Die britische “Daily Mail” berichtet heute über das Lied “My Soul” von Paul McCartney. Offenbar eine Art Liebeslied an seine Ex-Frau Heather Mills. Über den “Rosenkrieg” zwischen McCartney und Mills hatte die britische Boulevardpresse stets ausführlich berichtet – und “Bild” hatte sichstetsausführlichanderBerichterstattungbedient.
Heute berichtet Bild.de, unter Berufung auf die “Daily Mail” über McCartney’s neues Lied “My Soul”. Der Produzent des Liedes sagte der “Daily Mail”:
“Paul hat ein Lied über seine Gefühle zu Heather gemacht und darüber, wie das mit den Paparazzi war, weil niemand seine Version von alldem gehört hat – das wird also das erste mal sein, dass jemand ein Lied über dieses Thema hört. Es ist ein sehr emotionaler und starker Song.”
“My Soul”:
“How could this steal all these feelings? How could they lie to this world? A picture away from your smile. One song displaced. One heart replaced. Feelings defaced. Invade our space. No one left to give us back our time”
Entsprechend erklärt die “Daily Mail” ihren Lesern einige Textzeilen so:
McCartney beklagt sich, dass Fotografen in ihre Privatsphäre eingedrungen sind und dass Lügen über ihre Beziehung verbreitet wurden.
Bild.de indes hat den Teil mit den Lügen und den Fotografen einfach weggelassen – und das Zitat des Produzenten so umgedichtet:
“Es ist ein sehr emotionaler und starker Song – nicht, was die Leute sonst von Paul McCartney gewöhnt sind.”
Mit Dank an Felix F. für den sachdienlichen Hinweis.
Nicolaus Fest, Mitglied der “Bild”-Chefredaktion, ist jemand, der sich schnell mal ein bisschen in Rage schreibt. Und man muss nicht sein Therapeut sein, um zu ahnen, dass das gestern, als er den “Bild”-Kommentar für heute verfasste, wieder passiert ist.
Leider verliert Nicolaus Fest mit der Contenance auch gern den Überblick über die Fakten. Und so schreibt er heute über die Versprechungen von Jacques Rogge, dem Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees, und die Zensur des Internets durch China:
Mal abgesehen davon, dass es sich bei der BBC (im Gegensatz zum chinesischen Fernsehen) nicht um einen “Staatssender” handelt, ist das falsch. Die Internetseiten der “FAZ”, der Deutschen Welle und der BBC sind nicht gesperrt — wie unsere heute morgen um 9 Uhr Ortszeit in Peking entstandenen* Screenshots beweisen:
Genau das ist der in der vergangenen Woche erreichte Kompromiss, den Jacques Rogge als “größtmöglichen” Internetzugang bezeichnet hat (und den man mit gutem Recht kritisieren darf): dass diese und viele andere internationale Nachrichtenseiten nicht mehr gesperrt sind und sich die Zensur fast nur noch auf Homepages zum Beispiel von Dissidenten, Tibet-Gruppen und manchen Menschenrechtsorganisationen bezieht.
Und wenn uns jetzt noch ein passendes Wortspiel mit dem Namen des erregt-erratischen “Bild”-Kommentators einfiele, wäre es uns ein Fest.
Am 18. April 2006, sieben Monate vor ihrer Hochzeit mit Tom Cruise, brachte Katie Holmes in Los Angeles ihre Tochter Suri zur Welt, am vergangenen Donnerstag hat sie in New York einen Kaffee getrunken, und in der Zwischenzeit gab es immer wieder Gerüchte über eine zweite Schwangerschaft. Hier eine kleine Auswahl:
Oktober 2006: Indiz 1: Bauch-Foto
Dezember 2006: Indiz 1: neues Bauch-Foto Indiz 2: Augenzeugenberichte über den Kauf blauer Baby-Strampler
März 2007: Indiz 1: Augenzeugenberichte über den Besuch einer Edel-Baby-Boutique
Juni 2007: Indiz 1: neues Bauch-Foto Indiz 2: weiteres Bauch-Foto
November 2007: Indiz 1: neues Bauch-Foto Indiz 2: weiteres Bauch-Foto Indiz 3: “strahlt wie ein Engel” (“Bild”)
Januar 2008: Indiz 1: Augenzeugenbericht über den Kauf von Kinderkleidung mit dem Aufdruck “Big Sister” und Babykleidung mit den Aufdrucken “Little Sister” und “Little Brother”
Februar 2008: Indiz 1: Bestellung von Babydecken in einem Online-Shop
Mai 2008: Indiz 1: neues Bauch-Foto
Juli 2008: Indiz 1: neues Bauch-Foto Indiz 2: weiteres Bauch-Foto
Am vergangenen Donnerstag schossenPaparazziabermals einen ihrer Schwangerschaftstests – und die “Bild am Sonntag” reagierte prompt:
Katie Holmes wieder schwanger?
(…) Hat Katie Holmes (29) nur einen Kaffee zu viel getrunken oder wölbt sich unter dem weißen T-Shirt etwa ein zartes Babybäuchlein?
Aber wie egal der “Bild am Sonntag” diese Frage eigentlich ist, zeigt eindrucksvoll die Online-Version der “BamS”-Meldung (siehe rechts):
Nun können womöglich Heerscharen von Online-Lesern heute nacht nicht einschlafen, weil sie sich fragen, warum Holmes ausgerechnet “einen Becher Kaffee zu viel getrunken” haben soll (oder wo man auf dem Foto von Holmes im grauen Tanktop eigentlich das “weiße T-Shirt” sehen kann, von dem im Text daneben die Rede ist). Und allen, die jetzt womöglich am Hinterausgang des New Yorker “Minetta Lane Theatre” rumlungern wollen, weil Holmes ja dort – laut “BamS” – “nach einer Theaterprobe” fotografiert wurde, sei gesagt: Man sollte sich lieber nicht auf die “BamS” verlassen dafür vielleicht doch lieber ein paar Straßen rauf zum “Gerald Schoenfeld Theatre” gehen.
Nachtrag, 8.8.2008:
August 2008 Bild.de entdeckt ein neues Schwangerschaftsindiz: “Haare schneiden lassen – das machen Frauen ja in der Regel nicht einfach so.”
Nachtrag, 28.6.2009:
Juni 2009 Bild.de entdeckt mal wieder das übliche Schwangerschaftsindiz: “unter Katies weißem Shirt ein verdächtiges Bäuchlein”. Weiteres Indiz: Holmes Tochter Suri “würde sicher eine gute große Schwester abgeben”.
Nachdem die “Bild am Sonntag” in der vergangenen Woche mit einer Geschichte über Radovan Karadzic aufgemacht hat, die sich als ziemlich falsch herausstellte (wir berichteten) …
Die 2005 verbindlich eingeführte “Schlechtschreibreform” hat den Schülern das Leben nicht leichter gemacht, sondern schwerer!
“Schlechtschreibreform” hatte “Bild” die Rechtschreibreform zwischen 2004 und 2006 genannt — also in dem Zeitraum, in dem sie die Änderungen, die sie 1997 begrüßt und 1998 selbst übernommen hatte, massiv und vergeblich bekämpfte und zeitweise sogar zur alten Rechtschreibung zurückkehrte.
Doch so ein Kulturkampf hinterlässt Spuren. Und wenn wegen einer solchen Reform nun die Schüler tatsächlich mehr Fehler machen als vorher, war sie sicher mehr schlecht als recht.
“Bild”-Redakteur Hans-Jörg Vehlewald bezieht sich auf die Forschungsgruppe Deutsche Sprache (FDS), die er immerhin zu Recht “reformkritisch” nennt, und schreibt:
Die Fehlerquote in Aufsätzen und Diktaten hat sich teilweise massiv erhöht. So stieg die Zahl falsch geschriebener Wörter in Aufsätzen (4. Klasse) um 80 %, in Diktaten der Unterstufe (Gymnasium) um 110 %, in Abituraufsätzen sogar um 120 % im Vergleich zu früheren Jahrgängen.
Die Fehlerzahl bei s-Lauten habe sich etwa verdoppelt, so die Auswertung vorliegender Studien. Bei Groß- und Kleinschreibung sei die Fehlerquote gar um 176 % angestiegen.
