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Guttenberg, Maschmeyer, Call-In-Shows

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Der Guttenberg-‘Bild’-Komplex”
(taz.de, Stefan Reinecke)
Stefan Reinecke zur Rolle von “Bild” bei der Suspendierung des Kapitäns der Gorch Fock durch Verteidigungsminister zu Guttenberg: “Die Entscheidung, den Kapitän zu feuern, hat Guttenberg am Freitagabend getroffen. Direkt nachdem das Blatt ihn informiert hatte, dass es die Geschichte noch mal groß herausbringt. Im Gegenzug lobt das Boulevardblatt zwei Tage später die Entschlusskraft des Ministers über den grünen Klee und denunziert Kritiker von FDP bis Linkspartei als Nörgler und Kleingeister, die bloß neidisch auf dessen Popularität sind.” Zu zu Guttenberg siehe auch: “Kosten der Sat.1 Guttenberg-Talkshow in Mazar-E-Sharif” (blog.die-linke.de, 13. Januar).

2. “Ein Großangriff auf die Pressefreiheit”
(faz.net, Michael Hanfeld)
Michael Hanfeld schreibt auf, was Carsten Maschmeyer gegen den “Panorama”-Film “Der Drückerkönig und die Politik” (ndr.de, Video, 28:17 Minuten) unternimmt. Siehe dazu auch “Wie sich Maschmeyer in den Medien inszeniert” (ndr.de, Video, 8:49 Minuten).

3. “Maulwurf-Moderator fuhr TV-Quiz gegen die Wand”
(grenzecho.net, Boris Cremer)
Ein Magazin des flämischen TV-Senders VRT deckt mit einem Undercover-Moderator Praktiken von Call-In-Shows auf: “De Winne stand ein halbes Jahr lang für die Call-in-Show ‘Quizzit’, die von den Privatsendern VTM und 2BE ausgestrahlt wird, vor der Kamera und köderte Zuschauer, die mit kostenpflichtigen Anrufen versuchten, ein fast unlösbares Rätsel zu lösen.” Das Video dazu gibt es hier: “Undercover bei den Fernseh-Anrufquizzen” (wortfeld.de, Video, 38:36 Minuten)

4. “Warum Medien Themen tagelang durchkauen und was das Internet damit zu tun hat”
(griess.wordpress.com, Andreas Grieß)
Andreas Grieß zeigt auf, warum Online-Medien und Zeitungen banale Themen immer noch ein Stück weiterdrehen.

5. “Warum diese Verachtung?”
(taz.de, Jutta Winkelmann)
“Zum Kotzen” findet Jutta Winkelmann “die ganze Scheinheiligkeit, Bedenkenträgerei und dieses gehässige Vornehmgetue und die Gefühllosigkeit” der Kritik an den Kandidaten der RTL-Sendung “Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!”. “Mehr als jeder Rattenschwanz – und Schlangenbackenhodendrink ist diese herrschende Selbstgerechtigkeit- und Selbstgefälligkeit eklig! Und damit sind auch die Medien gemeint, die absahnen und verächtlich lästern. Sie und die ganze Nation mit, heult wegen jämmerlichen 50.000 Scheißeuros auf, die die Dschungelbewohner bekommen.”

6. “Fast ein Jahr”
(fragmente.twoday.net)
Frau Fragmente sucht und findet einen Job.

Bild  

Hier werden Schlagzeilen geboren

Die Fans jubeln: Dortmund feiert seine Meister schon

So berichtet “Bild” heute groß in der Ruhrgebietsausgabe über ein Transparent auf dem Dortmunder Borsigplatz. Dass die Zeitung im ersten Satz behauptet, der BVB sei “souveräner Spitzenreiter mit 13 Punkten Vorsprung”, obwohl er nur 12 Punkte vor Hannover 96 liegt, ist dabei eher nebensächlich.

Denn es geht um das Banner selbst, über das “Bild” schreibt:

Na, da schau hin! Dortmund feiert schon seine Meister.

Am Borsigplatz, der Geburtsstätte des Traditionsklubs, leuchtet inzwischen weithin sichtbar dieses riesige, schwarzgelbe Jubel-Banner: Borsigplatz – Hier werden Meister geboren.

“Inzwischen” ist dabei eine gute Wortwahl, aber irgendwie fehlt da ein “wieder”. Mit dem Banner gratulierte der Gewerbeverein Borsiglatz dem BVB nämlich zum 100. Geburtstag, es hing schon im Herbst 2009 am Borsigplatz und war entsprechend auf die vergangenen Meisterschaften gemünzt. Im Sommer 2010 wurde das Transparent dann abgenommen und Anfang Dezember anlässlich der Herbstmeisterschaft “als Gag” wieder aufgehängt, wie uns der Gewerbeverein erklärte, der seit der Veröffentlichung auf Bild.de mit Anfragen von Journalisten überhäuft wird.

“Bild” hätte also schon vor sechs Wochen aufschreiben können, dass “in der Stadt die Euphorie” wachse. Oder vor einem Jahr. Nur hätte es da nicht so schön gepasst.

Mit Dank an Daniel, Dirk, Nora T. und Stephan U.

Heute anonym XXIV

Letzte Woche konnte Bild.de vor Selbstbewusstsein kaum laufen:

BILD.de pixelt da, wo Google es versäumt hat: Das sind die Patzer bei Street View! Bild.de verpixelt

Aber das war wie gesagt letzte Woche. Diese Woche hingegen ist wieder Normalität eingekehrt:

Dieses Autohaus in Oderwitz gehört der Familie. Birgit K. ist Geschäftsführerin

Ja: Unter jeder dieser gelben Fläche stand der ausgeschriebene Name.

Mit Dank an Thomas W., Andre S. und die vielen anderen Hinweisgeber.

Asiaten, Mario Gomez, Quotensucht

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1. “Hart, aber höflich”
(visdp.de, Frank Joung)
Frank Joung ärgert sich anlässlich des G20-Gipfels in Seoul über die Sicht einiger Journalisten auf Asiaten, die einzeln eher als harmlos beschrieben und belächelt werden, im Kollektiv aber schnell mal als “gelbe Gefahr” gelten. Ab Seite 8 (PDF-Datei) werden Zeitungstitel zu den Castortransport-Protesten gegenübergestellt.

2. “Gomez’ leiser Appell an die Menschlichkeit”
(de.eurosport.yahoo.com, Thomas Janz)
Mario Gomez erklärt, dass seine von “Bunte” publizierten Aussagen über das Coming-Out von homosexuellen Fußballern “vor acht bis neun Monaten” getätigt und weder von ihm noch vom Verein freigegeben wurden. “Die Leute wollen immer ehrliche und offene Antworten hören. Aber wenn etwas daraus gemacht wird, was nicht der Wahrheit entspricht, überlegt man sich vielleicht dreimal, was man Preis gibt.”

3. “Die Dynamik der Angst”
(taz.de, Frank Miener)
“Immer neue Themen” werden bei der alarmistischen Berichterstattung zu angeblich gefährlichen Krankheiten “durch den medialen Durchlauferhitzer gejagt – bis sie sich als harmlos erweisen”. “Die Folge: Die Leser stumpfen ab und reagieren immer uninteressierter auf die neueste Katastrophe, so berechtigt sie auch sein mag.”

4. “Der Fall Oberhauser und das Elend der Meinungsmache”
(derstandard.at, Gerhard Zeillinger)
Gerhard Zeillinger kommentiert den Umgang von Boulevardzeitungen mit Elmar Oberhauser: “Worum es in der Sache eigentlich geht, wird nicht berichtet. Darüber nämlich, wie massiv eine Partei Einfluss auf die Personalpolitik eines öffentlich-rechtlichen Senders nimmt.”

