrag (er macht Stiehl versehentlich zum “Tagesschau-Sprecher” und seine Website versehentlich zum “Tagesschau-Blog”), allerdings kritischer: “Stiehls Hinweis ist richtig: Das Fernsehen lebt von Bildern. Nur: Wenn es die nicht gibt, reichen Sätze, als Laufband ins laufenden Programm eingeblendet, so wie es an Wahlabenden passiert, wenn der Ausgang unklar ist und der ‘Tatort’ läuft.”

“Was ich hier sage, sind Vermutungen”
(blogmedien.de, Horst Müller)
Horst Müller schreibt über die “Hilf- und Rat­lo­sig­keit öffentlich-rechtlicher Kor­re­spon­den­ten in Krisensituationen”. Er liefert eine Komplettabschrift des Gesprächs zwischen Susanne Daubner und Ellis Fröder in der “ers­ten Tagesschau-Sondersendung am spä­ten Frei­tag­abend”, die seiner Meinung nach zeige: “Wenn die ‘Mut­ter aller deut­schen Fern­seh­nach­rich­ten’ als erste Son­der­sen­dung nach der­ma­ßen dramatischen Ereignissen wie am Frei­tag­abend in Paris, ledig­lich ein sechs Minu­ten lan­ges Geplän­kel zweier in die­ser Situa­tion offensichtlich über­for­der­ter Fern­seh­frauen zustande bringt, dann ist das schon fast eine Bank­rott­er­klä­rung gegen­über den Zuschauern.” Felix Schwenzel antwortet (siehe letzer Link): “ich finde das gespräch, im gegenteil zu horst müller, allerdings beispielhaft gut: keine spekulationen, bzw. vermutungen klar als solche kennzeichnen, keine übereiligen schlussfolgerungen, dafür aber ein paar hintergründe die als gesichert gelten können.”

Medien in Extremsituationen: Abwarten? Live drauf?
(falk-steiner.de)
Falk Steiner findet, das Warten von ARD, ZDF, n-tv und N24, “bis die Studioschminke sitzt, bis die Korrespondenten anrufbar sind”, lasse die Zuschauer allein: “Es muss nicht jede aufgeregte Meldung aufgegriffen werden. Aber soll Journalismus die Menschen nicht genau dann erreichen, wenn sie sich Fragen stellen? Ich meine: ja.”

Paris
(dwdl.de, Hans Hoff)
Hans Hoff könnte sich für den Ernstfall und bei unklarer Nachrichtenlage “eine Vertrauensperson” vorstellen, die im TV auch mal sagen könne, dass sie nichts wisse, aber immerhin da wäre: “Vielleicht wäre es für alle Sender richtiger, sich nicht nur als reines Informationsmedium zu begreifen, sondern auch als zentrales Lagerfeuer, an dem jemand sitzt und einfach redet, eine kluge Frau, ein weiser Mann, eine Vertrauensperson.”

Wie ich die Attentate von Paris in der heute+ Redaktion erlebte
(danielbroeckerhoff.de)
Daniel Bröckerhoff erwartete am Freitagabend eine ruhige Moderation von “heute+”, dann die ersten Eilmeldungen, komplette Programmumplanung und zweieinhalb Stunden Livestream: “Als ich im Auto sitze fühle ich mich als hätte ich gerade eine Breaking-News-Simulation mit VR-Brille gespielt. Ist das heute Abend wirklich passiert?”

ARD-Mann Bartels: “Mir haben die Knie gezittert”
(sueddeutsche.de, Filippo Cataldo)
Filippo Cataldo wundert sich, dass das Erste am Freitagabend lange Zeit weiter aus dem Stade de France berichtete, während im ZDF, bei n-tv und N24 bereits Sondersendungen liefen: “Und in der ARD? Wurde man das Gefühl nicht los, dass die Sportreporter da ziemlich im Stich gelassen wurden von der Zentrale und den News-Spezialisten. Während des Spiels war nicht mal ein Lauftext mit Hinweis auf die Attentate eingeblendet worden. Auch innerhalb des Senders gab es dafür Kritik.”

Zum Menschen werden
(faz.net, Tobias Rüther)
Tobias Rüther resümiert den TV-Abend (und die TV-Nacht) im Ersten und denkt über die medienkritischen Fragen bei Twitter nach, was denn die ARD da mache: “Sportfritzen, really? Aber man sitzt nur da und denkt: Quatsch, Leute, schaut doch nur mal in die Gesichter von Matthias Opdenhövel und Mehmet Scholl — aus denen etwas gewichen ist, was sonst immer da ist; jetzt steht in diesen Gesichtern etwas geschrieben, was sie selbst gar nicht in Worte fassen können, obwohl sie ständig darum gebeten werden.”

Wenn die Realität den Journalisten überholt
(ksta.de, Joachim Frank)
Joachim Frank über die “schier nicht zu stämmende Herausforderung” für Printjournalisten, die Ereignisse von Freitagnacht “umfassend in der Samstagsausgabe abzubilden”, und Produktionsbesonderheiten beim “Kölner Stadt-Anzeiger”: “Wir möchten unsere Leser so aktuell wie möglich informieren. Aber auch glaubhaft, durch seriöse Quellen bestätigt. Die vorschnelle Weitergabe ungeprüfter Informationen, die sich im Minutentakt überschlagen – das kann und darf unsere Sache nicht sein.”

DJV dankt Journalisten
(djv.de, Hendrik Zörner)
Der DJV-Vorsitzende Frank Überall findet, die Medien hätten “eine großartige Leistung” gezeigt: “‘Die Journalistinnen und Journalisten haben sich bewusst die Zeit genommen, um das zu tun, was ihre Aufgabe ist: sauber recherchieren'”.

Durch die Nacht mit dem Wolf
(taz.de, Jürn Kruse)
Jürn Kruse schaut sich an, wie CNN, Moderator Wolf Blitzer und die ihm zugeschalteten Experten die Anschläge in Paris zu einer Livesendung verwursten: “In einer Folge der Fernsehserie ‘Die Simpsons’ fragt der Nachrichtensprecher Kent Brockman einen Experten: ‘Würden Sie empfehlen, dass alle in Panik geraten?’ Man hielt diese Frage aus dem Mund Blitzers an diesem Abend nicht für ausgeschlossen. Der Experte bei den Simpsons antwortet übrigens: ‘Allerdings, Kent.’ Man hielt diese Antwort aus dem Mund des CNN-FBI-CIA-Experten für ebenso wenig ausgeschlossen.”

News Media Scrambles to Cover Paris Shootings
(nytimes.com, John Koblin, englisch)
John Koblin fasst zusammen, wie die US-Sender CNN, Fox News und MSNBC aus Paris berichteten: “For news organizations, one difference between the Paris attacks and breaking stories like the racial unrest in Ferguson, Mo., or Baltimore was the ability to send out a wide team of reporters instantly. That was far more difficult in this case, as the organizations had to rely on foreign networks for video feeds in the early hours. Even showing messages from social media was difficult because many of the initial postings on Twitter and Facebook were in French.”

