Archiv für 6 vor 9

Raubritter, Paywalls, Münchhausen

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Acta oder der Schutz der Raubritter”
(faz.net, Volker Grossmann und Guy Kirsch)
Zwei Ökonomen aus der Schweiz argumentieren, dass das geltende Urheberrecht dem Rechtsempfinden vieler Menschen widerspricht, weil es in Wahrheit gar nicht die Interessen der Urheber selbst schütze, sondern die der Unterhaltungsindustrie: “Urheberrechte manifestieren oftmals eine im vordigitalen Zeitalter erworbene Machtposition, mittels derer die Unterhaltungsindustrie eine Rente, das heißt ein leistungsloses Einkommen, erwirtschaftet. Wie ehedem die Raubritter: Auch diese nahmen die Bauern aus, die ihre Waren in die Stadt bringen wollten, ebenso die Städter, die auf dem Markt einkaufen wollten – und rechtfertigten dies damit, dass sie die Sicherheit der Wege gewährleisteten.”

2. “Syria Correspondent Wanted Her Reporting Read Outside Pay Walls”
(mediadecoder.blogs.nytimes.com, Brian Stelter, englisch)
Kurz vor ihrem Tod in Syrien hat die amerikanische Kriegskorrespondentin Marie Colvin darüber geklagt, dass ihr Auftraggeber, die “Sunday Times”, ihren Bericht über die mörderische Situation in Homs online hinter einer Paywall versteckt und er dadurch nicht die größtmögliche Aufmerksamkeit bekommt.

3. “Talkshow-Leaks”
(V.i.S.d.P.)
“Die interne ARD-Talkkoordinierungs-Webseite zeigt, wie die Redaktionen um Themen und Gäste kämpfen. V.i.S.d.P. veröffentlich exklusiv Screenshots daraus.” So gab “Hart aber fair” an, das Thema “Jetzt sage ich endlich die Wahrheit” u.a. mit Helmut Kohl und den Baronen Guttenberg und Münchhausen besetzen zu wollen.

4. “Pressefreiheit für Baku”
(pressefreiheit-fuer-baku.de)
Mit Interviews, Dokumenten und einer Chronik über Verletzungen der Pressefreiheit (pdf) macht “Reporter ohne Grenzen” vor dem Eurovision Song Contest in Baku auf die “Diskrepanz zwischen der glitzernden PR-Fassade und der bitteren Wirklichkeit Aserbaidschans” aufmerksam. “Juli 2011: FAZ-Journalist Michael Ludwig und sein aserbaidschanischer Kollege Hakimeldostu Mehdijew werden bei Recherchen in der Autonomen Republik Nachitschewan behindert. Mehdijew, der als Korrespondent für das Institut für die Freiheit und Sicherheit von Journalisten arbeitet und Ludwig bei seinen Recherchen begleitete, wird am 27. September 2011 wegen ‘illegalen Gebrauchs von Elektrizität’ zu einer Geldstrafe verurteilt.”

5. “Boulevard Of Breaking News”
(coffeeandtv.de, Lukas Heinser)
“Bei ‘Spiegel Online’ wollen sie auch ganz dringend Boulevard machen, aber sie können es nicht”, schreibt Lukas Heinser und dokumentiert aktuelle Anschauungsstücke wie einen nacherzählten und erklärten Witz von Russell Brand. “Die gute Nachricht: Den vierten Absatz erreichen die wenigsten Leser wach oder lebendig.”

6. “Japan Earthquake: Before and After”
(theatlantic.com, englisch)
20 großformatige Fotos zeigen die Verwüstungen in Japan nach dem Tsunami und wie es heute, fast ein Jahr später, an exakt denselben Stellen aussieht.

Nippel, Viva, Whitney Houston

6 vor 9

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1. “Kiffen ja, Nippel nein”
(spiegel.de, Christian Stöcker)
“Ein geheimes Handbuch für Facebook-Kontrolleure zeigt, was das Netzwerk in seinem Reich duldet. Kiffen, zerquetschte Köpfe, tiefe Fleischwunden – alles kein Problem. Nicht okay sind Sex, weibliche Brustwarzen, Tierquälerei: Solche Bilder werden gelöscht. Subtil setzt der Konzern seine eigenen Werte durch.”