5. “Correction practices at major news sites are a mess, survey finds”
(mediabugs.org, Mark Follman and Scott Rosenberg, englisch)
Beim Umgang von US-Nachrichtenseiten mit Fehlern werden große Unterschiede festgestellt. “Fox News is the exception in the group. Apparently the Fox network never makes errors. We found no corrections content at all on its website.”

6. “ARD: Einknicken vor der Quote?”
(sueddeutsche.de, Christopher Keil)
Die drei letzten Folgen von “Im Angesicht des Verbrechens” werden wegen tiefer Quoten “am 19. November hintereinander versendet”. “Zwei Millionen Menschen sind ordentlich, aber natürlich deutlich weniger als 3,5 Millionen, die den üblichen Zuschauerschnitt am Freitagabend bilden, wenn die ARD um 21.45 Uhr zur Tatort-Wiederholung ansetzt.” Auch Fernsehkritik.tv berichtet: “Im Angesicht der Quotensucht”.

Wagenburgmentalität, Clownkostüm, Putin

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1. “Die Glatten und die Netten”
(tagesspiegel.de, Bernd Gäbler)
Bernd Gäbler sieht in den TV-Moderatoren Jörg Pilawa, Markus Lanz oder Sven Lorig Repräsentanten eines Fernsehens, bei dem alles “leicht verträglich sein, lieb und possierlich” sein muss. “Wellness für die Seele will dieses Massenfernsehen sein, das Personal ist entsprechend serviceorientiert.” Für “wortmächtig argumentierende Intellektuelle” sei dagegen nur der “Talkshow-Polarisierer-Stammplatz” da. “So wird der kluge Außenseiter ins Clownskostüm gesteckt”.

2. “Aufklärung statt Medienhype”
(dradio.de, Daniel Goeßmann)
Auf der Suche nach dem politischen Journalismus in Deutschland befragt Daniel Goeßmann unter anderem Journalisten von “Welt”, “taz”, “Tagesspiegel” und “Stern”: “Die Branche des politischen Journalismus ist verunsichert, wirkt ratlos. Ein Teil der Journalisten reagiert darauf mit einer Mischung aus Selbstkasteiung und Schadensbegrenzung.”

3. “Putin auf PR-Tour”
(mediathek.daserste.de, Video, 7:48 Minuten)
Begleitet vom russischen Fernsehen fährt Wladimir Putin mit einem gelben Lada an die Grenzen Sibiriens. Wie ein vom Straßenrand gefilmtes Amateurvideo (ab 4 Minuten) zeigt, wird er dabei von einer langen Reihe ausländischer Fahrzeuge begleitet. Originalvideo auf russisch (youtube.com, 2:44 Minuten).

4. “Die Öffnung der Öffentlichkeit”
(nzz.ch, Hans Geser)
Hans Geser erkennt eine “Wagenburgmentalität” bei renommierten Zeitungen. “Der Weg dahin scheint dadurch versperrt, dass sich die traditionellen Eliten dem Online-Diskurs bis anhin fast völlig verweigern, weil sie – was bei Journalisten besonders augenfällig wird – in einem Medium, das alle User zu gleichrangigen Lieferanten von Text-Voten degradiert, keine Möglichkeiten zur Wahrung einer herausgehobenen Podestposition mehr sehen.” Siehe dazu auch diesen Kommentar von Peter Hogenkamp, Leiter Digitale Medien der “NZZ”.

5. “How to be an Old School Journalist”
(holykaw.alltop.com, Video, 10:39 Minuten, englisch)
Ein undatiertes Video zeigt, wie Journalismus in den USA einmal war: “News reporting is a young man’s job. For the reporter must have stamina and endurance to withstand the strain of long and strenuous hours of work.”

