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Trotz Gerichtsurteil: Bild.de führt Leser in die Irre

Vor zwei Monaten hat Bild.T-Online sein Internetangebot komplett überarbeitet. Seitdem befindet sich auf jeder Seite oben eine Reihe kleiner grauer Laschen:

Fährt man mit der Maus über diese Flächen, bewegt sich die jeweilige Lasche nach oben und gibt ein buntes Feld darunter frei — etwa wie Reiter auf Karteikarten. Aktuell sehen die so aus:

Hinter diesen Reitern verbergen sich Links. Und jetzt kommt die Preisfrage: Führen diese Reiter zu redaktionellen Angeboten von Bild.de? Oder zu Werbung?

Die erstaunliche Auflösung: Sowohl als auch.

Die Reiter “WM 2006” und “Wir sind Fußball” führen zu nicht-werblichen Inhalten von Bild.de. Wer aber nun glaubt, dass das für alles gilt, auf dem das “Wir sind Fußball”-Logo steht, irrt. Wenn man auf “LCD-Fernseher” klickt, kommt man keineswegs (wie vielleicht zu vermuten) zu einem redaktionellen Test von Großbildschirmen anlässlich der WM. Sondern zu einer Anzeige, die für ein Angebot von Fujitsu-Siemens wirbt. Und der “Fan-Caddy” ist ein Produkt, das Volkswagen auf Bild.T-Online verkauft. Und natürlich ist auch der “Volks-Kredit” kein redaktionelles, sondern ein werbliches Angebot: dahinter verbirgt sich easyCredit.

Vor dem Klicken ist nicht zu unterscheiden, welches dieser Bild.de-Standardelemente zu einer reinen Werbeseite führt und welches nicht. Und damit verstößt Bild.de gegen ein Urteil des Berliner Landgerichtes vom 26. Juli 2005. Damals untersagte das Gericht Bild.de, auf eine Werbeseite für den “Volks-Seat” mit einem Teaser zu verweisen, der sich von Teasern für redaktionelle Inhalte nicht unterscheiden lässt (wir berichteten). Das Gericht urteilte:

Ein Hyperlink, der aus einem redaktionellen Zusammenhang auf eine Werbeseite führt, muss so gestaltet sein, dass dem Nutzer irgendwie erkennbar wird, dass auf eine Werbeseite verwiesen wird. (…)

Hier ist der Hyperlink, der auf die Werbeseite führt, genau so gestaltet, wie die Hinweise, die zu redaktionell gestalteten Seiten führen. Das Erscheinungsbild und die Platzierung sind identisch. Es kann daher selbst bei einer großzügigen Betrachtung nicht mehr davon ausgegangen werden, dass dem Nutzer ein klar erkennbarer Hinweis auf den werbenden Inhalt der Seite erteilt wird, auf die er weitergeleitet wird.

Genau dasselbe System, das Bild.T-Online damals untersagt wurde, hat das Unternehmen in der Gestaltung der neuen Seiten-Köpfe zum Prinzip gemacht: Eine Unterscheidung, welche Reiter zu Anzeigen führen und welche nicht, ist vor dem Klicken unmöglich.

In der Verhandlung 2005 hatte Bild.T-Online noch geltend gemacht, man könne davon ausgehen, dass die “Volks-Produkte” durch die breite Werbung so bekannt seien, dass niemand hinter einem Teaser mit dem entsprechenden Begriff etwas anderes als Werbung erwarte. Dieses Argument hatte das Gericht zurückgewiesen. Heute wäre die Position von Bild.T-Online noch schwächer, weil in den Reitern nicht nur die bekannten “Volks-Produkte” beworben werden, sondern auch Produkte, die ohne diesen Markennamen auskommen (“Fan-Caddy”) oder sogar mit einem redaktionellen Bild.de-Label versehen sind (“Wir sind Fußball! LCD-Fernseher”).

Und wir ersparen es uns, an dieser Stelle noch einmal all die Selbstverpflichtungen und Ankündigungen aufzuzählen, gegen die diese Bild.de-Praxis außerdem verstößt.

