Archiv für Bild.de

AFP, AP, Bild.de  etc.

Ja, mir san mit’m Panzer da

Politiker würden fast alles tun, um in die Medien zu kommen. Und die Medien lieben außergewöhnliche Politikerfotos: Helmut Kohl mit wechselnden Tieren am Wolfgangsee, George W. Bush auf dem Flugzeugträger, Karl-Theodor zu Guttenberg am Times Square.

Den Namen Arturas Zuokas werden sich wohl auch in Zukunft die Wenigsten merken können, aber das Bild, wie der Bürgermeister der litauischen Hauptstadt Vilnius im Panzerwagen über einen falsch geparkten Mercedes fährt, das geht jetzt um die Welt und wird in Erinnerung bleiben.

Bild.de schreibt dazu:

Um zu beweisen, dass er es ernst meint, griff der Politiker zur Brachialmethode.

Vor geladenen Medienvertretern walzte das Stadtoberhaupt höchstpersönlich mit einem russischen Panzer eine auf einem Radweg abgestellte Luxuslimousine platt.

Im dazugehörigen Video beschreibt der Off-Sprecher die Szenerie so:

Zurück bleibt ein schrottreifer Benz und ein Besitzer, der dieses Schicksal offensichtlich nicht fassen kann. Zur Belehrung seines Bürgermeisters kann der Mann mit Goldkette nur entschuldigend nicken.

Die gute Nachricht für Bild.de zuerst: Arturas Zuokas ist tatsächlich mit einem Panzer über einen Mercedes gefahren. Das würde aber wohl auch in Litauen den Straftatbestand der Sachbeschädigung erfüllen.

Die Hintergründe der Aktion stellen sich – und damit zur schlechten Nachricht für Bild.de – dann auch ein bisschen anders dar, wie AFP schreibt:

Ein Schauspieler, der die Rolle des Autobesitzers spielte, bekam von Zuokas anschließend eine Lektion verpasst und schaute angemessen bedröppelt drein.

Das Auto wurde extra für den Stunt gebraucht gekauft, teilte das Rathaus mit.

Die außergewöhnliche Aktion wurde gemeinsam mit den Machern der schwedischen Fernsehsendung “99 Dinge, die man tun muss, bevor man stirbt” entwickelt, die im Oktober ausgestrahlt werden soll.

(Übersetzung von uns.)

Die meisten anderen Medien haben irgendwie verstanden, dass die Szene gestellt war, aber sie zeigen ein Foto, das offensichtlich nachbearbeitet wurde:

Fotomontage, von AFP verbreitet.

Zoukas saß nämlich nicht alleine im Panzer, wie das Video beweist:

Die Pressestelle der Stadt Vilnius hat den Herrn im blauen Hemd einfach aus dem Bild retuschiert — und das ziemlich schlecht:

Schlechte Fotomontage der Pressestelle der Stadt Vilnius.

Die weltweite Verbreitung des Bildes übernahmen dann Nachrichtenagenturen wie AFP und AP.

Mit Dank an Diekmann, John Doe und Fal H.

Wer hat die dümmsten Redakteure?

Das Sommerloch macht es schwer, journalistische Angebote zu füllen. Die Parlamente machen Ferien, im Fernsehen kommen nur Wiederholungen und falls man doch Mal recherchieren will, hört man am anderen Ende der Leitung all zu oft: “Ihr Ansprechpartner ist leider im Urlaub”.

Also muss man den Bodensatz der Pressemitteilungen durchwühlen. Am Besten sind Geschichten, die sich gut anhören, bei denen es aber egal ist, ob sie nun wahr sind oder nicht. Beispielsweise: “Schwangere mögen Sellerie lieber als Saure Gurken”. Oder: “Im Fernsehen kommen nur Wiederholungen“. Oder zur Abwechslung etwas Neues: Der Web-Browser ist mit der Intelligenz verknüpft. Klingt abwegig, banal, irgendwie doof? Egal, es füllt Platz:

Bei “Welt kompakt”:

Browser-Test: Opera-User sind am schlauesten

Bei Krone.at:

Nutzer des Internet Explorer sind am dümmsten

Bei “20 Minuten”:

Bei Bild.de:

Dass niemand zuvor von der ominösen Marktforschungsfirma gehört hatte — egal. Dass die Abweichungen von über 40 IQ-Punkten enorm hoch sind und Nutzer des Internet Explorer 6 mit knapp über 80 IQ-Punkten im Schnitt nur wenig besser abschneiden als Forrest Gump — kein Problem. Schließlich sind in der Studie bunte Grafiken und gewichtig klingende Fachbegriffe wie “WISC-iV”, “Verbal IQ” und “Full Scale IQ”.

