Archiv für 6 vor 9

Amerikanische Katastrophe, Unzulässige Bilder, Jabadabaduuuu!

1. Die Fairness aufgegeben
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers)
Anfang der Woche ist das Buch “Im Wahn. Die amerikanische Katastrophe” des ehemaligen “Spiegel”-Chefredakteurs Klaus Brinkbäumer und des Dokumentarfilmers Stephan Lamby erschienen. Im Interview mit dem Deutschlandfunk spricht Lamby über die Entwicklung der US-amerikanischen Medien. Bis zum Jahr 1987 habe die “fairness doctrine” gegolten, nach der bei politischen Kontroversen immer auch die Gegenseite gehört werden solle. In den Jahren der Deregulierung sei dies aufgegeben worden, mit schädlichen Auswirkungen bis in die Gegenwart: “Diese Entwicklungen, die da 1987/88 etwa ihren Anfang nahmen, die sehen wir in voller Blüte heute, so dass da nicht nur Republikaner und Demokraten gegeneinanderstehen, sondern auch ‘Fox News’ und ‘CNN’. Das ist wirklich mit Händen zu greifen im Moment.”
Weiterer Lesehinweis: Die US-Korrespondenten des “Spiegel” haben sich die erste TV-Debatte zwischen Donald Trump und Joe Biden angeschaut: Der Schreikampf (spiegel.de, Roland Nelles & Marc Pitzke).

2. Artikel über Scheidung von Anke Engelke nur ohne Bilder zulässig
(urheberrecht.org)
Die “Bild”-Zeitung und Bild.de hatten über das Scheidungsverfahren der TV-Unterhalterin und Schauspielerin Anke Engelke berichtet und dabei auch Fotos verwendet, die auf dem Weg zum Amtsgericht geschossen wurden. Letzteres sei laut einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs unzulässig: Die Bilder würden nicht zum Bereich der Zeitgeschichte gehören, sondern seien Teil der Privatsphäre.

3. “Die ARD gibt selbst fürs Wetter mehr aus als für Dokumentarfilme”
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Freie Doku-Produzentinnen und -Produzenten hätten in Hessen so gut wie keine Chance, ihre Arbeiten bei der dortigen ARD-Tochter unterzubekommen. Im Gespräch mit “DWDL” erklären zwei langjährige Dokumentarfilmer die für sie unbefriedigende Situation: “Der HR ist der einzige ARD-Sender, der eine sehr strikte Eigenproduktionspolitik fährt. 97 Prozent aller Produktionen des HR stammen direkt aus dem Haus. Freie Dokumentarfilmer oder Nachwuchsfilmer kommen so überhaupt nicht zum Zuge. Das ist kein Zufall, sondern die erklärte Politik des Hauses, die auch vom Rundfunkrat abgesegnet ist. Für uns Dokumentarfilmer ist das existenzbedrohend, gerade jetzt in der Coronakrise.”

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4. Arktis statt Aktien, Dürre statt Dividende: Initiative will ARD-Sendung “Börse vor acht” ersetzen
(klimafakten.de, Nick Reimer)
Eine Gruppe von Klima-Aktivisten will die Börseninformationen im Ersten kurz vor der “Tagesschau” durch Klima-Berichterstattung ersetzen. Das Crowdfunding für eine Testausgabe war äußerst erfolgreich: Statt der ursprünglich anvisierten 20.000 Euro seien mehr als 40.000 Euro zusammengekommen. Nun werde eine sechsteilige Testreihe produziert. Dass diese dann auch bei einem ARD-Sender ausgestrahlt werde, sei eher unwahrscheinlich, aber darum gehe es auch nicht: “Wir wollen zeigen, was gute Klimaberichterstattung ist – und dass es geht.”

5. Forschung, Strategie, Umsetzung: Wie sich der SPIEGEL für junge Leser*innen verändert
(medium.com/@devspiegel)
Nachdem der “Spiegel” mit seinem Jugendportal “Bento” gescheitert ist, unternimmt er einen neuerlichen Versuch, die junge Zielgruppe zu erreichen: “Spiegel Start” heißt das neue “Service- und Orientierungsangebot rund um Ausbildung, Studium und Berufseinstieg”, das in dieser Woche anläuft. Im hauseigenen Entwicklerblog verraten die Macherinnen und Macher, welche Analysen und Überlegungen sie im Vorfeld angestellt haben.

6. Jabadabaduuuu!
(sueddeutsche.de, Fritz Göttler)
Fritz Göttler erinnert an die erste Zeichentrickfilmserie, die es ins US-amerikanische Primetime-Fernsehen schaffte: “The Flintstones” (in Deutschland: “Familie Feuerstein”). Sie wurde von den Animationskünstlern William Hanna und Joseph Barbera entwickelt, die zuvor bei MGM lange Zeit “Tom und Jerry” betreut hatten. Die Serie war in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich, und vielen klingt Fred Feuersteins Urschrei noch heute in den Ohren: “Jabadabaduuuu!”

Interessenkonflikte bei Strobl? Deutscher Comedypreis, Audio

1. Der Deutsche Comedypreis ist ein schlechter Witz
(uebermedien.de, Stefan Stuckmann)
Jetzt frei abrufbar auch ohne Abo: Was Stefan Stuckmann über den alljährlich verliehenen Deutschen Comedypreis berichtet, klingt in der Tat wie ein schlechter Witz. Hinter dem Ausrichter verberge sich eine selbst im Comedy-Geschäft tätige und höchst befangene Filmproduktionsgesellschaft, was teilweise zu seltsamen Ergebnissen führe. “Das Problem ist aber natürlich nicht nur, dass hier unter dem Deckmantel von Offenheit und Partizipation die ewige Günstlingswirtschaft fortgesetzt wird – sondern auch, dass hier wieder die mangelnde Diversität sichtbar wird, die die Branche seit Jahrzehnten nicht überwindet.” Wer jemals bei der Verleihung des Comedy-Preises lachen konnte: Spätestens nach der Lektüre von Stuckmanns Text wird es einem vergehen.

2. Interessenkonflikte bei Christine Strobl?
(deutschlandfunk.de, Daniel Bouhs, Audio: 5:10 Minuten)
Christine Strobl soll neue Programmdirektorin der ARD werden. Sie ist CDU-Mitglied, Tochter von Wolfgang Schäuble und mit dem Innenminister von Baden-Württemberg verheiratet. Kann diese Konstellation gutgehen? Oder drohen Interessenkonflikte? Daniel Bouhs ordnet die Personalie ein.

3. Wir verabschieden uns
(bento.de, Viktoria Bolmer & Julia Rieke)
Der “Spiegel” stellt sein Jugendportal “Bento” ein. Die Ressortleiterinnen Viktoria Bolmer und Julia Rieke verabschieden sich mit einigen aus ihrer Sicht besonders lohnenswerten Lese- und Guckempfehlungen. All diese Texte und Videos würden weiter existieren und in das Archiv bei Spiegel.de wandern. Was auch noch von “Bento” bleibe: Der Podcast, der zukünftig im neuen Karriere-Ressort des “Spiegel” zu finden sei.

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4. “In Krisenzeiten eigentlich immer am besten”
(message-online.com, Volker Lilienthal)
“Message”-Herausgeber Volker Lilienthal hat sich mit Christian Tretbar vom “Tagesspiegel” über die Herausforderungen der Corona-Krise unterhalten. Die Zeitung sei relativ früh von einem Corona-Fall betroffen gewesen, dementsprechend ernst nehme man dort die Pandemie. Ein interessanter Blick hinter die Kulissen von Berlins größter Tageszeitung, der sowohl die logistischen als auch die inhaltliche Fragen behandelt.
Hörempfehlung: Bei radioeins spricht Joachim Huber, Ressortleiter Medien beim “Tagesspiegel”, über seine Corona-Erkrankung. Huber hatte sich im März infiziert, erlitt eine Lungenembolie, Nierenversagen sowie einen Herzinfarkt und lag fünf Wochen im Koma (Audio: 4:50 Minuten).

5. WDR-Umfrage zu Audioverständlichkeit
(sueddeutsche.de, Theresa Hein)
Der WDR will die Hörverständlichkeit seines Programms verbessern und arbeitet mit dem Fraunhofer-Institut an einem technisch optimierten Audiokanal. Auf der Website des WDR kann man an einem Hörtest teilnehmen, bei dem man zwischen dem Original und dem “sprachverbesserten Dialog+ Audiokanal” wechseln kann.

6. Wie Sascha Lobo vom “irgendwas mit digital”-Typ zur deutschen Internet-Instanz wurde
(omr.com, Philip Westermeyer & Christian Cohrs, Audio: 1:19 Stunden)
Im “OMR”-Podcast packt “Spiegel”-Kolumnist und Digital-Experte Sascha Lobo viele unterhaltsame Anekdoten aus seiner langen Karriere aus: von seinem Studium mit 38 Semestern, seiner Arbeit als Kreativdirektor in einer Berliner Digitalagentur, seinem kalkulierten Haarschnitt. Und er erzählt die Geschichte, wie er einmal wegen der Teilnahme an einer Werbeaktion 40.000 empörte E-Mails und automatisierte Beleidigungen erhielt.

“FinCEN-Files”, Unbezahlbarer Journalismus, Falsche Shitstorms

1. Wie interessiert man Leute für ein Thema wie die “FinCEN-Files”?
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier, Audio: 52:32 Minuten)
Bei einem Verdacht von Geldwäsche müssen multinationale Großbanken der US-amerikanischen Finanzaufsicht FinCEN eine Meldung zukommen lassen. Dem kämen die Banken auch in erschütternd hoher Anzahl nach, doch fast immer ohne Folgen. Ein Teil dieser Informationen wurde “Buzzfeed News” zugespielt. Die Redaktion teilte den Datenschatz mit über 100 Redaktionen in 88 Ländern. Marcus Engert hat als investigativer Reporter von “Buzzfeed News Deutschland” an dem Projekt mitgewirkt. Im Gespräch mit Stefan Niggemeier schildert er die Schwierigkeit, die komplexe Materie vorstellbar zu machen und journalistisch aufzubereiten.

2. Kriegsreporterin Ramsauer: “Habe mich 20 Jahre in jedes Drecksloch gesetzt”
(derstandard.at, Oliver Mark)
Seit mehr als 20 Jahren berichtet die Journalistin Petra Ramsauer aus Kriegs- und Krisengebieten, doch damit ist nun Schluss. Ihre Arbeit als Kriegsreporterin sei nicht mehr finanzierbar. Für ihre Reportagen brauche sie wegen des erheblichen Aufwands und der Kosten für Fahrer und Fixer (Vororthelfer) zwischen 3.000 und 4.000 Euro pro Einsatz. Angeboten habe man ihr jedoch teilweise nur 150 Euro: “Ich habe abgelehnt. Das geht sich nicht mehr aus.” Ramsauer schule nun um zur Therapeutin mit dem Schwerpunkt Traumaverarbeitung.

3. Strafanzeige zu taz-Kolumne: Innenministerium wollte auch gegen Chefredaktion vorgehen
(fragdenstaat.de, Arne Semsrott)
“FragDenStaat” hat sich unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz die interne Kommunikation des Bundesinnenministeriums zur umstrittenen polizeikritischen “taz”-Kolumne (“All cops are berufsunfähig”) vorlegen lassen. Wider besseres Wissen und gegen den Rat seines Hauses habe Innenminister Horst Seehofer verkündet, die Kolumne habe mehrere Straftatbestände erfüllt. “Angesichts der Prüfung durch das Ministerium steht der Minister, der sich selbst als ‘Erfahrungsjuristen’ bezeichnet, mit dieser Ansicht alleine. Welche Straftatbestände neben Volksverhetzung überhaupt einschlägig sein sollen, ist unklar. Offiziell traf man die Entscheidung gegen eine Anzeige zum Schutze der Pressefreiheit. Viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass die fehlenden Erfolgsaussichten den Ausschlag gegeben hatten.”
Weiterer Lesehinweis: Zuvor hatte bereits der “Tagesspiegel” über das missglückte Vorgehen berichtet.

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4. Shitstorm vs. Meinungsfreiheit auf Sozialen Medien
(scilogs.spektrum.de, Markus Pössel)
Laut Duden handelt es sich bei einem “Shitstorm” um einen “Sturm der Entrüstung in einem Kommunikationsmedium des Internets, der zum Teil mit beleidigenden Äußerungen einhergeht”. Doch manchmal werde mit dem Shitstorm-Begriff lediglich legitime Kritik ausgehebelt, so Markus Pössel: “Besonders perfide ist es, Kritik pauschal als ‘Shitstorm’ abzuqualifizieren – mit dem bequemen Nebeneffekt, dass man so auch sachliche Kritik abwatschen kann, ohne dass man sich damit sachlich hätte auseinandersetzen müssen. Für diesen Kunstgriff kann man zudem ausnutzen, dass in einem breiten Spektrum kritischer Anmerkungen ab einer bestimmten Gesamtanzahl mit großer Wahrscheinlichkeit auch Menschen dabei sind, die ausfällig werden.”

5. Vielfalt und Freiheit
(sueddeutsche.de, Meredith Haaf)
Viele Redaktionen setzen gerade verstärkt auf Meinungsjournalismus, die “Zeit” beispielsweise mit ihrem “Streit”-Ressort, die “Tagesthemen” mit ihrem Pro und Contra. Wie ist die Meinung im Journalismus einzuordnen? Und dürfen die traditionellen Medien überhaupt “Meinung machen”, wie ihnen oft vorgeworfen wird? Meredith Haaf ist Redakteurin im Ressort Meinung der “Süddeutschen Zeitung” und weiß, was dieses Thema den Lesern und Leserinnen abverlangt: “Der Wunsch, vor der Meinung der anderen seine Ruhe haben zu wollen, sitzt offenbar tief im Menschen. Die Meinungsfreiheit wiederum beinhaltet die Gesetzmäßigkeit, dass es zu jeder Meinung eine Gegenmeinung gibt. Meinungen zu haben und zu hören ist eine Art Ausdauersport.”

6. Warum Comedy-Helden jetzt gelöscht werden sollen
(ardmediathek.de, Philipp Walulis, Video: 30:30 Minuten)
Das gesellschaftliche Humorverständnis hat sich in den vergangenen Jahren stark gewandelt, und damit auch der Blick auf Comedy. In früheren Sketchen haben viele bekannte Comedians Minderheiten klischeehaft bis verletzend bewitzelt. Was tun mit dem belasteten Altmaterial? Aus dem Programm nehmen? In den USA haben sich etliche Programmmacher tatsächlich für diese Maßnahme entschieden und teilweise ganze Folgen gelöscht.

7. “Ein zweites Mal diese Tortur – das würde ich nicht schaffen”
(tagesspiegel.de, Maris Hubschmid)
Als zusätzlicher Link, weil nur eine indirekte Medienmeldung: Joachim Huber, Leiter des “Tagesspiegel”-Medienressorts, spricht über seine Corona-Erkrankung, die mit einer Lungenembolie, totalem Nierenversagen und einen Herzinfarkt einherging. Huber ist zwar mit dem Leben davongekommen, leidet jedoch noch heute unter den Folgen der Erkrankung. Ein eindringlicher Bericht, an den man sich erinnern sollte, wenn man mal wieder genervt von Hygieneregeln, Abstandhalten und Maskenpflicht ist.

Tichys Ausscheiden, Friede Springers Milliardengeschenk, Interviewkritik

1. Tichy gibt Stiftungs-Vorsitz ab und verlässt Journalistenpreis-Jury
(tagesspiegel.de, Julia Bernewasser)
In einem Magazin des Publizisten Roland Tichy wurde eine sexistische Äußerung über die SPD-Politikerin Sawsan Chebli veröffentlicht, was für viel Kritik sorgte. Aus Protest kündigte die CSU-Politikerin Dorothee Bär ihre Mitgliedschaft in der von Tichy geleiteten Ludwig-Erhard-Stiftung. Nun will Tichy sein Amt als Vorsitzender der Stiftung abgeben. Außerdem sei er aus der Jury des Deutschen Journalistenpreises ausgeschieden.
Weiterer Lesehinweis: Im Deutschlandfunk kommentiert Stefan Fries: “Das Problem ist also nicht Roland Tichy als Stiftungsvorsitzender. (…) Das Problem ist Roland Tichy als Publizist, der behauptet, Journalismus zu betreiben, aber oft gegen dessen Grundsätze verstößt.”
Und noch ein Lesehinweis: Für die “Süddeutsche Zeitung” haben Simon Hurtz und Robert Probst aufgeschrieben, wie sich Tichy über die vergangenen 30 Jahre zu dem entwickelt hat, der er jetzt ist.

2. Friede Springer schenkt Döpfner eine Milliarde Euro
(faz.net)
Friede Springer ist Großaktionärin des Springer-Konzerns. Nun überträgt die 78-jährige Erbin 15 Prozent am Unternehmen, die bisher ihr gehören, an den Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner – als Schenkung. Die “FAZ” hat nachgerechnet, wie viel die kleine Aufmerksamkeit unter Freunden wert ist: “Der Umsatz des Konzerns betrug im vergangenen Jahr 3,11 Milliarden Euro, der bereinigte Konzernüberschuss lag bei 263,7 Millionen Euro. Die Marktkapitalisierung betrug zuletzt knapp 6,8 Milliarden Euro. Eine Schenkung von 15 Prozent hätte demnach einen Wert von einer Milliarde Euro.”

3. Das einstündige Kontraste-Interview mit Michael Ballweg, von dem der RBB 22 Sekunden gesendet hat
(planet-interview.de)
Der Initiator der “Querdenken”-Demos Michael Ballweg hat sich vom RBB-Magazin “Kontraste” etwa eine Stunde interviewen lassen. Bei den später gesendeten insgesamt 33 Sekunden (22 Sekunden O-Ton und 11 Sekunden aus dem Off) sei jedoch nicht korrekt verfahren worden, so Interview-Fachmann Jakob Buhre: “Wenn man einem Interview-Partner nur ein so kleines Sendefenster gibt, ist es dann zu viel verlangt, dass seine Aussage korrekt wiedergegeben und nicht verdreht wird? Wenn Ballweg gut hörbar ins Mikro sagt, er sei nicht angstgetrieben, warum wird er dann von ‘Kontraste’ als angstgetrieben dargestellt?” Um nicht missverstanden zu werden, ergänzt Buhre: “Ich teile Ballwegs Behauptung, dass es in Deutschland ‘massive Zensur’ gibt, ausdrücklich nicht. Ich habe aber gewisse Sorgen, dass ‘Kontraste’ in diesem Fall Ballwegs Vorbehalte gegenüber den Öffentlich-Rechtlichen eher verstärkt als verringert hat.”

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4. Jeff Jarvis: “Die besten Geschichten meines Lebens passieren gerade jetzt”
(meedia.de, Ben Krischke)
Der New Yorker Medienexperte und Journalismus-Professor Jeff Jarvis spricht im Interview über seine Sicht auf die US-amerikanische Medienlandschaft, die Corona-Berichterstattung, den Kampfbegriff der “Cancel Culture” und das Versagen der klassischen Medien angesichts des digitalen Strukturwandels: “Wir haben zum Beispiel Newsrooms verkleinert und damit an der falschen Stelle gespart. Wir haben angefangen, Click-Baiting über Katzen und die Kardashians zu machen, und damit stark an Vertrauen eingebüßt. Verlage geben ja gerne den großen Plattformen die Schuld an ihrer Misere. Dabei sind sie es, die ihre Misere selbst verschuldet haben.”

5. “Liebe Boomer*innen…”: Gegenrede
(wortvogel.de, Torsten Dewi)
Gestern haben wir in den “6 vor 9” eine Art Wutrede von Nicolas Wildschutz verlinkt: Liebe Boomer*innen, wieso seid Ihr eigentlich gegen das Gendern? Torsten Dewi hat den Text genau studiert und beschreibt in einer längeren Analyse, was ihn daran stört: “Es wäre einfach gewesen, diese Kolumne zu ignorieren. Aber sie zeigt sehr schön und exemplarisch, was schief läuft. Es wird als Debattenbeitrag missverstanden, was eigentlich nur eine Ansammlung von ‘Ich habe Recht – wieso seht ihr das nicht ein?’-Phrasen ist. Dann wundert man sich, dass keine echte Diskussion zustande kommt, dass in den Kommentarspalten nur Wut und Beleidigung Ausdruck finden – und nimmt es als weiteren Beleg, dass mit der Gegenseite halt nicht zu reden ist.”

6. Clickbait Suspense: Breaking News
(noemix.wordpress.com, Michael Nöhrig)
Die Boulevardpresse ist hinter ein Geheimnis ungeahnten Ausmaßes gekommen: Sie hat herausgefunden, wie Archie, der einjährige Sohn von Herzogin Meghan und Prinz Harry, seinen Opa nennt. Die Antwort ist schier unglaublich!

Debattenräume, Klimaheft, Witze über Minderheiten

1. Was denkt Lisa Eckhart?
(taz.de, Anne Fromm)
In einem “Appell für freie Debattenräume” protestieren über 100 Menschen aus Kultur, Wissenschaft und Politik mit großem Pathos gegen angebliche Denk- und Sprechverbote. “taz”-Medienredakteurin Anne Fromm erklärt, worum es dabei geht und worin die Unterschiede zum US-amerikanischen “Letter on Justice and Open Debate” liegen. Fromm zeigt sich insbesondere erstaunt darüber, wie viele Journalisten den Appell unterschrieben haben: “Das sind alles Leute, die sehr wohl sehr viel sagen dürfen. Ständig und überall.”

2. Der STERN gestaltet gemeinsam mit Fridays for Future ein Klimaheft
(stern.de)
Den globalen Klimastreiktag am 25. September begleitend, produziert der “Stern” ein Heft gemeinsam mit den Klimaaktivistinnen und -aktivisten von Fridays for Future. Die Redaktion erhält dafür viel Lob, aber auch Kritik, zum Beispiel, dass sich guter Journalismus mit nichts gemein mache. “In eigener Sache” schreibt das Magazin über die Beweggründe für die Aktion und erklärt, wie die Zusammenarbeit abläuft.

3. Witze über Minderheiten: Dumm und aus der Zeit gefallen
(rnd.de, Matthias Schwarzer)
Vergangene Woche sorgte ein Podcast von Florian Schroeder und Serdar Somuncu für Entrüstung in den Sozialen Medien. Somuncu hatte sich darin auf eine ordinäre und menschenverachtende Weise in einen Rausch von Misogynie, Rassismus und Sexismus geredet (siehe die “6 vor 9” vom 16. September). In ihrer neuen Folge äußern sich die Protagonisten noch einmal zu dem Fall, machen es sich dabei jedoch zu leicht, wie Matthias Schwarzer findet: Die Kabarettisten “gehen offenbar davon aus, dass Somuncus inszenierte Hassrede vom Publikum schlichtweg nicht verstanden wurde, und deshalb den Proteststurm ausgelöst hat. War wohl einfach zu große Kunst, zu feinsinnig für die Masse – und am Ende hat man doch wieder allen den ganz großen Spiegel vorgehalten.”

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4. Liebe Boomer*innen, wieso seid Ihr eigentlich gegen das Gendern?
(meedia.de, Nicolas Wildschutz)
Nicolas Wildschutz spricht in seinem “Meedia”-Gastbeitrag all die Menschen an, die sich hartnäckig einer gendergerechten Sprache widersetzen: “Überlegt Euch einmal wirklich, wieso Ihr gegen das Gendern seid. Habt Ihr Euch genügend mit dem Thema beschäftigt? Wenn ja, überzeugen Euch die Argumente nicht oder reagiert Ihr aus Trotz?”

5. Dorothee Bär verlässt Ludwig-Erhard-Stiftung
(spiegel.de)
Aus Protest gegen eine sexistische Äußerung in einem Magazin des Publizisten Roland Tichy kündigt CSU-Politikerin Dorothee Bär ihre Mitgliedschaft in der Ludwig-Erhard-Stiftung, deren Vorsitzender eben jener Tichy ist. Dem “Handelsblatt” gegenüber sagte Bär (nur mit Abo lesbar): “Grund für diese Entscheidung ist eine Publikation in dem Magazin ‘Tichys Einblick’, die frauenverachtende und in höchstem Ausmaß sexistische Äußerungen gegenüber meiner Kollegin Sawsan Chebli enthält”.
Weiterer Lesehinweis: Auf Twitter kommentiert Linus Neumann: “Roland Tichy ist seit Juni 2014 Vorstandsvorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung. UND JETZT ERST treten Leute aus Protest aus.”

6. Titanic-Redaktionskonferenz, Folge 5
(titanic-magazin.de, Moritz Hürtgen & Torsten Gaitzsch, Audio: 57 Minuten)
Satiriker beobachten fortwährend das Zeitgeschehen, dementsprechend hoch ist ihr Medienkonsum. In der aktuellen Folge der “Titanic-Redaktionskonferenz” sprechen Torsten Gaitzsch und Moritz Hürtgen darüber, welche Medien sie verfolgen, was es mit den Austausch-Abos auf sich hat, und warum Journalisten und Journalistinnen anderer Redaktionen ihnen gelegentlich den Kaffee wegtrinken und ihre Toilette benutzen.

Beratungsresistenter Minister, Ehrungen, Merkbefreite Männer

1. Das eigene Haus zweifelte am Strafanzeigen-Plan des Innenministers
(tagesspiegel.de, Jost Müller-Neuhof)
Interne Dokumente des Bundesinnenministeriums zur umstrittenen polizeikritischen “taz”-Kolumne (“All cops are berufsunfähig”) zeigen, dass die Ministerialbeamten nicht an den Erfolg einer Klage glaubten: “Aus hiesiger Sicht dürfte eine strafrechtliche Verurteilung unverhältnismäßig sein”. Innenminister Horst Seehofer ließ sich davon wenig beeindrucken, änderte jedoch seine Vorgehensweise. Jost Müller-Neuhof dröselt den Vorgang auf, der für Seehofer wahrlich kein Ruhmesblatt ist.

2. Sie merken es einfach nicht
(spiegel.de, Margarete Stokowski)
Anlässlich der Diskussionen um den Somuncu-Podcast und Christian Lindners sexistische Witzchen beschäftigt sich Margarete Stokowski mit dem toxischen Humorverständnis mancher Männer: “Wir alle kennen diese Männer. Sie sagen in Diskussionen gern ‘ich spiele jetzt mal den Advocatus Diaboli…’, und dann sagen sie exakt das, was sie eh sagen würden, fühlen sich aber dabei als Vertreter einer höheren Macht. Sehr unangenehm. Üblicherweise wird empfohlen, so etwas einfach auszuhalten, aber erstens: Wer hält das aus? Und zweitens: Es geht davon nicht weg. Die einzige Lösung ist, diese Typen aufzuhalten, denn sie vermehren sich und halten an ihren Posten fest, und sie merken nicht von allein, wo das Problem ist.”

3. Presserat: Funkes Clickbaiting-Portal bedroht Ansehen der Presse
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Medienkritiker Stefan Niggemeier hat sich beim Presserat über drei Artikel beziehungsweise deren Überschriften beschwert, mit denen “Der Westen” seine Leserinnen und Leser auf eine besonders unangenehme und dramatische Weise in die Irre führte. Die Artikel wurden vom Presserat gerügt und von “Der Westen” offenbar auch gelöscht. Niggemeier musste sich jedoch zuvor allerlei Unterstellungen der Gegenseite anhören.

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4. “Als Frau wird man noch mal anders herabgesetzt”
(deutschlandfunk.de, Christoph Sterz & Michael Borgers, Audio: 7:27 Minuten)
Trotz wiederholter Versprechen versage Twitter noch immer beim Schutz von Frauen vor Online-Gewalt, so das Ergebnis einer neuen Untersuchung von Amnesty International (PDF, englisch). Der Deutschlandfunk hat sich mit der ZDF-Journalistin Nicole Diekmann über ihre Social-Media-Erfahrungen unterhalten und bei ihr nachgefragt, wie sie mit Herabsetzungen und Hass umgeht.

5. Wie groß ist Facebooks Macht im Wahlkampf?
(zeit.de, Eike Kühl)
In wenigen Wochen finden in den USA die Präsidentschaftswahlen statt. Facebook wolle sich dieses Mal stärker gegen Desinformationen und Wahlbeeinflussung stemmen. Ob die ergriffenen Maßnahmen erfolgreich sind, sei jedoch eine andere Frage. Facebook bleibe vor der Wahl am 3. November die große Unbekannte, so Eike Kühl in seiner Analyse: “Ob und wie groß der Einfluss des Netzwerks auf den Ausgang der Wahl, auf die Stimmenabgabe und Mobilisierung von Wählerinnen sein wird, bleibt wie schon 2016 schwer zu sagen und noch schwieriger zu belegen.”

6. Bundesverdienstkreuz für Drosten, Hitzlsperger und Levit
(rnd.de)
Am 1. Oktober wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier 15 Menschen mit dem Bundesverdienstkreuz auszeichnen. Unter den Personen, die die Ehrung erhalten sollen, sind die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim, der Virologe Christian Drosten und der Pianist Igor Levit.

Merz-Interview, Kohl-Tonbänder, Audio-Boom

1. Experten unterstützen Lokalzeitungen
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 5:28 Minuten)
Das Team von “MedWatch” scannt das Internet nach unseriösen und gefährlichen Heilsversprechen und stellt falsche Behauptungen richtig. Nun haben sich die Medizinaufklärer für ein Projekt mit zwei Lokal- beziehungsweise Regionalzeitungen zusammengetan: Finanziert von der Robert-Bosch-Stiftung, liefern sie Antworten auf Corona-Fragen der Leserschaft von “Berliner Zeitung” und “Westdeutscher Zeitung”. Der Deutschlandfunk hat mit den beteiligten Projektpartnern über die Hintergründe der Aktion gesprochen.

2. Die BILD stellt verloren gegangenes Vertrauen wieder her.
(facebook.com, Stephan Anpalagan)
“Die BILD hat sich wieder einmal selbst übertroffen. Sie hat Merz geschickt und wunderbar in Szene gesetzt, ihn ins Gespräch gebracht, einen Skandal produziert und sich selbst als Mittelpunkt dieser Berichterstattung etabliert. Sie hat es geschafft Jens Spahn und dessen Homosexualität mit Pädophilie in Verbindung zu bringen und somit den ärgsten Konkurrenten von Merz mit Dreck zu bewerfen.” Stephan Anpalagan rekonstruiert auf Facebook den von “Bild” orchestrierten Medienwirbel um die umstrittenen Friedrich-Merz-Sätze.

3. Wenn man nichts unternimmt, verfestigt sich dieser Unfug.
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
David Schraven ist Gründer und Geschäftsführer des Recherche-Zentrums “Correctiv”. Wie wirkt sich der Themenkomplex Corona auf die Verschwörungsszene aus? Haben auch Neonazis ein Recht auf korrekte Berichterstattung? Und sollten Politiker der “Bild”-Zeitung weiterhin Interviews geben? Der “Correctiv”-Chef ist bei “Planet Interview” zu Gast und beantwortet bereitwillig alle Fragen. Sogar die, ob er selbst einer Verschwörungserzählung anhänge: “Vielleicht an Gott … – aber da kommen mir auch manchmal Zweifel.”

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4. Eine Frage der Tonbänder
(faz.net, Reiner Burger)
Seit Jahren schwelt ein Streit um die sogenannten Kohl-Tonbänder. Der frühere WDR-Journalist und Buchautor Heribert Schwan hatte sich mit Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl wegen dessen Memoiren wiederholt getroffen und dabei, in Absprache, mehr als 630 Stunden Gesprächsmaterial aufgezeichnet. Diese Tonbandaufzeichnungen soll Schwan nach einem Richterspruch des Bundesgerichtshofs der Kohl-Witwe und Alleinerbin Maike Kohl-Richter aushändigen. Doch Schwan verweigert nach wie vor die Herausgabe und will sich dabei vor dem Bundesverfassungsgericht auf die Pressefreiheit berufen.

5. Der TikTok-Deal, erklärt
(socialmediawatchblog.de)
In bewährter Gründlichkeit und Übersichtlichkeit ordnet das “Socialmediawatchblog” die Hintergründe um den Konflikt zwischen US-Präsident Donald Trump und der Videoplattform TikTok ein. Was sagen die beteiligten Parteien? Was ist von dem angestrebten Deal zu halten? Und welche Fragen bleiben offen?
Weiterer Lesehinweis: Bei “Zeit Online” kommentiert Auslandskorrespondentin Heike Buchter: “Auf den ersten Blick mögen der Streit um Luxushandtaschen und das Ringen um die US-Version einer Videoplattform, auf der Teenager Tanzeinlagen vorführen, wenig mit unserem Alltag zu tun haben. Tatsächlich stehen sie für eine Entwicklung, die Wirtschaft und Wohlstand auch in Deutschland bedroht.”

6. Tommy Krappweis, was bedeutet der Audioboom für Hörspiele?
(wasmitmedien.de, Dennis Horn & Sebastian Pähler, Audio: 48:12 Minuten)
Kreativ-Allrounder Tommy Krappweis ist Drehbuchautor, Regisseur sowie Film- und Fernsehproduzent, er schreibt Jugendromane und gilt als Erfinder der KiKA-Kultfigur Bernd das Brot. Seit einigen Jahren produziert Krappweis im Auftrag von Audible auch Hörspiele. Bei “Was mit Medien” spricht er unter anderem über den aktuellen Audio-Boom und den Hörspielmarkt und erzählt, was ihn zu Twitch zieht.

Datenleak FinCEN-Files, Thalias Staatspropaganda, “Lawfare”

1. Was sind die FinCEN-Files?
(buzzfeed.com, Marcus Engert)
Nach mehr als einem Jahr Aufarbeitung veröffentlicht “Buzzfeed News” gemeinsam mit dem Internationalen Netzwerk investigativer Journalisten ICIJ und 108 Redaktionen auf der ganzen Welt die sogenannten FinCEN-Files. Dabei handelt es sich um geleaktes Datenmaterial aus dem Besitz der US-Finanzaufsicht, das dokumentiere, wie Großbanken an Oligarchen, Drogendealern und Terroristen verdienen.

2. Thalia bewirbt chinesische Staatspropaganda
(zdf.de, Nils Metzger)
Laut Angaben der Buchhandelskette Thalia teste man an verschiedenen Standorten ein chinesisches Buchsortiment. Dabei handele es sich jedoch um Bücher chinesischer Staatsverlage. Nils Metzger kommentiert: “Es ist nicht unüblich, dass Verlage besondere Werbemaßnahmen in Buchhandlungen mieten – um ihr Programm oder einen Themenschwerpunkt bekannt zu machen. Problematisch ist, dass hier ein im Hintergrund agierender Geschäftspartner politische Werbeinhalte für eine Diktatur anpreisen lässt. Als ‘Thalia-Tipp’, wie es über dem Regal in Berlin heißt.”

3. Lawfare gegen freie Journalisten
(verdi.de, Christian Bunke)
Der englischsprachige Begriff “lawfare” kombiniert die Worte für Recht (law) und Kriegsführung (warfare). Mit der juristischen Kriegsführung sollen missliebige Journalisten und Journalistinnen mundtot gemacht werden. Angriffsziel einer derartigen Attacke sei derzeit der freie Journalist Michael Bonvalot, der bevorzugt über Entwicklungen in der rechtsextremen Szene berichtet. Die juristischen Angriffe können gerade bei freien Medienschaffenden existenzbedrohende Auswirkungen haben: Rechtsschutzversicherungen würden derartige Risiken nicht abdecken.

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4. Neue Chefredakteurin bei “Hinz&Kunzt”
(ndr.de, Stefanie Wittgenstein)
Mehr als ein Vierteljahrhundert wurde Hamburgs bekanntes Straßenmagazin “Hinz&Kunzt” von Birgit Müller geleitet. Nun geht Müller in den Ruhestand. Auf sie folgt Annette Bruhns, die viele Jahre beim “Spiegel” gearbeitet hat und weiß, wie man für eine Sache eintritt: Bruhns ist Mitbegründerin der Initiative “Pro Quote”, die sich für mehr Frauen in Führungspositionen einsetzt.

