Und “Christel von der Post” war bei der Post

Diese lustige “Bild”-Eigenwerbung haben wir schon länger nicht mehr im Blog gezeigt:

Wir schreiben, was alle schreiben... bloß früher

Heute ist ein guter Tag dafür. Denn heute berichtet “Bild”:

"Cindy aus Marzahn" war Hartz-VI-Empfängerin

Es gibt bestimmt einen Anlass dafür, dass “Bild” heute ein paar biographische Notizen über die Komikern Ilka Bessin veröffentlicht.

Möglicherweise, dass RTL vor fünf Tagen den ersten Teil ihrer Bühnenshow ausgestrahlt hat (was “Bild” allerdings nicht erwähnt). Eventuell, dass RTL in zwei Tagen den zweiten Teil ihrer Bühnenshow ausstrahlen wird (was “Bild” allerdings nicht erwähnt). Vielleicht, dass vergangene Woche eine DVD mit dem Bühnenprogramm von “Cindy aus Marzahn” herausgekommen ist (was “Bild” allerdings nicht erwähnt). Womöglich, dass sie übermorgen im Großen Saal in Erfurt auftritt (was “Bild” allerdings nicht erwähnt). Oder sogar, dass es fast auf den Tag genau fünf Monate her ist, dass sie zum Thema “Arme ärmer, Reiche reicher” in der ARD-Talkshow “Anne Will” zu Gast war (was “Bild” allerdings nicht erwähnt).

Unter Umständen ist Anlass aber auch nur, dass sich in diesen Wochen der Tag jähren müsste, an dem es — außer “Bild” — kein Medium in Deutschland mehr gab, das noch nicht darüber berichtet hat, dass Ilka Bessin, die “Cindy aus Marzahn”, früher selbst mehrere Jahre arbeitslos bzw. Hartz-IV-Empfängerin war*.

Lesen Sie deshalb morgen in “Bild”:

  • Erster Mann auf dem Mond.
  • Hitler-Tagebücher nur gefälscht.
  • Und: Heinz Rühmann ist tot!
*) z.B. “Tagesspiegel”, 10. Februar 2007; “Berliner Kurier”, 30. März 2007; “Berliner Morgenpost”, 8. April 2007, “Der Spiegel”, 14. Mai 2007; “Express”, 18. Oktober 2007.

Als würde ein Heroindealer für Abstinenz kämpfen

Nikolaus Blome, der Leiter des Parlamentsbüros der “Bild”-Zeitung, hat ein Buch darüber geschrieben, dass Politiker besser seien als ihr Ruf. “Faul, korrupt und machtbesessen?” heißt es — und wurde gestern vom designierten SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering vorgestellt. Die “taz” kommentiert:

Eigentlich ist Blomes Polemik ein seltsames Unterfangen. Dass ausgerechnet ein Bild-Redakteur die allgemeine Politikerverachtung geißelt, ist ungefähr so, als würde ein Heroindealer eine Kampfschrift für Abstinenzler schreiben. Denn Bild ist das Zentralorgan der Politikerverachtung, der gezielten Aufwiegelung und kalkulierten Wutwellen, die gegen raffgierige, faule, dumme Politiker ins Rollen gebracht werden. Auch wenn Politiker bloß tun, was das Bundesverfassungsgericht über ihre Diäten entschieden hat, stopfen sie sich laut Bild die Taschen voll. Davon sagt Müntefering kein Wort. Er macht noch nicht mal einen Witz darüber. Man redet im Haus des Henkers nicht über den Strick.

Oder wie es Bild.de unfreiwillig treffend formuliert:

Faul, korrupt und machtversessen? Warum Politiker besser sind als ihr Ruf — das weiß Nikolaus Blome, der darüber ein Buch geschrieben hat. Er muss es wissen. Denn er ist Leiter des “Bild”-Parlamentsbüros.

Nachtrag, 16:00 Uhr. Und “Zeit Online” berichtet über die Präsentation:

Aber noch etwas lernt der Zuhörer an diesem Tag. Nicht nur Politiker sind besser als ihr Ruf, sondern auch die Journalisten, allen voran natürlich die der Bild-Zeitung, die jedem Politiker, der sich als all zu menschlich entpuppt und seine ganz persönlichen Schwächen offenbart, eine besonders große Schlagzeile widmet. Deshalb findet sich in dem Buch auch kein Kapitel mit der Überschrift “Journalistenbeschimpfung”. Nein, das habe er nicht vergessen, wehrt Nikolaus Blome eine entsprechende Frage ab. Denn die schreibende Zunft könne doch wirklich nichts dafür, dass das Volk so schlecht von seinen Politikern denke. “Die Journalisten sind nur Transmissionsriemen”, sagt der Buchautor und hebt unschuldig die Hände: “Wir haben die Vorurteile nicht erfunden”.

Ebenfalls zum Thema:

Mit Dank an Henning S.!

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1. “Ein Politiker lobt einen Journalisten, der die Politiker lobt”
(taz.de, Stefan Reinecke)
“Franz Müntefering (SPD) stellte gestern das neue Buch von Nikolaus Blome (‘Bild’-Zeitung) vor: (…) Dass ausgerechnet ein Bild-Redakteur die allgemeine Politikerverachtung geißelt, ist ungefähr so, als würde ein Heroindealer eine Kampfschrift für Abstinenzler schreiben.”

2. “Zwei Maß Bier und ein Dirndl”
(faz.net, Michael Hanfeld)
“‘Wer braucht eigentlich Bayern?’ Das wollte Sandra Maischberger in ihrer Jubiläumssendung wissen. Ihre Gäste wussten darauf ein paar politikferne Antworten. Wir aber fragen uns nach zweihundert Mal Maischberger: Wer braucht eigentlich diese Talkshow?”

3. “Die Angst der Rundfunkanstalten vor dem Jackpot”
(blog.gebuehren-igel.de, Hans-Peter Kraus)
Aus dem Dschungel der Rundfunkgebührenpflichtigkeit. Hans-Peter Kraus fragt sich, warum das Einstecken eines USB-Sticks ein “besonderer zusätzlicher technischer Aufwand” sein soll, während “doch selbst eine Modeminstallation nur ein geringfügiger Aufwand sein soll”.

4. “Die Zukunft der abonnierten Tageszeitungen”
(drs4news.ch, Finn Canonica, Audio, 25:20 Minuten)
Tamedia-interner Talk auf dem Staatsradio: Finn Canonica, Chefredakteur des Tages-Anzeiger-Magazins, befragt Res Strehle, stellvertretender Chefredakteur des Tages-Anzeigers, zur Zukunft der abonnierten Tageszeitungen.

5. “No”
(kenyonreview.org, Brian Doyle)
Ein langer Text mit kurzem Titel über das tägliche Brot des freien Journalisten und des Redakteurs: Die Absage.

6. “Frustrierter Ex-Journalist in Bombenstimmung”
(20min.ch, Attila Szenogrady)
“Weil ihm niemand zum 58. Geburtstag gratulierte, deponierte ein betrunkener Werbe-Texter eine Bombendrohung. Ausgerechnet in der Zürcher Bahnhofstrasse. Der geständige Täter wurde zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 16 Monaten verurteilt.”

“Bild” zeigt irgendetwas exklusiv

“Bild” druckt heute exklusiv ein Foto, das zeigen soll, wie die Leiche des Berliner Tierpflegers Thomas Dörflein, eingehüllt “in einen grauen Plastiksack”, von zwei Mitarbeitern der Gerichtsmedizin abtransportiert wird:

Ralph Große-Bley, “Bild”-Redaktionsleiter Neue Bundesländer, stört an diesem Foto (wie er heute in der Blattkritik der “Bild”-Zeitung sagte), dass in der Bundesausgabe der Zeitung nicht dabei steht, dass “der erste Bestatter, der vorne läuft, die Stiefel von Dörflein in der Hand hält”.

Interessante Kritik. Wir hingegen haben Zweifel, ob das Foto überhaupt das zeigt, was “Bild” behauptet. BILDblog-Leser Moritz M. schreibt uns nämlich, dass auf dem Foto womöglich nur zwei Sanitäter zu sehen seien und auf ihrer Liege “(höchstens) ein bisschen Gerät, eingepackt in eine Vakuummatratze”.

Wir sind für sowas keine Experten, halten das aber für nicht unplausibel. Weil die Berliner Behörden uns leider nicht weiterhelfen konnten, aber unsere Leser alles wissen, fragen wir Sie:

Wer kennt sich aus und klärt uns auf?

Nachtrag, 24.9.2008: Eindeutig beantworten können wir die Frage leider auch nach den vielen sachdienlichen Hinweisen nicht: Rettungssanitäter transportieren offenbar keine Leichen; Bestatter tragen aber wohl auch mal Hosen mit Reflektorstreifen, benutzen solche Ferno-Fahrgestelle und Leichenhüllen mit sackförmiger Ausprägung am Fußende. Es bleibt am Ende also nicht unwahrscheinlich, dass auf dem “Bild”-Foto tatsächlich das zu sehen ist, was “Bild” behauptet.

Mit Dank an Claudius R., Dominik M., Maro, David A., Andreas H., Hagen M., Michael D., Inga J., Arne K., Christian K., Holger K., Michael S., Frauke M., Nils-Christian C., Dirk B. Florian S., Silvio G., Thomas L., Moritz E., W.S., Kim D. S., Fabian, Timo G., Marc D., Murat B., Philip H., Nicolas G., Nils F., Florian S., kr51-2, Björn M., Simon S., Janis S., Veit, Alexander Z., Marcel B., Lukas R., Marco P., Kerstin, Helge J. G., Norbert, Matthias S., F.W.H., Michael P., Martin G., Stefan H., Ina L., Holger, Michael M., Michael B., Jens G., Henning S., Roland R., Michael K., Martin G., Björn L., Nico van G., Hanno L., Martin B., Lennart S., Niklas P., Thomas B. und Tom vom Bestatterweblog.

6 vor 9

1. “Lesergenerierte Literatur”
(perlentaucher.de, Rüdiger Wischenbart)
“Während man in Deutschland langsam Kindle und Co. zur Kenntnis nimmt, sind die Chinesen schon viel weiter: Literatur auf Papier gilt als uncool, und chinesische Nasdaq-Konzerne investieren in Online-Bücher.”

2. “Der freie Fall der Seh-Linie”
(sueddeutsche.de, Bernd Graff)
In Deutschland ist man mit dem Online-Lesen noch nicht ganz so weit. Bernd Graff glaubt stattdessen, ein Mann, der seine Sekretärin anwies, “ihm jedes Dokument und jede E-Mail auszudrucken”, “hatte vielleicht recht”. Grundlage: Eine nicht repräsentative Studie, für die gerade einmal 232 Personen untersucht wurden. Herausgefunden hat die Studie nicht mehr, als dass Leser online anders lesen als auf Papier.

3. “Da, wo es wehtut”
(tagesspiegel.de, Deike Diening und Philipp Lichterbeck)
“Der Fotograf Sebastião Salgado, 64, lebt für seine Sozial-Reportagen monatelang unter Armen, in der Wüste oder im Dschungel. Doch wie entstehen seine Bilder?”

4. “Warum Serienzuschauer immer schlauer werden”
(welt.de, Ulf Poschardt)
“Einst waren schräge Produktion wie ‘Dr. House’ etwas für kleine und eher elitäre Zirkel. Doch inzwischen sind solche US-Serien zum kulturellen Leitmedium avanciert. Die Folge: Auch deutsche Sender führen in diesem Herbst Serien ein, die bisher als zu speziell für ein größeres Publikum galten.”

5. “State of the Blogosphere / 2008”
(technorati.com)
Teil eins der jährlichen Blogstudie von Technorati. Über die Blogger heisst es: “Blogging is having an incredibly positive impact on their lives, with bloggers receiving speaking or publishing opportunities, career advancement, and personal satisfaction.”

6. Interview mit Jack Dorsey, CEO von Twitter
(iwantmedia.com, Patrick Phillips)
Der CEO von Twitter glaubt nicht, dass twittern die Zeitungen oder die Blogs ablöst: “We will always need a medium that carries more words and explores a topic in a greater detail. We will always need more journalistic research. We will always need video and images. Twitter doesn’t replace any of those things. But it complements them quite well.”

Steinmeiers Feigenblattkritik

Heute sind sie bei “Bild” früher aufgestanden. Frank-Walter Steinmeier, Außenminister und SPD-Kanzlerkandidat, kam schon um acht Uhr früh in die “Bild”-Redaktion, um Blattkritik zu machen — die erste, die am Mittag auch bei Bild.de gezeigt wurde, wie es in Zukunft Brauch sein soll bei “Bild”.

Das war nett von dem prominenten Politiker, sich als Premierengast zur Verfügung zu stellen, ungefähr so nett wie die Worte, die er über die “Bild”-Zeitung fand, bei ein bisschen milder Kritik.

Aber vielleicht war es für ihn auch einfach mal Zeit, Danke zu sagen.

Nicht nur für das niedliche Foto von ihm heute in Berlin-Teil der “Bild”-Zeitung, das ihn mit Kindern und 99 Luftballons zeigte:

Nicht nur dafür, dass (und wie!) “Bild” ihn schon vor zwei Jahren zum “Gewinner des Tages” gekürt hat:

Und nicht nur dafür, wie “Bild” ihn damals, gegen alle Wahrheit, in der Affäre Kurnaz verteidigt hat.

Sondern für… alles.

16-mal durfte sich Frank-Walter Steinmeier seit 2006 von der “Bild”-Zeitung interviewen lassen (vermutlich häufiger als jeder andere Politiker). Und immer wieder hat ihn “Bild” dabei ins rechte Licht gerückt — natürlich ohne je jene journalistische Distanz zu ihm aufzugeben, die sie schon am 17. August 2006 eingenommen hatte:

Andere Medien über die erste öffentliche “Bild”-Blattkritik:

“Unfassbar”: Anwalt verteidigt Angeklagten

Die Bundesrepublik Deutschland ist ein so genannter Rechtsstaat. Das bedeutet unter anderem, dass nicht Polizei oder Staatsanwaltschaft über Schuld und Unschuld eines Verdächtigen entscheiden (und schon gar nicht eine Boulevardzeitung), sondern ein Gericht. Und es bedeutet, dass jemand, der einer Straftat angeklagt ist, sich verteidigen darf. Kurzum: Egal, was jemand getan haben mag, er genießt so genannte Rechte.

“Bild”, die meistgelesene Zeitung in der Bundesrepublik Deutschland, nennt solche Rechte gerne “Tricks”. Das war vor kurzem so, als bekannt wurde, dass ein “U-Bahn-Schläger” seine langjährige Freundin und Mutter seines Kindes heiraten wollte – “um die drohende Abschiebung zu verhindern?”, wie “Bild” suggestiv fragte (BILDblog berichtete).

"Anwalt fordert Freispruch für den Brücken-Teufel!"Und auch im Falle des Mannes, der nachts einen Holzklotz von einer Brücke auf die A 29 geworfen und dabei eine Frau getötet haben soll (“Bild” nennt ihn schlicht den “Brücken-Teufel”), kann sich “Bild” so gar nicht mit der Rechtsordnung anfreunden:

Am 4. November beginnt der Prozess gegen Brücken-Teufel Nikolai H. (30). Unfassbar: Sein Anwalt will Freispruch fordern!

Und so “unfassbar” das auch für die Angehörigen der Getöteten, den juristischen Laien und die “Bild”-Autoren Maike Klebl und Sebastian Rösener sein mag: Es ist sein gutes Recht.

Zwar hatte Nikolai H. die Tat “zunächst” gestanden, wie “Bild” schreibt. Aber – und das schreibt “Bild” nicht – er hat sein Geständnis inzwischen widerrufen. Sein Anwalt Matthias B. Koch sagt, Nikolai H. sei unschuldig und erklärte der “Nordwest-Zeitung” (“NWZ”) gegenüber, seine Verteidigungsstrategie: Das Geständnis sei mit “Foltermethoden” erlangt worden, weil man dem drogenabhängigen Nikolai H. bei der Vernehmung gesagt habe, er bekomme erst die Droge, wenn er gestehe. Zudem stamme die Tatwaffe, also der Holzklotz, nicht aus dem Garten des Angeklagten und jeder habe ihn sich nehmen können. Und außerdem könne man ohnehin keinen Tötungsvorsatz annehmen, weil man “bei Dunkelheit, der Höhe der Brücke und der Geschwindigkeit der Fahrzeuge gar kein Auto bewusst treffen könne”, wie die “NWZ” den Anwalt wiedergibt.

Für “Bild” ist die juristische Argumentation des Anwalts indes schlicht:

"Der Folter-Trick", "Der Holzklotz-Trick", "Der Paragrafen-Trick"

Und ein weiteres Detail des Artikels in der “NWZ” unterschlägt “Bild”:

Der Anwalt hat das Leben seines Mandanten recherchiert und will fündig geworden sein. 1998 habe [Nikolai H.] gestanden, den Verkehrstod von zwei Landsleuten verursacht zu haben. Später habe sich herausgestellt, dass [H.] nichts damit zu tun gehabt habe. Auch vor diesem Hintergrund müsse das “Holzklotz-Geständnis” anders bewertet werden.

Und mit all diesen “Tricks” und “Winkelzügen” wird sich das Gericht, wenn es ab November den Fall verhandelt, sicher auseinandersetzen. Das ist nun mal eines der wesentlichen Prinzipien in unserem Rechtsstaat: Die Staatsanwaltschaft klagt an, der Angeklagte verteidigt sich, und das Gericht fällt darauf basierend ein Urteil.

Wie “unfassbar” es wäre, wenn man sich das alles sparen würde, wird deutlich, wenn man sieht, dass RTL.de offenbar (auf Grundlage der “Bild”-Meldung) das Urteil über den dringend Tatverdächtigen schon gefällt hat:

"Es wäre ein Schlag ins Gesicht der Hinterbliebenen. Der Anwalt des dringend tatverdächtigen

Mit Dank an Marcel G. für den sachdienlichen Hinweis.

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