Knut, 1, ist Eisbär im Berliner Zoo. “Bild” berichtete über ihn erstmals mit sechs Wochen Verspätung am 22. Januar (“Eisbären-Baby im Zoo geboren!”), musste sich damals aber noch mit einem “Symbolfoto” zufriedengeben. Tags drauf (“Das Berliner Bären-Wunder”) gab es aber bereits “DAS ERSTE FOTO VON KNUT”. Seitdem berichtete “Bild” weit über 100-mal.
Gestatten Knut, Eisbär Knut, seit gestern ein Jahr alt: Eine 115 kg schwere Attraktion des Berliner Zoos mit einer Besonderheit: Ich schreibe Tagebuch, und zwar online.
Warum ich hier schreibe? Was ich mit “Bild” zu tun habe?
Nun denn, mein Leben ist mit dem Boulevard verknüpft, seit ich denken kann. Gerade mal drei Monate alt — ich kann zwar laufen, aber noch nicht einmal schwimmen — tritt “Bild” den ganz großen Hype los. Mit Bezug auf einen Tierrechtler fragt die Zeitung:
“FAZ” und BILDblog recherchieren gegen und stellen richtig [auch wenn’s “Bild” wohl bis heute nicht begriffen hat, d. Red.]. Danke dafür!
Aber trotzdem oder gerade deshalb… Von da an geht’s bergauf. Ich bin ein Star, ob ich will oder nicht. Und “Bild” und die anderen Boulevardblätter bestimmen mein Schicksal: Ich bin zu dick, ich schnappe nach meinen Doc und werde gefährlich für Papi, wird kolportiert. Erst vorgestern noch deckte “Bild” mit einer ganzen Seite 3 einen ungeheueren “TV-Schwindel” auf:
Der Kern der Geschichte: Fernsehfilme werden vorproduziert und die Torte, die mir im rbb-Geburtstagsfilm überreicht wird, ist nicht die echte. Nun, geschmeckt hat sie trotzdem!
Wirklich beunruhigt hat mich dabei aber etwas anderes. “Knut”, habe ich mir gesagt, “Knut, die interessieren sich gar nicht wirklich für dich. Die wollen nur ‘ne tolle Geschichte”. Diese Einsicht stürzte mich in eine Depression! Und das am Vorabend meines 1. Geburtstags. Warum? Na, das ist doch klar. Seit einem dreiviertel Jahr bin ich der Star: im Zoo, in Berlin, weltweit. Und was ist, wenn nun demnächst meine Mama Tosca und die beiden anderen Eisbärenfrauen im Berliner Zoo einen großen Wurf landen? Dann stürzt sich “Bild” auf die süßen, kleinen, putzigen Bärenbabys.
Und ich? Hat darüber mal jemand nachgedacht!!!???
Die Lösung durchzuckte meinen Hirnstamm gestern Nacht im Traum:
… schwierig war es, Kai Diekmann überhaupt zu erreichen. Aber dann beim frühmorgendlichen Plausch am Gehegezaun kapiert er meine Idee sofort und stolpert vor Begeisterung fast ins Eisbärenbecken.
Lautlos und unbemerkt gründen er und Thilo Bode drei Tage später die “Free Knut GreenBILD-Foundation”. Jetzt überschlagen sich die Ereignisse: Eine Woche Titelseiten-Kampagne und 2,4 Millionen Unterschriften später knicken auf Druck meines Patenonkels Sigmar Gabriel endlich der Zoo Berlin und das Alfred Wegener Institut ein.
Noch drei Tage und die Polarstern steht bereit. Wir stechen in See. Mit an Bord: Zoodirektor Blaszkiewitz, Papi Thomas Dörflein, mein Leibarzt Doc Schüle, etliche Tonnen TV-Übertragungstechnik und natürlich ich (leider im Käfig). Die Tage vergehen im Sturm. Endlich: Die Schelfeiskante vor Spitzbergen! Viel Zeit für den Abschied bleibt nicht: Der Himmel ist wolkenfrei, der Satelliten-Uplink steht, 20.15 Uhr, beste Sendezeit.
Ich sitze bibbernd mit kaltem Hintern auf der geschlossenen Eisdecke des Nordpolarmeeres, Free Willys bislang unbekannter Bruder schlägt mit der Schwanzflosse zum Gruß und der rbb überträgt live und weltweit!
Ganz langsam schiebt sich die Polarstern rückwärts zwischen knarrende Eisschollen in die Polarnacht. Thomas steht an der Reling und unterdrückt eine Träne, ich hebe traurig die Tatze zum Abschied… Da schießt mir ein Gedanke in den Eisbärenschädel: “CROISSANTS!” Wer zur Hölle bringt mir morgen meine Croissants????…
Plopp!
Mit schweißverklebtem Fell wache ich auf. In meiner Schlafhöhle: Zoo Berlin, Hardenbergplatz 8, 10787 Berlin. Brrrrr, nach diesem Alptraum ist mir einiges klar.
Liebe Freunde vom BILDblog, bitte seid mir nicht böse, aber ich glaube, ich muss mich in mein Schicksal fügen. Ich bin ein Zoobär mit Symbolwert. Und den Boulevard hab’ ich zum Fressen gern. Sie werden mich im Blick behalten, Ihr werdet es hoffentlich richtig stellen.