Kommentar: Gerüchteküche soziale Medien
(indertat.info, Mika Beuster)
Mika Beuster mit einigen Beispielen von verbreiteten falschen Infos in den sozialen Medien und dem Fazit: “Professioneller Journalismus und traditionelle Medien werden gebraucht. Verlässliche, nüchterne und einordnende Informationen, die aber nicht zynisch oder unempathisch aufbereitet werden, sind gerade in Krisenzeiten wichtig, damit sich die Öffentlichkeit ein Bild machen kann. Wer sich am Freitagabend nur über soziale Medien über die Geschehnisse in Paris informiert hat, lief Gefahr, ein recht schiefes Bild zu erhalten.”

Die Macht und Gefahr der sozialen Medien im Angesicht des Terrors
(felixbeilharz.de)
Felix Beilharz über die Vor- und Nachteile der sozialen Medien in extremen Situationen wie Freitagnacht: “In jedem Fall hat der Tag gezeigt, welche Rolle die sozialen Medien für unsere Gesellschaft spielen. Als Kanal für Information, Hilfe und Berichterstattung — aber auch für Missinformation, Verängstigung und im schlimmsten sogar zur Unterstützung der Ziele der Terroristen.”

#Paris: The power, the horror, and the distortions
(bbc.com, Dave Lee, englisch)
Dave Lee über “the power”, “the horror” und “the lies” der sozialen Medien in Krisensituationen: “But during a crisis social media becomes the single most significant platform for news to be spread, eyewitness experiences to be shared and official statements to be made. And inevitably, these same channels amplify misinformation, allowing rash judgements and prejudices to boil to the surface, fuelling fear and ignorance.”

Darf ich mich weigern bestimmte Dinge sehen zu wollen
(dasnuf.de, Patricia Cammarata)
Patricia Cammarata schreibt über sich selbst, sie sei “empfindlich. Sehr.” Und: Es gebe Dinge, “die will ich persönlich nicht sehen. Denn ich brauche sie nicht, um Empathie zu empfinden. Ich brauche sie nicht, um mir vorzustellen, wie schlimm bestimmte Ereignisse sind. Meine abstraktes Vorstellungsvermögen war bislang ausreichend.” Felix Schwenzel antwortet Cammaratas Frage, ob sie sich weigern dürfe, bestimmte Dinge sehen zu wollen: “du darfst. du sollst. du kannst.”

Paris. Paris.
(anneschuessler.com)
Anne Schüßler zog sich nach all den Nachrichten in klassischen und sozialen Medien zurück, kochte Gulasch und hörte Hörbücher: “Geredet habe ich über die Anschläge mit meinem Mann und den Menschen im Techniktagebuchredaktionschat, denn irgendwo musste es hin, aber es wollte dieses Mal nicht in die Öffentlichkeit. Die schnelle Berichterstattung voller Gerüchte und Annahmen, die ich schon am Abend vorher auf Twitter mitbekam und die mich zwei Stunden nicht losließ, war mir zu viel.”

Je suis … moi — über die Ehrlichkeit der Anteilnahme
(stern.de, Micky Beisenherz)
Micky Beisenherz über ein selbstverordnetes 24-Stunden-Schweigegelübde sowie den verlockenden “Klickkuchen”. Und über Markus Söder, Matthias Matussek und all die anderen, die “ihr Gift ins Netz” twittern: “Es gibt sie nicht mehr, die kurze Zeit des Luftanhaltens, ja, Schnauzehaltens. Noch in das kollektive Entsetzen hinein fangen die ersten an, das Unfassbare auszuschlachten, für ihre Anteilnahme umzumünzen, Stimmung zu machen. Sie werfen Hashtags aus wie Schleppnetze für ihre zersetzenden Gedanken.”

***

Und zum Abschluss noch ein Hinweis: Die “New York Times” hat ihre Paywall geöffnet und bietet die “coverage of Paris attacks” nun kostenlos an. Die “NZZ” hat nachgezogen.

Update, 17. November: Es sind noch ein paar Links dazugekommen:

Trauernd am Lagerfeuer
(zeit.de, Lenz Jacobsen)
Lenz Jacobsen über “fünf Stunden Terror-Sondersendungen mit ARD und ZDF”: “Heute, Tagesschau, Sondersendungen, Plasberg, Tagesthemen, Illner: Wer am Samstagabend ein paar Stunden zusah, wie ARD und ZDF die Ereignisse vom Vorabend zu verarbeiten versuchten, traf auf eine merkwürdige Mischung aus Informationsvermittlung und Trauerritual, aus Bericht und Beschwörung.”

Säbelrasseln auf Papier
(taz.de, Anne Fromm)
Anne Fromm schreibt, dass die Berichterstattung mit ihren Eilmeldungen und Livetickern längst “Teil des Terrors geworden” sei: “Aber auch handwerkliche Standards leiden. Im hyperventilierenden Onlinegeschäft geht es um Minuten. Da verwischt schon mal die Genauigkeit, da muss schon mal das Zweiquellenprinzip leiden, da werden Kleinigkeiten zu Nachrichten aufgeblasen, und da nimmt man es nicht so genau mit der journalistischen Aufgabe der Reduktion von Komplexität.”

Presserat: 60 Beschwerden gegen “Bild”-Bericht
(tagesspiegel.de, Sonja Álvarez)
Sonja Álvarez über ein Foto aus dem Bataclan, das “Bild” und Bild.de veröffentlicht haben — wofür bereits 60 Beschwerden beim Deutschen Presserat eingegangen seien: “Wer das Bild gesehen hat, bekommt es nur schwer wieder aus dem Kopf, es zeigt den Musikclub ‘Bataclan’ nach den Anschlägen am Freitag in Paris: Leichen liegen auf dem Boden, Blutlachen finden sich neben ihnen und auf dem ganzen Boden. Alle großen deutschen Medien haben sich gegen eine so explizite Darstellung entschieden, die “Bild”-Zeitung aber hat das Foto am Montag auf ihrer zweiten Seite gedruckt. Offensichtlich zum Entsetzen vieler Leser. ”

Liberale im Krieg
(tagesanzeiger.ch, Constantin Seibt)
Constantin Seibt schreibt mit Blick auf zwei Leitartikel aus der Chefetage, die “NZZ” zeige nach den Attentaten in Paris, dass sie ihre liebralen Wurzeln verloren habe: “Wenn etwas noch gefährlicher ist als fremde Terroristen, sind es die eigenen Liberalen. Sie haben Kopf und Kompass verloren. Und sie haben vergessen, wo sie herkommen.”