6. “Bricht das Internet 1997 zusammen?”
(zeit.de, Ludwig Siegele, 1996)

Auf die schiefe S-Bahn geraten

Gute Nachrichten für alle, die von Berlin nach Hamburg mit der S-Bahn pendeln! Sie dürfen sich auch weiterhin ein Bierchen gönnen, sobald sie nach der langen Überlandfahrt in den Bereich des Hamburger Verkehrverbundes (HVV) vorstoßen – zumindest laut der Online-Ausgabe des “Hamburger Abendblatts”:

HVV verzichtet auf Alkoholverbot

Wer jetzt meint, es gäbe gar keine Nahverkehrsverbindung zwischen den beiden größten Städten Deutschlands, der muss sich irren. Denn das, was hier so verschwommen, aber erkennbar gelb-rot vorbeifährt, ist ganz offensichtlich kein Hamburger Modell, sondern ein Wagen der Berliner S-Bahn.

Mit Dank an Bono.

BKA? Da könnte ja jeder bitten! (3)

Geschichte wiederholt sich bekanntlich nicht — es sei denn als Farce. Wie die nächste Wiederholungsstufe heißt, ist bisher noch nicht überliefert, aber mit der Bezeichnung “Bild” läge man vermutlich nicht allzu falsch.

Im August 2009 fahndete das Bundeskriminalamt mit Bildern nach einem Mann, dem mehrfacher schwerer sexueller Missbrauch von Kindern vorgeworfen wurde und der sich bei seinen Taten selbst gefilmt hatte. Nachdem der Mann sich selbst gestellt hatte, bat das BKA die deutschen Medien, die Fahndungsfotos nicht weiter zu verwenden. Die Medien kamen dieser Bitte mit unterschiedlichem Eifer nach (BILDblog berichtete), “Bild” und Bild.de erhielten für den wiederholten Abdruck der Bilder in Tateinheit mit der Bezeichnung des mutmaßlichen Täters als “Dreckschwein” gar eine “Missbilligung” vom Deutschen Presserat (BILDblog berichtete ebenfalls).

Knapp einen Monat später fahndete das BKA erneut über die Medien nach einem Mann, dem schwerer sexueller Missbrauch von Kindern sowie die Herstellung und Verbreitung von Kinderpornographie zur Last gelegt wurde. Hier kam es zur erwarteten Farce, denn wie sich kurz nach der Verhaftung des Mannes herausstellte, war der Mann für seine Taten bereits 15 Jahre zuvor verurteilt worden und hatte seine Strafe abgesessen — was die Medien freilich nicht davon abhielt, die Fahndungsfotos, deren weitere Verwendung sich das BKA verbeten hatte, weiter zu verwenden (BILDblog berichtete auch hier).

Letzte Woche nun fahndete das BKA über die Fernsehsendung “Aktenzeichen XY … ungelöst” mal wieder nach einem Mann, der des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie der Verbreitung kinderpornografischer Schriften “dringend verdächtig” war. Zwei Tage nach der Ausstrahlung der Sendung wurde der Mann aus Bad Oeynhausen am Freitag festgenommen und das BKA schrieb in seine Pressemitteilung die inzwischen traditionelle Bitte:

Wichtig:
Da mit der Identifizierung der Grund für die Öffentlichkeitsfahndung entfällt, werden die Medien gebeten, die veröffentlichten Fotoaufnahmen nicht weiter zu verwenden und aus den Internetportalen zu entfernen.

Was jetzt passierte, ist vielleicht am Besten mit dem Begriff “Irrsinn” zu beschreiben, denn Bild.de kam der Bitte des BKA zunächst tatsächlich nach: Der ursprüngliche Fahndungsaufruf wurde durch einen Artikel über die Festnahme des Tatverdächtigen ersetzt, in dem kein einziges Foto zu sehen war. Dann muss jemandem bei Bild.de aufgefallen sein, dass man ja Bild.de ist.