Und sonst… ja, sonst werde ich den Verantwortlichen weiter einheizen und sehen, dass ich etwas dafür tun kann, dass meinen Brüdern und Schwestern und Onkeln und Tanten in freier Wildbahn, nicht die Eisscholle unterm Hintern wegschmilzt… und natürlich dafür, dass die Berliner rbb-Abendschau am Freitag etwas zu berichten hat…
Noch eine Gratiszeitung – noch mehr Abfall (sf.tv, Video, 4:45 Minuten)
Die fünfte Gratispendlerzeitung «News» erschien heute zum ersten Mal. Die vielen Gratiszeitungen bedeuten auch immer mehr Papierabfall. Den Städten reicht’s. Jetzt fordern sie eine vorgezogene
Abfallgebühr von den Verlegern der Gratisblätter.
Verdrängungskampf macht vorsichtig (werbewoche.ch, Markus Knöpfli)
Mit der Zahl der Gratistitel wächst auch die Vorsicht der Mediaplaner. Nach der missratenen Distribution von .ch erst recht. Auch die neuste Pendlerzeitung, News, muss deshalb mit Vorbehalten starten.
10.000 Euro für das Lied, 3000 Euro für den Anwalt (faz.net, Horst Brandl)
Kein Einzelfall: Frühmorgens klingelt es Sturm an der Haustür. Die Polizei beschlagnahmt alle Computer und Datenträger des selbständigen Grafikers, alle beruflichen Unterlagen. Warum? Der 13 Jahre alte Sohn hat Musik aus dem Internet heruntergeladen.
Auf Stefan Aust folgt die Diktatur des Volontariats (welt.de, Wolf Lotter) Eine Verschwörung von Missgünstigen hat ?Spiegel”-Chefredakteur Stefan Aust gestürzt. Mit ihm werden all jenen guten Schreiber gehen, die er aufgebaut hat. Jetzt kann die Koalition der Mittelmäßigkeit wieder ihren gefühlslinken Pamphletismus pflegen.
Wir fordern eine Entschuldigung von Mathias Müller von Blumencron (werkkanon.blogspot.com)
Zum Ende eines Jahres werden die Menschen harmoniebedürftig. Alle? Nein nicht alle. Spiegel Online-Chef Mathias Müller von Blumencron erhebt in der Zeitschrift ?Journalist? 12/2007 auf Seite 59 in der Geschichte ?Der neue Hype? von Thomas Mrazek schwere Vorwürfe gegen die Autoren Steffen Range und Roland Schweins. Er ärgert sich noch immer über die im April veröffentlichte Studie ?Klicks, Quoten, Reizwörter: Nachrichten-Sites im Internet?. Der Ärger muss groß sein.
Kein Schreibtischjournalismus (fr-online.de, René Martens)
Marc Thörner über seine Arbeit als Kriegsberichterstatter im Irak und das Staunen darüber.
Friedrich Küppersbusch, 46, ist Journalist und Fernsehproduzent und wurde einer breiten Öffentlichkeit als Moderator der WDR-Magazine “Zak” und “Privatfernsehen” bekannt. “Bild” nannte ihn damals “die messerscharfe Zunge vom WDR”. Seine Firma Probono, die für n-tv die tägliche Gesprächssendung mit Sandra Maischberger produziert hat, stellt für den Nachrichtensender heute unter anderem die Talkshows “Busch @ n-tv” und “Das Duell” her. Sie produziert außerdem für RTL die Sendung “Raus aus den Schulden”.
Von Friedrich Küppersbusch
Ich heiße Friedrich und bin “Bild”-Leser. Seit drei Jahren trocken, und die Zeitung heute für das Blog anzufassen, lässt mich ahnen, wie es wäre, aus übergeordneten Gründen nochmal eine rauchen zu müssen. Der Kompromiss — öfter mal eine anstecken, und zwar die “Bild” — mag der Maschinensturm der 68er gewesen sein, der stets jeder vernünftigen Oppositionsgründung vorausgeht.
Härter als “Bild” heute kann man einen Interviewpartner wohl nicht angehen. Im Kommentar links darüber völkelt Who-the-Vogg-Müller gegen “Kinderrechte im Grundgesetz”: “Notfalls müssen die Kleinen ihren Eltern viel schneller weggenommen werden…” — worin zum Beispiel FDJ und Pimpfe Bleibendes geleistet haben — denn sie, die Kinder “brauchen einen aktiven Staat und aufmerksame Nachbarn.” Blockwart statt Grundrecht, als Nächstes müsste die neue Juso-Chefin aus Müller-Vogg austreten und nicht nur aus der gegen ihn gemässigt linken “Roten Hilfe”. Bild textet das im Stile des Revierpächters beim Streckelegen:
Möchten Sie ein “e” kaufen? Nehmen Sie gleich zwei: In der notorischen “Pest von Wagner” geht’s diesmal um die Balina Luft. Wie man mit so wenig Buchstaben so wirksam das Gefühl stimulieren kann, sich sofort gründlich waschen zu wollen, wird mir ewig ein Rätsel bleiben. Wagner wagnert sich was vom Menschen als “das Größte” zusammen, der noch jede Naturkrise überstanden habe. Denn:
Ich weiß nicht, wie ein Rhinozeros schmeckt, aber ich hätte es aufgegessen.
Die Frage, ob man zum Überleben notfalls auch etwas sehr ekliges essen würde, hat das Rhinozeros anders beantwortet, Wagner kam durch. Immerhin darf er eine dissente Meinung zur Titelschlagzeile vertreten, die da dröhnt: “So machen wir unsere Erde kaputt — der erschütternde Bild-Report”.
