Archiv für 6 vor 9

6-vor-9-Sonderausgabe zur beschlossenen Urheberrechtsreform

1. Chance verpasst: Dieses Urheberrecht bleibt in der Vergangenheit stecken
(netzpolitik.org, Markus Beckedahl)
Die Reform des EU-Urheberrechts biete falsche Antworten auf eine veränderte digitale Welt, findet Markus Beckedahl auf netzpolitik.org. Sie zementiere die Rechte von großen Verwertern und diene nur einem kleinen Teil der Urheber. Beckedahls gründliche Analyse wird von einem Stoßseufzer unterbrochen: “Ich habe viele netzpolitische Debatten in den vergangenen 20 Jahren erlebt. Keine davon war so verlogen wie diese. In Zeiten von gesellschaftlichen Debatten um Desinformation und sinkender Glaubwürdigkeit der Medien haben viele von diesen das Vertrauen vor allem der jungen Generation verspielt, indem sie zugunsten ihrer eigenen wirtschaftlichen Interessen die Wahrheit gedehnt und häufig selbst Desinformation betrieben haben. Allen voran: FAZ und Bild.”
In den “Tagesthemen” bringt Sascha Lobo seine Sorge zum Ausdruck, dass sich eine ganze digitale Generation nicht mehr von der Politik repräsentiert fühle. Junge Menschen könnten wegen des Gesetzes gar anfangen, Antipathien gegen die EU zu entwickeln.
Meike Laaf hat bei “Zeit Online” ähnliche Befürchtungen: Die Art, wie Befürworter der Urheberrechtsreform den Protest dagegen abgewertet haben, schwäche das Vertrauen in die Europapolitik: “Die Frage ist nun, was all diese Menschen machen werden mit ihrer Wut. Besonders Frustrierte werden daraus die Konsequenz ziehen, sich von der Europapolitik insgesamt angeekelt abzuwenden. Andere werden bei der Europawahl diejenigen abstrafen, die diese Reform vorangetrieben haben — und unter Beweis stellen, dass #NieWiederCDU für sie mehr ist als ein Hashtag.”
Peter Welchering kommentiert bei den “Riffreportern”: “Bei der Reform des europäischen Urheberrechts geht es um grundlegende Fragen, die auch darüber entscheiden, ob Journalisten und andere Urheber von ihrer Arbeit überhaupt noch leben können. Eigentlich ist es erstaunlich, dass wir Urheber nicht schon seit Wochen im Streik sind.”
Bei “Spiegel Online” schreibt Patrick Beuth: “Am 26. Mai, bei der nächsten Europawahl, wird sich nun zeigen, wie viele Menschen ihre Stimme als Abwehrmittel gegen diesen verordneten Stillstand verstehen.”
Jan Vollmer war als Reporter in Berlin auf der #SaveYourInternet-Demo, auf der viele junge Menschen gegen das neue Gesetz protestierten. Man merkt Vollmer den tief sitzenden Frust an, wenn er bei t3n.de zum Ende hin schreibt: “Vielleicht will die junge Generation Voss, Caspary und Co. auch etwas beibringen. Bei den Europawahlen kann man sich ab 18 Gehör verschaffen. Und einer der beliebtesten Slogans der Demonstranten am Samstag war: “Nie mehr CDU”.”
Und beim ZDF schlägt Kristina Hofmann einen Bogen zu den “Fridays for Future”-Demos: “Am Freitag werden wieder Zehntausende junge Leute auf die Straße gehen und zusammen mit Greta Thunberg für einen besseren Klimaschutz demonstrieren. Haben die Demonstranten wieder alle angeblich keine Ahnung? Sind sie von den Umweltorganisationen und Grünen instrumentalisiert und haben von dem Ausgleich zwischen Energiegewinnung und Sicherung von Arbeitsplätzen am Industriestandort Deutschland noch nie etwas gehört? Dann redet doch einfach weiter dauernd über die Schulpflicht!

2. YouTube, aber fair
(zeit.de, Heinrich Wefing)
Es gibt aber auch Gegenmeinungen. Heinrich Wefing schreibt bei “Zeit Online”: Das Ergebnis der Abstimmung werde “viele verbittern, die zum ersten Mal mit aller Leidenschaft für eine Sache auf die Straße gegangen sind. Und doch ist die Entscheidung am Ende richtig. Sie zwingt die Netzkonzerne in die Verantwortung. Und sie zeigt, dass Europa endlich anfängt, die Macht der Tech-Giganten einzuhegen.” Viel spreche dafür, “dass sich die Horrorszenarios der Reformgegner recht bald als übertrieben erweisen. YouTube wird nicht abgeschaltet werden, und auch die Meinungsfreiheit dürfte keinen Schaden nehmen.”

3. EU-Urheberrechtsreform: Abgeordnete drückten falschen Knopf
(futurezone.at)
Das Kopfschütteln findet kein Ende: Wie ein Europaabgeordneter twittert, hätte die Abstimmung über Upload-Filter und Leistungsschutzrecht auch anders ausgehen können. Korrekturlisten aus dem EU-Parlament würden zeigen, dass zehn Abgeordnete des EU-Parlaments einen “falschen Knopf” gedrückt hätten.

4. Das steht in der EU-Urheberrechtsrichtlinie
(golem.de, Friedhelm Greis)
Was steht eigentlich in der 149 Seiten umfassenden EU-Richtlinie zum “Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt”? Friedhelm Greis geht in seiner Analyse die entscheidenden Passagen durch.
Weiterer Lesehinweis: In einem weiteren Artikel schreibt Greis über den im Raum stehenden angeblichen Kuhhandel zwischen Deutschland und Frankreich in Sachen Uploadfilter (siehe dazu auch den “FAZ”-Beitrag Altmaier opfert Start-ups im Urheberrecht). Altmaier habe “wenigstens das Leistungsschutzrecht retten” wollen.

5. “Deut­sch­land hat eine lange Tra­di­tion, Euro­pa­recht falsch umzu­setzen”
(lto.de, Maximilian Amos)
Auf “Legal Tribune Online” hält der Zivilrechtsprofessor Michael Beurskens den Kompromissvorschlag für “evident europarechtswidrig”. Gegebenenfalls verstoße er sogar gegen das nationale Verfassungsrecht. Was “kreative” Umsetzungen des deutschen Gesetzgebers anbelangt, ist Beurskens mehr als skeptisch: “Deutschland hat eine lange Tradition, Europarecht falsch umzusetzen. Im Zweifel wird die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten oder ein Urheber, der seine Rechte nicht an eine VG übertragen hat, die Frage in einem Prozess dem EuGH vorlegen lassen.”

