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1. “Bild gewinnt. Gegen den Journalismus” (print-wuergt.de, Michalis Pantelouris)
Michalis Pantelouris kommentiert die Verleihung eines mit 10.000 Euro dotierten Medienpreises an die “Bild”-Mitarbeiter Nikolaus Blome und Paul Ronzheimer: “Für mich bedeutet die Auszeichnung der Werke dieser beiden auch eine weitere und vielleicht entscheidende Niederlage des Journalismus, wie ich ihn verstehe.” Siehe dazu auch unseren Artikel “Pleite-Journalisten”.
3. “Im Zweifel für den Angeklagten: Freispruch nach einer spektakulären Medienschlacht” (swr.de, Audio, 15:11 Minuten)
Kachelmann II: Die Lager der Medien hätten sich geteilt in Burda und “Bild” auf der einen, “Zeit” und “Spiegel” auf der anderen Seite. Hans Mathias Kepplinger: “Die Staatsanwaltschaft, nicht nur in diesem Fall, spielt zunehmend eine aktive Rolle, wenn es um die Kontakte zu den Medien geht. Im Grunde greifen die Staatsanwälte zunehmend Verfahren der Verteidigung auf. Die Verteidiger gehen schon seit seit langem aktiv an die Medien, um das Meinungsklima im Interesse ihres Mandanten zu beeinflussen. Und die Staatsanwälte verfahren auch so. Das ist beides eine problematische Entwicklung.”
4. “Und das wollen Journalisten sein?” (faz.net, Michael Hanfeld)
Kachelmann III: Michael Hanfeld kritisiert eine einseitige und parteiische Berichterstattung der Konkurrenz. “Wer sich in den vergangenen Monaten über diesen Prozess allein aus ‘Spiegel’, ‘Zeit’, ‘Bild’ oder ‘Bunte’ informierte, war ziemlich schief gewickelt. Keine Rede mehr von der gebotenen journalistischen Distanz.”
5. “Die Mär vom unvoreingenommenen Journalismus” (indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
Und auch Thomas Knüwer widmet sich dem Thema Objektivität: “Journalisten balancierten schon immer auf diesem Drahtseil. Einerseits sollten sie unvoreingenommen sein, andererseits Menschen mitnehmen, ja, mitreißen – und die Klientel eines Mediums bedienen. Der Sturm des Medienwandel pustet sie nun gleich reihenweise vom Seil.”
6. “Ninety gaffes in ninety years” (independent.co.uk, Hannah Ewan, englisch)
Der Ehemann der britischen Königin, Prinz Philip, wird 90. Der “Independent” zitiert dazu 90 Sätze aus seinem langen Leben.
Wenn es nach “Bild” ginge, würde jeder Tatverdächtige einfach weggesperrt — ohne diese lästigen Prozesse und am Besten bis ans Ende seines Lebens. Dass es in einem Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Gesetze und Vorschriften gibt, die so etwas Schwerwiegendes wie Freiheitsentzug regeln, ist der Zeitung entweder unbekannt oder egal.
In Köln soll ein Jugendlicher, ja: eigentlich ein Kind, einen gleichaltrigen Mitschüler so stark zusammengeschlagen haben, dass dieser in ein künstliches Koma versetzt werden musste und inzwischen hirntot ist.
Der eine Junge (14) ringt auf der Intensivstation mit dem Tod. Sein Mitschüler (14), der ihm das angetan hat, geht praktisch unbehelligt nach Hause…
Nach einer Nacht im Polizeigewahrsam wurde der 14-jährige Hassan* gestern von der Polizei seinen Eltern übergeben.
Oder, etwas knapper in der Überschrift:
Eine gut gespielte Vorlage für den Volkszorn, der laut kreischend wieder diese eine Frage stellen darf: “Warum?”
Die Antwort käme ausgerechnet vom “Express”, der anderen, erfolgreicheren Kölner Boulevardzeitung:
Sachlich schildert der “Express”, warum das Gesetz “eindeutig” ist und dass die “Schranken für eine U-Haft” bei Jugendlichen, die jünger als 16 Jahre sind, noch mal höher seien.
Bisschen schade nur, dass diese Erklärung nicht unter dem Artikel verlinkt ist, in dem der “Express” über eine Demonstration gegen die “Freilassung” des mutmaßlichen Täters berichtet.
