Archiv für 6 vor 9

“Last Christmas” in Dauerschleife, Arbeiter in Katar, Presseausweise

1. Rechtssicherheit auf Kosten der Freien
(taz.de, Anja Krüger)
Beim Verlag M. DuMont Schauberg (MDS) arbeiten allein am Standort Köln mehr als 150 Journalisten als Pauschalisten. Viele seien de facto aber als Redakteure tätig, deshalb ermittle die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Beschäftigung Scheinselbstständiger. Nun habe MDS dauerhaften freien Mitarbeitern eine Festanstellung angeboten. Die Konditionen sollen Betriebsräten zufolge aber “unterirdisch” sein.

2. “Alle Jahre wieder” — Die 5 meist kopierten Radioinszenierungen
(fair-radio.net)
Ein Moderator schließt sich bei “Antenne Kärnten” ins Studio ein und spielt 24-mal hintereinander den Weihnachtsnervsong “Last Christmas”. Über den Vorfall berichten zahlreiche Medien, weil’s ja so irre ist. “Fair Radio” findet hingegen: “Wie einfallslos! Denn diese Inszenierung gehört definitiv zu den fünf meist kopierten im Radio.”

3. Bis zur WM sollen in Katar 7000 Arbeiter sterben — an was auch immer
(stefan-niggemeier.de)
In sieben Jahren findet in Katar die Fußballweltmeisterschaft statt. Bis dahin sollen angeblich 7000 ausländische Arbeiter ums Leben kommen. Diese Zahl verbreitet jedenfalls der internationale Gewerkschaftsbund ITUC — und viele Medien greifen die Meldung bereitwillig auf. Dabei beruht die Zahl auf einer fragwürdigen Berechnungsgrundlage. Stefan Niggemeier appelliert deshalb: “Ich habe keine Zweifel daran, dass die Arbeitsbedingungen in Katar furchtbar sind (…). Aber der Preis für die Aufmerksamkeit kann nicht darin bestehen, zweifelhafte Horrorzahlen zu verbreiten.”

4. Wer ist heute noch “Charlie”?
(medienwoche.ch, Carmen Epp)
Mit dem Spruch “Je suis Charlie” solidarisierten sich etliche Medien nach dem Anschlag auf “Charlie Hebdo” mit der Redaktion. Was ist elf Monate später davon geblieben? Mit Blick auf die Schweizer Medienszene bilanziert Carmen Epp: In Sachen Pressefreiheit “ist noch einiges zu tun.”

5. “Geschäftemacherei” mit Presseausweisen
derstandard.at, Oliver Mark)
In Österreich gibt es Schätzungen zufolge 7000 Journalisten. Wie viele Presseausweise kursieren, ist nicht bekannt. Vermutlich sind es allerdings deutlich mehr. Es existiere nämlich weder ein offizieller Presseausweis, noch gebe es einheitliche Kriterien für die Vergabe, schreibt Oliver Mark. Dadurch entstünde ein Wettbewerb der Organisationen, die mit den tollsten Rabatten um Mitglieder kämpfen.

6. Für welche Titel-Storys sollen diese Brüste werben?
(buzzfeed.com, Juliane Leopold)
“Stern”, “Spiegel” und “Focus” kommen nur schwer ohne Frauenbrüste auf ihren Titelseiten aus. Juliane Leopold hat aus einigen (auch schon älteren) Covern ein Quiz gebastelt.

Fehler bei der “New York Times”, “Football Leaks”, Mittelwelle

1. Systemic Change Needed After Faulty Times Article
(publiceditor.blogs.nytimes.com, Margaret Sullivan), englisch
Auf Grundlage anonymer Quellen hatte die “New York Times” schwere Vorwürfe gegen US-Behörden erhoben und ihnen Versagen bei der Kontrolle der Attentäterin von San Bernardino unterstellt. Die Anschuldigung war falsch — und Margaret Sullivan, Public Editor der “NYT”, spart nicht mit Selbstkritik: “That’s not acceptable for Times readers or for the paper’s credibility, which is its most precious asset. If this isn’t a red alert, I don’t know what will be.” Dan Gillmor fordert die Redaktion daraufhin auf, deutlich sorgfältiger und sparsamer mit Informationen aus anonymen Quellen umzugehen.

2. Journalist MacAskill: “Der wahre Held ist Edward Snowden”
(derstandard.at, Sebastian Fellner)
Der schottische Journalist Ewen MacAskill machte gemeinsam mit Glenn Greenwald und Laura Poitras die anlasslose Massenüberwachung der NSA öffentlich, nachdem Edward Snowden ihnen Dokumente zugespielt hatte. Rund zweieinhalb Jahre nach den ersten Enthüllungen blickt er zurück und lehnt Vergleiche mit Woodward und Bernstein ab: “Sie mussten es zusammenflicken, sprachen mit hunderten Menschen. Wir haben die Dokumente einfach bekommen. Okay, es war harte Arbeit, die Geschichte herauszuarbeiten, sobald wir die Dokumente hatten. Aber ich glaube nicht, dass es mit Watergate vergleichbar ist.”