2. “Der Ausschluss der Öffentlichkeit ist keine Lösung”
(vocer.org, Gisela Friedrichsen)
Gisela Friedrichsen, Gerichtsreporterin des “Spiegel”, beschreibt vor dem Hintergrund einer aktuellen Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln (s. “6 vor 9” vom 15. Februar), wie sich die Arbeit von Gerichtsreportern geändert hat. Immer neue, teils vage Entscheidungen der Pressekammern sorgten für eine “Schere im Kopf”; Sprecher der Staatsanwaltschaft und Medienanwälte versuchten, die Berichterstattung in ihrem Sinne zu beeinflussen; Medien würden Zeugen noch vor deren Aussagen “einkaufen” und “Neulinge” unter den Berichterstattern erstaunt registrieren, “dass es in der realen Justiz etwas anders zugeht als im Fernsehen bei Alexander Holt oder Barbara Salesch”. Ohne explizite Namensnennung bekommt auch Alice Schwarzer ihr Fett weg, Friedrichsens Kontrahentin in der Berichterstattung über den Prozess gegen Jörg Kachelmann: “Niemand würde einen Laien ein bedeutendes Fußballspiel oder eine Neuinszenierung in der Oper kommentieren lassen. Ins Gericht aber wagen sich selbst ernannte Experten und vor allem Expertinnen, die oft genug eine feste Meinung, aber keine Ahnung haben.”

3. “Bravo, Viva!”
(alexandervonbeyme.net)
Alexander von Beyme lobt die Social-Media-Redakteure des TV-Senders Viva, die bei Facebook gegen homophobe Kommentare unter einem Foto des Tokio-Hotel-Sängers Bill Kaulitz vorgegangen sind. Gleichzeitig kritisiert er eine HSV-Fanseite, die mit homophoben Sprüchen vor dem Nordderby gegen Werder Bremen für Stimmung sorgen wollte.

4. “Der Youssou-Effekt”
(muel.ch, Samuel Burri)
Samuel Burri, als Journalist in Westafrika, wundert sich darüber, dass sich die deutschen Nachrichtenagenturen bei ihrer Berichterstattung über die anstehenden Wahlen im Senegal vor allem auf den auch in Europa bekannten Sänger und Oppositionellen Youssou Ndour konzentrieren, der am Dienstag bei Protesten am Bein verletzt worden sein soll. “Natürlich kann man den Hype um Youssou Ndour auch positiv sehen. Seine Präsenz bei Aktionen der Opposition schafft Medienöffentlichkeit. So geht zumindest nicht vergessen, dass im Senegal am Sonntag gewählt wird. Doch wie viele andere wurden schon verletzt oder getötet im Verlauf der Demonstrationen?”

5. “Schöner Einstieg für Gauck”
(zapp.blog.ndr.de)
Auf der Suche nach dem Fahrer, in dessen Taxi Joachim Gauck von Angela Merkel angerufen und zum Bundespräsidenten-Kandidaten wurde, setzte der “Stern” auf uralte Methoden — und eine Belohnung.

6. “Back in Black – Whitney Houston’s Death”
(thedailyshow.com, Video, englisch)
Lewis Black regt sich über die TV-Berichterstattung zum Tode Whitney Houstons auf.

Kritikkultur, Embed-Codes, Interviewmüller

6 vor 9

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1. “Wie vielfältiger und anspruchsvoller Journalismus künftig besser realisiert werden kann”
(funkkorrespondenz.kim-info.de, Marc Jan Eumann)
Marc Jan Eumann plädiert für eine Bündelung des Programmvermögens von ARD und ZDF und hat den Eindruck, dass aktuell zu viele Ressourcen für More-of-the-same-Journalismus verschwendet werden.

2. “Kritikkultur in Redaktionen: Fehlanzeige”
(de.ejo-online.eu, Susanne Fengler)
Eine Untersuchung in drei niederländischen Redaktionen stellt fest, dass Journalisten große Schwierigkeiten haben, professionell mit Kritik umzugehen. “Weder wagen sie es in Redaktionskonferenzen, die Arbeit von Kollegen in Frage zu stellen – noch sind sie gewillt, Kritik von außen anzunehmen.”

3. “Medien, lernt von YouTube: Artikel brauchen Embed-Codes”
(blogs.tageswoche.ch, David Bauer)
“Medien müssen viel stärker Teil des Inhalte-Ökosystems im Netz werden, das heißt: Inhalte Dritter einbinden, wo immer es sinnvoll ist und die eigenen Inhalte so freigeben, dass sie eingebunden werden können, wo immer es sinnvoll ist. Sie werden selber am allermeisten davon profitieren.”

4. “Warum wir gegen Stadt und Landkreis geklagt haben”
(ankommen.nordbayerischer-kurier.de)
Das Verwaltungsgericht Bayreuth gibt dem “Nordbayerischen Kurier” recht, der Informationen über das Gehalt eines Klinikumschefs einforderte. “Die Probleme sind nämlich überall dieselben: Die Kommunen weigern sich, uns die nach Presserecht zustehenden Informationen zu geben. In der sensiblen Frage des Gehaltes von Klinikum-Geschäftsführer Ranftl entschied das Verwaltungsgericht nach intensiver Prüfung entschieden für die Pressefreiheit.”

5. “Ein Interview mit dem Interviewmüller”
(umblaetterer.de, Marcuccio)
Marcuccio liest ein Interview mit Andre Müller von 1991 nochmals: “Die feinen Unterschiede zwischen einer Müllermutter-Interviewmontage und der ins Interviewformat gegossenen Hollywood-Fanfiction eines Tom Kummer hätte man von der Journalistik und/oder Literaturwissenschaft aber schon noch mal gerne aufgearbeitet.”

6. “Kathrin Passig: Mein Medien-Menü (Folge 2)”
(christoph-koch.net)

(“6 vor 9” hatte heute mit technischen Problemen zu kämpfen. Wir bitten um Entschuldigung.)

Gauck, Griechenland, Augstein

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1. “Teure Imagepflege: Wo sind die Grenzen des Wissenschaftsmarketings?”
(scilogs.de, Peter Zekert)
Kritische Anmerkungen zur “Zeit”-Beilage “Wie wird geforscht in Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt” von Peter Zekert, der am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig für die Pressearbeit zuständig ist. Es werde Druck aufgebaut, um Universitäten und Forschungseinrichtungen dazu zu bewegen, Anzeigen und Advertorials zu schalten.

2. “Diesen Kuss der ganzen Welt”
(perlentaucher.de, Thierry Chervel)
Thierry Chervel zeigt auf, wie die deutschen Verlage den Begriff “geistiges Eigentum” deuten und nutzen. “Eigentum bezeichnet die Verfügungsgewalt über eine Sache, also eigentlich das Recht, sie zu zerstören. Den Stuhl, den ich besitze, kann ich auch zerhacken und verheizen. Nicht einmal der Urheber eines Werkes aber hat diese Gewaltoption und dieses Recht, zumindest wenn das Werk veröffentlicht ist. Ist ein Werk in der Welt, gehört es ihr auch. Thomas Mann kann nicht in die Nationalbibliothek gehen und auf die Herausgabe des ‘Zauberbergs’ drängen, weil er den Schluss überarbeiten will.”

3. “Journalismus ohne Mut ist etwas ganz Trauriges”
(vocer.org, Ulrike Langer und Stephan Weichert)
Ein Gespräch mit Jakob Augstein, Verleger von “Der Freitag”. “Wir haben eine sehr gut funktionierende Medien- und Presselandschaft, auch wenn die Verlage große Panikstimmung verbreiten. Wenn man ehrlich ist, geht es den Verlagen doch gar nicht so schlecht.”

4. “Gauck in der Filterbubble oder wie wir lernten den Kontext zu ignorieren”
(blog.karlshochschule.de, Patrick Breitenbach)
Patrick Breitenbach prüft Aussagen über Haltungen, die Joachim Gauck angeblich hat. Siehe dazu auch “Was Gauck wirklich gesagt hat” (sueddeutsche.de, Kathrin Haimerl), “Wie das Netz den bösen Gauck erfand” (cicero.de, Christian Jakubetz) und “Wie Gauck durch halbe Zitate zum Sarrazin-Kumpel wird” (medien-monitor.com, Christian Spöcker).

5. “Bild-Zeitung skandalisiert ‘Vagina Monologe'”
(badische-zeitung.de, Julia Littmann)

6. “Im freien Fall”
(sueddeutsche.de, Alex Rühle und Kai Strittmatter)
Ein ausführlicher Lagebericht aus Griechenland (Druckversion): “Auch wenn die Worte ‘Merkel’ und ‘Hitler’ schnell mal zusammengespannt werden in hitzigen Wortgefechten auf den Straßen Athens – nein, man wird nicht beschimpft als Deutscher. Manchmal hält der andere einfach nur inne. ‘Aah, Deutscher.’ Eine Pause, dann, ein wenig bitter, ein wenig ehrfürchtig: ‘Ihr habt noch Lohn, ihr Deutschen. Ihr habt noch Arbeit. Ihr habt noch Rechte.'”

Bundespräsident, Georg Diez, Zwickau

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1. “Zur Strecke gebracht”
(nzz.ch, Jürg Dedial)
Jürg Dedial hält den Fall Wulff für “ein unrühmliches Kapitel politischer und medialer Auseinandersetzung in Deutschland”. “Hinter dem fast täglichen Theater um neue ‘Enthüllungen’, die man kaum mehr goutieren konnte, steckte nichts anderes als der Furor einer selbstgerechten Meute, die Blut geleckt hatte.” Siehe dazu auch “Wulff oder Europa? Prioritäten der Massenmedien” (berlinergazette.de, Krystian Woznicki), “Mediale Aufmerksamkeit bei politischen Affären” (graphitti-blog.de, katja) und “Schafft den Bundespräsidenten ab!” (verfassungsblog.de, Bernhard Wegener).

2. “‘Krone’ fälscht Königin 2002 nach Innsbruck 2012”
(kobuk.at, Hans Kirchmeyr)
“Die Kronen ‘Zeitung’ schneidet aus einer zehn (!) Jahre alten Aufnahme Königin Beatrix heraus, weil da Blick und Outfit gerade ‘passen’, und montiert sie vor die Innsbrucker Uniklinik, scheinbar aktuell besorgt um ihren verunfallten Sohn.”

3. “Ich möchte die Stereotype aufbrechen”
(goethe.de, Christoph Brammertz)
Ein Interview mit Bloggerin Kübra Gümüsay von “Ein Fremdwörterbuch”: “Ist unsere Gesellschaft schon bereit, eine Frau mit Kopftuch im Fernsehen zu haben und sie nicht mit einem Wort über das Kopftuch sprechen zu lassen? Sobald ein Kopftuch da ist, hat man das Bedürfnis, es zu thematisieren. Ich hoffe, dass ich irgendwann im Fernsehen zum Beispiel über das Internet sprechen kann, ohne mein Kopftuch erwähnen zu müssen.”

4. “Wir wollen niemanden diskriminieren und vermuten, das ist den meisten Zwickauern klar”
(zwickauerseiten.blogspot.com)
Die “Zwickauer Seiten” fragen bei der ARD nach, warum in den Nachrichten über die “Terrorzelle” konsequent ein Bezug zur Stadt Zwickau hergestellt werde, der Begriff “NSU” dagegen kaum vorkomme. Kai Gniffke, Chefredakteur von ARD aktuell, antwortet.

5. “Offener Brief an die Spiegel-Chefredaktion zu Kracht”
(kiwi-verlag.de)
17 Autoren protestieren bei der “Spiegel”-Chefredaktion: “Mit dem Spiegel-Artikel ‘Die Methode Kracht’ hat der Literaturkritiker Georg Diez für uns die Grenzen zwischen Kritik und Denunziation überschritten.” Siehe dazu auch “Die Methode Diez” (welt.de, Cornelius Tittel).

6. “Peinlicher Fernsehbeitrag vor Gericht”
(sueddeutsche.de, Ekkehard Müller-Jentsch)
Die Produktionsfirma der RTL2-Sendung “Exklusiv – die Reportage” sichert einem im Swingerclub gefilmten Paar Verpixelung zu, doch das Versprechen wurde “einfach vergessen”. Die 15-jährige Tochter sieht die Sendung später per Zufall online und erkennt ihre Eltern.

Remix, Netzgemeinde, Netzgemüse

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1. “Feldherr im digitalen Krieg”
zeit.de, Kilian Trotier
Kilian Trotier portraitiert den kanadischen Autor, Blogger und Aktivisten Cory Doctorow. Doctorow sei ein klassischer Aktivist, “aber gleichzeitig einer, der einen neuen Typus des Engagierten im öffentlichen Raum” verkörpere. Doctorow sei “einer der großen Digitalen” unserer Zeit. Der Habitus der Großen der analogen Welt aber sei ihm völlig fremd. Und tatsächlich ordnet Doctorow seine Aktivitäten selbst eher in einen eher spielerischen Kontext ein, als einen kriegerischen, wie es die Überschrift suggeriert. Doctorow: “Wir sind im ersten Level eines sehr langen und sehr komplexen Spiels. Der Endgegner ist noch lange nicht in Sicht.”

2. “Everything is a Remix Part 4”
everythingisaremix.info, Kirby Ferguson, englisch
Im vierten und letzten Teil seiner Serie “Everything is a Remix” wird Kirby Ferguson grundsätzlich und behauptet das Urheberrechtssystem in der westlichen Welt seinen ursprünglichen, dem Gemeinwohl dienenden Zweck aus den Augen verloren habe und nun statt des Gemeinwohls zum Selbstzweck und systemzerstörenden Geschäftsmodel geworden sei: “The belief in intellectual property has grown so dominant it’s pushed the original intent of copyrights and patents out of the public consciousness. But that original purpose is still right there in plain sight. The copyright act of 1790 is entitled ‘an Act for the encouragement of learning’. The Patent Act is ‘to promote the progress of useful Arts.'”

Ein Transcript des Films liegt hier.

3. “How Much Is Enough? We’ve Passed 15 ‘Anti-Piracy’ Laws In The Last 30 Years”
techdirt.com, Mike Masnick, englisch
Mike Masnik listet die 15 Gesetze zum Schutz von “geistigem Eigentum” auf, die auf Initiative der Unterhaltungsindustrie in den letzten 30 Jahren in den USA verabschiedet wurden. Offenbar ist der Spruch vom rechtsfreien Raum Internet auch in den USA bei Politikern und Lobbyisten sehr beliebt: “But apparently we’re told that the internet is a ‘lawless wild west’ when it comes to copyright issues? I think not. All we’ve seen is expansion after expansion after expansion, always using questionable claims of rampant infringement that is supposedly destroying industries.”

4. “Welches Chaos?”
spreeblick.com, Johnny Haeusler
Johnny Haeusler bemängelt, dass die FAZ über die jüngsten Proteste in Griechenland schrob “Athen versank im Chaos” und der Berliner Tagesspiegel die in Griechenland protestierenden “Chaoten” nannte, ohne den Blick auf das grosse Ganze zu richten und nach den Auslösern zu fragen. Haeuslers Fazit: “Das Chaos wütet nicht nur auf den Straßen von Athen, sondern auch in den Sälen von Straßburg, Brüssel, Paris, Berlin.”

Den Eindruck, dass Ahnungslosigkeit, blinder Aktionsismus und Chaos grosse Teile der Politik antreiben drängt sich zumindest auf, wenn man Konrad Lischkas Kommentar zu den vorgeschlagenen Massnahmen der Drogenbeauftragten der Bundesregierung gegen Onlinesucht liest oder Sven Dietrichs Kommentar zur “EU Cookie Richtlinie”.

5. “Das Ende der Netzgemeinde”
indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer
Thomas Knüwer prophezeit das Ende der “Netzgemeinde”, meint damit aber das Ende einer unpassenden Bezeichnung für einen sehr grossen Teil der Gesellschaft. In Deutschland verändere sich laut Knüwer die Haltung gegenüber digitalen Werkzeugen weg von “der German Facebook Angst hin zu mehr Offenheit ohne unkritisch zu sein.” Knüwer glaubt, dass das auch auch den Abschied vom Begriff der “Netzgemeinde” bedeute: “Mit jenem wolkigen Begriff versuchen noch immer Politiker und Journalisten den Mythos aufrechtzuerhalten, digitale Themen seien nur etwas, das eine kleine, verschworene Minderheit interessiere, einen Wan Lan Klan in Kapuzzenpullis und mit Irokesenhaarschnitt.”

Wenn es dann bald keine “Netzgemeinde” mehr gibt, gibt es künftig immerhin noch “Netzgemüse“.

6. “Die Medien als Richter?”
vocer.org, Volker Boehme-Neßler
Der Rechtswissenschaftler und Politologe Volker Boehme-Neßler fordert, dass die Unabhängigkeit der Richter künftig auch durch eine “ausgeprägte Mediensouveränität” der Richter sichergestellt wird: “Richter müssen sich bewusst werden, dass sie nolens volens durch Medien beeinflusst werden. Die Unabhängigkeit eines Richters wächst in dem Maße, wie er sich seiner Abhängigkeit bewusst wird. Nur wer seine Abhängigkeiten kennt, kann ihnen entgegenwirken. Die in Justizkreisen weit verbreitete Ansicht, Richter seien per se resistent gegen Mediendruck, ist nicht nur sachlich falsch. Sie behindert auch den wirklich souveränen Umgang mit den Versuchungen, Drohungen und Einflüssen der Medien.”

Kalkofe, Wegner, Botticelli

6 vor 9

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1. “Das wahre Wulff-Interview” Teil 2
(sat1.de, Video)
Gestern hat Lukas Heinser Teil 1 des Webspecials von Oliver Kalkofe verlinkt, in dem Kalkofe das ARD/ZDF Interview mit Christian Wulff nachspielt. Teil 2 ist jetzt auch online.

2. “Aus mag10 wird mag15 oder magNever”
(medialdigital.de, Ulrike Langer)
Das Projekt Mag10 des ehemaligen Focus-Online Chefredakteurs Jochen Wegner und des Software-Unternehmers Marco Börries wird derzeit nicht weiterentwickelt. mobilbranche.de berichtete vorgestern, dass “das Projekt mangels Anschlussfinanzierung auf Eis gelegt” sei und zitiert Jochen Wegner mit den Worten “Wir grübeln darüber nach, ob wir mit unserer Idee vielleicht einfach zu früh waren.”

Ulrike Langer sieht aber auch Defizite im Konzept von Mag10: “Zwar ermöglicht die mag10-Software Verlinken und Sharing in sozialen Netzwerken, sowie über per HTML5 die Inhalte auch ins offene Netz zu stellen. Das ist mehr als gegenwärtiger Standard. Allerdings bleibt der Grundgedanke von Magazinen als geschlossene Einheiten auch bei mag10 erhalten.”

3. “Wulff sollte Kinoanzeigen texten”
(tagesspiegel.de, Harald Martenstein)
Harald Martenstein liest eine Anzeige für den Kinofilm “Zettl” von Helmut Dietl. Martenstein wundert sich über die vielen positiven Kritikerstimmen zu “Zettl” in der Anzeige, obwohl er das Medienecho zu “90 Prozent negativ” in Erinnerung hatte. Martenstein: “Allerdings enthielten die Zitate auffällig oft drei Punkte. Die ‘Zeit’ sagt zu ‘Zettl’, laut Anzeige, das Folgende: ‘Brillant … furios …'” Das vollständige Zitat in der Zeit lautete: “Die ersten zwanzig Minuten sind furios – auch dank Bully Herbig, der die reichen Pointen des Drehbuchs mit so zarter Verkommenheit und herzzerreißendem Opportunismus ausspielt […]. […] Dem Film fehlen trotz seiner brillanten Besetzung die Seele und das Geheimnis.”

4. “Sony Says Raising Prices On Whitney Houston Music Was A ‘Mistake'”
(techdirt.com, Mike Masnick, englisch)
Sony erhöhte 30 Minuten nach Whitney Houstons Tod den Preis Ihres The Ultimate Collection-Albums im britischen iTunes-Store um 60 Prozent. Im Laufe des Wochenendes fiel der Preis wieder auf den alten Stand zurück. Laut allthingsd entschuldigte Sony die Preiserhöhung als “Fehler”. Mike Masnick fragt sich nun, welcher Art dieser Fehler gewesen sein könnte: “Human error? Did someone just accidentally jack up the price? Or was it someone doing it on purpose… and Sony now thinks that his or her decision to do so was the mistake?”

5. “Walter Isaacson’s ‘Steve Jobs'”
(daringfireball.net, John Gruber, englisch)
John Gruber schätzt an Walter Isaacsons Steve Jobs Biographie die kritische Distanz zu Jobs: “Isaacson, it seems clear, mistrusted Jobs. That’s good. But rather than using that mistrust to push back, to ask insightful questions, he instead simply turned to others.” Gruber weist Isaacson detailiert mehrere Fehler, Mißverständnisse und Auslassungen nach. Trotzdem lautet sein Fazit: “Steve Jobs is not literature, but it is a good book, but alas with several holes and egregious errors.”

6. “Art’s classical nudes get Photoshopped to be skinnier”
(nydailynews.com)
Die NY Daily News zeigt 8 klassische Meisterwerke, auf denen den gezeigten, meist nackten Frauen, mittels Photoshop mehrere Kilo ihres Körpers entfernt wurden, unter anderem Botticellis Geburt der Venus.

Kalkofe, Acta, EVAG

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1. “Das wahre Wulff-Interview”
(sat1.de, Video)
“Kalkofes Mattscheibe” ist nach fast vier Jahren mit einem “Web-Special” wieder auf Sendung. Darin zeigt Oliver Kalkofe das “wahre” Interview, in dem Ulrich Deppendorf (Oliver Kalkofe) und Bettina Schausten (Oliver Kalkofe) Bundespräsident Christian Wulff (Oliver Kalkofe) auf den Zahn fühlen. (Siehe dazu auch “Kalkofe hofft auf ‘Mattscheibe’-Neustart im Netz” bei dwdl.de.)