Ganz spurlos geht die Kritik einiger Medien und Politiker an der “Bild”-Hetzkampagne gegen Griechenland nicht vorbei. Zumindest erachteten es die beiden Redakteure Nikolaus Blome und Paul Ronzheimer, die sich regelmäßig mit den “Pleite-Griechen” befassen, für notwendig, sich zu rechtfertigen.
Statt Selbstkritik zu üben, wie es in diesem Fall berechtigt wäre, holten die beiden vergangene Woche aber lieber zum Rundumschlag aus, bei dem das “leider” in der Überschrift vor Schadenfreude nur so trieft:
Anhand von neun äußerst willkürlich gewählten “Bild”-Aussagen über Griechenland aus dem Jahr 2010 versuchen Blome und Ronzheimer die Hetze zu rechtfertigen.
Und was soll man sagen? Natürlich hatte “Bild” nicht recht, aber die Aufzählung passt perfekt ins Bild der ganzen verlogenen Kampagne.
“Bild” zum Thema Privatisierungen:
“Verkauft doch eure Inseln!” schreibt BILD im März 2010.
Bundestagspräsident Norbert Lammert meint daraufhin, sich beim griechischen Parlamentspräsidenten entschuldigen zu müssen. (…)
Im Mai 2011 schreibt der britische “Economist” über den damaligen BILD-Bericht: “Damals klang es nach krassem Populismus. Heute ist es die Aussage der europäischen Finanzminister.”
Damals wie heute ist diese Forderung von “Bild” krasser Populismus — zumal die volle Schlagzeile lautete: “Verkauft doch eure Inseln, ihr Pleite-Griechen …und die Akropolis gleich mit” (letztere Forderung wiederholte “Bild” zur Sicherheit vor zwei Wochen). Man stelle sich den Aufschrei hierzulande vor, wenn Deutschland aufgefordert würde, Teile des eigenen Staatsgebietes oder ein Wahrzeichen wie das Brandenburger Tor zu verkaufen.
Michalis Pantelouris bringt es in einem Kommentar in seinem Blog “Print Würgt” auf den Punkt:
Für Griechen, die Deutsche noch als Besatzer kennen, ist das emotional hochbelastet, und das zu recht.
“Bild” weiter:
Tatsächlich hat Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen öffentlich kritisiert, dass Griechenland noch “für keinen Euro privatisiert hat”.
Nun will Griechenland im Höchsttempo 50 Mrd. Euro Staatsbesitz verkaufen (privatisieren): Beteiligungen an Konzernen – und Immobilien aus Staatsbesitz.
Nur weil Asmussen das sagt, ist es noch lange nicht richtig. Es mag dem Staatssekretär vielleicht nicht schnell genug gehen, aber seit Beginn der Krise wird in Griechenland privatisiert, was das Zeug hält, wovon auch deutsche Firmen wie etwa die Telekom profitieren.
“Bild” zum Thema Austritt aus der Eurozone:
“Tretet aus, Ihr Griechen!”, kommentiert BILD im April 2010.
Die Idee wird heftig attackiert. (…)
Ein Jahr später sieht es anders aus. In einem vertraulichen Papier des Bundesfinanzministeriums wird die Austritts-Variante ernsthaft diskutiert.
Viele Wirtschaftsexperten sind dafür, u. a. Ifo-Chef Sinn sagt: “Der Euro-Austritt wäre das kleinere Übel.”
Dass “Bild” alles daran setzt, um Stimmung für einen Austritt oder gar Rausschmiss Griechenlands aus der Eurozone zu machen, hat BILDblog erst kürzlich aufgezeigt. Aber: Auch wenn “Bild” etwas anderes behauptet, sind sich nahezualleWirtschaftsexperteneinig, dass ein Austritt Griechenlands nicht in Frage kommt. Auch Ifo-Chef Sinn betonte hinsichtlich seiner Äußerung, der Euro-Austritt wäre das kleinere Übel:
Dies sei aber keine Empfehlung gewesen, präzisiert er nun, er habe lediglich die Möglichkeiten aufgezählt; die Journalisten neigten dazu, Dinge zu überspitzen.
“Bild” zum Thema Pleite:
“Ihr Pleite-Griechen”, so nennt BILD im Frühjahr 2010 das Land, das um EU-Milliarden bitten muss.
