Suchergebnisse für ‘Presserat’

Reichelts Worte, Traurige Sex-Hetze, Panikmache und Scharfmacherei

1. Nach SPD-Posse der Titanic: Reichelt entschuldigt sich beim Bild-Team
(wuv.de, Lisa Priller-Gebhardt)
Während es im Netz in der Sache #miomiogate Hohn und Spott für “Bild”-Chef Julian Reichelt gibt, versucht dieser wenigstens seinem Team per Rundbrief weiszumachen, man habe alles richtig gemacht.
Ganz zum Schluss beschwört der ehemalige Kriegsreporter und Militarismusfan nochmal seine virtuellen Truppen: “(…) zusammenzustehen, wenn wir Anfeindungen ausgesetzt sind, geht auf uns alle” — und man sieht ihn dabei förmlich im Büro auf dem Feldbett sitzen. Wenn er nicht längst einen Architekten damit beauftragt hat, im Axel-Springer-Hochhaus Schützengräben auszuheben.

2. Die Lüge von der „Sex-Broschüre für Kita-Kinder“
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Sobald es um Themen wie Intersexualität und Transsexualität geht, scheinen bei Boulevardmedien die Sicherungen durchzubrennen. So auch bei einer von “Bild” und “BZ” zum Skandal hochgejazzten Broschüre für pädagogische Fachkräfte. Stefan Niggemeier kommentiert den traurigen Vorgang: “(…) was hier passiert, ist keine Diskussion über die Inhalte der Broschüre. Es ist eine Schmutz- und Desinformationskampagne. Sie verbreitet erneut die Mär von der “Frühsexualisierung” und vielen damit verbundenen Unterstellungen wie der, dass linke Pädagoginnen und Pädagogen heimlich daran arbeiten, die ganze Welt transsexuell oder wenigstens schwul zu machen, und „normale“ Kinder verachten und vernachlässigen.”

3. Änderungen in der Google-Bildsuche – Probleme bleiben
(djv.de, Michael Hirschler)
Die Fotobranche hat schon seit Längerem Probleme mit Google und dabei wird es wohl auch bleiben. Mittlerweile hat der Suchmaschinengigant zwar die sogenannte Einzelbildpräsentation abgeschafft. Dies erfolgte jedoch nicht aus Einsicht oder Wohlwollen, sondern ist auf einen Deal mit der Firma Getty Images zurückzuführen. Michael Hirschler kommentiert: “Ein kritischer Beobachter könnte auch meinen: der Firma Getty Images wurde ihre Beschwerde wohl eher abgekauft. Das erinnert an die Praxis der Firma Microsoft, als die EU-Kommission wegen Wettbewerbsverletzungen gegen sie vorging. Firmen, die eine Beschwerde eingelegt hatten, wurden von Microsoft einfach aufgekauft. Auch wenn Getty Images jetzt (noch) nicht direkt von Google aufgekauft wurde, sieht es ziemlich ähnlich aus.”

4. Kenntnisfreie „Fakten-Checker“ bei „Hart aber fair“: Plasberg und Bild strapazieren das „gesunde Volksempfinden“
(meedia.de, Thomas Fischer)
Die vergangene “Hart aber Fair”-Sendung mit Frank Plasberg wurde in den Medien vielfach kritisiert. Hans Hütt fand in der “FAZ”, dass die Sendung ihren Informationsauftrag verfehlt hätte und macht dafür auch die Fragen von Gastgeber Plasberg verantwortlich. Christoph Kammenhuber sah es in der „taz“ ähnlich: Dem Moderator habe es an juristischem Fingerspitzengefühl gefühlt und er habe als Vertreter des „gesunden Volksempfindens“ Stimmung gegen die Justiz gemacht.
 Nun nimmt sich mit Bundesrichter a.D. Thomas Fischer jemand vom Fach der Sendung an. Sein Befund: “Fünf Viertelstunden kenntnisfreier Panikmache und rechtspolitischer Scharfmacherei auf sehr niedrigem Niveau“.

5. Hass-Reden gegen Menschenrechte
(taz.de)
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat ihren Jahresbericht vorgestellt. „Das Schreckgespenst von Angst und Hass macht sich in der Weltpolitik breit und es gibt wenige Regierungen, die sich in diesen unruhigen Zeiten für Menschenrechte einsetzen“, beklagt der Vorsitzende Salil Shetty. Negativ hervorgehoben hätten sich die Staatschefs von Ägypten, Venezuela und der Philippinen, aber auch der russischen Präsidenten Wladimir Putin, der chinesischen Staatschef Xi Jinping und US-Präsident Donald Trump.

6. “Wer hat Julian Reichelt erlaubt, die Demokratie so in den Dreck zu ziehen?”
(tagesspiegel.de, Christopher Lauer)
Christopher Lauer wendet sich in seiner Video-Kolumne an den „Bild“-Chef: „Lieber Julian Reichelt, wer hat Dir erlaubt, die Demokratie so in den Dreck zu ziehen, wie es Deine Zeitung gerade macht?“

“Schmutz-Kampagne bei der SPD”: “Bild” fällt auf “Titanic” rein

Es ist alles noch viel schlimmer und trauriger und lustiger.

Die vermeintlichen E-Mails von Kevin Kühnert, die die “Bild”-Redaktion vergangene Woche dazu veranlasst haben, eine große Titelgeschichte über eine “Neue Schmutz-Kampagne bei der SPD” zu veröffentlichen, stammen gar nicht von einem Russen namens “Juri”. Sie stammen auch nicht — wie wir vermutet haben — von einem Jugendlichen, der dank dreieinhalb Minuten Microsoft-Outlook-Gefummel “Bild” mit einer plumpen Fälschung reingelegt hat. Die E-Mails stammen von der “Titanic”-Redaktion:

Screenshot Titanic-Website - miomiogate – Juri, Kühnert, Bild und TITANIC

Die “Bild”-Zeitung ist einem Fake der TITANIC aufgesessen. Am Freitag hatte “Bild” unter der Schlagzeile “Neue Schmutzkampagne bei der SPD” einen Mailverkehr veröffentlicht, der belegen soll, daß Juso-Chef Kevin Kühnert bei seiner NoGroKo-Initiative Hilfe eines russischen Internettrolls namens Juri in Erwägung gezogen hat. Dieser Schriftverkehr wurde aber u.a. von TITANIC-Internetredakteur Moritz Hürtgen an “Bild” lanciert: “Eine anonyme Mail, zwei, drei Anrufe – und ‘Bild’ druckt alles, was ihnen in die Agenda paßt.”