5. Wie viele Wörter dürfen es denn sein, Frau Justizministerin?
(welt.de, Christian Meier)
Vor über einem Jahr hatte die Europäische Union eine Richtlinie zur Reform des Urheberrechts beschlossen. Nun hat das Bundesjustizministerium einen sogenannten Referentenentwurf angefertigt, der der “Welt” vorliegt. Medienredakteur Christian Meier hat sich den Entwurf angeschaut, der wegen der verschiedenen Interessenlagen noch für Diskussionen sorgen könnte.

6. Trying a horrible experiment …
(twitter.com, Tony Arcieri)
Bei Twitter sprechen derzeit viele über den Algorithmus zur Gesichtserkennung, den der Kurznachrichtendienst einsetzt und der befangen sein soll. Die künstliche Intelligenz soll eigentlich dafür sorgen, dass die Gesichter bei Porträts prominent in den Mittelpunkt der Bildvorschau gerückt werden. Doch für welches Gesicht entscheidet sich der Algorithmus, wenn er mehrere Gesichter zur Auswahl hat? In einem Experiment hat der Twitter-Nutzer Tony Arcieri verschiedene Bilder gepostet, auf denen sowohl der ehemalige US-Präsident Barack Obama als auch der US-Politiker Mitch McConnell abgebildet sind. Auf den bei Twitter erscheinenden Vorschauen taucht jedoch nur McConnell auf. Man könnte annehmen, dass der Twitter-Algorithmus weiße Gesichter bevorzuge, doch so einfach ist es nicht, wie andere Beispiele zeigen. Verstörend bleibt es dennoch.
Mittlerweile hat sich Twitter-Sprecherin Liz Kelley zu der Problematik geäußert: “Vielen Dank an alle, die dies angesprochen haben. Wir haben vor der Auslieferung des Modells auf Verzerrungen getestet und bei unseren Tests keine Hinweise auf rassistische oder geschlechtsspezifische Verzerrungen gefunden, aber es ist klar, dass wir noch mehr Analysen durchführen müssen. Wir werden unsere Arbeit als Open Source veröffentlichen, damit andere sie überprüfen und replizieren können.”

7. Bei #Bild gibt es einen, wie ich finde, gefährlichen Kommentar zu den “Corona-Regeln”.
(twitter.com, Lorenz Meyer)
Als zusätzlicher und siebter Link, weil in eigener Sache: Auf Twitter analysiert der “6 vor 9”-Kurator einen “Bild”-Kommentar. Dabei geht es um Meinungsmanipulation durch Sprache. Aus dem Fazit: “Die Zeitung bereitet damit das Terrain für Corona-Leugner, Verschwörungs- und ‘Querdenker’, Reichsbürger, AfD-ler, Rechtsextreme und all die Unzufriedenen, die sich an den Rand der Gesellschaft gedrängt fühlen. Ein Spiel mit dem Feuer – und mit unserer Gesundheit.”

Die Mär von der “Superspreaderin”, Unnötige “Coronadrehs”, Bedenken

1. Die angebliche Superspreaderin von Garmisch
(tagesschau.de, Andrej Reisin & Patrick Gensing)
In einigen Medien war plakativ von einer “Superspreaderin” die Rede: Eine in Deutschland lebende US-Amerikanerin habe nach der Rückkehr aus einem Griechenland-Urlaub unzählige Menschen mit Corona infiziert. Doch ganz so einfach ist es nicht, wie Andrej Reisin und Patrick Gensing recherchiert haben. Es sei “bislang keine Infektion in Garmisch-Partenkirchen nachweislich auf die Frau zurückzuführen, die von Behörden, Politik und Medien seit Tagen ‘Superspreaderin’ genannt wird. Fragwürdig erscheint in diesem Zusammenhang das Verhalten des Landrats und einiger Medien, die die Verantwortung für den Anstieg der Zahlen eines ganzen Landkreises ohne Beweise dem Verhalten einer jungen Frau anlasten.”

2. Nicht alles braucht einen Coronadreh
(taz.de, Marlene Knobloch)
Zwei Kulturwissenschaftler von der Universität Passau haben die Spezialsendungen von ARD und ZDF zur Corona-Pandemie analysiert. Die Berichterstattung sei zu negativ, zu dramatisierend, zu häufig gewesen, so ihr Fazit. Marlene Knobloch überlegt, wie eine andere Corona-Berichterstattung gelingen kann. Ihr erster Tipp: “Nicht jeder Artikel braucht einen ‘Coronadreh’. Porträts und Reportagen zu anderen Themen funktionieren gut ohne den Hinweis auf die schreckliche Zeit, in der wir aktuell leben.”

3. Wie sich die “Berliner Zeitung” entwickelt hat
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 5:02 Minuten)
Ein Jahr ist es her, dass die “Berliner Zeitung” vom Unternehmerpaar Silke und Holger Friedrich übernommen wurde. Das Blatt hatte zuvor turbulente Zeiten und einige Eigentümerwechsel durchgemacht, von Gruner+Jahr über Holtzbrinck und den britischen Medieninvestor David Montgomery bis zur Mediengruppe Dumont. Und auch der Verkauf an die Friedrichs habe die Zeitung nicht unbedingt in ruhige Fahrwasser gebracht, wie Deutschlandfunk-Korrespondentin Claudia van Laak berichtet.

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4. Karriere und Journalismus: “Im Medienbereich denken viele über einen Plan B nach”, Teil 1
(fachjournalist.de, Ulrike Bremm)
Andrea Huss war lange Zeit in leitenden Positionen bei verschiedenen Verlagen beschäftigt und ist jetzt unter anderem als Businesscoach tätig. Im Gespräch mit dem “Fachjournalist” erzählt sie, wie Medienleute sich angesichts der aktuell schwierigen Zeiten neu aufstellen können. Dabei geht es um die innere Haltung, aber auch um praktische Vorschläge.

