Bei all der Parteilichkeit und Einmischung der “Bild”-Zeitung bleibt das, was vor Wahlen in Großbritannien passiert, etwas Besonderes und besonders Eindrucksvolles: Die dortigen Boulevardblätter berichten nicht — sie machen Wahlkampf auf ihren Titelseiten, sie hetzen und manipulieren.
Die Briten stimmen heute über ein neues Parlament ab. Ein kurzer Blick auf die aktuellen Cover von “Daily Mirror”, “Daily Express”, “Daily Mail” und “The Sun” reicht, um zu sehen, wie einseitig die Schlagzeilen und Artikel sind, wie deutlich sich die jeweiligen Redaktionen auf die Seite der Labour Party beziehungsweise der Tories schlagen.
Der “Daily Mirror” ist für Labour, die Anweisung an die Leserschaft eindeutig: “VOTE Labour”. Das Blatt macht Theresa May zum “FACE OF FEAR”, das man heute an der Wahlurne loswerden könne: “Today’s your chance to get rid of Mrs May”.
(Draufklicken für eine größere Version.)
Der “Daily Express” druckt eine ähnlich klare Anweisung, allerdings im Sinne der Tories und Premierministerin May:
(Draufklicken für eine größere Version.)
Die “Daily Mail” positioniert sich ebenfalls explizit für die Tories. Mit dem richtigen “tactical voting guide” könnten die Leserinnen und Leser den britischen Geist neu entfachen:
(Draufklicken für eine größere Version.)
Die mit Abstand übelste Titelseite hat “The Sun” veröffentlicht. Das Blatt hat Labour-Parteichef Jeremy Corbyn — hehe, lustiges Wortspiel mit dessen Nachnamen — in einen Mülleimer gepackt, ihn zum “Terroristen-Freund” erklärt und geschrieben, dass nur ein “vote for Theresa May’s Conservatives — not Ukip, or any other –” helfen werde, um den “MARXIST EXTREMIST” Corbyn zu verhindern:
Die Geschichte, um die es hier geht, ist zwar bereits zwei Wochen alt. Da sie aber einmal mehr zeigt, wie “Bild” und Bild.de mit unsauberen Recherchen Rechtspopulisten und Internethetzern Vorlagen liefern, wollen wir sie dennoch aufgreifen.
Am 3. beziehungsweise 4. Juli erschienen diese Artikel bei Bild.de (hinter einer Paywall) und “Bild”:
Die Düsseldorf-Ausgabe hatte die Geschichte sogar auf der Titelseite angeteasert:
Das “Geheimpapier” ist eine internes Dokument der Düsseldorfer Polizei. Darin geht es vor allem um Verhaltensregeln für Polizeibeamte, die bei künftigen Sexualdelikten die Beweisaufnahme verbessern und spätere Identifizierungen ermöglichen sollen: Telefonnummern der Beschuldigten sollen aufgenommen werden, genauso tatsächliche Aufenthaltsorte und die Beschreibung der getragenen Kleidung oder körperlicher Merkmale. Außerdem sollen, wenn möglich, Fotos von den Verdächtigen gemacht werden.
In dem Dokument stehen neben diesen Handlungsanweisungen für Polizisten aber auch einige Sätze zu Art und Anzahl von sexuellen Übergriffen. Und auf die stürzten sich die “Bild”-Medien:
Laut eines Geheimpapiers gibt es immer mehr sexuelle Übergriffe in Badeanstalten, bei denen gleich mehrere Täter ihr Opfer bedrängen, begrapschen und missbrauchen.
In einer internen Mail an ihre Kollegen schreiben die Beamten vom Kriminalkommissariat 12, zuständig für Sexualdelikte und Vermisstenfälle: “Das KK 12 stellte dar, dass die Sexualstraftaten einen enormen Anstieg verzeichnen. Insbesondere die Tatbestände Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Kindern in den Badeanstalten schlagen hier ins Gewicht.” Die Täter seien “zum größten Teil Zuwanderer”.