ARD-Aktuell-Chef verteidigt Paris-Berichterstattung
(tagesspiegel.de, Kurt Sagatz)
Kurt Sagatz mit einer Stellungnahme von ARD-Aktuell-Chef Kai Gniffke: “Kritik hatte es vor allem daran gegeben, weil das Erste am Freitagabend sogar auch dann noch vom Fußball-Freundschaftsspiel Frankreich gegen Deutschland berichtet hatte, als die ersten Anschläge bekannt geworden waren. ‘Es hat eine sehr intensive Diskussion darüber geben, ob es in der ersten Stunde richtig war, im Fußballstadion zu bleiben, dort wo alles begann. Ich habe das nachhaltig am Freitagabend unterstützt, denn nirgendwo war, meiner Meinung nach, in diesen Moment authentischer der schockierte Zustand dieser Stadt zu transportieren, als in diesem Stadion’, sagte dazu nun Kai Gniffke.”

Mit “Borsalino” gegen den Weltuntergang
(persoenlich.com, Matthias Ackeret)
Matthias Ackeret wundert sich über das Fernsehprogramm des SRF am Freitagabend: “Als am Freitag in Paris der ‘Krieg’ ausbrach, handelte das Schweizer Fernsehen standesgemäss. Es sendete die französische Gaunerkomödie ‘Borsalino’ mit den Staatshelden Belmondo und Delon. Französischer geht es nicht. Zugegeben: Das mag angesichts der grauenhaften Ereignisse in Paris zynisch klingen. Aber die Informationsleistungen der einzelnen Medien kann man an solchen Tagen messen. Das gute alte CNN machte einen hervorragenden Job, viele andere Sender mit ihren Sonderprogrammen auch. Nicht zu vergessen die privaten Internetdienste, die bei solchen Ereignissen zu Höchstleistungen auflaufen. Aber ‘Borsalino’? Hallo SRF!”

Too little too late: The horror of Paris proves the media need to debunk rumours in real time
(medium.com, First Draft, englisch)
First Draft findet, es müssen einen “live ‘service'” geben “where debunking happens in real-time on Facebook, Twitter, and Instagram”: “Certainly, around these events, there have been more efforts by news organisations to debunk information than I’ve seen previously. In the 24 hours after the Paris attacks, I counted at least five articles with titles along the lines of ‘The online rumours about Paris you shouldn’t believe’. (…) While I don’t want to be churlish, this isn’t good enough. These reflective round-up pieces published after the fact are too late.”

Wenn Terrorismus zu Social-Media-Terror führt
(blog.gilly.ws, Gilly)
Gilly beschreibt die typischen fünf Stufen der “Empörungs- und Fehlinformations-Maschinerie” in den sozialen Medien: “Ein kurzer Blick auf Twitter und Facebook offenbarte: da ist wieder der gleiche Mist am Laufen, wie immer bei solchen Vorkommnissen. Ich will das hier mal am Fall der Pariser Terrorattacken aufdröseln, grundsätzlich passiert das aber genau in dieser Form bei jeder Katastrophe.”

Satirezeitschrift “Charlie Hebdo”: “Sie haben die Waffen. Wir den Champagner!”
(spiegel.de)
“Spiegel Online” über die morgen erscheinende Titelseite von “Charlie Hebdo”, auf der die Satirezeitschrift Bezug auf die Attentate in Paris nimmt: “Sie zeigt einen tanzenden und trinkenden Franzosen, dessen Körper von Kugeln durchsiebt ist. Dazu der Text: ‘Sie haben die Waffen. Aber Scheiß drauf, wir den Champagner!'”

Update, 19. November:

“Ich steh direkt hinter den Polizisten mit gezogener Waffe”: Der Terror-Porno des “Stern”
(stefan-niggemeier.de)
Stefan Niggemeier über ein Video von “Stern”-Reporter Philipp Weber, der mit seinem Handy Polizisten verfolgt, als die gestern mit gezogener Waffe durch den Pariser Vorort Saint-Denis jagen: “Nichts erfährt der Zuschauer aus diesem Video darüber, was hier los war, wer von den Polizisten gesucht wurde und warum, ob die Situation wirklich so gefährlich war oder warum womöglich nicht. Es ist ein reiner Terror-Porno, den der ‘Stern’ seinen Zuschauern zum gemeinsamen Aufgeilen zur Verfügung stellt.”

Kriegs-Headlines nach #ParisAttacks
(ndr.de, Sinje Stadtlich, Bastian Berbner und Janina Kalle, Video, 6:50 Minuten)
“Zapp” schaut auf französische und internationale Schlagzeilen, in denen aktuell häufig das Wort “Krieg” zu lesen ist: “Alle Welt berichtet. Aber schießen die Medien beim Abbilden und Bewerten der Taten übers Ziel hinaus? Der ‘Figaro’ schreibt von ‘Krieg mitten in Paris’, viele andere Zeitungen ziehen mit. Auch international ist in Medien von Krieg die Rede. Sachliche und kritische Berichterstattung ist schwer in Extremsituationen, doch wichtig.”

Exklusiv: Die Stunde der Kreiszeitung
(meyview.com, Olaf Meyer)
Olaf Meyer mit einer Dokumentation der Exklusiv-Nachricht der “Kreiszeitung” (und den Reaktionen darauf), dass am Dienstagabend vor dem Stadion in Hannover ein “Rettungswagen mit Sprengstoff” entdeckt worden sei.

Was jetzt passiert und sofort berichtet wird
(konradlischka.info)
Konrad Lischka blickt — mit einer Kolumne von Sascha Lobo im Hinterkopf — auf die Berichterstattung von gestern und sieht überall nur Polizisten im Einsatz: “In der Wucht der Berichterstattung wirkt diese Verengungen auf Polizeieinsätze wie die von Lobo gemeinte Abkürzung. Es geht jetzt sofort und zeigt eine Reaktion und Handlungsbereitschaft. Die Ursachen und die lösbaren Probleme analysiert das nicht.”

Nach den Pariser Anschlägen: Zensiert sich das Fernsehen selbst?
(blog.ekkikern.com)
Ekki Kern kann nicht nachvollziehen, warum auf der einen Seite von überall zu hören ist, “dass es gerade jetzt wichtig sei, so weiterzumachen wie bisher”, auf der anderen Seite Fernsehsender Thriller mit Terror-Bezug rigoros aus dem Programm nehmen und das mit dem “Respekt vor den Opfern” der Anschläge in Paris begründen: “Ich bin der Meinung, dass jeder, der bereits im Akt der Ausstrahlung eines solchen Films Respekt gegenüber Opfern vermissen lässt, die Wahl hat, den Sender zu wechseln. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass kaum jemand das tun würde.”

Das war Nachrichten-Fernsehen wie vor 30 Jahren — einfach schlecht
(stern.de, Jens Maier)
Jens Maier hat am Dienstagabend, als in Hannover die Absage des Fußballländerspiels bekannt wurde, Fernsehen geguckt und findet, die “Öffentlich-Rechtlichen haben an diesem denkwürdigen TV-Abend versagt”: “Liebes ZDF, das war Nachrichten-Fernsehen wie vor 30 Jahren — einfach schlecht. Während die kleinen Nachrichtensender N-TV oder N24 seit kurz vor halb acht, also seit Bekanntwerden der Spielabsage, live aus Hannover berichten und Reporter in unmittelbarer Nähe des Stadions live zugeschaltet sind, zeigen die Mainzer mit ihrer Schar an Mitarbeitern vor Ort, eine Sportmoderatorin im Studio vor einem Archivfoto. Das wirkt nicht nur wie aus der Zeit gefallen, sondern ist es auch. Nur in HD.” Maiers Kollege Carsten Hedböhmer sieht das anders.

CNN anchor blames French Muslims for failure to prevent attacks
(washingtonpost.com, Erik Wemple, englisch)
Erik Wemple über zwei CNN-Moderatoren, die Yasser Louati, einen Vertreter eines Kollektivs gegen Islamophobie, fragen, warum die muslimische Community nichts gegen die Attentäter von Paris gemacht hätte: “In the year 2015, a Muslim rep hearing that question would be excused for simply unplugging from the interview and allowing the host to languish in his own ignorance. Louati, however, did his best to combat bigotry”.

Did the media ignore the Beirut bombings? Or did readers?
(vox.com, Max Fisher, englisch)
Max Fisher reagiert auf die Vorwürfe (samt falschem Explosionsfoto) in den sozialen Medien, über das Attentat in Beirut hätte niemand berichtet, und dreht den Spieß um: Nicht die Medien hätten die Geschichte ignoriert, sondern die Leser, Zuhörer und Zuschauer: “Yet these are stories that, like so many stories of previous bombings and mass acts of violence outside of the West, readers have largely ignored. It is difficult watching this, as a journalist, not to see the irony in people scolding the media for not covering Beirut by sharing a tweet with so many factual inaccuracies — people would know that photo was wrong if only they’d read some of the media coverage they are angrily insisting doesn’t exist.”

“Was ist mit Beirut?”: Viele Tote ≠ viel Berichterstattung — es kommt darauf an, wo es passiert
(watson.ch, Leo Helfenberger)
Leo Helfenberger ist in den sozialen Medien ebenfalls auf zahlreiche Klagen gestoßen, dass über die Anschläge in Paris extrem ausführlich berichtet werde, über die in Beirut hingegen kaum. Das nahm er zum Anlass mal auszuzählen, wie ausführlich in der Schweiz “über 10 schreckliche Ereignisse” (von den Anschlägen in Mumbai bis Srebrenica) berichtet wurde.

Jetzt kommen wir!
(tagesspiegel.de, Markus Ehrenberg)
Markus Ehrenberg mit einer Vorschau auf anstehende Satiresendungen und der Frage, ob “jetzt Witze über Hass und Gewalt sein” dürfen: “Die Satiresendung ‘Die Anstalt’ lief bereits am Dienstagabend wieder nach Plan. Komiker Alfons ging darin auf den Terror von Paris ein. ‘Satire möchte Bezug auf die aktuelle politische Entwicklung nehmen’, sagt ein ZDF-Sprecher. ‘Deshalb versuchen wir in allen Formaten angemessen auf die Situation nach den Anschlägen zu reagieren.’ Der Chefredakteur des Satiremagazins ‘Titanic’, Tim Wolff, betont: ‘Satiriker dürfen in Zeiten des Terrors so weit gehen, wie sie es für angemessen halten, aber nicht so weit wie Terroristen.'”

IS bedankt sich bei Medien für Hilfe bei Verbreitung von Angst und Schrecken
(der-postillon.com)
“Der Postillon” hat exklusiv die neueste Videobotschaft des sogenannten “Islamischen Staats” gesehen, in der die Terrormiliz sich ausgiebig bei deutschen und europäischen Medien bedankt: “Einen besonderen Dank sprach der IS-Kämpfer an Bild.de aus. ‘Der gesamte obere Teil der Seite ist für uns reserviert. Überschrift: ‘Terror-Angst in Europa’ Danke! Vielen Dank! Schöner hätten wir das nicht formulieren können.'”

Update, 24. November:

ARD World Service
(taz.de, Anne Fromm)
Anne Fromm geht in Anbetracht der Berichterstattung über die Anschläge in Paris der Frage nach, ob “wir einen öffentlich-rechtlichen 24-Stunden-Nachrichtensender” brauchen: “Hätte in dieser Situation nicht ein öffentlich-rechtlicher Nachrichtenkanal geholfen? Ein Sender, der auf das weltweite Korrespondentennetz zugreifen kann, dessen Moderatoren geschult sind, schnell und souverän zu reagieren, und der live gehen kann, sobald in der Welt etwas passiert. Die BBC hat so einen Sender: BBC World Service. In den USA gibt es CNN. In der arabischen Welt Al-Dschasira. In Frankreich France24, in Israel I24. Warum leisten sich die Öffentlich-Rechtlichen so einen Kanal nicht?”

Im Interview die Pariser Journalistin Suzanne Krause
(br.de, Daniel Ronel, Audio, 7:07 Minuten)
Daniel Ronel spricht mit der “Pariser Journalistin” Suzanne Krause über die Reaktionen der französischen Medien auf den Terror in Paris.

Lektionen in Hasspropaganda
(erbloggtes.wordpress.com)
“Erbloggtes” hat sich einzelne Berichte aus Israel und Palästina zu den Attentaten in Paris angeschaut und leitet aus den darin konstruierten “Wir” und “Die” einige “Lektionen in Hasspropaganda” ab: “Erlaubt es ein Blick in fremde Deutungen der Pariser Anschläge, besser wahrzunehmen, was bei der Betrachtung der eigenen Deutungen verborgen bleibt? Dies soll hier unternommen werden, und zwar ausgehend von Deutungen aus Israel/Palästina über amerikanische bis hin zu deutschen Interpretationen von ISIS, seinen Gegnern und seinen Verbündeten.”

Neue Töne von der Falken-Strasse
(medienwoche.ch, Nick Lüthi)
Nick Lüthi liest einen Kommentar von “NZZ”-Chefredakteur Eric Gujer und bemerkt, dass “der Begriff der Freiheit kein einziges mal” vorkomme, “Sicherheit dagegen sechs mal”: “Wenn Eric Gujer beim Amtsantritt angekündigt hatte, das liberale Profil der NZZ schärfen zu wollen, dann lag die Betonung wohl stärker auf schärfen und weniger auf liberal.”