2. “Lobhudelei in traurig-krächzender Show”
(fr-online.de, Sarah Mühlberger)
“‘Wir haben eine große Künstlerin verloren’, sagte Thomas D, und richtig, damit meinte er Shelly, die gerade im ‘Unser Star für Baku’-Halbfinale ausgeschieden war. Es war eine traurige Sendung, in vielerlei Hinsicht, aber dass statt Yana nun doch Ornella im Finale gegen Roman verlieren wird, hatte damit wenig zu tun.” “Traurig” sind laut meedia.de auch die Zuschauerzahlen der Sendung.

3. “Acta und die Politik des Abgrunds”
(spiegel.de, Sascha Lobo)
Sascha Lobo sieht in den Protesten gegen das umstrittene Handelsabkommen Acta auch einen Protest dagegen, “wie eine unzureichend informierte, wenig diskussionsfreudige Politik sich intransparent von Lobby-Gruppen eine Vorgehensweise diktieren lässt, die mit der eigenen digitalen Lebenswelt überkreuz liegt.” Darin tue sich eine Reihe gefährlicher Abgründe auf: “Es beginnt damit, dass die Art, wie Acta und seine Brüder geboren werden, das ohnehin schon geringe Vertrauen in die Apparate der EU erschüttert. Was angesichts der derzeitigen Probleme des Kontinents gleich nach Überdachung des Mittelmeers das zweitdümmste ist, was passieren kann.”

4. “Im Elend für den Angeklagten”
(sueddeutsche.de, Hans Leyendecker)
Jörg Kachelmann hatte vor dem Oberlandesgericht Köln geklagt, weil unter anderem “Bild” im Detail über einvernehmliche Sexualpraktiken zwischen ihm und seiner Ex-Freundin berichtet hatte, die ihn wegen angeblicher Vergewaltigung angezeigt hatte. Das Gericht entschied, die veröffentlichten Details hätten in keinem Zusammenhang mit dem konkreten Tatvorwurf gestanden, außerdem hätten die Medien wegen der Unschuldsvermutung “zurückhaltend und ausgewogen” berichten müssen. “Übersetzt heißt das: Künftig könnte es für Journalisten riskant sein, aus einer öffentlichen Hauptverhandlung genau zu berichten.”

5. “Hit record”
(salon.com, Kerry Lauerman, englisch)
Salon.com, einer der Pioniere in Sachen Online-Magazine, hat eine erstaunliche Strategie gefunden, seine Ausgaben zu reduzieren: Die Seite produziert ein Drittel weniger Texte als vor einem Jahr — und hat um 40 Prozent höhere Leserzahlen. “It sounds simple, maybe obvious, but: We’ve gone back to our primary mission and have been focusing on originality. And it’s working.”

6. EVAG meets Streisand
(blog.atari-frosch.de)
Wunderwelt Twitter: Die Essener Verkehrs-AG (aktuell 1.193 Follower) “verbietet” dem Satire-Account VRR Fanpage (VRR = Verkehrsverbund Rhein-Ruhr, aktuell 229 Follower) die Nutzung des Hashtags #evag. Seitdem ist #evag – natürlich – ein Trending Topic.

Entschuldigung, Stuckrad-Barre, Pop-Diva

6 vor 9

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1. “Trial & Error & Sorry”
(medienkritik-schweiz.ch, Philip Kübler)
Philip Kübler greift eine Entschuldigung der Boulevardzeitung “Blick” auf und fragt, warum die Angelegenheit “nicht inhaltlich bearbeitet, korrigiert, in ein anderes Licht gestellt, als Medien-Event rückblickend analysiert” wird. “Mit schmallippigen Entschuldigungen übernehmen die Medien eine Unsitte, die in Skandalen auch von Wirtschaftsführern, hohen Beamten und Politikern gepflegt wird: Man breitet irgendwann eine Entschuldigung und (angebliche) Betroffenheit aus, klärt die Sache – den ‘materiellen Inhalt’ – jedoch nicht auf.” Siehe dazu auch “Die Magie der Entschuldigung” (nzz.ch, ras.)

2. “Die Menschenwürde gilt es durchweg zu achten”
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
Benjamin von Stuckrad-Barre spricht über seine Arbeitstechnik, seine Vorbilder und “Bild”. “Boulevard kann extrem viel Spaß machen, eben, wenn man es gut macht. Ich lese wirklich gern Boulevard-Zeitungen, allein schon, weil mich diese Hysterie-Grammatik interessiert.” Angesprochen wird er auch auf die “B.Z.”-Schlagzeile “Boateng würde sogar seine Eltern schlagen” (BILDblog berichtete).

3. “Franz Josef Wagners Weisheiten (7)”
(mediensalat.info, Ralf Marder)
“Es ist einmalig in Deutschland, dass ein Politiker – nicht in einer Wahl, sondern in einem Volksentscheid – abgewählt wird”, schreibt “Bild”-Kolumnist Franz Josef Wagner zur Abwahl des Duisburger Oberbürgermeisters Adolf Sauerland. “Doch Wagners Behauptung ist schlichtweg falsch! In der jüngeren Vergangenheit gab es in Deutschland bereits mehrere Bürgerbegehren bzw. -entscheide zur Abwahl eines Bürgermeisters.”

4. “Daniel Erk: Mein Medien-Menü”
(christoph-koch.net)
Nach dem Vorbild von “What I Read” von “The Atlantic Wire” fragt Christoph Koch nach dem Medienkonsum ausgesuchter Personen: “Jeden Montag also ein neues Medien-Menü – den Anfang macht Daniel Erk, Journalist, Blogger und Sachbuchautor aus Berlin.”

5. “CNN’s Coverage of Whitney Houston’s Death”
(thedailyshow.com, Video, 2:19 Minuten)
Ein CNN-Reporter erzählt Passanten, dass Whitney Houston tot ist.

6. “Über Whitney Houstons Tod oder Was würden Journalisten bloß machen, wenn es das Wort ‘Pop-Diva’ nicht gäbe?”
(sheng-fui.de)

Burnout, Rudi Assauer, Daily Star

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1. “Mit Journalismus nichts mehr zu tun”
(diepresse.com, Felix Lill)
Ein Interview mit Richard Peppiatt, Ex-Mitarbeiter der britischen Boulevardzeitung “Daily Star”: “Die meisten Storys bewegen sich in Grauzonen. Du lügst nicht, aber du sagst auch nicht die Wahrheit. Ich lernte schnell, bestimmte Fakten zu ignorieren, damit die Story den vorgesehenen Ton traf: Drogen und Einwanderung sind schlecht, Strafen müssen härter werden. In der Regel wurde den Reportern ein Thema samt Standpunkt von oben aufgedrückt.”

2. “Die Magazinmacher leiden unter dem wahren Burnout”
(faz.net, Christian Geyer)
Wie Medien den Burnout zuerst hoch-, und dann wieder niederschreiben. “Und all das, obwohl Burnout im medizinischen Sinne gar keine Diagnose sei, sondern in einem Teil der Fälle nur ein neues Wort für Depression.”

3. “Die Alzheimer-Kampagne”
(medien-monitor.com, Julian Pfahl)
Julian Pfahl versucht, herauszufinden, wie es zu den gleichzeitig erschienenen Beiträgen verschiedener Medien zur Alzheimer-Erkrankung von Rudi Assauer kam. “Es scheint unwahrscheinlich, dass Assauer selbst noch für diese Punktlandung verantwortlich ist, die dem Thema maximale Aufmerksamkeit beschert hat. Laut Focus hat er immerhin den Kontakt zu BILD hergestellt. Verleger Christian Jund vom riva-Verlag hingegen kümmerte sich wohl um den großen Rest.” Was Christian Jund bestätigt (faz.net, Bettina Weiguny): “Die Medien so zu koordinieren war harte Arbeit.”

4. “Wie die BamS eine Guttenberg-Party inszenierte”
(netzpolitik.org)
Ein ungenannter Autor beobachtet einen Fotograf der “Bild am Sonntag” beim “Guttenberg Carnival” in einem Berliner Café.

5. “Medizinberichterstattung: Die Rolle der Pressemitteilungen”
(medien-doktor.de, Marcus Anhäuser)
“Die Qualität der Pressemitteilungen scheint die Qualität der journalistischen Artikel zu beeinflussen. Und zwar im Guten wie im Schlechten. Gute Pressemitteilungen führten zu guten Presseartikeln, während schlechte Pressemitteilungen zu eher schlechten Artikel führten.”

6. “Planet der Nichtigkeiten”
(wahrheitueberwahrheit.blogspot.com, Thomas)
Meldungen aus der Wissenschaft, die dazu dienen “das jeweilige Forschungsfeld attraktiver für finanzielle Förderungen zu machen”.

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