Mit “Bild”-Schlagzeilen Versicherungen verkaufen

Und da die “Bild”-Zeitung auch heute wieder erhebliche redaktionelle Energie auf ihre zunehmend groteske Renten-Lügen-Kampagne verwendet, stellt sich wieder einmal und immer drängender die Frage: Warum machen die das? Um sich als Kämpfer für den kleinen Mann darzustellen und die Auflage zu steigern?

Nicht nur.

Alles spricht dafür, dass die “Bild”-Kampagne den Verkauf privater Rentenversicherungen ankurbeln soll. Besonders deutlich wird die Vermischung redaktioneller und werblicher Inhalte heute im Online-Angebot von “Bild”. Dort stehen im Artikel “Rente ist nicht sicher: Müssen wir uns wirklich so belügen lassen?”, der von der gedruckten “Bild”-Zeitung übernommen wurde, vier Kästen, die “Mehr zum Thema” versprechen (siehe Ausriss):

Der erste “Mehr zum Thema”-Kasten (“Fragen an Experten: Müssen wir uns wirklich so belügen lassen?”) führt tatsächlich zu weiteren redaktionellen Inhalten aus der “Bild” von heute: vier Zitate von Experten zum Thema.

Der zweite “Mehr zum Thema”-Kasten (“Egal ob Single oder Familie — das gibt’s vom Staat dazu”) führt tatsächlich zu einer entsprechenden Service-Tabelle — allerdings von der Allianz, die auch private Rentenversicherungen verkauft und ein “Partner” von Bild.T-Online ist. Es handelt sich dabei um eine Anzeige.

Der dritte “Mehr zum Thema”-Kasten (“Hier können Sie Ihre Riester-Rente berechnen”) führt unerwarteterweise direkt zum Internetangebot der Allianz. Dort heißt es: “Berechnen Sie mit dem RiesterRente Rechner Ihre ganz persönliche Allianz RiesterRente.” Das Unternehmen vermischt den landläufigen Namen für eine staatlich geförderte Form der freiwilligen Rentenversicherung (“Riester-Rente”) mit dem Namen für ein eigenes Angebot (“Allianz RiesterRente”). Diese “Allianz RiesterRente” hatte vor wenigen Monaten noch einen anderen Markennamen: Sie hieß “VolksRente” und war ein gemeinsames Angebot von Allianz und Bild.T-Online.

Der vierte “Mehr zum Thema”-Kasten schließlich trägt den Titel “Was Sie über Ihre Riester-Rente wissen müssen!” und ist der beste von allen. Wer auf ihn klickt, kommt zu einem Pop-Up mit 7 Fragen zum Thema. Alles deutet darauf hin, dass es sich hier um ein redaktionelles Angebot handelt: Das Pop-Up sieht aus wie die redaktionellen Pop-Ups bei Bild.de, es trägt das Logo von Bild.de, in der Titelzeile steht “Bild.T-Online.de”, es gibt kein Logo eines Versicherungsunternehmen und keinen Link zu irgendeiner Verkaufsseite. Was es allerdings gibt, sind Fragen und Antworten wie diese:

Erhalten auch Hausfrauen bzw. -männer die vollen Zulagen?

Ja, wenn der berufstätige Ehepartner eine Allianz Riester Rente hat, kann auch der — nicht berufstätige — Ehegatte einen eigenen Vertrag abschließen.

Oder diese:

Wie bekomme ich die Förderung?

Das ist für Sie ganz einfach: Es genügt eine Bevollmächtigung, alles weitere erledigt Ihr Fachmann von der Allianz oder der Dresdner Bank für Sie.

Und der Artikel, in den all das eingepasst ist, trägt — wie gesagt — die Überschrift: “Müssen wir uns wirklich so belügen lassen?”
 
