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“Bild” fühlt sich von Entführungsopfer terrorisiert

Man muss das kurz rekapitulieren: Khaled al-Masri ist nach eigenen Angaben Silvester 2003 in Mazedonien verhaftet, mehrere Wochen verhört, von der CIA nach Afghanistan verschleppt und dort misshandelt, gefoltert und monatelang festgehalten worden. Zeugenaussagen und Dokumente bestätigen zentrale Aussagen al-Masris; das Amtsgericht München hat im Januar Haftbefehl gegen 13 Agenten der CIA wegen Freiheitsberaubung und gefährlicher Körperverletzung erlassen. Die Rolle der deutschen Bundesregierung und der deutschen Geheimdienste ist umstritten, ungeklärt ist vor allem, wer der Deutsche gewesen ist, der sich nach al-Masris Angaben als “Sam” vorstellte und ihn in Afghanistan vernahm. Der Fall beschäftigt Gerichte und Untersuchungsausschüsse.

Man muss das kurz rekapitulieren. Und dann muss man sich den Satz durchlesen, mit dem die “Bild”-Zeitung die Versuche al-Masris beschreibt, die Wahrheit herauszufinden und Recht zu bekommen. Er lautet so:

Monatelang terrorisierte der Islamist als angebliches CIA-Folteropfer die Bundesregierung, Parlament und Öffentlichkeit!

Wenn ein Entführungsopfer, dem nach Meinung von Regierung und Opposition schweres Unrecht geschehen ist, von rechtlichen und publizistischen Mitteln Gebrauch macht, ist das “Terror”? Für “Bild” ja:

Warum lassen wir uns von so einem terrorisieren?

Anlass für den Bericht ist, dass al-Masri in dieser Woche einen Großmarkt anzündete und in die Psychiatrie eingewiesen wurde. Die “Bild”-Redakteure Ulrike Brendlin und Hans-Jörg Vehlewald fassen es so zusammen:

Nun stellt sich raus: Al-Masri ist ein durchgeknallter Schläger, Querulant und Brandstifter. Auch ein Lügner?

Dass al-Masris psychische Probleme und wiederholte Ausfälle eine Folge seiner traumatischen Erfahrungen gewesen sein könnten, kommt bei “Bild” nicht einmal als nicht ganz auszuschließende Möglichkeit vor. Systematisch diskreditiert sie seine Aussagen und spielt seine Qualen herunter. “Bild” schreibt:

Fest steht bis heute nur, dass al-Masri Silvester 2003 versehentlich in Mazedonien verschleppt und für fünf Monate inhaftiert wurde.

Die wochenlang vorbereitete Entführung von al-Masri durch Agenten der CIA in Mazedonien wird fast zu einer Lappalie heruntergeschrieben, “versehentlich”, kann ja mal passieren. “Bild” weiter:

Zum Skandal wurde seine Geschichte erst, als Masri behauptete, während der Haft misshandelt und auch von deutschen BND-Agenten (“Sam”) verhört worden zu sein.

So spielt “Bild” die monatelange Peinigung in einem afghanischen Gefängnis herunter, Hungerstreik und Todesangst inklusive. Und ein “Skandal” war al-Masris “Geschichte” natürlich ohnehin schon: Amerikanische Medien fanden es — anders als offenbar “Bild” — durchaus bemerkenswert, dass im Krieg gegen den Terror irgendwelche Leute von der CIA entführt und in Länder wie Afghanistan verbracht werden, insbesondere wenn es sich nicht einmal um die richtigen Leute handelte.

Bei “Bild” ist al-Masri nicht Opfer, sondern (auch ohne die Brandstiftung) in vielfacher Weise Täter. Die Zeitung nennt ihn zum Beispiel den “Verursacher des ganzen Chaos” und meint damit den Streit in der Bundesregierung und die Untersuchungsausschüsse. Als Indiz dafür, dass al-Masri “auch ein Lügner” sein könnte, schreibt “Bild”:

Gleich mehrere Ausschüsse, sogar ein eigener “BND-Ausschuss” nahmen die ehemaligen und amtierenden Bundesminister (u. a. Otto Schily, Joschka Fischer) ins Kreuzverhör — ohne greifbare Ergebnisse.

“Bild” suggeriert in einem logischen Kurzschluss: Wenn den politischen Verantwortlichen kein Fehlverhalten nachgewiesen wurde, muss wohl der “Verursacher des ganzen Chaos” im Unrecht sein.

Hans Leyendecker, Leitender Redakteur der “Süddeutschen Zeitung” und für seine Recherchen im Fall al-Masri gerade mit dem Wächterpreis der Tagespresse ausgezeichnet, nennt die “Bild”-Berichterstattung gegenüber BILDblog “niederträchtig und verworfen”. Er widerspricht auch der “Bild”-Formulierung, al-Masri habe behauptet, “von deutschen BND-Agenten (‘Sam’) verhört worden” zu sein:

Al-Masri hat nicht von mehreren deutschen Vernehmern gesprochen, sondern nur von einem Mann, der sich Sam genannt habe. Dass es sich, wie “Bild” bedeutet, um einen Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes gehandelt habe, hat Al-Masri nie gesagt. Er weiß nicht, ob der Mann von einer deutschen Behörde kam und deshalb behauptet er es nicht.

Er hat ein anderes Verhältnis zur Wahrheit als “Bild”.