6. Artikel 13 kommt: Was du jetzt mit deiner Wut anfangen kannst
(vice.com, Sebastian Meineck)
Millionen Unterschriften und Zehntausende Protestierer haben nichts genutzt: Die meistgehasste EU-Reform ist seit gestern beschlossene Sache. Wie kann und wird es jetzt weitergehen? Sebastian Meineck stellt seinen persönlichen Drei-Punkte-Plan vor: “1. Nicht aufgeben, denn was genau aus Artikel 13 wird, ist noch offen. 2. Stolz sein, denn die Internet-Generation hat jetzt eine politische Stimme. 3. Kritisch bleiben, denn das freie Internet wird auch von anderer Seite bedroht.”

Frauenaufstand im Vatikan, Apples Pläne, Abgeschminkte “Welt”-Auflage

Vorbemerkung: Aus aktuellem Anlass folgt im Lauf des Tages eine Sonderausgabe zur umstrittenen EU-Urheberrechtsreform.

1. Frauenaufstand im Vatikan
(sueddeutsche.de, Matthias Drobinski)
Die vatikanische Frauenzeitschrift “Donne Chiesa Mundo” hat sexuelle Gewalt von Priestern und Ordensmännern gegen Nonnen angeprangert. Papst Franziskus musste einräumen, dass dieses Problem existiert. Trotzdem ist die komplette Redaktion aus elf Frauen zurückgetreten. Chefredakteurin Lucetta Scaraffia: “Wir werfen das Handtuch, weil wir uns von einem Klima des Misstrauens und einer fortschreitenden Delegitimierung umgeben sehen.” Auch andere Vatikan-Journalisten würden darüber klagen, dass ausgerechnet unter Papst Franziskus die Freiräume für sie enger geworden seien.
Weiterer Lesetipp: In Australien drohen 23 Journalisten Geldstrafen und Haft. Ihr “Vergehen”: Sie hatten trotz Berichterstattungsverbot über den Missbrauchsprozess gegen den ehemaligen und mittlerweile zu sechs Jahren Haft verurteilten Vatikan-Finanzchef George Pell berichtet (sueddeutsche.de).

2. “Die Welt” kündigt Ende der Auflagen-Kosmetik an
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Keine andere überregionale Tageszeitung habe eine derartige Auflagenkosmetik betrieben wie die “Welt”, so Uwe Mantel bei “DWDL”: Rechne man alle kosmetischen Maßnahmen heraus, bleibe weniger als die Hälfte übrig. Das soll sich nun ändern, halb freiwillig, halb durch die Umstände gezwungen.

3. Wenn alle sehen, wie man pinkelt
(taz.de, Finn Holitzka)
Das Fotoprojekt #DeinKindAuchNicht wirbt mit provozierenden Bildern dafür, die Privatsphäre von Kindern in sozialen Netzwerken zu wahren. Die Botschaft richtet sich dabei vor allem an die stolzen Eltern, die oft gedankenlos die Bilder ihrer Sprösslinge ins Netz stellen.

4. Bevor Sie als Verleger in Apple News+ die Zukunft für Ihre digitalen Medien sehen, sollten Sie das hier lesen
(meedia.de)
Anfang der Woche hat Apple seinen neuen Dienst Apple News+ vorgestellt, ein Flatrate-Angebot für Magazine und Zeitungen, das gerne auch als “Netflix für News” bezeichnet wird. Was bedeutet dies nun für die Verlage? Wird Apples neuer Dienst gar den weltweiten Medienmarkt umkrempeln? Bei “Meedia” gibt es eine spannende Analyse mit allen wichtigen Hintergrundinformationen und einigen Argumenten für und gegen Apples neuen digitalen Zeitungsstand.

5. Kommentar: Apple TV+ ist viel heiße Luft
(heise.de, Ben Schwan)
Apple hat am Montag nicht nur seinen neuen Dienst Apple News+ vorgestellt, sondern auch den Streamingdienst Apple TV+ für den Herbst angekündigt. Ben Schwan äußert sich zurückhaltend: “Alles in allem bleibt von Apple TV+ bislang nicht viel mehr als heiße Luft — das zu verbergen gelang nicht einmal den vielen Promis auf der Bühne. Wenn man bedenkt, wie lange die Vorbereitungszeit war, die Apple für den Streamingdienst hatte, ist das enttäuschend. Apple versucht offensichtlich angesichts all der Ankündigungen der Hollywood-Studios und TV-Channel, eigene Streamingdienste zu starten, Claims abzustecken.”

6. Meisterwerke nach ihren schwarzen Modellen umbenannt
(diepresse.com)
Für die Ausstellung “Das schwarze Modell — Von Gericault bis Matisse” im Pariser Musée d’Orsay sind Meisterwerke nach ihren schwarzen Modellen umbenannt worden. Dem ging eine aufwändige Recherche voraus, so die Kuratorin. Zwar hätten Schwarze bei der Entstehung moderner Kunst in Paris eine wichtige Rolle gespielt, doch seien ihre Namen unerwähnt geblieben und ihr Einfluss in der Kunstgeschichte wegen Rassismus und Stereotypen in den Hintergrund gedrängt worden.

Lobbyismus und Dirty Campaigning, Axel V.s 500 Freunde, Inszenierungen

1. EU-Urheberrechtsreform: Zensur ist nicht der Zweck
(wolfgangmichal.de)
Als Musterbeispiel der Irreführung bezeichnet Wolfgang Michal den Streit um die europäische Urheberrechts-Reform: “Nicht die Zensur von Inhalten, sondern die Pflicht zur Lizenzierung ist der Kern der EU-Urheberrechtsreform: Handlungen sollen nicht verhindert, sondern zu Geld gemacht werden. Die entscheidenden Fragen sind also: Wohin fließt das Geld? Und: Wer macht durch fortschreitende Kommerzialisierung das “freie Internet” kaputt?”
Weiterer Tipp: Stefan Niggemeier hat sich im “Deutschlandfunk” zum Lobbyismus der Zeitungen in eigener Sache geäußert. Niggemeier kritisiert die einseitige und teilweise verzerrende Berichterstattung und nennt dafür auch Beispiele (deutschlandfunk.de, Audio: 5:44 Minuten).
Der Jurist Thomas Stadler kommentiert auf seinem Blog: “Das was wir hier beobachten können, ist nichts anderes als eine Form des Dirty Campaignings, bei dem die Grenzen zwischen politischem Lobbyismus und Journalismus verschwimmen. Diese Form der politischen und medialen Auseinandersetzung scheint endgültig auch hierzulande angekommen zu sein und sie benutzt dieselben Techniken, die einen Trump an die Macht gebracht und den Brexit ermöglicht hat.” (internet-law.de).
Und noch ein Lesetipp: Die “FAZ” konnte anscheinend Unterlagen einsehen, welche die Haltung der Bundesregierung in Sachen Urheberrechtsreform in ein neues Licht rücken würden: “Demnach soll Deutschland auch deshalb den Kompromiss mittragen, weil diese Haltung mit einem vollkommen anderen Projekt verknüpft wurde, nämlich mit einem Zugeständnis Frankreichs im Streit um die Nord-Stream-2-Gaspipeline. So schätzt es jedenfalls ein mit der Sache befasster Beamter ein.”

