Suchergebnisse für ‘Gelb’

Schäbige Verleger, Jessen im Remix

1. “Ein schäbiges Stück”

(dradio.de, Lars Reppesgaard)

Lars Reppesgaard nennt die Versuche der Verleger, andere dazu zu verpflichten, ihre wegbrechenden Einnahmen zu übernehmen, schäbig: “Es ist ein schäbiges Stück, das die Unternehmen hier inszenieren. Anders als die Musikindustrie, die mit ansehen musste, wie sie durch Tauschbörsen und Kopierschutzhacker wirklich enteignet wurde, haben sich die Zeitungs- und Zeitschriftenverlage freiwillig der Internetlogik unterworfen.”

2. “Betrug am Leser”

(carta.info, Gabriele Bärtels)

Die freie Journalistin Gabriele Bärtels nennt die Journalistenbranche “von innen verfault” und erzählt von ihren Erlebnissen mit Redaktionen: “Ich habe ja weitgehend aufgehört, für Frauenmagazine zu schreiben. Ich konnte es nicht länger ertragen, für die Psycho-Ressorts lebende Fallbeispiele zu suchen, die genau das aussagten, was die Redaktion hören wollte, wohin man die Fallbeispiele notfalls mit Suggestivfragen bringen musste.”

3. “Trends in der Online-Werbung”

(faz-community.faz.net/blogs/netzkonom, Holger Schmidt)

Die Werbung wandert ins Internet, Gewinner sind Social Networks und Suchmaschinen: “Ganz trüb sind die Erwartungen für die klassischen Medien: Gerade einmal 2 Prozent der Befragten erwarten bessere Resultate von der Werbung in Gelben Seiten und nur 4 Prozent trauen dies den Zeitungen zu.”

4. Verschwörungstheorien, Schlammschlachten, Schreihälse

(sueddeutsche.de, Christopher Schmidt)

Die Süddeutsche Zeitung hat sich mal wieder eine publizistische Website im Internet angesehen, nämlich nachtkritik.de: “Im Schutz der Anonymität wird in den Kommentarforen ein regelrechter Kulturkampf ausgetragen. Persönliche Diffamierungen werden von den Redakteuren konsequent herausgefiltert, dafür gedeihen hier die wildesten Verschwörungstheorien und finden Schlammschlachten statt, in denen sich die Schreihälse gerne auch gegenseitig an die Gurgel gehen. Daneben entspinnen sich aber immer wieder anspruchsvolle Debatten.”

5. “Die Rathauszocker”

(zeit.de, Roland Kirbach)

Deutsche Lokalpolitiker haben Teile der Infrastruktur an US-Investoren verkauft (zeit.de, 12. März 2009). In einem zweiten Artikel zum Phänomen Cross-Border-Leasing stellt Roland Kirbach fest, dass in der Sache kein Staatsanwalt ermittelt. Und dass die Städte “mit den Banken um Zinsen gewettet” haben.

6. “Das Internet befindet sich am Scheideweg”

(youtube.com, Video, 6:40 Minuten)

Schon einige Zeit online, aber weitgehend unbeachtet. Dabei könnte aus elektronischer Musik und der Stimme von Zeit-Feuilletonchef Jens Jessen ein neuer Club-Hit entstehen. Der dem Remix zugrunde liegende Videoblogeintrag erschien am 29. Mai 2009 auf zeit.de.

NYT, Fischöl, Castingshows, Wolf

1. “Der angezählte Champion”

(zeit.de, Michael Naumann)

“Die ‘New York Times’ ist die beste Zeitung der Welt – aber ihrem Verlag droht die Insolvenz: Das Internet macht Konkurrenz, Anzeigen bleiben aus. Muss die Zeitung bald ihren eigenen Tod vermelden?”

2. “Callcenter der SPIEGEL-Gruppe verkauft Fischölkapseln für den Springer-Konzern”

(spiegelblog.net, T. Engelbrecht)

Der Spiegel und die Firma QS Quality Service haben die gleiche Adresse, nämlich Brandstwiete 19, Hamburg. Die Spiegel Gruppe macht was mit Journalismus, die Tochterfirma QS, zuständig für die Aboverwaltung der Muttergesellschaft, verkauft Fischölkapseln.