Nachtrag, 15.30 Uhr. Die “Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung” nennt den “Bild”-Artikel über al-Masri heute ein “publizistisches Eintreten auf einen, der am Boden liegt” und findet die “Entgleisung selbst für ‘Bild’-Standards beachtlich”. “FAS”-Redakteur Nils Minkmar schreibt:

“Noch nie aber hat mich ein Artikel in irgendeiner Zeitung so alarmiert und beunruhigt wie der Text des Blattes über Khaled El Masri (…). Offenbar hält man dort die Spannung nicht aus, die sich daraus ergibt, dass eine offene Gesellschaft eben auch ihre Verfehlungen offen und ehrlich diskutiert. (…) ‘Bild’ ist das wohl alles zu komplex. Daher verfällt man dort in eine regressive, eine Kinderreaktion: Das Opfer ist selber schuld. Für ‘so einen’ gilt auch kein Grundgesetz.”

Nachtrag, 21. Mai. Hans Leyendecker schreibt in der heutigen Ausgabe der “Süddeutschen Zeitung” über den “Bild”-Bericht:

“Die immer noch vorhandene hetzerische Gewalt des Blattes, die von Heinrich Böll meisterlich beschrieben wurde, bekommt wieder einen neuen Namen. Die Erklärungen von Springer-Spitzenleuten über sauberen Journalismus, über Qualität erweisen sich angesichts dieses Falles als Konfetti.”

Mehr dazu hier, hier, hier, hier und hier.

Allgemein  

“Bild” unterschlägt Entschuldigung

Gestern begann in Berlin der Prozess gegen den 17-Jährigen Mike P., dem vorgeworfen wird, bei der Eröffnungsfeier des Berliner Hauptbahnhofs im vergangenen Mai, 37 Menschen mit einem Messer verletzt zu haben. “Bild” berichtet heute über den Prozessauftakt.

Dabei zeigt “Bild” ein Foto des Minderjährigen, das sie im Mai vergangenen Jahres schon einmal gedruckt hatte (da allerdings mit einer anderen Unterzeile als heute). Das Foto ist zwar mit einem schwarzen Balken versehen, allerdings ist der so klein ausgefallen, dass auch entfernte Bekannte von Mike P. wohl keine größeren Schwierigkeiten haben dürften, ihn zu identifizieren*.

Außerdem hat “Bild” unter der Vielzahl von möglichen Überschriften für die Geschichte ausgerechnet diese gewählt:

"37 Amok-Opfer und kein Wort der Entschuldigung"

Das ist mindestens irreführend. Denn der Anwalt des Angeklagten hat bereits angekündigt, dass dieser sich entschuldigen werde. Das weiß auch “Bild” und schreibt:

Anwalt Hedrich sagt: “Mike wird sich bei den Opfern entschuldigen.”

Und während andere Medien dem noch hinzufügen, dass der Anwalt auch gesagt hat, dass das Geschehen seinem Mandanten “selbstverständlich leid” tue, schreibt “Bild” über Mike P.:

Doch drinnen kommt kein Wort über dessen Lippen.

Das mag sein. Aber erstens sollte es natürlich Mike P. selbst überlassen sein, den Zeitpunkt für seine Entschuldigung zu wählen. Und zweitens unterschlägt “Bild”, dass er sich schon einmal entschuldigt hat. Dabei weiß sie das ganz genau. Fünf Tage nach dem Amoklauf druckte “Bild” nämlich ein “Exklusiv-Interview mit dem Anwalt des Amokstechers”, in dem es hieß:

BILD Wie denkt Mike P. über die Tat?

Herbert Hedrich: “Er bereut die Geschehnisse zutiefst. Läßt durch mich ausrichten, daß er sich bei allen Opfern und deren Familien entschuldigt. Auch für die schwere Zeit, die sie mit der Aids-Gefahr durchleben müssen.”

Mit Dank an Holger E. für den sachdienlichen Hinweis.

*) In den Richtlinien zu Ziffer 8 des Pressekodex heißt es:

(1) Bei der Berichterstattung über Unglücksfälle, Straftaten, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren (s. auch Ziffer 13 des Pressekodex) veröffentlicht die Presse in der Regel keine Informationen in Wort und Bild, die eine Identifizierung von Opfern und Tätern ermöglichen würden. Mit Rücksicht auf ihre Zukunft genießen Kinder und Jugendliche einen besonderen Schutz.

Wie “Bild” eine Vorverurteilung wieder gutmacht

Dass eine Überschrift “Das ist der Rotkohl-Killer. Er hat das Baby seiner Freundin zu Tode gefüttert” über dem unverfremdeten Foto eines nicht verurteilten Menschen eine unzulässige Vorverurteilung darstellt, findet sogar der Presserat. Er hat auf unseren Antrag hin daher eine “Missbilligung” ausgesprochen. Im Nachhinein hatte sich sogar der ganze Tathergang, den “Bild” am 14. Januar 2006 minutiös als Tatsache beschrieben hatte, als falsch herausgestellt.

