Jim Knopf und die Suggestiv-Führer von “Bild”

Der Schaffner hat mein Rad einfach aus dem ICE geworfenDer siebenjährige Ben hat sich viel Mühe gegeben, Enttäuschung, Wut und Verständnislosigkeit in seinen Blick zu legen, als der “Bild”-Fotograf ihn abgelichtet hat. Aber Ben hat natürlich auch allen Grund: Sein “geliebtes Rad”, ein “harmloses Kinderrad”, ist “verschwunden”.

Und das kam so:

Mutter Petra E. (46), eine Deutsche, die in Österreich lebt, kaufte im Wiener Hauptbahnhof zwei Tickets für den “ICE 22” nach Frankfurt/Main. Sohn Ben verbringt seine Schulferien bei Oma.

Weil der Erstklässler so gerne radelt, will er sein neues Mountainbike mitnehmen. Mutter Petra: “Wir haben im Bahnhof extra gefragt. Der Schalterbeamte sagte, dass es kein Problem sei.”

“Mehrmals” hätten Schaffner den Zug kontrolliert, so “Bild”, “niemand” habe sich an dem Fahrrad im Gepäckfach gestört.

DOCH DAS ÄNDERT SICH IN DEUTSCHLAND, WO DAS ZUGPERSONAL WECHSELT!

Kurz vor dem Bahnhof Regensburg habe der Lautsprecher “gekreischt”, so “Bild” weiter: Der Besitzer des Kinderfahrrades habe sich “unverzüglich” melden sollen, der Zugchef habe Mutter und Sohn “zur Rede” gestellt. Entweder die beiden sollten mit dem Rad aussteigen oder das Rad werde “entfernt”.

Da Mutter und Sohn nicht aussteigen, stellt der Herzlos-Schaffner das Rad auf den Bahnsteig. Traurig sieht der Junge, wie die Türen schließen, der ICE losrollt …

“Bild” beschreibt diese Szene so anschaulich, dass man meint, das orangefarbene Funkeln in den Augen des “Herzlos-Schaffners” zu erkennen. Womöglich hat er gar ein wenig nach Schwefel gerochen — oder wenigstens nach Knoblauch. Das Fahrrad jedenfalls, das sei “seither verschwunden”.

Bereits am Freitag, als die herzzerreißende Geschichte bundesweit in “Bild” erschien, veröffentlichte die Deutsche Bahn eine Pressemitteilung, in der sie den “Bild”-Bericht zurückwies.

Zunächst einmal sei eine Fahrradmitnahme in ICE-Zügen “generell nicht erlaubt”, da eine sichere Mitnahme von Fahrrädern (“auch von Kinderfahrrädern”) dort nicht gewährleistet sei. Warum die Mutter laut eigener Aussage von den österreichischen Schalterbeamten die Auskunft bekommen haben soll, die Mitnahme des Kinderrades im ICE sei möglich, könne die Deutsche Bahn “nicht nachvollziehen”.

Bei dem bereits am 2. Juli stattgefundenen Vorfall wurde nach Angaben beider ICE-Zugbegleiter die betroffene Familie sachlich über die entsprechende Regelung und alternative Weiterreisemöglichkeiten über Züge mit Fahrradmitnahme informiert. Daraufhin entschloss sich die Mutter, die Fahrt im ICE trotzdem fortzusetzen und ließ das Fahrrad – laut ihrer Aussage gegenüber dem Zugpersonal – in eigener Verantwortung auf dem Bahnhof Regensburg zurück.

(…) Auch wenn die DB-Zugbegleiter gemäß den geltenden Richtlinien gehandelt haben, sieht sich die Deutsche Bahn in der Verantwortung für ihre Fahrgäste.

Dementsprechend wurde das Fahrrad von Bahnhofsmitarbeitern in Regensburg sichergestellt und wird jetzt der Familie zusammen mit einem Reisegutschein zur Wiedergutmachung zugestellt. Die Deutsche Bahn bedauert die für die Familie entstandenen Unannehmlichkeiten.

