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Julian Reichelts “investigative journalistische Handwerkskunst”

Das Bundeskriminalamt (BKA) hat heute bei einer Pressekonferenz mitgeteilt, dass es einen Tatverdächtigen zum Diebstahl der Daten zahlreicher Prominenter und Politiker gebe. Der Mann sei geständig.

Wenige Stunde vor der Pressekonferenz des BKA ist die aktuelle Folge des Podcasts von Gabor Steingart erschienen. Sein Gast: Julian Reichelt. Mit ihm sprach Steingart gestern Abend über den Datenklau. Und der “Bild”-Chef zeigt in knapp 22 Minuten eindrucksvoll, wie häufig man treffsicher mit Mutmaßungen und Behauptungen danebenliegen kann.

  • Zum möglichen Täter

Julian Reichelt im Podcast:

Ich glaube, was relativ klar ist: Das waren nicht ein oder zwei Jungs, die bei Pizza und Cola light im Keller gesessen haben, bisschen Computerspiele, bisschen Youtube und dann bisschen was gehackt haben und das dann aufbereitet haben. Das muss eine größere Struktur gewesen sein.

Das BKA sagt heute: Der 20-Jährige sei Schüler ohne besondere technische Ausbildung oder Informatikstudium. Er habe sich das nötige Wissen durch Computeraffinität und viel Zeit draufgeschafft. Er lebe noch bei seinen Eltern in Mittelhessen. Immerhin: Von Pizza, Cola light, Keller und anderen Reichelt’schen Hacker-Klischees war nicht die Rede.

(an dieser Stelle beweist auch Gabor Steingart seine Expertise, als er schlussfolgerte: “Sprechen wir noch mal über das Handwerk, die Professionalität. Wenn man sich die Seite selber anschaut, es sieht nicht aus danach, dass Schüler ein paar E-Mails gehackt haben.”)

  • Zu möglichen Komplizen

Julian Reichelt im Podcast:

Der Umfang des Materials einerseits und die Liebe zum Detail, mit der dieses Material aufbereitet worden ist, mit Überschriften versehen worden ist, verschlagwortet ist, geordnet worden ist, deutet schon darauf hin, dass es sich um eine größere Zahl von Personen handelt und vor allem eine professionell vorgehende große Anzahl von Personen, die dieses Material aufbereitet hat.

Steingart fragt nach, wie viele Beteiligte Reichelt vermutet. Der “Bild”-Chef:

Wir haben es hier mit sehr aktuellen Daten zu tun, mit sehr vielen aktuellen Daten, die sehr liebevoll aufbereitet worden sind. Deswegen würde ich, sozusagen als interessierter, hochinteressierte Laie, was die Aufbereitung von Daten angeht, da schon eher auf eine gut zweistellige Zahl von Personen tippen, die sich damit beschäftigt haben muss

Das BKA sagt heute: Alles deute auf einen Einzeltäter hin.

  • Zu einer möglichen staatlichen Unterstützung

Julian Reichelt im Podcast:

Ich glaube nach allem, was wir an Hacks in den letzten Jahren gesehen und erlebt haben, ist das Wahrscheinlichste immer noch, dass es zumindest staatliche Unterstützung, von welcher Seite auch immer, für diesen Hack gab.

Das BKA sagt heute: Es gebe keine Hinweise für staatliche Unterstützung.

  • Zum möglichen Motiv

Julian Reichelt im Podcast:

Meine große Schlussfolgerung daraus ist, dass in enorm vielen Daten enorm wenig, so gut wie gar kein wirklich brisantes, skandalöses Material dabei war, was diese Aussage stützen würde, die ja da betrieben werden soll: Die Politik ist korrupt, die Politik ist verkommen, wir können uns auf unsere Politiker nicht verlassen, es gibt düstere Absprachen hinter den Kulissen, es gibt vielleicht Absprachen zwischen Medien und Politik. All das, was dort forciert werden soll oder routinemäßig bei solchen Hacks und Leaks forciert werden soll, das, muss man sagen, konnten wir dort nicht entdecken.

Das BKA sagt heute: Der Verdächtige habe angegeben, “aus Verärgerung über öffentliche Äußerungen der betroffenen Politiker, Journalisten und Personen des öffentlichen Lebens gehandelt zu haben.”

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Gabor Steingart kündigte das Gespräch und seinen Gesprächspartner übrigens so an:

Der Datenklau und seine Folgen — dazu habe ich mit dem Mann gesprochen, der auf diesem Datenschatz jetzt sitzt und ihn mit einem Expertenteam derzeit nach allen Regeln der investigativen journalistischen Handwerkskunst auswertet. (…)

Der “Bild”-Chefredakteur, ein erfahrener Enthüller und ehemaliger Kriegsreporter, gibt freizügig Auskunft über seine Arbeit. Und, bei allem Nebel, den der Fall noch umgibt, erkennen wir jetzt in diesem Gespräch die Dimension einer Tat, die womöglich deutlich größer ist als das, was die Bundesregierung uns als Wahrheit zugestehen will.

Schwer zu sagen, was lustiger ist: Steingarts verschwörerisches Geraune oder Reichelts angebliche “investigative journalistische Handwerkskunst”.

What the Hack!

Über den Diebstahl der Daten von deutschen Politikern und Medienschaffenden war noch kaum etwas bekannt, da hatte “Bild” schon einen Verdacht.

Normalerweise ist das eine Methode der Hacker des russischen, auf Cyberkrieg spezialisierten Militärgeheimdienstes GRU.

Als Urheber oder Unterstützer kämen Staaten wie Russland und China infrage, hieß es zunächst. Besonders Russland steht im Verdacht, seit Jahren massiv Hackerangriffe auf Deutschland zu befehlen. Auch ein Zusammenwirken Russlands mit rechtsextremen deutschen Gruppen sei nicht auszuschließen.

Dass ausgerechnet keine Daten der rechtspopulistischen und kremlnahen AfD veröffentlicht wurden, könnte laut Gaycken auch eine falsche Fährte sein, um die Hintermänner der Attacke im russischen Sektor zu verorten. Oder eben ein Hinweis auf die Beteiligung russischer Kräfte im Hintergrund.

