Archiv für Handelsblatt.com

Apropos Trash

Da absolviert man eine langjährige journalistische Ausbildung, um dann auf der Internetseite des “Handelsblatts” eine Bildergalerie mit dem Titel “Das sind die schlimmsten Trash-Sendungen” (“Anlass”: Der Sendestart von RTL 2 vor 20 Jahren) zusammenzustellen. Das wünscht man tatsächlich niemandem.

Andererseits hätte das routinierte Abfrühstücken vermeintlich minderwertiger TV-Ware von “Big Brother” über “Frauentausch” bis hin zu “Toto & Harry” dann doch ein bisschen gewissenhafter ausfallen können:

Wer? Nie gehört! Prominente, die eigentlich keine sind, sich aber so schimpfen, kochen füreinander und müssen sich gegenseitig bewerten. Das ist "Das perfekte Promi-Dinner" auf dem Nischensender Vox. Die einzelnen Folgen dauern brutto zweieinhalb Stunden. Für eine Kochsendung im deutschen Fernsehen ist das Rekord.

Nun ist es ja wirklich nicht so, dass all die Kandidaten, die sich “Prominente” “schimpfen”, immer auch einem größeren Publikum bekannt sind. Aber wenn die Redakteure vom “Handelsblatt” keinen der Abgebildeten kennen, könnte das natürlich auch daran liegen, dass es sich nicht um ein Szenenbild aus “Das perfekte Promi-Dinner” (vier Kandidaten pro Sendung) handelt, sondern um eines der in jedem Fall Promi-freien Sendung “Das perfekte Dinner” (fünf Kandidaten pro Sendewoche).

Es geht aber noch trauriger:

Wenn es um Trash-TV geht, darf natürlich "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus" nicht fehlen. Moderiert wurde die RTL-Sendung unter anderem von Dirk Bach, der im letzten Jahr verstorben ist. Co-Moderatorin Sonja Zietlow führt seitdem mit Daniel Hartwig "das Erbe" weiter. Das Grundkonzept der Sendung ist Schadenfreude, gespickt mit ekelerregenden Strafen. Zuschauer rufen für den jeweiligen Star an, der eine Dschungelprüfung durchlaufen muss. Meist müssen irgendwelche stark eiweißhaltigen Käfer oder Genitalien von größeren Tieren verspeist werden. Die letzte Staffel sahen im Schnitt immerhin 7,3 Millionen Zuschauer. Eine traurige Zahl. Doch viel trauriger ist die Tatsache, dass "Ich bin ein Star – Holt mich hier raus" 2013 für den Grimme-Preis in der Kategorie "Unterhaltung" nominiert wurde.

Ja, “Ich bin ein Star – Holt mich hier raus” wurde “unter anderem” von Dirk Bach moderiert, der im letzten Jahr verstorben ist, und von Sonja Zietlow. Doch das auf dem Foto sind Bernhard Hoëcker und Susanne Pätzold als Dirk Bach und Sonja Zietlow.

Wenn handelsblatt.com jetzt eine Parodie aus “Switch Reloaded” mit der Originalsendung verwechselt, befindet sich die Seite allerdings in guter passender Gesellschaft: Bild.de ist das bisher drei Mal passiert.

Mit Dank an L.

Nachtrag, 5. März: handelsblatt.com hat das Szenenbild aus “Switch Reloaded” durch ein Foto von Sonja Zietlow und Daniel Hartwich (echt) ersetzt und darunter geschrieben:

Hinweis: Ursprünglich wurde an dieser Stelle ein Bild aus der Satire-Sendung “Switch Reloaded” gezeigt. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

“Das perfekte Promi-Dinner” ist komplett aus der Galerie geflogen.

Weit daneben ist auch vorbei

Das war’s dann also. Der Asteroid “2012 DA14” hat unseren Planeten gestern Abend planmäßig passiert. Höchste Zeit für die Medien, mal rückblickend festzuhalten, wie verdammt knapp wir da einer kosmischen Katastrophe entkommen sind.

Bild.de jubelt:

Wir leben noch! Der Asteroid “2012 DA 14” ist an der Erde vorbei gerast, verschwindet jetzt wieder in der Tiefe des Alls.

Um 20.24 Uhr am Freitagabend erreichte der Himmelskörper seinen erdnächsten Punkt: In 27 357 Kilometern Entfernung sauste er an uns vorbei. (…)

Zu sehen war er allerdings nur mit guten Ferngläsern. Dennoch ist in der Geschichte der modernen Astronomie noch kein Himmelskörper der Erde so nahe gekommen wie “2012 DA14”.

Dass uns noch nie zuvor ein Asteroid so nahe gekommen sei, hatten auch einige Agenturen vermeldet. Viele Medien übernahmen die Info, einige hübschten sie im Sinne der Knalligkeit auch gleich noch ein wenig auf:

“Spiegel Online”:

So dicht wie nie zuvor in der Geschichte der Astronomie ist ein Himmelskörper an der Erde vorbeigerast.