Klar, über solche Missstände muss berichtet werden.
Wäre nur gut, wenn man auch konkrete Zahlen hätte, die den “enormen Anstieg” bestätigen. Und die liefern “Bild” und Bild.de vorerst nicht.
Dennoch sprangen andere Medien auf die “Bild”-Schlagzeile auf. Welt.de zum Beispiel:
Besonders heftig hat der “Bayernkurier”, das Polterorgan der CSU, das Thema aufgegriffen:
Redakteur Wolfram Göll schreibt:
Ein Problem, von Medien, Verantwortlichen und manchen Behörden lange verharmlost und von linken Politikern mit einem Sprechverbot belegt: moslemische Zuwanderer, meist aus Afghanistan, Pakistan, Marokko, aber auch Syrien, dem Irak und anderen moslemischen Ländern, stellen in deutschen Schwimmbädern Jugendlichen nach, oft minderjährigen Mädchen, aber auch Buben, um sie sexuell zu missbrauchen.
In vielen Schwimmbädern wurden mittlerweile verschärfte Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, aber manche sprechen immer noch von Einzelfällen. Wie viele “Einzelfälle” sexuellen Missbrauchs braucht es, damit die Politik reagiert?
Es gab allerdings auch Medien, die nicht blind der Geschichte von “Bild” und Bild.de gefolgt sind, sondernrecherchierthaben, allen voran die “Rheinische Post”. Die Redaktionen haben bei der Polizei nachgefragt, bei der “Deutschen Gesellschaft für Badewesen”, bei örtlichen Schwimmbadbetreibern.
Die Ergebnisse für Düsseldorf in Bezug auf sexuelle Belästigung und sexuelle Übergriffe:
2014: sieben Anzeigen
2015: 17 Anzeigen
2016: bis Anfang Juli acht Anzeigen
Das soll der “enorme Anstieg” sein, den “Bild” und Bild.de in die Welt gesetzt und aufgrund dessen sie den “Sex-Mob-Alarm” ausgerufen haben.
Wohlgemerkt: Hierbei geht es erstmal nur um Anzeigen, nicht um Verurteilungen. Und: Die Taten, die als Sexualdelikte angezeigt werden können, sind sehr unterschiedlich. Sie reichen von penetrantem Beobachten und Fotografieren in der Umkleidekabine übers Grapschen bis zu Vergewaltigungen. Nichts davon ist zu verharmlosen und jeder Vorfall muss verfolgt werden, aber es besteht eben doch einen Unterschied in der Schwere der Tat. Und: Diese Zahlen sagen noch nichts darüber aus, ob sich die Anzeigen “zum größten Teil” gegen Zuwanderer richten. In ganz Nordrhein-Westfalen, auch das hat die “Rheinische Post” recherchiert, gab es im laufenden Jahr 103 Anzeigen wegen Sexualdelikten, davon 44, bei denen die Beschuldigten Zuwanderer waren.
Die “Berliner Zeitung” hat bei Polizeistellen in ganz Deutschland nachgefragt. Von “einem massiven Anstieg sexueller Übergriffe in Schwimmbädern” könne in keinem Bundesland die Rede sein. Selbst Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft und Urheber der These “Mehr Verkehrstote durch Flüchtlingskrise”, versucht im Artikel zu deeskalieren: “‘Wir sprechen hier nicht von einem Massenphänomen.'”
Wie kommen “Bild” und Bild.de dann auf die Bedrohung des deutschen Badevergnügens?
Ein Sprecher der Düsseldorfer Polizei erklärte noch am Montag, dem Erscheinungstag der “Bild”-Geschichte zum “Geheimpapier”, gegenüber dem WDR:
“Die Übergriffe in der Silvesternacht haben die Statistik nach oben getrieben, denn das Papier bezog sich auf die Gesamtzahl von Sexualdelikten.”
Und eben nicht nur auf Vorfälle in Schwimmbädern. Die etwas unklare Formulierung in dem Polizeidokument hatte die “Bild”-Redaktion anscheinend falsch interpretiert.
