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Draufhauen und Zähneklappern

Seit gestern erscheint in “Bild” der Vorabdruck eines Buchs über den Fußballer Robert Enke, der unter Depressionen litt und sich im vergangenen November das Leben genommen hat. Anlass genug für Franz Josef Wagner, Enkes Witwe Teresa am Montag mit einem Brief zu behelligen:

Liebe Teresa Enke, es ist erst ein Jahr her – und ich erinnere mich, dass wir uns alle gelobten, offener mit unseren Versagungsängsten umzugehen. (...) Es ist ein Jahr her. Was ist geschehen seitdem? Nichts ist geschehen. Die Bundesliga tobt. Es hat sich auch in unserer Gesellschaft nichts geändert.

Wagner schließt mit einer Feststellung, von der man nicht ganz genau weiß, ob sie resigniert oder vorwurfsvoll sein soll:

Klose schießt kein Tor, Gomez auf der Ersatzbank. Wir hauen auf sie drauf und bejubeln sie.

Dieses “wir”, das Wagner da verwendet, ist diesmal keine seiner üblichen Anmaßungen im Sinne von “alle, die meiner Meinung sind”, “wir Deutschen” oder “wir Menschen” — Wagner spricht von der Zeitung, für die er arbeitet.

Denn 16 Seiten hinter seinem Brief wurde auch gestern ordentlich draufgehauen:

BILD gibt

Allerdings war “Bild” sowieso schon im Januar wieder zu alter Form aufgelaufen.

Die Ironie hielt sich für Leser der Printausgabe allerdings in Grenzen: Wagners Schlusssatz mit dem “wir” fehlt in der gedruckten “Bild”.

Mit Dank an Benjamin K.

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Rekordpferdächtig

Es gibt ja die verrücktesten Wettläufe: Zwischen Hase und Igel, zum Südpol, ins All.

Gestern kam es in Leipzig zu einem Rennen zwischen einem Pferd und einem Porsche, die bei einer Aktion der MDR-Jugendwelle Jump gegeneinander (im Sinne von “nacheinander”) antraten. Der Sportwagen war ein bisschen schneller, aber auch das Pferd erreichte noch eine erstaunliche Geschwindigkeit.

So berichtet es zumindest “Bild” heute:

Aus Sicherheitsgründen absolvierten Pferd und Porsche nacheinander den 6,1-Kilometer-Parcours. Miriam, die als Erste ran durfte, nach dem Rennen: “Bis auf die Kurve, die wir nicht ganz hingekriegt haben, war das eine super Leistung!”

Mit einer Zeit von 36,88 Sekunden war sie dennoch nicht schnell genug, um “Porsche-Rocky” zu schlagen: Kollege Bleifuß raste nach 35,48 Sekunden über die Ziellinie. “Dabei hab’ ich einige Fehler gemacht. Ich hätte noch schneller sein können…”

36,88 Sekunden auf 6,1 Kilometern sind rund 595 km/h. Der Porsche erreichte gar einen Durchschnittswert von 619 km/h, was bedeutend schneller ist als ein Düsenjäger beim Start und etwa halber Schallgeschwindigkeit entspricht. Und das auf unebenem Gelände!

Und diese Sensationsmeldung steht nur klein in der Leipziger Regionalausgabe von “Bild”?! Ja.

Die Zeiten stimmen zwar, aber die Wegstrecke, die “Chici Mici” und Porsche Cayenne in der Zeit zurückgelegt haben, ist etwas kürzer: Von der 6,1 km langen Offroad-Strecke habe man “nur rund 500 m” genutzt, teilte uns der MDR auf Anfrage mit. Die Durchschnittswerte liegen damit bei rund 50 km/h.

Mit Dank an René, Andreas Sch., kmr, André B. und Ronny K.

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Wenigstens im Wein liegt Wahrheit

Wein und Journalismus eint, dass es sie in unterschiedlichen Qualitätsstufen gibt und man von schlechtem bisweilen Kopfschmerzen bekommt. Im Unterschied zum Journalismus ist die Qualität von Weinen allerdings gesetzlich geregelt.