3. Wie Blocher in Basel so der Milliardär in Nevada
(infosperber.ch, Urs P. Gasche)
Vergangene Woche war es nur eine Vermutung (siehe Link Nummer 6), jetzt steht es fest: Der Käufer, der für “The Las Vegas Review-Journal” 140 Millionen Dollar hingelegt hat, ist Casinomagnat Sheldon Adelson. Der Multimilliardär mache keinen Hehl daraus, “dass er mit dem Kauf von Zeitungen politischen Einfluss ausüben wolle”, schreibt Urs P. Gasche.

4. Offene Rechnungen
(deutschlandfunk.de, Jürgen Kalwa, Audio, 4:14 Minuten)
Seit Ende November veröffentlicht eine Gruppe namens “Football Leaks” pikante Unterlagen aus der Fußballwelt. Die anonymen Aktivisten hätten sich vor allem auf einen “auf den Fußball spezialisierten Investmentfonds” eingeschossen, der bei Spielertransfers ordentlich mitverdiene, so Jürgen Kalwa. Beim niederländischen Verein Twente Enschede hätten die Enthüllungen schon zum Rücktritt des Vereinsvorsitzenden und zum Ausschluss von internationalen Wettbewerben geführt, schreibt Christian Spiller bei “Zeit Online”.

5. Deutsche Mittelwelle stirbt aus
(heise.de)
Wenn der “Deutschlandfunk” Ende des Jahres die Ausstrahlung über Mittelwelle einstellt, dann war’s das mit einem “Stück deutscher Rundfunkgeschichte”.

6. “Immer feige, immer angepasst”
(taz.de, Anne Fromm, Jürn Kruse und Paul Wrusch)
Kürzlich durfte “Kress” “ein bemerkenswertes Gespräch” der “drei Alpha-Journalisten” Kai Diekmann, Julian Reichelt und Tanit Koch veröffentlichen. Bestimmt ist es reiner Zufall, dass sich nun auch die “taz” freut, “ein bemerkenswertes Gespräch (…) veröffentlichen [zu] dürfen”, bei dem “die drei Alpha-Journalisten Jürn Kruse, Anne Fromm und Paul Wrusch” Einblicke in die “Ausrichtung der starken Marke taz” geben.

Ärger auf den Malediven, gefälschte Bilder, “Star Wars”-Kritiken

1. Malediven weisen ARD-Korrespondenten aus
(tagesschau.de, Jürgen Webermann)
ARD-Korrespondent Markus Spieker und sein Fernsehteam wollten auf den Malediven zwei Beiträge über den Klimawandel und den Islamismus drehen, doch daraus wurde nur teilweise was. Denn die Polizei des autoritär geführten Landes schritt mehrfach ein, “die offizielle Begründung: unzureichende Drehgenehmigungen.” Am Ende wurden die ARD-Mitarbeiter ausgewiesen, zehnjähriges Einreiseverbot inklusive. Einen Beitrag über den Islamismus auf den Malediven und die Schwierigkeiten bei den Dreharbeiten konnte Spieker aber noch fertigstellen.

2. UNICEF-Foto des Jahres 2015
(unicef.de)
Gestern hat UNICEF das “Foto des Jahres” gekürt. Das Siegerbild von Fotograf Georgi Licovski war inzwischen an vielen Stellen zu sehen. Die Fotoserien, die auf den Plätzen zwei (von Magnus Wennman) und drei (von Heidi Levine) gelandet sind, sind aber auch sehr zeigens- und sehenswert.

3. “Speziell die Öffentlich-Rechtlichen können Druck von außen gebrauchen”
(heise.de, Marcus Klöckner)
Ist die “kommunikative Einbahnstraße” zwischen sendenden Medien und empfangenden Lesern/Hörern/Zuschauern zu Ende? Und wie können Redaktionen mit der neu aufgekommenen Kritik umgehen? Im Interview mit Marcus Klöckner spricht Fritz Wolf über die Studie “Wir sind das Publikum!”, die er für die Otto-Brenner-Stiftung angefertigt hat.

4. Wo wir falsch lagen
(nzz.ch, Andreas Rüesch)
Unter dem Titel “Was die Welt erschüttern wird” veröffentlichte die Auslandsredaktion der “NZZ” Ende 2014 eine Liste mit zehn potenziellen Krisenherden. Ein Jahr später blickt Andreas Rüesch zurück auf die eigenen Prognosen und zieht eine selbstkritische Bilanz.