5. Bedenken in Bellevue
(sueddeutsche.de, Georg Mascolo & Ronen Steinke)
Im Juni wurde das Gesetz zur Bekämpfung des Rechtsextremismus und der Hasskriminalität beschlossen, doch mehrere Experten haben Zweifel an Ausführung und Umsetzung. Es bestehe sogar die Möglichkeit, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dem Gesetz die notwendige Unterschrift verweigert – wegen verfassungsrechtlicher Bedenken.

6. »Die Wahrheit liegt allein in der Wahrheit«
(spektrum.de, Christiane Gelitz)
Der Wissenschaftsjournalist Dirk Steffens (“Terra X”, ZDF) hat eine klare Haltung, was den Umgang mit Coronavirusleugnern anbelangt: “Wir dürfen unsere Zeit nicht mit Idioten verschwenden, nicht bei der Klimakrise, nicht beim Artensterben, nicht bei der Corona-Krise. Die Probleme sind zu groß und zu wichtig. Wir müssen überlegen, wann wir die Schulen aufmachen und wo wir Mundschutz tragen sollten. Dazu kann man auch verschiedener Meinung sein. Dass das Coronavirus nicht existiere oder harmlos sei, kann man allerdings nicht als Meinung gelten lassen.” Wo will man die Grenze ziehen? Wie lässt sich über Verschwörungserzählungen berichten? Und wie würde Steffens mit Menschen aus seinem privaten Umfeld umgehen, die derlei Mythen anhängen? All das sind Themen, über die Steffens mit “Spektrum”-Redakteurin Christiane Gelitz gesprochen hat.

Ego-Masturbator, Allgegenwärtiger Lauterbach, Nackte auf dem Mond

1. Ist die Aufregung berechtigt?
(radioeins.de, Stefan Niggemeier, Audio: 4:52 Minuten)
“Hast Du Dir die drei Stunden komplett angehört?” Eine Frage, die man gelegentlich hört, wenn es um den umstrittenen Podcast mit Florian Schröder und Serdar Somuncu geht. Eine Frage, die andeuten will, dass Somuncus misogyne, rassistische und sexistische Eruptionen in einem “satirischen Kontext” gefallen seien – ausgesprochen von der Bühnenfigur Somuncu und nicht dem Privatmann. Auch Medienkritiker Stefan Niggemeier bekam diese Frage bei radioeins als Erstes gestellt, und ja, er habe sich die drei Stunden komplett angehört. Sein Fazit: “Somuncu und Schröder und letztlich auch radioeins haben sich in eine Beteuerung geflüchtet: Ihr müsst doch wissen, dass wir das nicht so meinen und dass wir nicht wirklich sexistisch sind. Das reicht nicht. Und bei Somuncu habe ich sogar Zweifel, ob es überhaupt stimmt.”
Weiterer Guckhinweis: Die Satirikerin Sarah Bosetti hat eine direkte Botschaft an ihren Kollegen Serdar Somuncu: “… dann hast du keine Empörungsdynamiken unserer Gesellschaft entlarvt, du hast nur Menschen einen berechtigten Grund zur Empörung gegeben und dabei kräftig auf dein Ego masturbiert.” (youtube.com, 3:15 Minuten)

2. Aufklärung oder Panikmache?
(tagesschau.de, Andrej Reisin)
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach ist einer der gefragtesten Gäste in öffentlich-rechtlichen Polit-Talkshows (laut Statista-Zahlen vom Mai der gefragteste Gast) und einer der Top-Twitterer in Deutschland (aktuell auf Platz 16 im Nindo-Twitterranking). Einige seiner Tweets seien jedoch ungenau oder würden bestimmte Aspekte unter den Tisch fallen lassen, so die Kritik von Andrej Reisin. Lauterbach neige zu selektivem Zitieren und korrigiere sich bei Fehlern eher selten.

3. “Komm, die hängen wir ab!”
(sueddeutsche.de, Lea Deuber)
Lea Deuber berichtet über ihr schwieriges Korrespondentinnenleben in China: “Egal, wo man hinreist, werden die Passnummer gespeichert, das Gesicht gescannt, Bewegungsdaten aufgezeichnet. Vielerorts warten die Aufpasser schon, wenn man aus dem Zug steigt. Sie wissen, wohin man fliegt und an welchen Geschichten man arbeitet. Manchmal bleibt einem nichts anderes übrig, als im Hotelzimmer das Telefonkabel aus der Wand zu ziehen und eine Kommode vor die Tür zu schieben, wenn man wenigstens für ein paar Stunden Ruhe haben will vor den ungebetenen Besuchern.”

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4. Ausfallfonds II: Produzenten appellieren an Sender
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Bei Covid-19-bedingten Produktionsstörungen im Filmbereich springt ein 50 Millionen Euro schwerer Ausfallfonds ein. Der gilt jedoch nur für Kinofilme und High-End-Serien. Klassische TV- und Auftragsproduktionen gehen leer aus. Das soll sich nun ändern: Die Produzentenallianz wünsche sich bei einem Auftragsvolumen von geschätzt zwei Milliarden Euro zumindest einen rund 100 Millionen Euro schweren Rettungstopf.

5. Presserat: “Bild” erneut Rügen-König
(verdi.de, Monique Hofmann)
Der Beschwerdeausschuss des Deutschen Presserats hat erneut getagt. Von den 15 öffentlichen Rügen gehen allein sechs auf das Konto von “Bild” oder Bild.de. Damit bleibe die Redaktion weiterhin unangefochtener All-Time-Spitzenreiter im Rügen-Ranking.
Weiterer Lesehinweis: “Mathias Döpfner, Chef des Axel Springer Verlags, gesteht öffentlich Fehler in der Solingen-Berichterstattung der ‘Bild’ ein. Glaubhaft ist das nicht.” Steffen Grimberg schreibt in der “taz” über die kalkulierten Grenzüberschreitungen der “Bild”-Medien.

6. Geburtsstunde der “Fake News”
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers)
Vor 185 Jahren machte die “New York Sun” mit einer für damalige Verhältnisse spektakulären Lügengeschichte auf sich aufmerksam. In insgesamt sechs Teilen berichtete das Blatt von geflügelten und nackten Menschen, die auf dem Mond leben. Es war nicht nur die Geburtsstunde des “Great Moon Hoax”, es war auch die Geburtsstunde der “Fake News”.

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