Also erschien am Samstag ein neuer Artikel, in den die zehnteilige Bildergalerie mit den Fahndungsfotos eingebunden ist, deren weitere Veröffentlichung das BKA unterbinden wollte:

Geschnappt! Der dicke Kinderschänder, der zwei Mädchen missbrauchte.

“Bild am Sonntag” wiederum verzichtete auf einen Abdruck der Fahndungsfotos — und veröffentlichte stattdessen ein anderes, besser identifizierbares Foto des Verhafteten:

Nach XY-Sendung: Kinderschänder festgenommen

Ganz andere Bilder brachte “Bild” am Montag in ihrer Regionalausgabe:

Mieser Kinderschänder aus NRW! Verhaftung nach Aktenzeichen XY

Mit Dank an Lukas S., Sven S., Kaweh und AJ.

Das Rauschen im Hanfblätterwald

Dass die wilden 70er schon lange zurückliegen, erkennt man an einer Meldung der Deutschen Presseagentur dpa über die Pläne der Bundesregierung, verschreibungspflichtige Cannabis-Medikamente zuzulassen. Dort heißt es unter anderem:

Eigentlich ist Cannabis ein Rauschgift, das aus Hanfblättern gewonnen und meist als Haschisch oder Marihuana konsumiert wird.

Profikiffern dürfte angesichts dieser naiven Aussage der Kragen platzen — wenn sie nicht so lethargisch wären. Erstens ist Cannabis nämlich kein Rauschgift, sondern lediglich der wissenschaftliche Name der vielseitig einsetzbaren Pflanze Hanf. Zweitens werden Marihuana und Haschisch nicht aus Hanfblättern, sondern aus den Blüten bzw. ihrem THC-haltigen Harz gewonnen. Für Marihuana werden zwar auch die kleinen Blättchen über den Blüten der weiblichen Pflanze mitverarbeitet, doch das, was in der dpa-Meldung gemeint ist und was im Zusammenhang mit Cannabis überall abgebildet wird, hat abgesehen von einer abführenden überhaupt keine Wirkung.

Das hat sueddeutsche.de, “Zeit Online”, “Spiegel Online”, fr-online.de und viele mehr aber nicht daran gehindert, diesen Unfug weiterzuverbreiten. Wenigstens ftd.de und Bild.de haben den Joint gerochen und die betreffende Stelle einfach ausgelassen.

Mit Dank an Sara.

Nachtrag, 20.31 Uhr: Bei “Zeit Online” hat sich inzwischen das Bewusstsein erweitert und der Fehler ist korrigiert. Bei “Spiegel Online” wurden zwar wenigstens die wirkungslosen Hanfblätter geerntet, aber man hat immer noch nicht verstanden, dass Cannabis Hanf ist und nicht aus Hanf gewonnen wird:

Eigentlich ist Cannabis ein Rauschmittel, das aus Hanf gewonnen und meist als Haschisch oder Marihuana konsumiert wird.

Nachtrag, 19. August. dpa hat sich an einer Korrektur versucht, was allerdings nur halb gelungen ist. In einer neuen Fassung der Meldung heißt es nun:

Der Cannabis-Wirkstoff Tetrahydrocannabinol ist eigentlich ein Rauschgift, das vor allem aus den Blättern der Hanfpflanze gewonnen und meist als Haschisch oder Marihuana konsumiert wird.

Auf die “Berichtigung” macht dpa in einem “redaktionellen Hinweis” aufmerksam:

Im letzten Satz wurde klargestellt, dass der Wirkstoff Tetrahydrocannabinol das Rauschmittel darstellt und vor allem aus der Blüte gewonnen wird, nicht aus den großen Blättern.

“Wurde klargestellt” hier offenbar in der Bedeutung von “hätte klargestellt werden sollen”.

Bild  

Was Entwürdigen und Verleumden kostet

Thai-Hure boxt deutschen Sex-Touristen k.o.

Es ist ein schrecklich geschundenes Gesicht, das “Bild” am 11. August 2004 in Großaufnahme zeigt. Das linke Auge des Mannes ist fast zugeschwollen, im Mund ist getrocknetes Blut zu sehen, auf Wangen und Nase haben Schläge deutliche Spuren hinterlassen.

Das Foto des Mannes war von einer Nachrichtenagentur unter Berufung auf die thailändische Zeitung “Pattaya Mail” verbreitet worden. Die Geschichte zu dem Gesicht erzählte “Bild” so: Ein deutscher Geschäftsmann namens F. habe sich als “Sex-Tourist” im thailändischen Urlaubsort Pattaya aufgehalten.

Er engagierte ein Thai-Mädchen, versprach ihr viel Geld für ein privates Pornovideo. (…)

Für 1000 Baht (umgerechnet 20 Euro) willigte die Prostiuierte ein, ging mit ihm aufs Zimmer — und ließ sich filmen. Aber nach dem Sex wollte der Bayer plötzlich den vereinbarten Lohn nicht zahlen! Lautstarker Streit, die Hure wurde handgreiflich, sie stürzte sich auf den Deutschen, schlug ihm ins Gesicht. (…) Vergeblich versuchten andere Prostituierte und die Bordellchefin dazwischenzugehen.

Erst Polizisten konnten den Deutschen und die Hure trennen. (…)

Eine tolle Geschichte, oder wie “Bild” schrieb: “ein unglaublicher Fall”, den das Blatt natürlich trotzdem unbesehen geglaubt hatte.

Doch die Geschichte ist falsch. Das fängt schon damit an, dass der Mann, den “Bild” groß im Foto zeigt und mit Vornamen, abgekürztem Nachnamen, Alter und Heimatort nennt, kein “Sex-Tourist” ist, sondern in Pattaya lebt. Und es hört nicht damit auf, dass der Mann in seiner eigenen Wohnung zusammengeschlagen wurde, nicht in einem Bordell, weshalb auch keinen anderen Prostituierten oder gar eine Bordellchefin dazwischen gingen.

F. hat die “Bild”-Zeitung damals verklagt. Nach über fünf Jahren Verhandlung hat das Landgericht Hamburg in der vergangenen Woche endlich ein Urteil gefällt: Das Blatt habe das Persönlichkeitsrecht von F. “in schwerwiegender Weise” verletzt. Der Inhalt des Artikels sei “unwahr”. Durch die Veröffentlichung des Fotos habe die Zeitung “in evidenter und krasser Weise” gegen F.s Recht am eigenen Bild verstoßen:

Es handelt sich um eine großformatige Portraitaufnahme des Klägers, die ihn entstellt zeigt, nachdem er Opfer einer Straftat geworden ist. Sie zerrt den Kläger an die massenmediale Öffentlichkeit, zeigt ihn in einem Zustand, der einer Krankheit vergleichbar ist, und macht diesen für jedermann sichtbar. Der Kläger wird entwürdigend und anprangernd dargestellt.

Und was kostet sowas? Nicht viel: Das Gericht verurteilte “Bild” zur Zahlung von 10.000 Euro Schmerzensgeld, und nicht einmal die wird der Kläger vollständig bekommen.

Ein Sieg ist das nicht.

Dass der “Bild”-Bericht in den wesentlichen Punkten falsch ist, steht außer Frage. Umstritten ist, ob er einen wahren Anlass hat.

Die “Bild”-Zeitung hatte als Teil ihrer Verteidigung einen Mann zur “Nachrecherche” nach Thailand geschickt und behauptete nun, Hintergrund des Angriffs seien mehrere Pornofilme gewesen, die F. mit einer Prostituierten gedreht habe, deren Herausgabe sie forderte und die später von der Polizei auf F.s Computer gefunden worden seien. Als F. der Forderung nicht nachkam, habe die Frau Freunde zu Hilfe gerufen, woraufhin es zu den Handgreiflichkeiten gekommen sei.

F. bestreitet einen solchen Zusammenhang und schildert die Tat als einen brutalen Raubüberfall von zwei Männern auf ihn. Die Frau, die ihn laut “Bild” mit verprügelt haben soll, sei gar nicht anwesend gewesen. Auf seinem Computer seien zwar pornografische Filme gewesen, aber keiner mit der betreffenden Frau.

Das Hamburger Gericht ließ in Thailand einen Polizeibeamten als Zeugen vernehmen, der mit dem Fall damals zu tun hatte, aber nicht vor Ort war. Das trug mit zu der erstaunlichen Verlängerung der Prozessdauer bei, brachte aber nur bedingt Klarheit. Am Ende glaubte das Gericht, dass ein Streit um die Videos, die während der Beziehung zwischen der Frau und F. “zum Hausgebrauch” entstanden seien, Hintergrund der Körperverletzung gewesen sei. Somit sei die Berichterstattung von “Bild” zwar in weiten Teilen unwahr, sei aber “auf ein reales Geschehen zurückzuführen”. Das mindere den Schadensersatzanspruch von F.

Als entscheidend für die Höhe der zu zahlenden Summe wertete das Gericht auch, inwieweit die “Bild”-Berichterstattung Folgen für F. hatte. Ungefähr die einzige Aussage des Opfers, die die “Bild”-Anwälte ihm glaubten, war die, dass er kein “Sex-Tourist” ist, sondern seinen Wohnsitz in Thailand hat. In Thailand, so die Argumentation der “Bild”-Anwälte, würden aber nicht einmal 400 Exemplare des Blattes täglich verkauft. Dass die Familie von F. in Oberstdorf lebe, dass er regelmäßig dorthin zu Besuch fahre, dass die Mutter von F. vielfach auf den “Bild”-Artikel über ihren Sohn angesprochen worden sei, all das bestritten die Anwälte pauschal.

Das Gericht urteilte, dass F. von der falschen und seine Persönlichkeitsrechte verletzenden Berichterstattung “weniger intensiv betroffen” sei, weil er seinen Lebensmittelpunkt in Thailand habe.

Anstelle der Forderung von 30.000 Euro, für die das Gericht dem Kläger ursprünglich Prozesskostenhilfe bewilligt hatte, sprach die Zivilkammer 24 dem “Bild”-Opfer nur 10.000 Euro Schmerzensgeld zu. Ursprünglich hatte F. auch versucht, “Bild” zu einem Widerruf zu zwingen — eine Forderung, die F.s Anwalt zurückziehen musste, weil es sich als unmöglich erwies, Zeugen des Tatverlaufs in Thailand aufzutreiben. Den Streitwert eines solchen Widerrufs hatte das Gericht mit 50.000 Euro angegeben. Die 10.000 Euro entsprechen somit nur einem Achtel der Forderungen des Klägers, der deshalb sieben Achtel der Kosten tragen muss.

Die Kosten des Gerichtes und seines eigenen Anwaltes trägt die Staatskasse. Von den 10.000 Euro Schmerzensgeld zuzüglich Zinsen, die “Bild” F. zahlen muss, kann das Blatt rund 3000 Euro eigene Anwaltskosten gleich abziehen.

F. ist außerordentlich frustriert. Er beschwert sich über die massive Verzögerungstaktik des Richters Andreas Buske und meint, dass schon die Veröffentlichung des “schrecklichen Fotos” von ihm eindeutig unzulässig gewesen sei. Er muss sich nun entscheiden, ob er Berufung gegen das Urteil einlegt.

Für “Bild” sind die paar Euro für die Entwürdigung und Verleumdung eines Menschen sicher leicht zu verschmerzen.

Mit Dank an Rolf Schälike, der auf seiner Seite Buskeismus auch über den Fall berichtet.

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