Am vergangenen Freitag konnte “Bild” mit einem namhaften Gastautoren aufwarten:
Jeff Jarvis ist New Yorker Professor, “Kult-Blogger” und “Google-Experte”. Klar, dass dessen neue Aufgabe als “Bild”-Autor in der Szene für Aufsehen sorgt.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Sündenfall Winnenden: Die Ethik und der Journalismus” (evangelisch.de, Henrik Schmitz)
“Wir haben keine Angehörigen angesprochen, wir haben keine Minderjährigen angesprochen und wir haben nicht von Trauerfeiern berichtet”, sagt Frank Nipkau von der “Waiblinger Kreiszeitung” am Lokaljournalistenforum 2011 zum Amoklauf von Winnenden. “Unsere Leser haben diese Berichterstattung begrüßt. Es hat niemanden gegeben, der angerufen und sich beschwert hat, dass bei uns etwas nicht stand, was er in der Bild-Zeitung gelesen hat.”
2. “Das klägliche Versagen von ARD & ZDF im Fall Ägypten” (dwdl.de, Thomas Lückerath)
Thomas Lückerath erinnert angesichts der zehnminütigen ARD-Sondersendung zur Situation in Ägypten am Freitag an die Sondersendung zur Knöchelverletzung von Michael Ballack. Jens Grotchtdreis erinnert an die “Sondersendungen im deutschen TV wegen des Winterwetters. Man faßte nicht, daß es mal schneien konnte.”
3. “Mit Al Dschasira begann der Wandel” (tagesschau.de, Carsten Kühntopp)
Carsten Kühntopp aus dem ARD-Korrespondentenbüro Dubai lobt derweil den derzeit in Ägypten verbotenen TV-Sender Al Jazeera: “Unerschrockenen Journalismus – bis zur Gründung von Al Dschasira vor 14 Jahren gab es den nicht in Arabien.”
4. “Was interessiert, ist relevant” (medien-monitor.com, Daniela Moschberger) Henning Sußebach gibt handwerkliche Tipps für Reporter und erklärt, was das für Typen sind: “Reporter, das sind diejenigen, die früher auf Klassenfahrt immer ein bisschen abseits standen. Die beobachtet haben, statt sich in Szene zu setzen. Die zugehört haben, während andere das Wort führten.”
5. “Guardian Davos journalist’s sinister encounter with the Swiss riot police” (guardian.co.uk, Andrew Clark, englisch)
“Guardian”-Journalist Andrew Clark wird am Rande des WEF verhaftet: “When I explained that I was a journalist, I was unconvincingly told in broken English that I looked like a ‘picture on a wall’ of a rioter in Davos, which I took to mean I looked like some sort of photofit picture. I asked my arresting officer if he really believed I’d been rioting in a Banana Republic overcoat, dragging a wheely bag and a laptop. ”
6. “Offener Brief der Stammbesatzung der Gorch Fock” (spiegelfechter.com, Jens Berger)
Jens Berger veröffentlicht einen “auf einem vertrauenswürdigen Weg” zugespielten Brief der Besatzung des Segelschulschiffs Gorch Fock: “Sehr geehrter Herr Minister, mit diesem Brief möchten wir uns als Stammbesatzung zu den Behauptungen, die in der Presse kursieren, äußern.”
Immer wenn man denkt, dass bei “Bild” nur gewissenlose Söldner arbeiten, dann kommt so ein Ding und man merkt, dass alles noch viel schlimmer ist:
Sie ist noch nicht einmal beigesetzt, und schon fallen die Geier über ihr Vermächtnis her: Das miese Geschäft mit den Filmen des toten Busenstars Carolin Wosnitza (23) alias “Sexy Cora” brummt wie nie. Was für eine geschmacklose Geschäftemacherei! Neun Tage nach dem Tod der Ex-Bewohnerin des TV-Containers “Big Brother”!
Die Autoren Mark Bittner, John Puthenpurackal und Ingo Wohlfeil kritisieren die Tatsache, dass sich DVDs mit “Sexy Cora”-Pornofilmen zur Zeit so gut verkaufen wie noch nie. Auch der Witwer und frühere Manager der Verstorbenen bekommt sein Fett dafür weg, dass er nach dem Tod seiner Frau noch einen weiteren “Sexy Cora”-Film auf den Markt bringt.
Die Empörung wäre vielleicht etwas glaubwürdiger, wenn nicht “Bild” selbst durch reißerische Artikel in hoher Schlagzahl von Coras Tod profitieren würde — und zwar mit einer täglichen Serie, über der auch die Namen Bittner und Puthenpurackal stehen.
So sah die Titelseite von “Bild” am Montag aus:
Am Dienstag beschrieb “Bild” Coras Weg ins Rotlicht-Milieu, am Mittwoch ging es um ihren “tödlichen Busen-Wahn” und am Donnerstag standen “Die letzten Stunden im Leben von Cora (†23)” auf dem Programm. Auf Bild.de sind diese Artikel wie gewohnt mit wechselnden Titten-Klickstrecken und Videos garniert und rangieren in der Regel in den Top 5 der meistgelesenen Artikel.
Bei all der medialen Aufmerksamkeit für “Sexy Cora” ist es dann auch kein Wunder, dass die DVD-Verkäufe anziehen.
Übrigens, raten Sie mal, mit was für einer Anzeige Bild.de in den Klickstrecken des Erotik-Ressorts ein “mieses Geschäft” macht:
Mit Dank an die vielen, vielen, vielen Hinweisgeber!
Die “Bild”-Gerichtsreport-Praktikantin Alice Schwarzer hat Jörg Kachelmann Unrecht getan. Oder wie sie es selbst ausdrückt:
Ich habe Jörg Kachelmann unrecht getan. Und das gilt es nun wiedergutzumachen. Am 22. Dezember hatte ich geschrieben: “Der Mann ist wirklich nicht zu beneiden um sein absurd rastloses, verlogenes Leben. Dieses Leben mit mindestens sechs Frauen gleichzeitig, denen er allen die Ehe versprochen hatte.”
Das wollte der Vielbeschäftigte so nicht stehen lassen.
Mit meiner Behauptung würde ich ihn “in der Öffentlichkeit in ein schlechtes Bild rücken”; schlimmer noch, ihm unterstellen, “er sei ein Heiratsschwindler”.
Das ließ er seine Anwälte vortragen.
“Vortragen” durften die Anwälte dies vor der Pressekammer des Kölner Landgerichts, das auch prompt einstweilige Verfügungen gegen Schwarzer, die Axel Springer AG als Verlag der gedruckten “Bild” und die Bild digital GmbH & Co. KG als Betreiber von Bild.de erließ, wo Schwarzers Text ebenfalls veröffentlicht worden war.
Es ist nicht die erste juristische Niederlage, die Kachelmanns Anwälte der “Emma”-Herausgeberin persönlich beigebracht haben (BILDblog berichtete), aber das erste Mal, dass Schwarzer im Zuge ihrer Kachelmann-Berichterstattung eigene Fehler einräumt.
Der Originalartikel auf Bild.de wurde inzwischen – bis auf ein Textfragment – entfernt, aber in einem Interview bei “Focus Online” findet sich noch folgende Passage:
Immerhin hatte das mutmaßliche Opfer gelogen. Die Frau ahnte schon länger, dass Kachelmann ihr nicht treu ist.
Die kleine Lüge hatte nichts mit der Tatnacht zu tun. Von Kachelmann aber war inzwischen öffentlich geworden, dass er sich mindestens sechs Frauen gleichzeitig hielt, denen er allen die Ehe und Kinder versprochen hatte. Das deutet natürlich auf pathologische Züge der Persönlichkeit hin. Und darum ist es auch richtig, dass das Gericht mehrere seiner Ex-Freundinnen vernimmt. Die fragliche Tat muss ja im Kontext der Persönlichkeit des Angeklagten gesehen werden.
So ganz geschlagen geben will sich die Frauenrechtlerin dann auch nicht und zählt heute in “Bild” flugs sechs Frauen auf, mit denen Kachelmann angeblich ein gemeinsames Leben geplant haben soll.
Sie schließt mit den Worten:
Zusammenleben, Kinder bekommen, eine glückliche Beziehung für das ganze Leben führen … Ein Eheversprechen ist das alles nicht. Nur der Glaube an eine gemeinsame Zukunft. Und das ist schließlich etwas anderes. Für Juristen zumindest.
Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].
1. “Abo-Kündigungen wegen Dschungelcamp-Titelseite” (blogs.taz.de/hausblog, Sebastian Heiser)
Die “taz” setzt einen Schwerpunkt auf das RTL-Dschungelcamp und verägert so erneut Leser: “Welcher TAZ-Leser interessiert sich für Rainer Langhans oder das blöde Dschungelcamp? Da kann ich mir gleich die BILD-Zeitung kaufen, die können Boulevard besser. Schade um den kostbaren, teuren (und sonst oft hervorragend genutzen) Platz auf der ersten Seite!”
4. “Lustig: Die Polizei klaut meine Texte!” (ende-der-maerchenstunde.de)
Eine Rezension von Kathrin Hartmann wird “geklaut, gekürzt” und mit einem anderen Namen versehen in einem Kurzbericht (PDF-Datei) der Polizeigewerkschaft GDP Rheinland-Pfalz veröffentlicht.
6. “Prank on a Belgian call center” (youtube.com, Video, 10 Minuten, mit englischen Untertiteln)
Die belgische Satiresendung “Basta” stellt frühmorgens einen mit einer Telefonnummer beschrifteten Container vor den Eingang eines Mobilfunkunternehmens.
Die Opposition – SPD, Grüne und Linke – wollte am Mittwoch in der Bundeswehr-Affäre endlich mal eine erfolgreiche Attacke gegen Bundesverteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg (39, CSU) reiten. (…)
Der Angriff auf Guttenberg ging ins Leere.