5. Diese Bilder haben uns 2015 schockiert und verblüfft — und alle waren sie gefälscht
(watson.ch)
Inspiriert von “Gizmodo” hat “Watson” spektakuläre Fotos gesammelt, die im vergangenen Jahr für Aufsehen sorgten — und sich später als Hoaxe herausstellten. Die Bildunterschriften sparen dabei nicht mit Selbstkritik: “Der ‘Tages-Anzeiger’ hat das Fake-Bild der Sonnenfinsternis gar als Pushmeldung verbreitet. Doch auch ’20 Minuten’, ‘Blick’ und ‘Blick am Abend’ fielen darauf herein. Und ‘Watson’? Hat’s natürlich ebenfalls vergeigt!”

6. Wie “Star Wars: Das Erwachen der Macht” den Journalismus ein klein wenig besser macht
(indiskretionehrensache.de, Thomas Knüwer)
Wenn Thomas Knüwer deutsche Medien lobt, muss etwas Besonderes passiert sein. Und das ist es auch, der Auslöser heißt: “Star Wars Episode VII”. Knüwers These: Deutsche Filmkritiker hätten sich in der Vergangenheit oft darauf beschränkt, “in zu langen Passagen besprochene Filme nachzuerzählen.” Doch diesmal seien die Spoiler kaum wahrnehmbar, “stattdessen gibt es gut geschriebene (und überweigend positive) Kritiken, die ganz ohne längliche Story-Nacherzählungen auskommen.”

Vertrauen in die Medien, “Focus Online”, Domians Gespräche

1. Im Sommerabgrund
(zeit.de, Patrick Beuth, Paul Blickle und Julian Stahnke)
“Wir befürchten, dass die Bundesregierung das Thema erfolgreich ausgesessen hat.” Das sagt Markus Beckedahl über einen der größten Medienskandale des Jahres. Offiziell ist die Landesverrats-Affäre um netzpolitik.org beendet. Zwar gibt es noch die Akten des Generalbundesanwalts; die halten Beckedahl und seine Anwälte nach Durchsicht aber für “frisiert”. Doch es gibt auch Erfreuliches: Im August erhielt netzpolitik.org rund 170.000 Euro an Spenden, seitdem haben sich die monatlichen Einnahmen auf einem erkennbar höheren Niveau als vor der Affäre stabilisiert.

2. Mehrheit fühlt sich über Flüchtlinge einseitig informiert
(faz.net, Renate Köcher)
Es existiere zwar “durchaus ein weitverbreitetes Grundvertrauen” in die Arbeit deutscher Medien, bei einzelnen Themen gebe es aber viele kritische Stimmen, so Renate Köcher, Geschäftsführerin des “Instituts für Demoskopie Allensbach”. Konkret: bei der Berichterstattung über Geflüchtete. Das ergab eine Umfrage, die das Institut im Auftrag der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” durchgeführt hat. Köcher schreibt in der “FAZ”: “Diese Zweifel führen auch dazu, dass persönlichen Auskünften von Menschen, die vor Ort mit dem Flüchtlingsthema zu tun haben, zurzeit mehr Vertrauen entgegengebracht wird als der Medienberichterstattung.”

3. Knast für kritische Tweets
(taz.de, Katrin Gänsler)
Hinter dem etwas schwammigen Titel “Verbot unseriöser Petitionen und damit verbundenen Angelegenheiten” steht ein Gesetzesvorschlag, über den aktuell in Nigeria entschieden und viel diskutiert werde. Für “Falschaussagen in Tweets, bei Facebook oder in WhatsApp-Gruppen” könnte es künftig “bis zu zwei Jahre Gefängnis oder eine Geldstrafe von mehr als 18.000 Euro” geben, schreibt Katrin Gänsler: “Mit einem Gesetz, das Falschaussagen in sozialen Netzwerken unter Strafe stellt, könnten vor allem Politiker kritische Journalisten mundtot machen, die soziale Medien intensiv nutzen.”

4. Pest im Focus
(blog-cj.de, Christian Jakubetz)
Bild.de ist mittlerweile nicht mehr das reichweitenstärkste Nachrichtenportal Deutschlands. Für den Erfolg des neuen Spitzenreiters sieht Christian Jakubetz vor allem einen Grund: “Bei kaum jemandem trifft der Satz, bei ruiniertem Ruf lebe es sich völlig ungeniert, so zu wie bei ‘Focus Online’.”

5. Don’t f*ck Twitter up!
(sandro-schroeder.de)
Mit anderthalb Milliarden Nutzern dominiert Facebook die Welt der sozialen Netzwerke. Vermeintliche Konkurrenten haben nur dann eine echte Chance, wenn sie sich deutlich unterscheiden. Instagram und Snapchat zeigen, dass und wie es geht. Eine solche Nische könnte eigentlich auch Twitter einnehmen — doch der Dienst setze auf Kopie statt auf Eigenständigkeit. Sandro Schröder wünscht sich, Twitter würde “die treuen Stammkunden der Hashtag-Kneipe an der Tweet-Bar bedienen, statt den Passanten und der Laufkundschaft mit einem Tablett bis vor die Tür von Facebook hinterherzurennen.”

6. WDR-Kult-Interviewer Domian über Handwerk und Verantwortung
(abzv.de, Tim Farin)
Wer könnte besser etwas zum Themenschwerpunkt “Gesprächsführung” sagen als Jürgen Domian? Richtig: keiner. Und daher hat Tim Farin für die “Akademie Berufliche Bildung der deutschen Zeitungsverlage” mit Domian in einem Interview über Interviews gesprochen.

Entführte Journalisten, Maultasche für “Südkurier”, Kauf ohne Käufer

1. Weltweit derzeit 54 Journalisten entführt
(reporter-ohne-grenzen.de)
153 hauptberufliche Journalisten, 161 Bürgerjournalisten und 14 Medienmitarbeiter seien derzeit weltweit inhaftiert. Dazu kämen 54 entführte Journalisten, acht seien “im Laufe des Jahres 2015 verschwunden”. Das sind die Zahlen der “Reporter ohne Grenzen”, die gerade den ersten Teil ihrer “Jahresbilanz der Pressefreiheit 2015” (PDF) veröffentlicht haben. Hendrik Zörner vom DJV spricht von einer “Schande”, dass “die inhaftierten Journalisten (…) die Kollateralschäden guter bilateraler Beziehungen” seien.

2. Flüchtlingsforschung gegen Mythen 2
(fluechtlingsforschung.net)
“Wir brauchen eine Obergrenze.” Oder: “Sichere Herkunftsländer (…) tragen eben natürlich zu einer schnelleren Bearbeitung bei.” Was ist dran an solchen Behauptungen in der Flüchtlingsdebatte, die auch von Medien verbreitet werden? Das “Netzwerk Flüchtlingsforschung” setzt seinen Faktencheck fort (Teil eins hier) und lässt erneut fünf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf politische Parolen antworten.

3. Datenjournalismus 2015: Ein Rückblick
(datenjournalist.de, Lorenz Matzat)
Ende Dezember ist die Zeit der Jahresrückblicke. Lorenz Matzat lässt das Jahr 2015 aus datenjournalistischer Perspektive Revue passieren. Er stellt die Projekte vor, die ihn am meisten beeindruckt haben, freut sich darüber, dass viele DDJ-Teams von Frauen geleitet werden, und wagt eine Prognose: “2016 wird das vorerst beste Jahr für Datenjournalismus in Deutschland werden.”

4. Flucht, Hunger, Tod — ein ganzes junges Leben lang
(sueddeutsche.de, Judith Raupp)
Judith Raupp hat für die “Süddeutsche Zeitung” über Afrika berichtet — bis sie sich entschloss, selbst auf den Kontinent zu ziehen. Mittlerweile bildet sie im Kongo Journalisten aus. Und begegnet dabei Menschen, die fürchterliche Dinge erlebt haben. Sie will ihr Engagement aber nicht zu hoch hängen: “Ich bin keine Weltverbesserin. Ich erledige im Kongo einen Job. Auch wenn er mich sprachlos macht.”

5. Maultasche für den Südkurier
(kontextwochenzeitung.de, Holger Reile)
Die “Konstanzer Maultasche” ist wie die “Goldene Himbeere” ein Preis, den niemand bekommen will: Die, nun ja, Auszeichnung geht an Unternehmen, “die ihre Mitarbeiter ganz besonders schlecht behandeln.” Und da ist — dank “Arbeitszeiterhöhung um fünf Wochenstunden, Lohnerhöhungen nach Gutdünken, ‘Tricksereien’ bei der Vergütung für ZeitungszustellerInnen” und so weiter — dieses Mal auch der “Südkurier” dabei.

6. Reporters in Las Vegas Try to Crack Case of Who Owns Their Newspaper
(nytimes.com, Ravi Somaiya, englisch)
Ist ein Casinomagnat der neue Besitzer? Steckt hinter dem Kauf ein politisches Motiv? Fest steht: “The Las Vegas Review-Journal” wurde für “$140 million in cash” verkauft. Wer der Käufer ist, ist hingegen nicht bekannt. Dabei würde die Redaktion gerne wissen, für wen sie nun arbeitet.

Kinderessende Flüchtlinge, Krimkrise, Journalisten in Filmen

1. Warum das virale “Flüchtlinge essen Kinder”-Video nicht lustig ist
(vice.com, Matern Boeselager)
In den vergangenen Tagen dürfte ein großer Teil der Social-Media-Gemeinde über ein 26-Sekunden-Video gelacht haben, in dem unter anderem ein Mädchen erzählt, dass ein Flüchtling eine Fünfjährige gegessen habe. “Das Problem ist nur, dass das Video eine ziemlich bösartige Manipulation ist”, schreibt Matern Boeselager. Der Schnitt reiße die Aussage so aus dem Zusammenhang, dass “sich Tausende Menschen darüber freuen können, dass Rassisten krass dumm und sie selber krass schlau sind. Dabei gibt es nur ein Problem: Ganz so hat sie das nicht gesagt.”

2. Wir müssen streiten!
(ostpol.de, Jelena Kostjutschenko)
In der Krimkrise seien ganze Familien zerstritten gewesen, nur in der Gemeinschaft der Journalisten habe es keine Konflikte gegeben. Weil es auch keine Gemeinschaft gegeben habe, wie Jelena Kostjutschenko beobachtet hat. Sie fordert die russischen Journalisten auf, mehr zu streiten. Für ein neues Selbstverständnis. Zur Russland-Ukraine-Berichterstattung gibt es außerdem ein neues Crowdfunding.

3. Predictions for Journalism 2016
(niemanlab.org, verschiedene Autoren, englisch)
Das “Niemanlab” hat Experten gefragt, womit der Journalismus im kommenden Jahr rechnen muss. Bis zum 18. Dezember kommen ständig neue Beiträge hinzu.

4. Wie der Tod die Lüge schützt
(tagesspiegel.de, Norbert Thomma)
Als der “Tagesspiegel” im April ein Interview mit einer Krebskranken veröffentlichen will, kommen einigen Redakteuren beim Korrekturlesen der zwei Zeitungsseiten die Tränen. Sie sind sich einig: “So etwas Packendes und Anrührendes können wir selten drucken.” Später stellt sich heraus: Die junge Frau hat alle getäuscht, ihre Familie, ihre Freunde, ihre Sterbebegleiter, die Medien. Norbert Thomma rekonstruiert, wie es dazu kommen konnte.

5. Friedensprophet mit Taschenrechner
(amnesty.ch, Ramin M. Nowzad)
Die Welt war noch nie so friedlich wie im 21. Jahrhundert. Es gibt weniger Gewalt, weniger Kriege und weniger Morde als je zuvor. Das ist jedenfalls die These des Evolutionspsychologen Steven Pinker. Den meisten Menschen fällt es schwer, daran zu glauben — Pinker sagt, dass die Medien einen Teil dazu beitragen: “Wenn Sie die Fernsehnachrichten einschalten, erfahren Sie immer nur von Dingen, die passiert sind. Nie von Dingen, die nicht passiert sind.” Solange die Gewaltrate nicht auf null sinke, werde es immer genügend Grausamkeiten geben, um die Abendnachrichten zu füllen.

6. April O’Neil — Journalistin zwischen Emanzipation und Unschuld
(journalistenfilme.de, Patrick Torma)
Auf seiner Seite journalistenfilme.de geht Patrick Torma der Frage nach, welche journalistischen Werte in Filmen vermittelt werden. Zum Beispiel wenn es um Bob Woodward und Carl Bernstein in “Die Unbestechlichen” geht oder um Maddy Bowen in “Blood Diamond”. Aktuelle schaut sich Torma die Rolle von April O’Neil bei den “Teenage Mutant Hero Turtles” an und fragt, ob “in der Reporterin mit dem kanariengelben Jumpsuit ein journalistisches Vorbild” steckt.

Klimaabkommen, Morddrohungen, Wort des Jahres

1. Historisches als Randnotiz
(taz.de, Malte Kreutzfeldt)
“Geschenke” (“FAS”), “Das fatale Ende eines Schulfachs” (“WamS”) und “Weihnachtsgeld zu gewinnen” (“BamS”) — das waren die Aufmacher der überregionalen Sonntagszeitungen. Dass in Paris am Abend zuvor “Geschichte geschrieben wurde, war für traditionelle deutsche MediennutzerInnen kaum zu merken”, kritisiert Malte Kreutzfeld. Die “Welt”-Medien hätten sogar darauf verzichtet, überhaupt einen Redakteur zur Klimakonferenz zu schicken.