Interessanter als der Beschluss des Beschwerdeausschusses (eine Missbilligung ist zwar Ausdruck eines “schwerwiegenden” Verstoßes gegen den Pressekodex, aber für die betroffene Zeitung folgenlos*) ist die Argumentation der Rechtsabteilung der Axel Springer AG in dieser Sache. Sie erklärte, das Verfahren sei “wegen Wiedergutmachung … für beendet zu erklären”. Die “Wiedergutmachung” habe darin bestanden, dass “Bild” am 3. November 2006 einen Artikel veröffentlichte, in dem es hieß:

“Das Kind starb wegen eines ausgesetzten Schluckreflexes aufgrund des Schüttelns — nicht wie BILD im Januar berichtet hatte, weil Markus V. es mit Rotkohl gefüttert hatte. BILD hatte Markus V. damit zu einem Zeitpunkt zum Täter gemacht, als das Gericht seine Schuld noch nicht festgestellt hatte.”

Das sind für “Bild” ungewöhnliche Formulierungen. Und anzunehmen, dass diese Offenheit etwas mit dem zu diesem Zeitpunkt bereits laufenden Presserats-Verfahren zu tun hat, ist natürlich reine Spekulation.

Tatsächlich scheint die vermeintliche “Wiedergutmachung” in einigen “Bild”-Ausgaben erschienen zu sein (z.B. in Hamburg). In der Regionalausgabe Berlin-Brandenburg aber haben wir sie weder am 3. noch am 4. November 2006 gefunden — obwohl auch hier zehn Monate zuvor der falsche und vorverurteilende, fast halbseitige Artikel veröffentlicht wurde. Auf unsere Frage, ob die “Wiedergutmachung” in Berlin-Brandenburg nicht erschienen sei, teilte uns “Bild”-Sprecher Tobias Fröhlich mit, da könne er uns “leider nicht weiterhelfen”.

Wie auch immer: Der Presserat sah in diesem “Versuch einer Korrekturmeldung” keine “Wiedergutmachung”.

*) Es besteht nach der Beschwerdeordnung des Presserates “zwar keine Pflicht, Missbilligungen in den betroffenen Publikationsorganen abzudrucken. Als Ausdruck fairer Berichterstattung empfiehlt der Beschwerdeausschuss jedoch eine solche redaktionelle Entscheidung”. Die “Bild”-Zeitung verzichtet in der Regel auf diesen Ausdruck fairer Berichterstattung.

“Bild” verzählt sich bei Rechtsextremen (3)

Im vergangenen Frühjahr berichtete “Bild”, die Zahl der rechtsextremen Straftaten sei 2005 “offenbar zurückgegangen”. “Bild” nannte sogar konkrete Zahlen, die das deutlich belegten, insbesondere für Gewaltverbrechen.

Die Meldung war bekanntlich falsch. Sowohl die Zahl der Gewalttaten als auch die der Straftaten insgesamt hat 2005 zugenommen, um jeweils rund ein Viertel. “Bild” hatte vorläufige Zahlen von 2005 mit endgültigen von 2004 verglichen – eine unzulässige Rechnung, vor der zum Beispiel die Bundesregierung zuvor und regelmäßig ausdrücklich gewarnt hatte (siehe Kasten links). “Bild” rechnete falsch — und die falsche Rechnung wurde von mehreren Agenturen verbreitet.

Wir hielten das Vorgehen von “Bild” für grob fahrlässig und forderten den Presserat auf, “Bild” zu rügen. Der Presserat sieht dazu aber keinen Anlass. Einstimmig urteilte er, dass die Zeitung die vorläufigen Zahlen als korrekt ansehen durfte. Und:

Dass es sich dabei nicht um die endgültigen Zahlen handelt, hat BILD mit der Formulierung im ersten Satz “offenbar zurückgegangen” deutlich gemacht.

 
PS: Wir wissen nicht, wie sehr sich der Beschwerdeausschuss in seinem Urteil von der mit Unwahrheiten gespickten Stellungnahme der “Bild”-Chefredaktion hat beeindrucken lassen. Nach Angaben des Presserates gab “Bild” u.a. zu Protokoll, “dass die Zahl der Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund und fremdenfeindlicher Tendenz laut Verfassungsschutzbericht zurückgegangen sei” (was nachweisbar falsch ist), dass BILDblog “mit einem niedersächsischen Bericht aus dem Vorjahr verwirre” (was nachweisbar falsch ist) und dass sich “erst im Nachhinein herausgestellt habe”, dass das Zahlenmaterial noch einmal verändern würde (was nachweisbar falsch ist).

Allgemein  

“Bild” klaut Bild

Wenn irgendwo etwas Schlimmes passiert, versucht “Bild” für gewöhnlich irgendwie an Fotos von Beteiligten zu gelangen. Dabei ist “Bild” offenbar jedes Mittel recht.

Am 2. Januar passierte etwas Schlimmes im Landkreis Böblingen. Ein Mann erschlug seine Mutter. Darüber berichtete “Bild” am 3. Januar. “Bild” war auch an ein Foto des Mannes, der als Künstler arbeitet, gelangt und druckte es in der Stuttgarter Ausgabe sehr groß und in der bundesweiten Ausgabe etwas kleiner ab. Am 4. Januar fand sich das gleiche Foto noch einmal groß zumindest in der Stuttgarter Ausgabe.

“Bild” hat das Foto wahrscheinlich aus dem Internet und hätte es nicht abdrucken dürfen. Es wurde nämlich von einem freien Fotografen für die Baden-Württembergische Lokalzeitung “Gäubote” anlässlich einer Ausstellungseröffnung aufgenommen. Und beim “Gäuboten” teilt man uns mit:

Weder die “Gäubote”-Redaktion, noch der Fotograf haben dafür das Einverständnis gegeben — davon abgesehen, dass es nicht einmal den Versuch der “Bild” gab, das Einverständnis überhaupt einzuholen.

