Das kann nicht Euer ERNSTL sein

Vergangene Woche stellte ein Mann namens Paul Awe bei eBay ein ganz besonderes Objekt zur Versteigerung ein:

GLÜCKSRAD - Original aus dem TV - Ikone der 80/90er

Diese Produktbezeichnung war womöglich etwas missverständlich, denn Awe versteigert nicht das Glücksrad aus der unfassbar erfolgreichen Sat.1-Sendung “Glücksrad” (1988 – 1998), sondern das Glücksrad aus der erfolglosen 9Live-Reinkarnation der Sendung (2004 – 2005) — deutlich zu erkennen etwa an den Euro-Beträgen auf dem Rad.

Das steht so ähnlich auch in der Produktbeschreibung:

Die zu versteigernde Version des Glücksrads drehte sich zuletzt auf 9Live. Es wurde mit Genehmigung des amerikanischen Lizenzgebers hergestellt und dürfte das einzig verfügbare Glücksrad in Deutschland sein.

Paul Awe hätte klar sein müssen, dass sein Angebot falsch verstanden werden könnte — zum einen von möglichen Bietern, ganz sicher aber von Journalisten.

Die Deutsche Presseagentur (dpa) berichtete bereits letzten Montag:

Das “Glücksrad” und die Buchstabenwand werden jetzt versteigert. Das kündigte der Münchner Medienunternehmer Paul Awe, dem die Kulissen gehören, am Montag an. Awe hatte das Glücksrad aus dem Fundus des Privatsenders Neun live übernommen, der im Jahr 2005 den Spielshowklassiker zuletzt übertragen hatte.

Das war (bis auf Awes Berufsbezeichnung, zu der wir später kommen) nicht falsch. Irreführend wurde die Meldung durch den darauf folgenden Absatz, der nichts mit dem angebotenen Glücksrad zu tun hatte:

Das “Glücksrad”, das im amerikanischen Original “Wheel of Fortune” heißt, war mit der meist stummen Buchstabenfee Maren Gilzer sowie den Moderatoren Frederic Meisner und Peter Bond im Jahr 1988 bei Sat.1 auf Sendung gegangen und wechselte 1998 zu Kabel eins, wo es sich bis 2002 drehte. 2004 und 2005 probierte es Neun live noch einmal. Awe kündigte an, er werde das mehrere hundert Kilo schwere Rad samt Buchstabenwand von Dienstag an im Online-Auktionshaus ebay anbieten – Mindestgebot: ein Euro.

Am Mittwoch berichtete “Welt Online”:

Online-Versteigerung: Glücksrad und Buchstabenwand landen bei Ebay. Vor über zwei Jahrzehnten drehte sich das "Glücksrad" erstmals im deutschen Fernsehen. Nun können Nostalgiker das berühmte Requisit im Internet ersteigern.

“Welt Online” hatte sich sogar die Mühe gemacht, die legendäre “Buchstabenfee” Maren Gilzer zu befragen, was sie von der Versteigerung halte (“Besser, als wenn es in einem Kulissenkeller irgendwo verstaubt.”) und ob sie selbst mitbieten werde (“Ich nicht, denn mein Hund Tinka interessiert sich nicht für Buchstaben.”).

Auch “Focus online” hatte einen schicken O-Ton aufgetan:

Auch Frederic Meissner, der “Das Glücksrad” 14 Jahre lang moderiert hat, denkt gerne an diese Zeit zurück. “Natürlich kommt auch etwas Wehmut auf, wenn die Studioeinrichtung nun versteigert wird”, so Meissner gegenüber FOCUS Online.

Gegen Ende der Woche hatten die “B.Z.”, die “Hamburger Morgenpost” und sogar die “Süddeutsche Zeitung” über die Auktion berichtetet. Letztere, obwohl die Sendung im Rückblick “dermaßen dämlich” sei, “dass es fast schade um jede Zeitungszeile ist, die man darüber verliert”.

Nachdem Paul Awe übereinstimmend als “Medienunternehmer” bezeichnet worden war, stellte er am 30. Juni in einem Update auf der Auktionsseite klar:

Ich bin KEIN “Medienunternehmer” (wie in der Presse dargestellt), sondern ein ganz normal arbeitender Mensch – jetzt mit ein bisschen Glück, hoffentlich!

Am gleichen Tag beantwortete er die Frage eines eBay-Mitglieds, um welches Glücksrad es sich denn jetzt eigentlich handle, so:

Die zur Verstiegerung stehende Version ist nicht die, die 1988 auf SAT.1 zu sehen war, sondern lief auf 9 Live.

Zwei Tage später war die Auktion auch zu Bild.de durchgedrungen:

Auktion bis 7. Juli: Das "Glücksrad" wird bei Ebay versteigert

Die Auktionsseite hatte die Autorin für ihren Artikel offensichtlich nicht gelesen, denn sie schrieb:

Der Münchner Medien-Unternehmer Paul Awe versteigert die Original-Requisite aus der gleichnamigen TV-Sendung jetzt im Online-Auktionshaus Ebay.​

Außerdem schrieb Bild.de:

Demnächst soll auch noch die dazugehörige Buchstabenwand, die bei der Show jahrelang das Reich von Buchstaben-Fee Maren Gilzer war, bei Ebay unter den Hammer kommen.

Die Buchstabenwand, die deutlich kleiner ist als die, vor der Maren Gilzer jahreland auf und ab schritt, stand da bereits seit mehreren Tagen zur Versteigerung.

Die Kabel-1-Variante des Glücksrads war übrigens bereits im Jahr 2002 für einen guten Zweck versteigert worden.

Mit Dank an Axel Sch. und Jens L.

Spiegel, DSK, Bagelheads

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Spaß und Spannung mit Adolf und Josef”
(blaetter.de, Uli Gellermann)
Uli Gellermann vermisst in der “Spiegel”-Titelgeschichte “Bruder Todfeind” vom 11. Juni einige Fakten. Es kommt ihm ausserdem vor, als werde “der Krieg Deutschlands gegen die Sowjetunion, der vor 70 Jahren begann, zu einem sportiven Duell zwischen Josef und Adolf.” Zum aktuellen “Spiegel”-Titel “Die digitale Unterwelt” siehe “Welcome to Germany. ‘Der Spiegel’ in Full Retard Mode” (davaidavai.com, englisch).

2. Interview mit Christian Stöcker
(basicthinking.de, Jürgen Vielmeier)
Wie geht Christian Stöcker, Ressortleiter “Netzwelt” von “Spiegel Online”, mit Fehlern um? “Fehler machen wir natürlich auch, und es ist klar, dass sich das nie ganz vermeiden lassen wird. Unser Anspruch besteht darin, dem Leser das Beste zu liefern, was unter den aktuellen Umständen drin ist – was auch bedeutet, dass wir schnellstens und transparent korrigieren, wenn tatsächlich mal ein Fehler auf der Seite gelandet sein sollte.”

3. “Achtet mir die Blogger”
(kundenkunde.de, Peter Soltau)
Henrik Böhme von dw-world.de reagiert auf einen kürzlich angebrachten Plagiatsvorwurf.

4. “Neue Medienmode lateinamerikanischer Potentaten”
(faz.net, Josef Oehrlein)
Wie der Präsident von Venezuela, Hugo Chávez, mit Medien umgeht. “Für ihn zählt nur der direkte Kontakt zu seinem Publikum, dem ‘Volk’. Dazu braucht es für ihn weder Regierungssprecher noch Journalisten. Bei Pressekonferenzen, so sie überhaupt noch stattfinden, sind Journalisten bloße Stichwortgeber für schier endlose Monologe.”

5. “DSK darf wieder lächeln”
(katrinschuster.de)
Die Berichterstattung der Medien über die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Dominique Strauss-Kahn: “Offenbar will man einfach nicht wahrhaben, dass Journalisten weder der Exekutive noch der Judikative angehören. Und wenn Medien einen Angeklagten erst als schuldig vorstellen, noch bevor die Ermittlungen begonnen haben, um es dann ‘spektakulär’ zu nennen, wenn während der Ermittlungen Zweifel an dieser Schuld aufkommen, wird auch ihre Befähigung zur Ausübung der so genannten Vierten Gewalt in dieser unserer Gesellschaft des Spektakels ziemlich fraglich.” Siehe dazu auch Stefan Niggemeier, der Artikel in “Stern” und “Spiegel” analysiert.

6. “Und um das Sommerloch: ein Bagel”
(snoeksen.blogspot.com)
Bild.de berichtet über “Bagelheads”: “Nur: zum einen ist es kein wirklicher Trend, neu ist es auch nicht und aus Japan… naja, entstanden ist es zumindest woanders.”

heute  

Bis sich die Balken strecken

Bundesinnenminister Friedrich hat heute den Verfassungsschutzbericht 2010 vorgestellt. Die Zahl der “Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich ‘Politisch motivierte Kriminalität – links'” ist demnach von 4.734 im Jahr 2009 auf 3.747 im vergangenen Jahr gesunken (ein Minus von 20,8%), die der “Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich ‘Politisch motivierte Kriminalität – rechts'” von 18.750 auf 15.905 (minus 15,2%).

Das ZDF illustrierte diese Nachrichten in seinen nachmittäglichen “Heute”-Nachrichten mit dieser Grafik:

Vielleicht lassen Sie diese Zahlen-Balken-Kombination einen Moment auf sich wirken.

Zeichnet man den Balken der linksextremen Straftaten im gleichen Maßstab wie den der rechtsextremen, sieht die Grafik ungefähr so aus:

Aber die Grafiker der ZDF-Nachrichten haben’s bekanntlich nicht so mit der Verhältnismäßigkeit.

Mit Dank an Norbert E. und Rolf M.

Sueddeutsche.de, Red Bull, Mainstream

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Hamburg, keine Perle”
(timklimes.de, Video, 2:50 Minuten)
Wie sich Tom Hillenbrand nach einem Tweet und einem Blogtext als “Hamburg-Hasser” auf der Titelseite der “Hamburger Morgenpost” wiederfand.

2. “Im Namen der Dose”
(zeit.de, Stefan Müller und Joachim Riedl)
Die Tochterfirma des Getränkeherstellers Red Bull aus Fuschl am See baut ihre Medienaktivitäten nach und nach aus: “Zum Portfolio des Red Bull Media House mit 530 Mitarbeitern gehören unter anderem eine Radiostation in Neuseeland sowie die Magazine Seitenblicke und Speedweek. Flaggschiff ist das Red Bulletin, das in einer Auflage von 4,6 Millionen Stück produziert wird und in neun Ländern, seit diesem Jahr auch in den USA, verschiedenen Tageszeitungen beiliegt.”

3. “Bei uns gibt es die besseren Texte”
(journalist.de, Svenja Siegert)
Der Chefredakteur von sueddeutsche.de, Stefan Plöchinger, spricht über sein Produkt: “Auf allen, wirklich allen Nachrichtenportalen gab es in der Vergangenheit Exzesse von Klickstrecken. Da würde ich auch bei Spiegel Online einige finden. Websites haben den Fehler gemacht, zu lange nur auf Klicks, also Page Impressions, zu optimieren. Das Resultat: ewig lange Bildergalerien, die in die Irre führen, Zeit von Redakteuren binden, Leserinteressen nicht gerecht werden, Qualität vernachlässigen.”

4. “Teamarbeit – nicht nur auf dem Spielfeld”
(blog.tagesschau.de, Tanja Körbl)
Tanja Körbl beschreibt, wie deckungsgleich (und redundant?) ARD und ZDF arbeiten: “Die rote Lampe an der Kamera geht aus, der Moderationstisch wird schnell ausgetauscht (unvorstellbar – eine ARD-Sendung mit einem Tisch vom ZDF…). Die Windschütze auf den Mikrofonen müssen auch gewechselt werden – von leuchtendem Orange zum Königsblau. Alle wieder auf Position. Und das Ganze noch einmal.”

5. “Mutig auf den Mainstream scheißen”
(taz.de, David Denk)
David Denk hat “ein paar zunächst vielleicht verrückt klingende Vorschläge für neue Fernsehformate”.

6. “BILD-Zeitung wird auf den Mond geschossen!!!”
(schreibenfuergeld.wordpress.com, DL2MCD)

Sexy Urlaubsfotos von Teenager-Mädchen

Menschen, die sexuelles Interesse an Minderjährigen zeigen, bezeichnet “Bild” als “Sex-Täter”. Männer, die sich tatsächlich an Minderjährigen vergriffen haben, nennt die Zeitung “Schwein”, “Dreckschwein” oder “Sex-Monster”.

Anders verhält es sich bei Menschen, die so etwas über Minderjährige schreiben:

Am Strand macht Aurora auch mindestens so eine gute Figur wie ihre Model-Mama. Das findet Michelle Hunziker wohl auch und lässt ihre Tochter für sexy (private) Urlaubsfotos posieren.

Die nennt Bild.de “Mitarbeiter”.

Aurora, die 14-jährige Tochter von TV-Moderatorin Michelle Hunziker, macht derzeit offenbar Strandurlaub mit ihrer Mutter. Und Bild.de schreibt:

Andere Teenies finden die Outfits ihrer Mütter oft nur peinlich! Michelle und Aurora wurden sogar im Partnerlook gesichtet: In knappen pinken Bikinis.

Und weil sich die Wenigsten vorstellen können, wie das so aussieht, wenn eine Frau und ein Mädchen knappe pinke Bikinis tragen, hat Bild.de eine kleine Bildergalerie zusammengestellt.

Im sexy Partnerlook: Michelle Hunziker und ihre Tochter Aurora haben Spaß am Strand von Formentera

Ganz schön heiß! Mama Michelle lässt Töchterchen Aurora für die Urlaubsfotos posieren

Wo ist eigentlich Stephanie zu Guttenberg, wenn man sie braucht?

Mit Dank an Timo W., Jan S. und Jan.

dapd  etc.

Hilfe!

Gestern Mittag vermeldete die Nachrichtenagentur dapd aufgeregt das “Aus für Notrufsäulen an deutschen Straßen bis Jahresende”. Wer bei dieser Überschrift angenommen hatte, die orangefarbenen Notrufsäulen entlang der Autobahnen (die ja durchaus als “deutsche Straßen” durchgehen dürften) würden – etwa bis Jahresende – verschwinden, wurde schon im ersten Satz eines besseren belehrt:

Alle Notrufsäulen an den deutschen Bundes-, Landes- und Kreisstraßen werden bis zum Jahresende abgebaut. Dies teilte die Björn-Steiger-Stiftung in Stuttgart auf Anfrage der Nachrichtenagentur dapd mit. (…)

Nicht betroffen vom beschlossenen Abbau sind die derzeit rund 16.000 Notrufsäulen an den deutschen Autobahnen, für die der Gesamtverband der Deutschen Versicherer (GDV) zuständig ist.

Aber auch das war offensichtlich nicht ganz richtig, denn dapd verschickte rund vier Stunden später eine “Berichtigung”. Dort hieß es nun:

Nur Baden-Württemberg behält Notrufsäulen

Was genau es bedeutet, wenn “nur Baden-Württemberg” die Notrufsäulen behält, erklärte dapd natürlich auch gerne:

Nur Baden-Württemberg behält Notrufsäulen an den Bundes-, Landes- und Kreisstraßen, in den anderen Bundesländern werden sie abgebaut. Das teilte die Björn-Steiger-Stiftung in Stuttgart auf Anfrage der Nachrichtenagentur dapd mit. Bundesweit gibt es den Angaben zufolge derzeit knapp 2.100 Säulen, davon allein rund 1.800 in Baden-Württemberg.

dapd hatte also herausgefunden, dass immerhin 14% der noch bestehenden Notrufsäulen an deutschen Bundes-, Landes- und Kreisstraßen abmontiert werden sollen — nämlich die außerhalb Baden-Württembergs. Die restlichen der ehemals rund 7.000 Notruftelefone sind nämlich seit der Einführung eines Handyortungssystem für die Leitstellen im Jahr 2006 sukzessive abgebaut worden, wie uns die Björn-Steiger-Stiftung auf Anfrage erklärte.

Nun würde man als Laie sagen: “Hmmmmm, das ist dann wohl eher keine Meldung! dapd war sich nur zu fein, den ursprünglichen Schwachsinn komplett zurückzuziehen.” Doch Profis denken da anders.

“Bild” bringt heute auf der Titelseite folgende Kurzmeldung, die sich offensichtlich auf eine der ersten dapd-Varianten beruft:

Notrufsäulen an Bundesstraßen werden abgeschafft

Stuttgart – Alle Notrufsäulen an den deutschen Bundes-, Landes- und Kreisstraßen werden bis zum Jahresende abgebaut. Das teilte die Björn-Steiger-Stiftung in Stuttgart mit. Die Notrufsäulen seien nicht mehr finanzierbar. Außerdem habe die heute selbstverständliche Handynutzung sowie die nun mögliche Ortung von Mobiltelefonen die Säulen zuletzt zunehmend überflüssig gemacht. Bundesweit gibt es noch rund 2000 Säulen. Nicht betroffen sind die rund 16000 Notrufsäulen an den Autobahnen.

Diese Quelle muss auch der “Tagesspiegel” benutzt haben:

Notrufsäulen an deutschen Straßen verschwinden bis Jahresende

Stuttgart – Für die Notrufsäulen an Bundes-, Landes- und Kreisstraßen kommt das Aus. Sie würden bis zum Jahresende abgebaut, teilte die Björn-Steiger-Stiftung mit. Die Säulen seien nicht mehr finanzierbar. Zudem seien sie durch die Handynutzung zunehmend überflüssig. Nicht betroffen sind die 16 000 Notrufsäulen an den Autobahnen. dapd

Die “Süddeutsche Zeitung” brachte einen längeren Artikel, der auf der ersten dapd-Meldung basierte und auch die Online-Medien haben die NichtGeschichte natürlich dankbar aufgenommen — wobei abendblatt.de eine wahre Meisterleistung geglückt ist: In dem Artikel, der mit den Worten “nur Baden-Württemberg behält Notrufsäulen” beginnt, zeigt sich ein ADAC-Experte vom “kompletten Aus für die Notrufsäulen an Bundes-, Landes- und Kreisstraßen” überrascht. Der dapd hatte das ADAC-Zitat aus seiner berichtigten Fassung herausgenommen, weil sich das “komplette Aus” als wenig haltbar erwiesen hatte.

Auch die dpa erweckt seit gestern den Eindruck, der seit fünf Jahren voranschreitende Abbau der Notrufsäulen sei eine Neuigkeit:

Aus für Notrufsäulen – Steiger Stiftung baut ab

Stuttgart (dpa) – Die Björn Steiger Stiftung baut ihre Notrufsäulen bundesweit nach und nach ab. Von den ursprünglich 7000 Säulen stehen noch 2095, davon gut 1800 in Baden-Württemberg, sagte eine Sprecherin der Stiftung am Mittwoch in Stuttgart. Die hohen Kosten für das Notrufsystem über die Säulen an Bundes-, Landes- und Kreisstraßen seien in Zeiten von Handys nicht mehr zu rechtfertigen, begründete sie die Entscheidung. Nicht betroffen sind die Säulen an Autobahnen. Sie werden vom Gesamtverband der Deutschen Versicherer (GDV) betrieben.

Mit großem Dank an Tobias.

Hinweis, 19.10 Uhr: In der ursprünglichen Fassung dieses Eintrags hatten wir geschrieben, die dpa-Meldung sei “immer noch völlig unkorrigiert”. Die dpa erklärte uns dazu, dass es an der Meldung “nichts zu korrigieren” gebe, da alle Fakten korrekt wiedergegeben würden.

DDR-Journalisten, Frauenfußball, WWF

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Das Panik-Orchester”
(freitag.de, Jakob Augstein)
Jakob Augstein beurteilt den rechtlichen Kampf der Printverlage gegen öffentlich-rechtliche Anstalten und Internetpublizisten. “Die Verlage können es sich leisten, gegen die Öffentlich-Rechtlichen zu Felde zu ziehen und beim Leistungsschutz widersprüchliche Forderungen zu stellen, weil sie die Meinungs- und Veröffentlichungsherrschaft innehaben. Es ist für die Politik kein Spaß, sich mit dem Kartell der großen Häuser anzulegen. Wer will Springer, Burda, Süddeutsche, FAZ, DuMont und die WAZ-Gruppe gegen sich haben?”

2. “Die Katastrophen-Profiteure”
(sueddeutsche.de, Katharina Riehl)
Live berichtende Onlinemedien und Nachrichtensender profitierten überdurchschnittlich von der Katastrophe in Japan. Nachrichtenmagazine dagegen nicht.

3. “Niemand beim WWF will ein Feigenblatt sein”
(nzz.ch, Marco Metzler)
Marco Metzler befragt Hans-Peter Fricker, CEO des WWF Schweiz, zum ARD-Dokumentarfilm “Der Pakt mit dem Panda”: “Die Dame, die im Film zu Wort kam, arbeitete erst seit wenigen Wochen in einer unteren Charge beim WWF und ist schon deshalb keine repräsentative Sprecherin. Leider hat der Filmemacher das Angebot des WWF Deutschland abgelehnt, mit der wirklich zuständigen Fachperson ein Interview zu führen.”

4. “DDR-Journalisten im Visier”
(neues-deutschland.de, Wilfried Neiße)
Das ehemalige Zentralorgan der SED, “Neues Deutschland”, nennt das Gutachten von Ariane Mohl, das sich mit “personellen und institutionellen Übergängen im Bereich der brandenburgischen Medienlandschaft” befasst (Auszüge hier), “bizarr”. “Man erfährt wenig über die wirklichen Umbruchverhältnisse nach 1990, aber alles über einen von Rachsucht und Mitleidlosigkeit geplagten Menschen.”

5. “Die DFL und ihre Macht über die Medien”
(ndr.de, Video, 7 Minuten)
Wie Grit Fischer und Stephanie Zietz aufzeigen, unterliegt die Berichterstattung über Fußball vielfältigen Restriktionen des Deutschen Fußballverbands DFL.

6. “Mein Problem mit Frauenfußball”
(novo-argumente.com, Matthias Heitmann)
Durch gezielte Regelveränderungen in den letzten Jahren sei der Fußball familienfreundlicher, friedlicher und weniger draufgängerisch gemacht worden, glaubt Matthias Heitmann. “Von der traditionellen Gewissheit, dass das Fußballstadion der einzige Ort sei, an dem Erwachsene nicht nur hemmungslos weinen, sondern auch das Wort ‘Wichser’ schreien können, so oft und so laut sie wollen, ohne die geringste Aufmerksamkeit zu erregen, wie es Nick Hornby in seinem Roman ‘Ballfieber’ liebevoll schildert, entfernen wir uns immer mehr.”

Weniger ist oft mehr

Zu den regelmäßigen Steuervereinfachungsvorschlägen des ehemaligen Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof kann man ja stehen wie man will. “Bild” und Bild.de beispielsweise brechen jedesmal in Jubelarien aus, wenn “Deutschlands klügster Steuerexperte” bzw. “einer der besten Köpfe für das Amt des Finanz- und Haushaltsministers” ein System fordert, bei dem die Steuererklärung auf einen Bierdeckel passt.

Die Reaktion von Bild.de auf Kirchhofs jüngsten Vorstoß ist daher wenig überraschend:

Das Kirchhof-Modell: Weniger Steuerlast für alle! BILD.de erklärt den Plan von Ex-Verfassungsrichter Paul Kirchhof, über den plötzlich wieder alle reden
Er ist 68 Jahre alt, sehr klug – und war schon in der Versenkung verschwunden. Jetzt ist Ex-Verfassungsrichter Prof. Paul Kirchhof wieder da, stellte ein radikal vereinfachtes Steuersystem vor. (…)

Steuern zahlen soll wieder Spaß machen! Der Ehrliche soll nicht mehr der Dumme sein! Das soll kein Traum bleiben, sondern kann sofort Wirklichkeit werden, sagt Prof. Paul Kirchhof. (…)

• Das Allerwichtigste: Weniger Steuerlast für alle!

Wen genau Bild.de in der Überschrift mit “alle” meint, wird gegen Ende des Artikels deutlich:

Allerdings muss das Modell (…) dem Praxistest standhalten. Erste grobe Berechnungen deuten auf eine mögliche Mehrbelastung geringerer Einkommen hin.

• Demnach könnte ein Alleinstehender mit 2000 Euro Bruttoeinkommen/Monat im Kirchhof-Modell 291 Euro statt 229 Euro Steuern bezahlen.

• Wer 3000 Euro brutto im Monat verdient, könnte mit 541 Euro statt 494 Euro belastet werden. Bei 3500 Euro/Monat ist die Steuerbelastung mit rund 650 Euro in etwa gleich.

• Bei höheren Einkommen dürfte die Steuerlast dann deutlich sinken. Ein Single mit 5000 Brutto/Monat könnte fast 200 Euro pro Monat sparen.

Da ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung weniger als 3500 Euro brutto verdient, wäre damit immerhin geklärt, wen “Bild” und Bild.de meinen, wenn sie mal wieder Begriffe wie “Deutschland” oder “alle” verwenden: Besserverdienende.

Höhenflug durch Raum und Zeit

Irgendwann ist den Journalisten aufgefallen, dass Politik nichts ist, womit man die Leser begeistern kann: Trockene Sachfragen, lange Debatten und Ausschusssitzungen und viel zu wenig Tore.

Zur Hilfe kamen ihnen da die Meinungsforschungsinstitute, die der Politik die sportliche Komponente gaben, die ihr bisher fehlte: Die wöchentliche Tabelle in Form von Meinungsumfragen. Forsa etwa befragt jede Woche für die Illustrierte “Stern” und den TV-Sender RTL rund zweieinhalbtausend Wahlberechtigte, die Ergebnisse dieser Umfrage kann man dann – nach Verbreitung durch die Nachrichtenagenturen – quasi überall nachlesen.

Zum Beispiel bei “Welt Online”:

Wahltrend: Grüner Höhenflug vorbei – FDP bei fünf Prozent. Beim ihrem Sonderparteitag haben die Grünen einen Grundsatzkonflikt überstanden. Trotzdem verlieren sie in der Gunst der Wähler.

Nun könnte man einwenden, dass der “grüne Höhenflug” so vorbei noch nicht sein kann, wenn die Partei mit 24 potentiellen Prozenten immer noch vor der SPD (23) liegt. Oder dass die Partei womöglich nicht trotz des Sonderparteitags bei ihren treuen Wählern verloren hat, sondern deswegen — immerhin hatten die Grünen lange darüber gestritten, ob sie den Plänen der Bundesregierung zustimmen sollen, bis zum Jahr 2022 aus der Kernenergie auszusteigen.

Doch das wäre alles überflüssige Gedankenleistung.

“Welt Online” selbst schreibt:

Für den Wahltrend befragte Forsa vom 20. bis 24. Juni 2506 repräsentativ ausgesuchte Bundesbürger.

Der Sonderparteitag der Grünen fand aber erst am 25. Juni statt.

Und wenn Sie glauben, so etwas ähnliches schon mal bei uns gelesen zu haben: ja.

Deutsche Welle, Yogeshwar, Klotzek

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Deutsche Welle nutzt kundenkunde.de als ‘Inspiration'”
(kundenkunde.de, Peter Soltau)
Ein aktueller Beitrag von dw-world.de erinnert Peter Soltau an einen eigenen Text, den er im Mai 2010 veröffentlicht hatte.

2. “Experten fordern nach Fukushima Besinnung auf journalistische Grundtugenden”
(kas.de)
In der Akademie der Konrad-Adenauer-Stiftung wurde eine Bilanz zur Fukushima-Berichterstattung gezogen. Dem Fernsehen attestierte Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar eine “miserable Rolle”, was bemerkenswert sei, denn anders als 1986 bei der Katastrophe von Tschernobyl sei zahlreiches aktuelles Bildmaterial vorhanden gewesen. Siehe dazu auch einen Bericht von pro-medienmagazin.de.

3. “‘Neon’-Gründer soll SZ-Magazin aufpolieren”
(dradio.de, Georg Gruber)
Georg Gruber porträtiert den neuen SZ-Magazin-Chefredakteur Timm Klotzek. “Um sich überhaupt nicht angreifbar zu machen, finde ich ist es wirklich wichtig, dass man Geld verdient mit seinem Titel und dass man sagt: diese Freiheit, Geld auszugeben für Recherchen, die erarbeitet man sich besser und ist nicht auf verlegerische Gönner angewiesen.”

4. “Ein Tag vorm Fernseher”
(katalogvonallem.wordpress.com, Florian Leu)
Nach sechs Jahren TV-Abstinenz verbringt Florian Leu einen Tag von 8 Uhr bis 20 Uhr vor dem Fernseher: “2 Stunden und 31 Minuten sitze ich erst hier, doch ich habe schon die halbe Welt gesehen: einen Zoowärter, der mit einer Giraffe redet, sprechende Katzen, Präsident Obama, die U-17-Nationalmannschaft, handverlesene Nazis, Rentner als Talkshow-Claqueure. Ich vermute: Fernsehsender haben Verträge mit Altersheimen geschlossen und teilen sich die Betreuung.”

5. “The Brain on Trial”
(theatlantic.com, David Eagleman, englisch)
Aussergewöhnliche kriminelle Taten werden von Boulevardmedien gerne zum Mysterium hochgeschrieben. In einzelnen Fällen sind die Ursachen banaler – es handelt sich um neurologische Gründe.

6. “10 Fragen an Yang Yanyi”
(de-cn.net)
Yang Yanyi, “Expertin für komparatistische musikpädagogische Forschung zu Deutschland und China”, erzählt, wie sie Deutschland und die Deutschen wahrnimmt.

Blättern:  1 ... 622 623 624 ... 1160