Das will die griechische Regierung natürlich nicht wahrhaben. (…)
Heute klingt das ganz anders, dramatisch.
Finanzminister Giorgos Papakonstantinou warnte Anfang der Woche vor einem Ausbleiben weiterer Kredit-Milliarden: “Wenn das Geld bis Ende Juli nicht kommt, müssen wir die Rollläden runterlassen. Der Staat wird dann alle Zahlungen einstellen.” Das nennt man Staatspleite.
Auch wenn “Bild” das offensichtlich anders sieht: Das Problem bei einer Formulierung wie “Pleite-Griechen” ist weniger die Frage, ob Griechenland letztlich irgendwann wirklich pleite ist, sondern die Tatsache, dass es sich um eine verallgemeinernde Beleidigung handelt, bei der ein komplettes Volk stigmatisiert wird — und zwar immer und immer wieder. Eine Suche auf Bild.de ergibt 125 verschiedene Artikel, in denen der Begriff “Pleite-Griechen” verwendet wird.
Zudem fehlt der Hinweis, dass Griechenland bis heute in jedem einzelnen Fall jeden einzelnen Kredit pünktlich bedient hat und dass Deutschland sowie deutsche Banken durch Kredite und Investitionen in Griechenland bislang nur Geld verdient haben. Das nennt man eben nicht Staatspleite.
“Bild” zum Thema Misswirtschaft:
“So verbrennen die Griechen die schönen Euros!”, lautet Anfang März 2010 der Titel einer Auflistung von Steuerhinterziehungen, Korruption, Privilegien, die exemplarisch für Griechenlands Strukturkrise stehen.
Viele Politiker in Deutschland halten das für überzogen. SPD-Chef Sigmar Gabriel: “Es ist ein Unding, dass die Politik auf die Anti-Griechenland-Kampagne der BILD-Zeitung nicht reagiert hat, die Kanzlerin und der Außenminister vorweg.”
Gabriel reagierte damals nicht darauf, dass “Bild” griechische Missstände anprangerte, sondern er kritisierte Politiker von Union und FDP, die “Sprüche wie ‘Kein Cent den Griechen’ oder den Vorschlag, die Griechen sollen ihre Inseln verkaufen” von “Bild” übernommen hätten.
“Bild” weiter:
Ein Jahr später sind nicht wenige der kostspieligen Privilegien und Sonderleistungen für Staatsbedienstete (jeder 4. Arbeitnehmer) zumindest offiziell zusammengestrichen.
Der Schuldenberg des Landes ist dennoch schneller gewachsen als befürchtet. Die Strukturkrise Griechenlands ist nicht überwunden.
Inwiefern “Bild” in diesem Fall “leider recht” hatte oder nicht, ist irgendwie nicht erkennbar. Dass es in Griechenland gerade zu Beginn der Schuldenkrise viele Missstände gab, hat weder Gabriel noch sonst jemand bestritten. Kritikwürdig ist jedoch, wie “Bild” einzelne Probleme herausgreift und aus diesen heraus eine allgemeine mit Gier gepaarte griechische Sparunfähigkeit konstruiert (“… lesen Sie mal, was die sich alles leisten”). Darüber, dass die OECD Griechenland erst vor kurzem bescheinigte, so konsequent zu sparen wie kein anderes Land, haben bislang übrigens weder Blome noch Ronzheimer berichtet.
“Bild” zur Zukunft Griechenlands:
Griechenland ist ein “Fass ohne Boden”, schreibt BILD im Mai 2010.
Doch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hält dagegen: Er erwarte nicht, dass Griechenland über die jetzt beschlossenen (110 Mrd. Euro) Kredite hinaus weitere Finanzhilfen benötigt, sagte er in den ARD-“Tagesthemen”.
Inzwischen wird unter den EU-Finanzministern offen ein neues EU-Kreditpaket von zusätzlich 60 Mrd. Euro diskutiert.
“Bild” hat tatsächlich recht damit, dass die erste Finanzhilfe von 110 Milliarden Euro nicht ausreicht. Der Begriff “Fass ohne Boden” suggeriert jedoch, dass dieses Geld einfach verloren ist. Einmal mehr unterschlägt die Zeitung, dass Griechenland bislang alle Kredite bedient hat und dass Deutschland an dem “Fass ohne Boden” bis heute in Form von Zinsen fleißig mitverdient.
