Archiv für Bild am Sonntag

Der statistikfreie Raum

Die Zeiten sind schwer für deutsche Verlage: Nun kann die “Bild am Sonntag” nicht einmal mehr selbst Statistiken bis an die Schmerzgrenze fehlinterpretieren, sie muss diese wichtige Aufgabe auslagern.

In dieser Woche zum Beispiel an Stefan Müller, den Parlamentarischen Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Bundestag. Der Politiker räsoniert in einem Gast-Kommentar über den rechtsfreien Raum Internet, der insbesondere durch die Aussetzung der Vorratsdatenspeicherung zum Tummelplatz für Schurken aller Art geworden sei:

Schuld daran ist eine Gesetzeslücke in Deutschland. Sie führt dazu, dass sich bestens ausgestattete und vernetzte Banden und organisierte Kriminalität im Internet breitgemacht haben. Folge: 200 000 Straftaten im vergangenen Jahr. Tendenz: rasant steigend.

Auf Anfrage bestätigte uns das Büro von Stefan Müller, dass der Politiker mit der “Gesetzeslücke” die Aussetzung der Vorratsdatenspeicherung durch das Bundesverfassungsgericht am 2. März dieses Jahres meinte. Wie die 200 000 Straftaten im Jahr 2009 die Folge eines Urteils von 2010 sein sollen — das konnte uns seine Sprecherin nicht verraten.

In der Tat zeigt die Statistik das Gegenteil der von Müller getätigten Aussage: Nachdem die Vorratsdatenspeicherung 2009 in Kraft getreten war, nahm die Zahl der registrierten Internet-Straftaten unverdrossen zu, die Aufklärungsquote sank hingegen.

Mit Dank an Jens W., Michael E. und Johannes R.

Nachtrag, 23. September: Im Nachgespräch legt das Büro von Stefan Müller Wert darauf, dass nicht die 200 000 Straftaten, sondern nur die steigende Tendenz “Folge” der Aufhebung der Vorratsdatenspeicherung sei. Eine grammatikalisch bemerkenswerte Interpretation.

Doch auch die andere Zahl, auf die der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe seine Forderung nach Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung stützt, steht auf höchst wackliger Grundlage:

Seit das Bundesverfassungsgericht im März dieses Jahres entschieden hat, dass personenbezogene Daten aus Internettransfers gelöscht und nicht mehr auf Vorrat gespeichert werden dürfen, hat sich die Aufklärungsrate von Internetkriminalität dramatisch negativ entwickelt: Von 1000 Verdächtigen werden nur noch sieben Personen ermittelt. Das bedeutet: Von 1000 Kriminellen, die im Internet Benutzernamen und Passwörter abfischen, die E-Mail-Konten knacken und bei Online-Auktionen betrügen, die Bankkonten und Kreditkarten leer räumen und die Kinder vergewaltigen und entsprechende Filme im Internet anbieten, können nur sieben identifiziert werden.

Alleine: eine solche Statistik existiert offiziell nicht. Zwar zitierte die Rheinische Post den Präsidenten des Bundeskriminalamts Jörg Ziercke am 7. September so:

Nachhaltig ermahnte Ziercke die Politik, das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung anzupacken. Derzeit könne vieles nicht aufgeklärt werden. Unter 1000 Verdächtigen hätten vor dem Stopp der Speicherung mehr als 800 ermittelt werden können, jetzt seien es noch sieben.

Auf unsere Nachfrage hat das Bundeskriminalamt diese Formulierung dementiert: der BKA-Präsident habe in einer Pressekonferenz zwar ein Ermittlungsverfahren beschrieben, bei dem von 1100 IP-Adressen nur zehn nachverfolgt werden konnten und zu acht (sic!) Verdächtigen führten. Ein allgemeines Bild der Aufklärungsquote bei Internet-Straftaten spiegelt dieser Extremfall jedoch nicht wieder. Der Zusammenhang sei eventuell missverstanden worden, erklärt das Bundeskriminalamt.

Und Katzen würden Whiskas kaufen

Jede Menge verteidigende Kommentare, eine Debatte über Meinungsfreiheit und erste Anflüge von Personenkult. Man kann es nicht anders sagen: “Bild”, “Bild am Sonntag” und Bild.de haben in der Sarrazin-Debatte endgültig auf Kampagnenmodus umgeschaltet.

Den jüngsten Höhepunkt stellt eine Emnid-Umfrage für “Bild am Sonntag” dar. Völlig ungeachtet der Tatsache, dass Sarrazin selbst bei jeder Gelegenheit Ambitionen auf die Gründung einer eigenen Partei abstreitet, stellte sich “Bild am Sonntag” die eigentlich völlig überflüssige Frage:

Aber hätte eine solche politische Kraft bei Wahlen überhaupt eine Chance? BILD am SONNTAG wollte es wissen und gab bei Emnid eine Umfrage dazu in Auftrag. Das Ergebnis ist für die etablierten Parteien ein Schock: 18 Prozent der Deutschen könnten sich vorstellen, eine Partei zu wählen, deren Vorsitzender Thilo Sarrazin heißt.

Und so sieht das dann auf Bild.de aus:

Umfrage-Schock für Merkel und Gabriel: 18 Prozent würden eine Sarrazin-Partei wählen

18 Prozent klingen zunächst sehr eindrucksvoll, selbst wenn das schon eine ganz andere Hausnummer ist als die rund 90 Prozent pro Sarrazin, die Bild.de regelmäßig in Umfragen unter den eigenen Lesern feststellt. Auch alle, die glaubten, hinter Sarrazin stünde wenigstens eine (schweigende) Mehrheit, müssten von den 18 Prozent eher enttäuscht sein.

Können 18 Prozent dennoch zu Recht als “Umfrage-Schock” bezeichnet werden? Immerhin klingt das so, als könnte eine Sarrazin-Partei als dritt- oder viertstärkste Kraft in den Bundestag einziehen.

Der Trick bei dieser Art von Umfrage ist allerdings, dass diese 18 Prozent so gut wie nichts mit tatsächlich zu erwartenden Stimmen bei einer Wahl zu tun haben. Wichtig ist hier die Fragestellung und die lautet: “Könnten Sie sich vorstellen, eine neue Partei zu wählen, wenn Thilo Sarrazin Vorsitzender dieser Partei wäre?” Jeder Befragte verfügt dabei praktisch über beliebig viele Stimmen. Denn es geht nur darum, ob man sich vorstellen (!) kann, (irgendwann einmal) eine solche Partei zu wählen. Die meisten der 18 Prozent können sich wahrscheinlich auch vorstellen, noch ganz andere Parteien zu wählen.

Zum Vergleich: Im März 2008 konnten sich 27 Prozent der im ARD-Deutschlandtrend vorstellen, die Linke zu wählen. Bei der Bundestagswahl 2009 kam sie trotzdem nur auf 11,9 Prozent.

Wenn sich also durch die Emnid-Umfrage, die übrigens für eine Friedrich-Merz-Partei 20 Prozent und für eine Joachim-Gauck-Partei 25 Prozent festgestellt hat, ein Trend abzeichnet, dann ist es der, dass diese Umfragen ein Garant dafür sind, Schlagzeilen zu machen und deshalb in letzter Zeit zunehmen.

Erst vor zwei Wochen ließ der “Focus” ebenfalls Emnid ermitteln, wie viele Deutsche sich vorstellen könnten, “eine bürgerlich-konservative Partei rechts der CDU” zu wählen (20 Prozent) und erzeugte damit ein großes Medienecho.

Wie wenig diese Art von Umfrage tatsächlich aussagt, erkennt man spätestens, wenn man sich ansieht, wer als letztes bei einer solchen “Können Sie sich vorstellen”-Umfrage auf 18 Prozent gekommen ist. Nein, es waren nicht die Schuhsohlen von Guido Westerwelle. Es war Horst Schlämmer:

Stünde die "Horst-Schlämmer-Partei" aus Hape Kerkelings Kinofilm "Isch kandidiere" am 27. September tatsächlich zur Wahl, schnitte sie vermutlich besser ab als jede andere Splitterpartei. In einer Umfrage für den Stern bejahten 18 Prozent der Bundesbürger die Frage, ob sie sich vorstellen können, die "Horst-Schlämmer-Partei" zu wählen.