Die NZZ ruft zum Krieg der Religionen auf
(infosperber.ch, Christian Müller)
Christian Müller über einen “NZZ”-Feuilleton-Artikel, der “von Einseitigkeit, Einäugigkeit, von historischer Verkürzung und Simplifizierung” strotze: “Der nicht etwa als Gastbeitrag auf der täglichen Seite ‘Meinung & Debatte’ abgedruckte, sondern als Feuilleton-Seitenaufmacher platzierte Leitartikel von Necla Kelek schliesst mit dem Satz: ‘Es besteht kein Generalverdacht gegen die Muslime, aber die Unschuldsvermutung gilt auch nicht mehr.’ Eine juristische Glanzleistung. Es ist zu befürchten, dass auch die Unschuldsvermutung gegenüber der NZZ-Redaktion nicht mehr angezeigt ist. Oder in Necla Keleks bildhaften Worten: Die NZZ ist — mittlerweile — ein rauchender Colt.”

Hört auf mit dem Terror-Porno
(ankerherz.de, Stefan Kruecken)
Stefan Kruecken über “eine durchgedrehte Medien-Welt”, die sich darin überbiete, die Angst vor Terror weiterzutreiben: “Gut für die Auflage, gut für die Klick-Zahl. Aber sonst? Wenn die Satire-Seite ‘Postillon’ vermeldet, dass sich der IS für die Verbreitung von Angst und Schrecken bedankt, kann man darüber kaum noch lachen. Es ist leider wahr.”

Gedanken zu Terror: Angst. Macht. Sprache.
(blog.patrickbreitenbach.de)
Patrick Breitenbach schreibt ebenfalls über die Verstärkerfunktion der Medien: “Seit einer Woche ist ganz Europa in Angst und Schrecken versetzt und zwar mit Hilfe von Taten, Worten und Bildern. Die Tat an sich ist minimal im Vergleich zu den schrecklichen Taten, die in aller Welt stattfinden. Der Aufwand der Tat war minimal und doch so gewählt, dass der Transport der Tat durch Sprache und Bilder eine maximale Dimension annehmen konnte.”

Medien, Polizei und die Inszenierung des Terrorismus
(zeit.de, Yassin Musharbash)
Yassin Musharbash in einer Rede über die Dilemmata (“In der Tat sind Aufmerksamkeit und Öffentlichkeit der Sauerstoff des Terrorismus. Und mehr als jede andere Gruppe entscheiden Journalisten über die Verteilung dieser beiden Ressourcen.”) und Maxime (“Auch unter Einsatz weniger signifikanter Ressourcen und geringerer Gefahren sind solche Geschichten machbar. Die Erkenntnis ist in jedem Fall dieselbe: Das Gegengift zu Propaganda und Inszenierung lautet Recherche.”) der Terrorismus-Berichterstattung.

Die Terror-PR-Falle
(breitband.deutschlandradiokultur.de, Katja Bigalke, Audio, ab Minute 4:40)
Katja Bigalke spricht mit “Zeit”-Redakteur Yassin Musharbash über die Problematik, die eine ausgiebige Terror-Berichterstattung birgt.

Seltsame Szenen aus der Terror-News-Welt
(nzz.ch, Rainer Stadler)
Rainer Stadler beschreibt “seltsame Szenen” rund um die Berichterstattung über die Paris-Attentate (von 1000-Euro-Forderungen von Hobbyfilmern bis zu Artikeln über die Trauer in den sozialen Netzwerken über einen erschossenen Polizeihund): “Anhand von tragischen Ereignissen kann man auch Wegmarken der Medienentwicklung setzen. Als vor zehn Jahren islamistische Extremisten Anschläge auf die U-Bahn in London verübten, waren wohl erstmals auf den Titelseiten der Presse Fotos zu sehen, welche Passanten mit ihren Mobiltelefonen gemacht hatten. Was damals aussergewöhnlich war, ist inzwischen Alltag. Massenmedien und soziale Netzwerke sind in dauernder Interaktion — zur Unterhaltung, zur Leserbindung. Manchmal sogar zugunsten der Information.”

Sofort so nah
(sueddeutsche.de, Johannes Boie)
Johannes Boie sieht in Periscope-Live-Reportagen und den Dauernachrichten in sozialen Medien ethische Fragen auf die Rezipienten (und die Medien) zukommen: “Die ständige Präsenz von Handys wird in naher Zukunft dafür sorgen, dass ein Anschlag oder eine Geiselnahme aus Opfer- oder Täterperspektive live oder nur wenig verzögert ins Netz übertragen wird. Und dann? Zuschauen? Wegschauen? Es ist nicht die einzige medienethische Frage, vor die einen die technische Entwicklung der Medien stellt.”

Was sollen denn die Kinder denken?
(faz.net, Ursula Scheer)
Ursula Scheer über einen (inzwischen zurückgezogenen) “Logo!”-Beitrag, der Kindern die Anschläge von Paris erklären soll: “Wenn dieser Beitrag etwas lehrt, dann wie man Kindern (und Erwachsenen) die Attentate von Paris nicht erklären kann.”

Kinder im Umgang mit Medien — wie können Eltern helfen?
(sfr.ch, Claudio Fuchs)
Claudio Fuchs sieht Probleme, wenn Kinder und Jugendliche ungeschützt der Dauerterrorberichterstattung dieser Tage ausgesetzt sind: “Die ständige Konfrontation mit solchen verstörenden Bildern kann ernsthafte Konsequenzen auf das Wohlbefinden haben.”

Von Notdurft-Afghanen und Hetz-Österreichern

Nach einem kurzen Anflug von Besonnenheit sind die “Bild”-Medien inzwischen ja wieder zurück in ihrer gewohnten Spur.

Die österreichischen Boulevardblätter “Österreich” und “Kronen Zeitung” haben den Panikkurs dagegen gar nicht erst verlassen. Seit Wochen schlagen sie auf den Titelseiten immer wieder Alarm:








(Zum Begriff der “Völkerwanderung” hat sueddeutsche.de ein interessantes Interview geführt.)







(Quelle übrigens: Rainer Wendt.)

Die (vorerst) übelste Panikattacke hat sich die “Kronen Zeitung” am vergangenen Wochenende geleistet.

Ein Mann namens Christoph Biró verfasste für die Steiermark-Ausgabe einen Text, der, wir greifen mal vorweg, die journalistische Qualität eines FPÖ-Wahlplakates besitzt und inhaltlich so viel bietet wie ein Flyer von “Pegida”.

Es fängt schon düster an.

Dann legt Biró los. Und wie.

Wir erfahren von jungen, testosteron-gesteuerten Syrern, sie sich äußerst aggressive sexuelle Übergriffe leisten, um es harmlos auszudrücken.

Beispiele oder Quellen nennt Biró dafür nicht. Es bleibt bei diesem einen Satz.

Da schlitzen Afghanen in den ÖBB-Waggons die Sitze auf und verrichten nicht nur ihre Notdurft. „Da sitzen wir nicht!“, sagen sie, „da sind ja Christen draufgesessen!“

Auch das behauptet Biró einfach so, ohne einen einzigen Beleg.