“Bild” über die Rückzahlungsfähigkeit Griechenlands:
“Sehen wir unser Geld jemals wieder?”, fragt BILD im April 2010. (…)
Premierminister Georgios Papandreou antwortet selbstbewusst: “Wir werden jeden Cent zurückzahlen.”
Doch es kommt anders. IWF, EU-Kommission und Europäische Zentralbank ziehen die sog. “Schuldentragfähigkeit” Griechenlands immer stärker in Zweifel.
Und noch mal: Bislang hat Griechenland jeden Cent zurückgezahlt. Ob das auch in Zukunft so sein wird, lässt sich schwer sagen, aber bislang ist “Bild” auch hier wieder im Unrecht.
“Bild” zur Effektivität der Finanzhilfen:
“Kann unser Geld die Griechen überhaupt noch retten?”, lautet eine andere BILD-Frage im Mai 2010.
Wieder hagelt es Kritik. (…)
Ein Jahr später ist allerdings klar, dass Griechenlands Anstrengungen nicht ausreichen.
Hier lohnt es sich, den besagten Artikel noch einmal zu lesen. Anders als von Blome und Ronzheimer dargestellt, wurde genau dieser Bericht von niemandem kritisiert: Er war nämlich einer der wenigen einigermaßen objektiven und unaufgeregten. Die Frage, ob “unser Geld” die Griechen überhaupt noch retten kann, hatte “Bild” ausnahmsweise völlig korrekt beantwortet:
Das kann niemand sagen.
“Bild” über das Verhältnis zur Politik der Bundesregierung:
“Verkauft uns nicht für dumm!”, fordert BILD von der Regierung in einem Kommentar Anfang Mai 2010.
Zuvor hatte u. a. Kanzlerin Merkel das Hilfspaket für Griechenland im Bundestag als “alternativlos” dargestellt.
Mit den jetzt diskutierten verschiedenen Formen von Umschuldung bzw. Schuldenerlass wird aber klar, dass es doch Alternativen gibt – und von Anfang an gab.
Dieser Punkt geht anstandslos an Nikolaus Blome, der neben einem Euro-Austritt auch die Umschuldung und einen Schuldenerlass gefordert hatte — letzteren allerdings erst Mitte Mai 2011.
Der letzte Punkt und irgendwie auch das Fazit von “Bild” lautet:
“Griechenland versinkt im Chaos”, schreiben BILD-Reporter im Sommer 2010 nach einer Recherche-Reise.
In Deutschland will das niemand hören. Der Ex-Wirtschaftsweise Bert Rürup z. B. sagt: “Ich halte die Griechen in ihrer Mehrheit für einsichtig und lernfähig.”
Doch die Krise scheint das Land zu zerreißen.
Die “Recherche-Reise”, von der hier die Rede ist, diente allerdings nur bedingt dazu, die Hintergründe der griechischen Schuldenkrise zu recherchieren. Im Mittelpunkt standen stattdessen hämische Kommentare und plakative Aktionen wie diese:
Mit der Drachmen-Rückgabeaktion, die man schwer mit Journalismus verwechseln kann, brüstete sich Ronzheimer noch ein halbes Jahr später. Wie traurig es aussieht, wenn die Ereignisse einen solchen Schaumschläger dazu zwingen, doch einmal ernsthaft zu berichten, sehen Sie hier: Chaos in Griechenland – BILD-Reporter berichtet aus Athen
Bei einer solchen Ansammlung von willkürlichen Behauptungen, Lügen, Halbwahrheiten und Eitelkeiten fällt ein Fazit schwer. Am besten trifft es wohl auch hier Michalis Pantelouris, der schreibt:
Insgesamt: Bild hatte nicht recht und hat nicht recht. Stattdessen haben sie eine Kampagne an der Grenze zur Volksverhetzung gefahren (Michael Spreng), und ich möchte hinzufügen, dass nicht immer klar war, auf welcher Seite der Grenze.
