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Publizistische Schauprozesse
(nzz.ch, ras.)
FC-Thun-Berichterstattung als Dokument geistiger Verwahrlosung.

“Raus aus der Kuschelecke”
(tagesspiegel.de, Mercedes Bunz und Christian Meier)
Tyler Brûlé will die Leser von “Monocle” mit vergessenen Themen konfrontieren.

Sechshundert Dollar Kriegskasse
(faz.net, Lutz Mükke)
Jahrelang brillierte das Erste mit Reportagen aus Somalia. Großen Anteil daran hatte der Einheimische Ahmed Jimale. Er nahm die Bilder des ermordeten amerikanischen Soldaten in Mogadischu auf, die um die Welt gingen. Von der ARD gekündigt, lebt Jimale heute als Flüchtling in Schweden.

“Google ist nicht gut genug”
(faz.net, Roland Lindner)
Jimmy Wales hat das Online-Lexikon Wikipedia gegründet und damit eine sagenhafte Erfolgsgeschichte im Internet geschrieben. Jetzt steigt er ins Suchmaschinen-Geschäft ein und attackiert Google. Anders als bei Wikipedia will er damit richtig Geld verdienen.

E-zines: journalistische Avantgarde im Web
(punkt.ch, wil)
Online-Medien werden immer beliebter, zunehmend bei den Jungen und auch auf Kosten des Print. E-zines könnten damit in der Zukunft an Bedeutung gewinnen. Die Online-Magazine verbinden Print-Ästhetik mit der Multimedialität und Interaktivität des Web.

Nahaufnahme: Computerspiel-Junkie
(rbb-online.de, Video, 6:15 Minuten)
Florian hat keine Ausbildung, keinen Job und keine Freunde. Dafür hat er keine Zeit. Denn er spielt rund um die Uhr ?World of Warcraft“, ein Online-Rollenspiel.

“Bild” versagt als Beckereifachverkäuferin

“Ich konnte mich mit der Art und Weise, wie die Geschichten erfinden und auch mit den Methoden, wie sie arbeiten, nicht identifizieren.”
(Boris Becker, 1989, über “Bild”)

“BORIS — Nächste Frau weg”, schreibt “Bild” heute auf der Titelseite, weil Boris Becker der “Revue” exklusiv gesagt hat:

“Ich habe mich vor sechs Wochen von meiner Freundin getrennt. (…) Wir haben uns getrennt, das können Sie gern veröffentlichen, das weiß auch noch niemand!”

So steht’s auch auf dem aktuellen “Revue”-Titel (“Ich habe mich von Lilly getrennt.”) So ließ es sich gestern auch die Nachrichtenagentur dpa aus Beckers “Umfeld” bestätigen (“Das ist richtig, der Bericht der Zeitschrift ‘Revue’ stimmt.”) Und so steht’s auch in “Bild” (“Jetzt sagt Boris BILD: ‘Wir haben es wirklich ernsthaft versucht. … Wir haben dann leider doch beide gemerkt, dass es für eine Beziehung durchaus reicht. Aber nicht für eine Ehe. Das war vor sechs Wochen.'”) Und “Bild” ist sichtlich überrascht:

Boris Schluss mit Lilly

Das Liebes-Aus — es kam mega-überraschend! (…) Dabei hatten viele schon die Hochzeitsglocken läuten gehört und wundern sich jetzt (…). Das alles sah nicht nach dem Ende einer Beziehung aus.

Und auf Bild.de, wo das “Liebes-Aus” bereits gestern Thema war, hieß es scheinbar lakonisch:

Erst kürzlich hatte Becker in BILD gesagt: “Solange ich keine ernsthafte Lebensgefährtin hatte, war vieles leichter, aber jetzt, da möglicherweise eine Nachfolgerin, eine neue Frau Becker ins Haus kommen könnte, die dann auch noch die Familie mit neuen Brüdern und Schwestern erweitert, hat sich die Stimmung etwas verändert.”

Eine neue Frau Becker? Lilly ist es jedenfalls nicht…

Stimmt! Also fast: Beckers “neue Frau Becker”-Zitat stand vor anderthalb Wochen (also ca. vier Wochen nach seiner Trennung) in einem seitenfüllenden “Bild”-Vorabdruck seines Buchs. Beim Namen “Lilly” nennt Becker die mögliche “Nachfolgerin” darin nicht. Mehr noch: Er nennt sie gar nicht, mit keinem Wort.

Ganz im Gegensatz zur “Bild”-Zeitung, die damals zu erahnen vorgab, was Becker verschwieg, und aus ihrem Gemunkel sogar große Schlagzeilen und eine Seite-1-Ankündigung machte:

"Boris und seine Lilly: Hochzeit? -- Boris exklusiv in BILD: Wird Lilly die neue Frau Becker? Boris über (...) Ex-Frau Barbara und ihre mögliche Nachfolgerin: Lilly Kerssenberg"

Kein Wunder also, dass das “Liebes-Aus” jetzt “mega-überraschend” kam für “Bild”.

Der Silberschatz im See

Tolle Geschichte: Schatzsucher finden einen seit über 60 Jahren verschollenen Silberschatz im Schlossteich. Ein Fotograf und Journalist ist dabei und dokumentiert den Fund. Wenig später sind die Schatzsucher verschwunden und mit ihnen der Schatz.

So berichtete die “Bild”-Zeitung im Januar dieses Jahres darüber:

"Der Silber-Schatz aus dem Schloss-Teich"

Doch die Geschichte hat einen entscheidenden Haken: Stephan Benesch, der Fotograf und Journalist, der angeblich dabei war, als der Schatz gehoben wurde, hat sie offenbar erfunden und die Fotos, die “Bild” abdruckte, gefälscht. Dafür hat er sein eigenes Tafelsilber nicht nur fein säuberlich aufgereiht, sondern es auch in den Schlamm gelegt und beides fotografiert. Außerdem hat Benesch das Landesamt für Bodendenkmalpflege wegen der “Schatzräuber” informiert und zum angeblichen Fundort geführt. Und Graf Hubert Tiele-Winckler, laut “Bild” der Erbe des Silbers, schaltete wegen des vermeintlichen Diebstahls nach Veröffentlichung des Artikels die Polizei ein. Das alles ergaben Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Rostock.

Vorgestern nun entschied ein Gericht, dass Benesch 1750 Euro Strafe zahlen muss. Wegen Betrugs gegenüber der “Bild”-Zeitung und wegen Vortäuschens einer Straftat. Benesch hat den Strafbefehl zwar akzeptiert, wie uns die Staatsanwaltschaft bestätigt. Laut “Schweriner Volkszeitung” (“SVZ”) behauptet er jedoch nun, er selbst sei ebenfalls reingelegt worden — von den vermeintlichen Schatzsuchern nämlich. Die Fotomanipulation gibt er zu und sagt, das “war ein Fehler. Ich habe Mist gemacht.” Dass er überhaupt auf die Idee kam, Fotos zu fälschen, begründet er der “SVZ” gegenüber so:

“Die wollten unbedingt ein Foto, da habe ich ein wenig nachgeholfen”.

Mit “die” ist die “Bild”-Zeitung gemeint. Deshalb fragten wir dort seit gestern mittag mehrfach an, ob niemand bei “Bild” Beneschs Geschichte überprüft habe, ob sie später in irgendeiner Ausgabe korrigiert wurde, ob “Bild” Benesch tatsächlich “seit der Geschichte wieder einige Bilder von Unfällen abgekauft” habe, wie die “SVZ” schreibt, und warum der Artikel bei Bild.de weiterhin online ist.

Bisher erhielten wir von “Bild” keine Antwort.

Verpixelte Panik

Was haben diese drei gemeinsam? Wer sie kennt, erkennt sie sofort.

Soviel dazu. Und Schluss mit lustig.

Denn “Bild” berichtet heute in großer Aufmachung und mit vielen Fotos von einem “Amoklauf im Berliner Hauptbahnhof”:

Ein 26-jähriger Mann hat gestern dem Kellner eines Cafés zwei Stunden lang ein Messer an die Kehle gedrückt. (…) Der panische Blick der Geisel auf die scharfe Klinge lässt viele Augenzeugen erschaudern.

TODESANGST!

So steht’s im Pressekodex
 
(…) Bei der Berichterstattung über Unglücksfälle, Straftaten, Ermittlungs- und Gerichtsverfahren (…) veröffentlicht die Presse in der Regel keine Informationen in Wort und Bild, die eine Identifizierung von Opfern und Tätern ermöglichen würden.

(…) Immer ist zwischen dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen abzuwägen.

(…) Liegen Anhaltspunkte für eine mögliche Schuldunfähigkeit eines Täters oder Tatverdächtigen vor, sollen Namensnennung und Abbildung unterbleiben.

(…) Die vom Unglück Betroffenen dürfen grundsätzlich durch die Darstellung nicht ein zweites Mal zu Opfern werden.

(Aus den Richtlinien 8.1 und 11.3)

Ein Großteil der Fotos, die den ganzseitigen Artikel illustrieren, dokumentiert das Beschriebene. Wir sehen: einen Mann mit einem Messer, der einen anderen Mann im Würgegriff hat. Und auf allen Fotos zeigt “Bild” den Mann mit dem Messer, ohne ihn irgendwie unkenntlich zu machen, was nicht schön, aber laut Pressekodex gerechtfertigt sein könnte (siehe Kasten) oder auch nicht (siehe Kasten). Schließlich hatte der Mann laut “Bild” “offenbar Kokain geschnupft” und wurde “in eine Psychoklinik eingewiesen”.

Aber die Anonymisierungspraxis in “Bild” ist ohnehin undurchschaubar. Und einfallsreich zugleich: mal Verpixelungen, mal kleine, mal größere schwarze Balken über der Augen- oder schwarze Kreise über der Gesichtspartie, mal vollständiges Weißen kompletter Silhouetten… Doch wer heute anonymisiert wird, muss schon morgen damit rechnen, dass “Bild” darauf verzichtet, und umgekehrt. Und es vergeht kaum ein Tag, an dem “Bild” nicht Menschen zur Schau stellt (Opfer, Täter, Betroffene), obwohl berechtigte Zweifel bestehen, ob “Bild” das darf. Erfahrungsgemäß zeigt “Bild” lieber zu viel als zu wenig. Zudem gab es in der Vergangenheit wiederholt Fälle, in denen “Bild”-Anonymisierungen vom Presserat als unzureichend beanstandet wurden.

Und den Mann im Würgegriff des Geiselnehmers am Berliner Hauptbahnhof (“Bild” nennt nicht nur seinen Beruf, sondern auch Vornamen, Alter und Arbeitsplatz) hat “Bild” auf den vielen Fotos, die ihn in “Todesangst” zeigen, unkenntlich gemacht — und zwar ziemlich genau so, wie wir das auf obigen Fotos demonstrieren.

Nachtrag, 23.11.2007: Auch heute zeigt “Bild” wieder Fotos der Geiselnahme — diesesmal jedoch ohne jegliche Unkenntlichmachung, die ja für gewöhnlich dem Schutz der Persönlichkeit des Abgebildeten dienen soll. Was das Opfer anbelangt, ist “Bild” deswegen heute (anders als gestern bei der weniger als halbherzigen Verpixelung seiner Augenpartie) wohl nichts vorzuwerfen, denn: “In BILD spricht er jetzt exklusiv über den Horror, über die wirren Gedanken des Täters, über die Liebe, die ihn stark machte.” Über den Täter wird inzwischen berichtet, dass er möglicherweise wegen Wahnvorstellungen, die eventuell durch Betäubungsmittel verstärkt worden waren, schuldunfähig gewesen und vom Ermittlungsrichter in eine psychiatrische Klinik eingewiesen worden sei. Grund genug also, noch einmal aus dem Pressekodex zu zitieren: “Liegen Anhaltspunkte für eine mögliche Schuldunfähigkeit eines Täters oder Tatverdächtigen vor, sollen Namensnennung und Abbildung unterbleiben.”

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“Ich mag überhaupt kein Schlampen-TV” (Lesetipp)
(welt.de, Antje Hildebrandt)
Margarete Schreinemakers kehrt zurück. Vier Jahre nach ihrem letzten Comeback-Versuch in der ARD sendet sie im Frühjahr 2008 Internetfernsehen aus dem eigenen Kellerstudio. Im Interview mit WELT ONLINE spricht sie über ihr Leben als Workaholic und ihre neuen Pläne.

Die verschwiegene Investitionslücke
(werbewoche.ch, Karl Lüönd)
Nach den mageren Jahren ist wieder Zeit zum Investieren. Die Verleger tun es einmal mehr am falschen Ort.

Klimakiller Qualitätsjournalismus
(oe1.orf.at, Lukas Wieselberg)
Nach gängiger Meinung findet Qualitätsjournalismus im deutschen Sprachraum nur in Zeitungen statt.

Die Industrialisierung des Denkens
(telepolis.de, Rüdiger Suchsland)
Über den Verfall politisch-kultureller Information.

Wir holen den großen Bruder!
(jungle-world.com, Ron Steinke und Tobias Singelnstein)
Eine grundsätzliche politische Kritik an der Vorratsdatenspeicherung findet kaum statt. Ihre Gegnerinnen und Gegner begnügen sich damit, auf einen Einspruch des Bundesverfassungsgerichts zu hoffen.

Chaotisch – Die Turbulenzen beim Spiegel
(ndr.de, Video, 16:05 Minuten)
Der Spiegel hat schon immer für aufregende Schlagzeilen gesorgt – vor allem in eigener Sache. Das Montagsmagazin von Übervater Rudolf Augstein funktioniert auf eine einzigartige Weise: Denn über die Hälfte der Anteile gehören der Redaktion selbst. Diese Mitarbeiter KG hat nun für ein mediales Erdbeben gesorgt – in dem sie überraschend Chefredakteur Stefan Aust entmachtet hat. Sein Vertrag wird – anders als erwartet – nicht verlängert. Im und außerhalb des Spiegels reibt man sich nun die Augen: Warum der Putsch? Warum die Geheimhaltung? Und wer bloß könnte das Blatt in die Zukunft führen? Zapp über die Chaostage beim Spiegel.

Medienjournalismus nach Art des Hauses

Peter Heinlein, 56, ist so eine Art Söldner der Medienbranche. Er stand unter anderem schon in den Diensten von “Spiegel”, “Welt am Sonntag”, “Handelsblatt”, “Bunte” und “Max” und zeichnete sich immer durch Artikel über die Medien- und Werbebranche aus, Ausriss: Bild.dedie seine jeweiligen Auftraggeber ganz besonders glücklich machte. Er hatte keine Skrupel, seine Kolumnen ganz in den Dienst der Verlagsinteressen zu stellen, egal, ob das bedeutete, besonders gehässig über die Konkurrenz zu lästern, besonders üppig die eigenen Erfolge herauszustellen oder besonders ungeniert den Werbekunden zu schmeicheln.

Für die “Bunte” porträtierte er vor einigen Jahren in einer großen Reihe Werber. Die Artikel hatten programmatische Überschriften wie “Das ist ein wirklich kluger Kopf!”, “Der Hugh Grant der Werbung”, “Dieser Typ ist ‘ne echte Marke”, “Ein Turbo-Werber macht Druck” oder “Der smarte Werbe-Künstler”. Für “Max” schrieb er über die Agentur Crispin Porter + Bogusky (“von der die derzeit beste Werbung der Welt kommt”), die Agentur Jung von Matt (“Deutschlands beste Werbeagentur”), die Agentur Heimat (“der kreativste Werberladen Deutschlands”).

Heinlein in seiner Doppelrolle als Medienkolumnist und Verlagssprecher:

“Viele Websites bieten inzwischen bewegte Bilder an. Aber bei Bild.T-Online gibt’s ab sofort eine eigene Web-TV-Show. BILD live sendet zweimal täglich das Neueste von Stars aus Entertainment und Sport.

Das neue Videoformat wird von meiner Hamburger Kollegin Julia Josten präsentiert. Dazu wählt die Online-Redaktion in Berlin das Interessanteste aus der Fülle des internationalen Themenangebotes aus. (…) Es macht richtig Spaß, [mit dem Videoplayer] durch die aktuellen Newsfilme zu “blättern”, sich Kinotrailer, Musikclips oder Videos der Community auf den Schirm zu holen.”

Quelle: Bild.de

Vor gut drei Jahren ist er mit seiner Medienkolumne zu “Bild” gezogen, und man kann nicht sagen, dass ihn ein Rückgrat bei der Arbeit behindere. Er scheut sich zum Beispiel nicht, Interviews anderer Leute so auf Links zu krempeln, dass sie sich als Lob auf die Zeitung verkaufen lassen, für die Heinlein schreibt (wir berichteten). Wenn er für Bild.de über Probleme bei der Münchner “Abendzeitung” berichtet, flicht er, wie als Erklärung, den Satz ein: “Modernen Boulevard bietet in München die BILD-Zeitung.” Und zur Post und ihrer neuen Konkurrenz durch die PIN-AG fällt ihm zufällig exakt das ein, was auch Linie der Axel-Springer-AG ist, der die PIN-AG gehört, was für Heinlein aber anscheinend keine für die Leser relevante Information darstellt.

Heinlein kann nicht nur positiv. Wenn es um die (auch von Chefredakteur Kai Diekmann nicht geschätzte) “Zeit” geht oder den Verlag Gruner+Jahr, findet er gern ein böses Wort, und den “Geo”-Chef Peter-Matthias Gaede scheint er besonders wenig leiden zu können:

Bevor der gern kritische Journalistik-Papst des Hauses Gruner + Jahr und König der “GEO”-Gruppe, Peter-Matthias Gaede, im Aufsichtsrat seines Verlages neue Weihen erhält, darf er abgeben von seiner Machtfülle.

Aber man täte Peter Heinlein Unrecht, wenn man jedem seiner Texte unterstellte, er habe ein erklärtes publizistisches Ziel. Viele sind auch einfach, sichtlich unredigiert, dahingeworfen. Ein Höhepunkt aus dem Genre “Eh-Egal” findet sich in Heinleins heutiger Bild.de-Kolumne:

Das immer beliebter werdende digitale Aufzeichnen mit automatischem Herausschneiden der Fernsehreklame hat TV-Werber in den USA auf neue Ideen gebracht. Dort gibt’s nämlich schon Fernsehen im Supermarkt. In den Läden der “Wal-Mart”-Kette zum Beispiel, wo sich Leute beim Einkaufen im Schnitt eine Stunde aufhalten. Dort werden sie jetzt zunehmend mit TV-Werbung berieselt. Ausschalten geht nicht, pinkeln auch nicht. Die Werbeerinnerung dort ist mit 56 Prozent deutlich höher als beim Zuhause Gucken (21 Prozent), ergab eine US-Studie.

Nach “Ford Unilever” und “Gilette” will jetzt auch die US-Navy diesen Kanal nutzen und für ihr PC-Spiel “Call of Duty” werben.

Offenbar hat Heinlein diesen Artikel aus der amerikanischen Fachzeitschrift “Brandweek” zum Thema gelesen. Oder besser: flüchtig überflogen. Denn mal abgesehen davon, dass Ford und Unilever zwei verschiedene Unternehmen sind, dass sich Gillette mit Doppel-L schreibt und es vielleicht wichtig gewesen wäre, darauf hinzuweisen, dass die “US-Studie” mit den für das Wal-Mart-Fernsehprogramm so vorteilhaften Ergebnissen von dem Produzenten des Wal-Mart-Fernsehprogramms erstellt wurde… also, mal abgesehen davon ist das PC-Spiel “Call of Duty” natürlich nicht von der US-Navy. Die “Brandweek” hatte nur darauf hingewiesen, dass jugendliche Käufer dieses Kriegsspiels doch die perfekte Zielgruppe wären für die eigene Werbung der US-Navy im Ladenfernsehen (bei GameStop übrigens, nicht Wal-Mart).

Da muss man schon sehr schludrig arbeiten, um all das, wie Heinlein, misszuverstehen. Aber es geht in diesem Fall ja auch nicht um “Bild”, die Axel-Springer-AG oder ihre Konkurrenten.

Nachtrag, 22. November: Bild.de hat die Wal-Mart-Meldung aus Heinleins Kolumne ersatz-, wort- und restlos gelöscht.

Asini!

Fast halbseitig berichtet “Bild” über die “Archäologie-Sensation! Höhle von Romulus und Remus entdeckt”.

Rom - Es ist eine der berühmtesten Sagen der Menschheit: Eine Wölfin säugt in einer Höhle Remus und seinen Zwillingsbruder Romulus - den Gründer von Rom (735 v. Christus).

Es ist auch eine der berühmtesten Eselsbrücken der deutschen Sprache. Und jetzt alle im Chor:

Siebenfünfdrei

Und vielleicht noch ein Hinweis in eigener Sache: “lupa” ist nicht, wie “Bild” dann noch schreibt, “die lateinische Bezeichnung für Wölfe”, sondern für die Wölfin.

(Und asini ist die Mehrzahl von asinus.)

Vielen Dank an “fufofa” für den Hinweis!

Nachtrag, 11.47 Uhr. Bild.de ist schnell über die Eselsbrücke gegangen.

Nachtrag, 22.11.2007: Auch die gedruckte “Bild” hat sich über die Eselsbrücke gewagt und in der “Korrekturspalte” sowohl die falsche Jahreszahl als auch die falsche lupa-Übersetzung berichtigt.

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Im freien Sündenfall
(sueddeutsche.de, Andrian Kreye)
Seit 20 Jahren verändert sich die Kriegsberichterstattung – es ist nicht nur gefährlicher geworden. Es gibt auch kein Gut, kein Böse und keine Neutralität mehr, wie unser Autor als Kriegsreporter selbst erfahren hat.

“Das ist doch kein Krieg”
(tagesspiegel.de, Knut Krohn)
Adam Michnik, Gründer der liberalen “Gazeta Wyborcza“, über deutsch-polnische Medienhysterien.

Stefan Aust (und Oliver Gehrs)
(vanityfair.de, Rainald Götz)
“Das hat das Videobloggenre nämlich so an sich, totale Selbstentblößung der Gesamtperson. Ach so!, das ist also dieser Oliver Gehrs, den man als Autor irgendwie interessant gefunden hatte, jetzt sieht man ihn hier dreißig Sekunden und weiß sofort zumindest so viel über ihn, dass man ihn nie mehr richtig ernst nehmen kann. Als Kritiker, als Brain, als Argument, er ist halt so ein Mitteboy, einer mehr, quite sweet, im Kern aber genau so wie seine eigene Zeitschrift Dummy: schaut ganz gut aus, Punkt.”

Verlorene Generation
(ejo.ch, Marlis Prinzing)
Die Tageszeitung gilt als Auslaufmodell. Die jungen Leser werden über die Zukunft entscheiden.

Image-Probleme bei Informatikern
(sf.tv, Video, 4:27 Minuten)
Informatiker gesucht – Seit Jahren sinken die Studierendenzahlen der Informatik. Eine Strassenumfrage zeigt, dass das Image des unsozialen, lichtscheuen und schlecht gekleideten Computer-Nerds nach wie vor in den Köpfen herumschwirrt. Die Branche will nun reagieren und das Image aufpolieren.

Sag was, Jo!
(999blogs.de/clapclub)
Kennen Sie den Herrn Groebel?

Das Santenmännchen ist da!

Oliver Santen war früher Pressesprecher bei der Allianz-Versicherung und der Axel-Springer-AG. Und man kann sagen, dass ihn diese Jahre ganz gut vorbereitet haben auf seine jetzige Position als Ressortleiter Wirtschaft bei “Bild”. Das heutige Arrangement aus glückstrahlendem Lufthansa-Chef, Bambusgehölz, Wasser und Werbespruch auf der Seite 2 der Zeitung (siehe Ausriss) hätte kein Lufthansa-Werbechef schöner komponieren können. Und tatsächlich ist das große Foto ein Werbebild aus dem Lufthansa-Magazin, und der Satz aus der Überschrift stammt nicht von Wolfgang Mayrhuber, sondern von Oliver Santen — der Lufthansa-Mann musste im Interview nur “Ja, so ist das!” dazu sagen.

Bei Santen geben sich die Wirtschaftsführer gerade die Klinke in die Hand, und hinter der Tür erwartet sie eine in mildes Licht getauchte PR-Plattform, in der sich kein Widerspruch, keine Recherche, keine unangenehme Nachfrage zwischen ihre Botschaft und die “Bild”-Leser stellt. Allein in diesem Herbst spielte Santen u.a. Mikrofonhalter für:

Das heutige Kuschelgespräch mit Lufthansa-Chef Mayrhuber passt ganz gut zur gleichzeitig von “Bild” gemeinsam mit Greenpeace, dem BUND, dem WWF und anderen veranstalteten Aktion “Rettet unsere Erde”, die dazu auffordert, am 8. Dezember für fünf Minuten “für unser Klima” das Licht auszuschalten. Wer es gelesen hat, wird im Sinne des Umweltschutzes den Satz “Öfter mal das Auto stehen lassen…” mühelos vervollständigen mit “…und lieber das Flugzeug benutzen”.

Auf die Stichworte des “Bild”-Redakteurs referiert Mayrhuber unter anderem, dass “unsere Erde es gar nicht merken würde”, wenn man morgen den Flugverkehr in Europa vollständig striche; dass die Lufthansa-Flotte pro Passagier nur 4,4 Liter Benzin auf 100 Kilometer verbrauche, und dass ab 350 Kilometern Entfernung das Flugzeug umweltfreundlicher sei als Auto oder Bahn.

Und Oliver Santen hat entweder nichts auf seinem Zettel stehen, was dem entgegen steht. Oder sieht keine Veranlassung dazu, am grünen Lack, den seine Zeitung dem Lufthansa-Mann auftragen hilft, gleich wieder zu kratzen.

Das hat stattdessen “Spiegel Online” getan, mit Methoden, die man bösartig als “journalistisch” bezeichnen könnte. Offenbar spricht nicht ganz so viel für das Fliegen, wie der Lufthansa-Chef behauptet, wenn man berücksichtigt, dass Flugzeuge nicht nur CO2 ausstoßen, sondern auch Stickoxide und Wasserdampf, die das Klima wesentlich und negativ beeinflussen. Um die Klimabelastung realistisch zu bewerten, müsse der reine CO2-Ausstoß verdoppelt bis verfünffacht werden. Auch bei Distanzen von weit über 350 Kilometern habe damit nach verschiedenen Berechnungen das Flugzeug eine schlechtere Umwelt-Bilanz als das Auto oder die Bahn.

“Spiegel Online” hatte auch die originelle Idee, bei der Lufthansa einfach mal nachzufragen, wie ihr Chef auf die Schwelle von 350 Kilometern kommt. Die Antwort: Er hat sie von seinen Leuten schätzen lassen. Genaue Zahlen gebe es aber nicht.

Sehen Sie? Recherche bringt nichts. Das verwirrt die Leute nur. Wieviel klarer ist da ein Merksatz wie: “Wer die Umwelt liebt, der fliegt!” Der, wie gesagt, nicht vom Lufthansa-Chef stammt. Sondern vom “Bild”-Mann mit Pressesprecher-Erfahrung.

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