Der Grill-Mob von Athen

Aus unserer Serie “Die etwas unglücklich platzierte Werbeanzeige”:

Athen brennt - 3 Tote. jetzt mitbrutzeln und heiße Preise gewinnen!

Mit EDEKA in die Grillsaison starten.

Inzwischen wurde das großflächige Werbebanner von der Bild.de-Startseite entfernt.

Mit Dank an Markus, Birger L., Sebastian K. und Matthias.

Heiko Herrlich und “die Journalisten”

Ein Stürmer, der mit einer Wasserflasche nach einem Fan wirft; ein früherer Nationaltorwart, der einem Zuschauer die Brille wegnimmt; ein Trainer, der bei einem Liveinterview grußlos das Fernsehstudio verlässt — es war eine Bundesligasaison voller “Aufreger”, voller “Skandale, Zoff und Kuriositäten!” und Bild.de war so freundlich, sie für die Leser schon einmal zusammenzufassen. (Offenbar ging man davon aus, dass am letzten Spieltag schon nichts aufregendes mehr passieren wird.)

Zu den “größten Aufregern und Skandalen” gehörte für Bild.de auch:

Eine Gaga-Pressekonferenz von Heiko Herrlich. Der Ex-Bochum-Trainer ging auf die Journalisten los, fügte anschließend an: "Drücken Sie auf Aufnahme, dass ich es meinen Kindern irgendwann zeigen kann." Kurz danach flog der Trainer

Nur noch mal zur Erinnerung: Herrlich hatte seine Worte nicht an “die Journalisten” im Allgemeinen gerichtet, sondern explizit an die von “Bild”.

In einem anderen Fall weiß Bild.de dagegen überraschend genau, wer gemeint war:

Stinkefinger-Skandal um Kölns Maniche: Der Portugiese steigt am Morgen aus seinem 620-PS-Lamborghini und begrüßt den BILD-Fotografen mit Mittelfinger und portugiesischen Flüchen

Mit Dank an Andreas K.

Böses Street-View-Bild ist kein Street-View-Bild

Vor einer Woche machte Bild.de einen “kurzen Test” des Straßenfotodienstes “Google Street View” und fand heraus: “Die Aufregung über mangelnden Datenschutz ist berechtigt”!

Zwar löscht Google angeblich Autokennzeichen und Gesichter automatisch, Häuser auf Wunsch. Doch die Datenschutz-Software hat sichtbare Schwächen!

Auf vielen Bildern, die Street View online zeigt, tauchen erkennbare Gesichter, sogar von Kindern auf. (…) Von Datenschutz kann da nicht die Rede sein.

Beispiel Paris: Google zeigt Bilder vom Kindern beim Eislaufen vor dem Pariser Rathaus. Das Gesicht eines Mädchens ist gut erkennbar.

Über die doppelte Ironie, dass ausgerechnet Bild.de sich um den Schutz der Privatsphäre der Menschen sorgt und andererseits selbst die gefundenen Fotos unverpixelt zeigt, hatten wir schon berichtet.

Aber es gibt ein größeres Problem mit der Geschichte: Das Foto ist gar nicht aus Street View.

Google hat uns auf Anfrage bestätigt, was angesichts der Perspektive des Fotos (die Google-Kamera fotografiert von einer deutlich höheren Position) nahe lag: Es handelt sich bei dem Bild nicht um eine Street-View-Aufnahme.

Das Foto stammt anscheinend von jemandem namens Niklas Jakobsen, der es offenbar vor zwei Jahren aufgenommen und bei Flickr hochgeladen hat.

Warum Bild.de mit einem Foto, das gar nicht von Google Street View stammt, den angeblich fehlenden Datenschutz bei Google Street View anprangert, wissen wir nicht.

Mit großem Dank an Alexander H.!

Nachtrag, 11.15 Uhr. Das ist originell: Bild.de hat das falsche Foto entfernt, aber den Text, der sich darauf bezieht, unverändert gelassen.

Meyer-Landrut, Tunnelbau, Lotterie

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Der schönste Mix”
(berlinonline.de, Daniel Bouhs)
Das ZDF sucht derzeit per Ausschreibung einen Dienstleister für die “Produktion von Audio-PR und Auswertung aktueller ZDF-Sendungen”. Daniel Bouhs fragt: “Steht solch eine Praxis einer Programmanstalt gut zu Gesicht, die im Wesentlichen von der Allgemeinheit finanziert wird und deshalb mehr als andere einen sauberen Journalismus fördern sollte?”

2. “Alter Hut statt ‘Enthüllung'”
(fastvoice.net, Wolfgang Messer)
Eine Nacktszene von Lena Meyer-Landrut wird als Neuigkeit präsentiert, ist aber schon länger bekannt. Die FAZ dazu: “Es muss ein Skandal her, es braucht Sex and Crime, es muss auch die letzte jugendliche Lichtgestalt in den Dreck gezogen und mit bigotten Kommentaren überzogen werden.”

3. “Abschied vom Besten”
(online-merkur.de, Kathrin Passig)
Kathrin Passig zum Ausspruch von Christoph Keese, es sei die Leistung seines Arbeitgebers Axel Springer, die Rangreihenfolge der Informationen im Netz zu organieren. “Es gibt diese allgemeingültige Rangreihenfolge nicht, und dass Redaktionen eine Weile so tun durften, als gebe es sie, beruhte auf einem Mangel an besseren Lösungen, der mittlerweile behoben ist.”

4. “10 wahnwitzige Dokus bei N-TV und N24”
(fernsehkritik.tv, Video, insgesamt 41:23 Minuten)
Fernsehkritik.tv kommentiert (ab 20:43 Minuten) zehn Dokus, die auf den TV-Sendern N24 und N-TV zu sehen waren. Es geht darin um Themen wie die Ufos der Nazis, den Klimawandel, das Leben von Jesus, Heuschreckenplagen oder den Luftkrieg. Zum Thema Tunnelbau fallen aus dem Off folgende, dramatische Sätze: “Die Grösse der Aufgabe überstieg beinahe jede Vorstellungskraft. Ein Projekt, das den Beteiligten Unmögliches abverlangte – bis sie schliesslich triumphierten. (…)”

5. “Layout Fail”
(failblog.org, englisch)
“Look closely…does that spell what I think it spells?”

6. “Sie haben gewonnen, Herr Hase!”
(20min.ch, Amir Mustedanagic)
Amir Mustedanagic versucht, an die 3 Millionen Euro zu kommen, die er angeblich in der spanischen Lotterie gewonnen hat.

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Fasersplitternackte Tatsachen

Man muss die Plastiken des Bildhauers Peter Lenk weder geschmackvoll, noch hübsch finden, das wäre auch nicht im Sinne des Erfinders. Lenks Arbeiten sind stets ironisch, respektlos und gerne anzüglich, zumindest wenn dies Lenk hilft, seine meist präzis treffenden Pointen unterzubringen. Dass sich Lenks Spott in der Regel gegen sogenannte Würdenträger und die Doppelmoral der Öffentlichkeit richtet und regionale und historische Bezüge zur Gegenwart herstellt, das macht den Reiz der Plastiken letztlich aus. Und erklärt eigentlich auch schon, warum die “Bild”-Zeitung nicht unbedingt zu der Förderern des Bildhauers zählt, um es vorsichtig auszudrücken.

Dass “Bild” und der am Bodensee wohnende Bildhauer keine Freunde werden würden, dass dürfte allerspätestens seit Lenks Friede Springer und Kai Diekmann auf den Arm nehmenden Plastik am Gebäude der Berliner “Tageszeitung” (taz) abgemachte Sache sein – immerhin zeigt diese Friede Springer als trötende Schlangenbeschwörerin, nach deren Pfeife der Penis von “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann zu tanzen hat. Es ist also wenig verwunderlich, dass “Bild” gegen Peter Lenk polemisiert, wo es nur möglich ist (BILDblog berichtete) — selbst dann, wenn “Bild” dazu die Wahrheit unterschlagen muss.

Vergangene Woche behaupteten gleich drei “Bild”-Redakteure in der Stuttgarter Ausgabe:

Nackter Papst schockt im Bahnhof

In dem mittlerweile nicht mehr abrufbaren Beitrag schrieben Bachner, Mühlebach und Strehlau, Lenks neueste Plastik, die bald im Konstanzer Bahnhof zu sehen sein soll, sei eine Darstellung von Papst Benedikt XVI. — und zwar “fasersplitternackt” [sic!].

Nun zeigt die Plastik tatsächlich ein nacktes Männlein mit den päpstlichen Insignien. Dass das Männlein Joseph Ratzinger jedoch in keiner Weise ähnlich sieht, nun ja, das hätte immerhin Zweifel bei den Journalisten von “Bild” wecken müssen. Hätte, müssen. Was man nämlich beim regionalen “Südkurier” sowie bei “See Online”, nicht aber bei “Bild” herausgefunden hat: In Lenks neuestem Werk geht es um das “Papsttum in der Zeit des Konstanzer Konzils und nicht um Ratzinger.”

Peter Lenks Plastik zeigt tatsächlich einen Gaukler, der bloß die Zeichen des Papstes trägt — die Frage, wer sich mit Recht Papst nennen darf und wer nicht, war nämlich bei eben jenem Konstanzer Konzil in den Jahren 1414 bis 1418 verhandelt worden. Die Physiognomie der Figur soll dabei Papst Martin V. nachempfunden sein, der zu Zeiten des Konstanzer Konzils in Amt und Würden war.

Und genau genommen, aber auch das verschweigt “Bild”, handelt es sich bei Lenks Plastik nicht wirklich um ein neues Werk: Der Gaukler mit den Zeichen des Papstes ist in Konstanz bereits seit 1993 zu sehen, als Teil der Statue “Imperia” im Hafen der Stadt. Den Vorwurf, die Figur, die nicht auf die Konstanzer Stadtgeschichte, sondern auch auf eine Erzählung von Honoré de Balzac referiert, sei blasphemisch und verstoße gegen die guten Sitten, hatte Lenk allerdings schon damals entkräftigen können.

Diesmal zog die Affäre weitere Kreise, wie Peter Lenk im Gespräch mit BILDblog erklärte: Auf die Veröffentlichung des Artikels bei Bild.de hin habe er nicht nur – wie in der Vergangenheit schon – Schmähungen von Kirchenoberen und regionalen CDU-Politikern wie dem baden-württembergischen Innenminister Heribert Rech ertragen müssen, sondern auch telefonische Gewaltandrohungen. Schließlich beauftragte Lenk den Rechtanwalt Johannes “Johnny” Eisenberg, juristisch gegen die Behauptungen der “Bild”-Zeitung vorzugehen, die daraufhin den Artikel aus dem Netz entfernte.

Bild.de hat inzwischen auch eine Gegendarstellung veröffentlicht, die morgen auch in der gedruckten Stuttgarter Ausgabe zu finden sein dürfte.

Wie es scheint, sind es einmal mehr nicht die Plastiken von Lenk, sondern die Beiträge von “Bild”, die geeignet scheinen, den öffentlichen Frieden zu stören. Während Peter Lenks Anzüglichkeiten nämlich in der Regel fundiert und umfassend recherchiert sind, steht “Bild” mit seinen wüsten Anschuldigungen gegen den Bildhauer nun mit leeren Händen da. Um nicht zu sagen: nackt.

Vielen Dank an Daniela W., Ulrich E., Florian Sch. und Peter Lenk!

Die Nachricht von heute: Ein Porno vom Vorjahr

Sicher, man kann praktisch überall auf eine heiße Story stoßen, aber bei der, die jetzt folgt, fragt man sich schon, ob der Redakteur privat darüber gestolpert ist, ob ihm ein Informant den entscheidenden Hinweis gab oder ob in der Redaktion von “Bild” deutlich laxere Regeln herrschen als in den meisten anderen Büros. Aber entscheiden Sie selbst:

“Dient die Dresdner Innenstadt neuerdings als Kulisse für Amateurpornos?”, fragt “Bild” Dresden unter der Überschrift “Porno-Skandal an der Elbe” gewohnt investigativ und berichtet ausführlich über ein Video, das ein junges Paar beim Sex zeigt und das, so “Bild”, “im Internet schockiert”. In einem Folgeartikel (der Erste scheint auf Bild.de gut geklickt worden zu sein…) heißt es sogar:

Völlig enthemmt hat das Paar Sex und filmte sich sogar dabei!
Doch das war den Frei-Sexlern noch nicht genug: Alle sollten von ihrem hemmungslosen Treiben erfahren, und so stellten sie das Video in (sic!) Internet und riefen die Zuschauer sogar noch zu Bewertungen auf.

Vom “hemmungslosen Treiben” der “Frei-Sexler” sollten, bevor “Bild” das Video aufstöberte, vor allem die Besucher der anmeldepflichtigen Amateurpornoseite mydirtyhobby.com erfahren — und die waren vermutlich nicht sonderlich “schockiert”. So aber durften wenigstens auch die Eltern der Hauptdarstellerin das dirty Hobby ihrer Tochter kennenlernen:

Sex-Dreh in Dresdens Innenstadt - Porno-Skandal an der Elbe ... Diese Zeilen & das ein oder andere

Wer es dann noch ganz genau nehmen will, der könnte einwenden, dass das Video gar nicht am “helllichten Tage” gedreht wurde, wie “Bild” behauptet, sondern, wenn man lieber der Beschreibung des Videos durch die Hauptdarstellerin selbst und dem Stand der Sonne Glauben schenken mag, frühmorgens. Deutlich schwerer wiegt da schon, dass laut Einstellungsdatum des Videos die ganze Geschichte schon über ein Jahr her ist und nicht, wie “Bild” es formuliert, “kürzlich” passierte.

hinzugefügt: 16.04.09

Aber hey, was soll man sich mit solchen Nebensächlichkeiten herumschlagen, wenn sich das Blut aus dem Kopf gerade in eine andere Körperregion verabschiedet hat?

Mit Dank an Ronny R. und Tobias.

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… braucht für den Spot nicht zu sorgen

Vor inzwischen fünf Jahren hat die “taz” diesen Kinospot produzieren lassen, in dem “Bild” eine “unlautere vergleichende Werbung” sah. Die Axel Springer AG ging gerichtlich dagegen vor und bekam vor dem Land- und dem Oberlandesgericht Hamburg Recht. Im vergangenen Herbst hob der Bundesgerichtshof die Hamburger Urteile auf und entschied, dass der Spot gezeigt werden darf (BILDblog berichtete).

Genau wegen dieses Spots trafen sich die Prozessbeteiligten kürzlich vor Gericht wieder: Die “taz” hatte einen Zivilprozess gegen Springer angestrengt, um Entschädigung zu bekommen. Entschädigung für den Ausfall, der dadurch entstanden war, dass der aufwendig produzierte Spot wegen des Vorgehens von “Bild” sehr viel kürzer in den Kinos zu sehen war, als ursprünglich geplant.

Das Landgericht Berlin entschied jetzt, dass Springer den anteiligen Ausfall ersetzen muss: Laut “taz” 21.414,90 Euro zzgl. Zinsen, insgesamt 28.149,40 Euro. Der Verlag kann noch in Revision gehen, wonach es nach Aussage der “taz” im Moment aber nicht aussieht.

[via taz-Hausblog]

Wilhelm, Polanski, Burka

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Klartext oder Ressentiment?”
(dradio.de, Joachim Scholl)
Nikolaus Blome (“Bild”) und Sven Scheffler (“Handelsblatt”) erklären, wie sie mit den Schulden von Griechenland umgehen und ob es sich dabei um eine Kampagne beziehungsweise eine Gegenkampagne handelt.

2. “Warum ein Regierungssprecher nicht Intendant werden sollte”
(epd.de)
Der Regierungssprecher Ulrich Wilhelm soll diese Tage zum Intendant des Bayrischen Rundfunks gewählt werden. Die Medien empören sich darüber nur verhalten. “Was würde die deutsche Presse ? zu Recht! – schäumen, wenn der französische Präsident Nicolas Sarkozy oder gar der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi es wagen würden, ihren Regierungssprecher zum Chef eines Staatssenders zu machen?!”

3. “Verlage vs. Journalismus”
(dondahlmann.de)
Don Dahlmann bemerkt, dass “Qualitätsjournalismus” in der westlichen Welt gerne mit den Verlagen gleichgesetzt wird, diese aber “die leere Hülle des Journalismus und der Pressefreiheit zunehmend instrumentalisieren, um die eigenen wirtschaftlichen Ziele durchsetzen zu können”. “Ich schreibe kaum noch für sie. Zum einen, weil es sich nicht lohnt. Würde ich nur Zeitungen nach Zeilenhonorar arbeiten, ich hätte Probleme meine Miete zu zahlen. Zum anderen sehe ich nicht ein, dass die Rechte an meinen Texten bis zum St. Nimmerleinstag bei irgendeinem Verlag liegen.”

4. “Ich kann nicht länger schweigen”
(nzz.ch, Roman Polanski)
Der im Herbst 2009 in Zürich verhaftete Filmregisseur Roman Polanski legt seine Sicht der Lage dar.

5. “Ja, Kruzifix: Die ZEIT hat einen an der Waffel”
(blog.dummy-magazin.de, Arne Semsrott)
Arne Semsrott empfiehlt dem “Zeit”-Feuilleton, das der niedersächsischen Ministerin Aygül Özkan mehr Demut gegenüber dem Kreuz empfiehlt, Zurückhaltung: “Denn Frau Özkan hat sich nicht gegen das christliche Symbol an sich, sondern lediglich gegen seine Verwendung in staatlichen Institutionen ausgesprochen.”

6. “Auf dem Weg in die Illegalität – mit der Burka durch Wien”
(profil.at, Robert Treichler)
Robert Treichler zieht sich eine Burka an und geht damit zum Blumensteckkurs und an eine FPÖ-Veranstaltung. Und ins Restaurant: “Ein Kellner kommt, obwohl er sieht, dass wir bereits bedient werden, und beginnt auf Arabisch mit uns zu sprechen. Wir erklären ihm, dass wir ihn nicht verstehen. Er zieht ein bisschen enttäuscht wieder ab.”

Luxushotels, Zeilenhonorare, Yasmin

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Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Interessiert eigentlich jemanden, was in Griechenland wirklich passiert?”
(print-wuergt.de, Michalis Pantelouris)
Michalis Pantelouris bemängelt die Vor-Ort-Recherche von “Spiegel Online” in Athen, die sich statt auf der Straße auf der Dachterrasse eines Luxushotels abspiele. In einem zweiten Beitrag wird geklärt, wann griechische Beamte in Rente gehen können.

2. “Journalisten nicht wie Bittsteller behandeln”
(kress.de, Matthias Spielkamp)
Kress.de dokumentiert eine Rede von Matthias Spielkamp, die unter anderem die manchmal nur aus wenigen Cents bestehenden Zeilenhonorare von freien Journalisten zum Thema hat. Nachtrag, 5. Juni: Inzwischen ist der Text nur noch hier kostenlos zu lesen.

3. “SF: 20 Unterschriften für eine Beschwerde gesucht”
(arlesheimreloaded.ch, Manfred Messmer)
Manfred Messmer dokumentiert eine Beschwerde von Journalist Markus Schär an die “Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen” UBI. Das Schweizer Fernsehen SF habe “keinen einzigen Beitrag zur Kritik an der Klimaforschung gebracht, auch nicht zur Debatte um den Weltklimarat IPCC und seinen Chef Rajendra Pachauri, die Anfang Jahr weltweit grosses Aufsehen erregte und über die jedes ernstzunehmende Medium berichtete”.

4. “An meine Kritiker”
(zeit.de, Helene Hegemann)
Romanautorin Helene Hegemann kritisiert angesichts der Plagiatsdebatte um ihr Buch “Axolotl Roadkill”, dass viele Journalisten sich weigerten, “die eigentlich wichtigste Tatsache” mit einzubeziehen: “nämlich dass es sich bei der als Plagiat bezeichneten Menge von (nicht abgeschriebenen, sondern modifiziert in einen komplett anderen Kontext gesetzten) Stellen um zusammen genommen circa eine einzige von 206 Buchseiten handelt. (…) Die genaue Zahl der Stellen wurde konsequent ausgespart, und zwar ausschließlich, weil sie die Luftblase des perfekten Skandals zum Platzen gebracht hätte.”

5. “Yasmin – zurück im Alltag”
(nzz.ch, Alan Niederer)
“Was von der medialen Kritik an der Antibabypille geblieben ist.”

6. “Die anonyme Welt der Geheimnisverräter”
(jungle-world.com, Elke Wittich)
Elke Wittich setzt sich kritisch mit Wikileaks auseinander. Julian Assange, einer der Sprecher der Whistleblower-Plattform, antwortet hier auf den im Text angesprochenen Artikel “Inside WikiLeaks’ Leak Factory”.

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Heiko Herrlich abgehakt

Vielleicht kam dieser dumpfe Knall, den man am Donnerstagmittag in Teilen des Ruhrgebiets hören konnte, von den Sektflaschen, die sie in der lokalen “Bild”-Sportredaktion entkorkt haben.

Denn der abstiegsbedrohte Fußballbundesligist VfL Bochum hatte sich von Trainer Heiko Herrlich getrennt (eine Nachricht, die Bild.de kurzzeitig und wohl eher versehentlich mit “Bochum feiert Heiko Herrlich” überschrieb) — “endlich”, wie man bei “Bild” gedacht haben wird, denn der Aufwand war hoch gewesen:

Über Wochen hatte sich “Bild” mit teils berechtigter Kritik, teils persönlichen Angriffen auf Heiko Herrlich eingeschossen. Und nachdem der sich dann letzte Woche auf einer Pressekonferenz gegen “Bild” gestellt hatte (BILDblog berichtete), waren bei der Zeitung alle Dämme gebrochen.

Michael Makus, NRW-Sportchef bei “Bild”, schrieb letzten Montag:

Die Frage nach der Bochumer Bundesliga-Tauglichkeit beantwortet Herrlich mit Schweigen. Seine eigene Erstligareife ist mehr als zweifelhaft.

Das ist nur teilrichtig, denn Herrlich hatte dem längeren Schweigen auf Makus’ Frage noch etwas hinzuzufügen, wie das Blog Fantastic Supporters dokumentiert:

Wissen Sie, bei Ihrer Zeitung wissen wir auch, dass Sie nicht unbedingt Interesse daran haben, den VfL Bochum in der Bundesliga zu haben. Es reicht, das wissen wir ja von Ihrem Chef, dass Schalke 04 und Borussia Dortmund für Auflagen sorgen. Und deswegen brauche ich Ihnen die Frage überhaupt nicht zu beantworten, weil ihr sowieso schreibt was ihr wollt.

Ebenfalls für die Montagsausgabe fand “Bild”-Mann Joachim Droll, der letzte Woche Herrlichs Zorn zu spüren bekommen hatte, ein paar Ex-Bochumer, die Herrlich explizit oder impliziert kritisierten und ihm so das gewünschte Fazit ermöglichten:

Bochums Legenden fassungslos. Und niemand zieht die Notbremse…

Am Dienstag präsentierte “Bild” dann die “10 größten Herrlich-Fehler” (von denen einzelne auch objektiv nachvollziehbar sind) und illustrierte den Artikel mit Plakaten enttäuschter Fans:

Enttäuschte Fans: Mit Plakaten am Trainingsplatz zeigen die VfL-Anhänger den Profis ihre Unzufriedenheit.