2. Das Axel-Voss-Interview von @frauhegemann, annotiert. Ein Drama in 13 Tweets.
(twitter.com/SimonHurtz)
Der Journalist Simon Hurtz nimmt auf Twitter das aktuelle “Zeit”-Interview mit Axel Voss (CDU), dem “Vater der Urheberrechtsreform”, auseinander. Die Lektüre des Gesprächs lohnt, wenngleich man im Verlauf immer fassungsloser wird. Zum Ende hin behauptet Voss nämlich, man könne für 500 Facebook-Freunde fremde Texte online stellen, weil dies ein “geschlossener Kreis” sei. Eine interessante rechtliche These und höchst fraglich, ob dies die Verleger ebenso sehen. Aber Voss hat ja eh interessante Internet- und Rechtsauffassungen. Siehe auch: Axel Voss will nicht sagen, ob er Fotos geklaut hat, und löscht stattdessen 12 der 17 fraglichen Facebook-Beiträge (buzzfeed.de, Karsten Schmehl & Marcus Engert).

3. “Wir bekommen wahnsinnig gute Kommentare auf Facebook und wahnsinnig beknackte”
(journalist-magazin.de, Leif Kramp & Stephan Weichert)
Das Medienmagazin “journalist” hat mit Torsten Beeck gesprochen, dem “Leiter Platform Partnerships & Engagement” bei “Spiegel Online”. Es geht um Nutzerbeteiligung und Partizipationskultur, vor allem auf den großen Plattformen wie Facebook. Beeck kritisiert den Umgang der deutschen Medien mit Kommentaren insgesamt: “Ich finde, dass es in Deutschland keiner schafft, Nutzern halbwegs auf Augenhöhe zu begegnen. Es geht oft nur um die Möglichkeit, Traffic zu generieren. Es ist nicht so, dass Redaktionen sich inhaltlich dafür interessieren, was ihre Nutzer da schreiben. Ich kenne keine.”

4. Angebliche Staatsgefährdung: Ministerien halten Namen von Lobbyisten unter Verschluss
(abgeordnetenwatch.de, Sabrina Winter)
Die Transparenz-Initiative abgeordnetenwatch.de hat bei den Ministerien nachgefragt, welche Lobbyisten dort ungehindert ein und aus gehen können, weil man ihnen einen sogenannten Hausausweis ausgestellt habe. Einige Bundesministerien würden ein großes Geheimnis daraus machen und brächten zweifelhafte Gründe dafür an. So antwortete das Verteidigungsministerium: “Das Bekanntwerden der Information [kann] nachteilige Auswirkungen auf militärische und sonstige sicherheitsempfindliche Belange der Bundeswehr haben.”

5. taz durfte Namen nennen
(blogs.taz.de, Patricia Hecht)
Der Presserat hat entschieden: Die “taz” durfte den Namen des notorischen Ärzte-Anzeigers Yannic Hendricks nennen. Hendricks habe anonymisiert Interviews über seine Anzeigen gegeben “und damit eine breite öffentliche Diskussion zu diesem Thema befeuert”. Damit habe er sich zu einer Person des öffentlichen Interesses gemacht, so der Ausschuss.

6. Die Selbstinszenierung der Parteien
(zdf.de, Florian Neuhann, Video: 3:42 Minuten)
Die ZDF-Sendung “Berlin Direkt” berichtet über die Selbstinszenierung in der Politik: Immer mehr Parteien und Ministerien produzieren ihre Nachrichten selbst — teilweise in eigens dafür eingerichteten Studios unter professionellen Bedingungen. Die Absicht: Totale Kontrolle über Inhalte und Wirkung und das Vermeiden von lästigen Journalistenfragen.
Weiterer Lesetipp: Die Wissenschaftler Jan Rau (GESIS-Leibniz Institut für Sozialwissenschaften) und Felix M. Simon (Reuters Institute for the Study of Journalism) beschäftigen sich mit dem Thema Agenda Setting der Parteien im Internet, speziell mit der AfD, und den Mechanismen der Aufmerksamkeitsökonomie: Agenda Setting im Internet: Rechts(außen) führt, der Rest folgt (hamburger-wahlbeobachter.de).

Vossnungsloser Fall, Harald Schmidts Bart, Apples Nachrichten-Abodienst

1. Axel Voss vs. Julia Reda: Stimmungsbild vor dem Urheberrechtsvoting
(futurezone.at)
Barbara Wimmer hat sich zusammen mit anderen Digital-Journalisten angehört, was der “Vater der Urheberrechtsreform” Axel Voss (CDU) zu den Bedenken gegen das Gesetzesvorhaben zu sagen hat. Leider verweigerte Voss die Freigabe einzelner Zitate, angeblich weil zu viel “aus dem Kontext” gerissen werde. So muss sich Wimmer auf die Schilderung ihres Eindrucks von Voss beschränken: “Oft genug war ihm vorgeworfen worden, das Internet nicht zu verstehen. Dieser Eindruck bestätigte sich bei unserem Gespräch, ohne auf die Inhalte näher eingehen zu dürfen.”
Weiterer Lesehinweis: Dieser Protest könnte Artikel 13 stoppen (sueddeutsche.de, Simon Hurtz).

2. Apples News-Abodienst: “New York Times” warnt andere Verlage vor Kontrollverlust
(heise.de, Ben Schwan)
Apple will demnächst einen Nachrichten-Abodienst starten. Das oft als “Netflix für Nachrichten” bezeichnete Projekt stößt auf Verlagsseite auf verhaltene Reaktionen bis deutliche Ablehnung. Der Chef der US-Tageszeitung “New York Times” gab nun Gründe für die Teilnahmeverweigerung an. Es bestehe das Risiko, die Kontrolle über das eigene Produkt zu verlieren. Dazu dürften auch finanzielle Gründe kommen: Apple verlangt dem Vernehmen nach relativ hohe Provisionen.