Warum “Bild” nicht versucht hat, das Einverständnis einzuholen, wissen wir nicht. Daran, dass sie nicht wusste, woher das Foto stammt, kann es jedenfalls nicht gelegen haben. In der Stuttgarter “Bild”-Ausgabe vom 3. Januar gibt es nämlich einen korrekten Fotonachweis (siehe Ausriss), der allerdings in der Bundesausgabe fehlt.

Wer weiß, vielleicht ahnte man bei “Bild”, wie man beim “Gäuboten” reagieren würde. Vergangenen Montag erschien jedenfalls unter der Überschrift “Ungefragt und gegen unseren Willen” im “Gäuboten” ein Kommentar zum Thema. Darin heißt es:

Ohne unser Wissen und erst recht ohne unsere Billigung hat “Bild” in der vergangenen Woche ein “Gäubote”-Foto von dem Täter, das ihn vor einem Nackt-Gemälde zeigt und im Dezember von unserem Fotografen Gabriel Holom aufgenommen wurde, großformatig abgedruckt und auch im Internet verwendet. Der Foto-Vermerk “Gäubote/Holom” unter diesem Bild legt den Schluss nahe, Fotograf und “Gäubote” hätten dieses Bild aus freien Stücken und womöglich noch gegen Geld der “Bildzeitung” zur Verfügung gestellt. Genau das aber ist nicht Fall. Weder Fotograf noch “Gäubote”-Redaktion sind um Erlaubnis gefragt worden. Wären wir gefragt worden, so hätten wir aus Gründen unseres Selbstverständnisses nicht zugestimmt. Vielmehr hat die “Bildzeitung” — trotz des urheberrechtlichen Schutzes – dieses Bild eigenmächtig aus dem “Gäubote”-Internetarchiv beschafft. Ein klassischer Raubdruck. Komplize einer solch’ billigen Darstellung wollen wir nicht sein. Gegen Verantwortliche der “Bildzeitung” sind deshalb rechtliche Schritte eingeleitet worden.

Außerdem will der Fotograf seine urheberrechtlichen Ansprüche geltend machen, wie man uns beim “Gäuboten” sagt. Und der “Gäubote” hat beim Presserat eine Beschwerde gegen “Bild” eingereicht, in der es u.a. heißt:

“Mit dem Foto-Vermerk in der Bildzeitung ‘Gäubote/Holom’ wird außerdem indirekt eine Unterstützung und Billigung der vorliegenden Bild-Veröffentlichung durch uns suggeriert, die den ‘Gäubote’ als seriöse lokale Tageszeitung in ihrem Ruf schädigt. Wir selbst haben aus ethischen Gründen auf die Veröffentlichung des Fotos (Aktbild mit [dem Künstler]) verzichtet, da uns diese Darstellung im Kontext der Bluttat als unangemessen und billige Effekthascherei erschienen ist.”

Post vom Presserat (2)

In der “Bild”-Zeitung vom 7. August 2006 hieß es in der redaktionellen Rubrik “Blieswoods Lebensregeln” zum Thema “Sagen Sie ja!”:

Ja zum Gefühl Fußball! Ist Ihr Herz noch rund von der WM? Zeit, dass sich die Bundesliga dreht (nur noch 4-mal aufwachen!). Schenken Sie sich ein TV-Abo von “Arena”! Noch nie war Fußball so billig (14,90 Euro/Monat). Schwarz-Rot-Geil: Wir machen weiter! Olé, Olé, Olé!

Wir hielten das schon damals für Schleichwerbung — einen Verstoß gegen Ziffer 7 des Pressekodexes also, wonach Verleger und Redakteure “auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken achten” — und beschwerten uns deshalb beim Presserat (Originaldokument rechts).

Heute nun teilte uns der Presserat mit, dass er unsere Ansicht teilt:

Der Beschwerdeausschuss hält den Verstoß gegen Ziffer 7 des Pressekodexes für so schwerwiegend, dass er (…) die Maßnahme der Missbilligung wählt.

Soweit das. (Eine “Missbilligung” ist für die Zeitung leider folgenlos).

Interessanter an der “Entscheidung des Beschwerdeausschusses 1 in der Beschwerdesache BK1-217/06” (Originaldokument rechts) ist, wie “Bild” beim Presserat auf unsere Beschwerde reagierte. Statt sich inhaltlich mit dem Schleichwerbevorwurf auseinanderzusetzten, beantragte die Rechtsabteilung der Axel Springer AG unsere Beschwerde “wegen offensichtlichen Missbrauchs nicht zu behandeln und zurückzuweisen”, weil BILDblog damit “journalistische Berichterstattung manipuliere”:

Man inszeniere die Wirklichkeit, die man zum Gegenstand der journalistischen Berichterstattung mache, und verstoße damit gegen journalistische Grundsätze wie Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit. (…) Eine ernsthafte Absicht, mit den Beschwerden Antworten auf offene Fragen der Berufsethik zu erhalten, die der Klärung bedürften, liege nicht vor.