Stimmt das denn nun? Oder handelt es sich nach Jan Böhmermanns “Varoufake” um den nächsten Fake-Fake? Wir waren auch erst skeptisch. Inzwischen glauben wir der “Titanic” aber voll und ganz. Vor allem aus zwei Gründen:

1) Auf der “Titanic”-Seite kann man sich den angeblichen Mail-Verkehr zwischen Kühnert und “Juri” runterladen. Diese Unterhaltung enthält deutlich mehr Mails als von “Bild” bisher veröffentlicht. Soll heißen: Hätte sich die “Titanic”-Redaktion zusätzliche Mails zwischen dem falschen Kühnert und “Juri” erfunden, wäre es für die “Bild”-Redaktion ein Leichtes, die “Titanic”-Version zu widerlegen. Das hat sie bisher nicht getan.

2) Bereits am Freitag haben wir aus “Bild”-Kreisen erfahren, dass der “anonyme Informant” die “Bild”-Redaktion besuchen wird, um seine Geschichte weiter zu verifizieren. In einem Telefonat hat uns “Titanic”-Chefredakteur Tim Wolff heute erzählt, dass Moritz Hürtgen als Informant bei “Bild” zu Gast war — ohne dass Wolff wusste, dass wir von dem Besuch bereits wissen. Es wäre ein sehr großer Zufall, wenn Tim Wolff sich diesen Besuch nur ausgedacht und damit exakt unsere Informationen bestätigt hat.

Und dann gibt es noch einen dritten Punkt. Diesen Rechtfertigungsversuch bei Twitter von “Bild”-Oberchef Julian Reichelt:

Das ist der Julian Reichelt, der von sich selbst gern behauptet, dass es ihm “grundsätzlich leicht” falle, “mich zu entschuldigen, wenn wir Fehler gemacht haben.” Das ist der Julian Reichelt, der nach dem Flüchtlings-“Sex-Mob”-Reinfall in Aussicht gestellt hat, bei “Geschichten, die für ‘Fake News’ anfällig sind”, eine “Bild”-Spezialtruppe mit “noch mehr gestandenen Nachrichtenleuten” einzusetzen, damit es solche Reinfälle nicht wieder gibt. Das ist der Julian Reichelt, der in seinen Worten stets so groß ist und in seinen Taten stets so klein. Das ist der Julian Reichelt, dem man nichts glauben kann.

Was Reichelt offenbar nicht versteht: Die “Titanic”-Redaktion hat mit dieser Aktion nicht versucht, “journalistische Arbeit bewusst zu diskreditieren”. Sie hat es geschafft, das nicht-journalistische Arbeiten von “Bild” zu verdeutlichen. Denn es bleibt trotz der längeren Erklärung bei Bild.de, wie es “zu dieser Schlagzeile” kam, dabei: Die “Schmutz-Kampagne” wurde erst in dem Moment zur “Schmutz-Kampagne”, als die auflagenstärkste Zeitung Deutschlands aus der ganzen Sache eine große Titelgeschichte gemacht hat. Die “Schmutz-Kampagne” ist bei “Bild” entstanden. Vorher war es lediglich ein Spinner (beziehungsweise “Titanic”-Redakteur Moritz Hürtgen) mit offensichtlich gefälschten E-Mails, für den sich niemand interessiert hätte. Es bleibt auch dabei, dass stets mehr gegen die Echtheit der Mails gesprochen hat als dafür. Warum greift “Bild” die Story überhaupt auf, wenn sie von Anfang an mindestens merkwürdig ist? Warum in dieser großen Aufmachung? Warum bringen “Bild” und Reichelt gerade diese Titelzeile, wenn sie doch die ganze Zeit so skeptisch waren? Warum “Schmutz-Kampagne bei der SPD” und nicht “Schmutz-Kampagne gegen die SPD”? Und natürlich bleibt bei dieser Schlagzeile, die “Bild” gewählt hat, bei vielen Leuten hängen: “Der Kühnert? Das war doch der, der mit den Russen gemeinsame Sache gemacht hat!” — auch wenn “Bild”-Autor Filipp Piatov ganz am Ende auflöst, dass es “für die Echtheit der E-Mails” “keinen Beweis” gebe. Das alles nun als die große Skepsis “von Beginn an” darzustellen, zeugt nur davon, was für ein schlechter Verlierer Julian Reichelt ist.

Und nur nebenbei: Dieser Tweet, den Piatov vorgestern noch gepostet hat, sieht nun nicht nach massivem Misstrauen aus:

Nein, es war anscheinend keine “plumpe Fälschung”, auf die Piatov und “Bild” reingefallen sind und die sie zur Titelgeschichte aufgeplustert haben, sondern eine filigrane Fälschung.

Die “Titanic”-Aktion zeigt, dass man bei Julian Reichelt, Filipp Piatov und der gesamten “Bild”-Redaktion sehr gute Chancen hat, mit Desinformationen ins Blatt zu gelangen, wenn man nur die richtigen Knöpfe drückt. Im aktuellen Fall hat die “Titanic”-Redaktion sehr geschickt eine Mischung aus SPD (bei “Bild” nicht sehr beliebt) und dem bösen Russen (bei “Bild” nicht sehr beliebt) gewählt.

Zum Schluss bleibt uns nur, uns vor Moritz Hürtgen, Dax Werner und der “Titanic”-Redaktion zu verneigen. Und alle BILDblog-Leser aufzufordern, sofort ein “Titanic”-Abo abzuschließen, um die Redaktion in ihrer wichtigen Aufklärungsarbeit zu Deutschlands größter Satire-Zeitung “Bild” und zu “Bild”-Oberwitz Julian Reichelt zu unterstützen.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Nachtrag, 8. September: “Bild” hat für die falsche SPD-“Schmutz-Kampagne” bereits im März eine Rüge vom Presserat kassiert. Das Gremium sehe “einen schweren Verstoß gegen das Wahrhaftigkeitsgebot in Ziffer 1 des Pressekodex. Diese Irreführung der Leser beschädigt Ansehen und Glaubwürdigkeit der Presse”.

