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Die Radikalos-Kampagnen der Brandstifter-Journalisten

“Pleite-Griechen” hat “Bild” schon lange nicht mehr geschrieben. Gut, vor einer Woche noch, aber schon lange nicht mehr so häufig wie vor ein paar Jahren. Inzwischen passt der Name auch nicht mehr ganz so gut, denn jetzt haben sie ja bekanntlich Geld (unser Geld), mit dem sie ihr Hängematten-Luxus-Leben finanzieren, und weil sie immer noch mehr Geld haben wollen (unser Geld), nennt die „Bild“-Zeitung sie jetzt die „gierigen Griechen“ — und rief Deutschland am Donnerstag dazu auf, per Selfie zu protestieren:

Die Kampagne wurde von vielen Seiten stark kritisiert, auch vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV), der Bild.de noch am gleichen Tag aufforderte, „sofort die laufende Anti-Griechen-Kampagne zu stoppen“ – allerdings mit einer merkwürdigen Begründung. In der Pressemitteilung heißt es:

„Die Griechenland-Politik der Bundesregierung kann man mögen oder ablehnen“, sagte DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken. Eine Kampagne, die direkten Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen wolle, verbiete sich aber mit der beschreibenden Aufgabe des Journalismus. „Dass Boulevard-Medien eine andere Sprache und einen anderen journalistischen Stil pflegen, ist selbstredend. Die Selfie-Aktion von Bild.de überschreitet aber die Grenze zur politischen Kampagne“, kritisierte Konken.

Politische Kampagne? Wenn es danach geht, müsste der DJV eigentlich jeden zweiten Tag einschreiten, immerhin gehören Aktionen, die „Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen“ wollen, zum redaktionellen Alltag der „Bild“-Zeitung.

Nein, das Schlimme ist nicht die Tatsache einer Kampagne, sondern dass die „Bild“-Zeitung wieder ein ganzes Volk stigmatisiert und diffamiert (was der DJV immerhin für „medienethisch bedenklich“ hält), so wie sie es jahrelang mit der „Pleite-Griechen“-Berichterstattung getan hat. Und dass sie ihre Artikel mit diesem hetzerischen Wir-gegen-die-Gefühl auflädt, das durch die Selfie-Aktion nochmal auf besonders eklige Weise gestärkt und verbreitet wurde. Wir machen Fotos von uns, wir schließen uns zusammen, damit die kein Geld mehr kriegen.

Immerhin: Allzu erfolgreich war die Mob-Mobilisierung offenbar nicht. Laut Axel-Springer-Verlag kamen bis Donnerstagvormittag Fotos im “hohen dreistelligen Bereich” zusammen – das entspricht, gemessen an der Reichweite von „Bild“ und Bild.de, einer Mithetz-Quote von 0,004 Prozent.

Um überhaupt auf diese Zahl zu kommen und den Protest trotzdem als „gewaltig“ (Bild.de-Chef Julian Reichelt) zu verkaufen, musste „Bild“ ein bisschen tricksen: Knapp die Hälfte der auf Bild.de gezeigten „NEIN!“-„Selfies“ kam nicht von den Lesern selbst, sondern von „Bild“-Fotografen, die auf der Straße Passanten angesprochen hatten.

(Im Original ist der Kopf natürlich dran.)

In den sozialen Medien wurden währenddessen zahlreiche Gegenaktionen gestartet, viele sagten „NEIN!“ zur Hetze und zeigten sich solidarisch mit Griechenland. Selbst auf der Startseite von Bild.de wurde zeitweise versteckte Kritik laut, wenn auch eher unfreiwillig:

Da baute Bild.de dann lieber schnell wieder Brüste ein:

Und sogar im Bundestag wurde die Kampagne kritisiert. Axel Schäfer, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion, hielt die (von ihm durchgestrichene) „Bild“-Seite gestern während einer Rede hoch und sagte unter Applaus:

Wir sind hier sicherlich in einer Reihe von Punkten unterschiedlicher Auffassung. Das ist auch gut so, dass wir das diskutieren. Aber in einem Punkt sollten wir uns hier alle (…) einig sein: Wir unterstützen keine Kampagnen gegen andere Länder. Wir unterstützen das nicht!

Wenige Stunden später erschien ein Kommentar von „Bild“-Chef Kai Diekmann, was nicht oft vorkommt und in diesem Fall wie der Versuch wirkt, das Feuer ein wenig zu löschen. Diekmann bemüht sich sogar, so zu tun, als habe er Mitgefühl mit den Griechen. Griechenland sei „ein geschundenes Land“, schreibt er.

Die Menschen leiden unter der schwersten Schulden- und Wirtschaftskrise in der Geschichte des geeinten Europas. Die Arbeitslosigkeit nimmt einer ganzen Generation Hoffnung und Zukunft.

„Bild“ sei …

nicht nur in Deutschland, sondern auch in Griechenland nah bei den Menschen.

Wir haben Mitgefühl mit den Leuten, die unter dieser epochalen Krise leiden, die ihre Existenz verloren haben. Unsere

Huch, Verzeihung. Das muss da irgendwie zwischengerutscht sein. Wie war das, Herr Diekmann?

Wir haben Mitgefühl mit den Leuten, die unter dieser epochalen Krise leiden, die ihre Existenz verloren haben. Unsere

Ach, verdammt. Sorry. Jetzt aber, Herr Diekmann.

Wir haben Mitgefühl mit den Leuten, die unter dieser epochalen Krise leiden, die ihre Existenz verloren haben. Unsere Reporter haben immer wieder über die Verelendung eines ganzen Landes berichtet. Über volle Suppenküchen. Über mittellose Menschen, die in Mülltonnen wühlen müssen.

Stimmt. Wenn die Reporter nicht gerade Besseres zu tun hatten.

Diekmann erweckt den Anschein, als sei das Besondere an der „Bild“-Berichterstattung, dass sie unermüdlich „die verfehlte Griechenland-Politik in Deutschland und Europa“ kritisiere und „unseren und den griechischen Politikern ihre gebrochenen Versprechen“ vorhalte. Aber das machen auch viele andere Medien. Das Besondere an der „Bild“-Berichterstattung ist, dass sie das Ansehen Griechenlands gezielt in den Dreck zieht. Nicht nur mit den großen Haudrauf-Aktionen, sondern mit permanenten Sticheleien. Wer an Griechenland denkt, soll sofort ein negatives Bild vor Augen haben, soll an Gier, Faulheit und Betrug denken.

Und wer an die griechische Regierung denkt, soll Angst um sein Geld haben. Immer und immer wieder nennt “Bild” sie die „Griechen-Raffkes“ oder „Raffke-Griechen“ oder „Radikalo-Griechen“ oder „Griechos Radikalos“ oder „Radikalos-Regierung“, Premier Tsipras ist der „Krawall-Grieche“ oder „Raffke-Minister“, aus Finanzminister Varoufakis wird Finanzminister „Varoutricksis“ oder „Griechenlands Radikalo-Naked-Bike-Rider“.

Das mit dem Naked Bike kommt von Béla Anda, dem Politik-Chef von “Bild”. Der wettert besonders eifrig gegen die “Radikalos-Regierung” und schreibt Dinge wie:

Wie lederbejackte Rüpel-Rocker röhren Griechenlands Neo-Premier und sein Posterboy-Finanzminister seit ihrem mit platten Parolen erzielten Wahlsieg durch Brüssel. Ihr Gesetz ist die Straße. Hier sind sie (politisch) groß geworden. Hier ist ihre Hood. Deren Unterstützung wollen die Kawa-Naked-Biker (zumindest Varoufakis hat eine) nicht verlieren.

“Naked Bike” ist übrigens einfach nur die Bezeichnung für ein Motorrad ohne Verkleidung. Das erwähnt Herr Anda nicht, aber es wäre ja auch zu schade um die schönen Assoziationen in den Köpfen der “Bild”-Leser. (Mehr zu Andas “Radikalos“-Geschreibsel können Sie nebenan bei Stefan Niggemeier lesen.)

Yanis Varoufakis, der Finanzminister und lederbejackte Radikalo-Rüpel-Raffke-Rocker-Naked-Bike-Rider-Posterboy ist ohnehin das beliebteste Ziel der „Bild“-Attacken. Dem Blatt scheint jedes Mittel recht und keine Masche zu blöd, um Varoufakis wie einen irren, gierigen, deutschenfeindlichen Unhold aussehen zu lassen. So zum Beispiel:

Der Teaser lautet:

Keine Krawatte, der Kragen seines Sakkos hochgestellt, Hände in den Hosentaschen: So zeigen die meisten Fotos Yianis Varoufakis. Der griechische Finanzminister war jahrelang als Wirtschaftsprofessor tätig und ist für seine provokanten Aussagen bekannt.

Mit einer drastischen Geste – dem gestreckten Mittelfinger – zeigte er in der Vergangenheit auf Deutschland! BILD erklärt, zu welchem Anlass.

Erst im Artikel liest man, dass die „drastische Geste“ gar nicht so gemeint war, wie Bild.de suggeriert. Dort steht nämlich, dass Varoufakis den Finger schon vor zwei Jahren gezeigt hat und dabei sagte:

„Griechenland hätte im Januar 2010 einfach ankündigen sollen, dass es seinen Verpflichtungen im Euro nicht nachkommen kann – wie Argentinien es getan hat – und Deutschland den Mittelfinger zeigen und sagen sollen ‘Jetzt könnt ihr das Problem allein lösen!’“

Das alles erfahren aber nur zahlende „Bild-Plus“-Leser. Für alle anderen bleiben nur Schlagzeile und Teaser und damit der Eindruck, Varoufakis habe “uns” vor Kurzem den Mittelfinger gezeigt.

So verwenden die „Bild“-Leute alles, was sie von oder über Varoufakis finden, gegen ihn. Selbst sein Schriftbild.

BILD befragte dazu die Graphologin Christiane Sarreiter.

„Die Unterschrift ist extravagant“, analysiert die Expertin. „Neben Dynamik und Euphorie stecken Pathos und Geltungsbedürfnis dahinter.“

Klar.

Auffallend seien die vielen Schnörkel. „Das wirkt sehr selbstgefällig“, erklärt Christiane Sarreiter. „Er gefällt sich anscheinend in seiner neuen Rolle als Finanzminister.“ (…)

Merkwürdig sei vor allem, dass der Schlusszug wieder scharf nach links zurückgehe. „Das wirkt, als würde er sich selbst wieder durchstreichen, als würde er unbewusst das zuerst Gesagte wieder zurücknehmen.“

Oha! Was könnte das nur bedeuten, „Bild“?

Vielleicht will Varoufakis damit ausdrücken, man müsse ihn nicht immer wörtlich nehmen, es sei nicht alles so ernst gemeint?

Oder vielleicht will er damit ausdrücken, dass er gerne nackt Motorrad fährt?

Die Handschrift der “Bild”-Zeitung verrät jedenfalls, dass sie es auf die Griechen abgesehen hat, und dass es ihr ernst damit ist. Und wenn sie fragt:

… hätten wir eine Antwort. Aber es ist keiner von den beiden.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber!

Bild, Bild.de  etc.

Kachelmann vs. Bild

Verhandlungen vor deutschen Gerichten sind selten so spannend und ereignisreich, wie man es aus amerikanischen Serien und Filmen gewohnt ist. Noch dazu, wenn es sich nicht um einen Straf- sondern einen Zivilprozess handelt und eigentlich vorher schon klar ist, dass heute wenig bis nichts passieren wird.

Mehr als ein Dutzend Kameraleute und Fotografen stehen sich trotzdem gegenseitig auf den Füßen herum im Flur des Kölner Landgerichts, um gleich für zwei Minuten absolut nichtssagende Schnittbilder des Klägers Jörg Kachelmann, seinen Anwälten und einigen beeindruckenden Aktenbergen, auf die ein Gerichtsdiener extra hinweist, zu produzieren. Für die Gegenseite interessiert sich niemand.

Die Gegenseite, die Beklagten, das sind die Axel Springer SE als Herausgeberin der “Bild”-Zeitung und Bild Digital als Verantwortliche hinter Bild.de. Beide Medien hatten vor fünf Jahren eine beispiellose Berichterstattung über den Meteorologen Jörg Kachelmann begonnen, dem eine frühere Lebensgefährtin damals vorgeworfen hatte, sie vergewaltigt zu haben. “Bild” und Bild.de hatten – neben anderen Medien wie “Focus” und “Bunte”, gegen deren Verlag Kachelmann in einem weiteren Prozess vorgeht – anhaltend und ausführlich aus dem Intimleben Kachelmanns berichtet und dafür schon zahlreiche juristische Schlappen erlitten. Nach seinem Freispruch im Jahr 2011 fordert Kachelmann jetzt 2,2 Millionen Euro Geldentschädigung von “Bild” und Bild.de.

Die Menschen im Gerichtssaal versuchen, die ganze Zeit über interessiert zu wirken, was ihnen aber nicht immer gelingt. So werden viele Zeigefinger an Schläfen gelegt und Schriftsätze begutachtet. Die anwesenden Journalisten machen sich Notizen über die Kleidung Kachelmanns (dunkler Anzug, blaue Krawatte) und die Optik des Gerichtssaals (helles Holz, viel Braun). Das Kölner Landgericht ist schön wie die Ruhr-Universität Bochum.

Begriffe wie “Selbstöffnung” (wer sein Privatleben in der Öffentlichkeit ausbreitet, hat weniger Anrecht auf Privatsphäre als jemand, der sich zu intimen Details nicht äußert — das Gericht sieht bis heute keine solche Selbstöffnung bei Kachelmann), “kumulative Berichterstattung” und “Schmähkritik” werden engagiert diskutiert und zu definieren versucht.

Im Wesentlichen geht es hier um die Frage, in wie vielen Fällen “Bild” und Bild.de Kachelmanns Persönlichkeitsrechte verletzt haben (diese Zahl hat dann Auswirkungen auf die Höhe der Geldentschädigung), und darum, ob auch Berichte dazugerechnet werden, gegen die Kachelmann gar keine Unterlassungsansprüche geltend gemacht hatte. Kachelmanns Anwalt Ralf Höcker hatte zuvor argumentiert, dass sein Mandant gar nicht gegen alle zweifelhaften Artikel von “Bild” und Bild.de hätte vorgehen können, weil der Verlag durch alle Instanzen gehe und sich die Gerichtskosten im schlimmsten Falle auf 3,5 Millionen Euro summiert hätten — Geld, das Kachelmann im Gegensatz zu Springer nicht habe.

Es dürfte das Verlagshaus daher auch nicht wirklich schmerzen, sollte es am Ende die von Kachelmann geforderten 2,2 Millionen Euro zahlen müssen — wonach es allerdings nicht aussieht: Der Vorsitzende Richter Dirk Eßer lässt von Anfang an durchblicken, dass das Gericht eine Entschädigung für richtig hält, diese aber deutlich niedriger ausfallen dürfte. Das Gericht sieht 36, womöglich 47 schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzungen: mindestens 15 von Bild.de und mindestens 21 von “Bild”.

Eine organisierte Pressekampagne zwischen Springer und Burda, wie sie Kachelmanns Anwälte erkannt haben wollen, sieht das Gericht eher nicht — die Springer-Anwälte sehen die Schuld an der damaligen Berichterstattung erwartungsgemäß nicht bei einer “Bande von Journalisten”, sondern bei der offensiven Pressearbeit der Staatsanwaltschaft und des Landgerichts Mannheim.

Für ein paar kurze Momente wird es dann doch noch lustig und geistreich, als Höcker und Gegenanwalt Hegemann durchspielen, wie sie an Stelle des jeweils anderen auf Argumente der Gegenseite reagiert hätten. Der Unterhaltungswert fällt dann aber sehr schnell wieder von dem Niveau einer Folge “Liebling Kreuzberg” auf das der Verlesung der Lottozahlen.

Eher nebensächlich lässt Höcker einfließen, dass ihm eine E-Mail der Gegenseite aus der Zeit des Verfahrens gegen Kachelmann vorliege, die er als “Erpressungsversuch” bezeichnet: “Bild” hätte einen Ausblick auf die zukünftige (wohl besonders negative) Berichterstattung über Kachelmann und dessen damaligen Verteidiger Reinhard Birkenstock geboten, bei einer gewissen Kooperationsbereitschaft aber freundlichere Artikel in Aussicht gestellt.

Es war, wie gesagt, klar, dass es hier heute keine Einigung und kein Urteil geben würde, mithin keine Summe, die gleich aufgeregt in die Redaktionen getickert werden kann. Der Vorsitzende Richter gibt den beiden Seiten sechs Wochen Zeit, sich zu einigen. “Sprechen kann man immer”, sagt Springer-Anwalt Hegemann, was aber auch eher nach einer halbherzigen Zusage zum Besuch beim Paartherapeuten klingt als nach der Aussicht auf eine außergerichtliche Einigung. Wenn dabei nichts rumkommt, will das Gericht am 24. Juni ein Urteil verkünden — “mein Namenstag”, wie Anwalt Jan Hegemann feststellt.

Fans etwas grobschlächtigerer Metaphern kommen anschließend aber auch noch auf ihre Kosten, als Kachelmann und Höcker gemeinsam mit den sie belagernden Kameraleuten in der automatischen Drehtür des Gerichtsgebäudes stecken bleiben.

“Bild” und die Sadomaso-Sabberei

Am Donnerstag kommt “Fifty Shades of Grey” in die Kinos, was von “Bild” seit geraumer Zeit mit einem knisternden Artikelfeuerwerk gewürdigt wird:

Das Liebes-Loft von Christian Grey - Countdown zum heißesten Film des Jahres ++ In Malaysia ist er verboten
Literarisches Vorspiel zum Kino-Start von 'Fifty Shades of Grey' - Das heißeste Sex-Kino ist immer noch Ihr Kopf
'50 Shades of Grey' in 6 Tagen im Kino - Schlecht ist GEIL! - Warum erobert ein eher unbeholfen geschriebenes Märchen über dunklen Sex die ganze Welt?
Wenn der Film vorbei ist... So klappt das 'Shades of Grey'-Nachspiel zu Hause!
BILD zu Besuch im SM-Folterkeller - In den Händen des deutschen Mr. Grey
Neue BILDplus-Serie - Ich mache mein Geld mit der Lust
'Fifty Shades of Grey' für Anfänger - Der große SM-Ratgeber bei BILD

Das da oben sind nur die Schlagzeilen aus den letzten sechs Tagen. Begonnen hat die Hechelei aber schon vor vielen Monaten (Liste mit Sicherheit unvollständig):

50 Schlagzeilen zu SM-Sex

Als das Buch rauskam, präsentierte Bild.de “exklusive Auszüge”, zum Hörbuch gab es “exklusive Audioproben”, und seit die Verfilmung angekündigt wurde (SM-Sex! Auf der Leinwand! Mit Hollywood-Stars!), drehen sie in der Redaktion ohnehin völlig am Rad.

Sie fragten:

Welche Hollywood-Beauty ist die perfekte Sex-Sklavin?

… und:

Wie fesselnd wird DER Film, den Frauen heiß ersehnen?

Freuten sich diebisch über …

'Fifty Shades of Grey' - die ersten Bilder vom Set!

… verkündeten enttäuscht:

Penis-Klausel! Wir werden IHN nicht nackt sehen!

… und feierten den bevorstehenden Trailer, als ginge es um die Ankunft des Heilands persönlich:

'Fifty Shades of Grey - Morgen kommt ER! ... der Film-Trailer, auf den die Welt wartet

Den ersten Trailer zu „Fifty Shades of Grey“ gibt es morgen natürlich bei BILD!

Natürlich.

Und natürlich diente das Buch immer wieder als willkommener Vorwand für fesselnde Erfahrungsberichte und rattenscharfe Ratgeber:

Wie geht eigentlich 'Shades of Grey'?
'Shades of hä' - wie geht eigentlich Fessel-Sex?' data-lazy-src=

Und selbst für solche Geschichten waren sich die “Bild”-Leute nicht zu blöd:
Von wegen 50 Shades of Grey! - 50 Shades of GRAU
Die Trilogie ist vor allem bei Frauen beliebt, aber nicht für jeden etwas. Daher hier UNSERE 50 Shades of Grau ... 1. Anthrazitgrau, 2. Schiefergrau, 3. Umbragrau, 4. Blaugrau, 5. Basaltgrau ...

Der Artikel geht tatsächlich bis 50 (“Lichtgrau”) weiter. Und endet danach ohne weitere Erklärung.

Jedenfalls — gestern kam dann endlich der Höhepunkt der Sabbersause:

BILD zeigt den Busen, auf den die Welt wartet! [Dazu ein großes Foto der halbnackten Dakota Johnson]

(Unkenntlichmachung von uns.)

Das Foto stammt jedoch nicht aus dem Film, denn von den so gierig ersehnten Nacktszenen sind bisher noch keine veröffentlicht worden. Nein, um die Notgeilheit ihrer Leser und Macher endlich zu befriedigen, musste die “Bild”-Zeitung in ihre Trickkiste greifen:

Diese Knospen erblühen ab Donnerstag auf unseren Kinoleinwänden! Da bislang keine Nacktszenen aus dem Film veröffentlicht wurden, gibt es von Dakota Johnson nur diese Aufnahmen beim Nacktbaden in Italien

In medialem Sadismus waren sie eben schon immer Experten.

Gestatten, Cristiano Ronaldo, Fantastilliardär

In der Tat:

Bei diesem Einkommen hat Ronaldo genug Grund zum Jubeln [dazu ein Foto von Ronaldo beim Jubeln]

Cristiano Ronaldo (30) ist Weltfußballer, Superstar bei Real Madrid und verdient Ihr Jahresgehalt in wenigen Minuten: Laut „Forbes-Liste“ ist der Portugiese die Nummer zwei der bestverdienenden Sportler der Welt.

Was genau das bedeutet, erklärt Bild.de anhand eines Beispiels:

Sie sind Friseurin? Dann dürfte Ihr Durchschnittsverdienst bei knapp 15 500 Euro brutto im Jahr liegen. Ein Jahr lang waschen, schneiden und föhnen. Für dieselbe Summe braucht Ronaldo gerade mal acht Minuten. Während Ronaldo sich ein hartes Ei kocht, verdient er das Jahres-Gehalt einer Friseurin.

Dann muss er nur noch schnell den Müll runterbringen, ein Ründchen Fifa zocken und sich die Haare machen, und schwupps, hat er schon die nächste Million drin. Zumindest nach der Rechnung von Bild.de. Denn 15.500 Euro in acht Minuten, das wären 1.938 Euro pro Minute. 116.280 Euro pro Stunde. 2.791.000 Euro pro Tag. Und sage und schreibe 1.018.715.000 Euro pro Jahr.

Blödsinn, sagen Sie? Stimmt.

Gibt man auf der Seite der BBC, auf die sich Bild.de beruft („How long would it take you to earn a top footballer’s salary?“), 15.500 Euro ein …

Your country: Germany; Pre-tax annual salary in local currency: €15500; Compare yourself with: Cristiano Ronaldo (Real Madrid)

… kommt man zwar tatsächlich auf acht Minuten:

Cristiano Ronaldo earns €18,200,000 per year. It would take him 8 minutes to earn your weekly salary.

Bloß: Diese Zeitangabe bezieht sich auf das Wochengehalt der imaginären Friseurin (steht ja auch da). Demnach verdient Ronaldo in acht Minuten 280 Euro. Nicht 15.500. Und im Jahr gut 18 Millionen (steht ebenfalls da).

Aber auf eine Milliarde mehr oder weniger kommt’s bei Bild.de ja doch nicht an.

Mit Dank an Sebastian K., Mark G. und Chris S.

Warum wir gegen die “Bild”-Zeitung kämpfen

Wir sind zurück!

Dank Ihnen.

Vor gut fünf Wochen haben wir an dieser Stelle um Spenden gebeten, weil wir die Finanzierung des Blogs nicht mehr aus eigener Kraft hätten stemmen können. Die Resonanz hat uns überwältigt: Hunderte von Ihnen sind dem Aufruf gefolgt und haben uns mit Spenden, Hinweisen und Kontakten versorgt, und inzwischen haben wir genug Geld beisammen, um den Blogbetrieb für dieses Jahr zu finanzieren.

Wir freuen uns sehr darüber und bedanken uns für die wunderbare Unterstützung. Wir werden verantwortungsvoll damit umgehen.

In der Zwischenzeit ist natürlich viel passiert in den Medien. Ein bisschen was davon wollen wir uns in den nächsten Tagen noch etwas näher anschauen. Heute konzentrieren wir uns aber erstmal auf die “Bild”-Zeitung, weil es da erstens noch einiges nachzuholen gibt, und zweitens, weil wir tatsächlich immer wieder gefragt werden, warum wir die “Bild”-Zeitung immer noch so schlimm finden. Warum? Nun, weil …

1. Weil sie Profit aus dem Leid von Menschen schlägt

… und die Opfer von Unfällen und Verbrechen ein zweites Mal zu Opfern macht.

Aktuelles Beispiel: Vor Kurzem soll ein Mann in Darmstadt seine 19-jährige Tochter getötet haben. Bild.de berichtete am Samstag so über den Fall:

(Namens-Unkenntlichmachung von uns.)

Eine Quelle für das Foto des Opfers ist nicht angegeben. In der Print-Version steht nur: „privat“. Wahrscheinlich hat „Bild“ es sich, wie so oft, einfach im Facebook-Profil des Opfers besorgt. Und es ist nicht davon auszugehen, dass die Eltern des Mädchens um Erlaubnis gebeten wurden – sie sitzen beide seit Tagen in U-Haft.

Immerhin, könnte man sagen, hat Bild.de das Gesicht des Mädchens auf der Startseite unkenntlich gemacht. Dahinter stecken jedoch keine ethischen oder journalistischen oder persönlichkeitsrechtlichen Gründe — sondern wirtschaftliche. Es soll die Leser zum Abschluss eines „Bild-Plus“-Abos anregen. Hinter der Paywall ist die Unkenntlichmachung dann verschwunden. Nur wer zahlt, darf das Opfer in aller Ausführlichkeit beglotzen.

***

2. Weil sie schon wieder gegen die Griechen hetzt.

… und es dabei auf die Allerärmsten abgesehen hat:

Die Autoren behaupten, die Wahlversprechen des neuen griechischen Ministerpräsidenten könnten nur auf „unsere“ Kosten umgesetzt werden, und rechnen empört vor, wie viel das sein wird:

„Die“ gegen „uns“. Faules Pack gegen fleißige Steuerzahler. Schwarzweißschreiberei ohne Platz für Grautöne, aber die interessieren bei „Bild“ ja auch niemanden. Wie sehr das Blatt die Wahrheit dabei tatsächlich entstellt, hat sich Thomas Otto vom Deutschlandfunk in diesem lesenswerten Blogpost näher angeschaut. Er schreibt zum Beispiel:

Minutiös listet das Blatt die Wahlversprechen von Alexis Tsipras auf und erweckt den Eindruck, als würden die Griechen in Saus und Braus leben – und das auf Kosten des deutschen Steuerzahlers. Vor lauter Galle, die die Autoren beim Schreiben gespuckt haben müssen, haben sie allerdings einige Fakten verdreht. Das beginnt schon bei der genannten Summe von 20 Milliarden Euro. Laut “Bild” hätten “Experten” diese Summe errechnet. Welche, das verraten die Autoren nicht. Und das könnte einen einfachen Grund haben:

Addiert man die einzelnen Posten des Wahlprogramms von Tsipras’ Syriza-Partei, so kommt man auf 11,382 Mrd. Euro – großzügig gerundet 12 Mrd. Euro. Genau diese Zahl ist auch den Autoren nicht ganz unbekannt. Eine Nachfrage beim Kieler Institut für Wirtschaftsforschung, das für die zweite genannte Zahl als Quelle angegeben wird, ergibt: Ein “Bild”-Redakteur hatte sich dort gemeldet und eine Anfrage gestellt: Wie groß wäre die Summe von 12 Mrd. Euro umgerechnet auf die Bundesrepublik? “Bild” kannte also die tatsächlich von Syriza geschätzten Kosten. Wohlwollend könnte man hier noch von einem (wiederholten) Tippfehler ausgehen – oder davon, dass 20 einfach viel besser klingt als zwölf…

Auch viele andere vermeintliche Tatsachen geben die „Bild“-Autoren auf ihrem krawalligen Feldzug kurzerhand falsch oder verzerrt wieder. Thomas Otto schreibt:

“Bild” pickt sich die Rosinen heraus, die in ihre politische Agenda passen und ignoriert die Fakten, die dem entgegenstehen. Ganz nach dem Motto “Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt”. Das entlarvt einmal mehr, dass für “Bild” nicht die Information, sondern die Empörung im Mittelpunkt ihrer “Arbeit” steht. Aber warum sollte man seine Leser auch mit störenden Fakten ablenken, wenn die sich gerade so schön aufregen.

***

3. Weil sich ihr Chefredakteur auch noch einen großen Spaß daraus macht.

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4. Weil sie die Fakten verdreht, wie es ihr gerade passt.

Nicht nur, wenn es gegen die Griechen geht, sondern genauso bei Hartz-IV-Empfängern, Muslimen, Roma, der EU, der Linkspartei und den Rundfunkgebühren, um nur mal die Klassiker zu nennen. Gut zu beobachten beispielsweise in der vorletzten Ausgabe der „Bild am Sonntag“. Kategorie: Die Bekloppten von der EU schon wieder!

Normalerweise ist dafür „Bild“-Chefkorrespondent Dirk Hoeren zuständig, aber weil der ja vergangene Woche schon woanders rumhetzte, durfte diesmal „Bams“-Kollege Nils Mertens ran, der bis dato eher durch sein Talent im Ausschlachten tragischer Einzelschicksale aufgefallen war. Jetzt also die EU.

Diesmal geht es um eine Norm namens EN 13814, die 2004 erarbeitet wurde und grundsätzlich alle „Fliegenden Bauten“ betrifft, also Karussells, Achterbahnen und so weiter. Sie soll seit dem 1. Januar 2015 für einheitliche Sicherheitsstandards in Europa sorgen, stößt bei deutschen Schaustellern aber auf wenig Begeisterung, weil viele ihre Fahrgeschäfte aufwendig umrüsten mussten. Vor allem ärgert sie, dass es keinen Bestandsschutz mehr gibt, also auch bestehende Karussells, die jahrelang als sicher galten, plötzlich umgebaut werden müssen.

So viel zum Hintergrund. Jetzt zum „Bams“-Artikel. Zum Einstieg dichtet Mertens:

Wenn du glaubst, du hast es schwer, kommt die EU daher – und dann wird’s richtig mühsam. Mit ihren Richtlinien hat es die Europäische Union bisher noch immer geschafft, die Bürger ihrer 28 Mitgliedstaaten in den Wahnsinn zu treiben. Man denke nur an die verbindlich vorgeschriebene Krümmung von Bananen.

Hach ja, die Bananen-Verordnung. Die frei erfundene Bananen-Verordnung, wie man ergänzen muss, denn eine „verbindlich vorgeschriebene Krümmung von Bananen“ hat es in Wirklichkeit nie gegeben. Ja, es gab da mal diese Gurken-Verordnung, aber auch die ist seit einigen Jahren Geschichte, und auch die gerne zitierte „EU-Verordnung zum Import von Karamellbonbons“ ist Blödsinn. Aber zurück zur „Bams“ und den Karussells. Mertens schreibt:

Jetzt hat’s die deutschen Schausteller erwischt (…). Die EU-Verordnung DIN EN 13814 regelt seit 2004 die Sicherheit von „Fliegenden Bauten und Anlagen für Veranstaltungsplätze und Vergnügungsparks“.

Das heißt unter anderem: Ein Karussell mit 20 Sitzen durfte bisher maximal 1500 Kilo Menschenmasse rumschleudern, pro Fahrgast also 75 Kilo. Bei zehn 90-Kilo-Schwergewichten hätte der Rest also Modelmaße haben müssen. Dass dem nicht so ist, blieb auch den EU-Beamten nicht verborgen.

Jeder zweite Europäer ist laut OECD zu dick. Diese neue Fettleibigkeit wird nun zur Last der Karussellbetreiber. Deren Geräte sollen künftig im Schnitt 100 Kilo [statt 75 Kilo] tragen.

Dann noch ein armer, von der EU-Willkür gebeutelter Karussellbetreiber, der über die neuen Regelungen nur noch „stöhnt wie ein 200-Pfünder beim Treppensteigen“ (höhö) — und fertig ist der EU-Aufreger:

Fragt man Leute vom Fach, stellt sich die Sache allerdings ein bisschen anders dar.

Alles Unsinn.

… sagte der damalige Leiter der Abteilung „Fliegende Bauten“ beim TÜV Süd schon vor zwei Jahren zu dem Gerücht, die neuen Regelungen habe was mit der zunehmenden Fettleibigkeit zu tun.

Auch mit der neuen Norm gehen wir noch von einem mittleren Körpergewicht von 75 Kilo aus. So wird die Dynamik des gesamten Fahrgeschäfts berechnet. Aber früher mussten auch Einzelteile, wie etwa der Sicherheitsbügel bei der Achterbahn, nur für 75 Kilo ausreichen und dort ist die Vorschrift jetzt 100 Kilo.

Das habe aber nichts mit dicker werdenden Menschen zu tun, sondern einfach damit, dass sich „bei der Technik viel getan“ habe. Aber mal ganz abgesehen von der Motivation, die hinter den neuen Regelungen steckt: Es gibt noch einen weiteren Aspekt, den der „Bams“-Autor – aus gutem Grund – nicht erwähnt. Die „EU-Verordnung“, von der er spricht, ist in Wahrheit eine „EU-Norm“ — und vor allem: für die Mitgliedsstaaten freiwillig.

Die Europäische Kommission erklärt auf ihrer Internetseite:

Fakt: Grundsätzlich ist es Sache der EU Mitgliedsstaaten technische Vorschriften zu erlassen, die die Sicherheit von Karussells und anderen fliegenden Bauten betreffen. Dazu kann eine bestehende Norm von den zuständigen Behörden ganz oder teilweise für verbindlich erklärt werden. Dies liegt jedoch im Ermessen der Mitgliedsstaaten – also Deutschlands.

In der jetzt kritisierten Norm EN 13814 hat das Europäische Komitee für Normung (CEN) einheitliche Sicherheitsstandards für Karussells und andere fliegende Bauten für Jahrmärkte und Vergnügungsparks festgelegt. (…) Die Norm an sich ist jedoch freiwillig.

Hinzu kommt: Dass es in Deutschland keinen Bestandsschutz gibt — darüber ärgern sich die Schausteller ja besonders –, war keine Entscheidung der EU (in der EU-Norm ist eine solche Klausel enthalten), sondern wurde von den deutschen Behörden so festgelegt. Womöglich wäre es also sinnvoller, erstmal bei denen anzusetzen, statt gleich wild auf die EU einzuprügeln. Zumindest, wenn man an einer vernünftigen Auseinandersetzung mit der (sicherlich streitbaren) Norm oder der (zweifelsohne wahnwitzigen) EU-Bürokratie interessiert ist. Also im Gegensatz zu den Leuten von „Bild“.

Wir sind gespannt, wie lange es dauert, bis es bei denen heißt:

Mit ihren Richtlinien hat es die Europäische Union bisher noch immer geschafft, die Bürger ihrer 28 Mitgliedstaaten in den Wahnsinn zu treiben. Man denke nur an die Gaga-Verordnung für Dicke in Karussells.

Mit Dank an Jan R.!

***

5. Weil sie auf die Privatsphäre prominenter Menschen pfeift.

Als Heidi Klum Ende Dezember von einem Fotografen halbnackt am Strand erwischt wurde, druckte „Bild“ die Fotos groß auf der Titelseite …

Als Uli Hoeneß am Neujahrstag Haft-Urlaub hatte und von einem Fotografen beim Wald-Spaziergang mit seiner Frau erwischt wurde, druckte „Bild“ das Foto groß auf der Titelseite …

Als die Frau von Bushido nach einem Ehekrach einkaufen war und von einem Fotografen erwischt wurde, druckte „Bild“ das Foto groß auf der Titelseite …

All diese Fotos wurden offenbar heimlich und aus einiger Entfernung aufgenommen. Wir vermuten also, dass sie ohne Einverständnis der Abgebildeten gemacht und veröffentlicht wurden. Zumindest im Fall von Herbert Grönemeyer sind wir uns sogar ziemlich sicher: Als der Sänger neulich mit einem Kameramann und einem Fotografen aneinandergeriet, zeigte Bild.de das Video der Rangelei groß auf der Startseite — und musste es später wieder runternehmen, weil der Sänger eine einstweilige Verfügung erwirkt hatte. Grönemeyer will sich auch weiterhin wehren und verlangt nun eine Gegendarstellung von der „Bild am Sonntag“. (Genaueres zu dem Fall hat Hans Leyendecker von der „Süddeutschen Zeitung“ hier und hier aufgeschrieben.)

Nun ist es eine Sache, wenn Prominente behelligt werden. Die kennen sich aus im Geschäft, haben in der Regel Medienanwälte und die nötigen Mittel, um sich gegen die medialen Attacken zu wehren. Und nicht zuletzt stehen sie, meistens jedenfalls, freiwillig in der Öffentlichkeit.

Etwas anderes ist es aber, wenn sich die „Bild“-Zeitung auf Menschen stürzt, auf die all das nicht zutrifft.

***

6. Weil sie auf die Privatsphäre nicht-prominenter Menschen pfeift.

… und Schicksale über Wochen hinweg gnadenlos ausschlachtet.

Wir haben das neulich am Fall einer jungen Mutter aufgezeigt, über deren Leben und Tod „Bild“ tagelang sensationslüstern berichtet hatte: Blutige Details, unverpixelte Facebook-Fotos, private Informationen, das volle Programm.

Ähnlich, aber noch heftiger, ging es bei der Berichterstattung über eine Studentin zu, die gestorben war, nachdem sie vermutlich versucht hatte, einen Streit zu schlichten: Über 50 Artikel veröffentlichten die „Bild“-Medien allein in den ersten Tagen nach dem Vorfall, mit unzähligen Fotos des Opfers, des mutmaßlichen Täters und der trauernden Hinterbliebenen; später schaltete sich sogar die Staatsanwaltschaft ein, weil „Bild“ ein Beweismittel — das Überwachungs-Video vom Tatort — ohne Genehmigung veröffentlicht hatte.

Solche Artikelserien — „So grausam starb die junge Frau“, „Hier wird sie beerdigt“, „So trauert das Netz“ — gibt es ständig; die “Bild”-Medien bringen sie reflexartig nach fast jedem brutalen Verbrechen, und am eifrigsten sind sie, wenn das Opfer weiblich und hübsch war.

Auch in den letzten Tagen gab es wieder eine solche Serie, diesmal zum Mord an einer schwangeren Frau, die in einem Berliner Waldstück lebendig verbrannt wurde — ein gefundenes Fressen für die Geier von “Bild”:















Bisweilen saßen sechs (!) „Bild“-Autoren gleichzeitig an dem Fall und haben ganze Arbeit geleistet: Das Blatt präsentiert unverpixelte Fotos des Opfers, unverpixelte Fotos der mutmaßlichen Täter, Fotos vom Abtransport der Leiche, Fotos vom Tatort, Fotos von der Festnahme, Fotos von der Schule des Opfers, Fotos von Trauernden, Informationen aus dem Privatleben des Opfers, Informationen aus dem Privatleben der mutmaßlichen Täter. Und, klar, jede Menge grausame Details und Spekulationen zu den Hintergründen der Tat.

Selbstverständlich auch in gedruckter Form:


(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)

Und es ist sicher nur eine Frage der Zeit, bis sich die “Bild”-Medien das nächste Opfer vorknöpfen. Eine potenzielle Kandidatin (s. Punkt 1) haben sie auf jeden Fall schon gefunden.

***

7. Weil ihre Mitarbeiter solche Dinge von sich geben:

***

8. Weil sie kein Problem mit Schleichwerbung hat.

Einfaches Beispiel:

Sieht zwar aus wie ein normaler, redaktioneller Service-Artikel, ist aber von vorne bis hinten Werbung — für das kostenpflichtige Abnehmprogramm von Schauspielerin Ursula Karven.

Wir wollen Ihnen die PR-Hymnen ersparen. Schauen Sie sich nur mal diese Infobox an:

Ja, ganz schön toll das alles, vor allem für Frau Karven. Und am nächsten Tag ging’s sogar weiter:

Und am übernächsten Tag auch:

Bei Bild.de gibt’s außerdem noch eine Reihe von Videos mit Frau Karven, die sind aber kostenpflichtig. Verdienen wenigstens alle was daran.

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9. Weil sie unglaublich scheinheilig ist.

Wir haben uns ja schon vor der Winterpause darüber aufgeregt, dass sich „Bild“-Zeitung plötzlich als die große „Pegida“-Bekämpferin inszenierte, ausgerechnet sie, die in den Wochen und Jahren davor mit ihren Lügengeschichten immer wieder Ressentiments gegen Ausländer und Muslime geschürt hatte.

Als vor zwei Wochen dann diese Titelstory erschien …


… waren wir schon kurz davor, unseren Winterschlaf zu unterbrechen, aber zum Glück war Lalon Sander zur Stelle und brachte es bei taz.de genau auf den Punkt:

„Bild“ will Pegida entlarven – und entlarvt vor allem sich selbst. Sie erkennt endlich, was andere schon wussten: dass sie eine rassistische Zeitung ist.

***

Wir könnten noch Dutzende andere Gründe auflisten — die Homophobie der „Bild“-Zeitung, ihren Sexismus, Paul Ronzheimer — und es werden mit Sicherheit noch viele neue dazukommen.

Gut, mit ein bisschen Glück erledigt sich die Sache ja bald von selbst. Bis dahin werden wir aber die Stellung halten. Und sind dankbar, dabei Leser wie Sie an unserer Seite zu haben.

Verspäteter Schlagzeilenerguss

Derzeitiger Aufreger bei Bild.de, Ressort “News aktuell”:

Als harmlose Filmchen getarnt - Hacker attackieren Youtube mit Porno-Videos - Die Spur führt nach Deutschland...

Das Portal keucht:

Hacker haben YouTube mit Porno-Videos bombardiert.

Wie die BBC berichtet, musste YouTube innerhalb weniger Stunden mehrere Hundert Videos löschen. Das Material wurde unter den Namen bekannter Kinder-Stars wie „Hannah Montana“ oder „The Jonas Brothers“ hochgeladen. Offenbar sollten besonders Kinder und Jugendliche die Schmuddel-Videos anschauen.

Besonders perfide: Viele der Videos begannen wie Kinder-Serien oder normale Musikvideos. Dann ein harter Schnitt, und man sieht Hardcore-Sex. (…)

Ein verstörter junger YouTube-User postete unter ein Video mit dem Titel „Jonas Brother Live On Stage“: „ Ich bin 12 Jahre alt und was ist das?“ Das Video wurde inzwischen gelöscht.

Das stimmt auch alles so weit. Bloß eine Kleinigkeit hat Bild.de beim Abschreiben des BBC-Artikels übersehen: das Datum. Die Geschichte ist über fünf Jahre alt.

Die Aktion mit den Pornovideos, auch bekannt als „Operation Porn Day“, fand bereits im Mai 2009 statt, aus dieser Zeit stammt auch der BBC-Text, den Bild.de zitiert und sogar selbst verlinkt hat. Und “die Spur” führte natürlich nicht nur “nach Deutschland”, sondern in zig verschiedene Richtungen, denn es hatten sich Leute aus der ganzen Welt beteiligt.

Der Kommentar des „verstörten“ Youtube-Nutzers (“I’m 12 years old and what is this?”) hat es übrigens auch schon zum Meme geschafft.

Mit Dank an Jan M. und Thorben.

Nachtrag, 22 Uhr: Stern.de und Nordbayern.de sind mal wieder blind hinterhergerannt. Stern.de hat den Artikel immerhin wieder gelöscht.

Das Foto bei Bild.de stammt übrigens (Danke an Stefan G. für den Hinweis!) aus keinem Porno, sondern aus dem Trailer zum Spiel “Hitman: Absolution”.

Nachtrag, 22.35 Uhr: Jetzt hat auch Bild.de den Artikel gelöscht.

Von Brandstiftern zu Brandstiftern

Es kommt nur selten vor, dass wir verstehen, was uns Franz Josef Wagner mit seinem Geblubber mitteilen will, und noch viel seltener, dass wir mit ihm einer Meinung sind. Heute aber ist so ein Tag, zumindest ein bisschen, denn er richtet seine — ausnahmsweise mal recht nachvollziehbaren — Gedanken an die „Idioten“ von „Pegida“.

Liebe Pegida-Idioten,

es ist Weihnachten. Vor 2000 Jahren suchten zwei Flüchtlinge, Josef und seine hochschwangere Frau Maria, eine Unterkunft.

Es ist Weihnachten 2014. Und Ihr Pegida-Idioten demonstriert in Dresden gegen die Überfremdung.

Wagner malt sich aus:

Was, wenn die Eltern von Jesus in Dresden an einer Haustür geklopft hätten. Die Eltern sahen nicht aus wie Deutsche. Ihre Hautfarbe ist dunkel. Sie sprachen auch kein Deutsch. Sie sprachen Armenisch und vielleicht Griechisch.

Naja, „Armenisch“ mit Sicherheit auch nicht, sondern Aramäisch, aber gut. (In der Online-Version wurde es heimlich korrigiert.)

2014 hätte man Josef und Maria nicht in einen Stall einquartiert. Sie wären in ein Asylantenheim gekommen. Auf manche Asylantenheime sprayen Idioten Nazi-Parolen.

Maria, Josef und Jesus würden also in diesem Asylantenheim leben. Und jeden Montag würden 10 000 Pegida-Idioten schreien: „Wir sind das Volk“.

Jesus, verzeih uns. Das Volk ist leider oft dumm.

Herzlichst
Franz Josef Wagner

Nun ist es, bei allem Verständnis, schon sehr bemerkenswert, dass ausgerechnet der „Chefkolumnist“ von „Bild“ solche Töne anschlägt und dass sich auch der Rest der “Bild”-Zeitung jüngst so Pegida-kritisch gibt. Als würde sich ein Fachgeschäft für Feuerwerkskörper plötzlich darüber beschweren, dass es überall knallt.

Denn es ist doch gerade die „Bild“-Zeitung, die solche Idioten seit Jahren immer wieder aufscheucht, anstachelt und mit neuer Munition versorgt. Die mit verdrehten Fakten und erfunden Geschichten immer wieder Stimmung gegen Ausländer macht und es dabei vor allem auf Muslime abgesehen hat. Die gegen „Asylantenheime“ (allein dieses Wort!) hetzt und Angst vor Überfremdung schürt und damit genau jenen Leuten unter die Arme greift, die jetzt gegen die vermeintliche Islamisierung des Abendlandes auf die Straße gehen.

Nur mal als Beispiel: der “Islam-Rabatt”. Anfang des Jahres unterstellten die „Bild“-Medien in einer großangelegten Kampagne der deutschen Justiz, sie bestrafe Moslems milder als christliche Angeklagte (BILDblog berichtete). Dafür gab es zwar keinerlei Belege, aber „Bild“, Bild.de und „Bild am Sonntag“ bastelten sich kurzerhand ihre eigene Wahrheit, indem sie entscheidende Fakten unter den Tisch fallen ließen, eine Studie verzerrt wiedergaben und dann einfach behaupteten, an deutschen Gerichten gebe es einen „Islam-Rabatt“:

Bild.de-Chef Julian Reichelt forderte hysterisch: „Keine Scharia in Deutschland!“, diverse ahnungslose Politiker sprangen ihm blindlings bei — und die Moslemhasser rieben sich die Hände, weil sie nur noch die „Bild“-Artikel teilen mussten, um auf „die Gefahren des Islam in Deutschland“ hinzuweisen.

Eine Korrektur der Berichterstattung hat es übrigens bis heute nicht gegeben.

Oder die Hasspredigt von Nicolaus Fest (BILDblog berichtete), der im Sommer in der „BamS“ unter anderem geschrieben hatte, der Islam störe ihn immer mehr — ihn störe die „weit überproportionale Kriminalität von Jugendlichen mit muslimischem Hintergrund“, die „totschlagbereite Verachtung des Islam für Frauen und Homosexuelle“ und so weiter –, darum sei der Islam auch ein „Integrationshindernis“, was man „bei Asyl und Zuwanderung ausdrücklich berücksichtigen“ solle. Fest schloss mit den Worten:

Ich brauche keinen importierten Rassismus, und wofür der Islam sonst noch steht, brauche ich auch nicht.

Zwar versuchten „Bams“-Chefin Marion Horn und „Bild“-Chef Kai Diekmann daraufhin noch, den (Image-)Schaden zu begrenzen, doch da hatten die Hetztiraden schon längst die Runde gemacht und tosende Beifallstürme in den Rassistenblogs ausgelöst. Und dass es dieser Kommentar überhaupt erst ins Blatt geschafft hat, zeigt einmal mehr, wie fahrlässig die „Bild“-Menschen mit ihrer publizistischen Verantwortung und Macht umgehen. Oder, je nachdem, wie mutwillig sie sie missbrauchen.

Wie bei der Sache mit dem „Asyl-Hotel“ in Bautzen (BILDblog berichtete), erschienen vor gut drei Monaten:

Auch das ist eine völlig verzerrte Darstellung der Tatsachen, die offensichtlich nur dazu dient, die Asylbewerber in ein schlechtes Licht zu rücken. Es stimmt zwar, dass sich die Sanitäter Schutzwesten besorgt haben, aber nicht aus Angst vor Einsätzen in dem Heim, sondern als generellen Schutz bei allen Einsätzen, egal, wo sie stattfinden.

Auch vieles andere an dem Artikel ist unwahr oder wird verzerrt dargestellt, das haben sowohl die Polizei als auch das DRK als auch der Betreiber des Heims mehrfach mitgeteilt, und obwohl die „Bild“-Redaktion das weiß, und obwohl sie weiß, dass die Berichterstattung viele Menschen gegen die Flüchtlinge aufhetzt, ist der Artikel immer noch unverändert online.

Oder erst neulich: das Märchen vom Verbot der Weihnachtsmärkte (BILDblog berichtete). Vor zwei Wochen behauptete die „Bild am Sonntag“ (in Anlehnung an eine „B.Z.“-Geschichte von vor einem Jahr), in Berlin-Kreuzberg seien statt „Weihnachts-“ nur noch „Wintermärkte“ erlaubt, um Andersgläubige nicht zu stören. Völliger Unfug zwar, aber die „BamS“ verbreitete die Geschichte trotzdem, wie gewohnt mit verzerrten Darstellungen und verschwiegenen Fakten, fragte: “Wird auf dem Altar der politischen Korrektheit die christliche Tradition geopfert?” und lieferte den Pegida-Hetzern damit eines ihrer plakativsten „Argumente“.

Eine Korrektur der „BamS“ ist bis heute nicht erschienen. Der Artikel ist immer noch online.

So könnten wir ewig weitermachen: Schnitzelkrieg, Moslem-Feiertag, Sarrazin, Sonne-Mond-und-Sterne-Fest, Ehrenmorde, überhaupt: kriminelle Ausländer und und und und und und und

Die oben ausführlicher beschriebenen Beispiele stammen alle nur aus diesem Jahr, und es sind nur die knalligsten dafür, wie die „Bild“-Zeitung seit Jahren unter Vorspiegelung falscher Tatsachen die Angst vor der Islamisierung schürt und damit den Idioten, die Franz Josef Wagner heute so kritisiert, wissentlich in die Hände spielt.

Und um abschließend nochmal auf Wagners Gedankenspiel zurückzukommen:

Was, wenn die Eltern von Jesus in Dresden an einer Haustür geklopft hätten[?]

Dann hätten sie wahrscheinlich schlechte Karten gehabt. Zumindest an der Haustür eines „Bild“-Lesers.

Mit Dank auch an Sejfuddin.

Nachtrag, 17. Dezember: Die Eltern von Jesus waren bei der Geburt übrigens keine “Flüchtlinge”, wie Wagner schreibt, sondern (wenn überhaupt) auf dem Weg, sich von der Finanzbehörde registrieren zu lassen. Fliehen mussten sie erst später, als König Herodes Wind davon bekommen hatte und Jesus umbringen lassen wollte. Mehr dazu: hier.

Mit Dank an D., Georg, Lukas und Matthäus.

Nachtrag, Januar 2015: Ein weiteres Beispiel dafür, wie “Bild” Öl ins “Pegida”-Feuer gießt, haben wir hier aufgeschrieben.

Mittermeier muss doch nicht kotzen, wenn er Helene Fischer sieht

Also… genau wissen wir das natürlich nicht, aber zumindest hat er es so nicht gesagt:

Und wie immer, wenn’s um Helene Fischer geht, stiegen die anderen Klatschmedien auch gleich mit ein und verbreiteten im Oktober die Meldung von Mittermeiers “Hass-Attacke”: Der Satz erschien unter anderem bei Bild.de, “Focus Online”, Blick.ch, auf der Seite der “inTouch” und News.de. Wenig später mussten sie alle eine Gegendarstellung bzw. Richtigstellung veröffentlichen:

Einige Medien haben sich sogar für den Fehler entschuldigt. Nur Bild.de schiebt bockig hinterher:

Anm. d. Red.: Unabhängig vom Wahrheitsgehalt sind wir zum Abdruck dieser Gegendarstellung verpflichtet

Wie “Bild” den Tod einer Studentin ausbeutet

Vor zweieinhalb Wochen wurde in Offenbach eine Studentin auf einem McDonald’s-Parkplatz von einem Mann so schwer verletzt, dass sie zuerst ins Koma fiel und wenige Tage später starb. Offenbar hatte sie versucht, einen Streit zu schlichten.

Der Fall sorgt seither für großes Aufsehen. Und vor allem die “Bild”-Medien schlachten ihn seit Tagen auf beispiellose Weise aus:












































49 Artikel haben “Bild”, Bild.de und die “Bild am Sonntag” seit dem Vorfall rausgehauen, im Schnitt fast drei Artikel täglich. Sie zeigten unzählige Fotos des Opfers und des mutmaßlichen Täters (meist von Facebook kopiert und natürlich kein bisschen verpixelt), veröffentlichten private Details, Informationen aus dem Krankenhaus (“Nach BILD-Informationen begann gegen 21.30 Uhr die Organentnahme”), besuchten den Tatort, die Trauerfeiern, den Friedhof, die Moschee, die JVA, fotografierten Trauernde, wühlten in Facebook-Profilen, bastelten Klickstrecken, aber offensichtlich war die Gier der lüsternen “Bild”-Macher und -Leser damit immer noch nicht befriedigt.

Am Montag folgte, “exklusiv” in “Bild”:

Sowohl in der Print-Ausgabe als auch bei Bild.de werden die Szenen der Überwachungskamera — “die letzten Minuten, die Tugce bewusst erlebte!” — detailliert dokumentiert, die entscheidenen Momente hat die Redaktion sogar extra von einem Illustrator nachzeichnen lassen.


(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)

Schon in den Tagen davor hatte das Blatt stolz verkündet:

Und als wäre das nicht schon dreist und eklig genug, versuchten die “Bild”-Geier auch noch, Geld damit zu verdienen: Das exklusive “Protokoll des Überwachungsvideos” gab es nur gegen Bezahlung — hinter der “Bildplus”-Paywall.

Inzwischen dürfen sich auch nicht-zahlende Leser bei Bild.de anschauen, was auf dem Parkplatz passierte; das “Beweis-Video” ist frei verfügbar.

Laut Angaben des “Hessischen Rundfunks” ermittelt deshalb nun die Staatsanwaltschaft:

“Es handelt sich um ein unmittelbares Beweismittel”, so [Axel Kreutz, Sprecher der Zweigstelle Offenbach der Staatsanwaltschaft Darmstadt]. Und ein solches gehöre nicht in die Öffentlichkeit, sondern müsse vor Gericht analysiert und bewertet werden. Die Behörde will herausfinden, woher die Zeitung das Video bekommen hat. Sie ermittelt “gegen Unbekannt”.

Durch die Veröffentlichung des Videos werde das Beweismittel zwar nicht wertlos für den Gerichtsprozess, allerdings bestehe die Gefahr, dass dadurch Zeugen in ihrer Aussage manipuliert werden könnten. “Man muss damit rechnen, dass sich Zeugen vor ihrer Vernehmung das Video anschauen und ihre Aussage dann damit abgleichen”, so Kreutz. Dadurch könnten unter anderem subjektive Erinnerungen an das Geschehen eingefärbt werden.

Auch Interpretationen des Videos, die im Vorfeld eines Prozesses über die Medien verbreitet würden, könnten einen Einfluss auf Zeugenaussagen haben – womöglich auch auf die Schöffen in einem Gerichtsverfahren.

Auch die Familie der Verstorbenen zeigte sich entsetzt über die Veröffentlichung. Auf einer Facebookseite, die von Freunden und Angehörigen betrieben wird, verurteilen sie die Verbreitung des Videos als “bodenlose Frechheit”:

Das Video kannte die Familie, da es als Beweismittel gilt. Jedoch war es nicht mit ihr abgesprochen, dass es in der Öffentlichkeit landet. Wir teilen das Video hier auch nicht.

Ihr könnt euch vorstellen, wie es für die Eltern oder Brüder sein muss, ihre geliebte Tuğçe “live” sterben sehen zu müssen.

Nur den Leuten von “Bild” ist das wie immer scheißegal.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Der öffentliche Tod einer jungen Mutter

Am vergangenen Mittwoch ist in Emmerich eine 26-jährige Frau im Beisein ihrer kleinen Kinder erstochen worden. Laut Polizei war ein Nachbar der Familie über den Balkon in die Wohnung eingedrungen, hatte dort zuerst die 45-jährige Oma schwer verletzt und dann im Schlafzimmer, wo sich auch die Kinder aufhielten, brutal auf die junge Mutter eingestochen. Sie war schon verblutet, als die Rettungskräfte eintrafen.

Der mutmaßliche Täter, der auf seiner Flucht noch einen dritten Menschen attackierte, wurde am Tag darauf festgenommen; er habe die Taten gestanden, teilte die Polizei mit.

Die Medien interessierten sich natürlich sehr für den grausamen Fall, allerdings verzichteten sie in ihren Berichten auf Fotos der Opfer, änderten alle Namen und nannten auch sonst kaum persönliche Details, eine Praxis, die eigentlich selbstverständlich sein sollte, es aber bei Weitem nicht ist, nicht mal in den sogenannten seriösen Medien, wie man ja zuletzt an den fürchterlichen Opfergalerien zum MH17-Unglück sehen konnte. Umso erfreulicher, dass sich die Medien diesmal so zurückgehalten haben.

Bis auf „Bild“ natürlich.

Dort gab es mal wieder das volle Sensationsprogramm: Die Zeitung druckte Fotos vom Abtransport der Leiche und davon, wie die (immerhin verpixelten) Kinder aus dem Haus getragen werden; zeigte (sowohl in der Print- als auch in der Online-Ausgabe) Fotos vom Haus, in dem die Tat geschah, von der Wohnungstür der Familie, von der Wohnungstür des mutmaßlichen Täters und vom Haus des dritten Opfers. „Bild“ ist auch das einzige Medium, in dem die Namen der Betroffenen nicht geändert wurden. Und das einzige, das ein unverpixeltes Foto der getöteten Frau veröffentlicht hat — und zwar einmal am Mittwoch …

… und zweimal am Donnerstag …


… außerdem in der Bundesausgabe …

… in der Regionalausgabe (Ruhrgebiet) …

… nochmal in der Bundesausgabe …

… und nochmal in der Regionalausgabe:

(Alle Unkenntlichmachungen von uns.)

Als Foto-Quelle ist in der Printversion (wenn überhaupt) „Privat“ angegeben. Online heißt es:

In Wahrheit stammt das Foto aber natürlich nicht von „Bild“-Mann Stefano Laura, sondern vom Facebookprofil des Opfers. Auch das (mit schwarzem Alibi-Balken versehene) Foto des mutmaßlichen Täters hat sich „Bild“ kurzerhand bei Facebook besorgt, Quellenangabe: keine.

Am Donnerstag haben wir den Axel-Springer-Verlag um eine Erklärung zu dem Fall gebeten. Eine Antwort haben wir bis heute nicht bekommen.

Übrigens: Wie gestört die Leute von “Bild” mit diesem Thema umgehen, zeigt sich in der heutigen Ausgabe in ganz besonderer Weise. In einem Artikel über die Wild-Unfälle vom Wochenende hat die Zeitung einem Reh (!) das gewährt, was die meisten menschlichen Opfer nicht bekommen: ein verpixeltes Gesicht.

Mit Dank an Stephan T. und Kurt Wolfgang S.

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