Suchergebnisse für ‘Presserat Bild’

Presserat rügt Vergewaltiger-Selfie

Vor gut sechs Monaten berichtete „Bild“ über einen Mann, der zwei Frauen vergewaltigt und sich währenddessen mit den Opfern fotografiert hatte. „Selfie-Vergewaltiger“ nannte „Bild“ den Mann — und druckte eines der bei den Taten entstandenen Fotos unfassbarerweise auf der Titelseite ab:


(Verpixelung von uns.)

Für die Veröffentlichung sind „Bild“ und Bild.de am Freitag vom Presserat öffentlich gerügt worden. Obwohl das Gesicht des Opfers unkenntlich gemacht worden war (online soll es, wie uns eine Leserin schrieb, kurzzeitig sogar ohne jede Unkenntlichmachung zu sehen gewesen sein), erkannte der Beschwerdeausschuss einen Verstoß gegen die Ziffern 1 (Achtung der Menschenwürde), 8 (Schutz der Persönlichkeit) und 11 (Sensationsberichterstattung) des Pressekodex.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Als besonders gravierende Verletzung der Würde des Opfers bewertete er den Umstand, dass BILD und BILD Online ein Foto veröffentlichten, welches der Täter während der Tat als „Trophäe“ angefertigt hatte.

… heißt es in der Mitteilung des Presserats.

Es war bei Weitem nicht die einzige „Sanktion“, die der Beschwerdeausschuss gegen die „Bild“-Medien ausgesprochen hat: Insgesamt erhielten sie drei öffentliche Rügen, sechs Missbilligungen und vier Hinweise, also mal wieder mehr als jedes andere Medium.

Die zweite Rüge erhielt Bild.de für die identifizierende Berichterstattung über ein Mordopfer. Das Portal hatte ein unverpixeltes Foto der Frau bei der Arbeit gezeigt und verstieß damit gegen Richtline 8.2 des Pressekodex, nach der die Identität von Opfern besonders zu schützen ist.

Die dritte Rüge ging an die Hamburger “Bild”-Ausgabe, die den Vornamen, den abgekürzten Nachnamen, den Wohnort sowie ein Porträtfoto eines 16-Jährigen veröffentlicht hatte, der wegen Mordverdachts vor Gericht saß.

Über einen jugendlichen Straftäter derart identifizierend zu berichten, wertete der Ausschuss als einen schweren Verstoß gegen den Pressekodex (Ziffer 8, Schutz der Persönlichkeit, Richtlinien 8.1 und 8.3). Die Identität von Kindern und Jugendlichen genießt besonderen Schutz, auch bei schweren Straftaten.

Kritisiert wurde auch dieser Artikel der Dresdner “Bild”-Ausgabe:


(Unkenntlichmachung von uns.)

Im Text behauptete der “Bild”-Reporter:

Das Deutsche Rote Kreuz (DRK) in Bautzen kaufte dem Rettungsdienst stich- und schusssichere Westen. (…) Offenbar geht es vor allem um Einsätze im Spreehotel – der Vier-Sterne-Herberge, wo neuerdings Asylbewerber untergebracht sind.

Allerdings haben die Polizei, das DRK und der Betreiber des Heims schon mehrfach klargestellt, dass diese Darstellung falsch ist. Denn erstens ist das Hotel keine “Vier-Sterne-Herberge” mehr (der Hotelbetrieb wurde vor geraumer Zeit eingestellt), zweitens sind es höchstens stich- und keine schusssicheren Westen, und drittens wurden sie nicht „aus Angst vor Attacken aus dem Asyl-Hotel“ besorgt, wie „Bild“ behauptet, sondern um die Rettungskräfte ganz allgemein und bei allen Einsätzen zu schützen (BILDblog berichtete hier und hier.) Auch der Presserat erkannte in dem Artikel einen Verstoß gegen Ziffer 2 (Sorgfalt) und sprach eine Missbilligung aus.

Ebenfalls beanstandet wurde die Veröffentlichung eines Fotos bei Bild.de, auf dem ein Baby zu sehen ist, das von seinem Vater schwer verletzt worden sein soll. Da das Foto im Krankenhaus entstanden ist, einem laut Pressekodex besonders geschützten Raum, erhielt Bild.de eine Missbilligung.

Missbilligt wurde auch dieser “Bild”-Artikel:


(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)

“Bild” hatte die Bilder der Überwachungskamera (auch auf der Titelseite) veröffentlicht, ohne die Staatsanwaltschaft oder die Angehörigen des Opfers um Erlaubnis zu bitten (BILDblog berichtete). Der Presserat wertete die Veröffentlichung als unangemessen sensationelle Darstellung (Verstoß gegen Ziffer 11) und sprach eine Missbilligung aus.

Und dann war da ja noch dieser Artikel:

“Bild” hatte kurz vor Weihnachten suggeriert, dieser Vorschlag sei vom Grünen-Politiker Omid Nouripour eingebracht worden (in der Print-Ausgabe hieß es gar: “Politiker fordern”). Doch tatsächlich stammte er von der Zeitung selbst (BILDblog berichtete): Nouripour erklärte uns, dass ihn eine “Bild”-Reporterin angerufen und gesagt habe:

Wir bringen zu Weihnachten ja immer gute Nachrichten. Und da haben wir uns gefragt, ob es nicht eine schöne Idee wäre, wenn in christlichen Weihnachtsgottesdiensten muslimische Lieder gesungen würden.

Daraufhin habe er geantwortet: Nein, das sei keine gute Idee. Wenn, dann sollte es eine Art Tausch geben: Muslimische Lieder in der Kirche, christliche Lieder in der Moschee.

In einer Pressemitteilung erklärte die “Bild”-Zeitung später, sie habe die Zitate im Artikel korrekt wiedergegeben, was ja auch stimmen mag. Dass die Schlagzeile den Sachverhalt trotzdem falsch zusammenfasst, befand aber auch der Beschwerdeausschuss des Presserats, der deshalb eine weitere Missbilligung gegen “Bild” aussprach.