Heute ist die Redaktion ihrer Verpflichtung nachgekommen und hat die Rüge im Blatt versteckt veröffentlicht:

Ausriss der Bild-Doppelseite mit der Rüge

Nicht gefunden? Hier:

Erneuter Ausriss der Bild-Doppelseite mit der Rüge
Ausriss Bild-Zeitung - Rüge des Presserats - Der Deutsche Presserat hat Bild wegen der Berichterstattung Neue Schmutzkampagne bei der SPD vom 16. Februar 2018 eine Rüge erteilt. Beanstandet wird, dass die Redaktion den Artikel veröffentlicht hat, obwohl die SPD die angeblichen Mails ihres Juso-Chefs mit offensichtlichen Argumenten wie der falschen Endung der E-Mail-Adresse dementiert habe. Vor allem aber sei dem Leser suggeriert worden, dass es eine neue Schmutzkampagne bei der SPD gegeben habe, was tatsächlich nicht der Fall gewesen sei. Auf diese Ungereimtheiten hatte die Redaktion den Leser zwar ausdrücklich hingewiesen. Der Presserat sieht gleichwohl einen Verstoß gegen das Wahrhaftigkeitsgebot in Ziffer 1 Pressekodex.

Hart aber Unfair, “Bild”s SPD-Hund, Maximal dumme CEOs

1. Ein Fall für den Presserat
(faz.net, Hans Hütt)
Sowohl „FAZ“ als auch „taz“ sind sich einig in ihrer Kritik der letzten Ausgabe von „Hart aber Fair“ (ARD). Die Fälle, über die Frank Plasberg in seiner Sendung über eine überlastete Justiz diskutierte, seien schrecklich. Noch schrecklicher aber sei es, dem „gesunden Rechtsempfinden“ Vorschub zu leisten. Die Sendung hätte ihren Informationsauftrag verfehlt, was auch an den mitunter suggestiven Fragen des Gastgebers gelegen hätte. Die Aussagen von „Bild“-Chef Julian Reichelt hält “FAZ”-Autor Hans Hütt gar für einen Fall für den Presserat.
Christoph Kammenhuber sieht es in der „taz“ ähnlich: Dem Moderator Frank Plasberg fehle es an juristischem Fingerspitzengefühl, er agiere als Vertreter des „gesunden Volksempfindens“ und mache Stimmung gegen die Justiz.

2. SPD wendet sich wegen “Bild”-Bericht an Presserat
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Die SPD geht juristisch gegen die Behauptung der „Bild“ vor, ein Hund könne über die GroKo abstimmen. „Bild“ hatte das Tier als SPD-Mitglied angemeldet, die Abstimmungsunterlagen für den Mitgliederentscheid über den Eintritt in die Große Koalition bekommen und das Ganze publizistisch ausgeschlachtet. Was „Bild“ verschwieg: Für eine gültige Stimmabgabe muss dem Wahlzettel eine unterschriebene eidesstattliche Erklärung beigefügt werden.

3. Newsletter statt Blog?
(1ppm.de, Johannes Mirus)
Johannes Mirus hat sich auf Twitter umgehört, warum viele Menschen lieber persönliche Newsletter versenden, statt ein Blog zu führen. Die Antworten hat er in einem Blogartikel zusammengefasst. Manche Newsletterversender folgen einfach nur dem allgemeinen Trend, andere schätzen das ausgesuchte Zielpublikum. An möglichen Gründen wurde auch die Bequemlichkeit der Empfänger genannt und das Gefühl, Teil einer “elitären Gruppe” zu sein.

4. Ralf Höcker kritisiert PR-Profis: Warum Homestorys tabu sein sollten
(kress.de, Marc Bartl)
Wenn ein Vorstandsvorsitzender einem Magazin verrät, dass er im Winter fast jedes Wochenende zum Skifahren in die Berge fährt und ein passendes Foto beisteuert, hält Medienanwalt Ralf Höcker das aus presserechtlicher Sicht für „maximal dumm“. Höcker weiter: „Wer sich selbst öffnet, opfert einen Teil seiner Persönlichkeitsrechte. Homestorys sind deshalb tabu. Diese bescheuerten Fragebögen, in denen man erklärt, welche Bücher man mit auf eine einsame Insel nimmt, sind tabu. Man redet auch nicht über seine Familie. Wenn ein CEO sich mit seinem Auto, seiner Frau und seinen Haustieren fotografieren lässt und erzählt, wie toll sein Familienleben ist, und er drei Monate später besoffen aus dem Puff kommt und einen Hund tot fährt, kann er den Bericht darüber in der “Bild” natürlich nicht mehr verhindern. Ansonsten wäre ein solcher Artikel durchaus verbietbar gewesen.“

5. Auf dem Weg zum Blockbuster-Journalismus
(medienwoche.ch, Adrian Lobe)
In Amerika experimentieren große Medienhäuser wie die „New York Times“ und „Washington Post“ mit Augmented- und Virtuality-Reality-Lösungen. Adrian Lobe schreibt in der „Medienwoche“ über Chancen und Risiken der neuen Technologien.

6. Dichotom-Energie
(dirkhansen.net)
Dirk Hansen philosophiert über die Gründe einer zunehmend aggressiver werdenden Mediengesellschaft: „Wir streiten weit unter unserem Skalen-Niveau. Weil wir die Debatten quasi mit Dichotom-Energie anheizen. Und das ist gefährlich dumm. Denn die Verhältnisse werden schwer kalkulierbar, wenn wir nur mit „gleich/ungleich“ rechnen können.“

Turnschuh-Mata-Haris, Trojaner, Geheimer Hass im Netz

1. Der Feind in meinem Turnschuh
(zeit.de, Eike Kühl)
Die Betreiber der Fitnesstracking-App „Strava“ haben eine globale Heatmap mit Daten von User-Läufen der letzten drei Jahre veröffentlich. Was da grafisch so eindrucksvoll daherkommt, betrachten Sicherheitsforscher und Militärexperten als mögliches Sicherheitsrisiko. So hat sich Nathan Ruser, Student der Internationalen Sicherheit im australischen Canberra, die Gebiete wie Syrien, Irak und Afghanistan näher angeschaut und dabei viele Einträge entdeckt, die auf Camps von Hilfsorganisationen und bekannte und weniger bekannte Militärstützpunkte hinweisen. Doch damit nicht genug: „Schnell begannen weitere Nutzer auf Twitter, die Heatmap zu analysieren. Sie fanden einen einzelnen Radfahrer in der als Area 51 bekannten US-Air-Force-Basis in Nevada. Sie fanden Jogger in der Nähe eines Staudamms in Syrien, wo die USA mutmaßlich einen Stützpunkt aufbaut. Der Journalist Jeffrey Lewis vom Onlinemagazin The Daily Beast entdeckte Strava-Nutzer auf dem Gebiet eines lange Zeit geheim gehaltenen Raketenkommandos in Taiwan.“