3. Disney schluckt Fox: Tabula rasa!
(beta.blickpunktfilm.de, Thomas Schultze)
Der Kampf um die Streaming-Vorherrschaft ist in vollem Gange. Netflix und Amazon Prime sind bereits am Start, der Gigant Apple wird wohl heute seinen Einstieg ins Business bekanntgeben. Derweil bringt sich der Disney-Konzern in Stellung und übernimmt das Filmstudio 20th Century Fox (u.a. “Avatar”). Disney hatte sich in der Vergangenheit bereits Marken wie Pixar, Marvel und Lucasfilm einverleibt.

4. Die Zeitung ist tot – es lebe die gedruckte Zeitschrift!
(infosperber.ch, Christian Müller)
Christian Müller empfiehlt fünf bislang eher wenig bekannte Zeitschriften: “Zeitpunkt”, “Makroskop”, “Neue Wege”, “Marxistische Blätter” und “Monthly Review”. Er begründet seine Auswahl wie folgt: “Manche Leserinnen und Leser mögen nun denken, dass die hier vorgestellten Zeitschriften politisch etwas gar einseitig positioniert sind. Sie haben recht. Wir leben in einer Zeit, da die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden. (…) In einer solchen Zeit muss man nicht Zeitschriften empfehlen, die das propagieren, was wir schon haben: Unfriede und Ungerechtigkeit. Wir müssen uns damit beschäftigen, was wir ändern müssen, wenn auch unsere Enkelkinder noch glücklich leben können sollen.”

5. SUBSCRIBE 10
(media.ccc.de)
Am Wochenende haben sich ein paar Hundert Podcast-Begeisterte in Köln zur Subscribe 10 getroffen. Die Veranstaltung fand im Funkhaus des “Deutschlandfunks” statt, der die Podcast-Community mit seinen Räumlichkeiten und freien Getränken unterstützte. Inzwischen gibt es Video-Mitschnitte der meisten Sessions.

6. Harald Schmidt oder: Der ehemalige Großmeister
(dwdl.de, Hans Hoff)
Late-Night-Legende Harald Schmidt hat seit einiger Zeit ein neues mediales Zuhause: Im Bezahlbereich von “Spiegel Online” unterhält Schmidt eine tägliche Videokolumne. Hans Hoff macht sich Sorgen um den ehemaligen Großmeister. Das hat etwas mit den Inhalten der Filmchen zu tun, aber auch mit profanen Dingen wie dem Schmidtschen Bart. Hoff hofft auf eine Spendenaktion für den berühmten Video-Talker: Damit werde dann “ein Coach finanziert, der ihm erklärt wie man in Würde altert. Und wenn nicht genug für einen Coach zusammenkommt, müsste es doch wenigstens für einen Besuch im Barbershop reichen. Und für eine Creme gegen das Jucken im Bart.”

6-vor-9-Sonderausgabe zur Urheberrechtsreform: Richtlinie für Politikverdrossenheit, Taschenspielertricks, #Axelsurft

1. So entsteht Politikverdrossenheit
(tagesschau.de, Samuel Jackisch)
Die geplante EU-Richtlinie zum Urheberrecht auf Online-Plattformen vergrault Wähler und sorgt für weitere Politikverdrossenheit, meint ARD-Brüssel-Korrespondent Samuel Jackisch. Außerdem sei fraglich, ob und inwieweit Autoren, Fotografinnen, Komponisten oder Filmschaffende finanziell von der Regelung profitieren würden, “denn eine Pflicht für Presse-, Musik- und Filmindustrie, das von Google und Co künftig eingesammelte Geld tatsächlich an Künstler und Kreative umzuverteilen, diese Stelle sucht man im Text vergeblich.”

2. Lügen fürs Leistungsschutzrecht, jetzt auch von dpa
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Die Deutsche Presse-Agentur dpa steht hinter der geplanten Reform des Urheberrechts in der EU, bedient sich dabei jedoch rhetorischer Taschenspielertricks, wie Stefan Niggemeier erklärt.

3. Die große Koalition zerstört unsere Zukunft
(t-online.de, Jenna Behrends)
Die Berliner CDU-Politikerin Jenna Behrends sieht in der Urheberrechtsreform eine Gefahr für die Entwicklung Europas. Behrends schreibt in einem Gastbeitrag für t-online.de: “Die beiden Regierungsparteien haben sich denkbar schlecht präsentiert, indem sie die Bedenken der jungen Generation nicht ernst genommen haben. Was bleibt, ist das Bild von Politikern, die keine Ahnung von ihren Themen haben und sogar lügen.”

4. Martin Kretschmer: “Die EU würde wenig verlieren, wenn sie die Richtlinie einfach ablehnt”
(irights.info)
Der Jurist Martin Kretschmer hat den Reformprozess in der EU von Anfang beobachtet, dokumentiert und mit konstruktiven Vorschlägen begleitet. Nach anfänglicher Zustimmung sieht er nun viele Schwachstellen und konstatiert: “Europa ist kulturell so reich. Warum sollen Innovationen für unerwartete, interessante, verwertbare kulturelle Materialien, wie ich sie mit meinen Beispielen skizziert habe, ausgebremst werden? Als Ganzes ist die Richtlinie unsauber. Aus meiner persönlichen Sicht würde die EU wenig verlieren, wenn sie die Richtlinie einfach ablehnt.”

5. Merkel verteidigt Bruch des Koalitionsvertrages
(golem.de, Friedhelm Greis)
Für Kanzlerin Merkel sei die europäische Einigung zum Urheberrecht wichtiger als der Koalitionsvertrag, meint Friedhelm Greis. Außerdem habe Merkel einen entscheidenden Faktor für den Kompromiss mit Frankreich zu den Uploadfiltern im Bundestag verschwiegen.

6. #AxelSurft ist das Lustigste, das aktuell auf Twitter passiert
(buzzfeed.com, Karsten Schmehl)
Der EU-Politiker und Vater der Urheberrechtsreform Axel Voss (CDU) fiel vergangene Woche durch ein Interview auf, das bezweifeln ließ, ob er sich auch nur ansatzweise mit dem Thema Online auskennt. Auf Twitter rief Gavin Karlmeier als Antwort den Hashtag #axelsurft ins Leben, der die Inkompetenz des Politikers karikiert. Und wenigstens das ist ganz lustig.