Bei russischen Geheimdiensten heißt solches Material “Kompromat” — Erpressungs-Material.

Dritte Spur: der russische Militärgeheimdienst GRU. Putins Cyberkrieger hackten sich bereits ins Bundestagsnetz. Reste dieser Angriffe könnten jetzt für den erneuten Daten-Angriff genutzt worden sein

Schon 2017 warnte General Michael Hayden, Ex-Direktor der CIA, in BamS vor Hacker-Attacken aus Russland: “Ihr Deutschen solltet euch Sorgen machen!”

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Auch Politik-Redakteur Julian Röpcke kam schon früh auf Russland zu sprechen:

Screenshot eines Tweets von Julian Röpcke: You didn't see me using the word Russia so far as there is no evidence for its involvement so far. But what I can say is that hackers needed months if not years to collect, inspect, categorize and describe the leaked data, pointing at a group of high professionalism.

Die Sprecherin des Chaos Computer Clubs, Constanze Kurz, widerspricht Röpcke heute in der “FAZ”: Es gebe “kaum Indizien dafür, dass es sich um einen großen Hack handeln könnte. Auch deutet nichts darauf hin, dass die Verantwortlichen mit besonderer technischer Expertise vorgegangen wären.”

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Röpcke ist bei “Bild” einer der Hauptautoren in dem Fall, atemlos schreibt und twittert er seit Tagen darüber. Schon wenige Stunden nach Bekanntwerden behauptete er:

Screenshot eines Tweets von Julian Röpcke: The leaked data, which was illegally collected until October 2018 and released December 2018, but just found now, is still publicly available. I searched through it 5 hours last night, read maybe three percent of it and already found cases of corruption and bad political scandals.

Doch selbst heute, über drei Tage später, ist immer noch unbekannt, welche “cases of corruption” und “bad political scandals” Röpcke da entdeckt haben will. Oder ob er sich das einfach nur ausgedacht hat. Das Wort “corruption” nahm er später zurück und ersetzte es durch “nepotism”. Belege bleibt Röpcke aber bis jetzt schuldig. In der gedruckten Ausgabe vom Samstag widersprach ihm selbst das eigene Blatt. Auf die Frage “WIE BRISANT IST DAS MATERIAL?” antwortete “Bild”:

Nach erster Einschätzung sind keine Skandal-Akten dabei.

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Röpckes größter scheinbarer Scoop erschien gestern bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - Cyber-Alarm in Deutschland - Die Spur der Hacker - Exklusiv! Bild-Recherchen enthüllen brisante Details

“Bild” habe “Unglaubliches” recherchiert, heißt es da:

BILD-Recherchen führen nun zu einem Hacker, der wahrscheinlich der Urheber der Twitter-Profile [von denen die Daten veröffentlicht wurden] ist.

Doch das, was dann “nach BILD-Informationen” und “laut BILD-Recherchen” “exklusiv” folgt — vieles davon stand mehr als einen Tag zuvor bereits bei “RT”. Darunter auch der Name des “Hackers, der wahrscheinlich der Urheber der Twitter-Profile ist”, die Namen der Plattformen, auf denen er aktiv sein soll, der Name der Person, deren Profilbild er verwendet, und so weiter. Ein Schelm, wer hier einen Zusammenhang sieht.

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In ihren Artikeln liefern Röpcke und “Bild” dabei immer so viele Details und Screenshots zu den veröffentlichten Daten und den Seiten, auf denen sie veröffentlicht wurden, dass es für die Leserschaft ein Leichtes ist, sie selbst zu finden. Heute schreibt “Bild”:

Allein eine Datei mit dem Namen […] wurde seit Sonntag mehr als 3000 mal aufgerufen. Hinter ihr verbergen sich funktionierende Links zu mehr als 1000 Datensätzen von Politikern und Prominenten. Es ist davon auszugehen, dass sich am Sonntag und Montag abermals Hunderte die illegal erbeuteten Informationen auf ihre Rechner herunter luden.

Kein Wunder. Dank “Bild” wussten sie genau, wonach sie suchen mussten.

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Der größte Witz zum Thema aber kam mal wieder vom “Bild”-Chef persönlich:

Wie geht Bild mit den Daten um? Bild-Chef Julian Reichelt: Es geht um enorme Mengen von Daten, die offensichtlich mit der Absicht verbreitet werden, Politiker als angreifbar, korrupt oder unanständig darzustellen. Dennoch gehört zu unserem journalistischen Auftrag, das Material zu sichten und auszuwerten - nicht in Bezug auf moralische Verfehlungen, sondern mit Blick auf mögliche strafbare Handlungen, illegale Absprachen oder Bestechlichkeit. Das ist unsere Pflicht als freies Medium. Dass wir dabei auch höchst private Daten bis zu Familienfotos oder privaten Chats sichten müssen, gefällt uns selbst nicht. Nutzen werden wir solche sensiblen Daten aber in keinem Fall, nicht jetzt und nicht in Zukunft.

Mit Dank an Moritz H., Michael E. und Benno S.!

Nachtrag, 8. Januar: Heute hat das BKA einen Verdächtigen festgenommen. Es ist nach ersten Erkenntnissen kein russischer Militärgeheimdiensthackerspion, sondern ein 20-jähriger Schüler aus Mittelhessen.

Muslimische Wölfe sofort abschieben! Das Jahr in “Bild”

2018 war kein schönes Jahr für die “Bild”-Zeitung. Sie wurde von der “Titanic” blamiert, musste Jörg Kachelmann Hunderttausende Euro zahlen, wurde neun Mal öffentlich vom Deutschen Presserat gerügt und musste auf der Titelseite eine Gegendarstellung ihrer geliebten Helene abdrucken.

Das Schlimmste aber, und das wird selbst an den Chefetagen nicht spurlos vorbeigegangen sein, waren die Verkaufszahlen. Laut IVW war die letzte Auflagenmeldung von “Bild” die schlechteste seit 64 Jahren. Schon im ersten Quartal dieses Jahres war die verkaufte Auflage um fast zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr eingebrochen.

Darum musste sich “Bild” dieses Jahr in besonderem Maße auf alte Stärken besinnen. Ein kleiner Rückblick.