Und damit zu “Bild”: Am Dienstag ließ Jürgen Helfricht (Experte für Sandmännchen, Wölfe und Katzenbenzin) in der Dresdner Regionalausgabe einen “mutigen Elbtal-Winzer” “enthüllen”:

Mutiger Elbtal-Winzer enthüllt: Beim teuren Sachsen-Wein wird gepanscht

Nun schmälert den Mut des Elbtal-Winzers vielleicht ein wenig, dass er das nicht über den eigenen Wein enthüllt, sondern über die Produkte eines Konkurrenten. Und die Enthüllung ist auch nicht mehr ganz so spektakulär, wenn man weiß, dass auch dieser Konkurrent gar nicht gepanscht haben soll: Der sächsische Winzer hatte nämlich nicht etwa Zusatzstoffe wie Glykol in seinen Wein gemischt, sondern schlicht “Wein aus der Pfalz geholt” und in Flaschen gefüllt, auf deren Etikett groß “Pfalz” steht. Eine Praxis, die “Bild” selbst als “legal, aber jetzt in der Kritik” beschreibt.

Auch die Winzergenossenschaft Meißen wird angegriffen:

Die Winzergenossenschaft Meißen, die mit dem “ehrlichen Genuss” sächsischer Weine wirbt, versteckt die Herkunft ihres “Hausweines” namens “Winzerschoppen” (Flasche 7,55 Euro) neuerdings schamhaft auf der Rückseite: “20 Jahre nach der Wiedervereinigung machen wir möglich, was vorher nicht ging: Die Vermählung von Weinen aus Ost und West.” Im Klartext: Hier kauft man einen Mix, von dem man nicht weiß, wie viel Sachsen drin steckt!

Damit hat sie es sogar zum “Verlierer” auf Seite 1 der Bundesausgabe geschafft:

Verlierer: Der Sächsische Wein hat seine Reinheit verloren. Statt des edlen und teuren sächsischen Tropfens wird immer häufiger auch Wein aus der Pfalz, Baden und Mosel mitabgefüllt. Selbst die Winzergenossenschaft Meißen, die mit dem "ehrlichen Genuss" wirbt, verkauft als "Hauswein" einen Ost-West-Mischmasch. BILD meint: Wohl zu tief ins Glas geschaut?

Doch die Reinheit des Sächsischen Weins ist nicht in Gefahr, der Skandal, den “Bild” daraus zu konstruieren versucht, ist keiner: Die Winzergenossenschaft Meißen nennt den “Ost-West-Mischmasch” auf ihren Etiketten nicht etwa “Sächsischen Wein”, sondern bezeichnet ihn als “Deutschen Wein”. Diese Bezeichnung sieht das deutsche Weinrecht vor für einen Verschnitt aus Trauben, die in Deutschland angebaut wurden. So erklärt es der Deutsche Raiffeisenverband in einer Pressemitteilung.

Ein “Qualitätswein aus Sachsen” enthalte auch weiterhin “zu 100 Prozent Trauben aus dem geografisch streng abgegrenzten Gebiet Sachsen”. Aber wo wäre da die Geschichte?

Aus trüben Quellen fischen verboten

Das Landgericht [Berlin] untersagte der Printausgabe von BILD mit Hinweis auf die Privatsphäre des Ministers, über den Fall zu berichten.

So steht es – surprise, surprise! – auf Bild.de und das ist natürlich ganz praktisch für so einen Verlag: Wenn der Printausgabe verboten wird, über das Privatleben eines Politikers zu berichten, kann die Onlineausgabe einfach weitermachen.

Allerdings hatte Bild.de bei der angeblichen Enthüllung am Montag noch von “Dokumenten, die BILD.de vorliegen” gesprochen und so ist es kein Wunder, dass der Ursprungsartikel nach einer weiteren Einstweiligen Verfügung auch aus dem Online-Auftritt verschwunden ist. Ein neuerer Artikel ist aber noch online.

Doch worum ging es eigentlich? Am Montag berichteten “Bild” und Bild.de von Vorwürfen gegen den Brandenburgischen Innenminister Rainer Speer, der in den 1990er Jahren an einem Sozialbetrug beteiligt gewesen sein soll. Die beiden Medien brachten dazu einige angebliche Details aus dem angeblichen Privatleben des Politikers und beriefen sich dabei auf angebliche E-Mails, die ihnen “vorliegen”. “Bild” verstieß damit gegen eine Einstweilige Verfügung, die Speers Anwalt Johnny Eisenberg nach eigenen Angaben vorsorglich erwirkt hatte, und die der Axel Springer AG untersagte, die Geschichte zu verbreiten. Da die BILD digital GmbH & CO. KG als Herausgeberin von Bild.de von dieser ersten Verfügung nicht betroffen war, erwirkte Eisenberg gestern eine weitere, so dass auch Bild.de jetzt nicht mehr über den Fall berichten darf.

Ob diese E-Mails überhaupt echt sind, ist nicht ganz klar, aber auch zur Herkunft konnte der Anwalt der Axel Springer AG bei der gestrigen Verhandlung vor dem Berliner Landgericht nichts sagen — er selbst bezeichnete die Quellen als “trübe”. Andererseits war Rainer Speers Laptop vor rund einem Jahr gestohlen worden, wie die “Märkische Allgemeine” berichtet:

Ermittlungen der Polizei, die den Laptop sogar orten wollten, führten ins Leere. Zuletzt soll das Gerät bei Motorradrockern gelandet sein, als für das Datenmaterial nach Abnehmern bei der Presse gesucht wurde.

Offenbar wurde man bei der Bild-Zeitung fündig, weshalb es gestern vor der Pressekammer des Landgerichts Berlin zu einer Verhandlung kam.

Mit Dank auch an ms.

BKA? Da könnte ja jeder bitten! (3)

Geschichte wiederholt sich bekanntlich nicht — es sei denn als Farce. Wie die nächste Wiederholungsstufe heißt, ist bisher noch nicht überliefert, aber mit der Bezeichnung “Bild” läge man vermutlich nicht allzu falsch.

Im August 2009 fahndete das Bundeskriminalamt mit Bildern nach einem Mann, dem mehrfacher schwerer sexueller Missbrauch von Kindern vorgeworfen wurde und der sich bei seinen Taten selbst gefilmt hatte. Nachdem der Mann sich selbst gestellt hatte, bat das BKA die deutschen Medien, die Fahndungsfotos nicht weiter zu verwenden. Die Medien kamen dieser Bitte mit unterschiedlichem Eifer nach (BILDblog berichtete), “Bild” und Bild.de erhielten für den wiederholten Abdruck der Bilder in Tateinheit mit der Bezeichnung des mutmaßlichen Täters als “Dreckschwein” gar eine “Missbilligung” vom Deutschen Presserat (BILDblog berichtete ebenfalls).

Knapp einen Monat später fahndete das BKA erneut über die Medien nach einem Mann, dem schwerer sexueller Missbrauch von Kindern sowie die Herstellung und Verbreitung von Kinderpornographie zur Last gelegt wurde. Hier kam es zur erwarteten Farce, denn wie sich kurz nach der Verhaftung des Mannes herausstellte, war der Mann für seine Taten bereits 15 Jahre zuvor verurteilt worden und hatte seine Strafe abgesessen — was die Medien freilich nicht davon abhielt, die Fahndungsfotos, deren weitere Verwendung sich das BKA verbeten hatte, weiter zu verwenden (BILDblog berichtete auch hier).

Letzte Woche nun fahndete das BKA über die Fernsehsendung “Aktenzeichen XY … ungelöst” mal wieder nach einem Mann, der des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie der Verbreitung kinderpornografischer Schriften “dringend verdächtig” war. Zwei Tage nach der Ausstrahlung der Sendung wurde der Mann aus Bad Oeynhausen am Freitag festgenommen und das BKA schrieb in seine Pressemitteilung die inzwischen traditionelle Bitte:

Wichtig:
Da mit der Identifizierung der Grund für die Öffentlichkeitsfahndung entfällt, werden die Medien gebeten, die veröffentlichten Fotoaufnahmen nicht weiter zu verwenden und aus den Internetportalen zu entfernen.

Was jetzt passierte, ist vielleicht am Besten mit dem Begriff “Irrsinn” zu beschreiben, denn Bild.de kam der Bitte des BKA zunächst tatsächlich nach: Der ursprüngliche Fahndungsaufruf wurde durch einen Artikel über die Festnahme des Tatverdächtigen ersetzt, in dem kein einziges Foto zu sehen war. Dann muss jemandem bei Bild.de aufgefallen sein, dass man ja Bild.de ist.

Also erschien am Samstag ein neuer Artikel, in den die zehnteilige Bildergalerie mit den Fahndungsfotos eingebunden ist, deren weitere Veröffentlichung das BKA unterbinden wollte:

Geschnappt! Der dicke Kinderschänder, der zwei Mädchen missbrauchte.

“Bild am Sonntag” wiederum verzichtete auf einen Abdruck der Fahndungsfotos — und veröffentlichte stattdessen ein anderes, besser identifizierbares Foto des Verhafteten:

Nach XY-Sendung: Kinderschänder festgenommen

Ganz andere Bilder brachte “Bild” am Montag in ihrer Regionalausgabe:

Mieser Kinderschänder aus NRW! Verhaftung nach Aktenzeichen XY

Mit Dank an Lukas S., Sven S., Kaweh und AJ.

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Die Rücksicht anderer Leute

Am Sonntagabend wurde in Bergkamen im Kreis Unna ein siebenjähriger Junge tot aufgefunden.