Einen sogenannten Hinweis bekam Bild.de außerdem wegen der Verwendung der Lach-Wein-Wut-Wow-Staun-Leiste unter einem Artikel über ein Attentat mit mehreren Toten.

Die Möglichkeit, diese Nachricht auf Basis von positiven Emotionen zu bewerten, verstößt aus Sicht des Beschwerdeausschusses gegen das Ansehen der Presse gemäß Ziffer 1 des Pressekodex. Die Redaktion hätte diese Bewertungsmöglichkeit für den Artikel vorab deaktivieren müssen.

Auch unter anderen Artikeln können die Leser bei Bild.de über Tote und Verletzte lachen, was sie auch tun (BILDblog berichtete, andere auch). Dass der Presserat nur diesen einen Fall kritisiert hat, liegt daran, dass nur dazu Beschwerden eingegangen sind. Deaktiviert wird die Leiste im Übrigen nur selten — bei Kommentaren von “Bild”-Chef Kai Diekmann zum Beispiel.

Die “Goslarsche Zeitung”, die Zeitschrift “Welt der Wunder” und die “TV Hören und Sehen” fingen sich jeweils eine Rüge ein, in allen drei Fällen wegen Verstößen gegen Ziffer 7 (Trennung von Werbung und Redaktion).

Eine weitere Rüge ging schließlich an shz.de, das Nachrichtenportal des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags, das im Jahr 2009 in der Berichterstattung über einen laufenden Mordprozess identifizierend über einen Angeklagten und dessen Vater berichtet hatte. Der Ausschuss stellte einen Verstoß gegen Ziffer 8 fest: Die identifizierende Berichterstattung vor Abschluss des Strafverfahrens sei unzulässig.

Siehe auch: Mitteilung des Presserats

Sibel Kekilli will nicht mit “Bild” sprechen

Sibel Kekilli hat kein besonders gutes Verhältnis zur “Bild”-Zeitung, und das verwundert wenig, wenn man weiß, was das Blatt der Schauspielerin vor zehn Jahren angetan hat.

Zwei Tage nachdem der Film „Gegen die Wand“, in dem Kekilli die Hauptrolle spielt, den Goldenen Bären gewonnen hatte, breitete “Bild” wochenlang genüsslich ihre Vergangenheit als Pornodarstellerin aus. Kekilli sagte danach gegenüber der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“: „Die ‘Bild’-Zeitung sagt mir zum Beispiel: Wir wollen jetzt an deine Eltern ran. Aber wir können sie in Ruhe lassen, wenn du uns ein Interview gibst. Ich laß mich ganz bestimmt von denen nicht erpressen.“

Die “Bild”-Berichterstattung wurde später vom Presserat mit einer Rüge belegt (die “Bild” erst zwei Jahre später unauffällig abdruckte) und vom Berliner Kammergericht als unzulässiger “Eingriff in die Würde eines Menschen“ bezeichnet (Genaueres s. Kasten).

Seitdem hat Sibel Kekilli der „Bild“-Zeitung (mit zwei Ausnahmen) keine Interviews mehr gegeben und würde es nach eigener Aussage auch nicht mehr tun. Darum waren wir auch etwas überrascht, als wir vor gut drei Wochen lasen:

Jetzt erzählt Sibel Kekilli BILD bei der Berlinale, wie ihr neues Leben in Hollywood läuft und wie es weitergeht.

Unser Verdacht war zuerst, dass „Bild“ sich das Interview (das wortgleich auch in der „B.Z.“ erschienen ist) in guter alter Sportteil-Tradition aus den Antworten von einer allgemeinen Pressekonferenz zusammengestückelt hat, doch inzwischen wissen wir, dass es doch ein wenig anders war:

Die Reporterin selbst erinnert sich offenbar anders. In einer Anmerkung schiebt die Redaktion hinterher:

Mit Dank auch an Christian M. und Bernhard W.

Vom Untergang des Abendlandes kann “Bild” ein Liedchen singen

Wenn die “Pegida”-Bewegung heute wieder Zuwachs bekommt, dann liegt das mit Sicherheit auch an Schlagzeilen wie dieser:

Das berichtet die “Bild”-Zeitung heute — in der Print-Version unter der Dachzeile: “Politiker fordern”.

Im Text heißt es:

Es soll eine Geste des Friedens, ein Zeichen der Verständigung sein: Christen sollen in den Gottesdiensten an Heiligabend auch ein muslimisches Lied singen!

Das regen Politiker und der Zentralrat der Muslime in Deutschland an.

„Es wäre ein tolles Zeichen des friedlichen Zusammenlebens der Religionen, wenn in der Kirche ein islamisches Lied gesungen würde und in der Moschee ein Weihnachtslied“, sagte der Grünen-Menschenrechtsexperte Omid Nouripour (39) zu BILD. (…)

Der baden-württembergische SPD-Abgeordnete Thomas Funk (52) erklärte: „Wir brauchen Verständnis, Achtung und Toleranz.“ Er fände es gut, wenn sich das „mit einem Lied befördern lässt“.

Welche muslimischen Lieder kommen infrage?

Der Chef des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek (45), macht einen Vorschlag: Tala’a al-badru alayna („Heller Mondschein leuchtet“) des Sängers Yusuf Islam (66, hieß vor der Konvertierung Cat Stevens). „Das wäre ein wunderbares Zeichen des Friedens und der Anteilnahme“, sagte Mazyek zu BILD.

Frieden und Anteilnahme waren unter den „Bild“-Lesern allerdings weniger zu spüren, sondern vor allem: Wut.

Bei Facebook schreien sie:

wir sind doch hier in deutschland oder?! wir sollten unsere kultur schützen und uns nicht in unserem eigenen land an andere anpassen! (60 Likes)

Ich glaube es hackt wenn die Muslime unsere Lieder singen, können wir weiterreden! (394 Likes)

Wie sagte ein Herr Sarazin noch…..
DEUTSCHLAND SCHAFFT SICH AB. (308 Likes)

Ich geh nachher lieber deutsche Lieder mit der PEGIDA singen (354 Likes)

Banane in der Birnen? Wird ja immer schlimmer. Geht doch mal gucken ob sie demnächst in der Moschee auch Schweineschnitzel und Glühwein verteilen als Zeichen eines GEMEINSAMEN Zusammenlebens. Lach (115 Likes)

Auch in anderen sozialen Netzwerken und in den Kommentarspalten der Islamhasserblogs brach ein (erneuter) Sturm der Empörung los.

Geht’s noch? Sollen wir den °Nicht-Christen° jetzt noch den Arsch lecken? Toll! Eher sterbe ich, als musl. Lieder zu singen!

WIE BESCHEUERT UND VERRÄTERISCH GEBEN SICH DIESE ISLAM-ARSCHKRIECHER NOCH BEI DER ABSCHAFFUNG UNSERER KULTUR UND UNSERER WERTE?!

Diese Anbiederung kann man nur noch widerlich nennen. Eine Bankrotterklärung ersten Ranges.
Bin glücklicherweise aus diesem Jesus-Verein ausgetreten.
Warum wird nicht auch das Horst-Wessel-Lied gesungen, oder “Hohe Nacht der klaren Sterne, die wie helle Brücken stehen…”?
Da ist doch auch von Brücken die Rede, die zur “Versöhnung” gebaut werden sollen.

Auf der Facebookseite des Grünen-Politikers Omid Nouripour stehen inzwischen Kommentare wie …




Auch Wolfgang Bosbach (CDU) hat sich schon zu Wort gemeldet — via “Focus Online”:

„Weihnachten ist kein Hochamt für Multikulti, sondern ein christliches Fest, bei dem traditionell nur christliche Weihnachtslieder gesungen werden. Dabei soll es bleiben“, sagte Wolfgang Bosbach am Montag zu FOCUS Online. „Mir ist auch nicht bekannt, dass in irgendeiner Moschee ,Stille Nacht, heilige Nacht‘ gesungen wird oder es entsprechende Pläne gibt“, fuhr der Innenpolitik-Experte der Union fort. „Bevor Herr Nouripour vorschlägt, dass der Muezzin zur Christmette ruft, hoffe ich sehr, dass es beim christlichen Glockenläuten bleibt.“

Und man kann ihnen (Bosbach ausgenommen) die Verunsicherung nicht mal richtig übelnehmen, schließlich erweckt die „Bild“-Zeitung den Eindruck, als sei diese Idee — diese „Forderung“ — auf Nouripours Mist gewachsen und als gebe es schon konkrete Pläne für die Umsetzung. Auch andere Medien, etwa “Spiegel Online” oder FAZ.net schreiben (bei “Bild” ab), diese “Forderung” sei von Nouripour “in die Debatte eingebracht” worden.

Die Wahrheit sieht aber ganz anders aus. Tatsächlich stammt die Idee nämlich von „Bild“.

Omid Nouripour erklärte uns das Zustandekommen des Artikels heute so: Am vergangenen Dienstag habe ihn “Bild”-Autorin Karina Mößbauer (die den Artikel zusammen mit Ralf Schuler geschrieben hat) angerufen und sinngemäß gesagt:

Wir bringen zu Weihnachten ja immer gute Nachrichten. Und da haben wir uns gefragt, ob es nicht eine schöne Idee wäre, wenn in christlichen Weihnachtsgottesdiensten muslimische Lieder gesungen würden.

Daraufhin habe er geantwortet: Nein, das sei keine gute Idee. Wenn, dann sollte es eine Art Tausch geben: Muslimische Lieder in der Kirche, christliche Lieder in der Moschee. „Tolle Idee!“, habe die „Bild“-Autorin geantwortet.

Ja, toll. Denn so musste sie nur noch ein, zwei andere passende Zitate einsammeln — und fertig war die Schlagzeile. Vermutlich stand sie sogar vorher schon fest, und die “Bild”-Autoren haben nur so lange rumtelefoniert, bis sie prominente Stimmen gefunden hatten, die dazu passten.

Die Rechnung ist jedenfalls aufgegangen: Der Artikel gehört zu den Meistgelesenen auf Bild.de, wurde bei Facebook tausendfach geteilt.

Und die “Pegida”-Leute haben ein Scheinargument mehr für ihre Demonstrationen.

Auf seiner Facebookseite schreibt Omid Nouripour heute:

Der Vorschlag, wie er da steht, ist von der BILD-Zeitung – einem Politiker muslimischen Glaubens in den Mund gelegt. Mein Vorschlag war der eines Austauschs. Es würde auch vielen deutschen Moscheen gut zu Gesicht stehen, wenn dort die Weihnachtszeit besinnlich begangen werden würde.

So manche Reaktionen auf meiner Facebook-Seite zeigen, wie richtig mein Vorschlag eigentlich ist. Der gesellschaftliche Graben, der sich in unserem Land derzeit auftut, ist nicht der zwischen Christentum und Islam, sondern der zwischen demokratischen Kräften und der Feinde der Demokratie – ob Islamisten oder Pegida. Der Schulterschluss der Demokraten ist notwendig, nicht eine weitere Spaltung der Gesellschaft – wie ihm der Artikel der BILD-Zeitung Vorschub leistet.

So gelingt es der “Bild”-Zeitung mal wieder, den Keil noch weiter zwischen die Religionen zu treiben. Das ist natürlich nichts Neues. Aber man muss schon verdammt skrupellos sein, um dafür ausgerechnet die Zitate zu missbrauchen, die genau das Gegenteil bewirken sollten.

Nachtrag, 15.45 Uhr: Bild.de hat nochmal nachgelegt. Unter der Überschrift “Große Debatte um muslimische Lieder im Weihnachtsgottesdienst” wird jetzt auch das Bosbach-Zitat („Weihnachten ist kein Multi-Kulti-Hochamt”) aufgegriffen, auch andere Politiker und Kirchenvertreter kommen zu Wort. Dabei wird weiterhin der Eindruck erweckt, es gebe die “Forderung”, muslimische Lieder in christlichen Gottesdiensten zu singen. Die Umfrage für die Bild.de-Leser (“Deutschlands schnellste Meinung”) lautet dann auch: “Sollen wir im Weihnachtsgottesdienst auch ein muslimisches Lied singen?” (Aktuell: 97% für “Nein, Weihnachten ist ein christliches Fest”.)