Nachtrag, 14 Uhr: Bild.de hat die “Mehr zum Thema”-Kästen, die nicht auf redaktionelle Seiten, sondern auf diverse Werbeseiten verlinkten, aus dem “Bild”-Artikel entfernt. Stattdessen wurde ein neuer Kasten eingefügt, der auf eine (dem Bild.de-Layout allerdings recht ähnliche) Allianz-Anzeige verlinkt, und der Kasten selbst mit dem Wort “Anzeige” überschrieben (siehe Ausriss).

Was “Bild” die Renten-Kampagne bringt

Und warum macht “Bild” überhaupt eine Kampagne gegen die gesetzliche Rentenversicherung, lügt, übertreibt, verbreitet Panik und verrechnet sich? Das ARD-Magazin “Monitor” glaubt, um private Rentenversicherungen zu verkaufen. Bild.T-Online bietet gemeinsam mit der Allianz seit September 2005 die “Volks-Rente” an und bewirbt sie mit Sprüchen wie: “Rente sich, wer kann!” 80.000 Verträge wurden nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr abgeschlossen. Das Angebot wird auch aktuell auf Bild.de beworben, allerdings nicht mehr unter dem Namen “Volks-Rente”, sondern als “RiesterRente”.

Eine gemeinsame Volks-Aktion von Allianz und Bild.T-OnlineDie “Bild”-Zeitung sagte gegenüber “Monitor”, dass man nie im redaktionellen Teil für dieses Angebot geworben habe. Das mag man im Hinblick auf die aktuelle Renten-Kampagne anders sehen. Die Aussage steht zudem im Widerspruch zu einer internen Vertreter-Information der Allianz, die “Monitor” präsentierte:

Die Informationen zur VolksRente werden in zwei Formen aufbereitet - als Anzeige und als redaktionelle Artikel

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die berufliche Vorgeschichte des Wirtschaftschefs der “Bild”-Zeitung, Oliver Santen, der auch selbst über die “Schrumpf-Rente” schreibt. Santen war bis Mai 2004 Pressesprecher der Allianz.

Informationsfreiheit

“Bild” und Bild.de zeigen immer mal wieder gern irgendwelche US-amerikanischen Polizeifotos, sog. Mugshots — so auch, aus aktuellem Anlass, von diversen “Super-Stars” wie Nick Nolte, Bill Gates oder Matthew McConaughey (?). Die Quellenangabe dazu lautet schlicht:

"Foto: Polizei"

Theoretisch nicht falsch, allerdings wurden viele dieser Bilder nie offiziell von der Polizei veröffentlicht, dafür aber allesamt auf der kommerziellen Internetseite “The Smoking Gun”. Dort heißt es auch, es handele sich dabei um “exklusives” Material, das “nirgends sonst im Internet zu finden” sei — außer nun eben bei Bild.de. Auf die Frage, wie es zu der dortigen Veröffentlichung kommt, antwortet uns der “Smoking Gun”-Betreiber William Bastone:

“Die Fotos wurden offensichtlich (ohne Erlaubnis) von meiner Website geklaut.”

Seine Mugshots würden, so Bastone weiter, auf teilweise mühsamen Wegen beschafft, u.a. auch unter Berufung auf den Freedom of Information Act. Bei “Bild” versteht man unter Informationsfreiheit allerdings offenbar noch mal ganz etwas anderes.

“Bild” entdeckt alte Schnarchtherapie neu

Auf Seite eins weist “Bild” heute auf die Schwester-Zeitschrift “Bild Gesundheit” hin. Und zwar so:

Bevor jetzt aber alle Schnarcher zum Kiosk rennen, um herauszufinden, was “Schnarch-Experte Nr.1, Prof. Karl Hörmann” (“Bild”) in der Gesundheits-“Bild” über diese “neue Therapie” zu erzählen hat – ein Allheilmittel ist sie nicht, jedenfalls nicht laut Bild.de, bzw. dem dort zu Wort kommenden “Schnarch-Guru” Dr. Antoine Aschmann. Und nicht nur das. Bereits im Juli 2001 schrieb die “Ärzte-Zeitung” über die von “Bild” gemeinte Radiofrequenztherapie:

Die Radiofrequenztherapie wird in der Medizin schon seit Jahren in vielen Disziplinen angewandt. Ärzte der Universitätsklinik Mannheim zum Beispiel benutzen sie schon seit etwa zweieinhalb Jahren, um bei Patienten mit Atemstörungen im Schlaf Zungengrund, Nasenmuscheln oder weichen Gaumen zu verkleinern.

Grob überschlagen gibt es die “neue Therapie” also mindestens seit rund sieben Jahren, und ebenso lange wird sie schon gegen das Schnarchen eingesetzt. Ob man eine sieben Jahre alte Therapie als “neu” bezeichnen kann, ist natürlich Ansichtssache.

Anders verhält es sich mit der aktuellen Ausgabe der “Bild Gesundheit”: Die gibt es, wie “Bild” völlig korrekt berichtet, “jetzt für 1,80 Euro am Kiosk”.

Mit Dank an Dirk E. und Wolfgang L. für den Hinweis.

Kurz korrigiert (53)

Wir wissen ja nicht, wie Bild.de darauf kommt, dass das, was da in einer Galerie als Sonnenfinsternis verkauft wird, auch tatsächlich eine Sonnenfinsternis darstellt, wie sie “idealerweise aussieht” (siehe Ausriss). Denn die Sonne scheint bei einer Sonnenfinsternis eigentlich nicht durch den Mond hindurch, weshalb sie also eher so aussieht.

Aber wahrscheinlich ist das gar nicht so wichtig, und es geht bei dem Artikel “Reisen Sie zu den Himmels-Spektakeln 2006” ohnehin um etwas ganz anderes. Und in der Galerie hauptsächlich um den “hier buchen!”-Link.

Mit Dank an Richard W. und Stephan für den Hinweis

Schlechtes Gespür

Ja, es stimmt tatsächlich, “Bild” hatte am vergangenen Dienstag exklusiv berichtet, dass der Fußballnationalspieler Kevin Kuranyi einen Werbevertrag mit der Softwarefirma Microsoft unterschrieben hat. Oder, in den Worten von “Bild”:

Im Text, dessen einzige Quellen offenbar die Vermarktungsfirma Sportfive und Kuranyi selbst sind, heißt es so schön:

Was für ein Jahr für Kevin Kuranyi. (…) und jetzt ist er auch noch der begehrteste deutsche Spieler. Sogar US-Milliardär Bill Gates will ihn! Der reichste Mann der Welt holt sich (…) die besten Spieler der Welt (…). Und aus Deutschland eben Kuranyi! Nicht Ballack, nicht Kahn — für Microsoft ist der Schalke-Stürmer der richtige Mann.

Und dann darf Sven Müller von der Vermarktungsfirma Sportfive, die laut “Bild” den Kontakt zwischen Microsoft und Kuranyi hergestellt hat, ausführlich zu Wort kommen, Kuranyi ein wenig lobhudeln und mit folgenden Worten schließen:

“Mit der Firma Rogon und Roger Wittmann hat er ein seriöses Team um sich.”

Nun ja, wir wissen zwar nicht, warum dieses PR-Gewäsch diese Information unbedingt in den Text musste, dafür aber, dass man über die Seriosität der Firma Rogon geteilter Meinung sein kann, wie sich heute beispielsweise im “Tagesspiegel” nachlesen lässt, und wie es gestern im “Kölner Express” stand.

Aber das sei hier nur nebenbei erwähnt. Ebenso wie die Tatsache, dass es sich bei dem Deal zwischen Microsoft und Kuranyi laut “Bild” um einen “Millionen-Vertrag” handeln soll, während “Express” und “Tagesspiegel” bloß von 200.000 Euro bzw. 300.000 bis 400.000 Dollar Honorar ausgehen.