Irgendwie Weil die Familie des Jungen am Sonntag zunächst mit Flugblättern und im Internet nach ihm gesucht hatte, hatte es Bild.de mal wieder geschafft, an ein Foto des Jungen zu kommen, verzichtete aber gestern noch auf eine Nennung seines Namens und berichtete:

Eine Obduktion ergab jetzt, dass der Kleine eines natürlichen Todes gestorben ist. Offenbar hatte der Junge eine Vorerkrankung. Aus Rücksicht auf die Angehörigen gaben die Behörden keine weiteren Einzelheiten bekannt.

Wie “Bild” selbst Rücksicht auf die Angehörigen nimmt, macht die Zeitung heute in ihrer Ruhrgebietsausgabe deutlich, wo sie dem Tod des Jungen mehr als eine Viertelseite einräumt: “Bild” zeigt erneut sein Foto, nennt seinen Vornamen und spekuliert munter über die mögliche Todesursache (“War ein Kaugummi schuld, der in seinem Hals steckte?”).

Meinungsmache mit der Meinungsfreiheit

In der Debatte um Thilo Sarrazin und seine “unbequemen Wahrheiten” haben sich “Bild” und Bild.de zu den größten Verteidigern des SPD-Mitglieds aufgeschwungen. Immer wieder werden dabei auch die Begriffe “Meinungsfreiheit” und “Sprechverbot” strapaziert — als wäre Sarrazins Meinung irgendwo unterdrückt worden und nicht etwa in einer konzertierten Medienkampagne der beiden deutschen Leitmedien “Bild” und “Spiegel” sowie durch anschließende Talkshow-Teilnahmen im Tagestakt auch noch ins letzte Kämmerlein getragen worden.

Einen vorläufigen Höhepunkt hatte der Kampf für Meinungsfreiheit und gegen Sprechverbote vor gut einer Woche:

BILD kämpft für Meinungsfreiheit — Wir wollen keine Sprechverbote!

Doch wie halten es “Bild” und Bild.de selbst mit Meinungsfreiheit und Sprechverboten? Ein näherer Blick lohnt sich.

Nachdem in der SPD-Zentrale 2.000 E-Mails eingegangen waren, in denen zu 90 Prozent der drohende Parteiausschluss von Sarrazin kritisiert wurde, sprach Bild.de von einer “Online-Revolte” und führte auch gleich ein prominentes Mitglied als Sarrazin-Verteidiger an:

Der SPD-Bundestagsabgeordnete und Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, wandte sich gegen einen Parteiausschluss von Sarrazin. “Man darf keinen Märtyrer aus Sarrazin machen”, warnte er im “Tagesspiegel”.

Für das, was Kahrs praktisch im gleichen Atemzug sagte, war offensichtlich kein Platz. Das vollständige Zitat lautet:

“Ich bin gegen ein solches Ausschlussverfahren, weil man keinen Märtyrer aus Sarrazin machen darf”, warnte Kahrs. “Das Buch disqualifiziert sich selbst.”

Als sich Verteidigungsminister Theodor zu Guttenberg zu Sarrazin äußerte, interpretierte Bild.de das als “Rückendeckung”:

Überraschende Rückendeckung bekam Sarrazin übrigens heute von einem Mitglied aus Merkels Kabinettsrunde. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CDU) [sic] sagte [bei] einem Volksfestauftritt in der Nähe von München, Sarrazin habe eine richtige Debatte angestoßen.

Von den weniger schmeichelhafte Dinge, die zu Guttenberg außerdem über Sarrazin gesagt hat, erfährt man nur in anderen Medien:

“Dass wir Missstände (bei der Integration) haben, ist unbestritten.”, so Guttenberg. Er machte aber zugleich klar, dass er die Schlussfolgerungen Sarrazins nicht teilt. Die Frage nach Versäumnissen bei der Integration betreffe Deutsche ebenso wie Migranten. Der CSU-Politiker warf die Frage auf, ob an Einwanderer nicht Forderungen gestellt würden, die die einheimische Bevölkerung selbst nicht erfülle. Dies gelte zum Beispiel für Leistungsbereitschaft und Familiensinn.

Der Trend zum Weglassen setzt sich fort. Auf Bild.de kann man lesen:

Unterdessen hat Innenminister Thomas de Maizière (CDU) ein neues, bundesweites Integrationsprogramm vorgestellt. U. a. geplant: mehr Lehrer mit Migrationshintergrund. De Maizière räumte Versäumnisse auf allen Ebenen ein: “Da ist im Grunde zwei Jahrzehnte nichts oder zu wenig gemacht worden.” Größte Herausforderung, so der Minister weiter, sei die Sprache: 1,1 Millionen Ausländer sprächen nicht ausreichend Deutsch, 10 – 15 Prozent seien nicht zur Integration bereit und hätten Probleme mit dem deutschen Alltag.