Das sind große Prozentzahlen — eindrucksvoll und ohne jede Aussagekraft, wenn man nicht dazu schreibt, worauf sie sich beziehen. Der Preis der “Bild”-Zeitung zum Beispiel ist um 566 Prozent gestiegen! (Verglichen mit 1965.) Was “Bild” nur als “frühere Jahrgänge” verbrämt, ist in Wahrheit entscheidend: Bei den Diktaten der Unterstufe handelt es sich konkret um die Jahre 1970/1972. Und um festzustellen, dass die Zahl falsch geschriebener Wörter in Abituraufsätzen “sogar um 120 %” gestiegen ist, hat die “Studie” deutsche Zahlen von 2000-2002 mit Schweizer Zahlen von 1962-1978 verglichen.
Der Linguist Anatol Stefanowitsch weist im FDS-kritischen Bremer Sprachblog darauf hin, dass es in den siebziger Jahren radikale Reformen im Deutschunterricht gab, die einen “drastischeren Einschnitt” in die Ausbildung von Schülern darstellte als die sogenannte Rechtschreibreform, und urteilt:
Es gibt deshalb keinen Grund anzunehmen, dass die Unterschiede bei den Fehlerquoten in Schülerdiktaten von damals und heute irgendetwas mit der Rechtschreibreform zu tun haben. Genausogut könnte man die Unterschiede auf die Ölkrise 1973, den Boykott der Olympischen Spiele in Moskau 1980, den Gewinn der Fußballweltmeisterschaft 1990 oder Roman Herzogs “Ruck”-Rede 1997 zurückführen.
Die Forschungsgruppe Deutsche Sprache selbst hat sich alle Mühe gegeben, diese Lücken in ihrer Argumentation zu verschleiern. Aber sowohl aus der am Montag veröffentlichten Kurzfassung der Studien, die offenbar die Grundlage für den “Bild”-Artikel ist, als auch aus einem Vortragsmanuskript ihres Autors Uwe Grund [pdf] hätte “Bild”-Redakteur Vehlewald erkennen können, dass seine Aussage “Wegen Rechtschreibreform machen Schüler mehr Fehler” nicht gedeckt ist.
Die Dinosaurier, das weiß man, sind auch erst immer trauriger geworden und dann ausgestorben. Okay, damals lag es daran, dass sie nicht mit auf die Arche durften. Aber wenn diese anderen Riesentiere, die Blauwale, seit ein paar Jahrzehnten immer leiser und tiefer singen, könnte das doch auch ein Zeichen sein, dass sie sich langsam von der Erde verabschieden.
Sie glaubt auch eine Erklärung dafür gefunden zu haben, in einem sogar von ihr verlinkten Artikel in der “New York Times” (wo sich Bild.de gleich auch bei einigen markanten Wal-Tonaufnahmen bedient hat, nicht ohne sie als ihre eigenen auszugeben und den Hinweis wegzulassen, dass sie dreimal so schnell abgespielt werden). Experten vermuten auf der Grundlage einer Studie, dass männliche Wale mit ihren Gesängen Weibchen anlocken, und Bild.de rätselt mit ihnen, warum diese Gesänge tiefer und leiser geworden sind:
Eine mögliche Deutung: der massive Walfang.
Die Säuger-Gruppen werden kleiner, die Wale drosseln ihre Lautstärke. Schließlich ist es nicht mehr nötig, über große Entfernungen hinweg zu kommunizieren, vermutet [Studienautor] Mark A. McDonald.
Experten-Kommentare zu den Forschungs-Ergebnissen aus Kalifornien: besorgniserregend, dramatisch und bezeichnend für die Umwelt-Sünden unserer Welt.
“Besorgniserregend” und “dramatisch” sind vermutlich auch die Worte, die auf Karolina Pajdaks Zeugnis unter “Leseverständnis” standen. Oder, wie wir hinzufügen würden: “bezeichnend für die Englisch-Kenntnisse bei Bild.de”. Denn die Zahl der Blauwale scheint derzeit nicht ab-, sondern zuzunehmen. Entsprechend wird der tiefere und leisere Gesang in dem Artikel, auf den die Autorin sich bezieht, von Experten genau im Gegenteil mit der Erholung (“rebound”) der Wal-Population erklärt. Nach der Hypothese der Experten, die auch Bild.de zitiert, mussten die Wale früher lauter sein, weil es nur wenige gab und die Entfernungen zwischen ihnen größer waren. Heute kämpften häufiger mehrere Männchen um die Zuneigung von Weibchen und täten das durch die (nach mehr Größe klingenden) tieferen Stimmen.