Dergleichen ist für uns nichts Neues — zumal sich der Presserat auch dieses Mal wieder nicht der Springer-Auffassung anschließen wollte. Nur der Springer-Vorwurf, dass wir “den Presserat mit einer Flut von kommerziell, also sachfremd, motivierten Beschwerden anriefen”, irritiert uns nachhaltig: In den zweieinhalb Jahren BILDblog waren es ungefähr acht.

Themawechsel: Wir suchen übrigens noch Leute, die sich bei Bedarf beim Presserat über “Bild” beschweren.

Post vom Presserat (1)

Wenn Sie in der Zeitung lesen, dass die Polizei “ohne Vorwarnung ein Tempo-80-Schild” aufgestellt und dann mit einer Radarfalle “ohne jede Schonfrist” Autofahrer “abkassiert” hat — was glauben Sie, ist passiert?

(a) Die Polizei hat eine neue Geschwindigkeitsbegrenzung erlassen, sofort eine Radarfalle aufgestellt und alle Autofahrer zur Kasse gebeten, die schneller waren als das neue Tempolimit.

(b) Die Polizei hat eine neue Geschwindigkeitsbegrenzung erlassen, nach einer Schonfrist von vier Wochen eine Radarfalle aufgestellt und nur die Autofahrer zur Kasse gebeten, die schneller waren als das vorher schon herrschende Tempolimit.

Nach Ansicht des Deutschen Presserates sind beide Interpretationen möglich. Er wies eine Beschwerde von uns gegen einen “Bild”-Artikel zurück, der den Sachverhalt (b) (Schonfrist, Vorwarnung) mit den eingangs geschilderten Worten (“ohne Schonfrist”, “ohne jede Vorwarnung”) kommentierte. Die Rechtsabteilung von Axel Springer hatte dem Presserat mitgeteilt,

dass man für den Kommentar Meinungsäußerungsfreiheit in Anspruch nehme, vor allem das Recht, ein Thema zu überspitzen und plakativ zu überzeichnen.

Mit sieben Ja-Stimmen bei einer Enthaltung gab der Beschwerdeausschuss “Bild” Recht (Originaldokument rechts):

[Die Aussagen des Kommentars] behaupten keine falschen Tatsachen im Sinne der Ziffer 2 des Pressekodex.

neu  

“Bild” gerügt, gerügt, gerügt und gerügt

Schüler (12) prügelt Lehrerin in Klinik

So sah die “Bild”-Zeitung am 30. Mai dieses Jahres aus. Verpixelt war im Original nur das Gesicht der Lehrerin — nicht das des zwölfjährigen Schülers. Auf Seite 3 der Ausgabe Berlin-Brandenburg berichtete “Bild” auf fast einer ganzen Seite und zeigte den 12-jährigen Jungen erneut ohne irgendeine Unkenntlichmachung auf einem rund 20 Zentimeter hohen Foto. Auch am folgenden Tag zeigte “Bild” ein weiteres großes Foto des Jungen.

Für diese Berichterstattung wurde “Bild” nun vom Presserat gerügt. Es habe “kein öffentliches Interesse” gegeben, “das die Identifizierbarkeit der Personen gerechtfertigt hätte”. “Bild” verstieß gegen die Ziffer 8 des Pressekodex, wonach die Presse “das Privatleben und die Intimsphäre des Menschen” achten soll. In Richtlinie 8.1 heißt es:

Die Nennung der Namen und die Abbildung von Opfern und Tätern in der Berichterstattung über (…) Straftaten, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren (…) sind in der Regel nicht gerechtfertigt.

Der Presserat verurteilte auch diesen “Bild”-Artikel vom 17. Mai 2006 über eine Familientragödie in Erftstadt:

Landarzt erschießt seine Familie

“Bild” zeigte große Fotos von dem Vater sowie seiner Frau und ihrem gemeinsamen zehnjährigen Sohn, die er erschossen haben soll — nach dem Urteil des Presserates zu unrecht. “Bild” hatte nur das Gesicht des überlebenden jüngeren Sohnes verpixelt.

Gerügt wurde die “Bild”-Zeitung außerdem dafür, dass sie das Foto einer Frau veröffentlichte, die verdächtigt wurde, ihr neugeborenes Kind erstickt zu haben.

Schließlich berichtete “Bild” im Sommer detailliert über den Selbstmord einer Mutter, die zuvor offenbar ihr Kind getötet hatte. Die Richtlinie 8.5 des Pressekodex lautet:

Die Berichterstattung über Selbsttötung gebietet Zurückhaltung. Dies gilt insbesondere für die Nennung von Namen und die Schilderung näherer Begleitumstände.

Diese Regel hat einen sehr konkreten Hintergrund: Es gilt als wissenschaftlich erwiesen, dass ausführliche Berichte in den Medien über Selbstmorde dazu führen, dass mehr Menschen Selbstmord begehen.

“Bild” berichtet dennoch immer wieder detailliert, identifizierbar und unter Schilderung der konkreten Begleitumstände über Selbstmorde, wird dafür immer wieder gerügt und ist von diesen Rügen offenbar nachhaltig unbeeindruckt.

Im konkreten Fall zeigte “Bild” nicht nur ein großes, unverpixeltes Foto der Mutter, die sich das Leben nahm, und des Hauses, von dem sie in den Tod sprang, inklusive eines kleinen roten Pfeils, der ihren Sturz symbolisierte. “Bild”-Autor Moritz Stranghöner spekulierte auch ausführlich für das Motiv ihres Suizids, schilderte die Lebensumstände der Frau und erzählte minutiös den Ablauf des Dramas nach.