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1. “Kachelmann war ein exzellentes Objekt” (heute.de, Panja Schollbach) Michael Haller beobachtet einen “starken Trend zur Selbstkommerzialisierung” im Journalismus: “Im Mittelpunkt der Berichte steht nicht mehr das Aufklärungsinteresse, sondern der Verkauf. Das Bedenkliche ist, dass der Journalismus – vom ‘Spiegel’ über die People-Magazine bis hin zur ‘Bild’-Zeitung und anderen Boulevardmedien – vor allem an vermeintlichen Intimgeschichten, also am Voyeurismus interessiert war.”
2. “Schwarze Socken und rote Rübenschweine” (berlinonline.de, Stefan Aust) Stefan Aust blickt zurück auf seine Tätigkeit beim ARD-Magazin “Panorama”: “Irgendwie war ja damals alles politisch. Und Qualität war bei uns schon, wenn ein Beitrag möglichst kontrovers war. Interviewpartner wurden so ausgewählt, dass sie die Meinung des Autors wiedergaben. Im Zweifel ist ja für jede Position ein eloquenter Kronzeuge aufzutreiben.”
3. “Über Kisch und Kitsch” (journalist.de, Ralf Geißler und Matthias Daniel) Claudius Seidl (“Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung”) und Stefan Willeke (“Die Zeit”) sprechen über die Verleihung des Henri-Nannen-Preises. Und über Egon Erwin Kisch: “Kisch war ein sozialistischer Märchenonkel, mit Verlaub. Ein Mann mit einem durch und durch ideologischen Weltbild. Der wusste schon, was er von den Leuten zu halten hat, lange bevor er mit ihnen gesprochen hatte.”
4. “Maischbergers Grafiken” (fernsehkritik.tv, Video)
Fernsehkritik.tv analysiert eine in der ARD-Talkshow “Menschen bei Maischberger” präsentierte Grafik, die “uns zeigt, dass besonders Rentner unter der Inflation leiden”. “Diese Grafik ist im Grunde nur dazu geeignet, Rentnern Angst zu machen, dass sie bald kein oder immer weniger Geld mehr bekommen vom Staat.”
6. “Das real existierende 1&1-Aushängeschild” (ftd.de, Georg Dahm und Thomas Wendel)
Ein Besuch bei Marcell D’Avis, “Leiter Kundenzufriedenheit” des Internetdienstleisters 1&1, in Montabaur.
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1. “Mediale Vorverurteilung” (dradio.de, Brigitte Baetz)
Vor der erstinstanzlichen Urteilsverkündung im Prozess gegen Jörg Kachelmann stellt Brigitte Baetz fest: “Die Medien übernehmen immer mehr die Rolle eines modernen Prangers. Der Grundsatz, dass jeder zunächst als unschuldig zu gelten hat, scheint in der Berichterstattung immer öfter in den Hintergrund zu rücken.” Berichte in der NZZ und der FAZ stellen Vergleiche zum Theater an.
2. “Ex-‘Handelsblatt Online’-Chefredakteur räumt Plagiate ein” (sueddeutsche.de, Marc Felix Serrao)
Sven Scheffler, bisheriger Chefredakteur von handelsblatt.de, hat “mitunter ganze Absätze kopiert”. “Warum er abgeschrieben habe, wisse er beim besten Willen nicht mehr: ‘Das war ein Riesenfehler. Ich habe keine Ahnung, wie das passieren konnte.’ Er wisse nur, dass er an dem Tag unter enormem Zeitdruck gestanden habe.”
3. “Mal ehrlich, ‘Frankfurter Allgemeine Zeitung’!” (titanic-magazin.de)
Die Titanic entdeckt eine Bildbeschriftung auf faz.net, die so auch in der Wikipedia zu finden ist. “Die Texte zum zweiten, dritten und vierten Foto der Klickstrecke stehen ja – genau so bei Wikipedia! Bis auf einige kosmetische Änderungen sogar wortwörtlich!”
4. “Tabloid complains about ‘perving’ over Pippa” (tabloid-watch.blogspot.com, MacGuffin, englisch)
Die Zeile “Sick Germans target royal sister” auf der Titelseite von “Daily Star Sunday” – und was “Bild” damit zu tun hat.