Influencer-Urteil, Faktenchecker-Tipps, Dieselvernebelter Mario Barth

Vorbemerkung: Aus aktuellem Anlass folgt im Lauf des Tages morgen eine Sonderausgabe zur umstrittenen Urheberrechtsreform.

1. Fünf Tipps und Tools von Faktencheckerin Karolin Schwarz, die zeigen, wie man Fake-News im Netz erkennt
(meedia.de, Marina Friedt)
Die Journalistin Karolin Schwarz ist die Gründerin von Hoaxmap, einem Portal, auf dem Falschmeldungen u.a. über Geflüchtete zusammengetragen werden. Außerdem arbeitet sie unter anderem für den “Faktenfinder” der ARD. Im Interview mit “Meedia” spricht sie über die Praxis des Factchecking im Journalismus und gibt nützliche Tipps zu Online-Tools, die wir alle in den Bookmarks haben sollten.
Weiterer Lesehinweis: In der “Hannoverschen Allgemeinen” gibt es ein Interview mit dem Bildforensiker Jens Kriese: So erkennen Profis manipulierte Fotos — und so erkennt sie auch der Laie.

2. Anwalt von Billy Six widerspricht seinem Mandanten
(tagesspiegel.de, Madlen Haarbach)
Der Journalist Billy Six schreibt für rechtskonservative Medien wie die “Junge Freiheit” und ist nach Angaben von “Reporter ohne Grenzen” vom radikal rechten Verein “Die Deutschen Konservativen” für eine Reportage nach Venezuela entsandt worden. Dort saß er vier Monate in Haft, wegen angeblicher Rebellion, Spionage und dem Verletzen von Sicherheitszonen. Vor einigen Tagen wurde er überraschend freigelassen und ist wieder zurück in Deutschland. Nun behauptet Six, die deutschen Diplomaten hätten nicht gegen seine Inhaftierung protestiert und ihm nicht geholfen: Man habe ihn dort “verrecken” lassen wollen. Aussagen, denen sogar sein eigener Anwalt widerspricht.

3. Über das Gründegeben
(christophkappes.de)
Christoph Kappes nimmt den Abgang des nun ehemaligen “FAZ”-Herausgebers Holger Stelzner zum Anlass, eine persönliche Geschichte zu erzählen: Kappes hatte selbst für die “FAZ” geschrieben und erhielt irgendwann die überraschende Nachricht, der zuständige Redakteur dürfe keine Texte mehr von ihm annehmen. Kappes versuchte, der Zurückweisung auf den Grund zu gehen, was sich als nicht so einfach erwies. Am Ende blieb nur eine Vermutung.

4. Auch das Private ist geschäftlich
(tagesschau.de, Frank Bräutigam)
Pamela Reif ist sogenannte Influencerin in Sachen Fitness und Mode und hat über vier Millionen Instagram-Follower. In einer Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe wurde Reif verpflichtet, bestimmte Posts als Werbung zu kennzeichnen. Dabei ging es um Beiträge, von denen Reif behauptet hatte, es seien Ausschnitte aus ihrem Privatleben. Die Posts waren jedoch mit Tags zu Markennamen zu ihrer Kleidung versehen, was vom Gericht als Werbung gewertet wurde.

5. Facebook speicherte Hunderte Millionen Passwörter unverschlüsselt
(zeit.de)
Facebook hat zugegeben, Passwörter von Hunderten Millionen Nutzerinnen und Nutzern unverschlüsselt gespeichert zu haben. “Wir gehen davon aus, dass wir Hunderte Millionen Nutzer von Facebook Lite, Dutzende Millionen weitere Facebook-Nutzer sowie Zehntausende Instagram-Nutzer benachrichtigen werden”, so das Unternehmen.
Weiterer Lesehinweis: Kritik an Social-Media-Plattform: EU-Kommissarin Jourova ruft zum Verlassen von Facebook auf (spiegel.de).

6. “Mario Barth deckt auf” oder: Verantwortungsloses Fernsehen
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Kennste-Kennste-Komiker Mario Barth hat in der vergangenen Ausgabe seiner Aufdecker-Sendung (“Mario Barth deckt auf”, RTL) mal wieder alle Populismus-Register gezogen. In einer AfD-verdächtigen Dummifizierung hat er sich der Debatte um die Diesel-Grenzwerte gewidmet. Ein einseitiges und irreführendes Stück Fake News, in dem Barth die Argumentation des längst widerlegten Lungenfacharztes und Zahlen-Konfusius Dieter Köhler ins Spiel brachte.

Axels Meme-Rubrik, Staat mahnt “FragDenStaat” ab, Wikipedia offline

1. Dies ist unsere letzte Chance. Helfen Sie uns, das Urheberrecht in Europa zu modernisieren
(wikipedia.de)
Die deutschsprachige Wikipedia ist seit Mitternacht für 24 Stunden offline. Mit der Aktion protestieren die Wikipedia-Autorinnen und -Autoren gegen Teile der geplanten EU-Urheberrechtsreform: “Die geplante Reform könnte dazu führen, dass das freie Internet erheblich eingeschränkt wird. Selbst kleinste Internetplattformen müssten Urheberrechtsverletzungen ihrer Userinnen und User präventiv unterbinden (Artikel 13 des geplanten Gesetzes), was in der Praxis nur mittels fehler- und missbrauchsanfälliger Upload-Filter umsetzbar wäre. Zudem müssten alle Webseiten für kurze Textausschnitte aus Presseerzeugnissen Lizenzen erwerben, um ein neu einzuführendes Verleger-Recht einzuhalten (Artikel 11). Beides zusammen könnte die Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit erheblich beeinträchtigen.”

2. Axel Voss findet eine Memes-Rubrik bei Google – und das Netz flippt aus
(t3n.de, Jörn Brien)
Der als Vater der umstrittenen EU-Urheberrechtsreform geltende Europaabgeordnete Axel Voss (CDU) hat in einem Interview Sachen gesagt, die im Netz für allerhand Verwunderung sorgten. Auf Twitter wurden ihm daraufhin Wissenslücken, absichtliche Irreführung, das Verbreiten von Verschwörungstheorien oder schlicht Dummheit unterstellt. Für besonderes Kopfschütteln sorgte ein Part des Interviews, in dem Voss von einer “Meme-Rubrik” bei Google sprach. Diese Art von “technischem Verständnis” wurde vom offiziellen Twitter-Account der Europa-CDU/CSU nochmal überboten: “Dabei wurde — mit rotem Pfeil und eingekreist — auf den vorgeschlagenen Suchbegriff Memes in der Bildersuche (nach Axel Voss) verwiesen. Nicht klar war den Twitter-Verantwortlichen des Accounts offenbar, dass es sich dabei lediglich um häufig gesuchte Begriffe im Zusammenhang mit dem Namen des Politikers handelt.”

3. #Zensurheberrecht: Bundesregierung mahnt uns ab, wir wehren uns
(fragdenstaat.de)
Die Informationsfreiheitsaufklärer von “FragDenStaat” haben Post von der Bundesregierung bekommen. Im Umschlag steckte jedoch nicht ein Dankesschreiben oder das längst verdiente Bundesverdienstkreuz für besondere Dienste an der Demokratie, sondern eine Abmahnung. “FragDenStaat” hatte ein staatliches Gutachten zu Krebsrisiken von Glyphosat veröffentlicht, woraufhin die Regierung nun mit jener Abmahnung reagiert — wegen einer angeblichen Verletzung des Urheberrechts. “FragDenStaat” wird sich gegen die Abmahnung wehren, so Projektleiter Arne Semsrott: “Wir lassen uns aber nicht einschüchtern. Wenn es sein muss, ziehen wir mit dem Fall bis vor den Europäischen Gerichtshof. Das Urheberrecht darf nicht zum Zensurheberrecht werden.”

4. Fall Relotius: Ullrich Fichtner wird nicht “Spiegel”-Chefredakteur
(sueddeutsche.de, David Denk)
Eigentlich sollten die “Spiegel”-Redakteure Ullrich Fichtner und Matthias Geyer Chefredakteur beziehungsweise Blattmacher werden. Doch dann kam der Fall Relotius, und die Personalie lag erst einmal auf Eis. Drei Monate später hat sich der “Spiegel” neu sortiert: Fichtner und Geyer sollen nicht die für sie vorgesehenen Leitungsfunktionen erhalten, sondern “mit neuen strategischen Aufgaben” betraut werden, wie der “Spiegel” mitteilt.

5. KNV
(voland-quist.de, Leif Greinus)
Vor etwa einem Monat meldete Deutschlands größter Buchgroßhändler, die Firma KNV, Insolvenz an. Viel zu schnell wird vergessen, was das für die Gläubiger bedeutet. Zu denen gehören nämlich Verlage, die nun in ernsthafte Schwierigkeiten geraten. Leif Greinus ist Geschäftsführer des 2004 gegründeten Verlags Voland & Quist und erzählt in beeindruckender Offenheit von den wirtschaftlichen Auswirkungen der KNV-Pleite. Und von dem Gefühlscocktail aus Überraschung, Wut, Ratlosigkeit, Resignation und Aufbäumen.

6. Schelte der “Kollegenschelte”
(deutschlandfunk.de, Matthias Dell)
Matthias Dell kritisiert Journalistinnen und Journalisten dafür, alles zu kritisieren, nur nicht sich selbst. Weil sich “Kollegenschelte” angeblich nicht gehöre: “Das Problem mit der Kollegenschelte ist: Sie fasst den Bereich des Internen zu weit. Natürlich redet man in der eigenen Familie anders als in der Öffentlichkeit über sie. Aber wenn alle Kollegen plötzlich Familie sind, dann stimmt irgendetwas nicht. Dann hat man Angst oder ist eitel oder ignorant oder was weiß ich. Man hat jedenfalls weder Lust auf Kritik. Noch auf Öffentlichkeit. Das allerdings ist für den Journalismus und seine populäre Rolle als vierte Gewalt keine gute Voraussetzung.”

Axel Voss und das Kopf->Tisch-Interview, Reichelt, Gottschalk

1. Streit um Uploadfilter: Wie Axel Voss das Internet sieht
(vice.com, Theresa Locker)
Achtung! Diesen Artikel solltest Du nur in gesicherter Umgebung lesen. Das verzweifelte Lachen könnte Dritte verunsichern. Außerdem solltest Du vorher die Tischplatte abpolstern wegen der vielen zu erwartenden “Kopf->Tisch”-Situationen. Und darum geht’s: “Vice” hat mit Axel Voss (CDU) gesprochen, der als Vater der geplanten Urheberrechtsreform gilt. Und der liefert eine Vielzahl verstörender Sätze. Zum Thema Uploadfilter: “Ja, es kann sein, dass was blockiert wird, was nicht blockiert werden soll. Man muss schon davon ausgehen, dass das nicht 100 Prozent funktioniert.” Außerdem gebe es Ausnahmen: “Wenn ich meinem Nachbarn auf einer Plattform den neuesten Song von Shakira vorspielen will, dann fällt das immer noch unter die Ausnahmen.” Auf die Frage wie viele YouTube-Kanäle er abonniert habe: “Keine”. Zu den Demonstrationen gegen die Reform: “Da waren ja immer nur so’n paar Leute da.” Auf die Frage, ob Uploadfilter die Zukunft der Wikipedia bedrohen: “Ich weiß das nicht mehr so im Detail, das ist alles so rasant und schnelllebig.” Aber vielleicht muss man auch etwas nachsichtig mit dem Mann sein, denn: “Ich bin kein Techniker”.

2. Falscher Eindruck erweckt: WDR entfernt Reportage
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Der WDR hat erneut Ärger mit einer Sendung seiner Reportagereihe “Menschen hautnah”. In der Folge “Ausgerechnet — Billig-Kreuzfahrt” wurde der Eindruck suggeriert, dass der Reporter in einer der billigen Innenkabinen übernachtete. Tatsächlich hatte er jedoch ein hochwertigeres Zimmer bezogen. Aufgefallen war der Schmu nicht etwa der Redaktion, sondern einigen aufmerksamen Zuschauern auf Youtube. Die hatten nämlich die Kabinennummer des Reporters gecheckt und das unter anderem in den Kommentarbereich gepostet. Nun hat der WDR die Sendung aus der Mediathek gelöscht. Man bedauere den falschen Eindruck.

3. Da waren’s nur noch drei
(taz.de, Steffen Grimberg)
Steffen Grimberg kommentiert in der “taz” den Abgang des “FAZ”-Herausgebers Holger Steltzner. Die “FAZ” hatte sich zu den Gründen nicht geäußert und lediglich mitgeteilt: “Die Grundlage für eine weitere vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den anderen Herausgebern war nicht mehr gegeben.” Ein Vorgehen, das Grimberg einen Vergleich heranziehen lässt: “Das beweist vom Stil her einmal mehr die Parallelen zwischen FAZ und taz — hier beschränkt man sich beim Kegeln von ChefredakteurInnen ja auch kurz und knapp aufs rustikal Notwendigste.”

4. “Ich muss Ihre Einladung leider ausschlagen”
(kontextwochenzeitung.de, Mario Damolin)
“Kontext”-Autor Mario Damolin berichtete unlängst von einer Podiums-Diskussion über “Ethik und Moral im Journalismus”, auf der “Bild”-Chef Julian Reichelt zugegen war (“Bild”-Chef im Delirium).
Damolins Artikel weckte anscheinend die Aufmerksamkeit des Delirierenden und bescherte dem “Kontext”-Autor eine Einladung in die Berliner “Bild”-Redaktion. Trotz Reichelts, nennen wir sie einfach schmeichelhafter, Einleitung (“mit Ihrem Artikel haben Sie nahezu all meine Vermutungen über autoritäre BILD-Hasser bestätigt”) hat sich Damolin entschieden, lieber zu Hause zu bleiben. In einem offenen Brief an den “Bild”-Chef erklärt er, warum er dessen Einladung ausschlagen muss. Ohne zu viel verraten zu wollen: Es hat am Ende etwas mit Hohlräumen zu tun.

5. dpa arbeitet für Facebook – und will trotzdem kritisch berichten
(deutschlandfunk.de, Daniel Bouhs)
Im Kampf gegen Desinformation arbeitet Facebook mit 43 Medienorganisationen zusammen. Ganz neu dabei: Die Deutsche Presse-Agentur (dpa), die dafür voraussichtlich drei Vollzeit-Faktenchecker abstellt. Eine Interessenkollision sieht die dpa nicht: Die Agentur werde ihrem Sprecher zufolge “genauso unabhängig” über Facebook schreiben wie bisher.

6. Fernsehkritik: Gottschalk liest? – Altherrenbräsigkeit lockt nicht zum Buch
(literaturcafe.de, Wolfgang Tischer)
Warum sollte Thomas Gottschalk nicht auch mal eine Literatursendung moderieren? Diese Frage kann nach der ersten Sendung durch folgende Frage ersetzt werden: “Warum sollte Thomas Gottschalk eine Literatursendung moderieren?” So jedenfalls die Meinung des Kritikers und “Literaturcafe”-Gründers Wolfgang Tischer: “Es wird leider nicht automatisch eine Literatursendung daraus, wenn man Gottschalk mit Autorinnen und Autoren auf eine Sitzgruppe setzt. Sein »Wetten, dass …?«-Elan ist längst dahin, seine Altherrenbräsigkeit lockt niemand zum Buch.”
Weiterer Lesehinweis: In der “FAZ” kommt die Sendung ähnlich schlecht weg: Prominenz statt Kompetenz (faz.de, Andreas Platthaus).

Medien als Mittäter, TikTok bei 1Live, Politikerphrasen statt Klartext

1. Medien machen sich zu Mittätern
(deutschlandfunk.de, Stefan Fries)
“Die Medien, die sich auf die Logik des Attentäters von Christchurch eingelassen haben, waren Komplizen bei seiner Tat. Denn sie haben das vollendet, was er begonnen hat”, findet Stefan Fries zur Berichterstattung über das Attentat.
Weitere Informationen und Lesehinweise: Der DJV kritisiert die Veröffentlichung des Täter-Videos (deutschlandfunk.de).
Bei der “Hannoverschen Allgemeinen” geht es um die Frage “Ist es strafbar, die Aufnahmen des Christchurch-Attentäters zu teilen?”
Und Carolina Schwarz freut sich in der “taz”, dass keiner ihrer Twitter- und Facebook-Kontakte das Täter-Video oder das sogenannte “Manifest” teilte: “Zum Glück gibt es eine Vielzahl von Nutzer*innen die klüger sind als Algorithmen und Julian Reichelt.”

2. Facebook, was machst du mit uns?
(zeit.de, Caroline Lindekamp)
Wie wirkt sich Facebook auf die Stimmung seiner Nutzerinnen und Nutzer aus? Wie machen sich die damit einhergehenden Filterblasen und Echokammern bemerkbar? Wird dort Meinung manipuliert? Gibt es eine “Facebook-Depression”? Caroline Lindekamp berichtet in ihrer Analyse von den verschiedenen Untersuchungen zum Thema und den Unterschieden zwischen Deutschland und den USA.

3. Journalismus bei TikTok: 1Live wagt die ersten Experimente
(socialmediawatchblog.de, Martin Fehrensen)
Viele Menschen haben noch nie von der Video-App TikTok gehört, dabei soll sie hierzulande von etwas mehr als vier Millionen Menschen genutzt werden. Im “Social Media Watchblog” wurde bereits ausführlich über die gehypte Software berichtet (in einem Grundlagenartikel in der Ausgabe 524 und in den Tech Trends der Ausgabe 531). Nun konnte das “Social Media Watchblog” den 1Live-Verantwortlichen Robert Rack für ein Werkstattgespräch über die dort stattfindende TikTok-Pilotphase gewinnen.

4. Das Problem Verfassungsschutz hat eine lange Geschichte
(netzpolitik.org, Sebastian Wehrhahn & Martina Renner)
Sebastian Wehrhahn und Martina Renner erkennen beim Verfassungsschutz eine “lange Traditionslinie des Vertuschens und Verharmlosens rechter Gewalt”. In ihrem Gastbeitrag berichten sie von den Anfangszeiten des Bundesamts in den 50er-Jahren bis zur Jetzt-Zeit mit der Causa Maaßen. Das Problem beim Verfassungsschutz seien nicht die vielen Skandale, sondern der Verfassungsschutz selbst: “Er dient nicht dem Schutz der Demokratie, sondern der Überwachung politischer Gegner, der Steuerung von antidemokratischen Szenen und dem Erhalt und Ausbau des eigenen Einflusses.” Der Verfassungsschutz arbeite aktiv gegen die Demokratisierung der Gesellschaft und müsse deshalb aufgelöst werden.

5. Warum guter Journalismus Empathie braucht
(de.ejo-online.eu, Antje Glück)
“Gute Berichterstattung hängt nicht allein von der reinen Informationsbeschaffung ab, sondern grundsätzlich auch davon, wie Journalisten eine Situation emotional wahrnehmen, verstehen und behandeln”, findet Antje Glück. Im Journalismus gehe es zuallererst um Menschen, so die Journalistin, die an der Universität Teesside im Nordosten Englands lehrt. Der Umgang mit Menschen erfordere vor allem eines: emotionale Intelligenz. Glücks Credo: “Empathie als journalistische Arbeitsressource prägt die professionelle und ethische Entscheidungsfindung in viel stärkerem Maße als bisher angenommen.”

6. Viel reden, wenig sagen
(faz.net, Oliver Georgi)
Die “FAZ” veröffentlicht einen Auszug aus Oliver Georgis Buch “Und täglich grüßt das Phrasenschwein: Warum Politiker keinen Klartext reden — und wieso das auch an uns liegt”. Es geht unter anderem um die “kleinen Leute”, um Menschen, deren “Sorgen man ernst nehmen müsse”, um das “vollste Vertrauen”, “politische Verantwortung” und alles, was in irgendeiner Form “nachhaltig” ist.

Christchurch, “Künstlerische Freiheit”, Tragödienjournalismus

1. Der Troll-Terrorist
(spiegel.de, Sascha Lobo)
Der Terroranschlag auf Moscheebesucher im neuseeländischen Christchurch wurde vom Täter in Echtzeit bei Facebook gestreamt. Dazu veröffentlichte der Mann eine Art Manifest. Er verknüpfe “seine faschistische Ideologie mit der Netzkultur”, schreibt Sascha Lobo: “Die mediale Verbreitung der Tat ist Teil des Terrors — wir müssen uns hüten, unabsichtlich mitzumachen.”
Weitere Lesehinweise: Auch Simon Hurtz warnt in seinem Beitrag davor, Attentätern eine Bühne zu geben: “Wer nicht will, dass Terroristen Aufmerksamkeit für ihre Verbrechen bekommen, sollte ihre Selbstinszenierung nicht verbreiten: keine Links auf ihre Manifeste, keine Ausschnitte aus ihren Videos, keine Bilder, am besten nicht einmal ihre Namen nennen.”
Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen kritisiert Medien wie “Bild”, deren Verhalten er “grotesk” nennt (deutschlandfunkkultur.de, Gesa Ufer).
Außerdem lesenswert der Bericht über das Bemühen von Polizei und sozialen Medien, das Video aus dem Netz zu entfernen: Polizei will Anschlag-Videos aus dem Netz tilgen (spiegel.de, Sonja Peteranderl).
Und Stefan Fries erklärt noch einmal gründlich, “warum es falsch ist, die Namen der Täter und ihr Manifest zu veröffentlichen”.
In einem Twitter-Thread hinterlässt Journalist Georg Diez “ein paar Worte zu dem Tweet von AKK, die ja doch die nächste Bundeskanzlerin werden will”.

2. Wenn dem Sprecher schlecht wird
(blog.tagesschau.de, Kai Gniffke)
Vergangenen Donnerstag erlitt “Tagesschau”-Sprecher Jan Hofer vor laufenden Kameras einen Schwächeanfall. Vor allem die Boulevardmedien weideten das Geschehen verkaufsorientiert und klickheischend aus. ARD-Aktuell-Chefredakteur Kai Gniffke berichtet, wie es Jan Hofer mittlerweile geht (deutlich besser), und erklärt, wie hoch die Belastung als “Tagesschau”-Sprecher ist, ob es ein Krisenszenario für solche Fälle gibt und warum die Kamera so lang auf Hofer stehen blieb.

3. “Tragödienjournalismus außer Rand und Band”: Medienethikerin über den Fall Rebecca und Reporter im Jagdfieber
(meedia.de, Thomas Borgböhmer)
“Meedia” hat sich mit der Medienethikerin Marlis Prinzing unter anderem über die Frage unterhalten, warum sich die Familie der verschwundenen 15-jährigen Rebecca eine Reporterin der “Bunte” ins Haus holte: “Es ist nachvollziehbar, dass eine Familie auch emotional völlig durcheinander ist, wenn eine 15-jährige über Wochen hinweg verschwunden bleibt und mit allem zu rechnen ist. Nachvollziehbar ist ferner, dass Menschen in solchen Extremsituationen überfordert und wenig rational reagieren. Nicht nachvollziehbar ist hingegen, wenn manche Medien diesen emotionalen Ausnahmezustand als Freibrief und als Einfallstor nutzen, um eine reichweitenträchtige Schicksalsstory rund um ein mutmaßliches Verbrechen aus dem Esszimmer der Betroffenen zu erzählen und jedem, dem das gefällt, ermöglichen, sich aus der Nähe am Leid der anderen zu vergnügen.”

4. Nach Relotius: Die Kunst der wahren Erfindung
(nzz.ch, Rainer Stadler)
Wie weit darf die künstlerische Freiheit in der Reportage gehen? Darüber scheinen die Meinungen immer noch auseinanderzugehen. Hochkarätige Journalisten und Verfasser von Journalismus-Lehrbüchern vertreten beziehungsweise vertraten den Standpunkt, man könne Aussagen von verschiedenen Personen auf eine Figur “zusammenziehen”. Doch mit dieser Methode begebe man sich auf eine Gratwanderung, wie Rainer Stadler in seiner Kolumne ausführt. Entscheidend sei Transparenz: “Entsprechend sollte man am Ende einer verdichteten Erzählung darlegen, mit welchen und wie vielen Personen gesprochen wurde. Erklärungsbedürftig sind ferner die in Reportagen beliebten filmreifen Szenen, welche die Illusion einer Augenzeugenschaft des Autors schaffen. Wer sein Tun offenlegt, stärkt seine Glaubwürdigkeit. Das ist nötiger denn je.”

5. Post aus Washington
(getrevue.co, Fabian Reinbold)
Fabian Reinbold berichtet für t-online.de aus Washington. Einmal die Woche schickt er seinen Newsletter-Abonnenten “Post aus Washington”. Diesmal hat sich Reinbold für seine Leserschaft aufgeopfert und eine Woche Donald Trumps Lieblingssendung “Fox & Friends” angeschaut. Das liest sich nicht nur unterhaltsam, sondern trägt auch zum tieferen Verständnis des Systems Trump bei.

6. Frank A. Meyer über Moral und Manipulation in den Medien
(blick.ch, Frank A. Meyer, Video: 6:13 Minuten)
Der Schweizer Journalist und Ringier-Berater Frank A. Meyer klagt in einer Wutrede die Medienbranche samt ihrer Mitglieder an: “Das sind heute Cliquen, Cliquen und Claquere! (…) Die applaudieren sich längst selbst, diese Journalistinnen und Journalisten. Es ist peinlich. Es gibt keinen einzigen Preis für Journalismus, der sich kritisch mit Journalismus auseinandersetzt.”

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