Der Presserat sprach eine öffentliche Rüge aus.

Bei Bild.de ist der gerügte Artikel unverändert online. Bereits in einem früheren Fall hat die “Bild”-Zeitung uns gegenüber deutlich gemacht, dass eine Rüge für sie kein zwingender Grund ist, einen Artikel aus dem Angebot von Bild.de zu entfernen oder zu ändern.

PS: In den ersten drei Fällen muss “Bild” die Rügen nicht veröffentlichen. Dies sei “im Sinne der Betroffenen”, erklärte der Presserat. “Nicht-öffentliche Rügen” werden angeblich ausgesprochen, um die Opfer zu schützen. Inwieweit es ihr Leben erschütterte, wenn die “Bild”-Zeitung in, sagen wir: ein oder zwei Jahren einen einzigen kryptischen Satz über die Rüge auf einer hinteren Seite versteckt, weiß wohl nur der Presserat.

  

Hilfe, ich bin in BILD! (Teil 1)

“Bild” kommt meistens unerwartet. Unangekündigt steht der “Bild”-Reporter vor der Wohnungstür — oder das Telefon klingelt, und “Bild” ist dran.

Die “Bild”-Zeitung ist plötzlich auf jemanden aufmerksam geworden, der sonst nicht in der Öffentlichkeit steht und keinerlei Erfahrung im Umgang mit Medien hat: auf Menschen, die in einer Behörde, einer Firma, einem Verein arbeiten, Menschen, die (ganz gleich, ob als Opfer oder Täter) in Straftaten und Unglücksfälle verwickelt sind oder in irgendein ungewöhnliches (oder von “Bild” für ungewöhnlich befundenes) Ereignis. Aber auch Menschen, deren Verwandte, Bekannte, Arbeitskollegen in dergleichen verwickelt sind, und jeder, der sich besonders gut mit Außerirdischen, Nazis, Asteroiden, weißen Rehen oder sonst was auskennt, muss damit rechnen, dass “Bild” überraschend in sein Leben tritt — und das oft schneller, als man denkt.

Und natürlich kann man die Berichterstattung von “Bild” nicht kontrollieren. Das ist auch gut so, denn das ist das Wesen der Pressefreiheit. Aber man kann einiges tun, den Kontakt mit “Bild” wenigstens so zu gestalten, dass man sich nicht völlig hilflos fühlt, wenn man sich anderntags aus unruhigen Träumen erwachend in der “Bild”-Zeitung wiederfindet.

Im ersten Teil unseres zweiteiligen BILDblog-Ratgebers “Hilfe, ich bin in BILD!” sagen wir, was Sie tun können, bevor der “Bild”-Mitarbeiter überhaupt die ersten Zeilen zu Papier gebracht hat.

VOR DER VERÖFFENTLICHUNG:

  • “Kein Kommentar.”
    Niemand muss mit der “Bild”-Zeitung sprechen, wenn er nicht will. Der “Bild”-Mitarbeiter mag Ihnen das Gefühl geben, es sei in Ihrem eigenen Interesse. Häufig ist es das nicht. Stattdessen hat es sich schon oft bewährt, einfach jeglichen Kommentar zu verweigern. Vielleicht werden Sie damit unliebsame Berichterstattung nicht verhindern können. Doch die Erfahrung zeigt, dass “Bild” sich eine “gute Geschichte” im Zweifelsfall auch durch gute Argumente nicht kaputtmachen lässt.
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  • “Ohne mich.”
    Aber Sie können und sollten noch mehr tun. Medienanwalt Matthies van Eendenburg sagt: “Wer mit ‘Bild’ nichts zu tun haben will, sollte außerdem deutlich mitteilen, dass er auch sonst nicht Gegenstand der Berichterstattung werden will.” Grundsätzlich hat nämlich jeder das Recht, selbst zu bestimmen, ob die Öffentlichkeit Notiz von ihm nehmen soll oder nicht. Zwar gibt es Ausnahmen von diesem Prinzip, aber ob die im konkreten Fall greifen, können Sie hinterher immer noch sehen. Die Tatsache, dass Sie beispielsweise Opfer eines Unglücks oder einer Straftat geworden sind, macht Sie jedenfalls nicht automatisch zu einer Person der Zeitgeschichte, über die frei berichtet werden darf.
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  • “Wer sind Sie?”
    Entscheiden Sie sich (aus welchen Gründen auch immer) dafür, doch mit “Bild” zu sprechen, sollten Sie erst mal herausfinden, mit wem Sie es konkret zu tun haben, also nach Namen und Telefonnummer (Durchwahl?) des Reporters fragen. Lassen Sie sich, wenn möglich, seine Visitenkarte geben. Denn bei “Bild” behauptet man im Nachhinein gern, es habe sich bloß jemand als “Bild”-Mitarbeiter ausgegeben.
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  • “Ich hoffe, es stört Sie nicht, wenn ich mir das notiere.”
    Außerdem, rät Anwalt Eendenburg, sollten Sie Datum und Uhrzeit notieren und ein Gesprächsprotokoll anfertigen. Oder Sie lassen nach vorheriger Ankündigung ein Diktiergerät mitlaufen. Das mag übertrieben klingen. Doch wenn es zu einem Rechtsstreit um eine bestimmte Äußerung kommt, sind oft konkrete Formulierungen entscheidend. Und ein Mitschnitt des Gesprächs oder ein direkt hinterher angefertigtes Protokoll sind zuverlässiger und glaubwürdiger als Erinnerungen, die man unter Umständen Monate später vor Gericht aus dem Gedächtnis hervorkramen muss.
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  • “Ich würde das dann gern autorisieren.”
    Lassen Sie sich — wenn möglich, noch bevor Sie “Bild” Auskunft geben — zusichern, dass das Interview oder zumindest alle wörtlichen Zitate vor der Veröffentlichung von Ihnen autorisiert werden. (Zwar heißt es in den “Journalistischen Leitlinien” der Axel Springer AG ausdrücklich, die Journalisten trügen “grundsätzlich, auch im Falle besonderen Termindrucks, dafür Sorge, dass Interviews vom Gesprächspartner mündlich oder schriftlich autorisiert werden”, doch berichten Betroffene immer wieder, dass “Bild” dieser Selbstverpflichtung nicht nachgekommen sei.) Am besten, Sie lassen sich diese Zusicherung schriftlich geben und autorisieren nur Zitate, die Ihnen schriftlich vorliegen — idealerweise ebenfalls schriftlich. Eendenburg rät außerdem dazu, bei dem Gespräch “einen neutralen Zeugen dabei zu haben.” Vor Gericht ist nämlich nicht entscheidend, was Sie tatsächlich gesagt oder autorisiert haben, sondern was Sie beweisen können.
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  • “Ehm, ich hab’s mir anders überlegt…”
    Haben Sie trotzdem mit “Bild” gesprochen und sich mit der Veröffentlichung eines Artikels über Sie einverstanden erklärt, sieht es eher schlecht aus. Eine einmal gegebene Einwilligung ist grundsätzlich verbindlich und kann nur schwer widerrufen werden. Eine mögliche Ausnahme, sagt Eendenburg, sei, dass bis zur Veröffentlichung sehr viel Zeit vergangen ist und sich gravierende Umstände geändert haben. “Diese gravierenden Umstände muss man aber auch nachweisen können.”
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  • “Da sind Sie bei mir leider falsch.”
    Nicht selten werden “Bild”-Reporter oder -Fotografen losgeschickt, um Fotos zu besorgen — von Opfern von Unglücksfällen oder Straftaten etwa, oder auch von Tätern. Gerne werden dafür Bekannte, Kollegen, Angehörige, Lehrer oder Freunde angesprochen. Aber denken Sie daran: Die Veröffentlichung eines Fotos setzt in den meisten Fällen die Einwilligung der Abgebildeten voraus. Bei Kinderfotos müssen die Erziehungsberechtigten und ab einem Alter von etwa sieben, acht Jahren zusätzlich die Kinder einverstanden sein. Bei Verstorbenen die Rechtsnachfolger und möglicherweise auch Angehörige, die nicht Erben sind. Außerdem sind die Urheberrechte des Fotografen zu berücksichtigen. Es ist jedenfalls niemand verpflichtet, ein Foto herauszugeben. Falls Sie sich aber entscheiden, in die Veröffentlichung eines Fotos einzuwilligen, sollten Sie diese Einwilligung schriftlich, unterschrieben und mit Datum festhalten. Rechtsanwalt Eendenburg: “Die Einwilligung sollte enthalten, zu welchem Zweck — also: die Veröffentlichung in der “Bild”-Zeitung zu einem bestimmten Thema — sie erteilt wird und für welche Dauer sie gelten soll.”
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  • “Wollen Sie mir drohen?”
    Insbesondere Prominente berichten immer wieder, dass ihnen von “Bild”-Mitarbeitern unliebsame Berichte angedroht werden, wenn sie die Zusammenarbeit verweigern. Das kann natürlich auch Privatleuten passieren. Unser Rat: Lassen Sie sich nicht einschüchtern. Gegen die Drohung an sich lässt sich laut Rechtsanwalt Eendenburg in aller Regel jedoch nichts unternehmen. “Eine Grenze ist erst dort erreicht, wo mit der Verbreitung von unrichtigen Tatsachen oder Schmähkritik gedroht wird.” Dagegen besteht rechtlich ein Unterlassungsanspruch, den man zunächst im Wege der einstweiligen Verfügung durchsetzen muss. In solchen Fällen sollten Sie sich umgehend (also noch vor einer möglichen Veröffentlichung) an einen Anwalt wenden. In Extremfällen “könnte der Straftatbestand der versuchten Nötigung vorliegen, und der Betroffene kann Strafanzeige stellen”, so Eendenburg. In weniger schwer wiegenden Fällen bleibt immerhin die Möglichkeit, eine Beschwerde beim Presserat einzureichen.

Im zweiten Teil unseres zweiteiligen BILDblog-Ratgebers “Hilfe, ich bin in BILD!” geht es darum, was Sie tun können, wenn “Bild” über Sie berichtet und Ihnen Unrecht getan hat.

Wie “Bild” die Interessen der Opfer wahrt

Am 29. Dezember 2004 machte die “Bild”-Zeitung groß auf mit den verwundeten Gesichtern der zehnjährigen Sophia und des neunjährigen Kevin, deren Eltern nach dem Tsunami in Thailand verschollen waren. “Bild” fragte:

Mama, Papa, wo seid ihr?