Der Bild.de-Artikel behauptet, dass Bild.de selbst mit einer Autorin der Studie gesprochen habe. Das erscheint unwahrscheinlich, aber schlimmer wäre es eigentlich noch, wenn es stimmte.
Vielen Dank an Christian Z.!
Nachtrag, 18:50 Uhr. Bild.de hat den Artikel geändert, plötzlich nimmt die Zahl der Wale nicht ab, sondern zu — und erstaunlicherweise fand die Autorin sogar ein dazu passendes neues Zitat von der Expertin:
Bild.de, 1. Version
Bild.de, 2. Version
Eine mögliche Deutung: der massive Walfang.
Die Säuger-Gruppen werden kleiner, die Wale drosseln ihre Lautstärke. Schließlich ist es nicht mehr nötig, über große Entfernungen hinweg zu kommunizieren, vermutet Mesnicks Kollege Mark A. McDonald .
Experten-Kommentare zu den Forschungs-Ergebnissen aus Kalifornien: besorgniserregend, dramatisch und bezeichnend für die Umwelt-Sünden unserer Welt.
Eine der Haupt-Theorien: “Die Zahl der Wale nimmt zu, damit sind mehr Tiere nahe zusammen”, so Mesnick zu BILD.de. “Wir denken, die Veränderungen in ihren Liedern sind eine Reaktion auf die veränderte Anzahl der Wale, die sie singen hören können.”
Einmal im Jahr veröffentlicht der Deutsche Presserat in seinem Jahrbuch alle Entscheidungen, die er im Vorjahr gefällt hat. Interessanter als seine nur selten nachvollziehbaren Urteile sind oft die (anonymisierten) Stellungnahmen der Zeitungen.
Das Jahrbuch bietet auch seltene Einblicke in die Argumentationsmuster innerhalb der notorisch öffentlichkeitsscheuen Axel-Springer-AG, wenn die Rechtsabteilung gegenüber dem Presserat ausgeruht die fragwürdigen Ad-Hoc-Entscheidungen der “Bild”-Zeitung zu rechtfertigen versucht.
Da war etwa die Beschwerde, dass “Bild” am Tag des Fußball-WM-Spiels gegen Polen 2006 dreizehn Witze über Polen veröffentlichte, von denen zwölf darauf abzielten, dass Polen Diebe seien. Ein Leser fand das diskriminierend und ehrverletzend. Der Presserat gab ihm Recht und sprach einen “Hinweis” aus. Die Rechtsabteilung von “Bild” aber erklärte in den Worten des Presserates:
Der Abdruck der Witze sei (…) dem aktuellen Ereignis geschuldet. Kollektiv abwertende Vorurteile würden nicht zum Ausdruck gebracht. (…) Die Rechtsabteilung verweist auf die gängige Praxis in der Sportberichterstattung, Schlagzeilen zu wählen, die mit dem sportlichen Wettkampf zusammenhingen und zum Ausdruck brächten, dass Deutschland hoffentlich gewinnen werde. Eine Diskriminierung oder Herabsetzung des Gegners gehe damit nicht einher. Es handele sich vielmehr um eine Motivationshilfe für das jeweilige deutsche Team.
Bemerkenswert ist auch die Erklärung des Verlages, warum es zulässig gewesen sei, das Porträtfoto eines 17-Jährigen zu zeigen, der gestanden hat, am Raubüberfall auf das Haus von Dieter Bohlen beteiligt gewesen zu sein — obwohl der Pressekodex eine solche Identifizierung in der Regel untersagt und bei Jugendlichen ganz besonders. Laut Presserat erklärte Springer:
Den Tätern habe auch klar sein müssen, dass ihr Überfall auf den prominenten Dieter Bohlen eine besondere öffentliche Wirkung entfalten würde. Das wiederum habe zwangsläuzfig zur Folge gehabt, dass auch sie im Fall einer Festnahme und anschließender Anklage einem besonderen Informationsinteresse ausgesetzt sein würden.
Die Erwiderung des Presserates, der in diesem Fall eine “Missbilligung” aussprach, liest sich vergleichsweise trocken: “Die Resozialisierungschancen eines Täters hängen nicht von der Prominenz des Opfers ab.” Nun ja, möchte man erwidern: dank “Bild” eben doch.