Vermutlich war das auch die Grundlage, auf der Bild.de die Zitate eingeholt hat. Hans-Peter Uhl (CSU) zum Beispiel rumpelt: “Die Forderung ist kompletter Unsinn! Ich beanspruche ja auch nicht, dass in einer Moschee ,Stille Nacht, heilige Nacht’ gesungen wird.” Dass ein solcher Tausch gerade Teil des Vorschlags von Nouripour war, hat ihm der zuständige Zitate-Einholer von Bild.de offenbar lieber verschwiegen.

Das Facebook-Statement von Nouripour erwähnt Bild.de natürlich ebenfalls mit keinem Wort.

Nachtrag, 16.50 Uhr: “Spiegel Online” hat den Artikel korrigiert und eine Anmerkung dazu veröffentlicht.

Nachtrag, 17.50 Uhr: Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, von dem der Vorschlag zum Cat-Stevens-Song kam, hat sich inzwischen ebenfalls vom “Bild”-Artikel distanziert. Gegenüber der Katholischen Nachrichtenagentur sagte er, er sei bei der “Bild”-Anfrage davon ausgegangen, dass eine konkrete Gemeinde vorhabe, ein Zeichen zu setzen, und deshalb um einen Tipp gebeten habe.

Nachtrag, 22.10 Uhr: Auch FAZ.net hat den Artikel (einigermaßen) korrigiert und eine Anmerkung hinzugefügt.

Nachtrag, 23. Dezember: Die “Bild”-Zeitung hat heute eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der sie sich allerdings nur gegen den Vorwurf wehrt, sie habe Omid Nouripour falsch zitiert. Sein Zitat sei ungekürzt und unverändert abgedruckt worden, heißt es dort, was ja auch stimmen mag, aber immer noch nicht erklärt, warum “Bild” aus einem “Vorschlag” eine “Forderung” machte und warum in der Überschrift nicht der Tausch erwähnt wird, sondern bloß die muslimischen Lieder in christlichen Gottesdiensten. “Bild” geht auch nicht darauf ein, ob die grundlegende Idee von den Politikern kam, wie der Artikel suggeriert, oder doch von der Redaktion.

Inzwischen hat sich auch der dritte Politiker, der im Text zitiert wird, Thomas Funk (SPD), zu dem Artikel geäußert. Die Initiative sei natürlich nicht von den Politikern ausgegangen, sagte er gegenüber BILDblog, sondern von “Bild”. Er sei von “Bild” gefragt worden, was er von der Idee mit dem Liedertausch halte; sein Zitat sei dann auch korrekt wiedergegeben worden. Dennoch sieht er in der Aktion im Nachinein ein “vergiftetes Geschenk”. Der Artikel sei ja augenscheinlich nicht auf Weihnachten gemünzt worden, sondern auf den “Pegida”-Montag, und “Bild” habe den Artikel genutzt, um Öl ins Feuer zu gießen.

Nachtrag, 24. Dezember: Die Bundestagsabgeordnete Ute Finckh-Krämer (SPD) hat gestern auf Facebook mitgeteilt:

Ich kann bestätigen, dass Karin Mößbauer nicht nur Omid Nouripour diesen Vorschlag gemacht hat – sie hat mich nämlich auch gefragt, ob ich einen solchen Vorschlag unterstützen würde. Meine Antwort passte dann wohl nicht so gut in den Artikel, ich habe nämlich die Hoffnung geäußert, dass in vielen Weihnachtsgottesdiensten mit Respekt über Mitbürgerinnen und Mitbürger islamischen Glaubens gesprochen wird. Egal, ob sie schon seit Generationen hier leben oder gerade als Flüchtlinge hierher gekommen sind.

Nachtrag, 17. März 2015: Die Berichterstattung ist nun auch vom Deutschen Presserat missbilligt worden.

Presserat rügt blutige Berichterstattung

Im Juni druckte die “Bild”-Zeitung ein Foto, auf dem ein Mann stirbt. Blutüberströmt sitzt er auf dem Boden, ein Messer steckt in seinem Bauch, hinter ihm steht noch der mutmaßliche Täter.

Das Foto erschien in “Bild Hamburg”, auf Bild.de und riesengroß auf Seite 3 der Bundesausgabe:

Auf den weiteren Fotos ist zu sehen, wie sich Passanten um das Opfer kümmern und der mutmaßliche Täter, dessen Gesicht klar zu erkennen ist, festgenommen wird.

(Nachdem der Artikel erschienen war, haben wir uns übrigens mit dem Fotografen über die Bilder unterhalten. Seine Antworten können Sie hier nachlesen.)

Gestern hat sich der Presserat mit dem Fall beschäftigt und gegen “Bild” und Bild.de eine öffentliche Rüge ausgesprochen. Die Berichterstattung verstoße sowohl gegen Ziffer 8 (Schutz der Persönlichkeit) als auch Ziffer 11 (Sensationsberichterstattung) des Pressekodex. In der Pressemitteilung heißt es:

Der Vorgang des Sterbens wird in einem protokollarischen Detailreichtum geschildert, der nicht in öffentlichem Interesse liegt und somit unangemessen sensationell ist.

Auch bei anderen Artikeln der “Bild”-Medien war es vor allem die übertriebene Grausamkeit, die vom Presserat kritisiert wurde.

So erhielt Bild.de eine weitere Rüge für die Berichterstattung über eine Beziehungstat, bei der ein Mann seine Ehefrau erschossen hatte. In dem Artikel waren Porträtfotos des Opfers zu sehen, außerdem nannte die Redaktion den vollen Namen der Frau. Damit habe Bild.de zum Einen den Persönlichkeitsschutz der Frau verletzt, denn nach Richtlinie 8.2 des Pressekodex ist bei Verbrechen und Unglücken “das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich”.