Was für eine Lawine des Unfugs die angeblich 18 Prozent für Horst Schlämmer damals losgetreten haben, kann man hier nachlesen:

Das Pornokino des 21. Jahrhunderts

Neulich ist in “Bild am Sonntag” und auf Bild.de ein Artikel erschienen, in dem sich Autorin Beate Krämer frei nach dem Motto “Denk doch mal nur einer an die armen Kinder” über YouTube und die verdorbenen Jugendsender VIVA, MTV beklagte:

Das aktuelle Kinderprogramm Christina Aguilera zwischen zwei Frauenschenkeln, Beyonce mit gespreizten Beinen, Lady Gaga im kinky Domina-Look. Die Pop-Videos, die rund um die Uhr in den Jugendsendern Viva, MTV und auf Youtube laufen, zeigen Bilder, die es früher nur im Pornokino gab.

Krämer schreibt etwa über ein Video mit Christina Aguilera:

Sie trägt Knapptrikot, Peitsche, Bondagefesseln, im Mund einen Knebel mit Strass besetzt, es gibt angedeuteten Gruppensex, Frauen lecken sich ab, Hand im Schritt, Wet-Look-Dancing, gespreizte Schenkel… In Musikvideos geht es immer eindeutiger um Sex und Gewalt.

Bondagefesseln, angedeuteter Gruppensex, Frauen lecken sich ab, gespreizte Schenkel — und das alles ohne Altersbeschränkung und sogar “rund um die Uhr”? Das ist ja unfassbar. Wo gibt’s denn sowas?

Um diese Frage zu beantworten, hilft vielleicht ein Szenewechsel nach Neuburg im Landkreis Nordwestmecklenburg: Dort wurde der Verwaltungschef des Amtes Neuburg suspendiert, weil er laut “Lübecker Nachrichten” “im Dienst Pornos im Internet betrachtet haben” soll.

Und wie illustriert “LN-Online” diese Nachricht? Mit einem vermutlich in der eigenen Redaktion geschossenen Symbolbild:

Neuburg: Porno-Vorwürfe - Verwaltungschef suspendiert Ein Mann schaut auf seinem Büro-Computer eine Erotik-Internet-Seite an (gestellte Szene).

Moment mal! Kommt uns diese “Erotik-Internet-Seite” nicht irgendwie bekannt vor? Vielleicht mal ein wenig ranzoomen:

Screenshot: Bild.de

Richtig. Auch wenn das Logo verpixelt wurde, handelt es sich hierbei eindeutig um die Startseite von “Bild.de Erotik” (unser Screenshot wurde am 26. August angefertigt):

Bild Erotik

Und so ganz Unrecht hat “LN-Online” nicht damit, die Erotikseite von Bild.de symbolisch für Internetpornos stehen zu lassen. Denn all das, was “Bild am Sonntag” an Viva, MTV und YouTube als Dinge “die es früher nur im Pornokino gab” kritisiert, können sich Kinder und Jugendliche ab 0 Jahren auch ganz bequem auf Bild.de holen.

Mit Dank an Swen W.

Jeden Sommer das Gleiche …

Das Thermometer ist schon ein paar mal über 25 Grad geklettert, die Gastronomen haben ihre Tische draußen aufgestellt und manche Menschen in den Innenstädten haben fast so wenig an wie die Frauen auf Seite 1 von “Bild” — mit anderen Worten: Es ist Sommer.

Und damit die Saison der Wiederholungen:

Nur die WM kann uns jetzt noch retten: Gähn-Programm im TV-Sommer

Gottschalk, Schmidt, Kerner – die beliebtesten TV-Gesichter lassen uns jetzt wochenlang allein. Ausgezappt durch die Sommerpause auf allen Sendern. Jetzt droht: Das große Gähn-Programm – Wiederholungen, Archiv-Zusammenschnitte, Herz-Schmerz-Filme in Dauerschleife. Einschlafdosis garantiert!

(Bild.de am 9.6.2010)

2009:

Wofür zahlen wir eigentlich TV-Gebühren? 1442 Minuten Wiederholungen am Wochenende

Haben SIE sich am Wochenende auch so vorm Fernseher gelangweilt?

Gegen hohe Gebühren liefern ARD und ZDF auch diesen Sommer wieder Gähn-TV in Einschlafdosis! Satte 492 Minuten Wiederholungen leistete sich die ARD am Samstag. (…) Gähn gegen Gebühren – müssen TV-Zuschauer sich das gefallen lassen?
(“Bild” vom 20.7.2009)

2007:

Gebühren-Skandal: 865 Minuten Wiederholungen am Wochenende

Wie gut, dass die Meteorologen fürs Wochenende besseres Wetter vorausgesagt haben! Denn im Fernsehen erwartet uns nur Langeweile…

Die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF präsentieren den TV-Zuschauern von heute bis Sonntag in der Hauptsendezeit geschlagene 865 Minuten Wiederholungen!

Im Klartext: Mehr als 14 Stunden Gähn-TV! (…)
(“Bild” vom 3.8.2007)

2005:

Das ist der Gipfel aller TV-Unverschämtheiten!

Dieses Wochenende über 44 Stunden Wiederholungen Und dafür zahlen wir auch noch TV-Gebühren! Erst im April wurden die Gebühren fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen um 88 Cent auf monatlich 17,03 Euro erhöht. Und jetzt bekommen wir von ARD und ZDF trotzdem einen TV-Sommer voller Wiederholungen. Allein an diesem Wochenende bringen es die beiden Anstalten fertig, an drei Tagen 2669 Minuten aus dem Altfilm-Lager zu füllen. Das sind 44 Stunden und 29 Minuten!
(“Bild” vom 30.7.2005)

2004:

Schlimmste Fernseh-Woche… Wiederholung, Wiederholung, Wiederholung…
(“Bild” vom 23.6.2004)

Weniger Gebühren für Gähn-TV im Sommer
(“Bild” vom 8.7.2004)

2003:

Zum Gähnen! Der TV-Sommer der Wiederwiederwiederholungen

TV-GÄHN! Egal, wohin man zappt — fast nur noch Wiederholungen. Gähnende TV-Langeweile. Bei dem Programm droht akute Einschlafgefahr! Falls Sie sich z. B. heute auf einen tollen Fernsehabend freuen, ein gutgemeinter Tipp: Verabreden Sie sich lieber zu einer Grillparty. Denn im TV verpassen Sie nichts! (…) Wofür zahlen wir eigentlich noch TV-Gebühren!
(“Bild” vom 16.7.2003)

2002:

Wiederholungsterror im Fernsehen — Politiker fordert: TV-Gebühren im Sommer halbieren!

Jeden Sommer der gleiche Ärger über Wiederholungen im TV.
(“Bild am Sonntag” vom 14.7.2002)

2001:

Gähn-TV: Wofür zahlen wir im Sommer eigentlich Gebühren? (…) Politiker fordern weniger Gebühren wegen Gähn-TV
(“Bild am Sonntag” vom 28.7.2001)

Gähn-TV immer schlimmer: Das Sommer-Gähn-TV. Nur Wiederholungen, fast alle Show- und Talkmaster im Urlaub.
(“Bild am Sonntag” vom 3.8.2001)

2000:

Der trostlose TV-Sommer — Noch nie sendete das Fernsehen so viele Wiederholungen wie in den kommenden Wochen

Auf die Gebührenzahler kommt ein trostloser TV-Sommer zu — noch nie griff das Fernsehen so tief in die Mottenkiste, wie es in den kommenden Wochen der Fall sein wird. (…) Gähn-TV! Sogar an den Talkshows und Comedy-Sendungen, die bei Gags und Gästen ja eigentlich von der Aktualität leben, geht der Sommerschlaf nicht vorbei. (…)
(“Bild am Sonntag” vom 2.7.2000)

1999:

Das Fernsehen fällt in den Sommerschlaf

Ab Juni fast nur noch Wiederholungen. (…) Das Fernsehen macht Sommerpause, fällt vom Juni an für über drei Monate in den Tiefschlaf. Der Blick ins sogenannte Programm — ein Dauerärgernis. (…) Gähn-TV in den schönsten Monaten des Jahres. (…)
(“Bild am Sonntag” vom 30.5.1999)

1997:

Fernsehen fällt drei Monate in Sommerschlaf

Nur noch Wiederholungen — Frechheit! Noch 21 Tage bis zum Sommeranfang! Doch das Fernsehen geht schon jetzt in Urlaub, fällt in einen dreimonatigen Tiefschlaf. Sommerzeit, Wiederholungszeit! Der Blick ins TV-Programm wird zum Ärgernis. Wohin man auch zappt — fast alles schon gesehen. (…)
(“Bild am Sonntag” vom 1.6.1997)

PS: Zugegeben: Auch dieser Eintrag ist – natürlich – eine Wiederholung.

Verbraucherschutz mit nichts drin

Kennen Sie das? Sie kippen den Inhalt einer frisch gekauften Packung H-Milch aus dem Supermarkt durch ein Sieb, doch keine einzige Kuh bleibt hängen!

Ähnlich enttäuscht dürfte die Verbraucherzentrale Hamburg gewesen sein, die für “Bild am Sonntag” insgesamt 46 verschiedene Lebensmittel darauf untersucht hat, “ob das, was auf der Packung zu sehen ist, auch drin ist”.

Was bei den ebenfalls untersuchten Fleisch- und Kartoffelsalaten, auf denen ja häufig das Endprodukt abgebildet ist, noch irgendwie sinnvoll erscheinen mag, treibt bei den 19 getesteten Joghurts seltsame Blüten: Da wird gestaunt, dass in einem hühnereigroßen Fruchtzwerg trotz des vielversprechenden Etikettenmotivs keine anderthalb ausgewachsenen Pfirsiche stecken. Auch im Ananas-Creme-Joghurt stecken nicht etwa mehrere Scheiben Ananas wie abgebildet, sondern – welch Überraschung – nur kleine Ananaswürfel.

Joghurt mit der Buttermilch, Pfirsich, 150 g, 0,49 Euro. Etikett: Eine halbe Maracuja und eine Pfirsichspalte. Wahrheit: Sehr wenig Fruchtstücke.

Feine Quark Creme, Bircher Müsli, 200g, 0,49 Euro. Etikett: Apfel, saftige Orange, sonnengereifte Birne und zwei Stück Schokolade. Wahrheit: Sehr wenige Fruchtstückchen und Schokokrümel.

Wir freuen uns schon jetzt darauf, wenn es bei den Joghurt-vom-Teller-Essern von “Bild am Sonntag” in Bezug auf Cornflakes, Proteinshakes und Kartoffelchips mit Abbildungen von Hähnen, Muskelmännern und ganzen Kartoffeln schon bald wieder heißt: “Auf dem Etikett hui, auf dem Teller pfui.

Mit Dank an Stephan R.

Here Comes “The Sun”

Es geschah John Lennon ganz Recht, dass er 1980 vom geistig verwirrten Mark David Chapman erschossen wurde. Das scheint zumindest “Bild am Sonntag” zu denken:

Das böse Omen der Beatles. Dieses bisher unveröffentlichte Foto zeigt John Lennon, der so tut, als würde er sterben. Zwölf Jahre später wurde er erschossen. Moral: Let it be!

Aber selbst wenn man den Versuch ignoriert, einen Zusammenhang zwischen Foto und Attentat zu konstruieren, und außer Acht lässt, dass “Let It Be” im gleichnamigen Beatles-Song sehr wahrscheinlich eher im Sinne von “lass es geschehen” denn als “lass es sein” gemeint sein dürfte, ist an diesen drei Sätzen noch etwas merkwürdig. Im Sinne von “falsch”.

Das laut “Bild am Sonntag” “bisher unveröffentlichte Foto” ist nämlich alles andere als bisher unveröffentlicht: Es ist Teil einer 23-teiligen Fotoserie, die seit 1998 in Galerien und Museen zu sehen ist — so auch im Jahr 2003 in Liverpool, der Heimatstadt der Beatles. Die BBC berichtete damals darüber und zeigt das Foto seitdem auf ihrer Website.

Vielleicht war “Bild am Sonntag” verwirrt, dass die Galerie, in der die Fotos zur Zeit zu sehen sind, schreibt, dass die Bilder für drei Jahrzehnte “unbesehen, weggepackt in der Dunkelheit, beinahe vergessen waren” — die drei Jahrzehnte zwischen ihrer Entstehung 1968 und der ersten Ausstellung eben.