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Das Tier des Jahres

Der Wolf. Das Lamm. Und die ewig grausame Geschichte von Tod und Verderben.

Hurz!

Stellte sich später heraus, dass es doch kein Wolf war, ließ “Bild” das natürlich unerwähnt.

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Das Geschlecht des Jahres

Von den “Gewinnern” des Tages auf der Titelseite waren über 80 Prozent — Männer.

Auch von den Verlierern waren über 80 Prozent männlich. Selbst Tiere und Gegenstände tauchten in dem Ranking häufiger auf als Frauen.

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Die Religion des Jahres

Gehen wir doch mal die großen durch. Also. Hinduismus: kam in der Print-“Bild” in diesem Jahr genau einmal vor. Der Buddhismus kam immerhin auf zwei Erwähnungen. Das Judentum kam auf sieben, das Christentum auf 28. Der Islam auf 266.

Und anders als bei anderen Religionen sind beim Islam für “Bild” nur zwei Gefühlsrichtungen zugelassen: Angst und Empörung. Das war auch 2018 nicht anders, und relativierende Fakten blieben dabei selbstverständlich unbeachtet.

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Der Skandal des Jahres

Über 800 Mal hat “Bild” in diesem Jahr das Wort “Skandal” gedruckt, am größten und empörtesten im Frühjahr — beim großen:

Auch “BAMF-Skandal” genannt. BAMF, ihr wisst schon, diese von einer “Skandal-Chefin” geleitete und mit “Skandal-Akten” vollgestopfte “Skandal-Behörde”.

Und als ein paar atemlose Wochen später herauskam, dass der Fall nicht mal ansatzweise so wild war, wie von “Bild” dargestellt, war das der Redaktion wie viele Titelschlagzeilen wert? Genau.

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Der Experte des Jahres

Brauchte “Bild” in diesem Jahr ein knackiges Zitat, war einer sofort zur Stelle:

Prof. Michael Wolffsohn (München) spricht aus, was vielen schwerfällt: “Trump, über den viele lachen, hat mit seiner Strategie mehr erreicht als seine Vorgänger.”

Ob zu Trump, zu Putin, zur Bundeswehr, zum ZDF — das ganze Jahr über versorgte der “Publizist und Historiker” (je nach Bedarf auch mal “Bundeswehr-Historiker” oder “Hochschullehrer des Jahres”) Michael Wolffsohn die “Bild”-Redaktion zuverlässig mit “deutlichen Worten”, auch und am liebsten zu hochkontroversen Themen. Und praktischerweise war er dabei immer einer Meinung mit “Bild”.

Als “Bild” sich darüber beklagte, dass Deutschland sich nicht genug gegen die Gasangriffe in Syrien einsetze, beklagte sich auch Michael Wolffsohn über die “bundesdeutsche Drückebergerei”:

Wolffsohn: “Auf der einen Seite hören wir seit Jahrzehnten ‘Nie wieder Auschwitz!’. Über die damals von deutschem Gas Ermordeten wird heute in Deutschland geweint, gegen die jetzige Auschwitz-Variante wird nichts getan.”

Als “Bild” sich über den Rassismus-Vorwurf von Mesut Özil empörte, empörte sich auch Michael Wolffsohn:

Als “Bild” mit einer Kampagne für Friedrich Merz als CDU-Vorsitzenden kämpfte — Michael Wolffsohn kämpfte mit:

(Fazit: “Den größten Respekt hätten die mächtigsten Machos der Welt vermutlich vor Friedrich Merz.”)

Als “Bild” sich über eine antisemitische Karikatur in der “Süddeutschen Zeitung” echauffierte, wetterte auch Wolffsohn:

Als Michael Wolffsohn dann im Herbst einen Preis von einer Stiftung bekam, ließ die “Bild”-Zeitung im Gegenzug eine Meldung auf der Titelseite springen — und kürte Wolffsohn ein paar Wochen später, Überraschung: zum “Gewinner” des Tages.

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Das Kleidungsstück des Jahres

Socken: 53 Erwähnungen.
Pullover: 70 Erwähnungen.
Bikini: 90 Erwähnungen.
Unterhose: 50 Erwähnungen.

Kopftuch: 133 Erwähnungen.

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Der Irrsinn des Jahres

Das zentrale Thema der wochenlangen Hysterie: Ausländer. Kriminelle Ausländer. Und was alles passieren könnte, wenn wir da nicht sofort etwas tun, und zwar: “Abschieben!”

Wenn sich dann herausstellte, dass sie falsche Vorwürfe verbreitet hatte, gab sich die Redaktion große Mühe, die Korrektur möglichst gut zu verstecken. Oder brachte erst gar keine.

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Das Gefühl des Jahres

… beschreiben die “Bild”-Leser am besten selbst:

Aber kein Wunder, konnten sie doch ein weiteres Jahr Tag für Tag lesen, dass wir überschwemmt werden von Terroristen und Kindsmördern, und dass uns, wenn wir uns nicht bald zur Wehr setzen, die kriminellen Ausländer mit Sicherheit alle umbringen. Wenn uns bis dahin nicht schon die Wölfe gefressen haben.

Nachtrag, 27. Dezember: Der Vollständigkeit halber: Auch wenn in der Collage im Abschnitt “Die Religion des Jahres” ein Beispiel mit “Islamismus” zu sehen ist — bei den 266 Nennungen handelt es sich tatsächlich nur um Nennungen des Wortes “Islam”. Schon klar: Wenn man nach “Islam” sucht, findet man in den Ergebnisse auch Treffer wie “Islamismus” (da steckt ja schließlich die Buchstabenkombination “Islam” drin). Diese Treffer haben wir allerdings nicht mitgezählt.

“Instinktloser Unsinn!” – “Bild” lässt Ministerin Weihnachten abschaffen

Und plötzlich …

Screenshot Bild.de - Karten-Kuddelmuddel im Kanzleramt - Zweite Weihnachtskarte von Widmann-Mauz aufgetaucht - Plötzlich ist von Weihnachtsfest die Rede

Wobei “Plötzlich” in diesem Fall bedeutet: Die “Bild”-Redaktion hat einen Fehler gemacht, und der große Mist, den sie verbreitet hat, fliegt den Mitarbeitern gerade um die Ohren. Dieses “Plötzlich” ist eine Art Korrektur im Gewand eines weiteren Vorwurfs.

Es geht um die Weihnachtskarte — oder besser: die Weihnachtskarten — von Annette Widmann-Mauz, der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung. Am späten Dienstagabend schreiben Franz Solms-Laubach und Filipp Piatov bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - Peinliche Weihnachtskarte aus dem Kanzleramt - Integrationsbeauftragte schafft Weihnachten ab

Das ganze Land wünscht zurzeit “Fröhliche Weihnachten” auf Karten, doch ausgerechnet die Integrationsbeauftragte kriegt das nicht hin.

Auf der Weihnachtskarte, die Integrationsministerin Annette Widmann-Mauz (52, CDU) mit ihrer Pressestelle verschickt, sind zwar Weihnachtsmann-Mützen, Baumschmuck und Engel mit Heiligenschein zu sehen, es fehlt aber das wichtige Wort: Weihnachten!

Stattdessen steht dort: “Egal woran Sie glauben … wir wünschen Ihnen eine besinnliche Zeit und einen guten Start ins neue Jahr.”

Am Mittwoch reicht die “Bild”-Zeitung ihren aussichtsreichen Beitrag zum Wettbewerb “Wer erschafft den größten Elefanten aus der kleinsten Mücke?” ein:

Ausriss Bild-Titelseite - Die peinliche Weihnachtskarte aus dem Kanzleramt - Integrationsbeauftragte drückt sich vor dem Wort Weihnachten

… schreibt die Redaktion auf der Titelseite. Und auf Seite 2:

Ausriss Bild-Zeitung - Peinliche Weihnachtskarte aus dem Kanzleramt - Integrationsbeauftragte schafft Weihnachten ab

Daneben der Kommentar von Solms-Laubach (“Instinktloser Unsinn!”) und ein Brief von Franz Josef Wagner (“Liebe Integrationsministerin”).

Die Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration soll also Weihnachten “abgeschafft”, sich “vor dem Wort Weihnachten” gedrückt, “unser christliches Fundament” verschwiegen haben. Blöd nur, dass eine weitere aktuelle Grußkarte von Annette Widmann-Mauz existiert. Und darin stehen Dinge wie “ein friedvolles Weihnachtsfest und ein gesegnetes Jahr 2019” oder “Öffnen wir unsere Herzen für das Geheimnis der Heiligen Nacht”. Dazu der Spruch des Theologen Angelus Silesius: “Das Licht der Herrlichkeit scheint mitten in der Nacht. Wer kann es sehen? Ein Herz, das Augen hat und wacht.” Alles sehr, sehr christlich.

Während die Karte, bei der Solms-Laubach und Piatov und “Bild” das Abendland untergehen sehen, in einer Auflage von 100 Exemplaren an Journalistinnen und Journalisten und Redaktionen gegangenen und von Widmann-Mauz’ Presseteam verschickt worden sein soll, soll die andere Karte in einer Auflage von 1000 Exemplaren an Kolleginnen und Kollegen im Bundestag, Freunde in der CDU, Kirchen, Religionsgemeinschaften gegangen sein.

“Bild” lag also heftig daneben. Doch anstatt einfach zu sagen: “Wir lagen daneben”, schreibt die Redaktion, dass “plötzlich” eine “zweite Weihnachtskarte von Widmann-Mauz aufgetaucht” sei, und zündet die nächste Stufe. “Bild” gestern:

Ausriss Bild-Zeitung - Kritik-Sturm wegen beschämender Weihnachts-Karte - Warum ist sie Integrationsministerin?

So macht man Menschen fertig.

Im Hauptartikel — dieses Mal interessanterweise ohne Autorennamen — geht es unter anderem um Widmann-Mauz’ Studienabbruch und ihr angebliches Versagen als Integrationspolitikerin. Die Redaktion wirft ihr vor, “dass sie es auch nach acht Monaten im Amt noch nicht geschafft habe, ein Freitagsgebet in einer Moschee zu besuchen.” Was wäre wohl in “Bild” los, wenn Annette Widmann-Mauz in diesen acht Monaten dreimal in der Moschee, aber nicht so oft im Gottesdienst gewesen wäre?

Der kleine Kasten unten rechts auf der Seite (“Die zweite Karte der Staatsministerin”) ist die Art, wie die “Bild”-Mitarbeiter zeigen, dass sie einen Fehler gemacht haben. Und dazu gehört auch, dass sie noch einmal auf Annette Widmann-Mauz einschlagen: “Parteiintern christlich, nach außen beliebig — ein bemerkenswerter Widerspruch.”

Vermutlich hätte aber auch eine größere Korrektur nicht mehr viel gebracht. Bei Bild.de durften die Leserinnen und Leser bereits über die berufliche Zukunft der Integrationsbeauftragten abstimmen. In den Sozialen Netzwerken haben die Hetzer, denen “Bild” das nächste Opfer zum Fraß vorgeworfen hat, Widmann-Mauz längst beleidigt und beschimpft. Die AfD, Erika Steinbach und all die anderen ganz Rechten konnten auf ein neues Thema aufspringen und taten das auch zahlreich. CDU-Politikerinnen und -Politiker haben sich von “Bild” zu kritischen Äußerungen bringen lassen. “Integrationsexperte” Ahmad Mansour durfte auch noch was sagen.

Und “Bild” hatte das nächste Kapitel in der traditionellen JahresendErzählung, dass in Deutschland Weihnachten abgeschafft werde.

Für die Fehler, die die Redaktion dabei gemacht hat, musste sie nicht mal um Entschuldigung bitten. Sie hat einfach noch einen draufgesetzt.

Georg Streiter, der früher selbst bei “Bild” gearbeitet hat und später stellvertretender Regierungssprecher war, hat bei Facebook einen sehr lesenswerten Beitrag zur “Bild”-Berichterstattung über Annette Widmann-Mauz veröffentlicht.* Er schreibt darin unter anderem:

Wer — wie ich — lange Jahre bei Boulevard-Zeitungen gearbeitet hat, kennt auch die Kniffe, mit denen man immer halbwegs überleben kann, auch wenn man gerade ins Klo gegriffen hat. Eine Rettungs-Regel z.B. lautet: wenn Du falsch berichtet hast, lass die Korrektur aussehen wie eine neue Enthüllung. Die veredelte Variante: zünde zusätzlich ein großes Feuerwerk, das ablenkt. Ein Musterbeispiel dafür ist die versuchte Hinrichtung der Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin, Annette Widmann-Mauz (CDU), durch die “Bild”-Zeitung.

Er habe “arge Probleme”, so Streiter, “mit dem fanatischen Kurs, den der aktuelle Chefredakteur fährt.”

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

*Nachtrag, 27. Dezember: Der Facebook-Post von Georg Streiter ist inzwischen nicht mehr für jeden lesbar. Streiter hatte uns gegenüber bereits angekündigt, dass er seinen Text zu gegebener Zeit wieder auf “privat” stellen werde.

“BILD checkte die Fakten” und wirft sie dann durcheinander

Bei zwei Gruppen bringen die “Bild”-Medien besonders gern falsche Zahlen in Umlauf oder reißen richtige Zahlen aus dem Zusammenhang: bei Geflüchteten/Asylbewerbern und bei Hartz-IV-Empfängern. Daher sollte man bei so einem Artikel — heute erschienen auf der “Bild”-Titelseite — doppelt misstrauisch sein:

Ausriss Bild-Titelseite - Zwei von drei Flüchtlingen leben von Hartz IV

“Bild” schreibt:

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer hat die Integration der Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt gelobt. “Ich bin selbst überrascht, dass das so schnell geht”, sagte Kramer der “Augsburger Allgemeinen”. BILD checkte die Fakten. So steht es um Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt:

► Von 1,6 Mio. Migranten aus den Haupt-Fluchtländern (Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien) sind aktuell 360 000 beschäftigt (Sept. 2018). Das sind 41 % mehr als vor einem Jahr!

► Aber: Zwei von drei Migranten aus den Flüchtlingsländern (63,7 %) beziehen Hartz IV.

Die Verbindung aus “So steht es um Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt” und “Zwei von drei Migranten aus den Flüchtlingsländern (…) beziehen Hartz IV” ist mindestens irreführend: Es stimmt zwar, dass 63,7 Prozent dieser Personengruppe Hartz IV bezieht (womit auch die Überschrift auf der “Bild”-Titelseite, für sich genommen, richtig ist) — allerdings sind dort auch Kleinkinder und Greise eingerechnet, die noch nicht oder nicht mehr arbeiten können. Die Zahl bezieht sich also auf alle “Migranten aus den Flüchtlingsländern”, egal wie alt.

Nimmt man hingegen, wie die Bundesagentur für Arbeit es macht (Excel-Tabelle, siehe Tabelle “T-Quoten”, Spalte “Arbeitslosenquote mit eingeschränkter Bezugsgröße”), nur die 15- bis 65-Jährigen, ergibt sich eine Arbeitslosenquote von 36 Prozent im September 2018 (zum Vergleich: im September 2017 lag sie noch bei 44,8 Prozent). Das ist immer noch deutlich höher als der Durchschnitt in Deutschland, aber eben auch deutlich niedriger als die 63,7 Prozent.

Im Artikel bei Bild.de war interessanterweise Platz für die Arbeitslosenquote der 15- bis 65-Jährigen. Auf der Bild.de-Startseite allerdings hat die Redaktion Erwerbsfähige und Gesamtbevölkerung wieder durch­ei­n­an­der­gewor­fen:

Screenshot Bild.de - So ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt wirklich - Zwei von drei Flüchtlingen leben von Hartz IV

Dazu auch:

Katsching! Ein Mensch ist tot

Eine Stadt in Trauer. Ein Verein unter Schock. Eine Familie in Fassungslosigkeit.

Das schreiben “Bild” und Bild.de zum Tod von Herbert Gentner, der am frühen Samstagabend, kurz nach Abpfiff der Bundesligapartie zwischen dem VfB Stuttgart und Hertha BSC, noch im Stadion starb. Herbert Gentner war der Vater von VfB-Kapitän Christian Gentner.

“Eine Familie in Fassungslosigkeit”, analysiert die “Bild”-Redaktion also. Sie will das eigene Handeln aber ganz offensichtlich nicht anpassen und die Familie Gentner nicht in Ruhe trauern, etwas Fassung zurückgewinnen lassen. Stattdessen will sie Klicks abgreifen, Abos verkaufen und Auflage machen. Sie will Geld verdienen mit dem Tod eines Menschen. Denn seit Samstag feuern die “Bild”-Medien wie am Fließband Artikel zu dem Thema raus. Eine Auswahl.

Bild.de berichtete — wie andere Medien auch — recht schnell über den tragischen Vorfall im Stadion des VfB Stuttgart. Noch am späten Samstagabend folgte diese Schlagzeile:

Screenshot Bild.de - Hier ahnt der VfB-Kapitän nicht nichts vom Todes-Drama - Während Gentner ein Interview gibt, bricht sein Vater im Stadion zusammen

“Bild am Sonntag” hatte das Thema auf der Titelseite und groß im Blatt:

Ausriss Bild am Sonntag - Drama in der Bundesliga! Vater von VfB-Kapitän stirbt im Stadion

Im Laufe des Sonntags legte Bild.de nach. Die Redaktion begann mit ihren Spekulationen zur Todesursache:

Screenshot Bild.de - Die wichtigsten Fragen zum Todes-Drama - Woran starb Gentners Vater?

Die Antwort auf den Klickköder hat das Bild.de-Team hinter die Bezahlschranke gepackt.

Gestern am Abend die nächste “Bild plus”-Story:

Screenshot Bild.de - Drama um Vater von VfB-Star Gentner - Der Tod kam 45 Minuten nach dem Siegtor
(Unkenntlichmachung durch uns. Der Krankenwagen ist laut “Bild”-Redaktion leer.)

Heute macht dann auch die “Bild”-Zeitung mit. Der Tod von Herbert Gentner, die angebliche Todesursache und der Ablauf am frühen Samstagabend im Stadion sind die große Titelgeschichte:

Ausriss Bild-Titelseite - Sekunden-Tod im Stadion nach 2:1-Sieg - So starb der Vater des Stuttgart-Kapitäns

Im Blatt fast eine komplette Seite:

Ausriss Bild-Zeitung - Vater von VfB-Star Gentner starb im Stadion - Der Tod kam 45 Minuten nach dem Siegtor

Zitate im Text belegen, dass die “Bild”-Schnüffeleien im privaten Umfeld von Herbert Gentner bereits begonnen haben; “Bild”-Reporter haben sich schon mit dem zweiten Vorsitzenden des örtlichen Fußballvereins unterhalten und “Vertraute” des Verstorbenen aufgetrieben.

“Bild” schreibt, dass “Bild” “DIE WICHTIGSTEN FRAGEN” beantworte. Die entscheidende haben sich die “Bild”-Mitarbeiter aber offenbar nicht gestellt: “Was zur Hölle machen wir hier eigentlich?”

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Jetzt nehmen uns die Muslime auch noch das Schwimmbad weg (2)

Nehmen wir für einen Moment mal an, dass das, was am Dienstag in “Bild” stand, stimmte. Dann hätte die Geschichte vom Bremer Vater, der mit seiner Tochter nicht ins Schwimmbad darf, “weil Muslime im Bad sind” (BILDblog berichtete), eine neue Wendung:

Screenshot Bild.de - Schlechte Kommunikation - Behörde bestätigt Schwimmverbot für Papa

Jetzt stellt es sich anders da: Der Schwimmtermin sei ein regelmäßiger stattfindender Termin für u. a. muslimische Frauen, in den die Gruppe von Tim F. ausnahmsweise reinrutschte — Männer tatsächlich unerwünscht!

… schreiben die “Bild”-Medien.

Und es ist schon ein ausgesprochen interessanter Fokus, den sie an dieser Stelle gewählt haben: “ein regelmäßiger stattfindender Termin für u. a. muslimische Frauen”. Sie hätten nämlich genauso gut schreiben können: “ein regelmäßiger stattfindender Termin für u. a. katholische Frauen”. Oder: “ein regelmäßiger stattfindender Termin für u. a. jüdische Frauen”. Oder: “ein regelmäßiger stattfindender Termin für u. a. Frauen, die nicht religiös sind”. Oder einfach: “ein regelmäßiger stattfindender Termin für Frauen”. Denn der Termin, den “Bild” meint, ist ein Frauenbadetag. Davon gibt es monatlich zwei in dem betreffenden Bremer Schwimmbad: jeden zweiten Samstag im Monat ohne Kinder, jeden letzten Samstag im Monat mit Kindern. Für alle Frauen, egal ob religiös, egal welche Religion.

Die Bremen-Redaktion der “Bild”-Zeitung hätte also irgendwas titeln können wie “Wegen Frauenbadetag — Vater darf mit Tochter nicht ins Schwimmbad”. Vermutlich hätte dann selbst der wütendste “Bild”-Leser verstanden, dass es nicht völlig überraschend ist, dass ein Mann nicht zum Frauendbadetag darf. Stattdessen titelte die Redaktion aber:

Ausriss Bild-Zeitung - Wegen Musliminnen - Behörde bestätigt Schwimm-Verbot für Papa Tim
(Unkenntlichmachung durch uns.)

Wenn Frauenbadetag ist, zu dem auch (aber nicht nur!) Musliminnen gehen können, und ein Mann dadurch nicht ins Schwimmbad darf, sind laut “Bild”-Redaktion also die Musliminnen schuld.

Auf der Facebookseite von “Bild” (wo der Artikel mit den Worten “Wegen Musliminnen — Behörde spricht Schwimmverbot für Papa aus” verlinkt ist) reagieren die Leserinnen und Leser mit Kommentaren wie:

Rassismus gegen Deutsche!

Ja, das ist erst der Anfang, wir sind bald fremd im eigenem Land

Wie tief will Deutschland eigentlich noch sinken…

Nun müssen wir allerdings einmal zurück an den Anfang. Wir haben ja schon angedeutet, dass mit dem “Bild”-Text etwas nicht stimmen könnte. Und: Es stimmt etwas mit dem “Bild”-Text nicht. Ein Frauenbadetag spielt in dem Fall, anders als von “Bild” behauptet, überhaupt keine Rolle.

Der Sprecher der Bremer Sozialbehörde, der auch im Artikel der “Bild”-Medien zu Wort kommt, sagte uns auf Nachfrage, dass eine unglückliche Entscheidung der Mutter-Kind-Gruppe, die Tim F. mit seiner Tochter besucht, und zu der auch muslimische Frauen gehören, zum Ausschluss des Mannes beim Schwimmbadbesuch geführt habe: Die Frauen hätten sich gewünscht, dass nur Frauen mit zum Schwimmen kommen.

Der Vater selbst sei bei der Planung des Ausflugs nicht dabei gewesen und habe daher auch nichts dazu sagen können. Es sei bedauerlich, dass diese Entscheidung über den Kopf des Mannes hinweg gefallen sei und man ihn vor vollendete Tatsachen gestellt habe.

Er habe auch dem “Bild”-Reporter mitgeteilt, dass ein Frauenbadetag nicht der Grund für den Ausschluss des Mannes gewesen sei, so der Sprecher der Sozialbehörde. Warum dieser das dann trotzdem geschrieben hat, könne er sich auch nicht erklären.

“Bild” macht Wladimir Putin zum Stasi-Mitarbeiter

Große Freude heute bei Bild.de:

Screenshot Bild.de - Nach Bild-Enthüllung - Die Welt staunt über Putins Stasi-Ausweis

Gut, “Nach BILD-Enthüllung” wäre es nur dann, wenn man eine Entdeckung der Stasi-Unterlagenbehörde in Dresden, über die die “Bild”-Medien gestern berichteten, wirklich als “BILD-Enthüllung” sieht. Aber von solchen Details wollen sie sich in der “Bild”-Redaktion nicht bremsen lassen:

Russlands Präsident Wladimir Putin und sein geheimer Stasi-Ausweis!

Die Entdeckung von BILD ging um die Welt.

Die “Washington Post”, die Londoner “Times” und selbst russische Medien berichteten über die bisher unbekannten Dokumente, die der einstige KGB-Offizier “Major Wladimir Putin” von den Spitzeln der DDR-Stasi 1985 ausgestellt bekam.

Bereits gestern schrieb “Bild”-Redakteur Jürgen Helfricht:

28 Jahre nach DDR-Ende dachte selbst die Stasi-Unterlagenbehörde (BStU), alle Geheimnisse zu kennen. Doch jetzt entdeckte Dokumente belegen: der einstige KGB-Offizier und heutige Kremlchef Wladimir Putin (66) war bis zum Fall der Mauer auch Mitarbeiter des berüchtigten Staatssicherheitsdienstes!

Auf der gestrigen Titelseite geht es erstmal nur um Putins “Stasi-Ausweis”:

Ausriss Bild-Titelseite - Als KGB-Spion in Dresden - Putins geheimer Stasi-Ausweis entdeckt!

Zwei Seiten später ist der heutige Präsident Russland bereits “Stasi-Mann” gewesen:

Ausriss Bild-Zeitung - KGB-Spion Putin - Seine Tarnung als Stasi-Mann

Und im Text von Helfricht dann eben “Mitarbeiter des berüchtigten Staatssicherheitsdienstes!”

An der Folgerung, der nun aufgetauchte Ausweis belege, dass Wladimir Putin Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) gewesen ist, haben manche Leute allerdings erhebliche Zweifel. Zum Beispiel die Mitarbeiter der Stasi-Unterlagenbehörde, die ja immerhin “Putins geheimen Stasi-Ausweis” entdeckt haben. Noch gestern Abend veröffentlichten sie eine entsprechende Mitteilung, in der unter anderem steht:

Wer als Verbindungsoffizier des russischen Geheimdienstes KGB seinen Dienst in der DDR versah, wurde mit einem Hausausweis der zuständigen MfS-Dienststelle ausgestattet. Dies trifft auch auf den MfS-Hausausweis von Wladimir Putin zu, der in Dresden von 1985-1990 seinen Dienst als ein dem KGB-Verbindungsoffizier untergeordneter Offizier verrichtete. (…)

In den Bezirken der DDR erhielten die KGB-Vertreter damit Zugang zu den Bezirksverwaltungen des MfS. Das war auch der Fall bei Wladimir Putin, der damals für die KGB-Dienststelle im Bezirk Dresden tätig war und aus diesem Grund einen Hausausweis von der MfS-Bezirksverwaltung bekam. Nach bisherigem Forschungsstand ist die Ausstellung eines Hausausweises auf der oben beschriebenen Basis kein Hinweis darauf, dass Wladimir Putin für das MfS gearbeitet hat. Der Ausweis war Teil der Ausstattung für die Erledigung der Aufgaben des KGB in der Zusammenarbeit mit dem MfS. Welche Aufgaben zu erledigen waren, sind dem Hausausweis nicht zu entnehmen und auch in der Existenz eines solchen Ausweises nicht zu erkennen.

Und Konrad Felber, der die Stasi-Unterlagenbehörde in Dresden leitet, und den “Bild” als Entdecker des Ausweises präsentiert, sagt auch noch mal: “Das heißt aber nicht automatisch, dass Putin für die Stasi gearbeitet hat”.

Damit geht die sagenhafte Erfolgsgeschichte von “Bild”-Redakteur Jürgen Helfricht weiter: Nachdem er das Katzenbenzin erfunden, die seit Jahrzehnten bekannte “Wahrheit über den Dresdner Feuersturm” enthüllt, Hitlers Cognac entdeckt und den Sandmann in den Westen verkauft hat, hat er nun auch noch Wladimir Putin zum Stasi-Mitarbeiter befördert.

Mit Dank an Benjamin J. für den Hinweis!

Tell him that they don’t like Mondays

Alfred Draxler hat’s nicht leicht.

Ausriss Bild-Zeitung - Ich fühle mich nur noch als Fan zweiter Klasse!

Der “Bild”-Sport-Chefkolumnist schrieb am Samstag:

Die 2. Liga hat beschlossen, ihr Montagsspiel, das seit 1993 zur Tradition geworden ist, wieder abzuschaffen.

Zurückzuführen ist dies auf massive Proteste der Fans in der Kurve, die Montagsspiele grundsätzlich ablehnen. Und kritisieren, dass die Anhänger der Auswärtsmannschaft aus logistischen Gründen benachteiligt werden.

Ich mag diese Spiele am Montagabend. Ich schaue sie mir zu Hause auf dem Sofa oder in einer Sky-Kneipe an. Aber ich bin wegen der Abschaffung nicht gefragt worden. Und deshalb fühle ich mich nur noch als Fan 2. Klasse.

Hach ja, so ein gemütlicher Fernsehabend auf der Couch. Was beklagen sich die rund 2000 Anhängerinnen und Anhänger des FC St.Pauli beispielsweise eigentlich, die gestern bei wenigen Grad im Stadion in Bochum standen, nachdem sie tagsüber, an einem Montag, 350 Kilometer aus Hamburg bis in den Ruhrpott gefahren sind und bevor sie spätabends 350 Kilometer wieder zurück nach Hamburg fahren mussten, um es heute zur Arbeit zu schaffen?

Nun kann man gegen Alfred Draxlers Gefühlswelt erstmal nichts sagen. Aber gegen seine abenteuerliche Argumentation:

Dabei sind wir doch eindeutig in der Mehrheit. Das Spiel HSV gegen Köln haben an einem Montagabend bei Sky 505 000 Zuschauer gesehen. Die gesamte 2. Liga bringt es bei neun Partien pro Spieltag durchschnittlich “nur” auf 175 000 Stadionbesucher.

Weil viele Fußballfans am Montagabend den Fernseher einschalten, wenn dort die 2. Liga läuft, soll das automatisch bedeuten, dass sie es befürworten, dass die Spiele am Montagabend stattfinden? Es bräuchte mal eine Umfrage, in der Fans — ob nun Kurvensteher oder Draxlers Sofa-Kompagnons — sagen könnten, was sie von den Montagsspielen halten …

Moment, die gibt’s ja! Der Verein FC PlayFair!, der “kicker” und das Deutsche Institut für Sportmarketing haben im Februar dieses Jahres die Ergebnisse einer gemeinsamen Umfrage präsentiert. Und die waren eindeutig: Das Spiel am Montagabend um 20:30 Uhr lehnen 91,4 Prozent der 186.254 Fans, die teilgenommen haben, ab. Die restlichen 8,6 Prozent bilden Alfred Draxlers “eindeutige” “Mehrheit”.

Mit Dank an Patrick B. für den Hinweis!

Nachtrag, 16:46 Uhr: Die von uns verlinkte Umfrage von FC PlayFair!, “kicker” und dem Deutschen Institut für Sportmarketing bezieht sich auf die Anstoßzeiten in der 1. Fußball-Bundesliga. Es ist sicher nicht auszuschließen, dass unter den 186.254 Teilnehmern auch Anhänger von Vereinen der 2. Bundesliga waren. Die Montagsspiele in der 2. Bundesliga starten ebenfalls um 20:30 Uhr.

In Alfred Draxlers Text geht es außerdem auch um die beschlossene Abschaffung der Montagsspiele in der 1. Bundesliga.

Mit Dank an @gerth_micha für den Hinweis!

Jetzt nehmen uns die Muslime auch noch das Schwimmbad weg

Die Sache ist eigentlich schon dämlich genug: Ein Vater, der mit seiner zweijährigen Tochter regelmäßig einen Mutter-Kind-Treff besucht, wird gebeten, nicht zum Schwimmausflug mitzukommen. Die Kursleiterin spricht ihm vorher auf die Mailbox:

“Ich wollte dir Bescheid geben: Wir sind ja am Mittwoch alles Frauen. Und es sind auch muslimische Frauen dabei. Deswegen wäre es gut, wenn deine Frau kommen würde. Du kannst dann leider nicht kommen. (…) Ich hoffe auf dein Verständnis!”

Wie gesagt: dämlich genug. Sogar so dämlich, dass die für den Mutter-Kind-Treff zuständige Bremer Sozialbehörde gegenüber “Bild”, wo auch das Transkript der Mailboxaufnahme erschienen ist, sagt:

“Wir wollen mehr Väter in den Eltern-Kind-Gruppen. Wir wollen auch, dass Väter häufiger in die Elternzeit gehen. Sie sollen natürlich mit muslimischen Eltern gemeinsam am Kinderschwimmen teilnehmen. Was dort praktiziert wurde, ist grundsätzlich nicht die Linie unseres Hauses.”

Also: Eine falsche Reaktion einer Mitarbeiterin, mit der der Sprecher der Sozialbehörde über diesen Fehler reden wolle. Soll alles so nicht wieder vorkommen.

In der Bremen-Ausgabe der “Bild”-Zeitung hyperventilieren sie diesen einmaligen Fehler einer Person zu einem generellen Schwimmverbot für Vater und Tochter, “weil Muslime im Bad sind”:

Ausriss Bild-Zeitung - Weil Muslime im Bad sind - Jetzt darf Papa mit der Tochter hier nicht mehr schwimmen
(Alle Unkenntlichmachungen durch uns.)

“Jetzt darf Papa mit der Tochter hier nicht mehr schwimmen” ist schlicht falsch. Natürlich — und zum Glück — kann niemand Tim F. verbieten, mit seiner Tochter in das Bremer Schwimmbad zu gehen, ob nun Muslime dort im Becken sind oder nicht. “Weil Muslime im Bad sind” ist mindestens heftig verbogen. Dass Tim F. am fraglichen Tag nicht am Schwimmausflug teilnehmen sollte, bezog sich nicht darauf, dass allgemein auch Muslime im Schwimmbad waren, sondern speziell auf die Zusammensetzung der Mutter-Kind-Gruppe. Das macht den Fehler der Kursleiterin und die Angelegenheit für Vater und Tochter nicht besser, aber die “Bild”-Dachzeile falscher.

Bei Bild.de ist vor der Paywall nur Folgendes lesbar:

Screenshot Bild.de - Weil Muslime im Bad sind - Papa darf mit Tochter (2) nicht mehr zum Schwimmen - Papa Tim F. und Tochter Amelia-Sophie hatten sich so aufs Kinder-Schwimmen gefreut. Doch daraus wurde nichts. Der engagierte Vater wurde aus der Schwimmgruppe ausgeschlossen.

Die Antwort der Bremer Sozialbehörde und all die anderen Relativierungen können hingegen nur zahlende Kunden lesen.

Die Aufregung, die die “Bild”-Medien erzeugen, findet selbstverständlich Widerhall in den Sozialen Netzwerken: Muslime, die Personen mit deutschen Vornamen vermeintlich das Schwimmen unmöglich machen — da springen “AfD Rosenheim Kreisverband”, “Anno 1273 Oberlungwitzer Patrioten”, “Völker dieser Welt erheben sich !!”, “AfD – Kreisverband Rottweil/Tuttlingen” und ähnliche Kandidaten gerne auf.

Und auch auf der Facebookseite von “Bild” ist ordentlich was los. Der Post zum Artikel wurde über 5200 Mal geliket, mehr als 1200 Mal geteilt und knapp 1600 Mal kommentiert. Dass Dachzeile und Überschrift bei Bild.de sowie die Überschrift, die auf der “Bild”-Facebookseite angezeigt wird (“Muslimische Frauen wollen ihn nicht: Vater darf mit Tochter (2) nicht mehr zum Schwimmen”), für ziemliche Verwirrung sorgen, wem nun was alles scheinbar von welcher Gruppe verboten werde, hat offenbar auch die “Bild”-Redaktion gemerkt. Sie kommentiert selbst:

Screenshot eines Facebook-Kommentars der Bild-Redaktion - Nur noch mal zum Verständnis: Auf dem Titelbild ist Eltern-Kind-Bereich zu sehen. Das liegt daran, dass es im Bad einen Bereich gibt, der kindergerecht gestaltet ist. In diesem speziellen Fall geht es allerdings um einen Ausschluss vom Mutter-Kind-Treff, also einer Schwimmveranstaltung beziehungsweise einem Treffen.

Mit Dank an Ingmar D. und Christian M. für die Hinweise!

Nachtrag, 14. Dezember: Die Geschichte hat laut “Bild” vermeintlich eine neue Wendung bekommen.

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