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Bild.de lässt Psychiater auf Fünfjährigen los

Noah Green ist fünf Jahre alt und hat das große Pech, dass die “Bild”-Medien ihn für so interessant halten, dass sie über ihn berichten. Noah ist der Sohn von Schauspielerin, Verzeihung, “von Schauspiel-Sexbombe” Megan Fox und Schauspieler Brian Austin Green. Und Noah findet Elsa aus “Disneys” Animationsfilm “Frozen” offenbar so klasse, dass er neulich in einem Elsa-Kleid durch die kalifornische Stadt Calabasas gelaufen ist.

Das ist eigentlich auch schon alles: ein fünfjähriges Kind, das eine Figur aus einem Animationsfilm gut findet und sich ab und zu so kleidet wie diese Figur.

“Bild” und Bild.de (die es nicht mal hinbekommen, das korrekte Alter von Noah nachzugucken) machen daraus allerdings deutlich mehr. Online schrieb die Redaktion gestern am späten Abend:

Screenshot Bild.de - Megan Fox - Warum ihr Sohn Mädchen-Kleider trägt
(Unkenntlichmachung durch uns.)

In den Familien der Hollywoodstars ist vieles erlaubt. Vor allem, wenn es um den Nachwuchs geht. Warum? Weil die Kurzen machen (dürfen), was sie wollen.

Neue Fotos zeigen Noah (4), den Sohn von Schauspiel-Sexbombe Megan Fox und Brian Austin Green (“David” aus “Beverly Hills 90210”) im Prinzessinnen-Kleidchen von “Frozen”.

Ist es ein seltsamer Trend oder einfach freie Entfaltung? Den Kindern der VIPs ist ihr Geschlecht offenbar nicht recht.

Bild.de nennt und zeigt noch zwei weitere Kinder — Charlize Therons fünfjährigen Sohn Jackson und Angelina Jolies elfjährige Tochter Shilo –, die immer mal wieder Klamotten tragen, die nicht ins Jungen-Mädchen-Koordinatensystem von “Bild” passen. Auch bei ihnen stellt sich also die Bild.de-Frage: “seltsam” oder “freie Entfaltung”?

Im Artikel gibt ein “Experte” so etwas wie eine Antwort:

Kinder- und Jugendpsychiater Dr. Michael Winterhoff (62) zu BILD: “Es ist ein zunehmendes Phänomen in unserer Gesellschaft, dass sich Kinder in ihrem Auftreten schon früh an Erwachsenen orientieren. Zudem werden Kinder in unserer Gesellschaft zunehmend alleingelassen und in ihrem Verhalten auch nicht mehr korrigiert. Das gilt besonders für Konventionen und Kleidung. “Die Kinder wollen das eben so”, ist eine be­queme Ausrede. Wenn ein Mädchen Jungenkleider trägt oder umgekehrt, hat das aber nichts mit der künftigen sexuellen Orientierung oder Ausrichtung zu tun.”

Da drängen sich gleich mehrere Fragen auf: Was soll da “korrigiert” werden? Und in welche Richtung? Kinder so sein zu lassen, wie sie sein wollen, ist eine “bequeme Ausrede”? Inwiefern lässt Megan Fox, die auf dem Foto direkt neben ihrem Sohn zu sehen ist und seine Hand hält, ihr Kind allein? Und warum lässt Bild.de einen Kinder- und Jugendpsychiater aus der Ferne auf einen Fünfjährigen los?

Schiebt man mal das ganze Promi-Geschreibsel dieses Bild.de-Artikels beiseite, bleibt die fatale Aussage für alle Kinder und Jugendlichen: Wenn ihr, aus welchem Grund auch immer, gerne mal Klamotten tragt, die nicht zu dem passen, was die “Bild”-Medien eigentlich für Mädchen beziehungsweise für Jungen vorgesehen haben, dann seid ihr mindestens so merkwürdig, dass ihr einen “Bild”-Artikel wert seid.

Mit Dank an @b_obermayer für den Hinweis!

Opferfotos lässt “Bild” sich nicht verrügen

Vor vier Monaten, einen Tag nach dem Terroranschlag bei einem Konzert in Manchester, titelte Bild.de:

Saffie (8) und Georgina (18) hatten sich so auf das Konzert gefreut - Zu jung zum Sterben! [Dazu zwei große Porträtaufnahmen der beiden Opfer]
(Unkenntlichmachungen durch uns.)

Und wenig später:

TERROR IN MANCHESTER - Ihre Mutter weiß noch nicht, dass Saffie (8) tot ist [ebenfalls mit großem Porträtfoto des Mädchens]
(Unkenntlichmachung durch uns.)

Zu diesem Zeitpunkt lag die Mutter, ebenfalls ein Opfer des Anschlags, noch auf der Intensivstation.

Mehrere Menschen reichten dazu Beschwerden beim Presserat ein. Sie verwiesen auf Ziffer 8 des Pressekodex, nach der die Identität von Opfern — insbesondere wenn es sich um Kinder und Jugendliche handelt — besonders zu schützen ist. Und auf Ziffer 11, nach der die Berichterstattung in solchen Fällen ihre Grenzen „im Respekt vor dem Leid von Opfern und den Gefühlen von Angehörigen“ findet. Kritisiert wurde von den Beschwerdeführern außerdem, dass Fotos eines Opfers veröffentlicht wurden, ohne dass dessen Mutter wisse, dass ihr Kind tot ist.

Presserats-“Maßnahmen”:
Hat eine Zeitung, eine Zeitschrift oder ein dazugehöriger Internetauftritt gegen den Pressekodex verstoßen, kann der Presserat aussprechen:
 
1) einen Hinweis,
2) eine Missbilligung,
3) eine Rüge.
 
Eine “Missbilligung” ist schlimmer als ein “Hinweis”, aber genauso folgenlos. Die schärfste Sanktion ist die “Rüge”. Gerügte Presseorgane werden in der Regel vom Presserat öffentlich gemacht. Rügen müssen in der Regel von den jeweiligen Medien veröffentlicht werden. Tun sie es nicht, dann tun sie es nicht.

„Bild“-Oberchef Julian Reichelt aber hat für solche Einwände kein Verständnis. Die Beschwerden seien „nicht nachzuvollziehen“, teilte er dem Presserat in einer Stellungnahme mit. Die Fotos seien weder reißerisch noch moralisch verwerflich — das sei nur der Terroranschlag selbst. Ganz ähnlich sah es auch “Bild”-Ombudsmann Ernst Elitz Ende Mai.

Außerdem hätten ja, so Reichelt, auch viele ausländische Medien die Fotos gezeigt. Dies werfe die Frage auf, ob etwas nach deutschem Verständnis unethisch sein könne, wenn es doch weltweit selbstverständlich sei? Sei Presseethik nicht vielmehr universell?

Reichelts Logik: Wenn Medien im Ausland irgendwas machen, darf man das hierzulande automatisch auch. (Wobei “Bild” natürlich auch unabhängig davon immer das Recht hat, Fotos von Opfern zu zeigen, weil man der Tragödie doch ein Gesicht geben müsse!)

Der Presserat jedoch sah das — wie schon die vielen, vielen, vielen Male zuvor — anders:

Nach Auffassung des Presserats [bestand] kein öffentliches Interesse an der identifizierbaren Darstellung der Opfer. […] Die verwendeten Fotos stammten aus sozialen Netzwerken. Eine Einwilligung der Angehörigen zur Verwendung der Bilder in der Presse lag jedoch nicht vor, wäre aber erforderlich gewesen, so der Presserat. Es handelte sich nicht um Personen des öffentlichen Lebens.

In seiner jüngsten Sitzung wertete er die Berichterstattung darum als schweren Verstoß gegen den Pressekodex und sprach zwei öffentliche Rügen gegen Bild.de aus, die härteste “Sanktion”, die ihm zur Verfügung steht.

Gestern erschienen bei Bild.de übrigens diese Artikel:

Mindestens 59 Tote bei Massaker in Las Vegas - Die Opfer - 32 Jahre verheiratet, ein letztes Selfie, sie starb in seinen Armen [dazu mehrere Porträtfotos von Opfern des Massakers]

Mindestens 59 Tote bei Massaker in Las Vegas - Mutter von vier Kindern, Lehrerin, Cheerleader - So viele Leben einfach ausgelöscht [dazu mehrere Porträtfotos von Opfern des Massakers]
(Alle Unkenntlichmachungen durch uns.)

Und in der Print-Ausgabe heute:

Ausriss Bild-Zeitung mit Fotos von 29 Opfern - Mindestens 59 Konzert-Besucher starben im Kugelhagel - Beim Feiern aus dem Leben gerissen
(Unkenntlichmachungen durch uns.)

Ebenfalls zum Anschlag in Manchester:

Mit Dank an Oliver M.!

Exklusiv-geklaut-Foto SPORT BILD

Am späten Freitagabend schien Henning Feindt, der stellvertretende “Sport Bild”-Chefredakteur, mächtig stolz zu sein:

Thomas Tuchel, bis zur vergangenen Bundesligasaison noch Trainer bei Borussia Dortmund, wurde am Düsseldorfer Flughafen fotografiert, unterwegs nach München. Der FC Bayern München hat gerade erst seinen Trainer Carlo Ancelotti entlassen und sucht derzeit nach einem Nachfolger — was Tuchels München-Trip zumindest für den Sport-Boulevard interessant macht (wobei man auch erwähnen muss, dass Thomas Tuchel schon seit längerer Zeit eine Wohnung in München hat). Die “exklusiv-fotos”, die Henning Feindt in seinem Tweet — retweetet von “Bild”-Sportchef Walter M. Straten, geliket von “Sport Bild”-Chefredakteur Alfred Draxler sowie von “Sport Bild”-Fußballchef Chrisitan Falk — beklatscht und die er seinem “Sport Bild”-Kollegen Sven Westerschulze zuschreibt, sind aber alles andere als ein “Great Job”. Sie sind geklaut.

Simon Schlenke war am Freitag gerade auf dem Weg nach Prag, als er und sein Bruder am Flughafen in Düsseldorf Thomas Tuchel sahen. Schlenke machte ein Foto und postete es um 14:28 Uhr bei Twitter:

Nach eigener Aussage schickte er das Bild auch per WhatsApp an Freunde.

Am Freitagabend tauchte ein Ausschnitt von Schlenkes Foto bei Bild.de auf:

Screenshot Bild.de - Exklusiv-Fotos von Sport Bild - Hier fliegt Tuchel nach München - Verhandlungen mit Bayern laufen - Welcher Trainer Plan B ist

Einer der drei Autoren des dazugehörigen Textes: Sven Westerschulze. Am Samstag erschien “Fußball Bild” mit diesem Titelfoto …

Ausriss der Titelseite von Fußball Bild - Tuchel schon in München

… und mit dieser Aufmachung auf den Seiten 2 und 3:

Ausriss Doppelseite von Fußball Bild - Hier fliegt Tuchel nach München

Am selben Tag sah die erste der Sportseiten in der “Bild”-Bundesausgabe so aus:

Ausriss Bild-Zeitung - Hier fliegt Tuchel nach München

Und sportbild.de veröffentlichte Samstagmittag auch noch einen Artikel zum Thema.

Überall war das Foto zu sehen, das Simon Schlenke gemacht hatte (und in “Fußball Bild” und “Bild” auch noch ein Foto, das laut Schlenke sein Bruder aufgenommen hatte). Und überall stand als Fotocredit “Exklusiv-Foto SPORT BILD”. Eine Erlaubnis, das Foto zu benutzen, hatten offenbar weder Bild.de noch sportbild.de noch “Fußball Bild” noch “Bild”. Auf Nachfrage erklärte Schlenke bei Twitter:

Mit Dank an @GNetzer und @Phisoloph für die Hinweise!

Sie liebt keinen DJ, und er hatte keinen Suff-Unfall

Manchmal versieht die “Bild”-Redaktion ihre Artikel mit Warnhinweisen. Da steht dann im Text zum Beispiel “nach BILD-Recherchen” oder “nach BILD-Informationen”, und dann müsste eigentlich jedem klar sein, dass da was nicht stimmen kann.

Ein solcher Text, der “nach BILD-Recherchen” entstanden ist, erschien am 3. August. Es ging um Diskuswerfer Christoph Harting, “SUFF-UNFALL” schrieb “Bild” damals auf der Titelseite und im Blatt: “SUFF! CRASH! AUSRASTER!”

Heute muss die Redaktion zwei Gegendarstellungen von Harting abdrucken. Eine auf der Titelseite …

Ausriss von der Bild-Titelseite - Gegendarstellung - Auf der Titelseite der BILD vom 03.08.2017 haben Sie geschrieben: Olympia-Held Christoph Harting Suff-Unfall - Hierzu stelle ich fest: Ich hatte keinen Suff-Unfall. Anmerkung der Redaktion: Herr Harting hat recht. Wir bitten Herrn Harting um Entschuldigung.

… und eine auf Seite 5:

Ausriss Bild-Zeitung - Gegendarstellung - Auf Seite 4 der BILD vom 03.08.2017 haben Sie unter der Überschrift: Olympia-Harting Suff! Crash! Ausraster! geschrieben: 1. Weil Harting sich außerdem gegenüber den Polizeibeamten aggressiv verhalten haben soll, brachten ihn seine Kollegen auf die Wache. Dort wurde eine Blutentnahme angeordnet. Hierzu stelle ich fest: Ich habe mich gegenüber Polizeibeamten nicht aggressiv verhalten. Ich wurde auch nicht auf eine Wache gebracht. Eine Blutentnahme wurde bei mir nicht angeordnet. 2. Völlig aufgebracht soll der Olympiasieger danach auf den anderen Fahrer losgegangen sein. Selbst die inzwischen alarmierten Polizisten hätten den kräftigen Diskuswerfer nur schwer bändigen können. Hierzu stelle ich fest: Ich bin nicht auf einen anderen Fahrer losgegangen. Ich musste auch nicht durch Polizisten gebändigt werden. Berlin, den 18.08.2017 Christoph Harting

Und wo wir schon bei Gegendarstellungen sind — diese hier von Sabia Boulahrouz, die Bild.de neulich veröffentlichen musste, beinhaltet eine wunderschöne Feststellung:

Screenshot Bild.de - Gegendarstellung - Am 14.08.2017 berichtete bild.de in der Such-Vorschau eines Artikels über mich: Sie liebt den DJ! Hierzu stelle ich fest: ich liebe keinen DJ. Hamburg, den 23.08.2017, Sabia Boulahrouz

Mit Dank an @MSchroeren für den Hinweis!

Die AfD-Gärtner der “Bild”-Zeitung wundern sich über die Frucht-Ernte

Liest man heute den Kommentar von Tanit Koch zur Bundestagswahl und den 12,6 Prozent, die die AfD bekommen hat, könnte man fast meinen, dass die “Bild”-Chefredakteurin in den vergangenen Monaten durchgehend im Urlaub war und nichts davon mitbekommen hat, was in ihrem Blatt so passiert ist.

Ausriss Bild-Zeitung - Überschrift des Koch-Kommentars - Die Früchte der Angst

Koch schreibt:

Für Anstand steht das A in AfD nicht. Dennoch wurde sie gewählt — weil die regierenden Parteien, weil die Kanzlerin Vertrauen verspielt haben. (…)

Angela Merkel ist es nicht gelungen, einer verunsicherten Bevölkerung die Sorge vor Kriminalität und Islamisierung zu nehmen.

Die Angst davor gab es lange vor der Flüchtlingskrise. Doch man war sich zu fein dafür, sie zu adressieren. Nun hat die AfD die Früchte dieser Angst geerntet.

Es mag stimmen, dass ein Grund für die AfD-Stärke die Schwäche der “regierenden Parteien” ist. Es mag stimmen, dass Angela Merkel Sorgen nicht schmälern konnte. Was aber auch stimmt, und was Tanit Koch nicht mit einer Silbe erwähnt: Die “Bild”-Zeitung hat “die Sorge vor Kriminalität und Islamisierung” stetig bedient. Um im Bilde zu bleiben: Die fauligen Bäume und dornigen Sträucher, von denen die AfD “die Früchte der Angst” ernten konnte, haben unter anderem Tanit Koch und ihr Team ausgesät, sie haben sie immer wieder gegossen und gepflegt.

Da war zum Beispiel das “Bild”-Wahlprogramm:

Ausriss Bild-Titelseite - Das große BILD-Wahlprogramm - Was sich endlich ändern muss - Rente! Steuern! Sicherheit!

Am 17. Juli, also gut zwei Monate vor der Bundestagswahl, veröffentlichte die Redaktion fast auf einer kompletten Doppelseite eine Sammlung aus 25 “ES KANN DOCH NICHT SEIN”-Punkten:

Ausriss Bild - Übersicht zur Doppelseite mit verschiedenen Wahlprogrammpunkten

Nur ein Beispiel:

Ausriss Bild-Zeitung - Forderung der Bild zu Asyl/Integration - Es kann doch nicht sein, dass Asylsuchende und Zuwanderer sich nicht nach unseren Regeln richten. Darum gilt in Deutschland ein Burka-Verbot. Frauen und deren Ehemänner, die sich dem Widersetzen, werden mit Bußgeld belegt. Handelt es sich um Touristen, müssen sie umgehend ausreisen. Ein umfassendes Ausweisungsgesetz regelt zudem, welche Straftaten zum Verlust des Aufenthaltsrechts führen. Fortgesetzter Sozialbetrug führt zur Beendigung eines Asylverfahrens.

Schon die Entscheidung für diesen Wahlkampfpunkt hat nichts mit Aufklärung zu tun, nichts mit dem Nehmen von Sorgen, sondern ist das reine Bedienen von Sorgen durch ein Scheinproblem. Abgesehen von dem Detail, dass es in der Regel nicht um Burkas, sondern um Niqabs geht, betrifft dies wohl wie viele Menschen in Deutschland? Auf der Sonnenallee in Berlin-Neukölln sicher ein paar mehr. In der Fußgängerzone in Görlitz vermutlich deutlich weniger. Sind es insgesamt im ganzen Land überhaupt mehr als 1000 Niqab-Trägerinnen? Dank “Bild” sieht es für mehrere Millionen Menschen wenige Wochen vor der Wahl so aus, als gehöre das Thema Burka/Niqab zu den 25 dringendsten der Bundesrepublik.

Dass ein Teil dieser Leute dann an den Laternen AfD-Plakate hängen sieht, auf denen steht “‘Burkas?’ Wir steh’n auf Bikinis.”, und sich denkt “Och, joar, könnte man vielleicht wählen” — völlig abwegig ist das nicht.

Diese Burka-Forderung, dieses ganze “Bild”-Wahlprogramm voller AfD-Positionen war komplett unnötig. Ja, man kann das machen, wenn man ganz rechten Positionen eine Plattform geben, Ressentiment schüren und ein bisschen zündeln will. Aber man muss es nicht. Und vor allem muss man sich dann nicht einen Tag nach der Wahl verblüfft zeigen über 12,6 Prozent. Bei der AfD waren sie im Juli jedenfalls hellauf begeistert von der kostenlosen Wahlwerbung in der immer noch auflagenstärksten Tageszeitung Deutschlands:

Tweet der AfD Bund - Hallo Bild, nahezu alles hier findet sich im AfD-Wahlprogramm
Tweet der AfD Berlin - So schnell kann es gehen: Das Bild-Wahlprogramm liest wie das der AfD. Gut gemacht
Tweet von Uwe Junge - Endlich! Die BILD als Wahlkampfblatt für die AfD! Unser Programm in BILD veröffentlicht!

Das “Bild”-Wahlprogramm war nur ein kleiner Baustein der Berichterstattung, die Uwe Junge, Alexander Gauland, Alice Weidel und all den anderen in die Hände gespielt hat. Seit Jahren — auch schon lange vor Gründung der AfD — trägt die Redaktion dazu bei, dass Positionen wie die der rechtesten Partei im kommenden Bundestag millionenfach an Kiosken liegen. Und häufig basieren die empörten und empörenden Schlagzeilen auch noch auf falschen Fakten. Da war beispielsweise der von einem AfD-Sympathisanten erfundene falsche Flüchtlings-“Sex-Mob”, den “Bild” willfährig aufgriff. Die sechsfach falsche Meldung, dass in Deutschland “aus Rücksicht auf Muslime die christlichen Wurzeln des Weihnachtsfestes unterschlagen” würden. Die falsche Geschichte, dass Politiker forderten, dass Christen “im Weihnachts-Gottesdienst muslimische Lieder singen” sollen. Die falsche Information, dass Flüchtlinge in Hamburg problemlos schwarzfahren dürften. Oder das falsche Gerücht, dass Sanitäter des Roten Kreuzes wegen Asylbewerbern nun Schutzwesten anhätten. “Bild” schreibt gegen Muslime, gegen Roma, gegen Griechen, gegen Ausländer, noch mal gegen Muslime, ein weiteres Mal gegen Muslime, gegen Migranten, gegen Muslime. Es sei auch noch mal an den hasserfüllten Kommentar von Nicolaus Fest erinnert, der einst Kulturchef bei “Bild” und bis September 2014 stellvertretender Chefredakteur beim Schwesternblatt “Bild am Sonntag” war und der gestern als Direktkandidat der AfD im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf nicht den Einzug in den Bundestag schaffte.

Am 17. Juli dann also das “Bild”-Wahlprogramm. Und auch danach ging es weiter mit der AfD-Förderung durch das Boulevardblatt. Mats Schönauer hat sich bei “Übermedien” durch die vergangenen zwei “Bild”-Monate gewühlt. So sahen die Titelseiten und Überschriften aus:

Collage mit Bild-Schlagzeilen - Mitten in Deutschland Burka-Frau verprügelt Dessous-Verkäuferin - Krankenkassen machen Minus Flüchtlinge kosten 20 Millionen im Monat - Asylbetrug So leicht ist es in Deutschland abzukassieren - Die große Abschiebe-Lüge - 387 Abschiebungen in letzter Minute gestoppt - Das hat der Islam mit Terror zu tun - So viele Flüchtlinge haben keinen Schulabschluss - Und wieder ein Frauenmörder der längst abgeschoben sein müsste - Joggerin vergewaltigt Warum wurde der Täter nicht abgeschoben? - Die Strafakte der abgeschobenen Afghanen - So spaltet die Flüchtlingskrise unser Land

Ich glaube nicht, dass die “Bild”-Redaktion ein Haufen von AfD-Wählern ist. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Julian Reichelt und Tanit Koch und die meisten anderen “Bild”-Mitarbeiter in ihren Kommentaren öffentlich gegen diese Partei anschreiben und in der Wahlkabine heimlich Kreuze bei ihr machen. Und trotzdem ist die “Bild”-Zeitung ein AfD-Blatt. Mit ihren gewählten Schwerpunkten, mit den Zuspitzungen auf den Titelseiten, mit den verwendeten Begriffen in Überschriften haben Reichelt und Koch und viele ihrer Kollegen die Gesprächsthemen in Büromittagspausen, in Bauwägen und an analogen wie digitalen Stammtischen geprägt. Über die “Burka-Frau” wurde dort diskutiert. Man regte sich über die Bedrohung der Rot-Kreuz-Sanitäter auf. War wütend über schwarzfahrende Flüchtlinge. “Bild” hat nicht direkt für die AfD geworben. “Bild” hat aber den öffentlichen Diskurs im Sinne der AfD vorgegeben.

Tanit Koch und ihre Redaktion titeln heute:

Titelseite der Bild-Zeitung - Der Rechts-Rumms

“Bild” hat kräftig mitgerummst.

Als “Bild” Putins Flüchtlings-Sex-Mobs auf die Bundestagswahl losließ

Jetzt also doch!

Screenshot von der Bild.de-Startseite - Jetzt gerade! Während Deutschland wählt! Riesiger Russen-Angriff auf unsere Wahl - Roboter verbreiten AfD-Gerüchte über Wahl-Fälschungen

“Bild”-Redakteur Julian Röpcke hat sich das Hashtag #Wahlbetrug mal genauer angeschaut, unter dem seit Samstag bei Twitter AfD-Inhalte verbreitet werden und das von vielen Bots “gepusht” werde:

BILD analysierte den Hashtag “Wahlbetrug”. Im Netz wird er am engsten im Zusammenhang mit den Begriffen “AfD”, “Islamisierung”, “Wahlbeobachter” und “btw17” verwendet. Außerhalb Deutschlands wird er vor allem von drei Ländern gepusht. Den USA auf Platz 1, Großbritannien auf Platz 2 und Russland auf Platz 3.

Röpcke und Bild.de hätten also genauso gut (und eigentlich noch besser) titeln können: “Ausgewachsener Ami-Angriff auf unsere Wahl”. Doch stattdessen:

Screenshot Bild.de - Während Deutschland wählt - Russen-Accounts pushen AfD-Kampagne

Für Röpcke und seine Kollegen steht schon seit vielen Monaten fest, dass die heutige Bundestagswahl von russischen Kräften, genauer: von Wladimir Putin und dem Kreml, massiv beeinflusst werde. Allerdings hatten sie ganz andere Kaliber vorausgesagt als nur einige Bots aus Russland, die nun kontinuierlich AfD-Hashtags retweeten. Zusammen mit seiner Kollegin Karina Mößbauer veröffentlichte Röpcke im Dezember vergangenen Jahres dieses Dossier zu Putins buntem Propaganda-Blumenstrauß:

Screenshot Bild.de - Kreml-Chef will Merkel loswerden und Extremisten stärken - Putins Geheim-Krieg gegen unsere Wahl - Was Sie wissen müssen, damit Sie nicht aus Versehen Putin wählen - Artikel 2: Propaganda-Feldzug mit Sexmobs - Artikel 3: Bewusst gestreute Fake-News - Artikel 4: Cyber-, Web- und Social-Media-Manipulation

Das Autoren-Duo schreibt:

Attacke auf unsere Bundestagswahl! Es ist ein hybrider Großangriff auf die Wahrnehmung der Deutschen. Und er hat mehrere konkrete Ziele.

Experten sind sich einig: Mit seinen Kampagnen will Russen-Präsident Wladimir Putin (64) das Vertrauen der Bevölkerung in den deutschen Staat, die Behörden und insbesondere Angela Merkel (62, CDU) erschüttern und die Menschen in die Hände von linken und rechten Extremisten treiben.

Manche Punkte dieses “Geheim-Krieg”-Dossiers sind ein bisschen lustig, zum Beispiel jener mit den “bewusst gestreuten Fake-News”. Die einzige uns bekannte richtige “Fake News”, die es in diesem Jahr in ein großes deutsches Medium geschafft hat, wurde von der “Bild”-Zeitung verbreitet und betraf einen vermeintlichen Flüchtlings-“Sex-Mob”, der an Silvester durch Frankfurt am Main “getobt” sein soll. Die Frankfurter “Bild”-Redaktion war dabei auf eine Lüge eines AfD-Sympathisanten reingefallen.

Gar nicht lustig, sondern ziemlich irre ist die Ankündigung eines “Propaganda-Feldzugs mit Sexmobs”:

Screenshot Bild.de - Putins hybrider Großangriff zur Bundestagswahl 2017 - Propaganda-Feldzug sogar mit Sexmobs

Der Artikel von Mößbauer und Röpcke hat wirklich alle Zutaten, die auch ein Neuntklässler wählen würde, wenn er in einer Hausaufgabe eine kreative Verschwörungstheorie erfinden soll: Putin, Flüchtlinge, syrischer Geheimdienst, irakischer Geheimdienst, Mafia, Tote, Sex-Mob. Denn “jenseits von Desinformation”, so Mößbauer und Röpcke, “könnte es noch schlimmer kommen!”

In Sicherheitskreisen wird bereits diskutiert, wie Russland versuchen könnte, mit Störaktionen ein radikales Umdenken in der Bevölkerung zu erzwingen — womöglich sogar mit tödlicher Gewalt. (…)

Eine bislang unbekannte Komponente ergebe sich aus der engen Zusammenarbeit von russischen, syrischen und anderen Geheimdiensten sowie russischer Mafia, sagt Russland-Experte Gustav Gressel (European Council on Foreign Relations).

“Ein Teil der Flüchtlinge aus dem Irak und Syrien, wenn auch nur ein sehr kleiner Teil, hatte Verbindungen zu Assads oder Saddam Husseins Geheimdiensten.”

Diese Menschen könnten gezielt von Geheimdienstagenten oder aus Mafiakreisen angesprochen und für Störaktionen instrumentalisiert werden, warnt Gressel.

“Was würde zum Beispiel passieren, wenn sich auf einem Sommerfestival vor der Wahl etwas ähnliches wiederholt wie in Köln zur Silvesternacht? Wie würde Merkel dann da stehen? Was wäre die Konsequenz für die Bundestagswahl? Natürlich ist das ein extremes Beispiel, aber es ist im Bereich des Möglichen”, sagt Gressel weiter.

Wir haben nun bis kurz vor Ende der Bundestagswahl gewartet. Nirgends trat ein Putin-Assad-Saddam-Mafia-Flüchtlings-Sex-Mob auf. Auf keinem “Sommerfestival” und auch sonst nirgendwo in Deutschland. Schon bei der Veröffentlichung im Dezember 2016 klangen die Aussagen von Gustav Gressel abwegig genug, um sie für höchst fragwürdig zu halten. Doch statt sie zu hinterfragen, adoptieren Röpcke, Mößbauer und “Bild” die Verschwörungstheorie ihres Experten bereits in der Überschrift.

Julian Röpcke schreibt heute zu den retweetenden Twitter-Accounts aus Russland:

Unklar ist, ob es sich bei der Kampagne um mehr als bloße Propaganda handelt.

Das fragen wir uns manchmal auch.

“Bild” soll Rauswurf-Zitat erfunden haben

Erst hat der 1. FC Kaiserslautern kein Glück, und dann kommt auch noch “Bild” dazu. Der Verein ist derzeit Letzter in der 2. Fußball-Bundesliga, gerade mal zwei Punkte aus sechs Spielen haben die Pfälzer, am vergangenen Samstag verlor das Team gegen den SV Sandhausen. Und jetzt müssen sich die Verantwortlichen aus Kaiserslautern auch noch gegen die “Bild”-Zeitung wehren.

Grund ist dieser Artikel von gestern, der gedruckt in der Mainz-Wiesbaden-Ausgabe und online bei Bild.de erschienen ist:

Screenshot Bild.de - Nur ein Sieg gegen Aue rettet den Trainer - Lautern Letzter! Meier wackelt

“Bild”-Redakteur Ulli Schauberger zitiert in seinem Text mehrmals Boris Notzon, den Sportdirektor des 1. FC Kaiserslautern. In einer Aussage soll Notzon auch etwas zur beruflichen Zukunft von Trainer Norbert Meier andeuten:

Und wenn das [eine Steigerung im heutigen Spiel gegen Erzgebirge Aue] nicht klappt? Notzon: “Dann weiß auch Norbert, dass das Team einen neuen Impuls braucht.” Dann muss der Trainer für seine Schlaffis büßen.

Der Satz “Dann weiß auch Norbert, dass das Team einen neuen Impuls braucht.” soll im Gespräch zwischen Notzon und Schauberger aber nie gefallen sein. Der 1. FC Kaiserslautern hat auf der vereinseigenen Website heute eine Stellungnahme veröffentlicht:

Der 1. FC Kaiserslautern nimmt hiermit Stellung zum inhaltlich fehlerhaften Bericht der Bild-Zeitung vom 18. September 2017 mit dem Titel “Lautern Letzter! Meier wackelt”.

Das diesem Beitrag zugrunde liegende Gespräch zwischen FCK-Sportdirektor Boris Notzon und dem Redakteur der Bild-Zeitung wurde am 17. September 2017 zum Thema “Legt der FCK Einspruch gegen die Schiedsrichter-Entscheidung in Sandhausen ein?” geführt. Der am 18. September 2017 in der Bild-Zeitung veröffentlichte Artikel gab jedoch nicht die Inhalte des Gesprächsverlaufes wieder. Insbesondere die Aussage “dann weiß auch Norbert, dass das Team einen neuen Impuls braucht” wurde im Rahmen dieses Gespräches niemals getätigt.

“Gerne hätten wir über die Veröffentlichung dieser nicht getroffenen Aussage locker hinweggesehen, die darauf folgende Berichterstattung, die sich inhaltlich größtenteils auf diese Aussage bezieht, lässt uns jedoch keine andere Wahl, als den Sachverhalt deutlich klarzustellen. Die Aussage ‘dann weiß auch Norbert, dass das Team einen neuen Impuls braucht’ wurde niemals getätigt. Dies wurde vom zuständigen Bild-Redakteur bereits bestätigt. Eine zugesagte Klarstellung ist bis dato ausgeblieben”, erklärt FCK-Sportdirektor Boris Notzon.

Statt einer “Klarstellung” veröffentlichte die Mainz-Wiesbaden-Ausgabe der “Bild”-Zeitung heute noch einmal das vermeintliche Notzon-Zitat:

Ausriss Bild-Zeitung - Job-Endspiel für Lautern-Coach Meier - Für Lautern-Trainer Norbert Meier geht es heute gegen Aue um den Job. Eine weitere Pleite - und er ist weg! Sport-Direktor Boris Notzon zu Bild: Dann weiß auch der Trainer, dass das Team einen neuen Impuls braucht.

Mit Dank an Rouven und @modellversuch für die Hinweise!

“Bild”-Ombudsmann verlängert DDR um 25 Prozent

Ernst Elitz ist gnadenlos:

Screenshot Bild.de - Der Bild-Ombudsmann - Eile ist keine Entschuldigung

Viele Fehler seien “der Eile geschuldet”, schreibt der Ombudsmann in seinem neuesten Text in der “Bild”-Zeitung und bei Bild.de. Dann stünde in einem Artikel “das”, wo eigentlich “dass” stehen müsste, oder “Teater” statt “Theater”, “was großgeschrieben gehört, wird kleingeschrieben oder umgekehrt”. Doch:

Doch Eile entschuldigt nichts. “Die Ausrede ‘Fehler passieren überall’ würde ich bei BILD nicht gelten lassen”, meint Leser Heinfried Knigge. Und er hat recht!

Ein Medium wie BILD, das täglich Millionen Leser erreicht, darf Schnelligkeit nicht vor Sorgfalt setzen. Nur wer beides liefert, liefert Qualität.

Um diese “Qualität” endlich mal herzustellen zu sichern, ist jetzt ja auch Elitz da:

Ich gehe jedem Fall nach. Erkenne ich Fehler, verlange ich Korrekturen. Wenn nicht sorgfältig gearbeitet wurde, übe ich intern oder in meiner Kolumne Kritik an der Arbeit der Redaktion.

Ernst Elitz wacht aber nicht nur über die “Bild”-Medien, er schreibt selbst auch noch für sie (und sieht offenbar kein Problem in seiner Doppelrolle als Redaktions-Wachhund einerseits und Redaktions-Mitglied andererseits). Erst gestern, am selben Tag also, an dem auch seine Ombudsmann-Kolumne veröffentlicht wurde, erschien eine TV-Kritik von Elitz über den Sonntagstalk bei “Anne Will”:

Erst fünfzig Jahre SED-Diktatur, und dann sitzen “in den Chefetagen alles Menschen aus Westdeutschland. Was wäre denn in Bayern los, wenn achtzig Prozent der Führungseliten aus Schleswig-Holstein kommen?”

“Fünfzig Jahre”? Wurde die DDR bereits 1939 (statt 1949) gegründet? Oder fand die deutsche Wiedervereinigung erst im Jahr 2000 (statt 1990) statt? Ernst Elitz schafft es, “fünfzig Jahre SED-Diktatur” in rund 40 Jahre DDR zu packen.

Dieser Fehler mag in Eile passiert sein. “Doch Eile entschuldigt nichts.”

Mehr über den “Bild”-Ombudsmann:

Mit Dank an Lukas H. für den Hinweis!

Nachtrag, 3. November: Unser Leser Bernhard K. weist darauf hin, dass in der Sendung, die Elitz rezensiert, laut “Berliner Kurier” Theo Waigel von “50 Jahren Kommunismus” gesprochen hat. Ernst Elitz hat sich diesen Klops dann wohl einfach zueigen gemacht.

Die digitalen Hühnerdiebe von Bild.de

Folgende Situation: In der Konferenz hat die Online-Redaktion festgelegt, dass noch heute etwas zum “Brodeln” “unter der Erde” “in China” erscheinen solle. Das Thema müsse man machen, schließlich habe das Ganze auch eine politische Komponente: Bereits zehn Minuten, nachdem Nordkoreas Diktator Kim Jong-un am 2. September eine Wasserstoffbombe gezündet haben soll, sollen Wissenschaftler neuerliche seismische Aktivitäten gemessen haben, auch im Grenzgebiet zwischen Nordkorea und China, in der Nähe des Vulkans Mount Paektu. Der könnte unter ungünstigen Umständen ausbrechen.

Seismologie? Mount Paektu? China? Nordkorea? Herrje!

Für die Autoren bei Bild.de ist eine solche Situation aber gar kein Problem:

Screenshot Bild.de - China sperrt Nationalpark - Hat Kims Bombe Super-Vulkan geweckt?

Im Artikel über den “Super-Vulkan” stecken sogar einige interessante Informationen zum Mount Paektu. Diese hier zum Beispiel:

Angsteinflößend ist er wegen seiner extrem starken Eruption im Jahr 946. Sie dauerte mehrere Jahre und brachte es auf Stufe sieben der Skala, mit der Vulkanausbrüche gemessen werden — die höchste Stufe.

Wir wissen auch, wo der anonyme Bild.de-Schreiber diese Informationen, nun ja, recherchiert hat. Am 24. Februar dieses Jahres veröffentlichte Horst Rademacher bei FAZ.net einen Artikel über Mount Paektu. Darin auch diese Passage:

Berüchtigt ist er wegen einer extrem starken Eruption im Jahr 946 nach Christus, die mehrere Jahre anhielt. Sie erreichte dabei die höchste Stufe auf der siebenteiligen Skala, mit der die Stärke von Vulkanausbrüchen bestimmt wird.

Zurück zu Bild.de. Etwas weiter hinten im Text steht:

In der koreanischen Mythologie spielt Mount Paektu eine besondere Rolle, denn er gilt als Geburtsstätte von Dangun, dem Gründer des ersten koreanischen Königreiches. Auch Kim Jong-il, Vater von Kim Jong-un, behauptet, am Fuße des Vulkans geboren zu sein, was laut sowjetischen Dokumenten nicht stimmt. Demnach soll er in der Nähe der sibirischen Stadt Chabarowsk das Licht der Welt erblickt haben.