Aber vielleicht hat “Bild am Sonntag” auch nur auf die Recherche-Qualität der britischen “Sun” vertraut, die am Samstag auf ihrer Internetseite von “unveröffentlichten Beatles-Fotos” schwadronierte, die “für Jahrzehnte in Umschlägen gelagert” gewesen seien.

Von der “Sun” scheint “Bild am Sonntag” zumindest auch die Information zu haben, dass die Fotos (von jedem gibt es 195 nummerierte und signierte Abzüge) “pro Stück 114.000 Euro” kosten sollen — was etwas unwahrscheinlich ist, wenn die Original-Dias laut Ausstellungankündigung vom Auktionshaus Christie’s mit 100.000 US-Dollar (ca. 74.000 Euro) und damit deutlich niedriger bewertet werden.

Trotz all dieser Ungereimtheiten gibt “Bild am Sonntag” an, mit dem Fotografen gesprochen zu haben.

PS:

Am 8. Dezember 1989 transportiert ein Leichenwagen den toten John Lennon vor dem Dakota-Building in New York ab

Keine Ahnung, was das für eine Leichenwagen ist, aber der tote John Lennon wurde damit ganz sicher nicht vor dem Dakota-Building abtransportiert. Lennon war nämlich schwerverletzt mit einem Polizeiauto zum Roosevelt Hospital Center gefahren worden, wo er schließlich für tot erklärt wurde.

Aber das mit John Lennons Tod scheint für deutsche Journalisten sowieso etwas schwierig zu sein.

Mit Dank an RisingEd.

Nachtrag, 24. Februar: Unser Leser Samuel J. wusste, was das für ein Leichenwagen ist: Tatsächlich (laut Getty-Images) der, in dem John Lennons Leiche transportiert wurde — nur eben nicht vor dem Dakota Building und kurz nach den Schüssen:

Der Leichenwagen mit der Leiche des ermordeten britischen Musikers John Lennon, geparkt vor dem Bestattungsinstitut Frank E. Campbell, New York City, Dezember 1980

(“Frank E. Campbell” steht übrigens gleich zwei Mal auf dem Eingang des Gebäudes — aber den hat “Bild am Sonntag” abgeschnitten.)

Sensibler geht’s nicht

Am 11. Dezember berichtete sueddeutsche.de:

Nach dem Tod von Robert Enke hat die Fußballbranche begonnen, neu über einige Themen nachzudenken, zum Beispiel über den Umgang mit Tabus oder die Frage nach dem öffentlichen Druck auf einen Profispieler – oder die Spielernoten. (…)

[Auch “Bild”] ist nach dem Enke-Tod nicht einfach so zur Tagesordnung übergegangen. Über vieles sei diskutiert worden, auch über Noten, und man sei schließlich zu dem Ergebnis gekommen, bei der Benotung so weiter zu machen wie bisher, sagt [Walter M.] Straten. Auch in seiner Redaktion soll es zu einem etwas sensibleren Umgang mit den Zensuren kommen: “Wir werden wohl mit extremen Noten etwas vorsichtiger sein”, sagt der stellvertretende Bild-Sportchef. Man werde sich einmal mehr überlegen, “ob der Spieler, der eine klare Torchance vergeben hat, oder der Torwart, der den Ball hat durchflutschen lassen, eine Sechs bekommt oder eine Fünf reicht”.

Heute urteilte die “Bild am Sonntag” über die Leistungen von Hannover 96 wie folgt:

Nach einem Beitrag von Spox-Mitarbeiter Max-Jacob Ost (“GNetzer”), mit Dank an Toni Z.!

Nachtrag, 18. Januar. Aus dem Spielbericht in “Bild”:

Das war nicht mal Betriebssport
Die roten Voll-Versager

Die roten VOLL-VERSAGER! Das war nicht mal Betriebssport, so steigt ihr ab – aber 100-prozentig…

Deshalb schreibt BILD das Wort “Mannschaft” ab sofort nur noch in Anführungszeichen. Und zwar solange, bis die Profis endlich wieder zeigen, dass sie eine MANNSCHAFT sind!