Wir haben ebenfalls bei der Polizei Düsseldorf nachgefragt: Warum hat man nicht auch schon “Bild” die Fallzahlen mitgeteilt? Das hätte schließlich die alarmistische Überschrift verhindern können. Eine Sprecherin sagte uns, dass die “Bild”-Anfrage am Sonntag reingekommen sei. Da sei man nicht in der Lage, entsprechende Zahlen zu recherchieren. Am Montag sei das dann kein Problem gewesen. So lange wollten die “Bild”-Medien aber offenbar nicht warten.
Bild.de, “Focus Online”, die “Huffington Post” und einige andere Medien berichten gerade unter Berufung auf das britische Knallblatt “Daily Mail”, dass FIFA-Boss Sepp Blatter die Schweiz nicht mehr verlassen dürfe:
Wir haben gerade mal bei der Bundesanwaltschaft in der Schweiz nachgefragt, was an der Sache dran ist (Recherchezeit: drei Minuten). Die Antwort des Pressesprechers:
Entsprechende Meldungen sind völliger Blödsinn. Es gibt weder eine „Ausreisesperre“ Seitens der Schweizer Behörden noch soll der Präsident der FIFA in den nächsten Tagen durch die Bundesanwaltschaft befragt werden.
Liz Clark hat wahrlich ein traumhaftes Leben: Vor zehn Jahren bekam die Studentin eine Segelyacht geschenkt, seitdem schippert sie alleine über die Meere, macht hier und da einen Zwischenstopp unter Palmen, engagiert sich für den Umweltschutz und lässt es sich an den Stränden dieser Welt so richtig gutgehen.
Doch seit dem Wochenende ist es plötzlich vorbei mit der Idylle. Denn seit Sonntag widerfährt der armen Liz Clark etwas sehr, sehr Unparadiesisches: Sie bekommt Post von “Bild”-Lesern.
Zu zweit in den Sonnenuntergang segeln – was kann romantischer sein?
Das denkt sich auch Seglerin Liz Clark (34): Die US-Amerikanerin aus San Diego (Kalifornien) war zehn Jahre und 25 000 Seemeilen alleine auf den Weltmeeren unterwegs. Jetzt sucht die Skipperin einen jungen Seebären zum Mitreisen! (…)
Bewerbungen an Liz können abenteuerlustige Matrosen unter www.swellvoyage.com schicken.
Ja, da wird sich Liz sicher tierisch gefreut haben über die all die abenteuerlustigen „Bild“-Matrosen, die sich seither bei ihr melden, vor allem, weil die Geschichte überhaupt nicht stimmt. Bei Instagram schreibt Clark (Übersetzung von uns):
Ich möchte die irreführenden Schlagzeilen der „Daily Mail“ und anderer europäischer Medien klarstellen, die geschrieben haben, ich würde „einen Mitsegler suchen“. Sie [die „Daily Mail“] hat mit mir ein sehr umfangreiches Interview über mein Leben geführt und dann die Schlagzeile aus einer meiner Antworten gezogen: Auf die Frage „Fühlen Sie sich manchmal einsam?“ antwortete ich: „Ja, natürlich fühle ich mich manchmal einsam, und ich hoffe, dass ich eines Tages den richtigen Segelpartner finde…“
Ich habe außerdem darüber gesprochen, wie mich das Alleine-Reisen mit der Natur/Gott/dem Spirit verbunden hat und dass ich überall, wo ich hingehe, immer nette und gastfreundliche Menschen treffe! Aber die Medien fanden wohl, das wäre das Aufregendste gewesen, das ich in der ganzen Stunde gesagt habe, also wurde „Mitsegler gesucht“ fälschlicherweise zur Überschrift. In Wahrheit suche ich momentan gar keinen „Segelpartner“, trotzdem bin ich dankbar für Eure Anfragen und wünschte, ich könnte ein Stück von diesem Leben mit Euch allen teilen.