Zur ganzen Wahrheit gehört aber, dass de Maizière auch folgendes gesagt hat:

Er wolle bestehende Probleme nicht kleinreden, so de Maizière, diese Zahl sei im internationalen Vergleich aber durchaus “nicht so schlecht. Zum ganzen Bild gehören auch die anderen 90 Prozent.”

Und:

Das vorgelegte Programm bezeichnete de Maizière als “Beitrag zur Sachlichkeit” in der Integrationsdebatte. Mit Blick auf die muslimkritischen Thesen des Bundesbank-Vorstandsmitglieds Thilo Sarrazin mahnte er, das Thema Integration “sachlich, wahrhaftig und fair” zu diskutieren. Es sei nicht die Aufgabe politischer Führung, alarmistisch zu sein und Probleme verbal zu verschärfen. Es gehe darum, “Wunden zu heilen und nicht noch Eiter hineinzuträufeln”. Integrationsprobleme von Migranten haben dem Minister zufolge nicht in erster Linie mit Religion oder gar dem muslimischen Glauben zu tun: “Es gibt keinen Eins-zu-eins-Zusammenhang zwischen Integrationsverweigerung und Religionszugehörigkeit.”

Selbst vor der Kanzlerin macht “Bild” nicht halt. Als diese sich bei der Ehrung des dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard kritisch über die Kampagne von “Bild” äußerte und einen Bogen zur Axel Springer AG schlug, ließ “Bild” diese Seite der Geschichte dezent unter den Tisch fallen (siehe “Carta”).

Es ist deshalb auch kein Wunder, dass die meisten Umfragen auf Bild.de 90 Prozent Zustimmung für Sarrazin ergeben oder dass eine Aktion, bei der “Bild” seine Leser aufforderte, Briefe an den Bundespräsidenten zu schicken, auf große Resonanz gestoßen ist.

Erstaunlich ist dabei aber immer wieder, mit welcher Dreistigkeit regelmäßig aus einem Teil der Leser von “Bild” und Bild.de die Gesamtheit aller Deutschen gemacht wird:

Damit Christian Wulff weiß, wie Deutschland wirklich denkt

Wie denken die Deutschen wirklich über den umstrittenen Banker?

Aktion: "So denken Deutsche wirklich über Sarrazin"

Eine Gefährdung der Meinungsfreiheit entsteht nicht, wenn den Thesen von Sarrazin widersprochen wird, sondern dann, wenn “Bild” und Bild.de immer wieder essentielle Teile der öffentlichen Debatte verschweigen.

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Entweder, oder

Die satirische ZDF-Sendung “heute show” nahm sich gestern des Themas an, dass die bekannte Journalistin Alice Schwarzer für die “Bild”-Zeitung über den Vergewaltigungs-Prozess gegen Jörg Kachelmann berichtet:

Alice Schwarzer: Alles ist möglich. Ich habe auch nichts gegen Herrn Kachelmann, ganz im Gegenteil: ich mochte den immer ganz gern leiden. Ich bin an der Wahrheit interessiert.

Oliver Welke: Hä? Das versteh ich jetzt nicht. Entweder ich bin an der Wahrheit interessiert. Oder ich schreib für die Bild-Zeitung. Beides zusammen geht ja wohl nicht.

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Ihr naht Euch wieder, schwankende Gestalten

Thilo Sarrazin, dieser Teufelskerl! Stößt man eben eine “Diskussion” (deutsch für: “Summe gleichzeitig stattfindender Monologe”) an und schon fluppt es in Deutschland:

In der Diskussion um mangelnde Integration von Ausländern fordert jetzt der erste Politiker die Aufnahme der “deutschen Sprache” ins Grundgesetz. (…)

CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt zu BILD: “Der Schutz der deutschen Sprache gehört im Grundgesetz verankert. (…)”

Das mit den Ordnungszahlen sollte “Bild” bis zur Grundgesetzänderung vielleicht noch etwas üben, denn “der erste Politiker”, der das fordert, ist Dobrindt mitnichten: Im Juli 2008 hatte sich Bundestagspräsident Norbert Lammert für eine Verankerung der deutschen Sprache im Grundgesetz ausgesprochen, im Dezember 2008 gab es einen CDU-Parteitagsbeschluss zum Thema und im Oktober 2009 legten CDU/CSU und FDP in ihrem Koalitionsvertrag fest, das Grundgesetz entsprechend zu erweitern.

Mit Dank an Patrick G. und Theo.

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