Mit dieser “Bild”-Titelgeschichte von heute über einen “Netto-Lohn-Skandal” hat ihr Autor Dirk Hoeren offenbar einen Nerv getroffen. Teilweise schon in der vergangenen Nacht verbreiteten diverse Nachrichtenagenturen (AFP, dpa, Reuters, AP) die Geschichte weiter. “Spiegel Online” und viele andere Medien übernahmen die Meldungen zunächst.
Dabei ist das, was da heute die “Bild”-Titelseite füllt, eigentlich gar keine Geschichte. (“Spiegel Online” nennt sie inzwischen “Farce”, “Panikmache” und “Lehrstück über die Tücken der Statistik”, Zeit.de sieht darin mittlerweile “viel Falsches und ein wenig Richtiges”.) “Bild”-Mann Hoeren hat eigentlich bloß mal ins Statistische Taschenbuch 2007 des Arbeits- und Sozialministeriums geschaut, hat ein paar Zahlen herausgegriffen und verglichen. Das gleiche hätte er (oder jeder andere) genau so gut auch schon letztes Jahr machen können. Oder 2003. Oder 2000. Oder 1997. Oder oder oder.
Denn das Statistische Taschenbuch wird seit 40 Jahren veröffentlicht. Und egal, welches halbwegs aktuelle Jahr man nimmt, irgendwie ging’s uns immer schon mal besser [xls]. 2003 etwa, waren die Nettoreallöhne kaum höher als 1989. 2000 waren sie ein bisschen niedriger als 1980 und 1997 niedriger als 1981. Und 2006 waren sie eben kaum höher als vor 20 Jahren, wie “Bild” unangemessen groß, aber zutreffend schreibt*.
Und wer hat Schuld? Vatter Staat natürlich! Denn der “kassiert so viel Steuern und Sozialabgaben wie noch nie zuvor” bzw. “greift ab wie noch nie”:
Der Staat greift dreister in die Tasche! Die Gesamtabzüge vom Bruttolohn erreichten 2006 einen neuen Rekord — im Schnitt zahlte ein Arbeitnehmer 9291 Euro an Lohnsteuer und Sozialbeiträgen — mehr als jemals zuvor. Zum Vergleich: 1986 lagen die Abzüge noch bei 5607 Euro. Sie sind damit um fast 66 % gestiegen, die Bruttolöhne dagegen nur um 48 %.
Nun ja, ein “Rekord” oder “Skandal” sind die von “Bild” genannten 9.291 Euro eigentlich nicht. Denn was die staatliche In-die-Tasche-Greiferei anbelangt, ist nun mal nicht die absolute Zahl entscheidend, sondern die sogenannte “Netto-Quote” (also der Anteil des Bruttolohns, der beim Arbeitnehmer ankommt). Die lag 2006 bei 65,2 Prozent — und war in sechs der letzten zehn Jahre sogar niedriger (und pendelt seit Jahren um den aktuellen Wert [xls]).
Warum der mutmaßliche Hauptgrund für den Tiefstand der Nettoreallöhne seit der Wiedervereinigung (“Die Unternehmen geizen mehr! … Die Teuerungsrate überholt die Lohnentwicklung!”) erst später im “Bild”-Artikel auftaucht und auf der Titelseite gar nicht, weiß aber wohl nur Dirk Hoeren.
*) Wohl zu Recht weist das Bundesarbeitsministerium in einer Reaktion auf den “Bild”-Bericht darauf hin, dass ein Vergleich zwischen 1986 und 2006 wegen der dazwischen liegenden Wiedervereinigung “absolut unzulässig” sei.
Mit Dank an Holger R. und Kai B. für die Inspiration.
Nachtrag, 25.9.2007: Auch andere Medien sehen den “Bild”-Bericht kritisch. So schreiben etwa die “Nürnberger Nachrichten”: “Bild vergleicht in der Tat Zahlen, die sich nicht vergleichen lassen, blendet zentrale Entwicklungen einfach aus, zieht falsche Schlüsse und verrührt längst bekannte Statistiken zu einer eigentlich ungenießbaren Suppe.” Bei Stern.de heißt es, “Bild” habe “die Zahlen und Statistiken schlichtweg falsch gelesen und bewertet.” Sueddeutsche.de hingegen hält’s für “eine nette Schlagzeile – mehr nicht”. 
Und die “Bild”-Zeitung?
Macht heute noch eine “nette Schlagzeile” (siehe Ausriss), bleibt bei ihrer “absolut unzulässigen” Darstellung, dass “die Nettolöhne heute genauso niedrig wie vor 20 Jahren” sind, und schreibt:
Der BILD-Bericht über die Netto-Lohnentwicklung in den letzten 20 Jahren löste in Deutschland Riesen-Wirbel aus!
		



Das war ein guter Satz für eine Schlagzeile (siehe Ausriss), zumindest das Wort “bald” hätte sich aber ganz gut relativieren lassen. Frühestens überschreiten die Rundfunkgebühren die 20-Euro-Marke nämlich nach Ablauf der kommenden Gebührenperiode: im Jahr 2013.
Noch bevor heute um elf Uhr der Prüfbericht des Medizinischen Dienstes der Spitzenverbände der Krankenkassen (MDS) offiziell vorgestellt wurde, hatte “Bild” schon in ihm, nun ja: geblättert und eine riesige 

die “Bild am Sonntag”, deren Herausgeber Diekmann ist, am 12. August in großer Aufmachung darüber, dass ein führender SPD-Politiker von seiner Frau getrennt lebe und die Scheidung laufe; mit einer anderen Frau habe er vor einigen Monaten ein Kind bekommen. Der “BamS”-Artikel rechtfertigte die Veröffentlichung damit, dass auf der offiziellen Homepage des Bundestages nicht die richtige Zahl der Kinder des Politikers angegeben gewesen sei.
hatte ihm vor und nach einem beruflichen Termin bloß (2) viele, viele indiskrete Fragen gestellt (“Wie wollen Sie Ihr Privatleben regeln?” — “Was sagt Ihre Frau zu der Geburt Ihrer Tochter?” — “Verraten Sie den Namen Ihrer Tochter?” — “Wollen Sie auch das gemeinsame Sorgerecht?”), die Seehofer zum Teil mit “(Schweigen)” beantwortete, wie die “BamS” dokumentierte. Unter der Überschrift “Papa Eiskalt” war doch bloß (3) eine “BamS-Montage” von “Seehofers Terminkalender” abgebildet (“Freitag: Telefongespräche zu Hause … 13.05 Uhr: Lufthansa-Flug LH223 nach München”). In einem Artikel hatte die “BamS” im Zusammenhang mit Seehofer doch bloß (4) Begriffe wie “gefühlsarm” “eiskalt” und “joborientiert” benutzt, weil Seehofer “fröhlich Wahlkreistermine” wahrnehme, während “die junge Mutter Anette F. im fernen Berlin blass in einem zweckmäßig eingerichteten Einzelzimmer auf der Wöchnerinnenstation” liege. Und in einem “BamS”-Kommentar hatte es doch bloß (5) geheißen, Seehofer habe sich am Tag der Geburt seiner Tochter hinter Terminen “verschanzt”, “seelenruhig” zu Mittag gegessen und beim Besuch der Mutter im Krankenhaus “noch nicht einmal Blumen” und “kein Kuscheltier” dabeigehabt.
Für “Bild” war die Sache einfach — und wichtig genug, um sie am Montag in eine kleine Meldung zu verwandeln, deren zentraler Satz lautet: