Zisch und fit

Bevor der Presserat vor einem Vierteljahr “Bild” dafür rügte, mit ihrer Berichterstattung über Aldi-Reisen die Grenze zwischen zulässiger Information und unzulässiger Werbung überschritten zu haben, hatte die Zeitung sich gegenüber dem Gremium ja damit gerechtfertigt, dass es einen “publizistischen Anlass” gegeben habe: Erstmals sei ein Discounter ins Reisegeschäft eingestiegen.

Das stimmte zwar nicht, aber “Bild” war auch nach der Rüge nachhaltig unzufrieden mit der Entscheidung des Presserates.

Und fand am vergangenen Freitag einen neuen “publizistischen Anlass” für detaillierte Berichterstattung über ein neues Produkt: Vermutlich erstmals ist eine deutsche Boulevardzeitung ins Sportdrinkgeschäft eingestiegen. “Bild”, äh: informierte exklusiv und auf Seite 1:

Mit Dank an Torsten W., Andreas H. und Andy.

medienlese – der Wochenrückblick

Blick lügt, Polizei gezeichnet, TV-Publikum alt, Köppel mit Konfirmandenanzug.

Die Staatsanwaltschaft St. Gallen sah sich genötigt, wegen eines Blick-Artikels über die Täterfahndung im Fall Ylenia eine Medienmitteilung herauszugeben. Obwohl der Blick-Journalistin kommuniziert wurde, dass keine Rede davon sein könne, dass nach einem zweiten Mann gefahndet wird, schrieb der Blick: “Also doch! Polizei sucht nach von Aeschs Komplizen“. Bedenklich sei das für die Staatsanwaltschaft vor allem aus zwei Gründen: “Erstens werden unnötig Polizeikräfte für Abklärungen gebunden, die zur Zeit dringend benötigt würden, um den immer noch vorhandenen plausiblen Hinweisen nachzugehen. Zweitens werden bei den Angehörigen von Ylenia Hoffnungen geweckt, die keine reale Basis haben.” Der Chef des hinter der Zeitung Blick stehenden Verlags, Michael Ringier, sagte im Magazin zum Fall Ylenia: “Die ‘Blick’-Redaktion hat dabei enorme Stärken bewiesen, ist das Thema mit hoher journalistischer Sorgfalt angegangen, mit Hartnäckigkeit – aber auch Feingefühl.”

Eine gänzlich undatierte Meldung über einen Kannibalismusverdacht ist bei networld.at zu lesen. Wann auch immer das passiert ist, die Tat muss aussergewöhnlich gewesen sein: “Deutscher erschlug Opfer mit Hantel in Notschlafstelle (…) Brustkorb war geöffnet, Organe auf Teller gefunden (…) Polizei gezeichnet: ‘Haben noch nie soetwas gesehen'”. Seltsam, ich kann mich nicht erinnern, das an anderer Stelle gelesen zu haben.

Read On…

Allgemein  

Exklusiv und unzulässig

Dursun Gündogdu ist ein Reporter der türkischen Zeitung “Hürriyet”. Ende Juni war er laut “Bild” “für BILD” im Gefängnis von Antalya, um exklusiv den 17-jährigen Marco Weiss zu interviewen, der dort in Untersuchungshaft sitzt, weil ihm vorgeworfen wird, ein 13-jähriges britisches Mädchen sexuell missbraucht zu haben.

Das Interview, das Gündogdu laut “Bild” “für BILD” führte, hätte nie stattfinden dürfen. Weder die Eltern noch der Anwalt des Jungen haben die nötige Zustimmung gegeben. Gegenüber dem NDR-Medienmagazin “Zapp” (Video) sagte Marcos Mutter:

“Wir waren dann später einfach nur überrascht und erschrocken, wie so was zustande kommen kann. Denn wie gesagt, wir haben, weder Marco, noch wir, noch sein türkischer Anwalt, der unser Mandat hat, haben vorher davon gewusst und sind auch nicht gefragt worden. Und hätten sicherlich auch zu dem Zeitpunkt nicht unsere Zustimmung gegeben.”

Dursun Gündogdu, der das Interview laut “Bild” “für BILD” führte, erklärte in der gleichen Sendung:

“Ok, dann wir haben einen Fehler gemacht und mit einem Minderjährigen ein Interview geführt. Aber wir haben ja schließlich einen Service angeboten für die deutschen Fernsehstationen und Printmedien. Wieso haben sie das denn so benutzt? Gut, es hätte die Einwilligung der Eltern geben müssen. Das ist auch im türkischen Recht so. (…) Es war nicht unsere Aufgabe nach der Genehmigung der Eltern zu fragen. Es ist doch so: Angenommen, wir hätten die Eltern nach der Genehmigung fragen wollen — hätten mir die Eltern diese dann auch geben? Welcher Reporter würde diese Frage zu diesem Zeitpunkt stellen? Wenn sie die Genehmigung haben ins Gefängnis zu gehen, und die Chance stehen 50 zu 50, dass die Familie nein sagt, da fragt doch keiner.”

Bereits wenige Tage nach der ungenehmigten Veröffentlichung des Interviews in “Bild” und auf RTL, hatte sich das deutsche Auswärtige Amt bei den türkischen Behörden beschwert, dass sie das Interview zuließen: Marco Weiss habe sich mit einigen Aussagen möglicherweise selbst belastet.

Laut “Zapp” wollte sich die “Bild”-Zeitung nicht weiter zu ihrem Interview äußern und verwies auf die “Hürriyet”.

Falsche Argumente für Online-Durchsuchungen

Den “E-Mail-Trick der Terrorbomber” erklärt die “Bild”-Zeitung heute ihren Lesern:

Für den E-Mail-Verkehr hatten sie sich ein raffiniertes System ausgeklügelt: Fritz G. hatte im Auto meist ein eingeschaltetes Laptop dabei, suchte unterwegs nach WLAN-Netzen (drahtlose Internetverbindung), die nicht durch Passwörter gesichert waren. Dann öffnete er seine E-Mail-Adresse bei einem kostenlosen Anbieter (z. B. gmx, freenet), schrieb Mails, schickte diese aber nicht ab, sondern speicherte sie in der Rubrik “Entwürfe”.

Seine Komplizen (kannten das Passwort) konnten die Mails dann öffnen — ohne dass sie je gesendet worden wären…

“Bild” weiter:

Für die Ermittler ist klar: Genau in so einem Fall könnte die umstrittene Online-Durchsuchung helfen. Denn auch die im Server eines Anbieters gespeicherten Mails wären dann lesbar!

Wir wollen zu Gunsten der Ermittler mal hoffen, dass “Bild” da was falsch verstanden hat: Die sogenannte “Online-Durchsuchung”, deren Zulässigkeit Gegenstand heftiger politischer Kontroversen ist, sieht nämlich vor, dass die Ermittler via Internet die Festplatte eines Verdächtigen durchsuchen können. Im konkreten Fall hätte das gar nichts gebracht, da die E-Mails, wie “Bild” berichtet, den Server nie verließen.

Die Durchsuchung von Inhalten, die auf solchen Servern liegen, ist dagegen derzeit schon erlaubt.

Nun wäre es gut möglich, dass “Bild” da einfach etwas falsch verstanden hat. Es könnte aber auch sein, dass “Bild” da etwas falsch verstehen wollte. Bereits gestern forderte “Bild”-Kommentator Georg Gafron, Skeptiker müssten sich bei Innenminister Wolfgang Schäuble, einem der entschiedensten Verfechter schärferer Gesetze und weitreichender Eingriffe in persönliche Freiheiten, “entschuldigen”. Nach Ansicht von Kritikern werden die Angst vor Terroranschlägen in Deutschland und die jetzt aufgedeckten geplanten Anschläge missbraucht, um Stimmung für die umstrittenen Online-Durchsuchungen zu machen.

Auch “Bild” stellt den Zusammenhang unmissverständlich her:

(…) auch bei uns kann die Online-Fahndung jetzt schneller möglich werden als bisher gedacht.

Dabei hilft natürlich, wenn man, wie “Bild”, den falschen Eindruck erweckt, diese Form der Fahndung hätte auch im konkreten Fall geholfen.

Danke an Merlin S., Bernard G., Wolfgang, Florian G., Daniel und Oliver P.

Klarstellung, 10. September. Mehrere Leser haben uns darauf hingewiesen, dass der sogenannte “Bundestrojaner” auch die Tastatureingaben für Passwörter, Login-Daten und PINs vor einer möglichen Verschlüsselung von Informationen aufzeichnen können soll. Das ist richtig. “Bild” tut aber so, als seien ein solcher “Bundestrojaner” und entsprechend verschärfte Gesetze notwendig, um überhaupt auf Mails auf Servern zugreifen zu können. Die Verkürzung und Zuspitzung (“Genau in so einem Fall könnte die umstrittene Online-Durchsuchung helfen”) ist grob irreführend.

6 vor 9

Keine Angst vor Bürgernähe
(nzz.ch, Roger Blum und Marlis Prinzing)
Das Wort Bürgerjournalismus ist in fast aller Munde: Die Laien übernehmen. Im professionellen Journalismus hingegen herrscht Skepsis allein schon gegenüber mehr Bürgernähe. Dabei könnten sich Bürgerjournalismus und bürgernaher Journalismus gut ergänzen.

Sehen und gesehen werden
(tagesspiegel.de, Verena Friederike Hasel und Tim Klim)
Pixel oder nicht? Der deutsche Pressekodex gerät ins Spannungsfeld zwischen Recht am eigenen Bild und öffentlichem Interesse. Die Terrorverdächtigen und ihr Bild in den Medien.

“Junge Freiheit” mügelt sich durch
(taz.de, Andreas Speit)
Machen nur FDP-Leute die Rechtspostille gesellschaftsfähig? Eine Grünen-Politikerin bestreitet wissentliche Autorenschaft für das Blatt.

Gebremster Mehrwert
(zeit.de, Adrian Pohr)
Die ARD plant es, das ZDF hat sie bereits: Mediatheken, in denen Sendungen und weitere Inhalte über das Internet verbreitet werden. Noch nicht ganz ausgereift, aber zum Ärger der Privatmedien. Ein Test.

“Die drei anderen werden sich auf den Füssen herumstehen”
(persoenlich.com, David Vonplon)
Seit Marc Walder Chefredaktor des SonntagsBlicks ist, weht ein anderer Wind durch die Redaktionsräume an der Dufourstrasse. Über die Hälfte der Redaktion wurde ausgewechselt, nach einer Rundum-Erneuerung des SonntagsBlick-Magazins wird nun im Oktober auch die Zeitung renoviert. “Magaziniger” und femininer will das Boulevardblatt künftig daherkommen.

O wie schön ist Kanada
(faz.net, Thomas Thiel)
Einem überrumpelten Urlauber aus Kanada wird ein Fernsehleihgerät zum Verhängnis. Und auch Sozialleistungsempfänger und Obdachlose verschont die GEZ nicht mit Forderungen der besonderen Art. Neues aus dem absurden deutschen Gebührenwald.

Kurze Wege aus der Klimakatastrophe

Es sind ja nicht nur die Leute, die den ganzen Tag das Licht im Bad brennen lassen oder in den Urlaub fahren, während der Fernseher zuhause weiter auf Stand-by vor sich hinbrummt, die das Klima kaputtmachen. Es sind auch die Leute, die in Berlin immer noch rücksichtslos Schweizer Schokolade kaufen, die Hunderte Kilometer aus den Alpen herangekarrt werden muss, anstatt auf Ware aus regionalen Schokoladenanbaugebieten, etwa im schönen Zeitz in Sachsen-Anhalt, zurückzugreifen.

Und sagen Sie nicht, das sei Unsinn, weil entscheidende Schokoladenzutaten im einen wie im anderen Fall vom Äquator herangeschafft werden müssen, was die Öko-Bilanz noch ein bisschen stärker beeinflussen dürfte als die Kilometer, die die fertigen Tafeln dann noch zum Verbraucher zurücklegen. Die “Bild”-Zeitung hat das ganz genau nachgerechnet, anhand von drei Einkaufskörben von Kunden aus dem Ullrich-Verbrauchermarkt in Berlin-Mitte. Und Mark F., den es “nicht kümmert”, ob die Produkte viele Kilometer nach Deutschland transportiert werden müssen und dadurch CO2 ohne Ende produzieren, bringt es auf insgesamt 95.350 Kilometer, darunter:

Schokolade --- Schweiz --- 750 km

Viel besser steht dagegen Stefan V. da, zufällig Chef des Ullrich-Verbrauchermarktes in Berlin-Mitte, in dessen Verbrauchermarkt in Berlin-Mitte der Test ja, wie gesagt, stattfand. Insgesamt nur 3510 Kilometer hat er auf der Uhr, darunter:

Schokolade --- Zeitz --- 218 km

“Bild” hat neben sein Foto noch die Worte “…denn das Gute liegt doch so nah” geschrieben, denn auch den Kaffee bezieht V. umweltschonend aus dem sachsen-anhaltischen, äh, Hochland:

Kaffee --- Magdeburg --- 156 km

Und wenn ihm jemand sagt, er solle doch dahin gehen, wo der Pfeffer wächst, versaut nicht einmal das die Öko-Bilanz von Stefan V.:

Pfefferwürste --- Eberswalde --- 64 km

Sie sehen: Es ist ganz einfach, die Umwelt zu schonen, man muss nur auf frische Produkte verzichten und Fertiggerichte aus der Nähe kaufen. Gerne auch beim Ullrich-Verbrauchermarkt in Berlin-Mitte, dessen Sortiment, wie sein Chef und Kunde Stefan V. in “Bild” erzählt, “rund 25.000 Produkte umfasst”. Da lohnt sich bestimmt auch eine weitere Anfahrt.