Diese 96-“Mannschaft” spielte gegen Hertha wie ein Absteiger. Ohne Biss und ohne Ideen. Führungsspieler? Die haben die Roten nur in der Gehaltstabelle. (…)

Die roten VOLL-VERSAGER sind aber nicht nur auf dem Platz… (…)

Die roten Vollversager – bei 96 steht jetzt alles und jeder auf dem Prüfstand!

“Und was qualifiziert Sie so als Journalist?”

Seit im vergangenen November bekannt wurde, dass Kristina Köhler neue Bundesfamilienministerin wird, steht eine Frage im Raum:

Kann man ohne Kinder eine gute Familien-Ministerin sein?

Sie ist jung, ledig, kinderlos – und künftig die Mutter der Nation. Kristina Köhler (32, CDU) ist Deutschlands neue Familienministerin. Ist die Hessin diesem Job gewachsen?

(Bild.de, 28. November 2009)

“Ihre Vorgängerin im Amt, Ursula von der Leyen, ist siebenfache Mutter. Sie sind ledig und kinderlos. Was qualifiziert Sie als Familienministerin?”

(“Bild am Sonntag”, 29. November 2009)

“Frau Ministerin Köhler, Sie sind 32 Jahre jung, kinderlos – was befähigt Sie, das Familienministerium zu führen?”

(“Welt am Sonntag”/“Berliner Morgenpost”, 6. Dezember 2009)

“Frau Köhler, Sie sind 32, kinderlos und noch ledig. Was qualifiziert Sie, das Familienministerium zu leiten?”

(“Bild”, 14. Januar 2010)

Trotz der immer gleichen Fragen blieb Frau Köhler bei ihren Antworten ausgesucht höflich, bemühte sich aber im Gegenzug um ähnlich große Unoriginalität:

Ich habe mich sowohl in meinem Studium als auch in meiner bisherigen Arbeit im Innenausschuss immer mit gesellschaftlichen Themen befasst. Vor allem habe ich mich um Integration von Migranten und den Kampf gegen Rechtsextremismus, Linksextremismus und Islamismus gekümmert. Das sind Themen, die auch in meinem Ministerium von entscheidender Bedeutung sein werden.

(“Bild am Sonntag”, 29. November 2009)

Das mit den 32 Jahren, das wird sich ja im Laufe der Zeit ändern. Ich bin jetzt Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – und Sie werden schwerlich jemanden finden, der all diese Bereiche in einer Person vereinigt. Ich habe mich im Studium und auch in meiner bisherigen Funktion im Innenausschuss intensiv mit gesellschaftspolitischen Fragen beschäftigt, daran knüpft mein jetziges Amt gut an.

(“Welt am Sonntag”/“Berliner Morgenpost”, 6. Dezember 2009)

Das mit den 32 Jahren wird sich ja im Laufe der Zeit ändern. Ich bin jetzt Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – und Sie werden schwerlich jemanden finden, der all diese Bereiche in einer Person vereinigt. Ich habe mich in meiner bisherigen Funktion im Innenausschuss intensiv mit gesellschaftspolitischen Fragen beschäftigt und war beim CDU-Grundsatzprogramm für Familie zuständig – daran knüpft mein jetziges Amt gut an.

(“Bild”, 14. Januar 2010)

Mit Dank auch an Stephan K.

Linke Wahlkampf-Berichterstattung

Die Axel Springer AG behält sich das Recht vor, im Wahlkampf einseitig und irreführend über die Parteien und ihre Programme zu berichten. Das kann man aus einer Stellungnahme folgern, die die Rechtsabteilung des Verlages gegenüber dem Presserat abgegeben hat.

Es geht um die Art, wie die “Bild am Sonntag” im vergangenen Bundestagswahlkampf die Steuerpläne der Parteien darstellte (wir berichteten). In einer Übersicht zum Ausschneiden und Aufheben stellte sie scheinbar die unterschiedlichen Positionen der Parteien dar. Bei der Linken fanden sich — als einziger Partei — ausschließlich Pläne für Steuererhöhungen. In seinem auf der nächsten Seite stehenden Leitartikel bestätigte der “stellvertretene (sic!) Chefredakteur” Michael Backhaus den Eindruck: “Die Linkspartei denkt nur ans Erhöhen.” Das war angesichts des Wahlprogramms, das Steuersenkungen für kleine und mittlere Einkommen vorsah, objektiv falsch …

… nach Ansicht der Abteilung Verlagsrecht der Axel Springer AG jedoch absolut zulässig. Sie erklärte gegenüber dem Presserat, bei dem wir uns über die Berichterstattung der “Bild am Sonntag” beschwert hatten, dass der Presserat selbst schon 1990 festgestellt habe, dass es nicht zu kritisieren sei, wenn eine Zeitung lediglich über einen bestimmten Ausschnitt aus einem Wahlprogramm berichte. Die Richtlinie 1.2 im Pressekodex, die sich mit der Wahlkampfberichterstattung beschäftigt, sei bloß eine “Kann-Bestimmung”.

In dieser Richtlinie heißt es:

Zur wahrhaftigen Unterrichtung der Öffentlichkeit gehört, dass die Presse in der Wahlkampfberichterstattung auch über Auffassungen berichtet, die sie selbst nicht teilt.

Ob eine Zeitung dieser Empfehlung folgen wolle, müsse ihr selbst überlassen bleiben, argumentiert Springer. Der Verlag beharrt zudem darauf, dass der von uns bemängelte Kasten die Forderungen der Linkspartei korrekt wieder gegeben habe — die Erhöhung des Steueraufkommens sei ein zentraler Bestandteil des Wahlprogramms.

Der Beschwerdeausschuss des Presserates widersprach:

Zwar kann eine Redaktion selbst entscheiden, welche Schwerpunkte sie setzt, wenn sie über Wahlprogramme berichtet und ist nicht gezwungen, jeweils alle Details zu nennen. Insbesondere in Kombination mit dem Kommentar-Satz “Die Linke denkt nur ans Erhöhen” wird jedoch der Eindruck erweckt (…), es gebe keinerlei Steuersenkungs-Pläne im Programm. Die Darstellung ist irreführend, da nicht mitgeteilt wird, dass DIE LINKEN für etliche Gruppen die Steuern senken wollen. Im Sinne einer umfassenden Information des Lesers wäre es notwendig gewesen, auch das zumindest zu erwähnen. Das hätte die Sorgfaltspflicht erfordert.

Der Presserat erteilte “Bild” deshalb einen “Hinweis”, die Schwächste der drei (allesamt folgenlosen) Beanstandungs-Formen des Gremiums.

Nicht bemängelt wurde vom Presserat, dass die “Bild am Sonntag” einer Gegendarstellung, in der Oskar Lafontaine später den falschen Behauptungen der Zeitung widersprach, den Satz hinzufügte, sie sei zu deren Abdruck “unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt” verpflichtet — und so den falschen Eindruck erweckte, Lafontaines Äußerungen seien unwahr.

“LG Klaus”

Am vergangenen Freitag wurde eine Lehrerin in Bremen vor ihrem Wohnhaus erstochen. Weil es sich bei dem Täter offenbar um einen ihrer früheren Mitschüler Schüler handelt, der als “psychisch auffällig” gilt und “massiv” für das spätere Opfer “schwärmte”, berichten “Bild”, “Bild am Sonntag” und Bild.de ausführlich über den Fall.

Bebildert sind die Artikel mit einem Foto der toten Lehrerin, das erstaunliche Ähnlichkeit mit einem Foto aufweist, das an ihrem Gymnasium inmitten von Blumen und Kerzen zum Gedenken an die Verstorbene abgelegt wurde.

Am Samstag richtete die Schule ein Online-Kondolenzbuch für die Tote ein. Als einer der Ersten meldete sich 40 Minuten später ein Mann zu Wort, bei dem es sich offensichtlich um Klaus Schlichtmann handelte, Chefreporter der “Bild am Sonntag”.

Er hinterließ seine E-Mail-Adresse und schrieb:

Klaus Schlichtmann schrieb: Auch mein Mitgefühl gilt den Angehörigen und Freunden von Frau Block sowie den Schülern, die sie kennen- und schätzen gelernt haben.
Hat denn jemand eine Vorstellung, was hinter dieser schockierenden Tat stecken könnte (Motiv) bzw. gibt es Hinweise auf den ehemaligen Schüler, der zum Mörder wurde ...? LG Klaus
Admin: Emaillink wurde entfernt.

Auch eine Art, seine Anteilnahme zu zeigen.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

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