Außerdem enthielt der Artikel ein Foto, das von einer Augenzeugin mit der Handykamera aufgenommen wurde. Es zeigt Täter und Opfer kurz vor der Tat auf einer Wiese sitzend, der Mann hält ein Gewehr in der Hand.

In der Kombination dieses Bildes mit dem direkt daneben platzierten Porträtfoto des Opfers sah der Beschwerdeausschuss eine unangemessen sensationelle Darstellung im Sinne der Ziffer 11 Pressekodex.

Als “unangemessen sensationell” bewertete der Presserat auch das Werk eines “Bild”-Zeichners, auf dem ein Mann zu sehen ist, der von einer Heuballen-Maschine “zerschreddert” wird (“Bild” liebt solche brutalen Zeichnungen). Kritisiert wurde neben der Illustration auch die Tatsache, dass das Opfer aufgrund persönlicher Details identifizierbar wurde. Das Gremium sprach daher eine Missbilligung gegen Bild.de aus.

Ebenso missbilligt wurde ein Bild.de-Artikel mit dem Titel:

Darin zeigt das Portal ein Foto, auf dem die Frau schwer verletzt auf der Straße liegt. Da sich die Geschichte in Peking ereignet hatte, habe kein ausreichendes öffentliches Interesse an dem Fall bestanden, befand der Presserat, und auch hier erkannte er eine “unangemessen sensationelle Darstellung”.

Genau wie bei einem weiteren Artikel, diesmal in der Print-Ausgabe. Darin hatte “Bild” ein Foto gedruckt, auf dem mehrere irakische Soldaten erschossen werden, das Blut spritzt aus ihren Köpfen. Mehr muss man wohl nicht dazu sagen.

Eine weitere Missbilligung bekam Bild.de für einen Artikel über den Soldaten Bowe Bergdahl. Er enthielt ein (offenbar von Facebook geklautes) Foto der Ex-Freundin des Mannes, an dem laut Presserat kein öffentliches Interesse bestand.

Insgesamt erhielten die “Bild”-Medien (wenn man die Rüge für Nicolaus Fests Hass-Kommentar und die Entscheidungen zur MH17-Berichterstattung mitzählt) drei Rügen, sechs fünf Missbilligungen und vier Hinweise.

Eine weitere Rüge ging an die Online-Ausgabe des “Tagesspiegel”, wo ein Original-Dokument erschienen war, das angeblich aus dem Büro des Vorsitzenden der Partei Die Linke stammte. Darin wurde aufgelistet, wer nach der Bundestagswahl eine Funktion in der neuen Fraktion haben und wer ausscheiden soll. Darüber hatte sich ein Mitarbeiter eines Regionalbüros beschwert, der in dem Papier als “zu schützende Person” namentlich genannt wird.

Der Ausschuss war der Ansicht, dass die Veröffentlichung des Namens des Betroffenen seine informationelle Selbstbestimmung verletzt. Weil er kein politisches Mandat ausübt und nicht öffentlich in Erscheinung getreten ist, durfte er nicht genannt werden.

Tagesspiegel.de habe Ziffer 2 verletzt, weil die Informationen vor der Veröffentlichung nicht sorgfältig genug auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft wurden, heißt es in der Begründung.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Die Zeitschrift “L.A. Multimedia” wurde gleich zweimal gerügt, weil sie “die Grenze zur Schleichwerbung” überschritten hatte (Verstoß gegen Ziffer 7). In den Artikeln ging es um den Einsatz moderner Medien im Schulunterricht. Der Ausschuss sah es “als erwiesen an, dass die redaktionelle Veröffentlichung durch geschäftliche Interessen des Unternehmens [ein Anbieter von Schulmedien] beeinflusst wurden”.

Einen ähnlichen Verstoß erkannte der Ausschuss bei einer Beilage der Zeitschrift “Diabetes Journal”. Das Heft bewarb ein Gerät für Diabetiker und habe damit die gebotene Trennung zwischen Werbung und Redaktion verletzt. Das Impressum enthielt zwar den Hinweis “Mit freundlicher Unterstützung von …”, doch das reiche nicht aus, befand der Presserat und sprach ebenfalls eine Rüge aus.

Nicht namentlich genannt wurde eine regionale Tageszeitung, die eine Missbilligung erhielt, weil sie mehrere Pressemitteilungen unter dem Kürzel eines Redakteurs abgedruckt hatte. Die Zeitung habe damit gegen Richtlinie 1.3 verstoßen, nach der Pressemitteilungen als solche gekennzeichnet werden müssen, wenn sie ohne Bearbeitung durch die Redaktion veröffentlicht werden.

Insgesamt verteilte der Presserat (die vorherigen Entscheidungen mitgerechnet) sieben Rügen, 24 Missbilligungen und 25 Hinweise.

Presserat missbilligt MH17-Opferfotos

Der Beschwerdeausschuss des Presserats hat sich heute mit den Fotos der MH17-Opfer beschäftigt, die im Juli von einigen deutschen Medien veröffentlicht wurden (BILDblog berichtete). 30 Beschwerden waren dazu beim Presserat eingegangen.

Grundsätzlich seien “Abbildungen von Opfern in der Regel nicht mit dem Opferschutz nach Ziffer 8, Richtlinie 8.2 vereinbar”, schreibt das Gremium in einer Pressemitteilung. Ursula Ernst, Vorsitzende des Ausschusses, sagte:

Die Argumentation einiger Medien, den Opfern ein Gesicht zu geben, ist nachvollziehbar, dennoch: Nur weil jemand zufällig Opfer eines schrecklichen Ereignisses wird, darf er nicht automatisch mit Foto in der Presse gezeigt werden.

So erhielt Bild.de eine Missbilligung für diesen Artikel:

(Alle Verpixelungen von uns.)

Das Portal hatte 100 Opfer des Unglücks gezeigt und viele Details aus ihrem Privatleben genannt. Doch: “Ein öffentliches Interesse am Abdruck dieser Bilder bestand nicht”, so der Presserat.

Auch die Print-“Bild” wurde kritisiert, bekam aber nur einen sogenannten “Hinweis”.