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1. “Alarm im Darm des Journalismus” (taz.de, Michael Ringel)
“Ganz Deutschland” fürchtet sich vor EHEC? Michael Ringel zweifelt daran. Und erinnert sich an den Norovirus. “Noro klang wie Dr. No und war der Darmschrecken, bevor Ehec auftauchte. Noro kostete bislang weitaus mehr Menschen das Leben als Ehec, aber in unseren aufgeregten Zeiten braucht es eben immer neue Säue, die das Mediendorf in Atem halten.”
2. “Angriff der Killerkeime” (fagri.de)
Ein Tod durch EHEC ist im Vergleich zu anderen Todesarten eher unwahrscheinlich. Trotzdem fürchten sich die Menschen. “Ein Grund dafür ist, dass der Mensch nicht die Größe der Gefahr selbst wertet, sondern wie andere darauf reagieren. Wenn nun aber die Medien durch die Bank auf ihren Titelseiten suggerieren: ‘Wir haben ein Problem!’ wird dies zum allgemeinen Konsens.”
3. “Facie prima” (ad-sinistram.blogspot.com, Roberto J. De Lapuente )
Viele Medien zeigen Dominique Strauss-Kahn in Handschellen. Roberto J. De Lapuente fragt, was dagegen spricht, ein neutrales Foto zu verwenden: “Solche Fotos sind ein Affront gegen die Unschuldsvermutung und untergraben den fairen Verlauf des Rechtsstaates. Selbst wenn eine mögliche Unschuld am Ende herauskäme, die Bilder brennen sich ein.”
4. “Der rasende Regierungssprecher” (zeit.de, Steffen Seibert) @RegSprecherSteffen Seibert schreibt seine Erfahrungen mit Twitter und Twitter-Nutzern auf: “Der dogmatische Teil der Twittergemeinde, und der meldet sich gerne bei mir, erregt sich ebenso lustvoll über abweichendes Verhalten wie manch Schrebergärtner über Wildwuchs in der Parzelle nebenan.”
Vor zehn Jahren war man froh, wenn man mit einem Handy nicht nur telefonieren und Kurznachrichten verschicken, sondern auch eine Bierflasche öffnen konnte. Letzteres ist eine Funktion, über die die meisten Smartphones nicht mehr verfügen, dafür können sie jetzt fast alles andere — und sollen noch mehr können.
Im April veröffentlichte “Chip online” eine Übersicht über 50 Designstudien von Smartphones, die so oder so ähnlich irgendwann mal auf den Markt kommen könnten. Einen aktuellen Grund für den Artikel gab es nicht, die Redaktion hielt es nur für eine nette Idee. Zu Beginn dieser Woche wurde der Artikel mit aktualisiertem Datum auch auf der Startseite von “Chip online” verlinkt.
Gestern erschien bei Bild.de eine Übersicht über 35 Designstudien von Smartphones, die so oder so ähnlich irgendwann mal auf den Markt kommen könnten.
Für eine kurze Text-Vorstellung hatte sich Bild.de die gleichen drei Geräte ausgesucht, die auch “Chip online” vorgestellt hatte. Und auch bei den Überschriften gab es erstaunliche Ähnlichkeiten:
Die 35 Geräte, die Bild.de in seiner Fotostrecke vorstellt, waren Teil der 50 Handys auf “Chip online”. Nach Angaben der Redaktion von “Chip online” hatten die Fotos auf Bild.de sogar exakt die gleiche Größe wie die Fotos bei ihnen, was darauf hindeutet, dass Bild.de die Bilder direkt bei “Chip online” gemopst hat und nicht auf die originalen Pressefotos der Hersteller zurückgegriffen hat.
Die zuständige Redakteurin von “Chip online” rief heute bei Bild.de an und bekam schließlich einen zerknirschten Ressortleiter ans Telefon, der die Schuld auf eine “studentische Hilfskraft” schob. Die Geschichte tue ihm außerordentlich leid, aber er hielte es für übertrieben, zu behaupten, der Artikel wäre abgekupfert.
Kurz darauf verschwand der Artikel bei Bild.de, für “Chip online” ist die Sache damit nach eigenen Angaben erledigt.
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1. “EHEC – nix gelernt” (zapp.blog.ndr.de, Zapp Redaktion) EHEC als “Horror-Keime”, “Killer-Keime” und “Gefährliche Bakterien”. Für die Zapp-Redaktion wiederholt sich die Geschichte mit der Angst, “nicht genauso, aber ähnlich”: “Von wegen Sex sells – Angst sells.”
