Es sind ja nicht alle “Bild”-Geschichten falsch. Manche sind einfach nur alt.
14. März 2004, Spiegel Online:
Danke an Oliver B.!
Heute müssen wir “Bild” loben. Gestern war Sonntag, sonntags ist notorisch wenig los und das Blatt notorisch dünn besetzt, und trotzdem hat die Redaktion nicht — wie sonst gerne einmal — einfach eine Nachricht erfunden. Aber die Rubrik “Verlierer des Tages” wollte halt gefüllt werden, und so findet sich da heute Ulrich Meyer:
Wird die “Akte 2004” langweilig? TV-Moderator Ulrich Meyer (48) scheitert mit seiner SAT-1-Show regelmäßig an der 15-%-Hürde in der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen. Jetzt sah sich der TV-Sender laut “kressreport” sogar gezwungen, die Preise für die Werbung zu senken.
BILD meint: Verstaubt diese Akte?
Alles korrekt soweit, aber apropos “verstauben”: Die Meldung aus dem “kress” ist über zwei Wochen alt. Sie stammt vom 3. September. Soviel zum Verlierer “des Tages”.
Manchmal ist “Bild” so berechenbar wie früher das “Neue Deutschland”. Dieter Stolte wird 70, und weil der ehemalige ZDF-Intendant heute Herausgeber von “Welt” und “Berliner Morgenpost” ist, die im Axel-Springer-Verlag erscheinen, der auch die “Bild”-Zeitung herausgibt, ist Dieter Stolte heute was? Richtig: Gewinner des Tages in “Bild”.
Und wir seufzen und machen einen weiteren Eintrag auf dieser Liste:
06.09.: Christian Kracht, “Der Freund” (Axel Springer)
10.09.: “Welt kompakt” (Axel Springer)
15.09.: “Auto Bild.de Automarkt” (Axel Springer)
17.09.: “Welt” (Axel Springer)
18.09.: Dieter Stolte (Axel Springer)
Langsam wär’ mal wieder Kohl dran.
(Wird fortgesetzt.)
Womöglich gibt es eine Welt außerhalb des Axel Springer Verlages, und eventuell passiert dort gelegentlich sogar mal etwas, das man als Erfolg werten kann, aber bestimmt ist das alles nicht halb so toll wie das, was in den vielen schönen Pressemitteilungen des eigenen Hauses steht und woraus “Bild” fast täglich einen “Gewinner des Tages” für seine erste Seite kürt, allein viermal in den letzten elf Ausgaben:
06.09.: Christian Kracht, “Der Freund” (Axel Springer)
10.09.: “Welt kompakt” (Axel Springer)
15.09.: “Auto Bild.de Automarkt” (Axel Springer)
17.09.: “Welt” (Axel Springer)
Wäre es wohl zuviel verlangt, wenn einem wirklich keine anderen Gewinner mehr einfallen, die Rubrik einfach abzuschaffen oder wenigstens “In eigener Sache” drüberzuschreiben?
(Wird fortgesetzt. Garantiert.)
Wie findet “Bild” eigentlich Mädchen, die sich piercen oder tätowieren lassen? Geil. In Wort und — vor allem — Bild präsentiert das Blatt gerne die Resultate. “Bild” zeigt “sexy Girls mit ‘Nippel-Sonnen'”, erklärt ungewöhnliche Piercings für angesagt, gibt Tipps zum Selbermachenlassen (“schon etwas schmerzhaft”) und sucht seit Wochen Deutschlands schönstes “Arschgeweih”, jene “heißen Hingucker”, “zauberhaften”, “sexy Bildchen”, “Tattoo-Rücken, die entzücken”. Body-Modification? Yes please!
Äh, außer:
…heute riesengroß auf Seite 1 der “Bild”. Was ist passiert? “Big Brother”-Kandidatin Daniela hat sich im Container vor laufenden Kameras piercen lassen. Resultat, laut “Bild”:
Tränen, Blut, Schreie.
Oder genauer, nicht laut “Bild”: Keine Tränen, kein Blut, ein Schrei. “Bild” behauptet:
“Big Brother” bricht letztes Tabu.
— och, da würden uns noch ein paar letztere einfallen. Und wo wir gerade dabei sind: Sado-Maso hat mit Folter nichts zu tun, Folter hat mit Piercings nichts zu tun, Piercings haben mit Sado-Maso nichts zu tun.
Warum lässt sich dieses Mädchen vor der TV-Kamera quälen?
Vielleicht weil sie auch so geil aussehen will wie die gepiercten “Bild”-Mädchen und keine Lust hatte auf ein Ansteck-Plastik-Piercing aus dem Kaugummiautomaten?