3. “Ich bring dich groß raus!”

(merkur.de, Jürgen Bräunlein)

“Warum tun sich junge Leute das an, vor einem Millionenpublikum gedemütigt zu werden? Kein Masochismus zwingt sie dazu, sondern die Sehnsucht nach deutlichen Worten, die ihnen die Gesellschaft verweigert.”

4. “Festrede von Armin Wolf”

(derstandard.at)

Armin Wolf, twitternder Moderator der ORF-Nachrichtensendung “Zeit im Bild”, hält eine Rede vor FH-Absolventen und gibt Tipps: “Ein guter Journalist sollte jeden Tag fünf neue Menschen kennenlernen. Pressesprecher und andere Journalisten zählen nicht. Schaffen sie sich ein ordentliches Adressbuch an, egal ob digital oder noch ganz analog auf Papier – und dieses Adressbuch sollte jeden Tag um fünf Namen voller werden.”

5. “Statement-Journalismus”

(ad-sinistram.blogspot.com, Roberto J. De Lapuente)

“Diese Ich-muß-zu-jedem-Thema-meinen-Senf-dazugeben-Mentalität dominiert das Medienspektakel. Nachrichten sind ein Sammelsurium aneinandergereihter Ein-Satz-Statements und hohler Schnellphrasen.”

6. Online Journalismus vor einigen Jahren …

(thenextweb.com, Grafik)

… und heute.

Bild  

Bild dir deine Regeln…

Man hört ja immer wieder mal, man könne über die “Bild” denken, was man wolle, aber der Sportteil, der sei ja schon so richtig gut. Vermutlich ist diese Meinung auch deswegen entstanden, weil “Bild” gerne mal komplizierte Regularien auf den Punkt bringt. Oder es, wie im nachfolgenden Fall, zumindest versucht, mit Erfolg, den man bescheiden nennen darf.

Wer kommt wann in den Uefa-Cup

… fragt die Sportredaktion des Blattes heute — und nähme man es genau, müsste man antworten: niemand. Weil es den Uefa-Cup ab der kommenden Saison nämlich gar nicht mehr gibt und der Wettbewerb stattdessen umbenannt wird in die “Uefa Europa League”. Das alleine wäre nicht tragisch, allerdings stimmen nicht nur der Name des Wettbewerbs nicht, sondern auch ein paar andere Kleinigkeiten:

  • Die fairste deutsche Mannschaft komme in einen Topf mit Teams anderer Länder; aus diesem Topf werde dann ein zusätzlicher Startplatz ausgelost. Das war bis zu dieser Saison so. Inzwischen gibt es aber keine Verlosung mehr, sondern die drei Plätze gehen automatisch an die drei fairsten Nationen.
  • Bislang sei der fairste deutsche Verein der KSC, schreibt “Bild”. Das ist ein ziemlich exklusives “Wissen”. Tatsächlich wird die endgültige Wertung erst nach Saisonende bekanntgegeben. Und selbst dann, wenn man die bisherige Zahl der gelben und roten Karten als Maßstab verwenden würde, wäre die Einschätzung von “Bild” falsch. Denn es spielen noch ganz andere Komponenten eine Rolle in der Wertung der Uefa, beispielsweise das “Verhalten der Fans” oder der “Respekt vor dem Gegner”. Wer also momentan fairste deutsche Mannschaft ist, weiß nicht einmal die DFL selber.
  • Ob tatsächlich vier deutsche Mannschaften an der “Europa League” teilnehmen, hängt schließlich auch noch davon ab, ob der Bundesliga-Dritte sich für die Champions League qualifiziert — oder doch auch an der Europa League teilnimmt.

Mit Dank an Jan K.

Einpeitscher, Mehdorn, Nutzungsrechte

1. “Medien = Einpeitscher!”

(martina-kausch.de)

Martina Kausch macht ein paar Screenshots aus Newsportalen, die über den aktuellen G20-Gipfel in London berichten. “Ich habe mir erlaubt, einmal die Fotografen optisch hervorzuheben. Und wenn Ihr Euch die weiteren Bilder anseht, werdet Ihr schnell feststellen, dass mehr Fotografen am Schauplatz des Geschehens waren als Demonstranten oder Polizisten.”

2. “Überwachungssystem Bahn: Kampf gegen kritische Journalisten”

(ndr.de, Video, 8:20 Minuten)

Der zurückgetretene Bahn-Chef Hartmut Mehdorn zeigte den Medien lieber Zugreisende massierende Betreuer der Bahn als masslos überfüllte Züge. Mit angebrachter Kritik konnte er kaum umgehen und reagierte darauf mit Schimpftiraden per Fax und Telefon sowie mit Anzeigenboykotten.

3. “ZEIT MAGAZIN: über Luxusuhren schreiben und gleichzeitig für sie werben”

(spiegelblog.net, T. Engelbrecht)

Das Zeit Magazin Leben, eben bei den Lead Awards 2009 zum Leadmagazin des Jahres gewählt, schreibt erst im redaktionellen Teil über achteinhalb Seiten werbewirksam über Luxusuhren – und druckt dann auf der Rückseite ihres Magazins eine ganzseitige Anzeige der Luxusuhrenmarke Breitling ab.

4. “Zitieren Sie nicht die FAZ!”

(perlentaucher.de/blog, Anja Seeliger)

Die Frankfurter Allgemeine schreibt einen Brief an den Perlentaucher und fordert Nutzungsrechte in der Höhe von 590 Euro. Darauf meldet sich der Autor des Artikels, Thomas Hürlimann: “Ich meine, dass das Copyright immer noch bei mir ist. Deshalb können Sie das Zitat gern wieder aufnehmen.”

5. “Zwei sind weniger als eins”

(blog.persoenlich.com, Roger Schawinski)

Roger Schawinski äussert sich zur neuen Tages-Anzeiger-Chefredaktion: “Man greift auf zwei hauseigene Leute zurück, die man viel zu lange in der Warteschlaufe schmoren liess. Alles wirkt so, als ob man eine bessere Lösung gesucht hat und dabei gescheitert ist.”

6. “Endlich verstehen: Wer wird Millionär?”

(christophkoch.wordpress.com)

Über die Sendung “Wer wird Millionär”: “Doch welchen Joker wann einsetzen? In Russland gilt: Nie das Publikum fragen! Denn hier hat sich die Tradition eingebürgert, dass das Publikum absichtlich falsche Antworten gibt, um dem Kandidaten zu schaden.”

BVB-Fans: “BILD halt’s Maul!”

Kurz vor dem DFB-Pokalspiel zwischen Borussia Dortmund und Werder Bremen am vergangenen Mittwoch verunglückte im Dortmunder Stadion ein 21-Jähriger Dortmund-Fan tödlich, nachdem er offenbar “beim Überklettern eines Geländers/ Brüstung über dem Aufgang zur Stehtribüne im Bereich des Blocks 13 abgestürzt und ca. sieben Meter in die Tiefe gefallen” war.

Und natürlich berichtete nach Bekanntwerden des tragischen Unfalls auch “Bild” – und hatte dazu versucht, sowohl im privaten und beruflichen Umfeld des Toten als auch in Internet-Communities wie StudiVZ Details über ihn in Erfahrung zu bringen. Anders als andere Medien veröffentlichte “Bild” anschließend Einzelheiten aus seinem Privatleben und zu seinen tödlichen Verletzungen – und druckte sogar ein Porträtfoto, das von der Homepage seines Arbeitgebers stammt.

Für “Bild” ist das alles nicht ungewöhnlich (siehe Kasten).

Ungewöhnlich ist vielleicht nur die Reaktion der Dortmund-Fans, die am vergangenen Samstag beim Spiel Dortmund : Leverkusen öffentlich an den tragischen Unfall erinnerten – mit Schweigeminuten, Kerzen am Unfallort, “In Gedanken an”-Spruchbändern und… folgendermaßen:

Foto aus dem Stadion mit Fan-Spruchband: "Schlagzeilen mit einem Toten... BILD halts Maul!"

 
P.S.: Die “Bild am Sonntag” berichtete gestern quasi ganzseitig über die Gedenkaktionen von Verein und Fans – und zeigte ohne Quellenangabe ein weiteres Foto des Verstorbenen (diesmal aus seinem Profil in einer Online-Community). Obiges Transparent indes blieb unerwähnt.