Anders als “Bild” behauptet, ist das Fahrrad also nicht “verschwunden”, sondern in der Obhut der Deutschen Bahn.

Bei Bild.de scheinen sie diese Pressemitteilung allenfalls halbherzig gelesen zu haben:

Die Deutsche Bahn hat die Darstellung des Vorfalls im ICE mittlerweile zurückgewiesen. Nicht das Zugpersonal habe das Fahrrad des Jungen aus dem Zug entfernt, sondern seine Mutter. Sie habe es am Bahnhof Regensburg selbst zurückgelassen, nachdem sie auf das in ICEs geltende Fahradverbor aufmerksam gemacht worden war, heißt es in einer Stellungnahme des Konzerns.

So steht es unter dem heutigen Artikel — einfach nachträglich drangeklatscht, nachdem dieser schon veröffentlicht worden war.

Bild.de wiederholt dort noch einmal die rührseligen und offensichtlich falschen Schilderungen der Zeitung.

Da Mutter und Sohn nicht aussteigen, stellt der Herzlos-Schaffner das Rad auf den Bahnsteig. Traurig sieht der Junge, wie die Türen schließen, der ICE losrollt … Das Rad ist seither verschwunden.

Aber es gibt ja eine gute Nachricht:

Jetzt erhielt Ben Ersatz! Allerdings nicht von der Bahn – sondern von einem empörten Unternehmer aus Mainz, der durch die BILD-Berichterstattung aufmerksam wurde.

Tobias H. (29) schenkte dem Jungen ein neues Bike: “Wenn man sich reinversetzt in einen 7-jährigen Jungen – das trifft einen im Herzen!”

Der kleine Ben hat jetzt also zwei Fahrräder und der gutmütige Unternehmer ist auf die “Bild”-Berichterstattung reingefallen.

Mit Dank an Sven S.

Bild  

Wer stoppt diesen EU-Irrsinn?

Irgendwann wird vielleicht auch der letzte Journalist verstanden haben, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) kein “EU-Gericht” ist.

Heute jedoch nicht:

Denn der EU-Gerichtshof in Straßburg urteilte im Mai 2010, dass alle nachträglich zur Sicherungsverwahrung verurteilten Täter freizulassen sind.

Mit Dank an Moritz, Martin E., Jan C. und Frank Sch.

Schon wieder Milchmädchen verschwunden!

Thomas Hinrichs, zweiter Chefredakteur von “ARD aktuell” hatte uns gestern noch erklärt, wie die “Tagesschau” mit inhaltlichen Fehlern umgeht. Er sagte dazu, dass Fehler natürlich immer passieren können, sich die Redaktion aber natürlich größte Mühe gebe, dass ihr keine unterliefen.

So gesehen hat die Redaktion von “ARD aktuell” offenbar eine Pechsträhne. Denn auch die gestrige Ausgabe der “Tagesthemen” musste im Archiv auf tagesschau.de gekürzt werden:

Hinweis: Der Beitrag "Ratingagentur Moody

Der Beitrag hatte behauptet, die Schuldenobergrenze der USA sei bei “14,3 Milliarden Dollar” erreicht. In Wahrheit liegt die Staatsverschuldung der USA derzeit bei 14,3 Billionen Dollar.

Womöglich wollte da jemand den klassischen Fehler vermeiden, das englische “billion” (Milliarde) mit dem deutschen “Billion” zu übersetzen — und hat dann einfach die deutsche “Billion” mit “Milliarde” “übersetzt”. Im Englischen belaufen sich die Staatsschulden der USA derweil auf “14.3 trillion dollars”.

Mit Dank an Klaus Sch. und Niels.

Interview-Promotion

Selten wurde in der breiten Öffentlichkeit soviel über richtiges Zitieren diskutiert wie heute. Der FDP-Europaabgeordnete Jorgo Chatzimarkakis etwa musste gerade schmerzhaft erfahren, dass Anführungszeichen nicht ganz so bedeutungslos sind, wie ihr Spitzname “Gänsefüßchen” nahelegen könnte; andere prominente Politiker stolperten darüber, dass sie Aussagen anderer in ihren Promotionen als eigene ausgegeben haben.