Auch das kommt einem alles sehr bekannt vor, wenn man den sieben Monate alten FAZ.net-Text kennt. Horst Rademacher schrieb dort:

In der koreanischen Mythologie spielt der aktive Vulkan Paektu eine besondere Rolle, gilt er doch als die Geburtsstätte von Dangun, dem Gründer des ersten koreanischen Königreiches. Auch Kim Jong-il, der Vater des gegenwärtigen kommunistischen Diktators in Nordkorea, Kim Jong-un, soll an den Flanken des Vulkans geboren worden sein. Dem widersprechen allerdings sowjetische Dokumente, nach denen er in der Nähe der sibirischen Stadt Chabarowsk zur Welt gekommen sein soll.

Die Bild.de-Redaktion hat gleich zweimal geklaut, jeweils einen kompletten Absatz. Einen Hinweis auf Rademachers “FAZ”-Stück hat sie nirgendwo im Artikel untergebracht.

Wir erinnern an dieser Stelle gern noch einmal an einen Vorwurf von Bild.de-Chefredakteur Julian Reichelt, der vor etwa zwei Jahren in Richtung von “Focus Online”-Chefredakteur Daniel Steil twitterte:

Mit Dank an Frank für den Hinweis!

“Bild” liefert wieder Futter für rechte Hetzer

Acht Afghanen wurden am Dienstagabend von Düsseldorf aus nach Kabul abgeschoben. Es war die erste Sammelabschiebung nach Afghanistan seit vier Monaten. Die acht Männer waren in Deutschland alle straffällig geworden, einige von ihnen mit abscheulichen Taten wie Vergewaltigung oder Kindesmissbrauch.

Die Düsseldorf-Ausgabe der “Bild”-Zeitung titelte gestern groß:

Ausriss Titelseite Bild-Düsseldorf - Gestern, 19:36 Uhr, startete die Boeing 737 von Düsseldorf nach Kabul - Abschiebe-Flieger voller Sex-Täter!

Und auch Bild.de schrieb von einem “FLIEGER VOLLER SEX-TÄTER”:

Screenshot Bild.de - Flieger voller Sex-Täter! Verbrecher nach Afghanistan abgeschoben

Das ist natürlich maßlos übertrieben und vermittelt ein ziemlich falsches Bild. Eine Boeing 737, mit der die Abschiebung durchgeführt wurde, bietet — je nach Ausführung — Plätze für bis zu 230 Menschen. Acht davon waren durch abgeschobene Personen besetzt. In Düsseldorf startete am Dienstagabend kein “FLIEGER VOLLER SEX-TÄTER!”

Angesprochen auf die Diskrepanz zwischen der reißerischen Überschrift und den Fakten, reagierte “Bild”-Oberchef Julian Reichelt bei Twitter:

Tatsächlich lautet die “Zeile” bei Bild.de nun anders:

Screenshot Bild.de - Kriminelle aus Deutschland abgeschoben - Hier kommen die Verbrecher in Afghanistan an

In der Düsseldorfer Print-Ausgabe ließ sich der Unsinn vom “ABSCHIEBE-FLIEGER VOLLER SEX-TÄTER” hingegen nicht mehr anpassen. Und auch nicht auf den rechten und ganz rechten Facebook-Seiten, die die “Bild”-Schlagzeile liebend gern verbreiteten:

Screenshot Facebook-Seite Deutsches Volk bewaffne dich mit Wissen mit Bild.de-Post
Screenshot Facebook-Seite Ich will mein Land zurück mit Bild.de-Post
Screenshot Facebook-Seite Büdingen wehrt sich Asylflut stoppen mit Bild.de-Post
Screenshot Facebook-Seite Deutschland zuerst Gruppe Nordrhein-Westfalen mit Bild.de-Post
Screenshot Facebook-Seite Deutsch sein ist kein Verbrechen mit Bild.de-Post
Screenshot Facebook-Seite Einigkeit und Recht und Freiheit für das deutsche Vaterland Gemeinschaft mit Bild.de-Post

In den Kommentaren unter diesen Postings wird die Sprache der “Bild”-Schlagzeile aufgegriffen und weitergehetzt. So richtig rund ging es aber vor allem auf der “Bild”-eigenen Facebookseite. Der dortige Post wurde inzwischen (Stand: 14. September, 22:48 Uhr) über 26.000 Mal geliked, mehr als 1800 Mal geteilt, über 2800 Mal wurde kommentiert:

Screenshot Facebook-Seite von Bild.de mit Abschiebe-Flieger-Posting

Im Vergleich zu anderen “Bild”-Beiträgen in dem Sozialen Netzwerk ist dieser irre erfolgreich.

Von Julian Reichelts Ankündigung bei Twitter, die “Zeile” des Artikels anzupassen, ist bei Facebook leider nichts zu sehen. Dafür hätte die Redaktion den Selbstläufer auch löschen müssen. Mit ihm wären immerhin Kommentare wie diese verschwunden:

Es gibt ein Land da wird das Körperteil abgehackt welches die Straftat begangen hat … das wäre doch mal was…aber dafür haben wir zu wenig Pfleger…

Alles Sex Täter?? Naja dann lasst die Maschine abstürzen

Viel zu wenig abgeschoben .Das ganze Dreckspack gehört ohne wenn und aber in die schlimmsten Regionen der Erde gebracht und abgeschlachtet. Das sind keine Menschen aber au h kein Vieh, das ist Abschaum

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