Weltuntergang wird durch “Bild” erst schön, und damit nun keiner ernsthaft glaubt, es hätte was mit jedem Einzelnen zu tun, gurgelt man ebenfalls auf der Eins eine Untersuchung der Spritsekte ADAC hoch: Danach lohne sich der Invest für ein Öko-Auto, z.B. “Ford Focus Econetic”, erst bei einer Fahrleistung von “185.200 km” — pro Jahr.
Ich hätte lieber eine geraucht. Sensationell, wenn sich in drei Jahren gar nichts geändert hat.
Meine Frau und Mutter unserer Kinder teufelte damals: “Ich kauf’ für ein Höllengeld sauberes Essen im Ökomarkt, und Du schleppst den Dreck gedruckt ins Haus”, was schon allein deshalb sehr hart war, weil einerseits sie es sagte und es andererseits aber stimmte. In den Weihnachtsferien gebrach es mir an der Ausrede, es “beruflich tun zu müssen”. Bei Rückkehr in die politische Talk-Redaktion argwöhnte ich lange, in Debatten um Themen, Gäste, Herangehensweisen von den “Bild”-lesenden Kollegen mindestens hinterrücks als “so langsam hat der Alte ja gar keine Ahnung mehr” verspottet zu werden. Das blieb aus, zumal ich im Zweifel Wetten anbot, wie das Blutblatt eine in Rede stehende causa behandelt haben mochte. Dann musste ein Untergebener nachschauen. Man muss es sich einfach leisten können, das nicht selbst anzufassen.
Mich schreckt dieses Amalgam aus Voreingenommenheit, bedenkenloser Geschichtslosigkeit, ins Objektive gewandete Propaganda — und immer, immer der ungefragte Griff an andererleuts Unterleib. Vom Fickbrötchen-Foto auf der ersten Seite über viehische Details widerwärtiger Gewaltverbrechen bis zum dumpfen Volksempfinden und Schalkedoof — ich kann das nicht mehr lesen, ohne mich hinterher einer gewissen Mittäterschaft zu zeihen. Ich habe 50 Cent gegeben, damit ein namenloser Aasverwerter sich nochmal durch die Leiche einer Vierjährigen wühlt:
Der mysteriöse Tod der kleinen Leonie (4)
Einzig die Dachzeile darüber würde ich mir als Merkzettel für die nächsten drei Jahre gern aufbewahren:
Auf ihrer neuen täglichen Service-Seite und als Auftakt einer Serie “So machen Sie mehr aus Ihrem Geld” erklärte die “Bild”-Zeitung ihren Lesern am Samstag: “Wie Sie mit dem Internet Geld verdienen können”.
Grob unterscheiden lassen sich dabei zwei Möglichkeiten. Möglichkeit eins: Die Axel Springer AG verdient daran, wenn Sie im Internet Geld verdienen. Möglichkeit zwei: Die Axel Springer AG verdient nicht daran, wenn Sie im Internet Geld verdienen.
Leider hat die zu Axel Springer gehörende “Bild”-Zeitung, äh: vergessen, diese Unterscheidung kenntlich zu machen, also ihren Lesern zum Beispiel zu verraten, dass die Axel Springer AG im vergangenen Mai die Mehrheit an der von “Bild” wortreich empfohlenen Firma Zanox erworben hat.
Wenn man aber, wie Joachim Dethlefs es in seinem Blog “Journalist und Optimist” getan hat, die verschiedenen besprochenen Angebote im “Bild”-Artikel unterschiedlich farbig markiert…
…könnte man fast erraten, welchem Unternehmen die Zeitung geschäftlich verbunden ist. Alternativ hilft es, die Texte in der Rubrik “Und so handeln Sie im Netz” zu vergleichen, in denen es u.a. heißt:
Als Zanox-Nutzer haben Sie mit der Warenlieferung nichts zu tun. Die übernimmt der Händler, bei dem der Kunde gekauft hat.
Haben Sie etwas bei Ebay verkauft, müssen Sie nach Bezahlung die Ware an den Käufer verschicken. Die Versandkosten trägt der Käufer. Auch bei Amazon-Verkäufen verschicken Sie die Ware. Versandkosten werden erstattet.
Der Service von Zanox ist für Sie kostenlos. Wer bei Ebay verkauft, zahlt Gebühren! Das Anbieten von Ware kostet ab 0,25 Euro (je nach Startpreis), nach dem Verkauf kassiert Ebay max. 5 Prozent des Kaufpreises (je nach Höhe des Preises).
Amazon nimmt pro erfolgreichen Verkauf 1,14 Euro Gebühr, dazu 10 bis 15 Prozent des Verkaufspreises (je nach Produkt).
Alles, einfach alles scheint für dieses tolle Zanox-Angebot zu sprechen, ähnlich wie für Äpfel als Vitaminspender, wenn man sie mit Schaufelradbaggern vergleicht. Denn “Bild” vergleicht den Gebrauch von sogenannten Affiliate-Links (über Zanox), in denen man nur Werbepartner ist, mit dem Verkauf eigener Produkte (über Amazon oder Ebay), der natürlich ein bisschen aufwändiger ist. Dass auch Amazon ein Affiliate-Programm anbietet, erwähnt “Bild” nicht.
Die Werbewoche hat heute einen guten Tag mit mehreren lesenswerten Beiträgen: Christoph Keese äussert sich zur Zensurdebatte vom Mai, Markus Knöpfli zählt Gratisleser auf der Strasse und Oliver Fahrni erklärt die Medienökologie. Da verweisen wir doch gerne mal gesondert drauf.