Im Journalismus ist das alles anders, wie uns “Zeit Online” beweist, wo sich seit gestern folgende, relativ dramatische Überschrift findet:

ZDF-Sportchef: "Der Frauenfußball wird wieder von der Bildfläche verschwinden"

Die Anführungszeichen sind brav an ihrem Platz, und man kann “Zeit Online” auch nicht vorwerfen, sich die Aussagen des ZDF-Sportchefs Dieter Gruschwitz angeeignet zu haben. Eher…

…umgekehrt:

ZEIT ONLINE: Der Frauenfußball wird nach der WM in Deutschland also wieder von der Bildfläche verschwinden? Ihre Bundesligaspiele werden weiterhin wohl nicht im bundesweiten TV zu sehen sein und die Olympia-Qualifikation fürs kommende Jahr haben die Frauen verpasst.

Gruschwitz: Da haben Sie Recht. Schon bei den Olympischen Spielen in Peking 2008 waren die Frauenfußballspiele eine attraktive Programmware für uns. Aber auf dieser großen Bühne werden die deutschen Fußballerinnen in London 2012 nicht vertreten sein. Das Ausmaß des Olympia-Startverlusts wird in seinen vielschichtigen Auswirkungen von einigen noch gar nicht so richtig wahrgenommen.

Mit Dank an Jakob V.

Nachtrag, 17.15 Uhr. Der Interviewer sagt, im Gespräch habe Gruschwitz seine Aussage “Der Frauenfußball wird wieder von der Bildfläche verschwinden” wiederholt und gesagt, dass er sie teile.

Marko Arnautović, Christoph Keese, Busen

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Irgendwas mit Medien: Vermischte Bemerkungen zur Krise des Journalismus”
(novo-argumente.com, Tobias Prüwer)
Tobias Prüwer fasst verschiedene Diskussionen über den Journalismus erhellend zusammen. Zum Beispiel zum iPad: “Mit Erstaunen konnte man feststellen, wie sich seit Anfang des letzten Jahres Journalisten wie Verleger überschlugen mit Prognosen für ein prosperierendes Geschäft dank iPad. Keiner kannte das Gerät, aber die Redaktionen wurden nicht müde, schon vor Erscheinen zu schwärmen und Zukunft zu erträumen, und bei der Präsentation applaudierten Journalisten zuhauf! Das war ja auch zu schön: Man muss nichts ändern, mit Apple-Magie würden schon genug Anwender plötzlich für Publikationen zahlen, die sie in Printform nie erworben hätten. Nun, da das Coffee-Table-Accessoire auf dem Markt ist, scheint diese Euphorie verflogen zu sein.”

2. “Google plant die Super-Datenbank”
(tarzun.de, Klaus Peukert)
Klaus Peukert analysiert Texte mit Schlagzeilen wie “Google plant die Super-Datenbank” (sueddeutsche.de) und “Google will Nutzerprofile direkt verkaufen” (zeit.de, inzwischen geändert).

3. “Alles Lüge!”
(taz.de, Judith Pape)
“Bild” behauptet, es gäbe “konkrete Pläne” von DFB und ARD, Frauenfußball zukünftig in der “Sportschau” am Samstag zu senden. Axel Balkausky, Sportkoordinator der ARD, dementiert: “Alles falsch, ich halte es derzeit für ausgeschlossen, dass wir regelmäßig Spielberichte aus der Frauen-Bundesliga zeigen. Wie bisher werden wir den Frauen-Fußball in den dritten Programmen abbilden.”

4. “Arnautovic vs. Seitenblicke-Magazin”
(derstandard.at, red)
Hat Fußballspieler Marko Arnautović ein Interview geführt mit dem Magazin “Seitenblicke”? Auf seiner Website ist zu lesen: “Marko Arnautovic weist darauf hin, dass er mit keiner österreichischen Zeitung ein Interview geführt hat und die Behauptungen daher vollkommen aus der Luft gegriffen sind.”