Dumm nur: nichts davon stimmt. Die BBC, die die Story zunächst auch verbreitet hatte, hat doch noch einmal nachgefragt und die Geschichte als “Bogus” entlarvt: Unter der angegebenen Telefonnummer meldet sich niemand, die Webseite der angeblich seit fünf Jahre existierenden Firma ist brandneu und aus anderen Webseiten zusammen gestückelt und ein Statistikforscher an der Universität Cambridge findet die publizierten Zahlen unplausibel.

Kurz gesagt: Studie samt Firma sind offenbar Produkt von Witzbolden, die sich über Nutzer des Internet Explorer lustig machen wollten. Das stellt die hiesigen Medien vor ein Problem: Die Spielverderber von der BBC können schließlich nicht ganz ignoriert werden.

Bild.de gibt sich humorvoll:

Und ergänzt:

Wie Kollegen von Computerbild.de jetzt herausfanden, existierte die Kanadische Beraterfirma AptiQuant nicht einmal.

Doch die Kollegen behaupten nicht einmal selbst, es herausgefunden zu haben: Sie beziehen sich bei ihrer Korrektur ausdrücklich auf die BBC.

(Nicht-)Wissen ist Yacht

Vergangene Woche berichtete Bild.de über die angeblich “teuerste Jacht der Welt”.

Dabei ist die “History Supreme” nicht mal besonders groß (30 Meter). Dafür aber besonders goldig. Etwa 100 Tonnen Gold und Platin will Stuart Hughes verbaut haben.

Der Text ist voller “wills”, “solls” und Konjunktive — aber so unglaubwürdig, um sie einfach unter den Tisch fallen zu lassen, war Bild.de die Meldung dann offenbar auch nicht.

Aufmerksam geworden ist Bild.de auf die Geschichte offenbar durch Berichte in britischen Boulevardmedien, die sich alle nicht die Mühe gemacht hatten, die Ausführungen des angeblichen Schiffsbauers Stuart Hughes zu hinterfragen.

Das übernahm dann das Online-Magazin “Motorboat & Yachting” (MBY) und stellte einige Ungereimtheiten fest:

  • Das Boot soll angeblich an einen “Geschäftsmann aus Malaysia” verkauft worden sein. In Malaysia gibt es aber nur drei Menschen, für die die 3 Milliarden Pfund Kaufpreis einigermaßen bezahlbar wären — der eine ist 72, der andere 87 Jahre alt und die dritte eine Frau. (Außerdem sind die 100 Tonnen Gold drei Mal mehr, als in der Nationalbank von Malaysia lagern.)
  • Die 100 Tonnen Gold sollen zum Ursprungsgewicht von 80 Tonnen hinzugefügt worden sein. Es erscheint äußerst unwahrscheinlich, dass eine 180 Tonnen schwere 30-Meter-Yacht überhaupt schwimmen oder gar fahren kann.
  • Die Fotos, die Stuart Hughes zeigt, stammen von der Website des Yacht-Herstellers Baia und wurden in Photoshop golden angemalt.
  • An Bord soll eine Wand-Installation aus dem Knochen eines Tyrannosaurus Rex sein.

Gestern konnte MBY dann vermelden, dass es sich um einen Fake handelt: Baia bestätigte, dass die Bilder von ihrer Website geklaut und bearbeitet worden seien.

Original.

Fälschung.

Rechtliche Schritte wolle man aber nicht unternehmen:

“(…) It’s such a stupid story it’s not worth it.”

Offenbar nicht dumm genug für Bild.de.

Mit Dank an Uwe R.

You Know I’m No Good

Kaum ist Amy Winehouse tot, kommen die Geier und stürzen sich auf ihren Nachlass — etwa mit “großen Serien” über das “verpfuschte” und “kaputte Leben” der Sängerin.

Aber auch andere wollen ein Stück vom Kuchen:

Jetzt beginnt das Geschacher um ihre Millionen!

Bild.de fasst also kurz zusammen, wie viel da so zu holen sein könnte, und erklärt:

Amy Winehouse konnte in ihrem jungen Leben nur zwei Alben veröffentlichen, aber mit diesen beiden Platten wurde sie weltberühmt – und reich! Album Nummer Zwei “Back to Black” (2006) gehört bis heute zu den erfolgreichsten Alben überhaupt und wurde knapp sechs Millionen Mal verkauft. Allein in Deutschland wurde das Soul-Meisterwerk 119 Wochen (!) auf Platz 1 in den Charts.

Nun kann man über die Definition der “erfolgreichsten Alben überhaupt” streiten, aber die “knapp sechs Millionen” verkauften Einheiten sind da zumindest ein schlechtes Argument. Anders sähe es vielleicht mit den Chart-Platzierungen aus — aber da hat sich Bild.de komplett vergaloppiert.

119 Wochen, das wären fast zweieinhalb Jahre — und 28 Wochen mehr als “My Fair Lady”. Das Album zum Musical führt mit 91 Wochen mit weitem Abstand (und mutmaßlich für alle Zeiten) die Liste der Dauerbrenner auf Platz Eins der deutschen Albumcharts an.

In Wahrheit hatte Media Control, in Deutschland für die Erfassung der Musikverkäufe und die Erstellung der Charts zuständig, am Montag mitgeteilt:

Den großen Durchbruch in Deutschland schaffte Amy Winehouse mit ihrem zweiten Longplayer “Back To Black”, der 2008 die Jahrescharts anführte. Er platzierte sich 119 Wochen in den Top 100 Album-Charts; davon elfmal an der Spitze.

Das ist ja fast das selbe.

Mit Dank an Joe, E.K. und Jaanus.

Nachtrag, 17.30 Uhr: Bild.de hat den Satz geändert in:

Allein in Deutschland war das Soul-Meisterwerk 119 Wochen (!) in den Charts.

Außerdem weist unser Leser Oliver H. darauf hin, dass sich “Back To Black” bisher rund 11,4 Millionen mal verkauft habe — also etwa doppelt so oft, wie Bild.de angibt.

Tankstellen errichten Luft-Schlösser

Geld für Luft! Die Autofahrer-Verbände in Deutschland sind fassungslos über die neueste Abzocke an den Tankstellen!

Das schreit nach maximalem Einsatz von Großbuchstaben in der Überschrift:

Autoverbände entsetzt! Erste Tankstellen verlangen Geld für LUFT! Abgezapft bis zum letzten Tropfen – das kannten Deutschlands Autofahrer bisher nur vom Benzin-Tanken. Jetzt sollen sie auch noch für LUFT zahlen. Verbraucherverbände sind entsetzt.

Die “neueste Abzocke” an deutschen Tankstellen ist dann ganz so neu aber auch nicht mehr.

Schon im März 2010 hatte sich Bild.de darüber echauffiert:

5 Minuten kosten 1 Euro: Tankstellen nehmen jetzt schon Geld für Luft

Mit Dank an Christian P. und Steffen S.

Ein verlorener Tag

Es war ein “verpfuschtes”, ein “kaputtes Leben”, das da am Samstag endete, da ist sich “Bild” sicher. Amy Winehouse, der “tragische Superstar”, ist tot und “Bild” macht heute pflichtschuldig das, was man als Boulevardzeitung eben so macht, wenn mal wieder ein Mensch “tragisch und viel zu früh aus dem Leben” geschieden ist und es noch keine Obduktionsergebnisse zu vermelden gibt: “Bild” protokolliert also “die letzten Tage”.

Die letzten Tage der Amy Winehouse (†27)

Am Mittwoch habe Winehouse im Londoner “Roundhouse” zum letzten Mal auf einer Bühne gestanden, berichtet die Zeitung.* “Am nächsten Tag” (demnach der Donnerstag) habe sich die Sängerin dann mit ihrer Mutter getroffen.

Und “Bild” war anscheinend dabei:

Was Janis Winehouse zu sehen bekam, war besorgniserregend: “Sie war neben der Spur.” Trost geben ihrer Mutter da nur die letzten Worte. “Ich liebe dich, Mum”, sagte Amy zum Abschied.

Nach dem Treffen mit ihrer Mutter ging die Sängerin angeblich Drogen kaufen. Gegen 22.30 Uhr wurde sie mit einem Dealer gesehen, kaufte Heroin, Kokain, Ecstasy und das Pferdebetäubungsmittel Ketamin. Nur Stunden später hören Nachbarn Schreie aus Amys Haus. Als die Sanitäter kommen, zeigt sie noch Lebenszeichen. Um 16.05 Uhr ist Amy Winehouse tot.

Noch mal zum Mitdenken: Donnerstag Abend ging Winehouse “angeblich Drogen kaufen”, “nur Stunden später” werden die Sanitäter gerufen und die Sängerin wird für tot erklärt. Es müssten mehr als 24 Stunden gewesen sein, denn Winehouse starb erst am Samstag.

Diese offensichtliche Diskrepanz muss auch den Leuten bei “Bild” aufgefallen sein: In einer zweiten Version der “letzten Stunden ihres tragischen Lebens” auf Bild.de fand das Treffen zwischen Mutter und Tochter plötzlich am “Freitagvormittag” statt.

Den eigenen Berichten, wonach Winehouse beim Eintreffen der Sanitäter “noch Lebenszeichen” gezeigt habe, hatte Bild.de schon heute Morgen eine gegenteilige Schilderung entgegengesetzt:

Etwa sechs Stunden soll Amy Winehouse († 27) schon tot gewesen sein, als man sie fand. Laut Informationen ihres Sprechers Chris Goodman starb die britische Soul-Sängerin am Samstag allein in ihrem Bett.

Mit Dank an Stefan W.

*) Nachtrag, 21.45 Uhr: Wie verwirrend: In der gedruckten “Bild”-Ausgabe (die wir oben zeigen) stand Amy Winehouse am Donnerstag das letzte Mal auf der Bühne — das ist zwar faktisch falsch, dafür passt dann das Mittagessen am “nächsten Tag”. Bei Bild.de stimmt dann der Tag (Mittwoch), aber der “nächste Tag” ist Quatsch.

Mit Dank an Benjamin W.

Vorzeitiger Mutmaßungserguss

Auf der Online-Hetzplattform “Politically Incorrect” stand gestern naturgemäß schnell fest, wer hinter dem Bombenattentat in Oslo und dem Amoklauf auf der Insel Utøya steckt:

Warum bombt Islam ausgerechnet in Oslo? Sieben Tote sind bisher beim Anschlag in Oslo heute bestätigt. Zugegebenermaßen steht (21.40 Uhr) noch gar nicht fest, ob es der Islam war, der heute in Oslo und Umgebung gebombt und geschossen hat, aber die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch.

Doch die Islamhasser von “PI” sind leider nicht die einzigen, die voreilig Islamisten hinter den Anschlägen vermuteten. Obwohl gestern abend – abgesehen von einigen obligatorischen Jubelmeldungen in irgendwelchen islamistischen Foren – nichts auf einen solchen Hintergrund hinwies, setzte ein beispielloses Mutmaßungswettrennen ein.

Als erstes spekulierte “Spiegel Online” fröhlich drauf los:

Sollte es sich tatsächlich um einen Terroranschlag handeln, dürfte der Verdacht auf al-Qaida oder von dem Terrornetzwerk inspirierte Täter fallen. Die norwegischen Sicherheitsbehörden sind sich seit Jahren bewusst, dass das Land zum Ziel von Terroristen werden könnte; erst vor wenigen Wochen wurde die Einschätzung erneuert, dass Anschläge im Land möglich seien.

(…)

Wenn die Explosion vom Freitag tatsächlich auf al-Qaidas Konto geht, wäre es der erste Anschlag im Westen seit den Bomben in der Londoner U-Bahn 2005 – und der erste seit dem Tod Osama Bin Ladens. Noch hat sich jedoch niemand zu der Tat bekannt.

Nicht viel später erschien auf Welt.de dieser Artikel:

Terrorismus Drucken Bewerten Autor: Florian Flade| 22.07.2011 Norwegen ist Zielscheibe für Islamisten Al-Qaida und andere Terrror-Organisationen haben Norwegen längst ins Visier genommen. Schlüsselfigur könnte ein kurdischer Islamisten-Führer sein.

Als immer offensichtlicher wurde, dass wohl kein islamistischer Hintergrund vorlag, wurde der Artikel von der Welt.de-Startseite entfernt.

Bild.de fragte gestern um 19:58 Uhr zwar, was hinter dem Anschlag steckt, aber die möglichen Antworten drehten sich nur darum, wie der islamistische Hintergrund der Tat genau aussieht:

Terror in Skandinavien Was steckt hinter dem Terror-Anschlag in Oslo? Motiv-Suche: Norwegen ist an den Militär-Operationen in Afghanistan und Libyen beteiligt - Zeitungen haben die Mohammed-Karikaturen nachgedruckt

Dabei bemerkt Bild.de selbst, dass Norwegen nicht unbedingt als wahrscheinlichster Ort für einen islamistischen Anschlag in Frage kommt:

Norwegens Mitte-Links-Regierung von Regierungs-Chef Jens Stoltenberg setzt auf eine liberale Ausländerpolitik und einen Dialog mit muslimischen Zuwanderern.

Provozierende politische Entscheidungen, die Islamisten gereizt haben könnten, hat es in der jüngsten Vergangenheit nicht gegeben.

Bild.de kann die eigenen Bedenken dann aber doch zerstreuen:

Allerdings: Norwegen ist in der Nato und beteiligt sich an den Militär-Operation in Afghanistan und Libyen.

MOTIV AFGHANISTAN? (…) MOTIV LIBYEN? (…) MOTIV 9/11? (…) MOTIV KARIKATUREN?

oe24.at wartete gestern abend mit dieser Überschrift auf (man beachte die “doppelt spaßige” Werbeeinblendung über “Terror in Oslo”):

Al-Qaida unter Verdacht

Zumindest die norwegischen Behörden äußerten zu keinem Zeitpunkt einen solchen Verdacht.

Und selbst in der gestrigen Tagesschau mutmaßt “ARD-Terrorismus-Experte” Rainald Becker (ab 4:40):

Insgesamt spricht Vieles bei dem Anschlag in Oslo für einen islamistischen Hintergrund, eine Bestätigung dafür gibt es aber noch nicht.

Die “B.Z.” wiederum behauptet sogar noch in ihrer heutigen Ausgabe, der Terror sei zurück in Europa:

Der Terror ist zurück in Europa

Diese Formulierung ergibt nur einen Sinn, wenn man den Angriff als Teil des internationalen (islamistischen) Terrorismus versteht.

Vielleicht sollten all die Terrorismus-Experten und Instinktjournalisten einmal den erhellenden Kommentar “Der Moslem war’s!” auf derStandard.at lesen. Er endet mit diesen Worten:

Im Journalistenalltag entzieht man sich nicht leicht solchen Mechanismen: alle melden, dass es so ist, also muss nachgezogen werden. Die internationalpolitische Redaktion von derStandard.at entschließt sich, zu warten: die norwegischen Behörden und niemand anderer soll sagen, was Sache ist.

Am späten Abend wird diese Haltung bestätigt: Die norwegische Polizei gibt bekannt, internationale Zusammenhänge als Hintergrund für die Anschläge auszuschließen und bestätigt die Verhaftung eines Verdächtigen: ein Norweger, der sich im rechtsextremen Milieu bewegt.

Eine Überraschung sollte das nicht sein: von 249 Terroranschlägen in der EU im Jahr 2010 wurden lediglich drei von Islamisten begangen. Dass alle diejenigen, die bei jeder Gelegenheit Muslime als Schuldige für alles Schlechte in der Welt zur Hand haben, nun für einen Moment innehalten und ihre Vorurteile überdenken, das darf freilich bezweifelt werden.

Mit Dank auch an die vielen Hinweisgeber!

Nachtrag, 22:39 Uhr: Bereits gestern hat Manfred Schermer für den Online-Auftritt der “Fuldaer Zeitung” einen unfassbaren Kommentar verfasst, in dem er behauptet, vieles würde auf einen islamistischen Hintergrund hindeuten. Er macht nicht nur die “liberale Ausländerpolitik und einen Dialog mit muslimischen Einwandern” durch Norwegen als Ursache für den vermeintlich islamistischen Anschlag aus, sondern fordert auch gleich die Beschneidung von Freiheiten.

Mehr dazu bei Stefan Niggemeier:

Kommt Zeit, kommt Rad

Gestern berichteten wir über die traurige Geschichte des kleinen Ben, dessen Kinderfahrrad laut “Bild” von einem herzlosen Zugchef am Bahnhof Regensburg ausgesetzt worden war, und den Widerspruch der Deutschen Bahn.

Dank zahlreicher Leserhinweise können wir folgende Nachträge machen:

Es ist geradezu ausgeschlossen, dass die Mutter des Jungen “im Wiener Hauptbahnhof zwei Tickets für den ‘ICE 22’ nach Frankfurt/Main” gekauft hat — Wien hat nämlich (noch) gar keinen Hauptbahnhof. Der “ICE 22”, der auch in Frankfurt hält, verkehrt vom Westbahnhof.

Der gutmütige Unternehmer, der dem kleinen Ben ein neues (zweites) Fahrrad geschenkt hatte, ist – anders als wir vermutet hatten – wohl eher nicht auf die “Bild”-Berichterstattung reingefallen. Es handelt sich vielmehr um einen guten, alten Bekannten der Zeitung: Tobias Huch war in “Bild” und bei Bild.de in den vergangenen Jahren wahlweise als “Erotik-Millionär”, “Musik-Produzent”, “Internet-Guru”, “YouPorn-Retter”, “IT-Experte”, “Deutschlands IT-Legende”, “Internet-Experte”, “Datenschützer”, “Medien-Mogul” oder “Internet-Pionier” in Erscheinung getreten und hatte auch die Facebook-Seite “Gegen die Jagd auf Karl-Theodor zu Guttenberg” ins Leben gerufen.

Tobias Huch schrieb zu unserem gestrigen Eintrag bei Facebook, er glaube der Deutschen Bahn kein Wort. Auf unsere Frage, ob er sich erklären könne, warum Bild.de plötzlich seinen Nachnamen abkürzt, antwortete er:

Das weiss ich selber nicht. Vielleicht war es journalistisch nicht wichtig.

Das mag durchaus stimmen. Journalistisch wichtiger wäre es da schon gewesen, zu schreiben, dass die Deutsche Bahn erklärt hatte, dass das Fahrrad des Jungen “sichergestellt” sei.

Mit Dank an die vielen, vielen Hinweisgeber!

Jim Knopf und die Suggestiv-Führer von “Bild”

Der Schaffner hat mein Rad einfach aus dem ICE geworfenDer siebenjährige Ben hat sich viel Mühe gegeben, Enttäuschung, Wut und Verständnislosigkeit in seinen Blick zu legen, als der “Bild”-Fotograf ihn abgelichtet hat. Aber Ben hat natürlich auch allen Grund: Sein “geliebtes Rad”, ein “harmloses Kinderrad”, ist “verschwunden”.

Und das kam so:

Mutter Petra E. (46), eine Deutsche, die in Österreich lebt, kaufte im Wiener Hauptbahnhof zwei Tickets für den “ICE 22” nach Frankfurt/Main. Sohn Ben verbringt seine Schulferien bei Oma.