Ja, ich habe ihn vom Netz genommen, weil ich ihn für unveröffentlichbar hielt. Das aber ist keine Zensur, sondern Redigatur – ein normaler redaktioneller Vorgang. Wesensmerkmal des Bloggens ist, dass der Blogger niemanden fragt, bevor er sendet. Wir hatten – es gibt mittlerweilen ein Fachwort dafür – Brand-Blogs auf der Seite, also Blogs, die unter der Dachmarke Welt.de laufen. Solche Brandblogs müssen aber zur Marke passen. Den fraglichen Text hätte ich in der Zeitung nicht gedruckt – nicht, weil er Diekmann kritisierte, sondern weil er sprachlich und argumentativ nicht unserem Niveau entsprach. Deswegen konnte der Text auch nicht online erscheinen. Übrigens haben wir eine lebhafte, durchaus kritische Debatte über Diekmanns Buch in Zeitung und Internet geführt, aber eben in der Art und Weise, wie eine Qualitätszeitung das tun sollte.
Der Aufschrei damals war gross, aber dass Alan Posener Ende Oktober indreiTeilen einen neuen Versuch gewagt hat (oder dazu verknurrt wurde), Kai Diekmanns Werk auseinanderzunehmen, hat kaum jemand gemerkt (wahrscheinlich, weil niemand Welt Online liest – die können sogar ihr Design überarbeiten, ohne dass es jemand beachten würde…).
Lieb, links und auf der Liste (faz.net, Harald Staun)
Bei der Suche nach einem Nachfolger von Stefan Aust zeigen die Verantwortlichen vom ?Spiegel? keine souveräne Haltung. Selbst ?Spiegel?-Mitarbeiter sind irritiert, wie sich die Gesellschafter bei der Suche nach einem neuen Chef anstellen.
Auf dem Weg zu einem panasiatischen Bewusstsein? (nzz.ch, Hoo Nam Seelmann)
Dass in Ostasien die Zivilgesellschaft wächst, zeigt sich an der Ausbreitung einer länderübergreifenden Popkultur. Mit grosser Selbstverständlichkeit werden in Japan, Südkorea, China und Taiwan Filme, Fernsehserien, Comics, Popmusik, Mode, Zeitschriften und Bücher selbst aus Nachbarländern konsumiert, mit denen man historisch verfeindet ist. Etwas Neues ist hier am Entstehen, das womöglich auch politisch Folgen haben wird.
Uran sucht Geigerzähler (zeit.de, Jens Jessen)
Harald Schmidt und sein “Nazometer”: Die Medien betreiben den Tabubruch und leben von der Empörung darüber.
Mercurius (vanityfair.de, Rainald Goetz)
Zu viel geheimes Wissen zirkuliert im Journalismus.
So schrecken wir die Afrikaner ab (blick.ch, Marcel Odermatt und Christof Moser)
Aufgedeckt: Mit einem TV-Spot macht der Bund Negativreklame für die Schweiz – um Afrikaner von der Einwanderung abzuhalten.
Ostalgie-Messe (spiegel.de, Yasemin Yüksel, Video, 2:59 Minuten)
Wie die DDR im Kapitalismus ankommt.
Peter Heinlein, 56, ist so eine Art Söldner der Medienbranche. Er stand unter anderem schon in den Diensten von “Spiegel”, “Welt am Sonntag”, “Handelsblatt”, “Bunte” und “Max” und zeichnete sich immer durch Artikel über die Medien- und Werbebranche aus, die seine jeweiligen Auftraggeber ganz besonders glücklich machte. Er hatte keine Skrupel, seine Kolumnen ganz in den Dienst der Verlagsinteressen zu stellen, egal, ob das bedeutete, besonders gehässig über die Konkurrenz zu lästern, besonders üppig die eigenen Erfolge herauszustellen oder besonders ungeniert den Werbekunden zu schmeicheln.
Für die “Bunte” porträtierte er vor einigen Jahren in einer großen Reihe Werber. Die Artikel hatten programmatische Überschriften wie “Das ist ein wirklich kluger Kopf!”, “Der Hugh Grant der Werbung”, “Dieser Typ ist ‘ne echte Marke”, “Ein Turbo-Werber macht Druck” oder “Der smarte Werbe-Künstler”. Für “Max” schrieb er über die Agentur Crispin Porter + Bogusky (“von der die derzeit beste Werbung der Welt kommt”), die Agentur Jung von Matt (“Deutschlands beste Werbeagentur”), die Agentur Heimat (“der kreativste Werberladen Deutschlands”).
“Viele Websites bieten inzwischen bewegte Bilder an. Aber bei Bild.T-Online gibt’s ab sofort eine eigene Web-TV-Show. BILD live sendet zweimal täglich das Neueste von Stars aus Entertainment und Sport.
Das neue Videoformat wird von meiner Hamburger Kollegin Julia Josten präsentiert. Dazu wählt die Online-Redaktion in Berlin das Interessanteste aus der Fülle des internationalen Themenangebotes aus. (…) Es macht richtig Spaß, [mit dem Videoplayer] durch die aktuellen Newsfilme zu “blättern”, sich Kinotrailer, Musikclips oder Videos der Community auf den Schirm zu holen.”
Quelle: Bild.de
Vor gut drei Jahren ist er mit seiner Medienkolumne zu “Bild” gezogen, und man kann nicht sagen, dass ihn ein Rückgrat bei der Arbeit behindere. Er scheut sich zum Beispiel nicht, Interviews anderer Leute so auf Links zu krempeln, dass sie sich als Lob auf die Zeitung verkaufen lassen, für die Heinlein schreibt (wir berichteten). Wenn er für Bild.de über Probleme bei der Münchner “Abendzeitung” berichtet, flicht er, wie als Erklärung, den Satz ein: “Modernen Boulevard bietet in München die BILD-Zeitung.” Und zur Post und ihrer neuen Konkurrenz durch die PIN-AG fällt ihm zufällig exakt das ein, was auch Linie der Axel-Springer-AG ist, der die PIN-AG gehört, was für Heinlein aber anscheinend keine für die Leser relevante Information darstellt.
Heinlein kann nicht nur positiv. Wenn es um die (auch von Chefredakteur Kai Diekmann nicht geschätzte) “Zeit” geht oder den Verlag Gruner+Jahr, findet er gern ein böses Wort, und den “Geo”-Chef Peter-Matthias Gaede scheint er besonders wenig leiden zu können:
Bevor der gern kritische Journalistik-Papst des Hauses Gruner + Jahr und König der “GEO”-Gruppe, Peter-Matthias Gaede, im Aufsichtsrat seines Verlages neue Weihen erhält, darf er abgeben von seiner Machtfülle.
Aber man täte Peter Heinlein Unrecht, wenn man jedem seiner Texte unterstellte, er habe ein erklärtes publizistisches Ziel. Viele sind auch einfach, sichtlich unredigiert, dahingeworfen. Ein Höhepunkt aus dem Genre “Eh-Egal” findet sich in Heinleins heutiger Bild.de-Kolumne:
Das immer beliebter werdende digitale Aufzeichnen mit automatischem Herausschneiden der Fernsehreklame hat TV-Werber in den USA auf neue Ideen gebracht. Dort gibt’s nämlich schon Fernsehen im Supermarkt. In den Läden der “Wal-Mart”-Kette zum Beispiel, wo sich Leute beim Einkaufen im Schnitt eine Stunde aufhalten. Dort werden sie jetzt zunehmend mit TV-Werbung berieselt. Ausschalten geht nicht, pinkeln auch nicht. Die Werbeerinnerung dort ist mit 56 Prozent deutlich höher als beim Zuhause Gucken (21 Prozent), ergab eine US-Studie.
Nach “Ford Unilever” und “Gilette” will jetzt auch die US-Navy diesen Kanal nutzen und für ihr PC-Spiel “Call of Duty” werben.
Offenbar hat Heinlein diesen Artikel aus der amerikanischen Fachzeitschrift “Brandweek” zum Thema gelesen. Oder besser: flüchtig überflogen. Denn mal abgesehen davon, dass Ford und Unilever zwei verschiedene Unternehmen sind, dass sich Gillette mit Doppel-L schreibt und es vielleicht wichtig gewesen wäre, darauf hinzuweisen, dass die “US-Studie” mit den für das Wal-Mart-Fernsehprogramm so vorteilhaften Ergebnissen von dem Produzenten des Wal-Mart-Fernsehprogramms erstellt wurde… also, mal abgesehen davon ist das PC-Spiel “Call of Duty” natürlich nicht von der US-Navy. Die “Brandweek” hatte nur darauf hingewiesen, dass jugendliche Käufer dieses Kriegsspiels doch die perfekte Zielgruppe wären für die eigene Werbung der US-Navy im Ladenfernsehen (bei GameStop übrigens, nicht Wal-Mart).
Da muss man schon sehr schludrig arbeiten, um all das, wie Heinlein, misszuverstehen. Aber es geht in diesem Fall ja auch nicht um “Bild”, die Axel-Springer-AG oder ihre Konkurrenten.
Nachtrag, 22. November: Bild.de hat die Wal-Mart-Meldung aus Heinleins Kolumne ersatz-, wort- und restlos gelöscht.
Oliver Santen war früher Pressesprecher bei der Allianz-Versicherung und der Axel-Springer-AG. Und man kann sagen, dass ihn diese Jahre ganz gut vorbereitet haben auf seine jetzige Position als Ressortleiter Wirtschaft bei “Bild”. Das heutige Arrangement aus glückstrahlendem Lufthansa-Chef, Bambusgehölz, Wasser und Werbespruch auf der Seite 2 der Zeitung (siehe Ausriss) hätte kein Lufthansa-Werbechef schöner komponieren können. Und tatsächlich ist das große Foto ein Werbebild aus dem Lufthansa-Magazin, und der Satz aus der Überschrift stammt nicht von Wolfgang Mayrhuber, sondern von Oliver Santen — der Lufthansa-Mann musste im Interview nur “Ja, so ist das!” dazu sagen.
Bei Santen geben sich die Wirtschaftsführer gerade die Klinke in die Hand, und hinter der Tür erwartet sie eine in mildes Licht getauchte PR-Plattform, in der sich kein Widerspruch, keine Recherche, keine unangenehme Nachfrage zwischen ihre Botschaft und die “Bild”-Leser stellt. Allein in diesem Herbst spielte Santen u.a. Mikrofonhalter für:
Das heutige Kuschelgespräch mit Lufthansa-Chef Mayrhuber passt ganz gut zur gleichzeitig von “Bild” gemeinsam mit Greenpeace, dem BUND, dem WWF und anderen veranstalteten Aktion “Rettet unsere Erde”, die dazu auffordert, am 8. Dezember für fünf Minuten “für unser Klima” das Licht auszuschalten. Wer es gelesen hat, wird im Sinne des Umweltschutzes den Satz “Öfter mal das Auto stehen lassen…” mühelos vervollständigen mit “…und lieber das Flugzeug benutzen”.