Wir haben selbst mal nachgeschaut und tatsächlich einen Vorfall gefunden: Letzte Woche wurde ein ÖBB-Sonderzug, der 500 Flüchtlinge von Graz nach Linz gebracht hatte, beschädigt; laut kleinezeitung.at hatten die Passagiere „an mehreren Notfallentriegelungsfenstern die Gummileisten heruntergerissen“. Von “Afghanen”, die in den Zügen Sitze aufschlitzen und „nicht nur ihre Notdurft“ verrichten, ist nirgends auch nur ansatzweise zu lesen — außer bei Biró.

In den Notquartieren verwenden sie die sanitären Einrichtungen nicht, sondern erledigen ihr Geschäft just daneben und fordern weibliche Hilfskräfte dann auf: Mach’s weg, dazu bist du ja da…

Wer „sie“ in diesem Fall sind — die Testosteron-Syrer? Die Notdurft-Afghanen? Alle Flüchtlinge? –, verrät Biró nicht. Quellen? Beispiele? Belege? Auch nicht.

Horden stürmen die Supermärkte, reißen die Packungen auf, nehmen sich, was sie wollen, und verschwinden wieder. Die Polizei ist machtlos.

Und wieder: Keine Quelle, keine Beispiele, keine Belege.

Solche Supermarkt-Geschichten werden im Übrigen auch in Deutschland immer wieder erzählt – und immer wieder als hetzerische Lügen enlarvt:

Auch in Österreich gibt es solche Geschichten. Der „Standard“ ist ihnen erst vor ein paar Wochen nachgegangen. Ergebnis:

Auch in Österreich entbehren die Gerüchte jeder Grundlage, erklärt die Supermarktette Spar. “Selbstverständlich gibt es keine ‘Freigabe’ von Ladendiebstahl für Flüchtlinge”, heißt es dort. Auch bei Rewe (Billa, Merkur, Bipa) verwehrt man sich “gegen Hetze und böse Gerüchte”. Doch was sagt die Diebstahlsstatistik? Laut Rewe kann weder in Filialen nahe Erstaufnahmezentren wie Traiskirchen und Thalham noch am Wiener Westbahnhof ein “signifikant erhöhter Schwund” festgestellt werden.

“Krone”-Autor Biró erwähnt davon natürlich kein Wort. Auch sonst führt er seine Behauptungen nicht weiter aus, stattdessen kommt er zum wilden Finale seiner (im wahrsten Sinne: beispiellosen) Hetztirade:

Integration? Ein schönes Wort, mehr nicht. Integration kann bestenfalls in Einzelfällen funktionieren.

Spätestens seit Freitag, als sämtliche Ordnungskräfte einfach überrannt wurden; spätestens jetzt, da alle Notquartiere übervoll besetzt sind – und trotzdem Tausende wie auf Kommando über unsere Grenzen trampeln…

… spätestens jetzt ist ALLEN klar geworden – ganz egal, ob rechter Hardliner oder linker Sozialromantiker: Die Grenzen müssen dicht gemacht werden. Die humanitäre Katastrophe muss gestoppt werden, vor allem auch FÜR Österreich und seine Einwohner.

Puh.

Zuallererst sollte man vielleicht diese journalistische Katastrophe stoppen. Das würde die Integration jedenfalls um einiges erleichtern.

Und wenn Sie sich jetzt fragen, wer eigentlich dieser Christoph Biró ist, der diese Zeilen in die Steiermark-“Krone” gespuckt hat — es ist ihr Chefredakteur.

Bald wird sich der Österreichische Presserat mit Birós Ergüssen befassen; bis gestern Abend waren 30 Beschwerden zu dem Text eingegangen.

Keine Frage: Medien müssen auch über die Probleme mit Flüchtlingen berichten, Missstände dürfen nicht heruntergespielt oder verschwiegen werden. “Österreich” und die “Kronen Zeitung” aber klären nicht auf, sie vernebeln und vergiften — dort, wo Nüchternheit und Klarheit dringend nötig wären. Sie verbreiten Angst und schüren Hass.

Und so klang es fast wie eine Erfolgsmeldung, als “Österreich” vorgestern verkündete:

Mit Dank an Stephan E.

Nachtrag, 13.55 Uhr: Im „Kurier“ sagt der Sprecher der österreichischen Polizei heute, Birós Kommentar sei „ein absoluter Blödsinn”. Dabei handle es sich um Facebook-Gerüchte, für die Beweise fehlen.

Erst vor drei Tagen hatte der Polizeisprecher im „Standard“ die Geschichten von plündernden Flüchtlingen dementiert:

“Von diesen Leuten geht keine Gefahr aus. Diese ganzen Meldungen sind ein Blödsinn und dienen nur der Verunsicherung der Bevölkerung”, sagt Fritz Grundnig, Sprecher von Polizei und Innenministerium, im Gespräch mit dem STANDARD am Samstagnachmittag. Erst am Morgen habe man sich wieder mit einer Falschmeldung über einen angeblich geplünderten Discounter-Markt im Raum Leibnitz herumgeschlagen. Die angebliche Plünderung erwies sich als glatte Lüge.
“Dabei wollen diese Menschen nur so schnell wie möglich weiterkommen nach Deutschland, sie haben eine extreme Flucht hinter sich und sind erschöpft”, sagt Grundnig weiter. In den vergangenen Tagen habe sich auch die Behauptung im Internet verbreitet, die Polizei warne die Bevölkerung in der Südsteiermark davor, aus dem Haus zu gehen, das sei “alles Blödsinn, die Polizei warnt vor nix, wir versuchen die Bevölkerung zu beruhigen”, betont Grundnig, “es liegt in der Natur der Sache, dass es zu Verkehrsbehinderungen kommt, aber das ist alles”. (…)

Was der Polizei aber tatsächlich extra Arbeit verursache “und einen Riesenaufwand, den wir momentan nicht brauchen können”, sei dieses dauernde Streuen von Gerüchten, so Grundnig.

Und die Sache mit den Flüchtlingen, die nicht die sanitären Einrichtungen verwenden, sondern „ihr Geschäft just daneben“ verrichten und die weiblichen Hilfskräfte zum Putzen auffordern?

“Stimmt nicht”, sagt Grundnig.

Auch die Behauptung von den aufgeschlitzten Sitzen ist offensichtlich Unsinn. Der Sprecher der ÖBB sagte dem „Kurier“:

Wäre das tatsächlich so, würden von uns keine Sonderzüge mehr fahren.

Die steirische Landtagsabgeordnete Sabine Jungwirth (Grüne) hat Christoph Biró heute in einem offenen Brief aufgefordert, die Quellen für seine Behauptungen offenzulegen.