Weil der Erstklässler so gerne radelt, will er sein neues Mountainbike mitnehmen. Mutter Petra: “Wir haben im Bahnhof extra gefragt. Der Schalterbeamte sagte, dass es kein Problem sei.”

“Mehrmals” hätten Schaffner den Zug kontrolliert, so “Bild”, “niemand” habe sich an dem Fahrrad im Gepäckfach gestört.

DOCH DAS ÄNDERT SICH IN DEUTSCHLAND, WO DAS ZUGPERSONAL WECHSELT!

Kurz vor dem Bahnhof Regensburg habe der Lautsprecher “gekreischt”, so “Bild” weiter: Der Besitzer des Kinderfahrrades habe sich “unverzüglich” melden sollen, der Zugchef habe Mutter und Sohn “zur Rede” gestellt. Entweder die beiden sollten mit dem Rad aussteigen oder das Rad werde “entfernt”.

Da Mutter und Sohn nicht aussteigen, stellt der Herzlos-Schaffner das Rad auf den Bahnsteig. Traurig sieht der Junge, wie die Türen schließen, der ICE losrollt …

“Bild” beschreibt diese Szene so anschaulich, dass man meint, das orangefarbene Funkeln in den Augen des “Herzlos-Schaffners” zu erkennen. Womöglich hat er gar ein wenig nach Schwefel gerochen — oder wenigstens nach Knoblauch. Das Fahrrad jedenfalls, das sei “seither verschwunden”.

Bereits am Freitag, als die herzzerreißende Geschichte bundesweit in “Bild” erschien, veröffentlichte die Deutsche Bahn eine Pressemitteilung, in der sie den “Bild”-Bericht zurückwies.

Zunächst einmal sei eine Fahrradmitnahme in ICE-Zügen “generell nicht erlaubt”, da eine sichere Mitnahme von Fahrrädern (“auch von Kinderfahrrädern”) dort nicht gewährleistet sei. Warum die Mutter laut eigener Aussage von den österreichischen Schalterbeamten die Auskunft bekommen haben soll, die Mitnahme des Kinderrades im ICE sei möglich, könne die Deutsche Bahn “nicht nachvollziehen”.

Bei dem bereits am 2. Juli stattgefundenen Vorfall wurde nach Angaben beider ICE-Zugbegleiter die betroffene Familie sachlich über die entsprechende Regelung und alternative Weiterreisemöglichkeiten über Züge mit Fahrradmitnahme informiert. Daraufhin entschloss sich die Mutter, die Fahrt im ICE trotzdem fortzusetzen und ließ das Fahrrad – laut ihrer Aussage gegenüber dem Zugpersonal – in eigener Verantwortung auf dem Bahnhof Regensburg zurück.

(…) Auch wenn die DB-Zugbegleiter gemäß den geltenden Richtlinien gehandelt haben, sieht sich die Deutsche Bahn in der Verantwortung für ihre Fahrgäste.

Dementsprechend wurde das Fahrrad von Bahnhofsmitarbeitern in Regensburg sichergestellt und wird jetzt der Familie zusammen mit einem Reisegutschein zur Wiedergutmachung zugestellt. Die Deutsche Bahn bedauert die für die Familie entstandenen Unannehmlichkeiten.

Anders als “Bild” behauptet, ist das Fahrrad also nicht “verschwunden”, sondern in der Obhut der Deutschen Bahn.

Bei Bild.de scheinen sie diese Pressemitteilung allenfalls halbherzig gelesen zu haben:

Die Deutsche Bahn hat die Darstellung des Vorfalls im ICE mittlerweile zurückgewiesen. Nicht das Zugpersonal habe das Fahrrad des Jungen aus dem Zug entfernt, sondern seine Mutter. Sie habe es am Bahnhof Regensburg selbst zurückgelassen, nachdem sie auf das in ICEs geltende Fahradverbor aufmerksam gemacht worden war, heißt es in einer Stellungnahme des Konzerns.

So steht es unter dem heutigen Artikel — einfach nachträglich drangeklatscht, nachdem dieser schon veröffentlicht worden war.

Bild.de wiederholt dort noch einmal die rührseligen und offensichtlich falschen Schilderungen der Zeitung.

Da Mutter und Sohn nicht aussteigen, stellt der Herzlos-Schaffner das Rad auf den Bahnsteig. Traurig sieht der Junge, wie die Türen schließen, der ICE losrollt … Das Rad ist seither verschwunden.

Aber es gibt ja eine gute Nachricht:

Jetzt erhielt Ben Ersatz! Allerdings nicht von der Bahn – sondern von einem empörten Unternehmer aus Mainz, der durch die BILD-Berichterstattung aufmerksam wurde.

Tobias H. (29) schenkte dem Jungen ein neues Bike: “Wenn man sich reinversetzt in einen 7-jährigen Jungen – das trifft einen im Herzen!”

Der kleine Ben hat jetzt also zwei Fahrräder und der gutmütige Unternehmer ist auf die “Bild”-Berichterstattung reingefallen.

Mit Dank an Sven S.

Haarte Zeiten für Wayne Rooney

Es gibt Geschichten, die schreiben sich fast von alleine. Die Sache mit Wayne Rooney, dem britischen Fußballspieler, der sich vor sechs Wochen Haare transplantieren ließ, aber heute scheinbar mehr Glatze hat als vorher, ist so eine Geschichte. Es brauchte nur eines Fotos, auf dem man einen klaren Blick auf die aktuellen Haarverhältnisse auf Rooneys Schädel werfen konnte, und keiner Recherche. Boulevardmedien in aller Welt, von Bild.de über die “Sun” bis “Spiegel Online”, machen sich mit unverhohlener Häme über den scheinbaren Misserfolg der Operation lustig.

“Trotz Moos nix los”, feixt “Spiegel Online”, wo sich offenbar schlecht bezahlte Mitarbeiter damit trösten, dass man sich mit Geld doch nicht alles kaufen kann: “Fußballstar Wayne Rooney hat Tausende Pfund in eine Haartransplantation investiert. Die Resultate sind äußerst spärlich.” Zunehmend müsse sich Rooney “eingestehen, dass die Transplantation wohl wenig bis gar nichts gebracht hat”.

Die Konkurrenz von Bild.de titelt: “Bei Rooney wächst kein Gras mehr…”, zweifelt am “langfristigen Erfolg der Behandlung” und meint, Rooney hätte die 11.000 Euro, die die Umpflanzung der Haare angeblich gekostet hat, besser für einen “schönen Urlaub” ausgegeben: “Mit Sonnencrème für die Glatze…”.

Die Online-Redaktion der “Rheinischen Post” diagnostiziert: “Transplantation ohne Wirkung”. Grundlage dafür ist ein Bericht des Sport-Informationsdienstes, dessen Haar-Experten heute meldeten: “Wayne Rooney (25), englischer Fußball-Nationalspieler in Diensten von Manchester United, muss sich wohl mit dem Gedanken an eine Glatze abfinden.”

In einem Wort: nein.

Vermutlich wird Rooney sogar damit gerechnet haben, zum jetzigen Zeitpunkt weniger Haare zu haben als vor dem Eingriff. Die Leute, die solche Transplantationen anbieten oder vermitteln, weisen nämlich ausdrücklich auf folgenden Umstand hin: Einige Wochen nach der Operation fallen die meisten verpflanzten Haare (und teilweise sogar einige alte Haare) zunächst einmal aus. Die Wurzeln bleiben aber erhalten. Erst nach etwa drei bis vier Monaten beginnt das neue Haar zu wachsen; abgeschlossen ist das alles nach rund einem Jahr.

Was hätte das für eine nette Geschichte werden können, wenn man das aufgeschrieben hätte: Ein Lehrstück an einem prominenten Beispiel, mit weniger Häme über den doofen reichen haarlosen Fußballspieler, aber voller Hoffnung für Menschen, die an Haarausfall leiden. Es hätte halt jemand recherchieren müssen, anstatt bloß auf- und abzuschreiben, was jeder sieht und sich (fälschlicherweise) denkt, aber wer sollte das tun? Journalisten?

Mit Dank an Andreas K.!

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