Der “Express” macht auch ansonsten einen recht gut informierten Eindruck und wusste gestern schon, dass Lukas Podolski ein ähnliches Angebot der Firma Microsoft erhalten hatte:

Für Gates´ Imperium Microsoft sollte Poldi während der WM unter anderem ein Internet-Tagebuch führen. Dafür hätte der 20-Jährige 300.000 Euro kassiert. Podolskis Berater sagte ab.

In demselben Artikel konnte man gestern auch nachlesen, dass zuvor bereits Oliver Kahn und Michael Ballack entsprechende Anfragen “abgeblockt” hatten. Womit wir wieder bei “Bild” wären. Die schreibt nämlich heute, zwei Tage nach der Jubel-Meldung über den Deal zwischen Kuranyi und Microsoft und einen Tag nach dem “Express”-Artikel dies:

Aha. Der Text endet mit folgenden Worten:

Da hatten die zuerst gefragten Kahn, Ballack und Podolski ein besseres Gespür. Und das Angebot gleich abgelehnt…

Fassen wir also zusammen: Erst verbreitet “Bild” eine PR-Meldung mit Begeisterung als Exklusiv-Geschichte und überlässt die Recherche anderen. Und wenn die dann herausfinden, dass es gar keinen Grund zur Begeisterung gibt, ist “Bild” enttäuscht. Vom eigenen Überschwang bleibt bloß der Satz: “BILD berichtete exklusiv” — und Häme.

P.S.: Die Nachrichtenagentur dpa gab übrigens am Dienstag unter Berufung auf “Bild” eine Meldung heraus, die die Überschrift trug: “Kuranyi deutsche Werbe-Lokomotive für Microsoft — Millionenvertrag”. Und heute berichtet die “Netzeitung” über den “Ärger um Kuranyis Microsoft-Vertrag”. Dabei geht sie fälschlich davon aus, dass es sich bei den Absagen von Kahn, Ballack und Podolski um “Bild”-Informationen handelt. Auch nicht schön.

Mit Dank für den sachdienlichen Hinweis an Hendrik G.

Spar-Detektiv Adé!

Gestern verabschiedete sich Daniel Engelbarts alias “Der Spar-Detektiv”. Und vielleicht hat das ja etwas damit zu tun, dass Mitarbeiter von Bild.de nur noch entweder redaktionelle oder werbliche Texte schreiben sollen, wie Springer-Sprecherin Edda Fels uns vor einiger Zeit sagte.

Wie dem auch sei.

Engelbarts meint, zum Abschluss noch ein besonders tolles Schnäppchen “ermittelt” zu haben:

Und vielleicht hat Engelbarts es ja wirklich “selbst überprüft” und festgestellt: “es funktioniert tatsächlich.”

Vielleicht sollte man sich aber mal fragen, wie das mit den Gratis-iPods auf lange Sicht funktionieren kann, wenn Freepay.com, das von einer Firma namens Gratis Internet betrieben wird, tatsächlich jedem User einen iPod zukommen lässt.

Das System ist im Prinzip simpel: Wer einen iPod haben will, muss sich bei Freepay registrieren und dann aus einem von (derzeit) sechs Angeboten wählen, wofür Gratis Internet eine Provision erhält. Dann muss der Nutzer (derzeit) fünf weitere Nutzer finden, die sich ebenfalls registrieren und je ein Angebot wählen. Wenn nichts dazwischen kommt, erhält man einen iPod.*

Und insoweit lässt sich das auch fast alles beim “Spar-Detektiv” nachlesen.

Kommen wir also zu dem, was Engelbarts nicht aufgeschrieben hat:

1. Von den sechs Angeboten, unter denen man wählen muss, ist (derzeit) lediglich eines ein (vorerst) wirklich kostenloser Testzugang eines Online-Downloadportals, das man für 14 Tage nutzen muss. Natürlich darf man das Kündigen nicht versäumen, wenn man nicht will, dass aus dem kostenlosen Testzugang automatisch eine kostenpflichtige Mitgliedschaft wird. Es empfiehlt sich also, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) des Anbieters, zu studieren.