Die Menschenrechtsorganisation „SOS Mitmensch“ hat die Staatsanwaltschaft Graz unterdessen gebeten zu prüfen, ob Birós Kommentar „unter den Verhetzungsparagraphen (§ 283 StGB) und/oder unter die wissentliche Verbreitung falscher, beunruhigender Gerüchte (§ 276 StGB) falle“.

Nachtrag, 23.28 Uhr: Christoph Biró sieht seinen Kommentar inzwischen als “Fehler”, hat erste Konsequenzen gezogen und wird sich “aus eigenen Stücken für einige Zeit aus der Redaktion zurückziehen”. Er habe das Augenmaß verloren, sagte er laut Agentur APA:

Das war ein Fehler, wie er mir in 39 Jahren noch nicht passiert ist. Fehler passieren? Ja, aber dieser ist besonders bedauerlich. Man muss bei diesem Thema ein ganz besonderes Fingerspitzengefühl haben. Und das habe ich vermissen lassen.

Die “Kronen Zeitung” hat sich von Birós Kommentar distanziert.

Wer Hass sät

“Bild” hat also beschlossen, noch ein wenig im Mittelalter zu verweilen.

So viel offener Hass war noch nie in unserem Land! Und wer Hass sät, wird Gewalt ernten. (…) BILD reicht es jetzt: Wir stellen die Hetzer an den Pranger!


(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)

So präsentiert “Bild” heute knapp 40 Kommentare von Facebook (ganz prangermäßig natürlich samt Fotos und Namen der Verfasser). Zum Beispiel von Marco W.:

Verpisst euch aus Deutschland

Oder von Waldemar B.:

An die Wand,mit dem Dreckspack.

Oder von von Silvio B.:

Sind wir nicht alle ein bisschen Nazi

Dazu erklärte “Bild”-Chef Kai Diekmann heute:

Man kriegt Angst, wenn man sich dieser Tage die Nachrichten anschaut. Eine Politikerin, die sich für Flüchtlinge einsetzt in Köln, wird einfach abgestochen, niedergestochen. Da gibt es Demonstrationen, da laufen Leute rum mit selbstgebastelten Galgen, an denen Politiker hängen. Und das alles hat angefangen mit diesen Hass-Posts, mit diesen Hass-Tweets in den sozialen Medien. Und da gilt einfach, wir sehen es jetzt: Wer Hass sät, der wird Gewalt ernten. Das können wir nicht zulassen, da müssen wir „Halt, Stopp!“ rufen. Da wird ein Klima erzeugt, was wir nicht wollen. Und deshalb ist es richtig, diese Leute, die glauben, hier mit ihrem Gesicht diesen Hass, diesen Rassismus verbreiten zu müssen – die müssen wir an den Pranger stellen.

Die eigentliche Frage lässt er allerdings unbeantwortet: Warum „Bild“ die Hetzer an den Pranger stellt. Was soll das bewirken? Dass die 40 Abgebildeten jetzt stellvertretend für all die Dumpfnasen sozial geächtet, von ihrer Familie verstoßen und von ihrem Boss gefeuert werden? Oder dass sich die rechtschaffenden Leser dazu aufgefordert fühlen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen?

Der Medienanwalt Christian Solmecke hat die Aktion heute stark kritisiert. In einer Pressemitteilung schreibt er, „Bild“ hätte die Fotos und Nachnamen verpixeln müssen:

Unabhängig davon welche Straftat möglicherweise durch ein Bürger begangen wurde, gilt immer noch die Unschuldsvermutung. Dieses Prinzip gehört zu den fundamentalen Grundlagen unseres Rechtsstaates und wird durch einen solchen undifferenzierten Internetpranger mit Füßen getreten. Hinzukommt, dass die Verfolgung von Straftaten ausschließlich den zuständigen Behörden zukommt. Wer die Namen potentieller Straftäter veröffentlicht, verurteilt diese, bevor die Strafverfolgungsbehörden überhaupt Ermittlungen aufgenommen haben. Dies widerspricht unserem Rechtssystem und greift tief in die Grundrechte der einzeln aufgeführten Personen ein.

Gerade diejenigen, „die zwar moralisch verwerfliche Kommentare von sich geben, jedoch die Grenze der Strafbarkeit noch nicht erreichen“, würden „besonders stark in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt“, schreibt Solmecke. Das Gleiche gelte für jene, die einen ähnlichen Namen tragen „und durch die Berichterstattung nun mit rechtswidrigen Äußerungen in Verbindung gebracht werden“.

Beim Presserat sind schon die ersten Beschwerden eingegangen, was in den Springer-Chefetagen freilich nur für eines sorgte:

Aber zurück zu den Hetzern, also denen bei Facebook.

Angefangen habe alles „mit diesen Hass-Posts, mit diesen Hass-Tweets in den sozialen Medien“, sagt Kai Diekmann. Aber das ist nicht ganz richtig.

Ab ins Arbeitslager, und die Alte gleich mit !!!

Garnicht erst reinlassen diesen Abshaum
raus aus der EU und die Grenzen wieder dicht !!!

Die Familie sofort abschieben, meine Steuern sind mir zu Schade für solche Menschen, der wird sonst sein Leben lang auf Kosten der anderen leben. Kein Wunder, wenn die Deutschen immer mehr nach rechts rucken, so kann es nicht weitergehn!!!

Diese Hass-Botschaften sind nicht bei Facebook oder Twitter veröffentlicht worden, sondern in der Kommentarspalte von Bild.de. Und sie waren auch nicht der Anfang, sondern eine Reaktion – auf diesen Artikel:

Dass die beiden in Wirklichkeit Deutsche sind, haben die „Bild“-Medien damals natürlich verschwiegen. Dort war nur von „Roma“ die Rede.

Und dieses Pack füttert der Steuerzahler durch, sofort dort hin wo sie hin gehören.
Sehe es auch so, dass später nur krumme Dinger gedreht werden. Haben doch genug von den Romas in Deutschland Der größte Teil ist wie die oben genannte Sippe. Ein Kind nach dem anderen kriegen. Geld kassieren und nicht arbeiten.

Viele solcher Hass-Posts kamen nicht aus dem Nichts. Sie kamen, weil „Bild“ sie provoziert hat.

Das ist unser D E U T S C H L A N D!!!
Wir, das Volk sollte mitbestimmen dürfen, wen wir hier reinlassen oder nicht!
Ich möchte nicht, mit einer S&W Cal .357 schlafen, bzw. jeden Tag draussen rum laufen müssen,
aus Angst wegen ein paar Cent ausgeraubt zu werden!
Aber, ich denke, das ist so gewollt mit der Unterwanderung anderer Völker in Deutschland.
Siehe I. und II.WK!

Ich bin nur noch traurig. Haben diese Richter keine Verantwortung oder Gespür für das deutsche Volk.
Wer hier schreib es gibt keine Menschen erster od. zweiter Klasse gibt, hat eigentlich recht. Mitlerweile komme ich mir, als hier geborener,also echter Inländer, schon vor wie in der dritten Klasse.