Der Artikel über die gestrige Sitzung des Verteidigungsausschusses hätte kaum grotesker und schwärmerischer ausfallen können, wenn er unter der Überschrift “Was für ein Teufelskerl!” im Monatsheft des Karl-Theodor-zu-Guttenberg-Fanclubs veröffentlicht worden wäre. Jetzt erschien er unter der Überschrift “Guttenbergs härteste Bewährungsprobe” bei Bild.de, was immerhin verdammt nah dran ist.
Autor Andreas Thewalt lässt keinen Zweifel an der Unantastbarkeit der Lichtgestalt der deutschen Politik: Die Opposition habe Guttenberg “kein einziges auch nur halbwegs stichhaltiges Versäumnis oder gar Fehlverhalten nachweisen” können. Der Minister habe keinen echten Fehler begangen, der ihm politisch gefährlich werden könnte. Es gebe “keine Hinweise” darauf, dass ihm selbst etwas anzulasten wäre. Guttenberg tue genau das, was die Opposition fordere. Es sei also schlicht “unwahrscheinlich”, dass der populäre Minister noch “in echte Bedrängnis” komme.
Mehr noch:
Sogar SPD-Verteidigungspolitiker Rainer Arnold, einer der schärfsten Guttenberg-Kritiker, gab hinterher zu: Auch er hätte den Gorch-Fock-Kommandanten nicht im Amt gelassen sondern nach Deutschland beordert.
Auch die gedruckte “Bild” zitiert den SPD-Politiker Rainer Arnold:
Am Rande der turbulenten Sitzung räumte SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold allerdings ein: “Ich hätte den ‘Gorch Fock’-Kapitän auch nicht im Amt gelassen.”
Rainer Arnold fühlt sich falsch zitiert. Genauer: Er habe das Gegenteil dessen gesagt, was “Bild” und Bild.de ihm jetzt zuschreiben, wie uns sein Büro auf Anfrage erklärte.
Vielmehr habe Arnold im Verteidigungsausschuss gesagt, dass es gereicht hätte, den Kommandanten der “Gorch Fock” zu beurlauben. An die Adresse von Verteidigungsminister zu Guttenberg habe er gesagt, dass es dessen Aufgabe gewesen wäre, erst alle Vorwürfe sorgsam prüfen zu lassen (etwa durch die Staatsanwaltschaft), bevor er den Kommandanten seines Amtes enthoben habe.
“Bild” gibt sich mal wieder verbraucherfreundlich:
Sechs Sparten von “Foto & Film” bis “Kommunikation” stellt “Bild” vor, wobei besonders die vier “besten Bezahl-Apps” in der Rubrik “Nachrichten” ein besonderes Augenmerk verdienen: Die stammen nämlich – sicherlich nur rein zufällig – von Springer (Die Welt HD), Springer (Mein Klub Premium), Springer (Bild HD) und *Trommelwirbel* Springer (Bild).
Immerhin war Bild.de so konsequent, die Nachricht gleich richtig einzuordnen:
In ihrer gestrigen Hamburger Lokalausgabe berichtete “Bild” über eine Moschee in Hamburg-Harburg, die sich “nach BILD-Informationen zu einem neuen Treffpunkt von radikalen Islamisten entwickelt” haben soll.
In der Eyüp Sultan Moschee beten laut “Bild” “offenbar neuerdings regelmäßig” einzelne Gemeindeglieder einer Moschee, die im vergangenen Sommer von den Sicherheitsbehörden geschlossen wurde, weil sie einen “Hauptanziehungspunkt für die dschihadistische Szene” darstellte. Grund genug für die Zeitung, in den darauf folgenden Absätzen zu pakistanischen Terror-Camps und den Anschlägen vom 11. September 2001 zu springen.
Dabei bleiben zwar einige Fakten auf der Strecke, wie andereMedien dokumentieren, aber auf eine geographische Einordnung wollte “Bild” offenbar nicht verzichten:
Fatal: Nur zwei Straßen von der “Eyüp Sultan Moschee” entfernt ist die Marienstraße, die weltweit traurige Berühmtheit erlangte, weil hier in einer Wohnung Mohammed Atta und die anderen Terror-Piloten die Anschläge aufs World Trade Center und das Pentagon planten.
Dramatisch wird markiert, wie die Eyüp Sultan Moschee aussieht:
Na, da können sich die Kommentatoren von Bild.de ja direkt auf den Weg machen:
Nachtrag, 16.40 Uhr: Bild.de hat die Leserkommentare gelöscht und die Kommentarfunktion unter dem Artikel abgeschaltet.
Meedia: Kritiker wenden ein, dass Ruby beweist, dass ein Hund in der Bild würdiger sterben darf, als so manch ein menschlicher Zeitgenosse.
Körzdörfer: Professor Hellmuth Karasek rief an und sagte: “Ich würde gerne Ihr Hund sein, um so einen schönen Nachruf auf Seite 1 zu bekommen!” Ich schreibe ja viele Nachrufe und muss sagen, dass wir mit jedem Todesfall würdig umgehen.
Dies war die “Bild”-Schlagzeile am vergangenen Montag: