“Bild” hat die Macht, kleine Themen ganz groß rauszubringen, mit Riesen-Schlagzeilen und einem tagelangen Trommelfeuer von Berichten. Aber manchmal versucht “Bild” auch, Themen ganz klein zu machen. Zum Beispiel wenn ein Discounter, mit dem die Zeitung gute Geschäfte macht, sich unangenehmen Vorwürfen ausgesetzt sieht. Oder ein Land, an dessen Seite “Bild” bedingungslos steht.
Vielleicht ist es manchmal aber auch noch banaler.
Eigentlich hält “Bild” die Klitschkos und ihre Boxwettkämpfe für ein gutes Thema. Als Vitali Klitschko Ende September im Staples Center in Los Angeles gegen den US-Amerikaner Chris Arreola seinen WM-Titel im Schwergewicht verteidigte, überschlug sich “Bild” – wie schon bei früheren Kämpfen der Klitschko-Brüder – im Vorfeld regelrecht mit der Berichterstattung.
Da wurde schon einen Monat vor dem Kampf von einem Treffen Klitschkos mit Ex-Weltmeister Mike Tyson berichtet, das “Knallhart-Training” begleitet, das Klitschko dann im Gespräch mit dem Blatt als die “härteste Vorbereitung” seiner Karriere bezeichnete. “Bild” druckte ein längeres Interview mit Klitschkos Trainer, berichtete vorab, welche Prominenten sich für den Kampf angesagt hatten, und wusste, dass Klitschkos Gegner beim Wiegen “wie ein Pfannkuchen” wirkte.
Dass Vitali Klitschko aber am vergangenen Samstag in Bern gegen Kevin Johnson kämpfte, hätte man als “Bild”-Leser fast nicht mitbekommen: Seit dem 24. Oktober fand keine nennenswerte Vorberichterstattung statt, am Kampftag selbst brachte die Zeitung eine vergleichsweise mickrige Meldung.
Warum?
Nun, am 12. Dezember fand nicht nur Vitali Klitschkos WM-Kampf statt, sondern auch die vom ZDF übertragene “Bild”-Spendengala “Ein Herz für Kinder”. “Bild” soll es den Klitschkos übel genommen haben, den Kampf auf denselben Tag gelegt zu haben, heißt es. Deshalb soll es eine “Bild”-interne Anordnung an die Sportredaktion gegeben haben, den Boxkampf, der als Konkurrenz zur eigenen Charity-Veranstaltung angesehen wurde, möglichst totzuschweigen.
Wir können nicht beweisen, dass das stimmt. Aber abgesehen von der merkwürdigen Funkstille vor dem Kampf spricht dafür auch, dass “Bild” nicht – wie sonst üblich – auf den Beginn der Sportübertragung bei RTL hinwies (in diesem Fall: 22.10 Uhr; die “Bild”-Gala im ZDF lief bis kurz nach 23 Uhr), sondern lediglich schrieb:
Kampfbeginn ca. 22.45 Uhr (RTL).
Seit Sonntag berichtet man in der “Bild”-Familie jetztwieder über die Klitschkos.
Die Quoten für den Boxkampf waren übrigens auch fast ohne Vorberichterstattung von “Bild” hervorragend.
Die Frage “Wie gaga ist das denn?” ist bei “Bild” üblicherweise der Berichterstattung über die singende Lady vorbehalten. Vor elf Tagen fragte so die Bremer Regionalausgabe — und das, obwohl es gar nicht um Musik ging. Die Tatsache, dass der Artikel inzwischen aus dem Onlinearchiv verschwunden ist, hat allerdings nichts mit Lady Gaga oder den internen Überschriften-Vorschriften von “Bild” zu tun, sondern mit Entscheidungen des Landgerichts Berlin.
Am 3. Dezember hatte “Bild” in Bremen riesengroß mit einer Behauptung aufgemacht, die sich bei näherer Betrachtung als gewagt herausstellen sollte:
“Bild” berichtete, Horst Frehe, der Sprecher für Rechtspolitik der Grünen in der Bremer Bürgerschaft, stelle “sehr skurrile Forderungen” bzw. “Forderungen, die das Prädikat gaga verdienen”. “Gaga” heißt für “Bild” beispielsweise:
Frehe will sicherstellen, dass Blinde und Gehörlose auch in Gebärdensprache über ihre Rechte und Pflichten informiert werden.
Nicht, dass Sie sich wundern: Natürlich sollen da keine Blinden in Gebärdensprache informiert werden. Frehe, der sich seit Jahren für die Rechte von Behinderten engagiert und selbst im Rollstuhl sitzt, fordert, dass die Belehrung über Rechte und Pflichten “ggf. in fremder Sprache, bei Gehörlosen in Gebärdensprache, Blinden in Braille oder auf Tonträger oder kognitiv Eingeschränkten in Leichter Sprache” erfolgen soll, wie es die Europäische Menschenrechtskonvention vorsieht und laut JVA-Leiterin auch Praxis wäre, wenn es Fälle gäbe.
Ebenfalls “gaga”:
Lebensmittel-Päckchen sollen nicht mehr von Wärtern durchsucht werden dürfen. So könnten Drogen, Waffen und Handys noch leichter in den Knast kommen.
Tja, das passiert, wenn man in einem “internen Schreiben an das Parlament, das BILD vorliegt” Formulierungen findet, die man nicht versteht, und dann einfach mal drauf los phantasiert, ohne den Verfasser des Schreibens zu fragen. Oder wenigstens jemanden, der sich mit dem Thema auskennt.
Geschrieben hatte Frehe in der vertraulichen E-Mail an Mitglieder des Rechtsausschuss, die BILDblog ebenfalls vorliegt:
3. Kontrolle von Paketen: hier Auscchluss von Nahrungs- + Genussmitteln, Alternative UHVzG Brandenburg §41
Das liest sich zunächst verwirrend. Es hätte also geholfen, wenn “Bild”-Autor René Möller mal bei dem Politiker nachgefragt hätte. Das hat er laut Frehe aber nicht getan.
Dabei hätte Frehe vermutlich das geantwortet, was er auch uns auf Nachfrage schreibt:
Ich habe nie gefordert, dass Nahrungsmittelpäckchen nicht kontrolliert werden sollen. Im Bremer Gesetz ist wegen der Kontrollprobleme jeglicher Empfang von Nahrungsmittelpäckchen ohne Einschränkung ausgeschlossen. Brandenburg differenziert dort. Die Frage war, ob eine effektive Kontrolle so viel Mehraufwand verursacht, dass man den Erhalt generell und ohne Ausnahme verbieten muss.
Aber eine “Gaga”-Forderung hat Frehe bzw. “Bild” ja noch in petto. Die aus der Überschrift:
Ein Gutachter, der sich mehrmals für die Abschaffung der Gefängnisse ausgesprochen hat, soll an dem Gesetzentwurf mitwirken. Frehe fordert, den pensionierten Rechtswissenschaftler Johannes Feest (70) daran zu beteiligen. Der Wissenschaftler in einem Vortrag: “(…) dass das Gefängnis selbst jedem Humanisten ein Gräuel sein muss und dass seine letztliche Abschaffung ein Schritt zur Humanisierung (…) unserer Gesellschaft wäre.”
Der emeritierte Bremer Professor Johannes Feest ist Herausgeber eines renommierten Kommentars zum Strafvollzugsgesetz und Betreiber des Strafvollzugsarchivs. Er ist in mehreren Bundesländern als Experte zum gleichen Thema gehört worden und es wäre laut Frehe seltsam gewesen, “ihn in seiner Heimatstadt nicht einzuladen.”
Dass “Bild” in einem Vortrag von Feest aus den 1990er Jahren einen Satz gefunden hat, der die “letztliche Abschaffung” von Gefängnissen als fernes Idealziel formuliert, zeugt zwar von (für “Bild” sonst eher ungewöhnlichem) Recherchewillen, taugt aber nur bedingt zur Diskreditierung von Feest. Oder gar der von Frehe, der ihn als Experten vorladen wollte.
Um den Artikel rund zu kriegen, brachte “Bild”-Autor René Möller schließlich noch “Knast-Chefin” Silke Hoppe in Position:
Zu den Forderungen der Abschaffung eines Gefängnisses schüttelt die Anstaltsleiterin nur den Kopf. Hoppe: “Den Strafvollzug abschaffen zu wollen, ist lebensfremd und wird auch keine Mehrheit finden.”
Die Leiterin der JVA wusste nach eigenen Angaben gar nicht, in welchem Zusammenhang sie von “Bild” zitiert werden würde.
Wie gesagt: Die “Forderungen der Abschaffung eines Gefängnisses” hat “Bild” sich in mühevoller Arbeit selbst gedrechselt, weswegen das Adjektiv “lebensfremd” gar nicht mal so unpassend erscheint.
Das Berliner Landgericht hat am 8. Dezember zwei einstweilige Verfügungen erlassen: “Bild” muss die Behauptungen unterlassen und eine Gegendarstellung abdrucken. Letztere muss sich in Größe und Aufmachung an dem beanstandeten Ursprungsartikel orientieren, was bedeutet, dass “Bild” fast eine halbe Seite mit der Gegendarstellung füllen müsste. Die Überschrift sollte in 100-Punkt-Schrift gesetzt sein.
Innerhalb des gerichtlich angeordneten Zeitrahmens hat “Bild” die Gegendarstellung nicht veröffentlicht.
Nachtrag, 18. Dezember: Am Mittwoch, dem 16. Dezember veröffentlichte “Bild” in Bremen unter der Überschrift “Grüne fordern humane U-Haft” einen Artikel, der in Größe und Aufmachung an den “Gaga”-Artikel vom 3. Dezember erinnerte.
Zwar fehlt das Wort “Gegendarstellung”, aber der Text endet ungewohnt deutlich:
In BILD vom 3. Dezember 2009 stand irrtümlich, “Grüner will Bremer Knast abschaffen”. Horst Frehe dazu: “Das ist völliger Quatsch! Natürlich wollen weder die Grünen noch ich den Strafvollzug in Frage stellen. Wir möchten bei der Entstehung des Gesetzes nur unbedingt auf humane Regelungen achten. Denn in der U-Haft gilt die Unschuldsvermutung.”
BILD möchte sich in aller Form für die falsche Berichterstattung bei Horst Frehe entschuldigen. Frehe dazu: “Ich nehme die Entschuldigung an.”
Wie die “taz Bremen” heute weiter berichtet, zahlt “Bild” im Rahmen eines Vergleichs 5.000 Euro Schmerzensgeld an Horst Frehe. Dieser will das Geld heute an verschiedene wohltätige Organisationen spenden.
Ab dem 1. November 2010 gibt es einen neuen elektronischen Personalausweis, der einen elektronischen Chip enthält, auf dem die Daten des Besitzers sowie optional sein Fingerabdruck und eine sichere Kennung für den Internetgebrauch gespeichert werden.
“Bild” “erklärt” heute den neuen Ausweis und zeigt, wie er aussehen wird — natürlich “BILD-Exklusiv”:
Aufmerksame BILDblog-Leser ahnen natürlich längst: Den Ausweis gab es schon lange vorher zu sehen.
Aber selbst, wenn “BILD-exklusiv” im Sinne von “erstmalig in ‘Bild'” gemeint gewesen sein sollte, befindet sich die Zeitung mit der Behauptung auf dünnem Eis: Vor mehr als fünf Monaten hat sie ihn bereits in ihrem Online-Auftritt präsentiert.
Immerhin: “Bild” scheint das erste Foto vom neuen Ausweis zu haben, auf dem nicht “Test” steht.
Vergangene Woche ist in Brandenburg der 14-jährige Gymnasiast Jacob K. ums Leben gekommen, als er sich versehentlich mit einem Strick strangulierte. Weil der Junge einer Internet-Anleitung zu einem sogenannten “Würgespiel” gefolgt war, bei dem es darum geht, durch Reduktion der Luftzufuhr in einen Rauschzustand zu kommen, hat sich seine Familie entschlossen, mit den Hintergründen des Unglücksfalls an die Öffentlichkeit zu gehen. Sie will damit auf die Gefahren dieses vermeintlichen Spiels aufmerksam machen, dem in Frankreich allein in diesem Jahr 13 Schüler zum Opfer gefallen sein sollen.
Unter dem Artikel, den der Berliner “Tagesspiegel” dem Thema gewidmet hat, hat am Donnerstag jemand kommentiert, bei dem es sich offenbar um die Mutter des Verstorbenen handelt. Sie dankt für das Mitgefühl, aber ihr liegt noch etwas anderes am Herzen:
Und ich möchte diese Stelle auch nutzen, um über das widerliche Verhalten eines Bildreporters zu berichten: Er betrat unser Grundstück, klingelte an der Tür und fragte frech nach einem Foto von Jacob, wie denn mein Vorname sei und wo ich arbeite – ich bat ihn um Respekt, habe ihm erklärt, dass Jacob das nicht wolle – im Nachhinhein erfuhr ich, dass er wohl auch bei den Nachbarn geklingelt hatte. Er ging mit den Worten: er ist vielleicht der Erste aber garantiert nicht der Letzte!
1 Stunde später standen 2 Männer vom ZDF vorm Grundstück, auch hier baten wir höflich, uns nicht zu filmen, haben ihnen das erklärt, auch hier um Respekt gebeten, auch zum Schutz für Jacobs kleine Schwester – sie haben sich hingestellt und uns trotzdem gefilmt.
Wir mussten also einen Rechtsanwalt einschalten, diese Bildveröffentlichungen zu verhindern.
Nun weiß man weder mit letzter Sicherheit, ob der Kommentar tatsächlich von Jacobs Mutter stammt, noch, ob die Schilderungen über den “Bild”-ReporterMann, der sich als “Bild”-Reporter ausgegeben hat, zutreffend sind.
Andererseits wären wir, nach allem, was wir überdieRecherchemethodenvon“Bild” wissen, auch nicht sonderlich überrascht, wenn sich das Geschilderte genau so zugetragen haben sollte.
Der “Bild”-Artikel über die Trauerfeier kommt dann interessanterweise ganz ohne Fotos des Verstorbenen aus. Dafür offenbart sich die ganze Merkwürdigkeit von “Bild” darin, dass die sonst so Anonymisierungs-scheue Zeitung den Vornamen des Jungen geändert hat — also den Namen nicht nennt, den die Familie selbst an die Öffentlichkeit gegeben hatte.
Wir haben das ZDF, bei dem wir auch nur mäßig überrascht wären, wenn sich die Vorwürfe als zutreffend erweisen sollten, um eine Stellungnahme gebeten.
Die Pressestelle des Senders erklärt, dass “ein erhebliches öffentliches Interesse an dem Fall” bestanden habe und neben dem Team der vom ZDF beauftragten Firma “Reportnet24” auch noch “zahlreiche andere Journalisten zugegen” gewesen seien. Das Kamerateam habe aber “ausschließlich auf der öffentlich zugänglichen Straße” gefilmt und dabei “Aufnahmen von den Blumen und Kerzen vor dem Haus sowie einige Einstellungen der Straße” angefertigt.
Eine Interviewanfrage lehnten die Eltern ab. Diese Ablehnung hat das Filmteam selbstverständlich berücksichtigt.
Indirekt bestätigt das Zweite Deutsche Fernsehen allerdings, dass die Eltern ihre Anwälte eingeschaltet haben:
Zu keinem Zeitpunkt waren identifizierende Filmaufnahmen der Eltern oder des Wohnhauses zur Ausstrahlung vorgesehen. Das hat das ZDF dem Anwalt der Eltern von Jacob K. daher auch am Mittwoch in vollem Umfang zugesichert.
Gestern berichtete die “Bild” über zwei Berliner Jugendliche, die seit sieben Monaten in U-Haft sitzen, weil sie eine Brandflasche gegen Polizisten geschleudert haben sollen. Der Prozess gegen die beiden Schüler ist umstritten; sogar “Bild” fragte Anfang September:
Doch stehen die Falschen als Mai-Randalierer vor Gericht?
Gestern zeigte die “Bild” wieder ungewohnte Zweifel an der Schuld der Angeklagten:
Die Indizien sind dünn, die Verteidigung sicher: Es liegt eine Verwechslung vor.
Um aber keine Zweifel an der poltiischen Positionierung der Zeitung aufkommen zu lassen, erhielt der Artikel sicherheitshalber folgende Überschrift:
Was immerhin eine gewisse Konsequenz hat, denn auch vor drei Wochen hatte “Bild” die Schuld der Täter in der Schlagzeile schon festgestellt:
Die Beziehung zwischen Karl-Heinz Rummenigge und “Bild” war auch schon mal besser. Vielleicht liegt es daran, dass die Zeitung dem Vorstandsvorsitzenden von Bayern München vorgeworfen hat, sich zu irren. Vielleicht aber auch bloß daran, dass sie sich geirrt hat.
Am 9. November berichtete “Bild” in großer Aufmachung über einen “Aufstand bei Bayern”. Rummenigge hatte angekündigt, Philipp Lahm wegen eines kritischen Interviews zu einer Geldstrafe zu verurteilen, “wie es sie in dieser Höhe beim FC Bayern München noch nie gegeben hat”.
“Bild” verwies auf selbst erfundene recherchierte Zahlen, wonach Lahm “maximal 25.000 Euro” und Luca Toni 15.000 Euro zahlen müssen, “Bild” schlaumeierte, dass Oliver Kahn ebenfalls schon mit einer Geldstrafe in Höhe von 25.000 Euro belegt worden sei, und folgerte:
Rummenigge irrt bei der Höhe der Strafe.*
Rummenigge aber widersprach den “BILD-Informationen” über Lahm und Toni und setzte eine Gegendarstellung durch, die gestern in “Bild” erschien:
Richtig ist, dass beide Spieler wesentlich höhere Geldstrafen zahlen müssen.
Der “Bild”-Bericht zum angeblichen “Aufstand bei Bayern” resultierte aber noch in einer weiteren Gegendarstellung von Karl-Heinz-Rummenigge. Zu einem angeblichen Gespräch des Bayern-Trainers mit dem Stürmer Luca Toni stellte er fest:
Der mich betreffende Teil dieser Behauptung ist unwahr. Ich war bei diesem Gespräch nicht dabei, weder als Vermittler noch als Dolmetscher.
Die “Bild”-Redaktion war offensichtlich auch nicht dabei und fügte in dieser Gegendarstellung, die bereits am 16. November erschien, hinzu:
Karl-Heinz Rummenigge hat recht.
*) aus unbekannten Gründen steht dieser Satz nur in der Online-Version des Artikels.
Wenn es im “Bild”-Universum heißt, dass etwas zum 1. Mal oder “erstmals” passiert, dann handelt der dazugehörige Artikel in der Regel von irgendetwas, das zum zweiten bis sechsmilliardensten Mal stattfindet.
Wenn “Bild” also heute über Comeback-Gerüchte von Michael Schumacher fragt:
Dann lautet die Antwort natürlich: “Nein!”, egal ob Schumacher nochmal antritt oder nicht.
Giuseppe Farina, der erste Formel-1-Weltmeister überhaupt, gewann seinen Titel knapp zwei Monate vor seinem 44. Geburtstag im Herbst 1950, Jack Brabham gewann seinen dritten WM-Titel im Alter von 40 Jahren und Juan Manuel Fangio, bis zu Schumachers fünftem Titel Rekord-Weltmeister in der Formel 1, holte seinen ersten WM-Titel 1951 im Alter von 40 Jahren und 4 Monaten.
Aber gut, da haben die “Bild”-Leute nur drei Personen übersehen — deutlich weniger als im Artikel über die Verleihung des Literatur-Nobelpreises an Herta Müller:
Nach Günter Grass 1999 und der Österreicherin Elfriede Jelinek 2004 wurde damit der bedeutendste Literaturpreis der Welt zum dritten Mal an einen Autor aus dem deutschsprachigen Raum vergeben.
Dass “Bild” den letzten deutschsprachigen Preisträger vor Grass unter den Teppich kehren will, ist verständlich: Hatte Heinrich Böll doch in seinem Roman “Die verlorene Ehre der Katharina Blum” einigermaßen unverhohlen mit den Methoden der Zeitung abgerechnet und in seinen Vorbemerkungen geschrieben:
Personen und Handlung dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der Bild-Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.
Aber selbst wenn man Böll wegließe, blieben noch semi-prominente Preisträger übrig wie Hermann Hesse, Thomas Mann, Gerhart Hauptmann oder Theodor Mommsen, der 1902 mit dem zweiten Nobelpreis für Literatur überhaupt ausgezeichnet wurde. Beim Zusammenzählen kommt man leicht auf mehr als zehn deutschsprachige Preisträger.
Mit Dank an Matthias H. und und Ellen L.
Nachtrag, 15.20 Uhr:Bild.de hat sich bei den Nobelpreisträgern “korrigiert”:
Herta Müller ist Deutschlands 10. Literatur-Nobelpreisträger(in).
Ihre Vorgänger waren: Theodor Mommsen (1902), Rudolf Eucken (1908), Paul Heyse (1910), Gerhart Hauptmann (1912), Thomas Mann (1929), Hermann Hesse (1946), Nelly Sachs (1966), Heinrich Böll (1972) und Günter Grass (1999).
Bei Hermann Hesse hat Bild.de uns möglicherweise falsch verstanden: Der war zwar deutschsprachig und wurde auch in Deutschland geboren, gilt dem Nobel-Komitee aber als Schweizer. Auch Nelly Sachs wurde in Deutschland geboren, wird aber im offiziellen Preisträger-Archiv als Schwedin geführt.
Der Schumacher-Text ist noch unverändert.
2. Nachtrag, 16.20 Uhr: Puh, es waren gar nicht wir, die Bild.de verwirrt haben! Die Korrektur ist einfach eine Liste der deutschen Preisträger, die aus der Printausgabe übernommen wurde:
Mathias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG, hat vor einigen Monaten angekündigt, mit kostenpflichtigen Anwendungen für das iPhone neue Einnahmen zu generieren. In der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” sprach er von einer geradezu “heiligen Verantwortung”, die die Verleger hätten, “alles zu versuchen, um eine Wirtschaftsgrundlage für die digitale Welt zu schaffen”. Entscheidend sei bei den Bezahlmodellen, die Frage zu beantworten, “warum der angebotene Journalismus attraktiv, unverwechselbar und unverzichtbar ist”.
Was es kostet
“Wenn man jeden Tag 60 Cent sparen kann, tun die einmaligen 79 nicht weh”, freut sich ein Nutzer in den Kommentaren in Apples “App Store”. Nicht ganz: Für die 79 Cent gibt es nur 30 Tage lang Zugang zu den Inhalten und einer tagesaktuellen “Bild” im PDF-Format. Danach muss man monatlich seinen Account verlängern — für 1,59 Euro ohne bzw. 3,99 Euro mit PDF. In seiner großen Eigen-Werbung weist “Bild” auch auf die möglichen Folgekosten hin, im “App Store” fehlt ein Hinweis darauf.
Als Teil dieser Strategie, zu der auch die Forderung gehört, sogenanntes “geistiges Eigentum” gesetzlich stärker zu schützen, hat die “Bild”-Zeitung heute eine neue iPhone-Anwendung (“App”) veröffentlicht. Zu dem kostenpflichtigen Angebot gehört neben allem möglichen ein Spiel, mit dem man typische “Bild”-Schlagzeilen automatisch generieren kann. Damit bekommen iPhone-Besitzer erstmals die Möglichkeit, für einen solchen Gimmick Geld zu zahlen.
Bislang war das nur kostenlos möglich: Das “Bild”-kritische Weblog “BILDblog.de” hatte im Juni 2006 eine virtuelle Maschine veröffentlicht, die aus vier zufällig kombinierten Wörtern lebensechte “Bild”-Schlagzeilen produziert wie: “Porno-Hund frisst Nazi”, “Hitler-Penis köpft Busen”, “Ohr-ab-Mullah verklagt Rentner” und “Grinse-Äquator belügt Erde”. Erklärt wurde das Konzept u.a. mit dem Satz:
Jetzt bist Du an der Reihe, der größten Zeitung Deutschlands die größten Schlagzeilen Deutschlands zu liefern!
Das kostenlose Angebot, das sich auch heute, dreieinhalb Jahre später, gewisser Beliebtheit erfreut, heißt “Schlagzeil-o-mat”.
Die neue kostenpflichtige “Bild”-Applikation hingegen, die vier Wörter zufällig zu Schlagzeilen wie “Luxus-Koch streichelt Marsmensch”, “Drama-Star entschuldigt Einbrecher” und “Kunst-Koch jagt Mond” kombiniert, heißt “SchLACHzeil-O-Mat”. Die Zeitung bewirbt sie mit den Sätzen:
Sie wollten schon immer mal Chefredakteur der BILD sein und die Schlagzeilen machen über die Deutschland spricht? Dann haben Sie jetzt die Chance dazu.
Übrigens, der echte Überschriftengenerator von “Bild” hat gestern zu einem vier Jahre alten Foto eines verletzten Polizisten folgende erwartungsfroh klingende Schlagzeile produziert:
Dass das “Herz für Kinder”, mit dem “Bild” sich schmückt, oft nur eine Behauptung ist, haben wir erst kürzlich aufgeschrieben.
Schon ein paar Wochen länger zurück liegt ein Artikel, der beim Informationsportal CharityWatch.de erschienen ist. Seiner Aktualität dürfte das allerdings keinen Abbruch tun, denn es ist unwahrscheinlich, dass der Verein “Bild hilft” seine Informationspolitik seit Ende Oktober geändert hat:
Die Übermittlung von aussagekräftigen Finanzzahlen wurde verweigert. Fragen zur Mittelverwendung blieben mit unglaubwürdigen Begründungen unbeantwortet. So meinte Tobias Fröhlich, Kommunikationschef der Bild-Gruppe: “Für uns sind das Menschen und Schicksale, deren Intimsphäre wir schützen.” Eigenartig, berichtet die Bild doch oft mit Foto und Namensnennung über Betroffene, denen geholfen werden soll oder geholfen wurde.
Es gibt so ein paar Begriffe, da gehen bei Journalisten sofort alle Warnlämpchen an. “Erstmals” beispielsweise, das ist so ein Signalwort. Was dann eigentlich passiert, ist gar nicht so wichtig. Hauptsache, man kann das Attribut “erstmals” draufpacken. Bei “Bild” hat der Reflex auch bei dieser Geschichte gegriffen, die sie am Samstag auf Seite 1 (!) präsentierte:
Man brauche jetzt bei Rewe in Hürth weder Kredit- noch EC-Karte und auch kein Bargeld bei sich haben, freut sich “Bild” — solange man einen Finger hat, mit dem man einen Fingerabdruck hinterlassen kann, ist das bargeldlose Bezahlen gesichert. Was bis dahin auch gar nicht verkehrt ist, nur — das mit dem “erstmals” und dem “neu”, das ist so eine Sache. Beispielsweise berichtete der “Tagesspiegel” schon im August 2007 über dieses Thema und schrieb halbwegs lakonisch, dass das Bezahlen mit Fingerabdruck schon “längst Realität” sei (Basis des Texts war übrigens eine Agenturmeldung von AFP). Die ARD hingegen monierte (ebenfalls bereits 2007), dass das Bezahlen mit dem Finger noch einige Sicherheitsmängel habe.
Ach ja, und schließlich gab es da noch ein anderes Medium, das im August 2007 über die neuen Zahlungsmethoden berichtete. Die “Bild”-Zeitung meldete unter der fast wörtlich gleichen Überschrift damals:
Richtig: Das Bezahlen mit Fingerabdruck war auch damals keine Neuigkeit, und sogar “Bild” hatte wiederum zwei Jahre zuvor, also 2005, von einem anderen Supermarkt berichtet, der dasselbe anbot.
Mit Dank an Thomas O., Max O., Holger M. und Martin B. !