Danke an Daniele, Sebastian S. und A.J.

6 vor 9

Alte Männer mit Kugelschreibern
(jungle-world.com, Bov Bjerg)
Keine Ahnung haben, aber alles kontrollieren wollen: Politiker und das Internet.

Unnötige Konfrontation
(werbewoche.ch, Andreas Göldi)
Die Schweizer Verleger haben ein Problem mit Google, findet Andreas Göldi.

?heute? zu besuch bei google-zürich
(heute-online.ch, bö.)
“gestern konnte ich wieder mal bei google in zürich vorbeischauen. (…) und weil man keine bildschirme fotografieren durfte und das mit den menschen späterkommt, gibts hier einfach ein paar eindrücke. los gehts?”

Leiche im Keller
(weltwoche.ch, Alex Baur)
Ein Dok-Film des Schweizer Fernsehens hat hochbrisantes Material über Moritz Leuenberger und den Mordfall Brumann unterdrückt. Es war ein Akt der Selbstzensur.

Nach der WM ist vor der WM
(nd-online.de, Rainer Braun)
ARD und ZDF ringen um seriösen Sportjournalismus.

Überfordert – Journalisten und Retter im Katastropheneinsatz
(ndr.de, Video, 4:20 Minuten)
Richard Munz, seit 20 Jahren Notfallmediziner in Krisengebieten, beobachtet eine fatale Entwicklung: Hilfsorganisationen und Medien nutzen Katastrophen zunehmend für ihre eigenen Interessen. Zapp über Journalisten und Retter im Katastropheneinsatz.

Maßlos

Bild.de berichtet über den Abenteurer Steve Fossett, der mit seinem Flugzeug über Nevada verschollen ist, zitiert eine Luftfahrtexpertin mit den Worten: “Die Gegend ist wie ein riesiger Heuhaufen — und das Flugzeug eine sehr kleine Nadel”, und fügt hinzu:

Erschwert wird die Suche derzeit durch starke Winde in dem rund 1500 Quadratmeter großen Gebiet.

Nun ja: Selbst bei Orkanstärke und mit verbundenen Augen würde man in einem rund 1500 Quadratmeter großen Gebiet vermutlich innerhalb von Sekunden über das Flugzeug stolpern.

Und um das mal anschaulich zu machen: Eine 1500 Quadratmeter große Rasenfläche passt locker auf den Axel-Springer-Platz vor der “Bild”-Zentrale in Hamburg, und zwar so, dass an allen Seiten noch Autos dran vorbei fahren können.

Im Gegensatz übrigens zur Hugh-Hefner-Sky-Villa, einem Hotelzimmer in Las Vegas, das nach Überzeugung von Bild.de eine Größe von 10.000 Quadratmetern hat.

(Richtig wären, um die Sache jetzt nicht unnötig spannend zu machen, im ersten Fall 1500 Quadratkilometer, im zweiten 10.000 square feet, etwa 1000 Quadratmeter.)

Danke an Daniel E., S.F., Michael M., Stefan B. und Joachim L.

Nachtrag, 6. September. Bild.de hat den ersten der beiden Fehler korrigiert.

Nachtrag, 19.30 Uhr. Und inzwischen sogar auch den zweiten.

Enthüllt: Philippinen sind eigentlich Philipps

Eine “Sex-Umfrage”, über die Bild.de berichtet, fördert erstaunliche Ergebnisse zutage:

Die harten Fakten der Sex-Umfrage: 25 Prozent der Philippinerinnen haben schon versucht, ihren Penis zu vergrößern. In China sind es immerhin noch 21 Prozent.

Mit Dank an Vroni L., Daniel, Gecko, Said V., Matthias P., J.v.Z., Kalman G., Carsten K., Stefan N., Hermann B., René S., Stefan, Vuffi R. und Frank H.!

Nachtrag, 15.05 Uhr. Bild.de hat nochmal nachgesehen.

An- und “Verkauf”

ver|kau|fen ‹sw. V.; hat› [1 a: mhd. verkoufen, ahd. firkoufen]:

1. a) jmdm. etw. gegen Zahlung einer bestimmten Summe als Eigentum überlassen […]

(Duden — Deutsches Universalwörterbuch, 6., überarbeitete Auflage.)

HSV "verkauft" sein Heimrecht

Die Bulgaren kassieren für den Tausch des Heimrechts 200 000 Euro. Der HSV steuert 120000 Euro bei, den Rest übernimmt [der HSV-Vermarkter] Sportfive.

(“Bild” vom 5.September 2007)

Danke an Christian S. für den Hinweis!

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