…widerliche Bilder von einem Busen-Piercing…
So widerlich, dass “Bild” seinen Lesern auch extra nicht mehr als drei Großaufnahmen davon zumutet. Na gut: vier.
Sadomaso-Folter im deutschen TV — jetzt wollen Politiker den Irrsinn stoppen!
Mit anderen Worten: Klicken Sie vor dem Verbot schnell noch rechts neben den Artikel, wo “hier geht’s zum BB-Livestream” steht. Von den 0,98 Euro, die 12 Stunden Big Brother Live kosten (mögliche Sado-Maso-Folter inklusive), kommt ein Teil einem guten Zweck zugute: bild.de.
Liz Taylor sehnt sich nach dem Tod
Was müsste passieren, damit diese “Bild”-Überschrift gerechtfertigt wäre? Liz Taylor könnte versucht haben, sich das Leben zu nehmen. (Hat sie nicht.) Liz Taylor könnte ein Interview gegeben haben, in dem sie ungefähr sagte: “Ich möchte gar nicht mehr leben!” (Hat sie nicht.) Freunde von Liz Taylor könnten erzählt haben, die Schauspielerin sei lebensmüde. (Haben sie nicht.)
Was ist tatsächlich passiert? Liz Taylor hat Parkinson und Altersdemenz. (Glaubt “Bild”, jeder Parkinson-Kranke sehne sich nach dem Tod?) Sie rüttelt an Türen, weil sie nicht merkt, dass sie verschlossen sind. (Weiß “Bild” exklusiv, dass Liz Taylor nur die Tür zum Himmel sucht?) Stundenlang sieht sie sich alte Filme von sich und ihrem Ex-Ehemann Richard Burton an. (Zählt das schon als Selbstmordversuch?)
Dann hat “Bild” noch diese Information:
Britische Medien berichten von Liz Taylors bizarrem Plan: Sie will Burton, der in der Schweiz begraben ist, umbetten lassen. Der Filmstar soll in seiner walisischen Heimat seine letzte Ruhe finden, die Taylor will sich neben ihm beerdigen lassen.
So bizarr klingt der Plan laut britischen Medien gar nicht: Das Grab neben dem von Burtons Eltern haben er und Taylor gemeinsam gekauft, als sie verheiratet waren, und Burton soll gesagt haben, dass er eigentlich dort begraben werden soll. Einige seiner Angehörigen haben Taylors Plan angeblich schon zugestimmt. Und dass eine parkinsonkranke 72-jährige Frau Pläne für ihr Begräbnis macht, ist ja nun so abwegig nicht.
Aber, hey, die Schlagzeile “Liz Taylor sehnt sich nach dem Tod” ist eindeutig besser als alles, was die Fakten hergegeben hätten. Mal abgesehen von “‘Bild’ sehnt sich nach Liz Taylors Tod”, natürlich.
Mit Dank an Hendrik L.
Am Freitag machte “Bild” PDS-Chef Lothar Bisky zum Verlierer des Tages. Weil seiner Partei die Mitglieder weglaufen:
Vergangenes Jahr gaben 5052 Genossen ihr Parteibuch ab – ein Minus von rund 7 Prozent. Nur noch 65 753 Menschen gehören der SED-Nachfolgepartei an. In den alten Bundesländern gibt es gerade einmal 4378 bekennende Sozialisten.
BILD meint: PDS – Partei, die schrumpft!
Stimmt. Richtig ist auch, dass die PDS in aktuellen Umfragen bundesweit auf 7 Prozent kommt, im Osten mit 28 Prozent zweitstärkste Partei nach der CDU würde und bei der Landtagswahl in Brandenburg mit 34 Prozent der Stimmen die mit Abstand meisten Stimmen bekommen könnte.
Und: Nein, das wird Bisky nicht zum Gewinner des Tages in “Bild” machen.
Im Prozess gegen den irren S-Bahn-Schubser Ugur I. (19) sagte der Angeklagte gestern zu seinem Opfer: “Ich bereue es. Aber du brauchst keine Angst vor mir zu haben.” Der Täter (illegal in Deutschland) kann sich an die Tat angeblich nicht erinnern: “Ich habe getrunken, viel zu viel. Ich weiß nichts mehr.”
Schreibt “Bild”. Angekündigt und überschrieben ist der Bericht mit den Worten:
S-Bahn-Schubser verhöhnt sein Opfer
Tja, vielleicht war die Überschrift einfach schon fertig, bevor der Prozess begonnen hatte, und dann hatte keiner mehr Lust, sie zu ändern. Warum auch.
Aufregende Geschichte, oder? Da möchte man schon wissen, worum es eigentlich geht.
Darum geht’s: Einen lustigen Brief haben Abiturienten des Jesuitenkollegs zu St. Blasien an den Süßwarenhersteller Haribo geschrieben. Schauen Sie doch mal hier. Am 29.03.2004 war das. Haribo hat am 14.04.2004 zurückgeschrieben (lässt sich auch hier nachlesen). Eine alte Geschichte also, aber, wie gesagt, lustig.
Insofern spricht auch nichts dagegen, wenn ein Boulevardblatt (der “Kölner Express”) erst am 31.08.2004 einen Artikel dazu veröffentlicht, dessen Überschrift lautet: “Haribo: Internet-Spaß um heiße Früchtchen”.
Eine andere Boulevard-Zeitung (“Bild”), hat das Ganze tags drauf nochmal aufgeschrieben, und zitiert den stellvertretenden Schulleiter:
Der kuriose Brief stammt nicht von der Schulleitung, sondern von einigen unserer Abiturienten, die sich einen Spaß erlaubt haben.
Die Überschrift dazu kennen wir ja schon (s.o.), und fügte man irgendwo hinter “Haribo” und vor “Gefährdung der Sittsamkeit” die Wörter “im Spaß” ein, wäre sie zwar nicht mehr so richtig der Hammer, dafür aber präzise.
Übrigens steht im Text auch noch der schöne Satz, “Eine Kölner Lokalzeitung machte aus dem Schreiben einen Pornoskandal, spricht von ‘Sex-Posse’.” Der Satz, “Die ‘Bild’-Zeitung machte aus dem Schreiben einen Sex-Skandal, spricht von ‘Porno-Verdacht'”, der steht da leider nicht.
Mit Dank an Christian K. für den sachdienlichen Hinweis.
Diese Sex-Szenen sind die nackte Lüge — Warum sich TV-Martina Gedeck dabei doubeln ließ
…steht auf der Homepage von Bild.de. Ja, warum lässt sie sich wohl doublen? Klickt man auf die Ankündigung, kommt man zu einem Artikel, der auch groß in der heutigen “Bild” ist. Überschrift:
Achtung! Diese Sex-Szenen sind die nackte Lüge — Warum TV-Star Martina Gedeck im ARD-Film “Hunger auf Leben” die erotischen Stellen einem Bodydouble überließ
Spannend. Warum also? Lesen wir den Artikel:
Ein Paar beim Liebesakt: Sie zieht ihm langsam das Hemd aus, küsst zärtlich seine Brust. Sekunden später: Er sitzt splitternackt auf der Couch, sie rittlings auf seinem Schoß. Genüsslich bewegen sich beide beim Sex.
Jajaja, geil. Und warum hat sich Gedeck dabei doubeln lassen?
Eine Szene aus dem ARD-Film „Hunger auf Leben“ (heute Abend, 20.15 Uhr). Hauptdarstellerin Martina Gedeck (39, „Rossini“) spielt die ostdeutsche Schriftstellerin Brigitte Reimann (1934–1973).
etc. etc. etc. Blöde Fakten. Was ist nun mit den Sexszenen? Warum hat die sich doubeln lassen?
Ein Film mit vielen freizügigen Liebesszenen. Doch die schöne Nackte ist nicht Schauspielerin Martina Gedeck! Wie BILD erfuhr, wurde die Schauspielerin in den pikanten Szenen gedoubelt.
So. Sie wurde also gedoubelt. Wissen wir. Jetzt muss es kommen: Warum wurde sie gedoubelt?
Die hingebungsvolle Brünette ist Fotomodell Myriam G. (32) aus Frankfurt am Main. Normalweise posiert sie für Mode-Kataloge wie …
bla bla bla
… sieht Martina Gedeck auch wirklich zum Verwechseln ähnlich. Die Haare, die Figur, der helle Hautton – alles passt perfekt.
Schön für sie. Und warum hat sich die Gedeck nun doubeln lassen?
Myriam hatte keine Probleme, die Sexszene auf dem Sofa mit Schauspieler Kai Wiesinger … zu drehen. … Myriam sagt: “Es gab keinen echten Sex. Wir waren zwar tatsächlich beide nackt. Aber passiert ist natürlich nichts. Alles nur gespielt. Es hat mir sehr viel Spaß gemacht.”
Hier endet der Artikel.
Und wir haben nur eine einzige Frage: WARUM VERDAMMT NOCH MAL HAT SICH DIE GEDECK DABEI DOUBELN LASSEN?
P.S.: Außer als “nackte Lüge” hätte man die gedoubelte Szene natürlich auch als “Alltag im Filmgeschäft” bezeichnen können. Oder als Symbolbild.