Die “Maßnahmen” des Presserates:
Hat eine Zeitung oder eine Zeitschrift gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:
einen Hinweis
eine Missbilligung
eine Rüge.
Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, tun sie es nicht.
Die nüchtern zusammengefassten Stellungnahmen der Rechtsabteilung lesen sich manchmal wie erstaunliche Leugnungen des Unleugbaren. Wenn “Bild” etwa in großer, aus gutem Grund unzulässiger Ausführlichkeit die tragischen Begleitumstände einer Selbsttötung schildert, und die Juristen erklären, der Artikel sei einfühlsam und mit viel Fingerspitzengefühl geschrieben.
Dazu passt, dass “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann, der die Suizid-Berichterstattung angeblich zur Chefsache gemacht hat, im vergangenen Jahr erklärte, “Bild” sei in diesem Bereich “extrem zurückhaltend”, weil man “wisse, dass die Berichterstattung über Selbstmorde labile Menschen möglicherweise zum Nacheifern veranlasst”. “Bild” hat in den vergangenen sechs Jahren acht Rügen für ihre Suizid-Berichterstattung kassiert.
Wie immer haben wir alle Rügen, die der Presserat im vergangenen Jahr gegen “Bild” ausgesprochen hat, und die jeweilige Rechtfertigung des Verlages dokumentiert.
Wie “Bild” aus schwererziehbaren Jugendlichen “Gangster” macht und andere Verstöße gegen Ethik und Menschenwürde: “Bild”-Rügen 2007
Barack Obama sah schon auf dem Foto, das ihn zeigt, wie “Bild”-Chef Kai Diekmann ihm die Titelseite von “Bild” mit ihm zeigt, nur mittelbegeistert aus.
Der amerikanische Senator hatte bis zu diesem Moment nicht geahnt, dass die junge und weitgehend sprachlose Frau, die sich ein paar Stunden zuvor im Fitnessstudio des Hotels mit ihm hat fotografieren lassen, eine “Bild”-Reporterin war. Ihr Bericht begann mit den Worten: “Während Tausende an der Siegessäule auf ihn warteten, traf ich, die ‘Bild’-Reporterin, Barack Obama allein — im Fitnessstudio!” Obama hingegen sagt: “Wir sind reingelegt worden.” Mit diesen Worten zitiert ihn Maureen Dowd, eine Kolumnistin der “New York Times”. Obama wörtlich:
“Erinnern Sie sich an ‘Die Farbe des Geldes’ mit Paul Newman? Forest Whitaker sitzt so da und tut, als wüsste er nicht, wie man Billiard spielt. Und dann zockt er die Abzocker ab. Sie hat uns abgezockt. Wir kommen in das Sportstudio. Sie ist schon auf dem Laufband. Sie sieht wie ein ganz normales deutsches Mädchen aus. Sie lächelt und winkt ein bisschen verlegen, aber macht sich keine Mühe, irgendetwas zu sagen. Als ich gerade gehe, sagt sie: ‘Oh, kann ich ein Foto haben? Ich bin ein großer Fan.'”
Das schüchterne Mädchen heißt Judith Bonesky und fragt sonst für “Bild”: “Wie war die Hochzeitsnacht, Herr Walz?”, berichtet von tragischen Unfällen: “Schnipp, schnapp, Fingerkuppe ab. Wenn man wie Kult-Sänger Frank Zander (66, ‘Hier kommt Kurt’) auf die Finger zum Gitarrespielen angewiesen ist, sollte man auf die Klampfen-Griffel besser aufpassen…” oder protokolliert erschütternde Missgeschicke: “Kate Moss: Haare im Adlon verloren”.
Ihr Augenzeugenbericht vom Treffen mit Obama las sich anderntags in “Bild” u.a. so:
Obama sagte der “New York Times”, ihm werde gerade erst klar, woran er sich alles gewöhnen müsse.
Nachtrag, 29. Juli. Antrieb für die öffentliche Liebeserklärung von Judith Bonesky an Barack Obama ist übrigens, dass sie “Obamas ausgeklügelte, bis ins letzte geplante PR-Inszenierung für den US-amerikanischen Wahlkampf gestört” habe. Das sagte ihr Chefredakteur Kai Diekmann laut “Süddeutscher Zeitung” und fügte hinzu: “Das war eine tolle Reporterleistung, denn Bild ist nicht Teil der Wahlkampfmaschinerie”.