Außen vor blieb in “Bild” (natürlich) ein Plakat, das in der letzten Woche mindestens einmal beim Training zu sehen war. Darauf stand: “Die Bild-Zeitung lügt”.

Oder wie Heiko Herrlich es am Freitag zuvor formuliert hatte:

Das haben schon einige mehr jetzt festgestellt, auch die Fans und deshalb muss vielleicht auch ein Reporter von Ihnen mal schneller vom Trainingsgelände weg, weil die Fans schon gemerkt haben, wie der Hase hier läuft. Was in den letzten Wochen hier los war, was hier an Unwahrheiten passiert ist, das ist eine Frechheit.

Zu den “Unwahrheiten” zählen laut VfL-Pressestelle zahlreiche Informationen, die “Bild” in den vergangenen Wochen über das Innenleben der Mannschaft verbreitet habe. So seien die Berichte, nach denen Herrlich Stars systematisch “rasiert” und “demontiert” habe, schlicht falsch. Und tatsächlich hat Philipp Bönig, den “Bild” vor zwei Wochen “auf dem Absprung” sah, noch kurz vor Herrlichs Rauswurf einen Vertrag für weitere zwei Jahre unterschrieben.

Die Pressestelle des VfL Bochum hatte uns am Mittwoch auf Anfrage erklärt, man plane keinen “Bild”-Boykott, aber man werde die Arbeit der Zeitung durchaus kritisch beobachten und kooperativ sein, ohne sich zu verbiegen. Die Basis für eine konstruktive Zusammenarbeit sei aber kaum noch vorhanden.

Am Donnerstag, wenige Stunden vor Herrlichs Entlassung, wusste “Bild” dann mit zahlreichen angeblichen Interna aufzuwarten, die “mehrere Spieler und VfL-Insider unabhängig voneinander gegenüber BILD” bestätigt hätten. Bei seinem letzten “Gaga-Auftritt” vor der Mannschaft habe sich “Heiko Selbstherrlich” gar mit Louis van Gaal verglichen — weil er sich “genauso mutig mit den Medien” anlege wie der Bayern-Trainer.

Der Vortrags-Nutzen für die Mannschaft? Gleich NULL.

Kaum war Herrlich weg, der einen Grund der “Bild”-Angriffe gegen sich darin sah, dass er der Zeitung einmal kein Interview geben wollte, druckte “Bild” am Freitag etwas, was auf den ersten Blick wie ein Interview mit Interimstrainer Dariusz Wosz aussieht, in Wahrheit aber vielmehr ein Remix seiner Antworten bei der Pressekonferenz des Vortages ist:

Wosz: "Dürfen keinen Köttel in der Hose haben!"

Die Rolle von “Bild” beim Trainer-Rauswurf wurde diskutiert, zum Beispiel im Forum von transfermarkt.de — bis die Diskussion auf der mehrheitlich zur Axel Springer AG gehörenden Website erst geschlossen und dann ganz gelöscht wurde.

Herrlichs Haltung gegenüber “Bild” hat ihm nicht nur Sympathien und Respekt eingebracht. Michael Krumm offenbarte etwa ein irritierendes Verständnis von Demokratie und Presse, als er im VfL-Blog auf reviersport.de schrieb:

Jedem Kind dürfte es bekannt sein, dass man sich in Deutschland nicht mit der Zeitung mit den vier großen Buchstaben anlegt, erst Recht nicht dann, wenn sich Erfolglosigkeit eingestellt hat.

Wenn sich diese Einstellung und der Glaube, Herrlich sei tatsächlich nur auf Druck von “Bild” entlassen worden, durchsetzen sollten, war der Donnerstag tatsächlich ein großer Tag für die “Zeitung mit den vier Buchstaben”.

Mit Dank auch an Jens L., Stephan U., Daniel H., Stefan B., Basti, Christian M., Annika Sch., Martin Sch. und Fabian.

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