Kairo, Stern TV, Hans Ulrich Gumbrecht

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Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “5 Thesen zur Zukunft des Fernsehens”
(gutjahr.biz, Richard Gutjahr)
Brandete nach einer Mubarak-Rede auf dem Tahrir-Platz in Kairo tatsächlich “Jubel” auf, wie der drei Kilometer entfernte Korrespondent des ZDF berichtete? Richard Gutjahr macht sich Gedanken zur Zukunft des Fernsehens.

2. Interview mit Jörg Armbruster
(swr.de, Wolfgang Heim, Audio, 30 Minuten)
Wie hat Jörg Armbruster die Ereignisse der letzten Wochen erlebt? Wolfgang Heim befragt den aus Kairo zurückgekehrten ARD-Korrespondenten.

3. “Integration und Manipulation”
(fernsehkritik.tv, Video, insgesamt 47 Minuten)
Der Fernsehkritiker besucht Reyhan Savran, Schuldnerberater aus Bremen, der sich von der Stern-TV-Ausgabe vom 27. Oktober 2010 falsch dargestellt fühlt.

4. “Lieber Ayatollah Laridschani”
(evangelisch.de, Matthias Dell)
Das “Altpapier” fasst Berichte rund um die Freilassung der zwei während Monaten im Iran festgehaltenen Journalisten von “Bild am Sonntag” zusammen.

5. “Ein goldener Moment in der Geschichte
des deutschen Feuilletons”

(umblaetterer.de, Srifo)
Ein langes, nicht redigiertes Gespräch mit Hans Ulrich Gumbrecht an der kalifornischen Stanford University. “Das finde ich bemerkenswert hier: Du kannst verschiedene Meinungen haben, du kannst beständig drüber streiten, produktiv streiten, but that’s normal. Das ist in Deutschland, finde ich, undenkbar. Und ich überlege immer, warum mir Deutschland oft auf die Nerven geht, und es ist letztlich das, dass in dem Moment, wo man in Deutschland merkt, dass es einen Dissenz gibt, ziehen alle den Schwanz ein oder du kriegst einen Streit.”

6. “Karl Guttenberg gibt Vornamen zurück”
(dieganzewahrheit.org, Satire)

Deutschlands flexibelste Meinung

“Deutschlands schnellste Meinung” — steht über den Umfragen auf Bild.de. Ernsthaften Kriterien der Meinungsforschung halten sie nicht stand: Erstens erscheinen diese Umfragen häufig unter Artikeln, in denen bereits eine klare Meinung vorformuliert ist, zweitens besteht die Möglichkeit, ohne Weiteres auch mehrmals abzustimmen, wenn man die Seite mehrmals lädt, und drittens formuliert Bild.de bisweilen die Fragen bzw. Antwortmöglichkeiten so, dass das Ergebnis wie gewünscht ausfällt.

Dennoch nutzt Bild.de diese Umfragen regelmäßig, um eigene Behauptungen zu bestätigen. Erst gestern etwa stand in einem Artikel mit der Überschrift “Sympathie-Welle für Guttenberg im Netz” folgendes:

Auf einer Pro-Guttenberg-Seite im sozialen Netzwerk Facebook haben inzwischen mehr als 120 000 Internetnutzer den “Gefällt mir”-Button gedrückt. (…)

Und was denken die BILD.de-Leser?

An einer entsprechenden Umfrage haben sich inzwischen mit als 200 000 User beteiligt: Die Mehrheit will, dass Guttenberg bleibt!

Mehr als 50 Prozent sind der Meinung, dass der Minister einen guten Job macht. Rund 30 Prozent wollen, dass er zurücktritt.

Nachdem nun “Bild”-Schützling Karl Theodor zu Guttenberg gestern Abend ankündigte, seinen Doktortitel nicht mehr führen zu wollen, fragt Bild.de:

Guttenbergs Plagiats-Beichte in Kelkheim War das der große Befreiungsschlag? So reagieren Bürger und Parteifreunde auf seine Plagiats-Beichte

Neben aktuellen Umfragen nennt Bild.de unter der Zwischenüberschrift “Pro-Guttenberg-Stimmung auch im Internet” zwar dieselbe Pro-Guttenberg-Facebook-Gruppe, die inzwischen auf über 200.000 Mitglieder angewachsen ist, nicht jedoch den neuen Zwischenstand der Umfrage auf Bild.de.

Denn dort ist im Laufe des heutigen Tages die Stimmung gekippt — mittlerweile (Stand 16.08 Uhr) sieht das Ergebnis bei über 520.000 Stimmen so aus:

Abschaffung der Wehrpflicht, Gorch Fock-Affäre, Wirbel um die Doktorarbeit. Wie zufrieden sind Sie mit der Arbeit von Verteidigungsminister zu Guttenberg?

Mit Dank an die vielen, vielen Hinweisgeber!

Iran, 300, Geplante Obsoleszenz

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1. “Alles andere als Helden”
(fr-online.de, Willi Germund)
Willi Germund über die Freilassung der im Iran festgehaltenen “Bild-am-Sonntag”-Journalisten Jens Koch und Marcus Hellwig: “In Ländern wie Birma oder Iran ist es oft nahezu unmöglich, ein Journalistenvisum zu erhalten. Aber alle Journalisten wissen – oder sollten sich zumindest darüber im Klaren sein: Wer in solchen Staaten mit einem Touristenvisum einreist, bewegt sich auf schwankendem Boden. Denn wer auffällt, gerät wie die beiden Springer-Reporter schnell in Teufels Küche.” Siehe dazu auch “Bei aller Freude” von Ulrike Simon.

2. “Döpfners Entschuldigungsbrief an die iranische Justiz”
(sueddeutsche.de, Marc Felix Serrao)
Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender des Axel-Springer-Verlags, schreibt an Sadegh Laridschani, Chef des iranischen Justizsystems: “Wir bedauern es zutiefst, dass Herr Hellwig und Herr Koch ohne die korrekten Visa in die Islamische Republik Iran eingereist sind und ihre journalistische Arbeit dort ohne die notwendige Akkreditierung aufgenommen haben.”

3. “Guttenberg verhöhnt das Leistungsprinzip”
(zeit.de, Meike Fries)
Meike Fries kommentiert den Plagiatfall Guttenberg: “Nähmen sich Schüler und Studenten Guttenberg großflächig zum Vorbild, würde sich Kanzlerin Merkels immer wieder ausgerufene Bildungsrepublik in eine verdummte Gesellschaft verwandeln.” Siehe dazu auch “Vgl. auch Guttenberg 2009” (faz.net, Jürgen Kaube).

4. “My Work and Life with the Cloud”
(webciety.de, Sascha Lobo)
Wie arbeitet Sascha Lobo, welche Geräte, welche Software benutzt er?

5. “Kaufen für die Müllhalde”
(youtube.com, Video, 74:52 Minuten)
Glühbirnen, Drucker, iPods, Strumpfhosen könnten eine lange Lebensdauer haben, doch sie gehen geplant kaputt. Ein arte-Film über Geplante Obsoleszenz: “Ethik zählt nichts mehr in einer Businesswelt, die nur eins im Sinn hat: Den häufigen Neukauf.”

6. “Großes Kino…”
(brennesselplantage.wordpress.com)
“Bild” schreibt über den Film 300, der die Schlacht bei den Thermopylen thematisiert.

AFP, dpa, sid  etc.

Sack Zement!

Die folgende Geschichte wird ein bisschen kompliziert. Vielleicht legen Sie besser Papier und Bleistift zurecht — oder eine frisch betonierte Fläche, in die Sie ein paar Notizen einritzen können.

Am Samstag (Ortszeit) drückte der Basketballspieler Kobe Bryant seine Hände und Füße in eine Betonfläche am Hollywood Boulevard in Hollywood. Er durfte das.

Am Sonntagmorgen um 8.28 Uhr tickerte der Sportinformationsdienst (sid) unter der Überschrift “‘Black Mamba’ Bryant: Erster Sportler auf Hollywoods Walk of Fame” an seine Kunden:

Köln, 20. Februar (SID) – NBA-Superstar Kobe Bryant hat als erster Sportler seine Hand- und Fußabdrücke (Schuhgröße 48) auf Hollywoods Walk of Fame hinterlassen. (…)

Die Deutsche Presseagentur (dpa) legte um 13.53 Uhr und 16.03 Uhr mit der Meldung “Kobe Bryant als erster Sportler auf Walk of Fame” nach:

Los Angeles (dpa) – Basketball-Superstar Kobe Bryant hat sich als erster Sportler auf Hollywoods legendärem “Walk of Fame” verewigen dürfen. Der Guard der Los Angeles Lakers hinterließ am Samstag (Ortszeit) auf dem berühmten Bürgersteig des Hollywood Boulevards seine Hand- und Fußabdrücke neben denen von Showgrößen wie Elvis Presley, Marilyn Monroe oder Tom Cruise. (…)

Und AFP berichtete unter der Überschrift “Bryant erster Sportler auf Hollywoods Walk of Fame” und mit einer interessanten Ortsmarke:

Köln — NBA-Superstar Kobe Bryant hat als erster Sportler seine Hand- und Fußabdrücke (Schuhgröße 48) auf Hollywoods Walk of Fame hinterlassen. (…)

Das alles ist in dieser Form falsch.

Der “Walk of Fame” besteht aus mehr als 2.400 Terrazzo-Sternen, mit denen verdiente Persönlichkeiten der Unterhaltungsindustrie ausgezeichnet werden. Hand- und Fußabdrücke werden traditionell in der Umgebung des Kinos “Grauman’s Chinese Theatre” hinterlassen und haben – neben der vergleichbaren Ehre und der räumlichen Nähe – nichts mit dem “Walk of Fame” zu tun.

Wäre Kobe Bryant mit einem Stern auf dem “Walk of Fame” geehrt worden – was er ja nicht wurde -, so wäre er nicht der erste Sportler gewesen, sondern der dritte: Unter sehr freier Regelauslegung hatte das Komitee 2001 den Basketball-Spieler Earvin “Magic” Johnson und 2002 den Boxer Muhammad Ali mit einem Stern geehrt.

In der Annahme, den Fehler gefunden zu haben, verschickte der sid um 23 Uhr eine “korrigierte Fassung”:

Köln, 20. Februar (SID) – Große Ehre für NBA-Superstar Kobe Bryant: Der 32 Jahre alte Shooting Guard der LA Lakers hinterließ seine Hand- und Fußabdrücke (Schuhgröße 48) auf Hollywoods Walk of Fame und ist damit einer von wenigen Sportlern, die sich auf dem weltberühmte Gehweg verewigen durften. Sein Basketball-Kollege Magic Johnson und Box-Legende Muhammad Ali gehören auch dazu. (…)

Das war schon mal bedeutend falscher als die Ursprungsversion, denn Bryant war tatsächlich der erste Sportler, der sich im Zement verewigen durfte — Johnson und Ali haben ja Sterne. Blöderweise lief diese Korrektur immer noch unter der – in jedem Fall falschen – Überschrift “‘Black Mamba’ Bryant: Erster Sportler auf Hollywoods Walk of Fame”. Drei Minuten später korrigierte der sid die Überschrift in “‘Black Mamba’ Bryant auf Hollywoods Walk of Fame” und wähnte sich in Sicherheit.

Dass die Hand- und Fußabdrücke nicht auf dem “Walk of Fame” hinterlassen werden, hat der sid immer noch nicht verstanden und schreibt heute über das Allstar-Game:

Einen Tag nachdem der 32-Jährige seine Hand- und Fußabdrücke auf dem weltberühmten Walk of Fame hinterlassen hatte, spielte Bryant vor Stars und Sternchen groß auf, avancierte mit 37 Punkten zum besten Werfer und wurde zum vierten Mal als “wertvollster Spieler” des NBA Allstar Games ausgezeichnet.

Und auch dpa ist noch im falschen Film:

Nur Stunden, nachdem sich Bryant als erster Sportler mit Hand- und Fußabdrücken auf Hollywoods “Walk of fame” verewigen durfte, war er in eigener Halle einfach nicht zu stoppen.

Aber womöglich ist es auch zu viel verlangt, von deutschen Nachrichtenagenturen (darunter einer, die explizit auf Sport spezialisiert ist), Detailkenntnisse im Straßenbild von Hollywood zu erwarten.

Die hat ja nicht mal das amerikanische Unterhaltungsportal “E! online”:

Kobe Bryant Becomes First Non-Movie Jock Ever on the Walk of Fame

Mit Dank an Jan-Christoph K.

Nachtrag, 22. Februar: Gestern um 16.38 Uhr tickerte die dpa eine korrigierte Fassung ihres Allstar-Game-Berichts, die mit “(Berichtigung: Bryant nicht auf dem ‘walk of fame’)” gekennzeichnet war. Darin heißt es jetzt:

Nur Stunden, nachdem sich Bryant mit Hand- und Fußabdrücken im berühmten Grauman’s Chinese Theatre am Hollywood Boulevard verewigen durfte, war er in eigener Halle einfach nicht zu stoppen.

Der sid verschickte heute um 8.52 Uhr unter der Überschrift “Berichtigt: Bryant erster Sportler am Grauman Theatre” gar eine eigenständige Berichtigung, in der die Unterschiede zwischen den Sternen am “Walk of Fame” und den Abdrücken am “Grauman’s Chinese Theatre” erklärt werden. Der Text schließt mit einem “Hinweis für die Redaktionen”:

Auch der SID hat rund um das All Star Game am Wochenende in Los Angeles in Zusammenhang mit Kobe Bryant fälschlicherweise vom Walk of Fame geschrieben. Wir bitten, diesen Irrtum zu entschuldigen.

Hinweis, 22. Februar: Mehrere Leser haben uns darauf hingewiesen, dass Zement ein pulverförmiger Stoff ist und die daraus angerührte Masse Beton genannt wird. Wir haben also in den ersten beiden Absätzen “Zement” durch “Beton” ersetzt, damit auch hier alles seine Richtigkeit hat.

Alice Schwarzer, Anthony Annan, Islamkritik

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1. “Alice Schwarzer beim Kachelmann-Prozess”
(sueddeutsche.de, Hans Holzhaider)
Hans Holzhaider beurteilt den Versuch von Alice Schwarzer, den Prozess gegen Jörg Kachelmann in “Bild” zu begleiten. Nahezu jeder Kommentar baue auf ein “Szenario, das Alice Schwarzer am ersten Prozesstag beschwört”: “Auf der einen Seite der mächtige Angeklagte, geschützt durch seine raffinierten Anwälte und die ihm hörigen Medien, auf der anderen Seite die schutzlose, verfolgte, degradierte, vogelfreie Ex-Geliebte.”

2. “Die Annan-Story”
(koenigsblog.net, Torsten Wieland)
Fußballer Anthony Annan wechselt zum FC Schalke 04, gemäß Bild.de unfreiwillig. Torsten Wieland und Uwe Englert prüfen nach, was im norwegischen Original-Interview steht.

3. “Dschihad im Feuilleton”
(spiegel.de, Matthias Matussek)
Matthias Matussek kritisiert die Feuilletonchefs von “Frankfurter Allgemeine Zeitung” und “Süddeutsche Zeitung”, Patrick Bahners und Thomas Steinfeld, weil diese Islamkritiker wie Ayaan Hirsi Ali, Henryk M. Broder oder Necla Kelek als Panikmacher darstellen. “Ist es nicht pompöser Unfug, angesichts der islamistischen Großwetterlage diejenigen, die auf der Einhaltung von Menschenrechten auch im religiösen Raum bestehen, als ‘schreibende Eingreiftruppe’ zu denunzieren?”

4. “GuttenPlag: ‘Cognitive Surplus’ bei der Arbeit”
(carta.info, Robin Meyer-Lucht)
Im GuttenPlag Wiki sammeln Netznutzer Plagiatstellen in der Doktorarbeit von Karl-Theodor zu Guttenberg. “Rund 60 Plagiats-Stellen vermag der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe zu benennen – die fleißigen GuttenPlag-Helfer im Web fanden kollektiv über 300.”

5. “Gutes Copy, schlechtes Copy”
(ruhrbarone.de, Julia Seeliger)
Sind Urheberrechtsverletzungen ein Problem der Internetgeneration? Julia Seeliger glaubt, dass es im Netz viele gibt, die Zitate wichtig finden. “Ohne sichere, vertrauenswürdige Quellen keine Wahrheit.”

6. “Hauptsache, es merkt keiner von den Lesern”
(mediensalat.beeplog.de)
Wie groß ist Katar? Flächenvergleiche in deutschen Zeitungen.

Bild  

Dr. Albern

Am gestrigen Samstag erklärte “Bild” erstaunlich offen, wie sie die Entscheidung des Bundesverteidigungsministers findet, im Amt bleiben zu wollen:

Gut! Guttenberg bleibt!

Es ist nicht das erste Mal, dass “Bild” die Rechtmäßigkeit erworbener Doktortitel auf der Titelseite thematisiert:

25. August 2007:

Verlierer

Der CDU-Kandidat für die OB-Wahl in Landau (Rheinland-Pfalz) soll aus der Partei ausgeschlossen werden! Gegen Kai Schürholt (35) ermittelt die Staatsanwaltschaft. Er soll sich seinen Doktortitel in Theologie erschlichen haben. Die CDU kann keinen Ersatzkandidaten mehr für die Wahl (2. September) aufstellen.

BILD meint: Dr. Lüg!

19. Februar 2009:

Verlierer

Wer hat da wohl wen beschummelt? Der Kölner Kulturpolitiker “Dr. rer. pol.” Hans-Georg Bögner (54, SPD) verzichtet ab sofort darauf, seinen Doktortitel der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zu führen. Er habe erfahren, “dass mit meiner Promotion etwas nicht in Ordnung ist”. Genauer wollte sich Bögner nicht äußern.

BILD meint: Dr. Seltsam!

24. Juli 2009:

Verlierer

Er ist jung, er ist ehrgeizig – und er hat ein Problem: Niels Neu (35), Vizechef der CDU in Nordhausen (Thüringen), musste seinen Personalausweis bei der Stadt abgeben, weil er verdächtigt wird, einen falschen Doktortitel zu führen. Recherchen hätten ergeben, dass er nicht wie behauptet an der Universität von Warschau promoviert hat.

BILD meint: Dr. Schummel?

6. Februar 2010:

Verlierer

Als Dr. Dieter Jasper (47) zog er bei der Bundestagswahl im September aus Steinfurt (NRW) ins Parlament ein. Jetzt kommt heraus: Der CDU-Abgeordnete darf in Deutschland gar keinen Doktortitel führen, er hatte ihn an einer umstrittenen Uni in der Schweiz erworben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, die SPD will eine Wahl-Anfechtung.

BILD meint: Dr. Schwindel!

“Unvermeidlich” oder “unverhältnismäßig”?

Am Donnerstagabend um 22.07 Uhr erschien auf Handelsblatt.com ein Artikel, der als “Kommentar von Rüdiger Scheidges” ausgezeichnet war. Über dem Text hätte aber auch “Ein Blick in die Glaskugel” oder “Eine Fernanalyse” stehen können, denn Scheidges wagte steile Prognosen:

Der noch amtierende Verteidigungsminister weiß es: In der Frage des Plagiats geht es für ihn um Ehre und Anstand. Wer geistiges Eigentum stiehlt, setzt seine Ehre aufs Spiel. Wer als ertappt gilt, kann seinen Anstand nur mit einem beweisen: mit seinem Rücktritt vom öffentlichen Amt. Denn das beschädigt er. Eine andere Möglichkeit, die eigene Ehre zu retten und einen Rest Anstand zu wahren, gibt es nicht.

Die Deutschen, die den Baron verehren, werden darauf vertrauen könne, dass ihr Idol sich entsprechend verhält und den Hut nimmt. (…)

Seine Glaubwürdigkeit hat er in den ersten Worten seiner Doktorarbeit versenkt – für immer und auch beim Volk. Sie waren geklaut. Es ist kaum anzunehmen, dass der hochintelligente Baron diese unverzeihliche Missetat jetzt nicht begreift. Er wird zurücktreten müssen – wenn nicht heute, dann morgen. Denn auch die Gunst einer Angela Merkel ist wankelmütig. Und das wird er jetzt am eigenen Leib merken.

Als am Freitag klar wurde, dass sich diese Prognosen leicht von den Einschätzungen und Plänen des Bundesverteidigungsministers unterschieden, war der Text online nicht mehr verfügbar.

Doch der Grund dafür lag offenbar nicht in der schlechten Vorhersage, sondern ganz woanders, wie uns das “Handelsblatt” auf Anfrage mitteilte:

Der Kommentar wurde aus dem Programm genommen, weil er der Chefredaktion unverhältnismäßig schien. “Das Gebot der Fairness gebietet es, die laufende Untersuchung der Universität Bayreuth abzuwarten und sich nicht mit voreiligen Rücktrittsforderungen in Szene zu setzen. Ich habe den Kommentar, in dem von ‘unverzeihlichen Todsünden’ die Rede war, die zum ‘unvermeidlichen Rücktritt’ des Verteidigungsministers führen müssten, als unverhältnismäßig empfunden”, sagte Chefredakteur Gabor Steingart.

Mit Dank an Michel V.

Unheilig

Bild.de berichtet heute über ein dreijähriges Mädchen, das in Sydney von einem Bus überfahren wurde und nahezu unverletzt überlebt hat. Nach Angaben des Onlinemagazins handelt es sich dabei um ein ganz besonderes Kind:

Claires Eltern glauben an ein göttliches Wunder. Als Baby wurde die heute Dreijährige von Papst Benedikt XVI heilig gesprochen.

Zu den vielen Punkten, die bei einer Heiligsprechung erfüllt werden müssen, zählt vor allem einer: der Betreffende muss tot sein. Und das ist Claire ja glücklicherweise nicht.

Was Bild.de eigentlich meint, steht zu Beginn des Artikels: Claire wurde als Baby bei einem Besuch des Papstes in Australien von ihm gesegnet.

Mit Dank an Thomas A., Daniel und Miguel T.

Nachtrag, 20. Februar: Bild.de schreibt jetzt, das Kind sei “von Papst Benedikt XVI gesegnet” worden.

Das weist auf Vorsatz hin

Traditionell im Februar wird in den deutschen Medien darüber verhandelt, was ein Plagiat sei, was geistiger Diebstahl und was ein Remix. Nach der bunten Debatte um “Axolotl Roadkill” im vergangenen Jahr wird nun über die Doktorarbeit von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg verhandelt. Und nach zwei Tagen des Eingroovens sind die Journalisten jetzt offenbar bereit für die Meta-Ebene.