2. Der geheime Hass im Netz
(faz.net, Alexander Davydov)
Hass und Hetze sind ein ernstes Problem bei Facebook, doch wenn dies öffentlich sichtbar geschieht, kann wenigstens reagiert werden: Sei es durch Gegenrede, dem Melden von Äußerungen oder gar einer Strafanzeige. Die Konsequenz daraus: Viele Rechte haben zum wechselseitigen Austausch geschlossene Facebook-Gruppen gegründet. Dort hetzen sie dann ungeniert gegen Flüchtlinge und Juden, leugnen den Holocaust, warnen vor einer „muslimischen Invasion“ oder rufen zum Mord an Politikern auf. Alexander Davydov hat sich in die Welt der Hetzgruppen begeben, in denen auch die Namen von AfD-Politikern auftauchen.

3. Pressekodex reloaded Warum der alte besser war.
(fair-radio.net, Sandra Müller)
Wann soll man die Herkunft von Tatverdächtigen nennen? Zu dieser Frage existierte im Pressekodex eine eigene Richtlinie. Danach sollten Herkunft und Nationalität von Tatverdächtigen nur genannt werden, wenn dies bei der Tat eine Rolle gespielt hat. Im Kodex-Deutsch: „wenn für das Verständnis des berichteten Vorgangs ein begründbarer Sachbezug besteht“. Letztes Jahr hat der Presserat diesen „Sachbezug“ gestrichen. Entscheidend ist jetzt, ob „öffentliches Interesse“ besteht. Einige JournalistInnen und WissenschaftlerInnen haben ihre Bedenken gegen die Formulierung in einem Offenen Brief geäußert. „Fair Radio“ hat daraus eine Petition bei change.org gemacht, in der die Rückkehr zur alten Fassung gefordert wird.

4. “Wenn man einen Staatstrojaner hat, dann ist alles verloren”
(deutschlandfunk.de, Stefan Koldehoff, Audio, 8:47 Minuten)
Dank „Staatstrojaner“ können heimlich Inhalte aus Mobiltelefonen oder Computern ausgelesen werden. Der „Deutschlandfunk“ hat sich mit dem freien Journalisten und Referenten für Informationsfreiheit bei den „Reportern ohne Grenzen“ Daniel Moßbrucker darüber unterhalten, was der offenbar schon stattfindende Einsatz des “Staatstrojaners” konkret für Journalistinnen und Journalisten bedeutet.

5. Solidarität mit dem Kika!
(taz.de, Jürn Kruse)
Jörn Kruse fordert in der „taz“ Solidarität mit dem Kinderkanal „Kika“. Aus einem „Kika“-Beitrag zum Thema Brüste hätten „Bild“ und „B.Z.“ eine plumpe Anti-ARD-ZDF-Kampagne gemacht: „Liebe KollegInnen, ich habe einen schlimmen, schlimmen Verdacht: Kann es sein, dass es euch gar nicht um das Wohlergehen unserer lieben kleinen Kinder geht, sondern nur darum, gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu schießen?“

6. „Goldene Blogger“: Preise für Journalist Gutjahr und Bloggerin Hingst
(tagesspiegel.de)
In Berlin wurden die besten Blogs mit dem „Goldenen Blogger“ ausgezeichnet. Jury-Mitglied Daniel Fiene: „Wenn man sich näher mit dem Netz beschäftigt, bekommt man eine Art Depression. Man hat den Eindruck, überall gibt es nur Fake News und Hate Speech. Wir zeigen, dass es auch gute Seiten gibt.“

“Kika”-Doku, AfD-Medienverhalten, Polit-Psychiatrisierung

1. Malvina, Diaa und der Hass
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Im öffentlich-rechtlichen Kinderkanal “Kika” lief Ende November eine Dokumentation über eine junge Liebe, bei der zwei Weltsichten aufeinanderprallen: Malvina ist Deutsche und Christin; ihr Freund Diaa kommt aus Syrien und ist Moslem. Darüber ist nun mediale Aufregung entstanden, die sich vordergründig am Alter der Protagonisten festmacht. Boris Rosenkranz berichtet über den aus dem Ruder gelaufenen Fall, bei dem auch der “Kika” nicht immer gut aussieht. Weitere Lesetipps: “Kika ändert Alter eines Flüchtlings in einer Doku — na und?” (Björn Vahle, “Neue Westfälische”) und “Sinnliche Aufklärung” (Martin Kaul, “taz”).

2. Wer ist der echte Steve Bannon?
(faktenfinder.tagesschau.de, Patrick Gensing)
Lange Zeit spielte der rechtsnationalistische Vordenker und Meinungsmacher Steve Bannon eine wichtige Rolle als Trumps Einflüsterer und Chef der rechten Nachrichtenseite “Breitbart”. Doch in letzter Zeit läuft es nicht gut für den Mann. Zunächst verlor er seinen Job im Weißen Haus, nun auch den bei “Breitbart”. Auf Twitter gibt es immer wieder Verwirrung um echte und vermeintliche Bannon-Zitate, was an einigen Satire-Accounts und einem Namensvetter liegt. Und an Medien, die nicht genau hinschauen, wen und was sie da zitieren.

3. Mit den Medien und gegen die Medien
(de.ejo-online.eu, Linards Udris, Daniel Vogler & Jens Lucht)
In einer Studie wurden die Inhalte der und die Resonanz auf die Facebook-Kommunikation der wichtigsten deutschen Parteien vor der Bundestagswahl 2017 untersucht. Auffällig sei die Kommunikation der AfD, die sich in fast der Hälfte ihrer Beiträge auf die Medien bezogen habe. Was den Umgang mit Medien angeht, sei sie ein Sonderfall: Nur sie bewirtschafte Themen zusammen “mit den Medien” und stelle sich gleichzeitig auch “gegen die Medien”.