5. “Lieber Christoph Keese”
(sixtus.cc)
Mario Sixtus schickt Christoph Keese, Konzerngeschäftsführer Public Affairs bei Axel Springer, eine Rechnung in der Höhe von 1070 Euro, weil dieser in einem Beitrag für sein Blog presseschauder.de die Lizenzbedingung eines von ihm geschossenen Fotos nicht eingehalten hat. Keese hält dagegen den Betrag von 50 Euro angemessen, denn “dies hier ist ein privater Blog mit ein paar hundert Lesern” (in den Kommentaren).

6. “Riesen-Busen steht gutem Journalismus im Weg”
(antimedien.de, Hektor Haarkötter)
Hektor Haarkötter prüft die Schlagzeile “Riesen-Busen rettet Urlauberin vor Ertrinken” (tz-online.de) auf ihren Wahrheitsgehalt.

Vom Umgang mit Verschüttete-Milch-Mädchen

Der Bundesfinanzhof entschied gestern, dass die Kosten für Zivilprozesse zukünftig steuerlich absetzbar sind, wenn die Klage eine Aussicht auf Erfolg hatte. Der Betrag, der steuerlich geltend gemacht werden kann, wird gestaffelt.

Die “Tagesschau”, die in ihrer gestrigen 20-Uhr-Ausgabe über die Entscheidung berichtete, illustrierte diese Staffelung mit diesem Fallbeispiel:

Ein Unverheirateter mit einem Jahreseinkommen von 70.000 Euro (Zivilprozesse werden offenbar vorwiegend von Besserverdienern geführt) müsse 7% selbst tragen, erklärt die Sprecherin. “Also 10.000 Euro.”

Das ist natürlich Quatsch: 7% von 70.000 Euro sind 4.900 Euro.

Das müssen sie auch irgendwann bei der “Tagesschau” bemerkt haben, weswegen die Szene mit der Beispielrechnung aus dem Video auf tagesschau.de einfach herausgeschnitten wurde. Unter dem Videofenster steht der kleine Hinweis:

Hinweis: Der Beitrag zur Meldung “Urteil zu Zivilklagen” wurde korrigiert.

Die Sendung auf tagesschau.de ist deshalb 27 Sekunden kürzer als die im Fernsehen ausgestrahlte Fassung, die aber noch bei YouTube zu sehen ist. Inklusive der falschen Rechnung:

Thomas Hinrichs, zweiter Chefredakteur von “ARD aktuell” sagte uns auf Anfrage, die Redaktion befinde sich in solchen Fällen in einem Dilemma: Einerseits sollten die Beiträge im Archiv auf tagesschau.de fehlerfrei sein, andererseits sei es bei Videos sehr viel schwieriger als bei Texten, Fehler so transparent zu korrigieren, wie es die Redaktion selbst wolle. Da das “Tagesschau”-Archiv als historisches Dokument keine Fehler enthalten solle, habe man sich deshalb für die Praxis entschieden, den Fehler herauszuschneiden, und mit einem schriftlichen Hinweis auf die Bearbeitung hinzuweisen.

Mit Dank an Nils, Stefan, Sebastian L., Clemens B. und Alexander B.

Nachtrag, 20.10 Uhr: Die “Tagesschau” hat die gestrige Sendung aus ihrem YouTube-Kanal entfernt.

Wer die fehlerhafte Stelle noch einmal als Video sehen will, kann das hier tun:

Rechtsstaat, Weekly World News, Buschi

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Bild gegen ARD: Abwehrbereit”
(berlinonline.de)
Nach Informationen der “Berliner Zeitung” “sollen die Intendanten der ARD auf ihrer Sitzung am 27. und 28. Juni in Würzburg beschlossen haben, eine virtuelle Medienredaktion einzurichten”: “Sie hat die Aufgabe, Sendungen und Beiträge vorzubereiten, die sich mit dem Boulevardjournalismus in Deutschland beschäftigen, konkret: mit Bild.”