Auf die Stichworte des “Bild”-Redakteurs referiert Mayrhuber unter anderem, dass “unsere Erde es gar nicht merken würde”, wenn man morgen den Flugverkehr in Europa vollständig striche; dass die Lufthansa-Flotte pro Passagier nur 4,4 Liter Benzin auf 100 Kilometer verbrauche, und dass ab 350 Kilometern Entfernung das Flugzeug umweltfreundlicher sei als Auto oder Bahn.
Und Oliver Santen hat entweder nichts auf seinem Zettel stehen, was dem entgegen steht. Oder sieht keine Veranlassung dazu, am grünen Lack, den seine Zeitung dem Lufthansa-Mann auftragen hilft, gleich wieder zu kratzen.
Das hat stattdessen “Spiegel Online” getan, mit Methoden, die man bösartig als “journalistisch” bezeichnen könnte. Offenbar spricht nicht ganz so viel für das Fliegen, wie der Lufthansa-Chef behauptet, wenn man berücksichtigt, dass Flugzeuge nicht nur CO2 ausstoßen, sondern auch Stickoxide und Wasserdampf, die das Klima wesentlich und negativ beeinflussen. Um die Klimabelastung realistisch zu bewerten, müsse der reine CO2-Ausstoß verdoppelt bis verfünffacht werden. Auch bei Distanzen von weit über 350 Kilometern habe damit nach verschiedenen Berechnungen das Flugzeug eine schlechtere Umwelt-Bilanz als das Auto oder die Bahn.
“Spiegel Online” hatte auch die originelle Idee, bei der Lufthansa einfach mal nachzufragen, wie ihr Chef auf die Schwelle von 350 Kilometern kommt. Die Antwort: Er hat sie von seinen Leuten schätzen lassen. Genaue Zahlen gebe es aber nicht.
Sehen Sie? Recherche bringt nichts. Das verwirrt die Leute nur. Wieviel klarer ist da ein Merksatz wie: “Wer die Umwelt liebt, der fliegt!” Der, wie gesagt, nicht vom Lufthansa-Chef stammt. Sondern vom “Bild”-Mann mit Pressesprecher-Erfahrung.
“Bild” fühlt sich heute durch das Coming-Out von Anne Will animiert, die Sexualpsychologin Christine Baumanns zu fragen: “Was ist bei lesbischer Liebe anders?” Konkret will “Bild” wissen, ob das Lesbischsein angeboren ist — “oder sind die Männer schuld?” Und Baumanns antwortet, bei manchen Lesben sei das genetisch, “viel häufiger ist aber eine große Enttäuschung mit einem Mann der Auslöser” (siehe Ausriss links). Wir sprachen darüber mit Renate Rampf, der Sprecherin des Lesben- und Schwulenverbandes (LSVD).
Renate Rampf: Die Behauptung, dass Frauen lesbisch sind, weil sie enttäuscht sind, ist völliger Unsinn. Dann müsste Deutschland zu 90 Prozent lesbisch sein. Meiner Erfahrung nach sind die meisten Frauen, die schwerwiegende, dramatische Enttäuschungen mit Männern erleben, heterosexuelle Frauen. Die werden verlassen, die werden betrogen, die werden geschlagen — manche haben natürlich auch ganz wunderbare Beziehungen. Aber wo Liebe ist, ist auch Enttäuschung, und deshalb gehe ich mal davon aus, dass die Enttäuschung von den heterosexuellen Frauen gegenüber den heterosexuellen Männern viel größer ist. Lesbische Frauen sind meistens gar nicht so enttäuscht von Männern, sie erwarten nicht so viel. Sie haben Freunde, sie haben Kollegen, sie haben Väter, sie leben mit denen so, wie Männer eben auch mit anderen Männern und anderen Frauen jenseits der Sexualität leben. Wir Lesben haben, ich möchte mal sagen, ein unspektakuläres Verhältnis zu Männern.
Wie “Bild” über Lesben berichtet
Claus Jacobi, “Bild”, 18.11.2006:
Ein Gericht im nahen New Jersey hat entschieden, dass zwei zusammenlebende Lesben als Eltern eines Neugeborenen anerkannt werden können. Und das ist auch gut so. Der Fortschritt ist nicht aufzuhalten. Unbeantwortete Nebenfrage: Wie kam die eine Lesbe zu dem Kind?
Claus Jacobi, “Bild”, 2.9.2006:
Ab Juni 2007 wird in Berlin ein Mahnmal an die “im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen” erinnern. Nach dem Entwurf soll im Innern ein Filmbild zwei einander küssende Männer zeigen. (…) Sogleich warnte der Regierende Bürgermeister von Berlin Klaus Wowereit in “Emma” davor, “weibliche Homosexuelle” auszugrenzen und die Vorsitzende des Bundestags-Kulturausschusses, Monika Griefahn (SPD), die den Mahnmal-Entwurf “schlicht unangebracht” findet, möchte auch “ein küssendes Frauenpaar” sehen. Und das ist dann gut so?
“Bild”, 22.7.2006:
SIND DIE WIRKLICH ALLE ANDERSRUM? 450 000 Männer und Frauen werden heute in Berlin zum Christopher Street Day erwartet, der Parade der Schwulen und Lesben. Aber nicht alle, die kommen, sind auch wirklich so. Hier sehen Sie fünf junge Frauen, die mittanzen wollen. Schauen Sie sich die Bilder an und raten Sie, wer welche Vorlieben hat.