Im Inneren zeigte “Bild” weitere Kindergesichter, fotografiert von Till Budde, darunter das eines 13-jährigen Mädchens, das verletzt in einem Krankenhaus schläft.

BILD war im Vachiar-Hospital von Phuket. Auf der Station der traurigen deutschen Kinder.

Unter anderem von der 13-jährigen ließ sich “Bild”-Reporter Julian Reichelt schildern, wie sie das Unglück erlebt hatte, wie sie um ihr Leben kämpfte, wie sie von ihren Eltern getrennt wurde, die seitdem vermisst wurden. Er schrieb alles ausführlich auf.

“Bild” hat mit dieser Berichterstattung damals massiv gegen den Pressekodex verstoßen. Der Presserat urteilte nach einer Beschwerde des Onkels des Mädchens:

In Richtlinie 4.2 ist festgehalten, dass bei der Recherche gegenüber schutzbedürftigen Personen besondere Zurückhaltung geboten ist. Explizit genannt werden (…) u.a. Menschen, die sich nicht im Vollbesitz ihrer geistigen oder körperlichen Kräfte befinden oder einer seelischen Extremsituation ausgesetzt sind, sowie Kinder und Jugendliche. Jedes dieser Merkmale trifft auf das betroffene 13-jährige Mädchen zu. Das Foto wurde zudem unstreitig ohne die Einwilligung eines Erziehungsberechtigten gemacht. (…)

Die Zeitung untermauert die rechtmäßige Beschaffung ihrer Informationen damit, dass der Redakteur mit der 13-Jährigen und mit anderen Kindern gesprochen habe. Alle seien froh gewesen, sich in ihrer Heimatsprache mitteilen zu könne. Diese Schilderung bestärkt die Kammer in der Überzeugung, dass die Kinder und insbesondere die 13-Jährige hier durch die Extremsituation überfordert waren. Dies spricht ebenfalls dafür, dass die besondere Situation der Kinder zur Beschaffung von Informationen ausgenutzt worden ist. (…)

In beiden Veröffentlichungen werden die Persönlichkeitsrechte des 13-jährigen Mädchens verletzt. Es wird jeweils ohne jegliche Unkenntlichmachung und mit voller Nennung seines Vornamens abgebildet. Es wird — verletzt, schlafend und dadurch besonders wehrlos — für einen breiten Leserkreis erkennbar. Diese Abbildung widerspricht nicht nur dem Grundsatz von Richtlinie 8.1, wonach die Nennung der Namen und die Abbildung von Opfern in der Berichterstattung über Unglücksfälle in der Regel nicht gerechtfertigt ist. Auch der in Richtlinie 8.2 geforderte Schutz von Orten der privaten Niederlassung, wie z.B. Krankenhäusern, wird durch diese Veröffentlichung nicht beachtet.

Die Beschwerdekammer sprach “Bild” eine Missbilligung aus.

Das war praktisch für “Bild”, denn eine Missbilligung ist für die Zeitung folgenlos. Insbesondere werden Missbilligungen — anders als Rügen — vom Presserat nicht veröffentlicht. Sie erscheinen nur (im Fall der 13-Jährigen jetzt, also mit eineinhalbjähriger Verspätung) in dessen “Jahrbuch”, allerdings ohne Angabe der jeweiligen Zeitung. Wer nicht weiß, dass die Geschichte der “traurigen deutschen Kinder” von Phuket in “Bild” stand, kann die Missbilligung nicht der Zeitung zuordnen.

Kenner könnten es allenfalls schließen aus der unbeirrten Art, in der die Rechtsabteilung der Axel Springer AG die Berichterstattung von “Bild” gegenüber dem Presserat zu rechtfertigen suchte. Im konkreten Fall gab sie an, “Bild” habe “im allgemeinen Informationsinteresse” gehandelt und den Behörden beim Versuch der Familienzusammenführung geholfen. (Der Presserat stellte dagegen fest, dass “keines der Bilder etwa mit einem Suchaufruf oder ähnlichem verbunden wurde”.)

Das Springer-Justiziariat erklärte weiter:

Dass die Zeitung in diesem Rahmen die berechtigten Interessen der Opfer gewahrt habe, zeige sich u.a. darin, dass auf den Abdruck von Anzeigen neben den Berichten von der Flutkatastrophe verzichtet worden sei, um die menschliche Dimension dieses Ereignisses nicht durch banale Werbetexte zu relativieren.

Auf den Abdruck von Anzeigen “verzichtet”? Der Artikel mit dem Foto, um das es in der Beschwerde ging, erschien auf Seite 2 der “Bild”-Zeitung. Die zweite Seite der “Bild”-Zeitung ist grundsätzlich werbefrei. Jeden Tag.

Und die Bilder der neunjährigen Sophia und des zehnjährigen Kevin standen am selben Tag auf Seite 1 in “Bild”. Unmittelbar links davon war eine Anzeige für Schmerztabletten von “Neuralgin” (“Äußerst günstig!”). Rechts unten auf derselben Seite warb die Firma Quelle für eine Espresso-Maschine im neuen Quelle-Katalog.

Unsere Übersicht über die Presserats-Rügen für “Bild” enthält jetzt auch das Jahr 2005.

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