Der “Spiegel” kassierte eine Missbilligung — für diese Titelseite:


Nach Ansicht des Presserats wurden die Opferfotos “für eine politische Aussage instrumentalisiert.” Damit sei auch hier der Opferschutz verletzt worden.

Ebenfalls kritisiert wurden die Beiträge des “Stern” …

… und von Bunte.de:

Beide Medien bekamen aber nur einen “Hinweis” — weil die Darstellung “weniger detailliert” sei, argumentierte der Ausschuss.

In weiteren Beschwerden ging es um Fotos vom Trümmerfeld, auf denen auch Leichenteile zu erkennen waren. Diese Fotos seien nicht unangemessen sensationell, urteilte der Ausschuss:

Die Fotos dokumentieren eindringlich die schreckliche Dimension und die Folgen des Ereignisses. Sie sind noch akzeptabel, da kein Opfer erkennbar ist und die abgebildeten Situationen nicht unangemessen in der Darstellung hervorgehoben werden.

Presserat beanstandet Eigen-Schleichwerbung für Diätprogramm

Manchmal passieren in deutschen Zeitungsredaktionen erstaunliche Fehler. Dass im Kölner “Express” Anfang des Jahres eine große sechsteilige Serie von Artikeln erschien, in denen jeweils, ohne jede Kennzeichnung, ein Fitnessprogramm namens “fitmio” beworben wurde …

… das ist der Ressortleitung bzw. Chefredaktion des Blattes leider erst nach Abschluss der Serie aufgefallen. Natürlich hätte man dem Leser kenntlich machen müssen, dass es sich um ein Programm handelte, das von einem Unternehmen des Verlages M. DuMont Schauberg vermarktet wurde, teilte die Rechtsabteilung dem Presserat mit. Dass dieser Hinweis ausgeblieben sei, betrachte man selbst als ärgerlichen und bedauerlichen Fehler.

Online seien die Berichte sofort nach Bekanntwerden entsprechend gekennzeichnet worden. Der Presserat fasst die Zerknirschtheit mit den Worten zusammen:

Der Fehler sei der Redaktion bewusst und intern mit allen Verantwortlichen erörtert worden. Man gehe davon aus, dass alle Beteiligten daraus gelernt hätten.

Der Presserat, bei dem wir uns beschwert hatten, sah in der Veröffentlichung einen Verstoß gegen das Gebot, Redaktion und Werbung klar zu trennen. Er verwies auf Ziffer 7 des Pressekodex, in der es heißt:

Bei Veröffentlichungen, die ein Eigeninteresse des Verlages betreffen, muss dieses erkennbar sein.

Auch im “Kölner Stadt-Anzeiger”, ebenfalls ein Schwesterblatt von “fitmio”, erschienen Anfang des Jahres mehrere scheinbar redaktionelle Beiträge zum Thema Fitness und Abnehmen, die für “fitmio” warben. Die Rechtsabteilung des Verlages argumentierte hier aber anders: In der Beschreibung des Programms sei ausdrücklich erwähnt, dass es “in Zusammenarbeit mit der Deutschen Sporthochschule und dem Anti-Diät-Club angeboten” werde. Und den “Anti-Diät-Club” des “Kölner Stadt-Anzeigers” gebe es schon seit 2005; er sei den Lesern bestens bekannt und mit dem “Kölner Stadt-Anzeiger” untrennbar verbunden. Durch die Erwähnung des “Anti-Diät-Clubs” wüssten “Stadt-Anzeiger”-Leser, dass es sich bei “fitmio” um ein Angebot der Zeitung handele.

Der Presserat fand das nicht überzeugend und sah auch hier einen Verstoß gegen Ziffer 7 des Pressekodex. “Um dem Leser klar zu verdeutlichen, dass ein Eigeninteresse des Verlages an den Veröffentlichungen vorliegt und somit die Beiträge einen kommerziellen Charakter haben, hätte es eines eindeutigen Hinweises bedurft.” Dieser sei lediglich in einem Artikel vorhanden gewesen (Ausriss rechts), der deshalb auch nicht kritisiert wurde.

Der Presserat erteilte dem “Kölner Stadt-Anzeiger” einen “Hinweis”; beim “Express” sprach er eine “Missbilligung” aus.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Eine ganz normale Woche bei Bild.de

Aus dem Ressort “Unterhaltung”:
Dschungelcamp 2014: Dschungel-Experte Daniel Cremer - 5 Gründe, warum Larissa die Krone holt

Larissa hat die Krone nicht geholt.

***

Aus dem Ressort “Sport”:
Der Aufreger bei der Hertha-pleite gegen Nürnberg - BILD erklärt: Darum lag Schiri Weiner richtig

Schiri Weiner lag nicht richtig.

***

Aus dem Ressort “Regionales”:
Mord auf Juist - Dieser Milchbubi brachte A[...] um [Auf dem Foto sind der mutmaßliche Täter [anonymisiert] und das angebliche Opfer [nicht anonymisiert] zu sehen.]

(Gelbe Unkenntlichmachung von uns.)

Das sind nicht A. und ihr mutmaßlicher Mörder, sondern der Täter und das Opfer eines ganz anderen Mordes. Von Ziffer 8 des Pressekodex fangen wir gar nicht erst an.

Mit Dank an Manuel L., Bene F., Martin, Felix S., Marcus und Alexander K.

Bild.de wegen vorzeitigem Samenerguss gerügt

Die Beschwerdeausschüsse des Presserats haben vergangene Woche zum vierten und letzten Mal in diesem Jahr getagt und anschließend fünf öffentliche Rügen, eine nicht-öffentliche Rüge, 18 Missbilligungen und 21 Hinweise ausgesprochen.

Die “Maßnahmen” des Presserates:

Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:

  • einen Hinweis
  • eine Missbilligung
  • eine Rüge.

Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

Die nicht-öffentliche Rüge erging an Bild.de. Das Portal hatte darüber berichtet, dass eine Landtagsabgeordnete in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden war. Bild.de nannte den Namen der Frau sowie den Hintergrund der Erkrankung und verstieß damit nach Ansicht des Presserats gegen Ziffer 8 des Pressekodex, die besagt, dass körperliche und psychische Erkrankungen zur Privatsphäre gehören.