Der Online-Auftritt der “Rheinischen Post” berichtete gestern Morgen über ein “nicht gekennzeichnetes Zitat, das unserer Redaktion zugespielt wurde”: zu Guttenberg zitiert großzügig aus dem Arbeitspapier “Europa zwischen rechtlich-konstitutioneller Konkordanz und politisch-kultureller Vielfalt” von Prof. Stefan Schieren, nennt aber weder Autor noch Quelle an irgendeiner Stelle seiner Dissertation.

“RP Online” schreibt dazu:

Zu Guttenberg hat den Text an einer entscheidenden Stelle geändert. Bei einem in Klammern gesetzten Hinweis wurden die Initialen des Originalautors entfernt. Aus “(i. e. Art. 100a EGV, St.S.)” ist in der Guttenberg-Version “[i. e. Art. 100a EGV]” geworden. Das weist auf Vorsatz hin.

Auch blick.ch berichtete am Nachmittag über den “brisanten Fund”:

Zu Guttenberg hat den Text an einer entscheidenden Stelle geändert. Bei einem in eckigen Klammern gesetzten Hinweis wurden die Initialen des Originalautors entfernt. Aus «(i. e. Art. 100a EGV, St.S.)» ist in der Guttenberg-Version «[i. e. Art. 100a EGV]» geworden. Was bedeutet das? Es weist auf Vorsatz hin.

Nachtrag, 21. Februar: Blick.ch hat sich bei “RP Online” entschuldigt und weist im Text jetzt inkl. Fußnote Link auf den Artikel von “RP Online” hin.

Plagiate, Pöbler, Österreich

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1. “GuttenPlag Wiki”
(de.guttenplag.wikia.com)
Auf wikia.com werden Plagiate aus der Doktorarbeit von Karl-Theodor zu Guttenberg kollaborativ dokumentiert – “jeder ist eingeladen, hier mitzuarbeiten”.

2. Interview mit Stefan Weber
(dradio.de, Gabi Wuttke)
Gabi Wuttke spricht mit Stefan Weber über Plagiate: “Ich habe in Österreich erst unlängst einen Fall gehabt – das soll man nicht glauben -, das war plagiiert sprichwörtlich von der ersten bis zur letzten Zeile. Da war sogar die Kurzfassung, das Abstract der eigenen Doktorarbeit – also wo, wenn nicht dort, soll der Autor selber, muss der Autor selber texten -, war schon das Abstract abgeschrieben, unzitiert. Das war penibel auf 17 Seiten von mir dokumentiert und der Autor konnte seinen Doktortitel behalten.”

3. “Guttenbergs Doktor-Arbeit und die Scheineliten im Hochschulbetrieb”
(dishwasher.blogsport.de, Tobias Fabinger)
Tobias Fabinger sieht in der aktuellen Plagiatdebatte nur die Spitze des Eisbergs und beschreibt schwerwiegende Probleme an den Hochschulen: “Wer mehr leistet als nötig, wer nicht nur die Anforderungen der Rituale erfüllt – auswendig gelernte Wissenfragmente und ästhetisch ansprechendes Auftreten – der ist in dem gegenwärtigen Hochschulsystem der Dumme. Weder seine Begabung noch seine Mehrleistung und sein inhaltliches Interesse werden belohnt.”

4. “Auf welcher Seite saßen hier die Pöbler?”
(faz.net, Maria Exner und Max Neufeind)
Wie deutsche Medien über eine Integrationsdebatte in London berichten, zu der auch Thilo Sarrazin und Henryk M. Broder eingeladen waren.

5. “Hausdurchsuchung by Wolfgang Fellner”
(kobuk.at, Hans Kirch​meyr)
Wie Wolfgang Fellner, Herausgeber von “Österreich”, zu Hausdurchsuchungen steht.

6. “Die Polizei weiß von nichts”
(noemix.twoday.net)
Obwohl die Eingangstür zum Kellerverlies im Haus von Josef Fritzl zugeschweisst ist, sollen darin, so schreibt “Österreich”, Partys stattgefunden haben.

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