2. “Nun also doch EHEC” (blog.tagesschau.de, Kai Gniffke)
“Tagesschau”-Chefredakteur Kai Gniffke bloggt erneut zu EHEC. Anfang und Schluß des Beitrags lauten so: “Gestern habe ich hier ausführlich begründet, warum wir in der 20Uhr nicht mit EHEC aufgemacht haben. Seither hat es keine weiteren bestätigten Todesfälle gegeben und auch die Fallzahlen sind nicht dramatisch gestiegen. Trotzdem war EHEC heute auf Platz 1 in der Tagesschau. (…) Ich werde schon in wenigen Wochen sicher wieder auf irgendeinem Podium eines Medienkongresses sitzen und darüber diskutieren, dass die Medien bei EHEC (oder war es SARS oder H2N1?) mal wieder übertrieben haben.”
3. “Gruselkeim statt Kernschmelze!” (blog-cj.de, Christian Jakubetz)
“Dreifache Kernschmelze in Fukushima? Nimmt man mal so mit, weil man im Journalistensprech sagen würde: Hatten wir schon. Hatten wir oft genug. Will keiner mehr lesen. Dagegen: Ein neuer, unheimlicher, gruseliger Killerkeim? Dem bereits eine 83jährige Frau zum Opfer gefallen ist? Endlich was neues, nachdem Rinderwahn, Schweinegrippe, Vogelgrippe und all die anderen unheimlichen Epidemien durch sind und nicht mal mehr Berufshysterikern Angst machen.”
4. “Die alltägliche Versuchung” (ankommen.nordbayerischer-kurier.de, jbraun)
Joachim Braun, Chefredakteur des “Nordbayerischen Kuriers”, wird ein “Wagner-Wochenende in Bayreuth” angeboten: “Anreise per Flugzeug oder im Testwagen, Übernachtung in einem Luxushotel ein paar Kilometer außerhalb der Stadt, eine Ehrenkarte für die Bayreuther Festspiele – ja, richtig, Normalsterbliche müssen dafür zehn Jahre anstehen. Dazu eine persönliche Einweisung in Wagner und der Transfer von zu Hause nach Bayreuth, vom Hotel zum Grünen Hügel – natürlich – wieder im Testwagen, und das alles mit Partner oder Partnerin.”
6. “Die Sprache des Spiegel” (spiegel.de, Hans Magnus Enzensberger, 1957) Meedia.de erinnert an einen Essay von Hans Magnus Enzensberger in der “Spiegel”-Ausgabe 10/1957 (“mit dessen Einverständnis hier eine unwesentlich gekürzte Fassung”): “Objektivität ist ein Kriterium, das auf die Story schlechterdings nicht anwendbar ist. Maßgebend für das Gelingen einer Story ist einzig und allein ihr Effekt.”
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1. “Eine Anmerkung zum Thema Qualitätsjournalismus” (internet-law.de, Thomas Stadler)
Die Berichterstattung der “Süddeutschen Zeitung” über den Prozess vor dem Münchner Landgericht: “Ottried Fischer hat keineswegs eine Klage gegen einen Reporter verloren, weil er eine solche gar nicht angestrengt hatte. Der besagte Reporter war vielmehr im Rahmen eines Strafverfahrens von der Staatsanwaltschaft angeklagt worden. Fischer ist in diesem Strafprozess lediglich als sog. Nebenkläger aufgetreten. Die feinsinnige Unterscheidung zwischen Klage und Anklage zwischen Zivil- und Strafprozess darf man von einer Zeitung, die den Anspruch erhebt, eine der besten des Landes zu sein, erwarten.” Die Berichterstattung von Stern.de analysiert der Trittbretttreter im Beitrag “Journalistische Redundanz – und andere Kunstfehler”.
2. “Spiegel. Sex. Power. Bullshit.” (stefan-niggemeier.de)
Stefan Niggemeier analysiert die aktuelle “Spiegel”-Titelgeschichte, die sich dem Thema “Sex & Macht” widmet. Ullrich Fichtner und Dirk Kurbjuweit schreiben über “Die Affäre Strauss-Kahn u.a.”.