2. Apropos Allgemeine Geschäftsbedingungen. Es ist durchaus ratsam, die AGB von Freepay ebenfalls einer genauen Lektüre zu unterziehen. Dort steht nämlich so einiges, was geeignet ist, die Vorfreude auf den kostenlosen iPod ein wenig zu trüben. Nur so als Beispiel:

Gratis Internet, Inc. behält sich das Recht vor, die allgemeine Geschäftsbedingungen jederzeit und aus jeglichem Grund ohne vorherige Bekanntmachung zu ändern. (…) dass wir die Anzahl der Referral, die Sie uns als Referenz angeben, erhöhen (…) Falls wir ein Produkt mit einem anderen ersetzen, kann es sein, dass das neue Produkt nicht dem gleichen Wert wie das ersetzte Produkt hat. (…) Wenn sie die Seite nach irgendwelchen Änderungen in den allgemeinen Geschäftsbedingungen benutzen, bedeutet dies Automatisch Ihre Zustimmung und Ihre Bindung an der veränderten Geschäftsbedingungen.

Und vielleicht noch dies hier:

Gratis Internet kann nicht garantieren, dass ein Benutzer Gutschriften bekommt, wenn er ein Angebot wahrgenommen hat. Wir behalten das Recht vor, Gutschriften aus einer Vielzahl von Gründen zu verweigern. Diese Gründe könnten sich, nicht ausschließlich, auf die Folgenden belaufen: Mangel an wahrheitsgemäßen Daten, unvorschriftsmäßige Anmeldevorgänge, unvorschriftsmäßige Browser-Einstellungen (…)

3. In den USA ist Gratis Internet schon etwas länger tätig — und dort lief nicht immer alles glatt. So häuften sich im Herbst 2004 die Beschwerden über Spam-Emails im Zusammenhang mit der Registrierung bei Freepay, wie sich beispielsweise hier, hier oder hier nachlesen lässt. Im Februar dieses Jahres beendete TRUSTe, eine nonprofit Organisation, die sich den Schutz persönlicher Daten im Internet zur Aufgabe gemacht hat, abrupt ihre Partnerschaft mit Gratis Internet.

4. Ebenfalls im Herbst letzten Jahres häuften sich die Beschwerden von Freepay-Nutzern, dass die Lieferung ihres Gratis-iPods sich stark verzögerte. Gratis Internet gab an, das sei auf Lieferengpässe seitens Apple zurückzuführen. Das lässt sich ebenfalls bei “Wired”, “Forbes” oder im “Pennsylvanian” nachlesen.

5. Seit Ende letzten Jahres schließlich mehren sich außerdem die Beschwerden von Freepay-Nutzern, dass ihre Konten gesperrt worden seien, weil sie gegen die Nutzungsregeln von Freepay verstoßen haben sollen, wie sich bei Wikipedia oder beispielsweise in Internetforen nachlesen lässt.

Um das Ganze zu einem Abschluss zu bringen: Gratis Internet hat tatsächlich eine Menge iPods verschickt. Die Probleme, die das System hat, lassen sich aber schon aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen erahnen. Die schlechten Erfahrungen, die Nutzer in den USA mit Gratis Internet gemacht haben, sind größtenteils dokumentiert. Und alles in Allem hat der “Spar-Detektiv” es entweder an detektivischem Eifer fehlen lassen, oder es nicht für nötig befunden, seine Leser auf mögliche Probleme hinzuweisen. Engelbarts Formel, “es funktioniert tatsächlich”, wird der Sache jedenfalls nicht gerecht.

*) Ob es sich bei dem Geschäftsmodell von Freepay um ein in Deutschland gemäß Paragraph 16 Absatz 2 UWG verbotenes “Schneeballsystem” handelt, vermögen wir nicht zu beurteilen, einer der Geschäftsführer verwahrt sich jedenfalls in einem Interview gegen den Vorwurf. Auch, ob die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Gratis Internet mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch (§§ 305 ff.) in Einklang stehen, wissen wir nicht. Beides bedürfte einer eingehenden rechtlichen Überprüfung.