“Bild”, 1.6.2006:
Tina hat Sex mit Bette. Jenny knutscht mit Marina. Shane vernascht eine Nackte im Swimmingpool. Frauen lieben Frauen in der neuen TV-Serie “The L-Word” (…). Doch nur eine der Hauptdarstellerinnen ist auch im richtigen Leben lesbisch. Raten Sie mal, welche …
“Bild”, 10.5.2006
Lesbe (taubstumm) sticht Lesbe (taubstumm) nieder
… weil sie sie mit einem Mann (auch taubstumm) betrogen hat
“Bild”, 1.4.2006:
Jetzt packt Jürgen Krust (62) aus. Er war zwölf Jahre lang Trainer beim Bundesligisten FCR Duisburg, wurde dreimal Deutscher Meister. Sein Vorwurf: Intrigen, Eifersucht & Zicken-Zoff sind Alltag im Frauen-Fußball.
Krust über Homosexualität: “30 bis 50 Prozent der Fußballerinnen fühlen sich zum gleichen Geschlecht hingezogen. Die gleichgeschlechtliche Liebe ist aber zum größten Teil keine echte. Der hohe prozentuale Anteil der Lesben-Liebe hängt vor allem mit dem Zeitfaktor zusammen. Die Mädels sind an sechs Tagen in der Woche bis spät abends für den Fußball unterwegs. Sie haben kaum noch Zeit woanders hinzugehen. Es ist einfach problematisch, einen passenden Mann zu finden. Sie gehen dann den Weg des geringsten Widerstandes und verlieben sich innerhalb der Mannschaft. Natürlich gibt es auch ein paar echte Lesben. Die versuchen dann ihre Macht auszuspielen. Beim Hallen-Fußball-Masters zum Beispiel gibt es eine Players-Night. In internen Kreisen lautet das Motto: Heteros knacken.”
Claus Jacobi, “Bild”, 21.1.2006:
Das ist die Welt, in der wir leben: In Hamburg kann jeder fünfte Schulanfänger nicht richtig Deutsch. Das Fernsehen plant Serien über Schwule und Lesben. “Ich wollte ihn nur essen, nicht töten”, verteidigt sich ein Angeklagter vor Gericht. Manager, die Konzerne an den Rand der Pleite führten, erhalten zum Abschied Millionen Euro und Limousinen auf Lebenszeit. Deutsche Atomkraftwerke, die zu den sichersten der Welt zählen, sollen abgeschaltet werden. Die grüne Claudia Roth schwärmt von “Interkulturalität”. Eine Blinde möchte mit ihrem Blindenhund ins Kino. Susanne Osthoff wird für den Grimme-Preis vorgeschlagen. Schöne neue Welt …
“Bild”, 13.10.2005:
Lesben-Küsse im TV Ulrike Folkerts
Berlin – Privat küßt TV-Kommissarin Ulrike Folkerts (44, “Tatort”) schon lange nur noch Frauen. Jetzt tut sie es auch beruflich … (…) Für Barbara Rudnik, die privat nur Männer liebt, ist es der erste Lesben-Kuß. Wie fühlt es sich an, die Lippen einer Frau zu spüren?
“Bild”, 19.8.2005:
Lesben-Liebe
Ihr Ex jammert: Wir hatten doch so großartigen Sex!
“Bild”, 28.1.2005:
Die Geheimnisse der Liebe. Teil 4: Lieben Schwule und Lesben besser?
(…) Für Frauen sind Erfahrungen mit dem gleichen Geschlecht besonders wertvoll. (…) Vorsicht aber bei Dreiern. Mancher Mann träumt davon, daß zwei Frauen miteinander zärtlich sind. Sieht er es dann, kommt die Eifersucht: Er fühlt sich ausgeschlossen – gegen eine Frau kann er nie konkurrieren.
“Bild”, 28.12.2004:
Lesben-TV! Kommt das etwa auch zu uns?
“Bild”, 8.10.2004
Pocht das Herz der RTL-Lesbe jetzt für einen Mann? Dieser Frauen-Sex war wohl nicht scharf genug…
“Bild”, 9.8.2004:
Scheidung auf lesbisch: Erst Liebe, dann Hiebe!
“Bild” lässt sich erklären, warum Frauen lesbisch werden. Geht das überhaupt?
Renate Rampf: Grundsätzlich gilt für mich: Wer fragt, verdient eine Antwort. Insofern darf natürlich auch die Frage nach der Ursache für Homosexualität gestellt werden. Die Antworten sollten dann nur schon möglichst reflektiert sein. Wir müssen darauf hinweisen, dass die Frage “Warum ist eine Frau lesbisch?” genauso sinnvoll ist oder genauso unsinnig wie die Frage “Warum ist eine Frau heterosexuell?” Wir müssen auf beides antworten: “Wir wissen es nicht.” Wissenschaftlich ist das oft erforscht worden, leider meistens mit der Absicht, Homosexualität zu verhindern oder auszumerzen, und trotz all dieser Versuche kann man dazu nichts sagen. Die Suche nach dem “homosexuellen Gen” hat bis jetzt keine Ergebnisse gebracht, genauso wenig wie die Suche nach dem “heterosexuellen Gen”.