3. “EHEC – der neue Erreger” (blog.tagesschau.de, Kai Gniffke)
“Haben nicht viele Journalisten bei früheren Fällen insgeheim damit gehadert, dass den Phänomenen Schweinegrippe, SARS, Vogelgrippe und BSE ein bisschen zu viel Ehre angetan worden war?” fragt Tagesschau-Chef Kai Gniffke. Allerdings sei EHEC “seit gestern das zentrale Gesprächsthema in Deutschland” und müsse darum “in einer Nachrichtensendung vorkommen – nüchtern, sachlich und seriös. Aber sehr bewusst haben wir uns dagegen entschieden, das Thema an die Spitze der Sendung zu setzen.”
4. “Oberlehrer im Blindflug” (theeuropean.de, Alexander Kissler)
“Politikerhass und Obszönität” seien die beiden Mittel, mit denen die öffentlich-rechtlichen Satireformate “Neues aus der Anstalt”, “Satire Gipfel” und “heute show” versuchen, Lacherfolge zu erzielen, meint Alexander Kissler: “Ganz offensichtlich genießt es eine wachsende bürgerliche Klientel, sich ihr Vorurteil von der Politik als einer Veranstaltung für Dödel bestätigen zu lassen.”
5. “Blöd On Blöd” (coffeeandtv.de, Lukas Heinser)
Das ARD-Boulevardmagazin “Brisant” feiert den 70. Geburtstag von Bob Dylan.
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1. “Journalismus und Skepsis: Der Knabe, der doch nicht magnetisch war” (scienceblogs.de/zoonpolitikon, Ali Arbia)
Ali Arbia greift die Story eines Jungen aus Kroatien auf, der angeblich magnetisch ist: “Wenn sich Journalistinnen und Journalisten sich schon nicht ein Minimum an Skepsis leisten um offensichtliche billige Tricks zu hinterfragen, wie sollen dann ihre Leserinnen und Leser, deren Beruf dies meist nicht ist, eine entsprechende Kompetenz entwickeln?”
3. “Wie frei ist die deutsche Presse wirklich?” (doppelpod.com, Christian Y. Schmidt)
Ein Vortrag von Christian Y. Schmidt über die ökonomischen und politischen Abhängigkeiten der deutschen Presse (im Video ab Minute 7). Die Journalisten in Berlin hält er “eng verflochten” mit den Politikern: “Journalisten stellen gegen gute Honorare Bücher vor, die Politiker geschrieben haben, Politiker und Journalisten besuchen dieselben Partys und Empfänge, und manchmal heiraten Journalisten und Politiker gar, so wie die Bild-Zeitungs und Focus-Journalistin Doris Köpf (Schwerpunkt: Innenpolitik) den damaligen Bundeskanzler Schröder.”
4. “Kein Beweis für Nötigung” (faz.net, David Klaubert)
David Klaubert berichtet aus dem Münchner Landgericht: “Ottfried Fischer hat viel auf sich genommen für diesen Prozess, der für ihn auch ein Feldzug gegen die Berichterstattung der ‘Bild’-Zeitung ist – ein vergeblicher Anlauf, wie es nun scheint, denn das Münchner Landgericht hat in zweiter Instanz das Urteil gegen den Angeklagten Wolf-Ulrich Sch. aufgehoben.”
5. “Für Fußball keine Gebühren verpulvern” (meedia.de, Alexander Becker)
Alexander Becker spricht mit Claudius Seidl über seine Bewerbung als ZDF-Intendant (Facebook-Gruppe). Die aktuelle Logik des öffentlich-rechtlichen Fernsehens schätzt er so ein: “Es muss das ZDF geben, weil wir das Fernsehen nicht nur kommerziellen Anbietern überlassen dürfen. Wir produzieren aber den gleichen Mist wie die kommerziellen Sender, weil wir von allen Gebühren verlangen und deshalb allen etwas bieten müssen.”
6. “Hier rein, da raus” (zeit.de, Martin Spiewak)
Martin Spiewak schlägt vor, Uni-Vorlesungen abzuschaffen: “Statt dem Dozenten zu folgen, verschicken die Studenten E-Mails, mehren die Zahl ihrer sozialen Kontakte bei Facebook – oder laden sich das Skript der nächsten Vorlesung aus dem Netz. Sinnloser lässt sich akademische Zeit kaum vergeuden.”