Eine öffentliche Rüge bekam Bild.de für einen Artikel über die Therapie bei vorzeitigem Samenerguss. Dabei hatte die Redaktion laut Presserat “umfangreich” PR-Material “wörtlich übernommen und nicht entsprechend gekennzeichnet”, außerdem wurden Preis und Name des Medikaments genannt. Der Presserat sah darin einen Verstoß gegen das Schleichwerbungsverbot und die Sorgfaltspflichten im Umgang mit PR-Material (Ziffer 7). Details zu diesem Fall gibt es beim “Medien-Doktor”.

Daneben erhielt Bild.de zwei Missbilligungen — eine, weil die Redaktion gegen die Sorgfaltspflicht verstoßen hatte (Ziffer 2), und eine für die Spekulation über die Hintergründe eines Suizids (Ziffer 8) — sowie einen Hinweis wegen einer falschen Bildunterschrift.

Zwei weitere Hinweise gingen an die gedruckte “Bild”-Zeitung (Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht sowie unzureichende Anonymisierung einer Person).

Der “Dingolfinger Anzeiger” und die Modellbauzeitung “RC-Freizeit” wurden gerügt, weil sie die redaktionelle Berichterstattung von Anzeigenaufträgen abhängig gemacht hatten (Ziffer 7).

Die “Leipziger Volkszeitung” kassierte eine Rüge für einen Kommentar, in dem Demonstranten der NPD und der “Antifa” als “brauner und roter Abschaum” bezeichnet wurden. Der Begriff “Abschaum” sei eine Verletzung der Menschenwürde und damit ein Verstoß gegen Ziffer 9 des Pressekodex, erklärte der Presserat.

Gerügt wurde schließlich auch die “Junge Freiheit” für die Überschrift “Zigeuner können Sozialhilfe bekommen”. In dem Artikel ging es um eine Entscheidung des Landessozialgerichts NRW, nach der Einwanderer aus Rumänien und Bulgarien Anspruch auf Hartz IV-Leistungen haben. Dass sich diese Entscheidung auch auf Schweden, Luxemburger und alle anderen EU-Bürger in Deutschland bezog, verschwieg das Blatt allerdings. Mit der Überschrift habe die Zeitung “suggeriert, das Gericht habe eine Sonderregelung für eine bestimmte ethnische Minderheit im Sozialrecht geschaffen”, argumentierte der Presserat. Für die “willkürliche Heraushebung dieser Minderheit” habe der Ausschuss “keinen sachlichen Grund” gesehen. Sie wirke diskriminierend.

Wie die “willkürliche Heraushebung” von Minderheiten in solchen Fällen bei “Bild” und Bild.de funktioniert, können Sie übrigens hier nachlesen.

Nachtrag, 0.40 Uhr: Das Projekt “Medien-Doktor” hatte sich im September ausführlich mit dem Bild.de-Artikel zum vorzeitigen Samenerguss auseinandergesetzt und Beschwerde beim Presserat eingereicht. Näheres zu dem Fall gibt es hier.

Bild  

“Bild” muss Schmerzensgeld zahlen

Es gibt Dinge in unserem Rechtsstaat, die will “Bild” einfach nicht akzeptieren. Vor allem die Tatsache, dass selbst Mörder und Kinderschänder grundlegende Rechte haben.

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zum Beispiel. Das spricht die “Bild”-Zeitung Menschen, die ein schweres Verbrechen begangen haben, in der Regel kurzerhand ab – und tut dann sogar so, als müsste man ihr dafür auch noch dankbar sein:

“Die Identität eines Straftäters ist grundsätzlich zu schützen”, sagt der Deutsche Presserat, der oberste Sittenwächter der Presse – und kritisiert aus diesem Grund immer wieder die BILD-Zeitung. Weil wir ganz anderer Meinung sind. Weil wir glauben, dass die Öffentlichkeit ein Recht darauf hat zu erfahren, wie ein Vergewaltiger, ein Kinderschänder und ein Mörder aussehen. Und wir deshalb Vergewaltiger, Kinderschänder und Mörder auch zeigen.

Aber all das ist ja nichts Neues.

Und es wird sich auch in naher Zukunft vermutlich nicht viel daran ändern. Auch deshalb, weil “Bild” in solchen Fällen – abgesehen von den Maßnahmen des Presserats, die das Blatt in der Regel sowieso ignoriert – nur selten irgendwelche Konsequenzen zu erwarten hat, erst recht keine juristischen. Denn, wie wir schon vor ein paar Jahren mal geschrieben haben, ist …

(…) die Wahrscheinlichkeit, dass sich z.B. eine junge Frau, die gerade wegen des Verdachts, ihr eigenes Baby getötet zu haben, in Untersuchungshaft sitzt, juristisch gegen die Veröffentlichung eines Fotos von ihr zur Wehr setzt, für “Bild” ebenso überschaubar, wie es die aus einem eventuellen Gerichtsprozess resultierenden Schmerzensgeldforderungen sind.

Aber auch wenn sich nur selten jemand traut oder überhaupt befähigt fühlt, in so einer Situation juristisch gegen “Bild” vorzugehen – die Erfolgschancen eines solchen Prozesses sind gar nicht mal gering. Denn vor Gericht zieht die wackelige Argumentation der “Bild”-Juristen offenbar nur wenig. Das jedenfalls zeigt ein Urteil des Landgerichts Verden, das nun rechtskräftig geworden ist.

Verurteilt wurde der Axel-Springer-Verlag wegen der “Bild”-Berichterstattung über einen Prozess, in dem eine junge Frau angeklagt war, ihr neugeborenes Baby ermordet zu haben. Sie wurde wegen Totschlags in einem minderschweren Fall verurteilt.