Mit Dank an die Hinweisgeber und Tommy von schwatzgelb.de fürs Foto.

Rosen, Schmuddelblätter, Basic

1. Interview mit Jay Rosen
(nzz.ch)
Jay Rosen macht darauf aufmerksam, dass es in Zukunft keinen “Big Daddy” mehr im Hintergrund geben wird, der “für Werbeanzeigen sorgt, Büros bereitstellt, die Druckereien zur Verfügung stellt und sich um alles kümmert”: “Journalisten müssen lernen, unternehmerischer zu denken, eigene Unternehmen zu gründen und allein oder in kleinen Gruppen zusammenzuarbeiten.”

2. “Das Gefasel von der Ökonomisierung”
(carta.info, Stephan Ruß-Mohl)
Stephan Ruß-Mohl ist der Meinung, es habe, aus dem Blickwinkel der Konsumenten gesehen, eher eine “Ent-Ökonomisierung des Mediensektors” stattgefunden: “Bis auf die Zwangsgebühr für den Rundfunk sind wir den Utopien der 68-er vom Nulltarif für lebensessentielle Güter und Dienstleistungen so nahe gekommen wie nie zuvor.”

3. “Mainzelmänner mit gelbem Engel”
(blogmedien.de)
“Im ZDF-Spezial ‘Eisschrank Deutschland’ gab’s am Mittwochabend zur besten Sendezeit drei Minuten Werbung für den ADAC.”

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Nekrolog, Paviane, Nuhr

1. “Nekrolog 2008”
(retromedia.de, Jens Schröder)
Der/das jährliche Nekrolog der nicht mehr erscheinenden Zeitschriften ist da, mit einem neuen Rekord von 95 verstorbenen Publikumszeitschriften. Darunter die Revue, die nach 62 Jahren eingestellt wurde. Ebenfalls eingestellt wurden einige auf medienlese.com getestete Zeitschriften, nämlich das Second Life Magazin SLM (Test), IQ Style (Test), Matador (Test) und blond (Test).

2. Interview mit Mitchell Stephens
(sueddeutsche.de, S. Weichert, A. Matschke und L. Kramp)
“Blogs gibt es etwa erst seit knapp sieben Jahren, ihr Potenzial ist noch lange nicht ausgeschöpft! Wir haben eigentlich keine Ahnung, was das Internet an journalistischen Möglichkeiten in Zukunft noch alles bereithalten wird. Junge Menschen sind diejenigen, denen es obliegt, neue Ausdrucks- und Vermittlungsformen selbst zu entwickeln und auszuprobieren. Wir müssen also Lehre mit Pioniergeist verbinden und darüber grübeln, wie sich der Journalismus neu erfinden könnte.”

3. “SPIEGEL-Artikel über rechte Gewaltdelikte inhaltlich fern der Fakten und rhetorisch fragwürdig”
(spiegelblog.info, DHH)
Spiegel Online entfernt den Artikel “Gewaltdelikte in Deutschland – Zahl rechtsextremer Straftaten steigt drastisch” und ersetzt ihn mit einer kurzen Korrektur. Auslöser war wohl die Kritik auf spiegelblog.info: “Jeder von einem Neonazi gezeigte Hitlergruß wird seit Frühjar 2008 genauso als rechtsextreme Straftat gewertet wie jedes von einem Linksradikalen auf ein CDU-Wahlplakat gepinseltes Hakenkreuz oder von einem Türken aus Jux an die Wand gesprühte SS-Runen. Dass diese Veränderung in der statistischen Zählweise auch einen Einfluss auf eine von SPIEGEL Online deklarierte ‘drastische Steigerung’ haben könnte, liegt auf der Hand. SPIEGEL Online teilt seinen Lesern diese wesentliche Information aber nicht mit.”

Nachtrag: Über Engelbrecht und seine “journalistische” und “wissenschaftliche” Arbeit gibt es mehrere kritische Berichte – zum Beispiel bei ScienceBlogs und bei Esowatch. Mit dem Spiegelblog und der Argumentation des Autors hat sich Torsten Dewi ausführlich beschäftigt, erst mittels Kommentaren im Spiegelblog, jetzt in einem ausführlichen Beitrag in seinem Blog. (19.1.2009, ore)

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Recherchen, Boxer, Medienrevolutionen

1. “Vertrag von Lissabon – Londons Presse und Irlands Nein”
(faz.net, Henning Hoff)
“Im Juni haben die Iren den Vertrag von Lissabon abgelehnt. Ein EU-Papier macht dafür den wachsenden Einfluss europaskeptischer Medien aus Großbritannien verantwortlich. Der Vorsitzende der Journalistengewerkschaft in Irland warnt vor einer ‘simplen’ Schuldzuweisung.”

2. “Wo steht der Recherchejournalismus in Deutschland?”
(dradio.de, Michael Meyer)
“Recherche gilt als Grundtugend und wichtigstes Werkzeug eines jeden Journalisten: Je gründlicher, desto besser. Doch in den letzten Jahren hat gerade die Recherche in den Redaktionen gelitten: Knapper werdende Budgets, personelle Ausdünnung und größer werdender Zeitdruck sorgen dafür, dass die Recherche zunehmend in den Hintergrund tritt.”

3. “SPIEGEL-Beitrag ‘Freispruch für Gen-Baumwolle’ liest sich wie eine Pressemitteilung von Monsanto”
(spiegelblog.info, T. Engelbrecht)
Das Spiegel-Blog beschäftigt sich mit dem Spiegel-Artikel “Freispruch für Gen-Baumwolle” vom 17.11.2008 und beleuchtet einige Hintergründe.

Nachtrag: Über Engelbrecht und seine “journalistische” und “wissenschaftliche” Arbeit gibt es mehrere kritische Berichte – zum Beispiel bei ScienceBlogs und bei Esowatch. Mit dem Spiegelblog und der Argumentation des Autors hat sich Torsten Dewi ausführlich beschäftigt, erst mittels Kommentaren im Spiegelblog, jetzt in einem ausführlichen Beitrag in seinem Blog. (19.1.2009, ore)

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Gier-Spezial

“Ein Heft über die wahren Gründe der Krise” hat die Redaktion des “Süddeutsche Zeitung Magazin” gemacht, “Umdenken!” auf den Titel geschrieben und “Wirtschaft Spezial”. Tolle Texte stehen darin, mit tollen Sätzen, und vier tolle Uhrenanzeigen. Dazu kommen wir noch.

Erst einmal die Texte.

Ein Wirtschaftssystem, “das so viel Wohlstand schafft, aber nur so wenigen zugänglich macht – wird auf Dauer kaum tragen”, darf der Soziologe Richard Sennett in einem Interview sagen. Und vorschlagen, ein neues zu entwickeln, “das auf Kooperation basiert, statt die Menschen nur auszusaugen”.

Christian Nürnberger beschreibt “die Krise als Moment der Selbsterkenntnis” und einen prototypischen Michael M., der Träger eines “Virus” sei, Opfer einer “Geisteskrankheit”: “Regelmäßig fährt er mit seinem Geländewagen zu Aldi und Lidl, und noch nie hat er auch nur einen Gedanken an die Frage verschwendet, wie es eigentlich den Beschäftigten von Aldi und Lidl geht, was sie verdienen, wie sie leben, wie sie ihre Kinder erziehen.”

“Die allgemeine Dummheit, die dieses Land erfasst hat in den letzten Jahren, die hat alles verdeckt. Diese Krise verdanken wir der Ideologie des freien Marktes”, zitiert Georg Diez in seinem Stück über die Wall Street einen Ex-Anwalt, der nun Buchautor ist. Und nennt den Zustand selbst “das Ende der Vernunft”, an dem alle Schuld sind: “Von ganz unten bis ganz oben, eine Kette der Gier.”

Wahre Sätze sind das. Hier noch einer aus dem Interview: “Wer jetzt so weitermachen will wie bisher, hat nicht verstanden, dass die Nachfrage weltweit sinkt.”

Tolles Heft, dieses “Wirtschaft Spezial”. An seinem Ende findet sich die Rubrik “Stil leben”. Dort steht auf fünf Seiten wenig Text, dafür zeigt die Redaktion — passend zu den tollen Uhrenanzeigen — viele Bilder von sehr teuren Uhren. Darüber steht: “Es gibt Uhren, die sind so schön, dass sie alle anderen in den Schatten stellen. Vorausgesetzt, man trägt sie mit Haltung.”

Zum Beispiel die “Ergon von Bulgari aus 18-Karat-Gelbgold, mit braunem Alligatorband”. Die kostet schlappe 11.000 Euro; die Rolex Oyster Perpetual GMT-Master II gibt’s für 19.500 Euro (aber das erwähnt das “SZ-Magazin” nicht). Nichts für einfache Leute, nein, nein, sondern: “Für harte Hunde”.

So viel zur Moral im Angesicht der Rendite.

Der Kernsatz übrigens steht auch bei Diez. Es ist sein letzter, er soll all den Zynismus beschreiben, der sicher bald zu einer neuen Krise führen wird:

I gotta get back to work.

Passt auch gut zum “SZ-Magazin”.

Unverbesserlich VI

Im Frühjahr dieses Jahres wurde bekannt, dass eine Mutter in einem Zeitraum von über 20 Jahren drei Babys zur Welt gebracht, möglicherweise nach der Geburt getötet und in die Tiefkühltruhe gelegt hatte. Was danach geschah, fasst die Nachrichtenagentur AP wie folgt zusammen: “Nach dem Fund der Babys war die [Frau] mit ihrem Ehemann und ihrer [erwachsenen] Tochter auf einer Polizeiwache erschienen und hatte Selbstanzeige erstattet. Nach einem Teilgeständnis äußerte sie sich nicht weiter zu den Vorwürfen und galt während ihrer Zeit in der Untersuchungshaft als nicht vernehmungsfähig. Seit Oktober ist die Frau auf eigenen Wunsch in einer psychiatrischen Klinik untergebracht.”

Aus dem Pressekodex:

“Bei der Berichterstattung über Unglücksfälle, Straftaten, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren (…) veröffentlicht die Presse in der Regel keine Informationen in Wort und Bild, die eine Identifizierung von Opfern und Tätern ermöglichen würden. (…) Sensationsbedürfnisse allein können ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit nicht begründen. (…) Liegen Anhaltspunkte für eine mögliche Schuldunfähigkeit eines Täters oder Tatverdächtigen vor, sollen Namensnennung und Abbildung unterbleiben.”

Zum heutigen Prozessauftakt vorm Landgericht Siegen hatte sich die Angeklagte bis zur Unkenntlichkeit vermummt, trug einen schwarzen Schal überm Kopf und vorm Gesicht und eine Sonnenbrille mit verspiegelten Gläsern vor den Augen – und es ist nicht anzunehmen, dass das einem eigenwilligen Modebewusstsein geschuldet war. Es hatte einen guten Grund.

Denn wie groß das Medieninteresse hier auch sein mag: Das Persönlichkeitsrecht der Angeklagten ist größer. Oder um es – ohne Wenn und Aber – mit den Worten des Presserates zu sagen: Medien müssen in Fällen wie diesem “auf eine erkennbare Darstellung des Betroffenen verzichten” (siehe auch Kasten).

Fast überall, wo heute über den Prozess berichtet wird, finden sich Fotos der vermummten Frau – auch in einem großen Teaser auf der Bild.de-Startseite. Bild.de hat es allerdings nicht dabei belassen, sondern den Teaser und den dazugehörigen Artikel um ein weiteres Foto ergänzt:

Das zweite Foto veröffentlicht Bild.de nicht zum ersten Mal. Schon im Frühjahr, als der Fall bekannt wurde, war es – exklusiv – auf Bild.de und andertags auch auf der Titelseite der “Bild”-Zeitung zu sehen (wir berichteten). Es zeigt die Frau ohne Unkenntlichmachung.

Ob es sich bei dem Foto auf Bild.de jedoch nur um ein (unentschuldbares) Versehen handelt, wird sich spätestens morgen zeigen, wenn die gedruckte “Bild” ihre elfeinhalb Millionen Leser über den heutigen Prozessauftakt unterrichtet.

Nachtrag, 12.11.2008: Nun… Während das unverpixelte Foto der “Todes-Mutter” auf Bild.de nach wie vor online ist, hat die “Bild”-Zeitung (“Hier versteckt sich die Horrormutter”) heute offenbar auf dessen Abdruck verzichtet.

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