4. Presserat verzeichnet rekordhohe Zahl an Beschwerden
(nzz.ch)
Beim Schweizer Presserat sind 2017 insgesamt 127 Beschwerden eingegangen, deutlich mehr als in den Vorjahren, in denen die Zahl bei durchschnittlich 80 Beschwerden lag. Das Verfahren vor dem Presserat ist für Privatpersonen kostenlos. Neuerdings will man jedoch Beschwerdeführern, die sich anwaltlich vertreten lassen, sowie Organisationen, Unternehmen und Institutionen eine Gebühr von 1000 Franken auferlegen.

5. Die Debatte um das NetzDG ist unsachlich
(internet-law.de, Thomas Stadler)
Rechtsanwalt Thomas Stadler verteidigt das NetzDG trotz bestehender Schwächen in der Gesetzesumsetzung. Den vielfach gehörten Vorwurf der Privatisierung der Rechtsdurchsetzung lässt er nicht gelten: “Die Strafjustiz wird außerdem niemals in der Lage sein, Millionen strafbarer Einzelinhalte zu verfolgen und schon gar nicht zeitnah. Wer also rechtswidrige Inhalte aus dem Netz bekommen will, muss den Plattformbetreibern entsprechende Pflichten auferlegen. Hierzu gibt es keine praktikable Alternative.” Der Gesetzgeber dürfe jedoch nicht allzu leichtfertig die fälschliche Löschung von rechtmäßigen Inhalten durch sogenanntes “Overblocking” in Kauf nehmen, weil dies die Meinungs- und Informationsfreiheit beeinträchtige.

6. “Hoffnung nach kollektiver Entlastung”
(detektor.fm, Christian Erll, Audio, 7:27 Min.)
Schon lange wird über die Zurechnungsfähigkeit des US-amerikanischen Präsidenten debattiert. Das Trump-Enthüllungsbuch “Fire & Fury” von Michael Wolff sorgt nun dafür, dass die Frage immer lauter gestellt wird. Detektor.fm hat mit “taz”-Medienredakteurin Anne Fromm über die “Psychiatrisierung der Politik” gesprochen und mit ihr diskutiert, warum eine derartige Diskussion auch Gefahren birgt.

„Krawall-Barbie“, Kein “Tod den Juden”, Pornhub und die “Krone”

1. Die „Krawall-Barbie“ der Bild-Zeitung beschäftigt den Presserat
(br.de)
Mit “Krawall-Barbie” überschrieb “Bild” das Foto einer jungen blonden Frau mit bauchfreiem Top, die während des G20-Gipfels im Juli in Hamburg randaliert haben soll. Beim Deutschen Presserat sind deshalb bislang fünf Beschwerden eingegangen. Juristen sehen in der Veröffentlichung von G20-Fahndungsfotos in den Medien eine mögliche „erhebliche Prangerwirkung“ für die abgebildeten Personen. Die Veröffentlichung derartiger Bilder “unterliegt immer einer sorgfältigen Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen auf der einen Seite und der Pressefreiheit sowie dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit auf der anderen Seite“, so der Berliner Presseanwalt David Geßner.

2. Massenhafte „Tod den Juden“-Rufe am Brandenburger Tor?
(uebermedien.de, Emily Dische-Becker)
Gab es wirklich massenhafte „Tod den Juden“-Rufe am Brandenburger Tor, wie vielfach in den Medien berichtet wurde? Emily Dische-Becker hat beim Reporter des Artikels nachgefragt, der die weitere Berichterstattung nach sich zog. Mit erschütterndem Ergebnis: “Bei einem späteren Gespräch sagt der Reporter, er habe den fertigen Artikel gar nicht gekannt, über dem sein Name steht und der so viele Reaktionen ausgelöst hat. Er habe die Beobachtung seinem Redaktions-Kollegen nur telefonisch mitgeteilt. Dass in dem Artikel davon die Rede war, dass 1500 Menschen minutenlang den Spruch skandierten, habe er nicht gewusst und es habe ihn überrascht. Das sei alles maßlos übertrieben.”

3. Zahl der Krimis soll nicht weiter steigen
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
Vor wenigen Tagen fand in Berlin zum vierten Mal in diesem Jahr die “ZDF”-Pressekonferenz statt. ZDF-Intendant Thomas Bellut und ZDF-Fernsehratsvorsitzende Marlehn Thieme sprachen u.a. über steigende Personalausgaben trotz Personalabbau, Sportvielfalt im Programm, das Erreichen der Krimi-Grenze und Mitgliedschaften von Mitarbeitern.

4. “Am Gängelband der Politik”
(deutschlandfunk.de, Isabelle Klein)
Der Chefredakteur der Wochenzeitung “Falter”, Florian Klenk, ist wenig optimistisch, was die Zukunft des Journalismus in Österreich anbelangt. Er fürchte, die Medien könnten ihrer kritischen Rolle bei der neuen Regierung nicht nachkommen, sagte Klenk im Deutschlandfunk.

5. Neues aus dem Fernsehrat (19): Fünf Wünsche ans öffentlich-rechtliche Christkind
(netzpolitik.org, Leonhard Dobusch )
Leonhard Dobusch hat in einer Art weihnachtlichem Wunschzettel ans “öffentlich-rechtliche Christkind” einige Dinge notiert, die ARD, ZDF und Co im Netz auch ohne neues Gesetz tun könnten, bislang aber nicht tun. Die Überschriften lauten Open-Source-Kooperation bei Mediathekentwicklung, Personalisierung bei Mediatheken, Open Data and Transparenzoffensive, weniger Geoblocking und Creative Commons für Eigenproduktionen ohne Fremdmaterial.

6. Pornhub braucht halben Strom von Temelín: “Krone” verrechnete sich
(derstandard.at, Georg Pichler)
Die amerikanische Zeitschrift “The Atlantic” hat sich mit dem wachsenden Stromverbrauch durch Streamingdienste beschäftigt. Ein Forscher hat dazu in einer Beispielrechnung den Stromverbrauch der Porno-Plattform “Pornhub” kalkuliert. Die österreichische “Krone” schrieb daraufhin, “Pornhub” würde im Jahr so viel Strom verbrauchen, wie das Land Luxemburg insgesamt. Zudem könne der Verbrauch das tschechische Atomkraftwerk Temelín zur Hälfte auslasten. Beides war allerdings komplett falsch. Die Krone hatte augenscheinlich eine Komma- mit einer Tausenderstelle verwechselt.