Es gibt lesbische Frauen, heterosexuelle Frauen, bisexuelle Frauen, es gibt Frauen, die viele, viele Jahre heterosexuell leben und dann mit 40 ihr Coming Out haben und ganz glücklich sind, aber vorher auch glücklich waren.
Was halten Sie von Fragen wie “Was ist bei lesbischer Liebe anders”?
Renate Rampf: Jede Liebe ist einzigartig. Das Traurige ist, dass wir in einer Gesellschaft leben, die wissenschaftlich betrachtet auch Patriarchat genannt wird, in der bestimmte Formen des Liebens mehr respektiert werden als andere. Die Form, die mehr geschätzt wird, ist die heterosexuelle, man macht es also am Geschlecht der Liebenden fest. Sinnvoller wäre es natürlich, es beispielsweise daran festzumachen, was die Liebenden einander geben, wie treu sie sind, was ihre Liebe für die Gesellschaft bedeutet.
Können Sie sich erklären, warum das Interesse an dem Coming Out von Anne Will im Jahr 2007 immer noch so groß ist? Sind Lesben für die Öffentlichkeit interessanter als Schwule?
Renate Rampf: Die Lesben und Schwulen haben in den letzten zwanzig, dreißig Jahren sehr viel gekämpft für eine öffentliche Anerkennung, wir haben jetzt die Lebenspartnerschaft, und wir haben offen schwule Bürgermeister und Politiker. Die Lesben haben da eine gewisse Leerstelle hinterlassen. Die Bürgerinnen und Bürger wollen jetzt wissen: “Wie sieht denn die Lesbe eigentlich aus?” Man hat schon ein Bild von Klaus Wowereit und Ole von Beust, aber die Lesbe an sich bleibt unbekannt. Es gibt nur so gewisse Schraffierungen: Manche denken, dass sind Frauen, die sich viel in Baumärkten rumtreiben, andere denken an Fußballerinnen, aber eigentlich weiß man oder frau nicht, wie eine Lesbe ist. Ich glaube, es gibt ein öffentliches Bedürfnis zu sehen, wer oder was die Lesben sind. Da wird man schnell feststellen: Es sind irgendwie ganz normale Frauen, es gibt solche und solche — lange Haare, kurze Haare, ganz besonders hübsche und einige, die sturznormal aussehen. Von den Lesben selber wiederum gibt es auch ein starkes Bedürfnis danach, dass jetzt endlich Frauen den Weg vorgehen und öffentliche Präsenz zeigen.
Denken Sie, dass das Interesse an Lesben und die häufige Fokussierung auf Sex daher kommt, dass viele Männer die Vorstellung von Lesbensex besonders anregend finden?
Renate Rampf: Sex ist an sich eine anregende Sache, es gibt auch keinen Grund, darüber nicht zu sprechen oder zu schreiben. Leider ist es so, dass sich die öffentliche Diskussion meistens nicht für Lesben interessiert. So wird zum Beispiel häufig in den Medien von der “Schwulenehe” gesprochen, obwohl es selbstverständlich eine Lesben- und Schwulenorientierte Lebenspartnerschaft ist. Das Interesse an Lesben ist nicht größer; es ist eher so, dass wir unter der Tradition der Unsichtbarkeit leiden. Lesbischsein wird erst dann als Lesbischsein gewertet, wenn wir öffentlich sagen: “Wir machen Sex mit Frauen!” Und dann haben wir das Problem, dass dann alle über Sex reden wollen.
Freuen Sie sich, wenn eine Zeitung wie “Bild” versucht, Aufklärung zu betreiben?
Renate Rampf: Ich freue mich, wenn über Lesben gesprochen wird. Ich hab mich auch gefreut, als es die Sendung “Hinter Gittern” gab, in der ja auch mehrere Lesben vorkamen und prominent besetzt waren. Noch mehr habe ich mich aber gefreut, als die lesbische Liebe nicht mehr hinter Gittern war. Man muss über Lesben schreiben, und das führt auch dazu, dass auch Falsches über Lesben geschrieben wird. Aber es ist besser, mal ins Fettnäpfchen zu treten und etwas zu sagen, was nur die Wiederholung eines Vorurteils ist, als überhaupt nicht über Lesben zu sprechen. Für die lesbischen Mädchen, die keine Vorbilder haben, für die lesbischen Frauen, die sich orientieren müssen, ist es gut und wichtig, dass das Thema auf der Tagesordnung steht. Lieber wäre mir natürlich, wenn man auch ein bisschen differenzierter aufklärt.
Insgesamt freuen Sie sich aber, dass das Thema durch das Coming-Out von Anne Will in die Presse gekommen ist und sich Leute damit auseinandersetzen?
Renate Rampf: Ja. Lesben sind überall, es sind Journalistinnen, Ärztinnen, Busfahrerinnen, Straßenbahnfahrerinnen, es sind Ministerinnen, Bürgermeisterinnen und und und. Wir hoffen, dass noch eine und noch eine und noch eine sich dazu bekennt, und ich freue mich, wenn ganz viel darüber geschrieben wird.
Möglich ist natürlich, dass sich über Musikvideos, die Bild.de auf der Startseite zeigt, automatisch diese gelbe “Exklusiv”-Schleife oben links legt. Und dass die Rubrik “Videopremiere” fest voreingestellt ist. Und dass das Redaktionssystem verhindert, dass ein Musikvideo veröffentlicht wird, solange in der Überschrift nicht mindestens zwei der drei Begriffe “brandneu”, “schon jetzt” oder “enthüllt” auftauchen.