[…] jetzt müssen wir noch Rumänen und Bulgaren, die arbeitsscheu sind unterstützen. Für einen Normalverdiener mit Kindern ist es doch jetzt schonj uninteressant in die Arbeit zu gehen. […] Aber für Asylanten und sonstige haben wir scheinbar genug Geld. Armes Deutschland.

Diese Kommentare sind erschienen, weil „Bild“ geschrieben hatte:


Dabei war das nur ein winziger Teil der Wahrheit. Das Urteil bezog sich nämlich nicht nur auf Rumänen und Bulgaren, sondern auf alle EU-Bürger, die in Deutschland leben und keinen Job finden, völlig unabhängig davon, aus welchem EU-Land sie kommen.

Nächstes Beispiel.

Solche Dreckspatzen sollte man verrecken lassen!!!!!!!

Großes Schiff. Care-Paket für die Reise, Bundeswehr“reisebegleiter“ mit genügend Waffen im Anschlag und gute Heimreise. Ganz einfach.
Wer tatsächlich vor Krieg und Tot fliehen MÜSSTE, benimmt sich nicht so , sondern würde vor Dankbarkeit den ganzen Tag arbeiten und fleißig deutsch lernen, um sich möglichst schnell in die Kultur und Gesellschaft einzubringen und anzupassen…!

Gleich eine Injektion aufziehen mit Fentanyl und Dormicum dazu noch ein bißchen Lidocain und fertig..

All das sind Reaktionen auf den „Bild“-Artikel, in dem behauptet wird, Rettungssanitäter in Bautzen müssten jetzt Schutzwesten tragen – „aus Angst vor Attacken im Asyl-Hotel“. Was überhaupt nicht stimmt.

Nächstes Beispiel.

Der deutsche Steuerzahler blecht dafür, dass brutale Ausländer in Deutschland sicher leben können, muss aber damit rechnen, von ihnen verprügelt zu werden!

Ah, nee. Das stammt von „Bild“ selbst.

Diese hier aber …

bekomme ein immer größeren Hass auf den rückständigen sch**** Islam, und das ist auch gut so. Lange lebe PEGIDA. Und Gauck, du Urmel aus dem Eis, gehe dahin wo die Baumwollpflücker leben….over and out.

WIE BESCHEUERT UND VERRÄTERISCH GEBEN SICH DIESE ISLAM-ARSCHKRIECHER NOCH BEI DER ABSCHAFFUNG UNSERER KULTUR UND UNSERER WERTE?!

Und genau darum bin ich dabei, genau darum werde ich im Neuen Jahr weiter argumentieren, mich streiten, mit linkem PACK anlegen, demonstrieren, zum N.A.S.I gemacht, und ich werde es aushalten, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Und der Gemeinde noch ein schönes Weihnachtsfest !

… sind ebenfalls Reaktionen auf einen zurechtgebogenen „Bild“-Artikel, in dem das Blatt behauptete, Politiker würden „fordern“, dass im christlichen Weihnachtsgottesdienst muslimische Lieder gesungen werden.

Eine Idee, die in Wahrheit von „Bild“ kam, nicht von den Politikern.

Es gibt unzählige solcher Beispiele: Islam-Rabatt, Weihnachtsmarktverbot, Sonne-Mond-und-Sterne-Fest, Schnitzelkrieg, Moslem-Feiertag, Sarrazin, Ehrenmorde, Roma, Griechen, kriminelle Ausländer und so weiter und so weiter. Seit Jahren verschweigen die „Bild“-Medien bei diesen Themen entscheidende Tatsachen, sie verdrehen die Fakten zu knalligen Schlagzeilen, sie tricksen und lügen, sie heizen die Stimmung an, sie säen den Hass, über den sie sich heute empören.

Oder anders:

Mit Dank auch an Saskia K., Geesje R., Thomas R., Christian B. und bluspot.

Siehe auch:

Wie „Bild“ Ausländerfeindlichkeit fördert
Wie „Bild“ den Hass gegen Flüchtlinge schürt
„BILD lässt Vorurteile wachsen“

Galgen und Pranger

Dieses Foto hat vergangene Woche viel Empörung ausgelöst.

“Bild” schickte gleich jemanden auf die Jagd nach dem “Galgen-Mann”, und siehe da:

Ein heruntergekommenes Mehrfamilienhaus. Die Wohnung liegt im Erdgeschoss. Alles wirkt trist. Der BILD-Reporter klingelt – nach wenigen Sekunden öffnet Bernd A. in Jogginghose und T-Shirt.

Und genau so — in Jogginghose und T-Shirt an seiner Wohnungstür — präsentierte “Bild” den Mann am Samstag groß und unverpixelt in der Bundesausgabe (und online gegen Bezahlung).

(Unkenntlichmachung von uns.)

Die Fotos wurden der Perspektive nach aus Hüfthöhe aufgenommen. Den Namen des Fotografen geben “Bild” und Bild.de nicht an.

In einem Interview mit dem rechtspopulistischen Magazin “Compact” (ab Minute 6:00) sagt der Mann, die Fotos seien “still und heimlich” gemacht worden und obwohl es “eindeutig untersagt war, dass da Fotos gemacht werden”.

Bevor hier Missverständnisse aufkommen (Herr Reichelt, gut aufpassen): Es geht nicht um den Galgen, der war schäbig und hatte mit “Satire”, wie es der Mann nennt, nichts zu tun. Es geht darum, dass auch besorgte Flachzangen Grundrechte haben.

Die ungenehmigte Veröffentlichung von Fotos, die den Abgebildeten in seinem Privatbereich zeigen, verletzt grundsätzlich dessen Persönlichkeitsrecht. Das gilt auch für Personen, die aufgrund ihres Ranges oder Ansehens, ihres Amtes oder Einflusses, ihrer Fähigkeiten oder Taten besondere öffentliche Beachtung finden. (Udo Branahl: Medienrecht, 2009, siehe auch: § 201a StGB)

Ein öffentliches Informationsinteresse an seinem Aussehen besteht ohnehin nicht, zumal “Bild” und Bild.de schon am Mittwoch Fotos von der Demo veröffentlicht hatten, auf denen sein Gesicht zu sehen war.

Die “Bild”-Medien zeigen aber nicht nur Fotos, sie schreiben auch, wo der Mann wohnt, welchen Beruf er ausübt, welche Seiten er bei Facebook “mit ‘Gefällt mir’ angeklickt” hat, welche Musik er mag, welche Kommentare er geschrieben und welche Fotos er gepostet hat. Sie stellen ihn bloß, in Jogginghose und T-Shirt, als wäre ein medialer Pranger zielführender als ein symbolischer Galgen.

Nachtrag, 12. April 2016: Der Presserat hat die Veröffentlichung der Fotos für unzulässig erklärt.

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