Focus.de:

Zu sehen war er allerdings nur mit guten Ferngläsern. Dennoch war in der Geschichte der modernen Astronomie noch kein Himmelskörper der Erde so nahe gekommen wie “2012 DA14”.

“RP Online”:

Dichter als je ein anderer vorhergesagter Himmelsbrocken ist ein Asteroid an der Erde vorbeigepfiffen.

Handelsblatt.com:

Der Asteroid kam der Erde zwar so nahe wie noch nie ein vorhergesagter Himmelskörper zuvor.

BR.de:

Dass der Meteorit in Russland am selben Tag einschlug an dem ein Asteroid der Erde so nahe kommen sollte, wie kein anderer zuvor, ist Zufall.

“Welt Online”:

Der Himmelskörper bewegte sich um 20.24 Uhr deutscher Zeit in 27.357 Metern Abstand an unserem Planeten vorbei, wie die Nasa am Freitag mitteilte. Dies war soweit bekannt die bisher kürzeste Distanz eines Asteroiden zur Erde.

Tagesspiegel.de:

Wahrscheinlich werden da draußen und auf dem Boulevard der Hysteriker Entfernungen anders gemessen, tatsächlich kommt 2012 DA14 der Erde nur so nahe wie noch kein anderer Himmelskörper zuvor, nahe, das sind in diesem Fall 27 500 Kilometer.

Stern.de:

So dicht wie nie zuvor in der Geschichte der Astronomie ist ein Himmelskörper an der Erde vorbeigerast.

Um es kurz zu machen: Das ist falsch.

Wie etwa die “Near Earth Object”-Datenbank der NASA belegt, war “2012 DA14” bei weitem nicht der erste vorhergesagte Asteroid, der uns so nahe gekommen ist. “2011 MD” zum Beispiel war zwar deutlich kleiner, doch er rauschte — mit einer Distanz von knapp 12.000 Kilometern — viel dichter an unserem Planeten vorbei. Und nur der Vollständigkeit halber: Die Behauptung, “kein anderer Himmelskörper” sei der Erde jemals so nahe gekommen, ist natürlich der völlige Unsinn.

Ach, und dann war da noch “Die Welt”:2012 DA14-Rekordflug - Asteroid war der Erde elf Kilometer näher als Baumgartner

Nun ja. Immerhin haben sie es selbst eingesehen und den Artikel (mehr oder weniger) transparent korrigiert.

Mit Dank an Alexander, Marco R., Pascal J. und Peter W.

Siehe auch:

“Unvermeidlich” oder “unverhältnismäßig”?

Am Donnerstagabend um 22.07 Uhr erschien auf Handelsblatt.com ein Artikel, der als “Kommentar von Rüdiger Scheidges” ausgezeichnet war. Über dem Text hätte aber auch “Ein Blick in die Glaskugel” oder “Eine Fernanalyse” stehen können, denn Scheidges wagte steile Prognosen:

Der noch amtierende Verteidigungsminister weiß es: In der Frage des Plagiats geht es für ihn um Ehre und Anstand. Wer geistiges Eigentum stiehlt, setzt seine Ehre aufs Spiel. Wer als ertappt gilt, kann seinen Anstand nur mit einem beweisen: mit seinem Rücktritt vom öffentlichen Amt. Denn das beschädigt er. Eine andere Möglichkeit, die eigene Ehre zu retten und einen Rest Anstand zu wahren, gibt es nicht.

Die Deutschen, die den Baron verehren, werden darauf vertrauen könne, dass ihr Idol sich entsprechend verhält und den Hut nimmt. (…)

Seine Glaubwürdigkeit hat er in den ersten Worten seiner Doktorarbeit versenkt – für immer und auch beim Volk. Sie waren geklaut. Es ist kaum anzunehmen, dass der hochintelligente Baron diese unverzeihliche Missetat jetzt nicht begreift. Er wird zurücktreten müssen – wenn nicht heute, dann morgen. Denn auch die Gunst einer Angela Merkel ist wankelmütig. Und das wird er jetzt am eigenen Leib merken.

Als am Freitag klar wurde, dass sich diese Prognosen leicht von den Einschätzungen und Plänen des Bundesverteidigungsministers unterschieden, war der Text online nicht mehr verfügbar.

Doch der Grund dafür lag offenbar nicht in der schlechten Vorhersage, sondern ganz woanders, wie uns das “Handelsblatt” auf Anfrage mitteilte:

Der Kommentar wurde aus dem Programm genommen, weil er der Chefredaktion unverhältnismäßig schien. “Das Gebot der Fairness gebietet es, die laufende Untersuchung der Universität Bayreuth abzuwarten und sich nicht mit voreiligen Rücktrittsforderungen in Szene zu setzen. Ich habe den Kommentar, in dem von ‘unverzeihlichen Todsünden’ die Rede war, die zum ‘unvermeidlichen Rücktritt’ des Verteidigungsministers führen müssten, als unverhältnismäßig empfunden”, sagte Chefredakteur Gabor Steingart.

Mit Dank an Michel V.

Blättern:  1 2