2. “Der Rotz, der unser Leben lebenswert macht”
(lawblog.de, Udo Vetter)
In einem Blogbeitrag schreibt Nadine Lantzsch, dass “Geschlechterstereotypen und Verharmlosungen sexistischer Verhältnisse” dazu führen, “dass Wichser wie Strauss-Kahn trotz relativ eindeutiger Beweislage wohl am Ende freigesprochen werden”. Udo Vetter erinnert an die Vorteile des Rechtsstaats: “Der Gegensatz zum Rechtsstaat ist der Willkürstaat. Im Willkürstaat gibt es möglicherweise auch Regeln. Diese werden aber von denen, die das Sagen haben, außer Kraft gesetzt. Und zwar immer dann, wenn ihnen die Regeln gerade mal nicht in den Kram passen. Zum Beispiel dann, wenn sich das erhoffte Ergebnis nicht erreichen lässt.” Siehe dazu auch die Stellungnahme der Autorin.

3. “Die Wortmächtigen”
(taz.de, Dominic Johnson)
Dominic Johnson beschreibt die Nähe zwischen den politischen und den journalistischen Eliten in Großbritannien. “Dass Pressebarone sich durch gefällige Berichterstattung politische Vorteile erkaufen, ist so alt wie die Presse. Aber heutzutage scheint es eher andersherum zu laufen: Nicht die Journalisten betteln bei der Politik, sondern die Politiker bei den Journalisten, deren Fähigkeit zur Steuerung der öffentlichen Meinung als viel zu kostbar empfunden wird, um damit bloß Zeitungsauflagen zu steigern.”

4. “Die unglaubliche Geschichte”
(einestages.spiegel.de, Danny Kringiel)
“Weekly World News” war eine Boulevardzeitung, die aus vielen ersponnenen Texten bestand, zwischen die, “um eine gewisse Glaubwürdigkeit zu schaffen”, Berichte über wahre Begebenheiten gepackt wurden. “Denn obwohl die ‘Weekly World News’ zum Kultblatt vieler Studenten avancierte, die sie als Satire lasen, bestand der Kern der Käufer aus einfachen Arbeitern, die wirklich an Außerirdische, Geister und Dämonen glauben wollten.”

5. “Fernsehteam entschuldigt sich bei Osnabrücker Zooaffen Buschi”
(noz.de, Cornelia Laufer)
“Galileo Big Pictures” erklärt einen Orang-Utan aus dem Zoo Osnabrück für tot und entschuldigt sich darauf mit einer Autogrammkarte. “Ein Recherchefehler hatte übrigens das Missverständnis verursacht: Im Stuttgarter Zoo Wilhelma war im Frühjahr ein Orang-Utan verstorben – und der hieß auch Buschi.”

6. Interview mit Antje Schendel
(swr.de, Audio, Petra Zundel, Audio, 26:48 Minuten)
Das ehemalige Model Antje Schendel ist nun Tatortreinigerin. Sie räumt auf, wenn die Leichen weg und die Spuren gesichert sind, zum Beispiel nach dem Amoklauf von Winnenden.

Haarte Zeiten für Wayne Rooney

Es gibt Geschichten, die schreiben sich fast von alleine. Die Sache mit Wayne Rooney, dem britischen Fußballspieler, der sich vor sechs Wochen Haare transplantieren ließ, aber heute scheinbar mehr Glatze hat als vorher, ist so eine Geschichte. Es brauchte nur eines Fotos, auf dem man einen klaren Blick auf die aktuellen Haarverhältnisse auf Rooneys Schädel werfen konnte, und keiner Recherche. Boulevardmedien in aller Welt, von Bild.de über die “Sun” bis “Spiegel Online”, machen sich mit unverhohlener Häme über den scheinbaren Misserfolg der Operation lustig.

“Trotz Moos nix los”, feixt “Spiegel Online”, wo sich offenbar schlecht bezahlte Mitarbeiter damit trösten, dass man sich mit Geld doch nicht alles kaufen kann: “Fußballstar Wayne Rooney hat Tausende Pfund in eine Haartransplantation investiert. Die Resultate sind äußerst spärlich.” Zunehmend müsse sich Rooney “eingestehen, dass die Transplantation wohl wenig bis gar nichts gebracht hat”.

Die Konkurrenz von Bild.de titelt: “Bei Rooney wächst kein Gras mehr…”, zweifelt am “langfristigen Erfolg der Behandlung” und meint, Rooney hätte die 11.000 Euro, die die Umpflanzung der Haare angeblich gekostet hat, besser für einen “schönen Urlaub” ausgegeben: “Mit Sonnencrème für die Glatze…”.

Die Online-Redaktion der “Rheinischen Post” diagnostiziert: “Transplantation ohne Wirkung”. Grundlage dafür ist ein Bericht des Sport-Informationsdienstes, dessen Haar-Experten heute meldeten: “Wayne Rooney (25), englischer Fußball-Nationalspieler in Diensten von Manchester United, muss sich wohl mit dem Gedanken an eine Glatze abfinden.”

In einem Wort: nein.

Vermutlich wird Rooney sogar damit gerechnet haben, zum jetzigen Zeitpunkt weniger Haare zu haben als vor dem Eingriff. Die Leute, die solche Transplantationen anbieten oder vermitteln, weisen nämlich ausdrücklich auf folgenden Umstand hin: Einige Wochen nach der Operation fallen die meisten verpflanzten Haare (und teilweise sogar einige alte Haare) zunächst einmal aus. Die Wurzeln bleiben aber erhalten. Erst nach etwa drei bis vier Monaten beginnt das neue Haar zu wachsen; abgeschlossen ist das alles nach rund einem Jahr.

Was hätte das für eine nette Geschichte werden können, wenn man das aufgeschrieben hätte: Ein Lehrstück an einem prominenten Beispiel, mit weniger Häme über den doofen reichen haarlosen Fußballspieler, aber voller Hoffnung für Menschen, die an Haarausfall leiden. Es hätte halt jemand recherchieren müssen, anstatt bloß auf- und abzuschreiben, was jeder sieht und sich (fälschlicherweise) denkt, aber wer sollte das tun? Journalisten?

Mit Dank an Andreas K.!

So ‘n Bart

“Bild”-Reporter möchte man auch nicht sein. Offenbar ist der Beruf nämlich mit der Gefahr verbunden, Dinge erzählt zu bekommen, die man nun wirklich nicht wissen wollte:

Schauspieler-Gattin Mirja du Mont (35) erzählt jetzt in BILD: “Mein Sky muss sich untenrum rasieren.”

Und Frau du Mont war offensichtlich in Plauderlaune:

Während ER aktuell für das Musical “Rocky Horror Show” auf der Bühne steht, verrät SIE: “Es ist einfach viel schöner, den Intimbereich zu stutzen oder ganz abzurasieren, anstatt so einen Busch da stehen zu haben. Das mögen die Männer bei uns Frauen ja auch nicht.”

Andererseits ist natürlich Sommer, in der Welt passiert sonst nicht viel und irgendwas mit Sex geht immer. Und so drehte Bild.de das Thema einfach weiter und verriet, wie “man(n) Intimhaare los” wird, und Welche Promis untenrum nichts tragen”.

Natürlich hat Bild.de auch eine (sprachlich etwas überraschende) Abstimmung durchgeführt:

Wie ist Ihre Meinung zur Intimrasur? Gut gestutzt 85% Wildwuchs 15%

Nach nur wenigen Tagen kann Bild.de auf der Startseite behaupten, dass “plötzlich” “alle” über Intimrasuren redeten.

Im konkreten Fall reden Leute, die Bild.de auf der Straße befragt hat.

Zum Beispiel er hier:

Und sie:

Und sie:

Das Thema sei “ein Dauerbrenner” sagt die Off-Sprecherin — und das ist sicher nicht von der Hand zu weisen.

Erst vor drei Monaten hatte Bild.de über den “sexy Frühlings-Trend Intimrasur” berichtet und dazu Menschen auf der Straße befragt.

Zum Beispiel ihn hier:

Und sie:

Und sie:

Für die “aktuelle” Umfrage hat Bild.de einfach die alte Umfrage genommen und mit einem neuen Anfang (Mirja du Mont auf einem roten Teppich) versehen.

Das Video vom April 2011 endete seltsamerweise mit dieser Jahreszahl:

Wobei: So seltsam ist das dann doch nicht. Bild.de verwendet den alten Beitrag tatsächlich seit zwei Jahren — etwa am 17. Juli 2009, am 22. Juli 2009, am 8. September 2009 und am 11. Dezember 2009 (die Liste ist womöglich unvollständig).

Nur am 21. Oktober 2009 hatte Bild.de versehentlich eine ganz andere Umfrage im Programm.

Mit Dank an Clemens W. und Philipp T.

Süddeutsche Zeitung, ORF, Feuchtgebiete

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Versicherungs-PR in der Süddeutschen”
(nachdenkseiten.de, Jens Berger)
Jens Berger liest in der “Süddeutschen Zeitung” einen Beitrag über die Berufsunfähigkeits-versicherung und fragt sich, “warum die SZ einen derart unkritischen PR-Artikel im redaktionellen Teil veröffentlicht”. “Im schlimmsten Fall handelt es sich hierbei um ein sogenanntes ‘Advertorial’, also einer Mischung aus Werbung und redaktionellem Inhalt, für den ein Kunde gezahlt hat. Im besten Fall versucht die SZ ‘lediglich’ das zu erreichen, was in den Hochglanzprospekten für potentielle Anzeigenkunden gerne als ‘werbefreundliches Umfeld’ beschrieben wird.”

2. “ORF verpasst sich Verhaltenskodex und Ethikrat”
(redakteur.cc, Elmar Leimgruber)
Der ORF führt einen “Verhaltenskodex für journalistische Tätigkeit bei der Gestaltung des Inhalteangebots” (PDF-Datei) ein.

3. “How to Correct Social Media Errors”
(pbs.org, Nathan Gibbs, englisch)
Nathan Gibbs erklärt, wie man Fehler in Sozialen Netzwerken wie Twitter, Facebook oder Google+ korrigiert: “Capture the error. Publicly acknowledge the error. Reference the error in the correction. Notify those who shared the error. Repeat the correction.”

4. “Have No Fear, England’s Here”
(thedailyshow.com, Video, 7:48 Minuten)
Jon Stewart und John Oliver fassen nochmals zusammen, was zur Einstellung von “News of the World” geführt hat.

5. “Bestseller mit Ansage”
(zeit.de, Ursula März)
Ursula März blickt zurück auf den “Ultrabestseller” “Feuchtgebiete”: “Der eigentliche Zündfunke für die Erfolgsgeschichte des Buches lag in der Synergie von Internet, Talkshow-Auftritten der Autorin, Interviews in Magazinen wie Spiegel oder Playboy. Das bürgerliche Feuilleton, auch das zeigt der Rückblick, spielte eine eher untergeordnete Rolle. Anders gesagt: Die Feuchtgebiete machten nicht nur die Hämorrhoiden der Ich-Erzählerin Helen Memel anschaulich, sondern auch den Strukturwandel der literarischen Öffentlichkeit und des Buchmarkts.”

6. “Männer und Technik”
(dasnuf.de)
“Männer haben nicht mehr Ahnung von Technik. Sie haben eventuell mehr Erfahrung, mehr Geduld u./o. Interesse. Sie trauen sich mehr, machen vorher Backups und wissen wie man den Ursprungszustand wiederherstellt. Und ganz wichtig: Sie sagen nicht andauernd: ‘Oh nein, wie dumm von mir’ oder ‘Hups! Ich hab gar nichts gemacht, aber jetzt ist alles kaputt.'”

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