2. Reporter als Panzerfahrer ohne Uniform
(deutschlandfunk.de, Maximilian Grosser, Audio, 4:33 Minuten)
“Russia Today” sei eine Art trojanisches Pferd der psychologischen Kriegsführung, sagt Mustafa Nayem. Und die Mitarbeiter des russischen TV-Senders sind für den Journalisten und Parlamentsabgeordneten aus der Ukraine wie Panzerfahrer ohne Uniformen. Maximilian Grosser dokumentiert ein Treffen russischer, ukrainischer und georgischer Intellektueller, die nach Möglichkeiten suchten, wie man der “Maschinerie der Desinformation” entgegentreten könnte.

3. Notizblöcke, Waffen und Kokain: Das einsame Leben eines paraguayischen Journalisten
(vice.com, Dorian Geiger)
Vor dem Haus von Cándido Figueredo Ruíz stehen sieben Männer mit Maschinenpistolen, Kameras haben alles im Blick. Figueredo braucht diesen Schutz nicht, weil er der Boss eine mächtigen Drogenkartells ist, sondern ein Journalist, der über die kriminellen Geschäfte der lokalen Gruppen berichtet und regelmäßig Morddrohungen erhält: “Ich bin mir voll und ganz im Klaren darüber, dass sie mich jederzeit ermorden können.”

4. Was die Leser der “Jungen Freiheit” so über Juden denken
(starke-meinungen.de, Alan Posener)
Viel muss Alan Posener gar nicht schreiben, er belässt es bei einem Satz: “Ich gebe hier die Kommentare unter einem Artikel aus der ‘Jungen Freiheit’ wieder, in dem Dieter Stein meint, auch die Juden würden inzwischen ihre Unterstützung für Multikulti aufgeben und dafür sein, dass sich Deutschland gegen die Fremdenflut wehrt.” Danach sprechen die Kommentatoren für sich.

5. Journalismus: Die Zuckerberg-Blamage
(neunmalsechs.blogsport.eu, Carsten Buchholz)
An der “Top-Schlagzeile des Tages” (allerdings schon ein paar Tage her) “Facebookgründer Mark Zuckerberg spendet 45 Milliarden Dollar an eine Stiftung für wohltätige Zwecke” sei “leider alles falsch”, schreibt Carsten Buchholz. Er erklärt wieso und zeigt, welches Medium wie falsch berichtet haben soll.

6. Flüchtlinge zu Geflüchteten?
(sprachlog.de, Anatol Stefanowitsch)
Nachdem “Flüchtling” vergangene Woche zum Wort des Jahres gekürt wurde, gab es kritische Stimmen, die den Begriff als “abschätzig” bezeichneten und dafür plädierten, ihn durch “Geflüchtete” zu ersetzen. Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch analysiert das Wort, seine Bedeutung und mögliche Alternativen.

Falsche “Horror-Kita”, Lügen im Ukraine-Konflikt, neue Buchcharts

1. Die Wahrheit auf der letzten Seite
(taz.de, Aziz El Massassi)
Das ägyptische Regime um General al-Sisi habe vor knapp zwei Jahren eine Verfassung verabschiedet, die Pressefreiheit garantiert. In der Realität gelte diese Freiheit allerdings nur für einen Teil der Medien: Wer die Regierung kritisiert, werde beschuldigt, “den Terror zu unterstützen”. Aziz El Massassi gibt Einblick in eine Gesellschaft, die nur formell eine Demokratie sei, und zitiert eine Kollegin: “‘Für die Journalisten und für die Meinungsfreiheit insgesamt ist dieses Regime schlimmer als das der Muslimbrüder — und sogar schlimmer als das Mubarak-Regime.'”

2. Die “Horror-Kita” in Mainz, die keine war
(tagesspiegel.de, Kai Müller)
“Kinder missbrauchen Kinder: Ermittlungen in Horror-Kita” — diese Schlagzeile der “Bild”-Zeitung löste im Sommer eine Welle teils hysterischer Berichterstattung aus, üble journalistische Fehler inklusive. So wurde etwa aus “53 Blessuren” die Meldung “schwere sexuelle Gewalt, Übergriffe und Erpressung unter 53 Kindern”. Ende November stellte sich schließlich heraus, dass ein Großteil der Vorwürfe haltlos war, die Staatsanwaltschaft sprach von “überwiegend entlastenden Erkenntnissen”.

3. “Ich hoffe, dass es Stop Fake in fünf Jahren nicht mehr gibt”
(de.ejo-online.eu, Stella Venohr)
Um den Propagandalügen im Ukraine-Konflikt entgegenzuwirken, haben Studenten und Absolventen der Kiewer Mohyla Journalistenschule 2014 die Plattform “Stop Fake” gegründet. Seitdem entkräften sie Meldungen über vermeintliche Verstöße bei Kommunalwahlen oder angebliche neue Gesetze. Stella Venohr hat mit “Stop Fake”-Faktenchecker Artem Babak gesprochen.

4. Universitätsklinikum Mannheim: Wie ein Unternehmen gegen Medien auf die Straße geht
(kress.de, Nora Jakob)
Vergangenes Jahr wurde bekannt, dass im Universitätsklinikum Mannheim mit unzureichend sterilisiertem Besteck operiert wurde. Die Medien schlachteten den “Hygieneskandal” aus und übertrieben es dabei, sagt zumindest das Krankenhaus und insbesondere der Vorsitzende des Betriebsrats: Die Journalisten von “Spiegel” und “Zeit Online” hätten “immer wieder dafür gesorgt, dass sich die Bilder in den Köpfen der Menschen festsetzen, egal ob sich mittlerweile bei uns etwas geändert hat oder nicht.” Der Betriebsrat hat vor einigen Wochen Anzeigen im “Mannheimer Morgen” geschaltet und sogar eine Demonstration gegen die unfaire Berichterstattung organisiert. Die Journalisten weisen die Kritik zurück: “Schmutzig waren die Instrumente in Mannheim, unsere journalistische Berichterstattung darüber ist sauber.”

5. BILD “Journalisten” sind Journalisten in Anführungszeichen
(hogymag.wordpress.com, almasala)
Für “Bild” ist Russland kein Partner, sondern nur ein “Partner”. Und für “almasala” ist die “Bild”-Berichterstattung mit ihren “subtilen Anführungszeichen als rhetorisches Stilmittel” nur eine “Berichterstattung”: “Für einen Anführungszeichen-Journalisten ist eine ‘Quelle’ eine vertrauenswürdige Quelle ohne Anführungszeichen, sobald sie die gewünschten Aussagen tätigt.”

6. Inklusive eBooks: Bild publiziert Amazon-Buchcharts
(lesen.net, Johannes Haupt)
Seit gestern gibt es eine neue Bücher-Bestsellerliste, herausgegeben von “Bild” und Amazon. Johannes Haupt sieht darin “vor allem eine erhebliche Werbemaßnahme für die Kindle-Plattform”: Die Aussagekraft der neuen Bücher-Charts sei “in vielerlei Hinsicht überschaubar, Amazon und Bild machen aber sicherlich einen guten Schnitt.”

Maulkorbgesetz, Twittern aus dem Gerichtssaal, Deutschrap

1. Spanien: Maulkorbgesetz gegen kritische Medien
(ndr.de, Sandra Aïd und Daniel Schmidthäussler, Video, 6:15 Minuten)
30.000 Euro Strafe für ein Foto von Polizisten? Eine Karikatur über den König als Terrorismus-Delikt? Klingt nach autoritärem Regime, ist aber Spanien. Ein “neues, sogenanntes Bürgerschutzgesetz”, erlassen von der Regierung um Ministerpräsident Mariano Rajoy, macht’s möglich: “Das Gesetz schützt offenbar keineswegs die Bürger, sondern in erster Linie die Regierung vor ihrem Volk — und vor kritischen Medien.”

2. Lifta und Propaganda
(kontextwochenzeitung.de, Anna Hunger)
Das Fernsehmagazin “Rtv” erscheint jede Woche 8,2 Millionen Mal, als Beilage zahlreicher Tageszeitungen. In diesen vielen “Rtv”-Exemplaren werbe “seit vielen Jahren” auch “der rechtspopulistische Kopp Verlag”, unter anderem für seine Hetze gegen Muslime und Flüchtlinge. Anna Hunger hat bei den “Rtv”-Verantwortlichen nachgefragt, wie das sein kann.

3. Deutschrap, du hast ein ernsthaftes Problem
(welt.de, Dennis Sand)
Die “Welt” bescheinigt der deutschen Rapszene ein Gewaltproblem, weil es dort vollkommen normal sei, “Hausbesuche” bei verfeindeten Rappern zu machen oder gar “Stadtverbote” auszusprechen. Die nicht wenigen deutschen Rap-Medien kritisiert Welt-Autor Dennis Sand für ihre mangelnde Distanz, ihre Unreflektiertheit und die ständige Sorge, die Rapmusikszene vor der Veralberung zu schützen. Wie es sich inzwischen für einen anständigen Rap-Battle-Beef gehört, antwortet Hip-Hop-Journalist Falk Schacht auf Facebook.

4. Twittern aus dem Gerichtssaal
(taz.de, Christian Rath)
Bild- und Tonübertragungen aus Gerichtssälen sind in Deutschland verboten. Journalisten dürfen sich Notizen machen, aber nicht live aus dem Gerichtssaal bloggen. Das galt auch für den Zschäpe-Prozess — ein explizites Twitter-Verbot galt aber nicht. Christian Rath beschreibt, wie sich die Live-Berichterstattung von Prozessen durch die sozialen Medien verändert und beschleunigt.

5. Zuckerberg und Antisemitismus
(saschalobo.com)
Jemanden des Antisemitismus zu bezichtigen, ist ein harter Vorwurf. Viele Menschen reagieren darauf entrüstet und weisen die Anschuldigung zurück. Dass es auch anders geht, zeigt Sascha Lobo: Nachdem Götz Aly aus einer von Lobos Kolumnen für “Spiegel Online” antisemitische Tendenzen herausgelesen haben will, setzt er sich in einem langen und reflektierten Text mit der Kritik auseinander — und gelangt dabei zur Erkenntnis, “dass ich im Kontext des Antisemitismus noch intensiver auf meine Wortwahl und meine Begriffswelten achten muss, es kann zum Fehler werden, sich nicht präzise abzugrenzen.”

6. Der Preis der Wahrheit — Whistleblowerinnen im Konflikt
(srf.ch, Vera Freitag, Video, 52:28 Minuten)
Ein Dokumentarfilm über Whistleblowerinnen aus der Schweiz und den USA, ihre Motivationen und den “Konflikt zwischen Loyalität und Gerechtigkeitssinn.” Kleiner Tipp: Bei den Schweizerdeutsch-Passagen hilft die Untertitelfunktion.

Völkische Bewegung, bedrohte Umweltjournalisten, Franck Ribéry

1. Die völkische Bewegung stellt sich vor
(faz.net, Friederike Haupt)
Nachdem die “Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung” die AfD als “neue völkische Bewegung” kritisiert hatte, teilte die Partei den Link bei Facebook und bezeichnete den Text als “linksfaschistische Propaganda”. Prompt liefern die folgenden Facebook-Kommentare der AfD-Anhänger die Bestätigung für die These der “FAS”, die AfD sei voller Hass auf Andersdenkende.

2. Türkische Opposition will Inhaftierung von Journalisten beenden
(derstandard.at)
Die türkische Oppositionspartei CHP hat einen Gesetzentwurf eingebracht, der verhindern soll, dass Journalisten in Untersuchungshaft genommen werden können. Derzeit sitzen der Chefredakteur und der Leiter des Hauptstadtbüros von “Cumhuriyet” in Untersuchungshaft. Sie waren vor zwei Wochen “wegen Berichten über mutmaßliche Waffenlieferungen der Türkei an syrische Rebellen” festgenommen worden, so derstandard.at (viele andere Medien schreiben, dass die Waffenlieferungen für den sogenannten “Islamischen Staat” bestimmt waren).

3. Tödliche Gefahren für Umweltjournalisten
(reporter-ohne-grenzen.de)
Umweltjournalisten berichten häufig “über illegale Rodungen, Umweltverschmutzung oder die Folgen von illegalem Rohstoffabbau”. Und das könne für sie richtig gefährlich werden, schließlich klagen sie in ihren Texten so gut wie immer auch Personen an, die für die Umweltschäden verantwortich sind, so “Reporter ohne Grenzen”: “Seit 2010 wurden nach Recherchen der Organisation zehn Umweltjournalisten ermordet, acht davon in Südostasien und Indien.”

4. The AP Considers Ethics of Robot Journalism with Automated Insights
(mediashift.org, Meagan Doll, englisch)
Die Nachrichtenagentur AP experimentiert seit einiger Zeit mit automatisierten Texten. Durch den Roboterjournalismus hat sich die Zahl der Finanzberichte, die AP in einem Quartal schreibt, verzehnfacht. Jetzt geht es also nicht mehr darum, was mit Technik möglich ist, sondern wie AP sie einsetzen will — also um die Ethik hinter den Algorithmen.

5. Ribéry verklagt Magazin auf 400 000 Euro Schadensersatz
(sueddeutsche.de)
Franck Ribéry geht juristisch gegen einen Artikel der französischen “Closer” vor. Das Klatschblatt berichtete, der Fußballer des FC Bayern München “sei in ein Ermittlungsverfahren wegen Prostitution verwickelt”. Dabei sei er lediglich “von der Polizei als Zeuge vorgeladen gewesen”, schreibt sueddeutsche.de.

6. Wer sucht da eigentlich Schutz in unserem Land?
(blog.tagesschau.de, Isabel Schayani)
Die ARD-Reporterin Isabel Schayani über einen Besuch in einer Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete, Köpfe, in die kein Wort Deutsch passt, und die Verantwortung der “Kinder des Friedens”.

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