“Bild” hatte den Prozess von Anfang an begleitet und die Frau, eine Polizistin, schon ab dem ersten Verhandlungstag im Januar 2011 ohne jede Unkenntlichmachung gezeigt sowie Details aus ihrem Privatleben veröffentlicht. Später klagte die Frau gegen die identifizierende Berichterstattung – und bekam Recht: Dem Axel-Springer-Verlag wurde gerichtlich untersagt, ungepixelte Fotos der Frau zu verbreiten. Außerdem muss er ihr 6000 Euro Schmerzensgeld zahlen.

Laut einer Pressemitteilung des Landgerichts argumentierte die Frau vor Gericht, “die Berichterstattung verstoße gegen die Unschuldsvermutung, weil sie den Tatvorwurf des Mordes nie gestanden und dieser sich auch im Verlaufe des Verfahrens nicht erwiesen habe”. Der Verlag hingegen hatte unter anderem eingewendet, bei der Frau “handele es sich um eine Person der Zeitgeschichte, weil sie Polizistin gewesen sei und eine schwerwiegende, außergewöhnliche Tat begangen habe”.

Die Richter betonten, bei Gewaltverbrechen sei “in der Regel ein über bloße Neugier und Sensationslust hinausgehendes Interesse an näherer Information” über den Täter und den Tathergang erforderlich, um eine identifizierende Berichterstattung zu rechtfertigen. Grundsätzlich sei hierbei also – das fordert im Übrigen auch das Bundesverfassungsgericht – “eine Abwägung zwischen den Rechten der Abgebildeten und der Pressefreiheit vorzunehmen”. In diesem Fall …

(…) überwiegten die berechtigten Interessen der Klägerin. Es sei schon nicht ersichtlich, dass es für die Berichterstattung auch auf die Identifizierbarkeit der Klägerin ankam. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Lichtbildes habe weder eine (erstinstanzliche) Verurteilung der Klägerin vorgelegen, noch habe diese sich in der Hauptverhandlung überhaupt schon zur Sache eingelassen.

Der Verlag ging zwar in Berufung, doch das Oberlandesgericht Celle bestätigte das Urteil des Landgerichts. Und die Kritik der dortigen Richter galt nicht nur den ungepixelten Fotos:

Der Senat beanstandet darüber hinaus die mit dem Lichtbild versehene Schlagzeile der Zeitung. Auch diese könnte bei Abwägung der Interessen zugunsten der Klägerin berücksichtigt werden.

Die auf das Lichtbild aufgebrachte Schlagzeile sei “tendenziös und vorverurteilend”, die Informationen aus der Pressemitteilung des Landgerichts Verden über diesen Fall seien in einer Art umgestaltet und umformuliert worden, dass hieraus eine  “marktschreierische, sensationsheischende und vorverurteilende Überschrift” geworden sei.

“Umgestaltet” und “umformuliert” wurden die Informationen übrigens von “Bild”-Reporterin Astrid Sievert, die ihr, sagen wir: Talent darin schon mehrfach eindrucksvoll unter Beweis gestellt hat. In der angesprochenen Pressemitteilung hatte es damals jedenfalls geheißen:

Die Staatsanwaltschaft wirft der Angeklagten vor, das Kind getötet zu haben, weil sie durch die ungewollte Schwangerschaft befürchtete finanzielle Einschränkungen nicht habe hinnehmen und ihren “bis dahin geführten hohen Lebensstandard” nicht habe reduzieren wollen.

In “Bild” lautete die Überschrift dann: “Polizistin ersticht ihr Baby mit Schere …weil sie ihr schönes Leben nicht aufgeben wollte”.

Und auf Bild.de:FÜR IHR LUXUS-LEBEN! Polizistin (25) ersticht Baby mit Schere

Mit Dank an den Hinweisgeber.

Presserat, Zeitungsverkäufer, Denis Scheck

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Der Presserat braucht dringend eine Reform: Die Brand-Eins-Affäre”
(journalismus-handbuch.de, Paul-Josef Raue)
Paul-Josef Raue fordert eine Reform des Deutschen Presserats: “1. Transparenz fehlt, 2. Unschuldsvermutung fehlt, 3. Unterstützung der Journalisten fehlt.”

2. “‘Ich habe ein breites Kreuz'”
(spiegel.de)
Der Berliner Zeitungsverkäufer Olaf Forner: “Alleine konnte ich immer gut davon leben, aber eine Familie damit zu ernähren, ist schwierig. Deshalb habe ich seit anderthalb Jahren noch einen Vollzeitjob: Tagsüber bin ich Assistent bei den ambulanten Diensten, betreue Menschen mit Körperbehinderung.”

3. “‘Kein Sex in Entenhausen!'”
(cicero.de, Sarah Maria Deckert)
Literaturkritiker Denis Scheck wundert sich über fehlende Kritik in anderen Bereichen: “Ich fordere Brötchenkritik, Hosenkritik, Sockenkritik, Lampenkritik! Es gibt die Kritik im kulinarischen Bereich, merkwürdigerweise in der Automobilindustrie, im Kunst- und Musikbereich, aber in vielen Feldern unseres Alltagsleben fehlt sie. So steckt auch die Kindergartenkritik noch in den Kinderschuhen. Deshalb gibt es auch ganz wenig gesellschaftliches Fortkommen.”

4. “Autorisierung von Interviews”
(drehscheibe.org)
Eine Umfrage unter Lokaljournalisten zur Handhabe der Autorisierung von Interviews.

5. “Von toller Stimmung zu Nulltoleranz”
(sonntagszeitung.ch, Michael Lütscher)
Vor einigen Jahren wurde in Schweizer Medien über das Zünden von Feuerwerkskörpern in Fußballstadien ganz anders berichtet als heute. Neu zur Diskussion hinzugekommen ist das Wort “Nulltoleranz”.

6. “Journalisten wetteifern um fiesesten Leserbrief”
(ftd.de, Sebastian Kunigkeit und Antonia Lange)
Journalisten lesen erhaltene Leserbriefe vor: “Sie ehemaliger Schülerzeitungs-Redakteur. Sie Schreiberlein. Sie Wurm. (…) Schulen Sie um und werden doch Bioladen-Besitzer.”

Blättern:  1 ... 10 11 12 ... 55