Nachtrag, 19:00 Uhr. Auch die englische Version ist nun verschwunden.
Nachtrag, 30.7.2008. Eine Nachfrage von uns bei “Bild”, wer aus welchem Grund die Löschung des Artikels auf Bild.de veranlasst hatte, blieb unbeantwortet. Ein “Bild”-Sprecher teilte uns heute morgen lediglich mit, die Berichterstattung sei “mit neuen Aspekten (Resonanz in anderer Presse und Diskussionsforum) online”. Unddasstimmt. Allerdings schreibt Bild.de auch: “Viele lobten die Leistung der Reporterin – aber auch von einer ‘blonden Stalkerin’ war die Rede.” Was insofern seltsam ist, als wir in den von Bild.de verlinkten Medienberichten das viele Lob nicht entdecken können. Dafür gibt es aber u.a. einen Link zu einem FAZ.net-Artikel, der nicht frei online ist, sowie einen zu Pravda.ru, der bloß die wörtliche Übernahme von Boneskys ursprünglichem “Bild”-Artikel ist (“Click here to read the full text of the story”). Ach ja, und über Obamas Kritik verliert Bild.de selbst kein Wort.
“Radovan Karadzic (63) – auch in Wien fand der weltweit gesuchte Kriegsverbrecher (…) immer wieder Unterschlupf. Als Wunderheiler ‘Pera’ wohnte er acht Monate mit gefälschtem Pass bei Hausmeisterin Vesna J. (53) – und narrte dort auch noch die Polizei, die den zotteligen Guru bei einer Hausdurchsuchung nicht erkannte. Die unglaubliche Panne passierte am 4. Mai 2007: (…) Vesna J. ahnte zu dieser Zeit nicht, wen sie wirklich in ihrer Wohnung beherbergte.”
Das ist die Titelstory der heutigen “Bild am Sonntag”. Sie hat nur einen Haken:
Sie versteckte womöglich nicht den Massen-Mörder
Das Interview mit Vesna J. (das heute – im Anschluss an halbgare Exklusiv–Berichte des Wiener “Kurier” usw. – auch identisch in der Sonntagsausgabe der österreichischen Zeitung “Österreich” erschienen ist*) dürfte authentisch sein, ebenso wie Vesna J.s Erzählungen über den Mann, den sie als “Petar Glumac” bzw. “Deda Pera” (Opa Pera) kannte und offenbar mehrere Monate in einem Zimmer ihrer Wiener Wohnung versteckte beherbergte.
Jedoch…
…hat sich inzwischen bei der serbischen Nachrichtenagentur Tanjug der Mann gemeldet, den Vesna J. vermutlich wirklich versteckte beherbergte. Er heißt offenbar Petar Glumac bzw. Deda Pera (Opa Pera), ist 78 Jahre alt, lebt als eine Art Heilpraktiker in Banatsko Novo Selo in der Vojvodina und sieht nach eigener Aussage bloß “1000-prozentig” so aus, wie Karadzic vor dessen Festnahme…
Ob das wohl auch für eine “BamS”-Titelgeschichte gereicht hätte?
Mehr dazu im “Standard” (siehe auch hier), in der “Krone”, in einem “Presse”-Kommentar und bei oe24.at – dem Online-Angebot von “Österreich”, wo es nun heißt:
Ein Wunderheiler mit dem gleichen Namen, wie ihn der mutmaßliche Kriegsverbrecher benutzt hat, behauptet (…).
Und im “Kurier” heißt es inzwischen sogar verschwörerisch:
Viele glauben an ein Ablenkungsmanöver des kroatischen beziehungsweise serbischen Geheimdienstes (…).
Weniger dazu auf Bild.de (wo die “BamS”-Titelgeschichte – man kennt das ja – inzwischen aus dem Angebot gelöscht wurde).
*) “Bild am Sonntag” nennt den Interviewer Markus Wolschlager “BILD-am-SONNTAG-Reporter”. Im “BamS”-Archiv ist kein weiterer Text mit seinem Namen zu finden. Vielleicht kein Wunder: Wolschlager ist eigentlich Redakteur der österreichischen Tageszeitung “Österreich”.