Bild.de lässt Witwe per Schlagzeile wissen, dass sie Witwe ist

Natürlich kann man den Überbringer einer schlechten Nachricht nicht für die schlechte Nachricht verantwortlich machen. Man kann ihn aber dafür kritisieren, wie er die schlechte Nachricht überbringt. Und dass er nicht abwägt, ob es gerade wirklich angebracht ist, die schlechte Nachricht zu überbringen.

Ein Beispiel: Eine Frau überlebt gerade so einen schweren Unfall und wacht aus dem Koma auf. Sie weiß noch nicht, was alles passiert ist. Und dann steht der Überbringer der schlechten Nachricht neben ihrem Krankenhausbett und sagt: “Ach, übrigens — Sie wissen zwar noch nichts davon, aber Ihr Ehemann ist tot.”

Das sieht bei Bild.de dann so aus:

Screenshot Bild.de - Nach Todesfahrt von Oligarchen-Tochter - Opfer weiß noch nicht, dass es Witwe ist
(Unkenntlichmachungen durch uns — auf einen Link zum Artikel verzichten wir bewusst.)

Bei einem Unfall im ukrainischen Charkiw sind fünf Menschen ums Leben gekommen und sechs weitere verletzt worden. Eine 20-Jährige soll mit ihrem Auto viel zu schnell gewesen und über eine rote Ampel gefahren sein. Sie stieß mit einem anderen Wagen zusammen und schleuderte in eine Gruppe von Menschen. Auch die Frau, über die Bild.de nun berichtet, und ihr Ehemann wurden von dem Auto getroffen. Der Mann starb, die Frau ist am Mittwoch nach sechs Tagen aus dem Koma aufgewacht.

Bild.de zeigt ein privates Foto des Paares ohne irgendeine Verpixelung, nennt die vollen Namen der beiden und schreibt:

Die junge Frau weiß noch nicht, dass ihr Ehemann (…) bei dem schrecklichen Unfall ums Leben kam. Sie weiß noch nicht, dass sie nun verwitwet ist.

Die Ärzte sind der Meinung, dass sie noch zu schwach ist, um vom Tod ihres Ehemanns zu erfahren.

Spätestens beim Verfassen dieses Satzes hätte der anonyme Autor auf die Idee kommen können, dass der Artikel, an dem er sitzt, eine ganz miserable Idee ist. Doch stattdessen hat er ihn zu Ende geschrieben und ihn mit seinen Kollegen rausgejagt.

Noch ein Stückchen ekliger bekommt es Merkur.de hin. Die Redaktion verknüpft ihren Artikel (der sich fast komplett auf den Bild.de-Text stützt) mit einer Clickbait-Überschrift:

Screenshot Merkur.de - Schrecklicher Unfall - 27-Jährige wacht nach Unfall aus Koma auf: Doch die schlimmste Nachricht weiß sie noch nicht

Bei seiner Sitzung im September hat der Deutsche Presserat neun Rügen ausgesprochen. Zwei davon gingen an Bild.de für die Berichterstattung zum Terroranschlag in Manchester. Eine dieser Rügen sprach das Gremium für einen Artikel mit der Überschrift “Mutter weiß nicht, dass Saffie nicht mehr lebt” aus. Der Presserat schrieb zu seiner Entscheidung:

Ebenfalls gerügt wurde BILD Online für die Berichterstattung unter der Überschrift “Mutter weiß nicht, dass Saffi nicht mehr lebt”. Ausführlich dargestellt wurde das Schicksal eines minderjährigen Opfers mit Foto und Namensnennung. Auch diese Darstellung ist nicht mit dem Opferschutz vereinbar. Ethisch problematisch war für den Presserat auch der Umstand, dass laut Artikel die Mutter, die wegen des Anschlags selbst auf der Intensivstation lag, noch nicht über den Tod ihres Kindes informiert war.

Die Mitarbeiter der “Bild”-Medien wollen diesen verantwortungslosen, grässlichen Mist, den sie ständig produzieren, einfach nicht besser machen.

Mit Dank an Julia und Matthias für die Hinweise!

Opferfotos lässt “Bild” sich nicht verrügen

Vor vier Monaten, einen Tag nach dem Terroranschlag bei einem Konzert in Manchester, titelte Bild.de:

Saffie (8) und Georgina (18) hatten sich so auf das Konzert gefreut - Zu jung zum Sterben! [Dazu zwei große Porträtaufnahmen der beiden Opfer]
(Unkenntlichmachungen durch uns.)

Und wenig später:

TERROR IN MANCHESTER - Ihre Mutter weiß noch nicht, dass Saffie (8) tot ist [ebenfalls mit großem Porträtfoto des Mädchens]
(Unkenntlichmachung durch uns.)

Zu diesem Zeitpunkt lag die Mutter, ebenfalls ein Opfer des Anschlags, noch auf der Intensivstation.

Mehrere Menschen reichten dazu Beschwerden beim Presserat ein. Sie verwiesen auf Ziffer 8 des Pressekodex, nach der die Identität von Opfern — insbesondere wenn es sich um Kinder und Jugendliche handelt — besonders zu schützen ist. Und auf Ziffer 11, nach der die Berichterstattung in solchen Fällen ihre Grenzen „im Respekt vor dem Leid von Opfern und den Gefühlen von Angehörigen“ findet. Kritisiert wurde von den Beschwerdeführern außerdem, dass Fotos eines Opfers veröffentlicht wurden, ohne dass dessen Mutter wisse, dass ihr Kind tot ist.

Presserats-“Maßnahmen”:
Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:
 
1) einen Hinweis,
2) eine Missbilligung,
3) eine Rüge.
 
Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

„Bild“-Oberchef Julian Reichelt aber hat für solche Einwände kein Verständnis. Die Beschwerden seien „nicht nachzuvollziehen“, teilte er dem Presserat in einer Stellungnahme mit. Die Fotos seien weder reißerisch noch moralisch verwerflich — das sei nur der Terroranschlag selbst. Ganz ähnlich sah es auch “Bild”-Ombudsmann Ernst Elitz Ende Mai.

Außerdem hätten ja, so Reichelt, auch viele ausländische Medien die Fotos gezeigt. Dies werfe die Frage auf, ob etwas nach deutschem Verständnis unethisch sein könne, wenn es doch weltweit selbstverständlich sei? Sei Presseethik nicht vielmehr universell?

Reichelts Logik: Wenn Medien im Ausland irgendwas machen, darf man das hierzulande automatisch auch. (Wobei “Bild” natürlich auch unabhängig davon immer das Recht hat, Fotos von Opfern zu zeigen, weil man der Tragödie doch ein Gesicht geben müsse!)

Der Presserat jedoch sah das — wie schon die vielen, vielen, vielen Male zuvor — anders:

Nach Auffassung des Presserats [bestand] kein öffentliches Interesse an der identifizierbaren Darstellung der Opfer. […] Die verwendeten Fotos stammten aus sozialen Netzwerken. Eine Einwilligung der Angehörigen zur Verwendung der Bilder in der Presse lag jedoch nicht vor, wäre aber erforderlich gewesen, so der Presserat. Es handelte sich nicht um Personen des öffentlichen Lebens.

In seiner jüngsten Sitzung wertete er die Berichterstattung darum als schweren Verstoß gegen den Pressekodex und sprach zwei öffentliche Rügen gegen Bild.de aus, die härteste “Sanktion”, die ihm zur Verfügung steht.

Gestern erschienen bei Bild.de übrigens diese Artikel:

Mindestens 59 Tote bei Massaker in Las Vegas - Die Opfer - 32 Jahre verheiratet, ein letztes Selfie, sie starb in seinen Armen [dazu mehrere Porträtfotos von Opfern des Massakers]

Mindestens 59 Tote bei Massaker in Las Vegas - Mutter von vier Kindern, Lehrerin, Cheerleader - So viele Leben einfach ausgelöscht [dazu mehrere Porträtfotos von Opfern des Massakers]
(Alle Unkenntlichmachungen durch uns.)

Und in der Print-Ausgabe heute:

Ausriss Bild-Zeitung mit Fotos von 29 Opfern - Mindestens 59 Konzert-Besucher starben im Kugelhagel - Beim Feiern aus dem Leben gerissen
(Unkenntlichmachungen durch uns.)

Ebenfalls zum Anschlag in Manchester:

Mit Dank an Oliver M.!

Frisierte Abgeordnete, Zielgruppe Judenhasser, Homophobie bei der FAZ

1. Wikipedia-Artikel über Abgeordnete vom Bundestag aus geschönt
(br.de, Christine Auerbach & Maximilian Zierer)
Eine Analyse der Datenjournalisten des Bayerischen Rundfunks zeigt, dass viele Wikipedia-Artikel über Bundestagsabgeordnete umgeschrieben beziehungsweise geschönt und frisiert werden. Das Bemerkenswerte dabei: Die Analyse hat ergeben, dass in dieser Legislaturperiode die Wikipedia-Seiten von einem Drittel aller Abgeordneten von Bundestags-PCs aus verändert wurden. Über einen anonymen Wikipedia-Account von einem Computer aus dem Deutschen Bundestag wurde beispielsweise ein vormals überzeugter Atomkraft-Anhänger durch Löschen der einschlägigen Passage („Joachim Pfeiffer gilt als Befürworter des Einsatzes von Atomkraftwerken.“) zum glühenden Energiewende-Fan: “Die Energiewende bezeichnet er als Umbau der Energieversorgung und drängt in diesem Zusammenhang auf eine schnelle Markteinführung der Erneuerbaren Energien.”

2. Zielgruppe “Judenhasser”
(sueddeutsche.de, Simon Hurtz)
Immer wieder gerät Facebook wegen seiner fragwürdigen Werbemöglichkeiten in die Kritik. So ließen sich im Werbetool bis letzten Donnerstag gezielt Antisemiten (Interesse: “Wie verbrennt man Juden”), Islamhasser (“Muslime töten”), Frauenfeinde (“Bitches umbringen”) oder Rassisten (“Ku-Klux-Klan”) ansprechen. Nachdem ein Recherche-Kollektiv Facebook damit konfrontierte, reagierte Facebook und deaktivierte die entsprechenden Werbemöglichkeiten. Doch Simon Hurtz von der „SZ“ musste bei seiner Recherche feststellen, dass dies vom Social-Media-Riesen nur unzureichend umgesetzt wurde: Zumindest Freitagmittag sei es nach wie vor möglich gewesen, in Facebooks Anzeigenmanager Interessen wie “Heil Hitler!”, “Juden raus!” oder “German Schutzstaffel” auszuwählen.

3. Homophober Text war homophob
(taz.de)
Der Presserat rügt einen FAZ-Beitrag aus dem Sommer, in dem ein anonymer Autor (Pseudonym: Johannes Gabriel) behauptete, dass adoptierte Kinder von homosexuellen Paaren einer besonders hohen Gefahr eines sexuellen Missbrauchs ausgesetzt seien. Diese Behauptung stelle einen schweren Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot nach Ziffer 12 des Pressekodex dar, so der Presserat.

4. Rechts vor links
(daily.spiegel.de, Ulrike Simon)
Ulrike Simon schreibt in ihrer Medienkolumne bei „Spiegel Daily“ über einen Konflikt in der Madsack Mediengruppe. In den Stadtausgaben der “Hannoverschen Allgemeinen Zeitung” (HAZ) und “Neuen Presse” (NP) erschien eine mehrseitige Werbebeilagen der AfD. Eine Aktion, die auch beim größten Gesellschafter des Madsack-Konzerns nicht gut ankam: Der Medienholding der SPD… Kolumnistin Simon ordnet den Vorgang ein.

5. „Recht am geistigen Eigentum stärken“
(stuttgarter-zeitung.de, Markus Grabitz)
EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger spricht sich im Interview mit der „Stuttgarter Zeitung“ für ein von vielen Medienhäusern und Branchenverbänden gefordertes europäisches Verlegerrecht aus. Die Position der Verlage gegenüber Konzernen wie Google müsse gestärkt werden. Außerdem sei es überfällig, dass Gerichte den öffentlich-rechtlichen Sendern “ihre Grenzen aufzeigen”, so Oettinger: „Die Sender sorgen für ein kostenloses und umfassendes journalistisches Angebot im Netz, das für die privat finanzierten Verlagshäuser eine scharfe Konkurrenz darstellt. Die Öffentlich-Rechtlichen finanzieren dies auch aus Rundfunkbeiträgen. Dies ist unfair gegenüber den vollständig privat finanzierten Zeitungshäusern und stellt für sie eine Gefahr dar.“

6. Wonach User in Wahlprogrammen von CDU, SPD, Linke, Grüne, AfD googeln
(kosmos.welt.de, Kritsanarat Khunkham)
Die “Zeit” hat ausgerechnet, dass die Wahlprogramme der sechs größten Parteien rund 225.000 Wörter umfassen, was ungefähr 350 eng bedruckten DINA4-Seiten entspräche. “Welt”-Autor Kritsanarat Khunkham hat Google raussuchen lassen, welche Begriffe in den letzten sieben Tagen bei den jeweiligen Wahlprogrammen von Union, SPD; Linke, Grüne, AfD und FDP die häufigsten „Mitsuchworte“ waren.

SZ-Erdogan-Propaganda, Fake-Gespräche, Umfrage-Gefahren

1. Die Alarmglocken haben versagt
(horizont.net, Ulrike Simon)
Die “Süddeutschen Zeitung” hat eine ganzseitige Anzeige mit Erdogan-Propaganda abgedruckt, in der die Absender der Polit-Botschaft unter anderem schreiben: „Mit Demut und Respekt verneigen wir uns nochmals vor unseren Märtyrern, die ihr Leben im Widerstand gegen den Putschversuch heldenhaft geopfert haben“. Wie konnte es dazu kommen, dass die Anzeige, die von “Spiegel” und “Bild” abgelehnt wurde, bei der “Süddeutschen” abgedruckt wurde? Ulrike Simon hat sich beim Geschäftsführer des Süddeutschen Verlags erkundigt.

2. Aufwachen! Neues Radio mit alten Fehlern
(fair-radio.net, Katharina Thoms)
Durch die Erfolge der unabhängigen Podcaster-Szene aufmerksam geworden, bieten immer mehr etablierte Medien Audioformate an. Doch dabei geht es nicht immer mit rechten Dingen zu. Der “Aufwacher-Podcast von “RP Online” erwecke den Live-Anschein, arbeite jedoch bei Interviews mit eingekauften und vorproduzierten Antworten. Sprich, der Moderator tut nur so, als ob er sich mit dem vermeintlich Interviewten unterhält. “RP Online” zeigt sich leider wenig einsichtsbereit und will die Fake-Gespräche weiter senden: “Wir finden, dass ein Gespräch eine sehr hörerfreundliche Darstellungsform ist. Wir planen derzeit, sie weiterhin zu nutzen.”

3. Die große Quoten-Lüge
(faz.net, Claudius Seidl)
Wird Fernsehen wirklich für die Mehrheit der Bevölkerung gemacht? Claudius Seidl hat seine Zweifel daran und spricht, nachdem er sich die Zahlen genauer angeschaut hat, von der “großen Quoten-Lüge”: “Es ist nicht etwa die Mehrheit, die öffentlich-rechtliche Programme sieht. Es sind jene Leute, welche das Lesen anstrengt und das Ausgehen erst recht, Leute, die vielleicht auch schon genug geredet haben in ihrem Leben und ein paar Abende, in denen das Fernsehen zu ihnen spricht, gut aushalten können. Es sind diese Menschen, welche man auch mit dem harmlosen Quatsch erreicht, schon weil sie für andere Abendvergnügungen wenig Alternativen haben.”
Nachtrag, 11:14 Uhr: Uns ist leider erst jetzt aufgefallen, dass der Text von Claudius Seidl etwas älter ist. Interessant ist er aber (hoffentlich) trotzdem, weil er ein grundsätzliches Problem anspricht.

4. „Kohl sah einen Anschlag auf die Menschenwürde“
(tagesspiegel.de, Thomas Eckert & Joachim Huber)
Der “Tagesspiegel” hat sich mit ZDF-Chefredakteur Peter Frey über das “Morgenmagazin” unterhalten. Als man mit dem Format vor 25 Jahren startete, war man vergleichsweise spät dran. Nun schauen in der Spitze gegen 8 Uhr morgens zwischen 800.000 und einer Million Zuschauer zu. Auf die teilweise recht bunte Themenmischung angesprochen, entgegnet Frey: “Wir versuchen, die Lebenswirklichkeit abzubilden. Und da geht es bekanntlich bunt zu. Wir sind ein Supermarkt, in dem es frische, aktuelle Ware, aber eben auch schöne, interessante und manchmal auch einfach unterhaltsame Dinge gibt.” Nun ja, in vielen Supermärkten liegen auch Dinge aus, bei denen man nicht unbedingt zugreifen sollte, weil sie ungesund, fragwürdig hergestellt oder verfallen sind, aber wir wollen Herrn Frey nicht seine Geburtstagslaune verderben.

5. Mitmachen und gewinnen
(sueddeutsche.de, Kathrin Hollmer)
Viele Online-Medien nutzen Online-Umfragen nicht nur zur Einholung eines Meinungsbilds, sondern um Besucher länger auf ihren Seiten zu halten. Doch die Umfragen lassen sich leicht manipulieren z.B. durch mehrfache Stimmabgabe. Die Ergebnisse sind daher nur mit Vorsicht zu genießen; ein Umstand, dem kurz vor der Bundestagswahl besondere Bedeutung zukommt. Nun hat ein Grünen-Politiker mit journalistischem Hintergrund eine Beschwerde beim Presserat eingereicht: “Ein journalistisches Umfeld erhöht die Glaubwürdigkeit von Online-Umfragen, manipulierbare Online-Umfragen allerdings gefährden die Glaubwürdigkeit des journalistischen Umfelds.”

6. Standard-Namen, Standard-Schuhe, Standard-Marotten
(dwdl.de, Jan Freitag)
Fernsehen ist eine Welt voller Klischees. Jan Freitag hat seinen Blick auf die scheinbar belanglosen Randaspekte gerichtet und auch dort viele wiederkehrende Muster ausgemacht. Von der Namensgebung, den Darstellern bis hin zu den Requisiten. (Beispiel Personenkraftwagen: “Autos sind Distinktionselemente. Da all die Neoheimatfilmcharaktere lässig sind wie Graubrot, öffnet der Heckflossenbenz in “Um Himmels Willen” eine Klostertür zur Moderne”

Redaktioneller Hinweis: Wegen der besonderen Bedeutung des Themas folgt heute eine Spezialausgabe zum G20-Gipfel und dem Umgang mit den Medien bzw. der Medienresonanz auf die Geschehnisse.

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