Mit Dank für die zahlreichen sachdienlichen Hinweise

Tokio Hotel — Die andere Hälfte der Wahrheit

Am Samstag berichtete “Bild” (wir erinnern uns) über ein paar minderjährige Musiker (Tokio Hotel), die sich auf einer Party (Oberhausen) angeblich danebenbenommen hatten (“kippen erste harte Drinks im Minutentakt”). Und am Montag stand’s schon wieder in “Bild”:

“Besonders Gitarrist Tom (16) kippte dabei hochprozentige Cocktails in Mengen, u. a. gemixt mit Wodka (BILD berichtete).”

Dazu später. Denn am Montag hieß es in “Bild” auch exklusiv:

“Jetzt ermittelt das Jugendamt des Ohrekreises (Sachsen-Anhalt), in dem die jungen Popstars leben, wegen Verstoßes gegen das ‘Gesetz zum Schutz junger Menschen vor Gefahren des Alkoholkonsums’. Dieses besagt, daß hochprozentige Getränke nicht an Personen unter 18 Jahren ausgeschenkt werden dürfen.”

Wahr ist das nicht: Das Gesetz heißt “Gesetz zur Verbesserung des Schutzes junger Menschen vor Gefahren des Alkohol- und Tabakkonsums”, kurz AlkopopStG, und besagt mitnichten, “daß hochprozentige Getränke nicht an Personen unter 18 Jahren ausgeschenkt werden dürfen”. Es besagt vielmehr, dass alkoholhaltige Süßgetränke “gewerbsmäßig nur mit dem Hinweis ‘Abgabe an Personen unter 18 Jahren verboten, § 9 Jugendschutzgesetz’ in den Verkehr gebracht werden” dürfen. (Das mit dem Verbot steht dementsprechend in § 9 Jugendschutzgesetz.)*

Doch die heutige “taz” weiß sogar noch mehr über die PR-Aktion “die halbe Wahrheit” der “Bild” zu berichten, nämlich erstens:

“Ein Jugendamt kann nicht ermitteln.”

Und zweitens:

“Das Jugendamt in Sachsen-Anhalt hätte wohl nie von der Party Wind bekommen, wenn nicht die Besorgnis-Behörde, also die Bild-Zeitung, am heiligen Sonntag das Amt informiert hätte. Und schwupps, war die Geschichte im Kasten.”

Womit auch wir, schwupps, wieder bei “Bild” angekommen wären. Denn während die “taz” noch die Frage aufwirft, ob die “Pop-Rüpel” (“Bild”) bzw. “die vier Halbgaren” (“taz”) auf der Party denn überhaupt Alkohol getrunken haben, und darauf keine Antwort findet (“Bei Universal Music wollte man sich dazu gestern nicht äußern.”), steht sie stattdessen… in “Bild”! Allerdings ist dort von den “Mengen” “hochprozentiger” “Cocktails” “mit Wodka” (Überschrift: “Suff-Orgie!”) plötzlich nur noch ein “Alkohol-Ausrutscher” übrig geblieben, den der minderjährige Musiker in “Bild” unwidersprochen — und ebenfalls exklusiv — “erklärt”:

“Ein hübsches Mädchen hat mir den bunten Drink in die Hand gedrückt. Ich war so in Feierlaune, daß ich gar nicht gemerkt habe, daß da Alkohol drin ist.”

Gut zu wissen also, was sich die täglich über 11 Millionen “Bild”-Leser unter einer “Suff-Orgie” vorzustellen haben!

*) Der falsche Name des Gesetzes und dessen falsche Inhaltsbeschreibung fanden sich leider, nachdem sie exklusiv in “Bild” erschienen waren, wörtlich (und ohne Angabe der Quelle) auch in einer Meldung der Nachrichtenagentur AP wieder, weshalb die Fehler von “Bild” nun nicht nur dort stehen, wo man unbedacht aus “Bild” abschreibt, sondern auch ganz woanders.

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