Bild  

Ganz schlimmer Finger

Mit Gefahren wie etwa politischem Extremismus, ist es so eine Sache: Man darf sie nicht unterschätzen, aber man darf sie auch nicht übertreiben, sonst glaubt einem irgendwann keiner mehr.

Überraschenderweise gibt es immer noch genug Menschen, die “Bild” glauben. Zum Beispiel, als die Zeitung vor einigen Monaten behauptete, dass das Keltenmuseum am Glauberg Neonazis als Wachleute beschäftigt. Obwohl dieser zumindest zweifelhafte Vorwurf nie wirklich belegt werden konnte, kostete dieser “Neonazi-Skandal” die verantwortliche Wachfirma letztlich den Auftrag und die Museumsleiterin wurde versetzt (BILDblog berichtete).

Auch in einem aktuellen Fall aus Dresden wurde deutlich, wie sich die Politik immer wieder von sensationsheischenden Berichten treiben lässt. In ihrer Regionalausgabe berichtete “Bild” am 29. September:

In öffentlichen Räumen, finanziert vom Steuerzahler: Linksradikale trainieren an Dresdner Uni!

Der “Bild”-Reporter Andreas Harlaß schäumt förmlich angesichts der geplanten Aktivierungskonferenz des Dresdener Bündnisses “Nazifrei”, in dessen Rahmen “Workshops zu Themen wie Bürgerrechten, Antirepressionsarbeit, rechtlichen Hintergründen von Blockaden, aktivem Protest gegen Nazis und Umgang mit dem Gedenken in Dresden angeboten” (Eigendarstellung) angeboten werden:

Unsere Dresdner TU hat einen handfesten Skandal! Denn am 7. und 8. Oktober soll im Hörsaalzentrum ein sogenannter Workshop stattfinden, bei dem Linksextremisten massive Gewalt gegen Polizisten trainieren. Ganz öffentlich!

Für die Veranstaltung wurde auch ein Werbeprospekt gedruckt. Unter der Überschrift “Nazifrei – Dresden stellt sich quer” wird u.a. für ein Blockadetraining geworben.

Nur: Die angebliche “massive Gewalt” der angeblichen “Linksradikalen”, zu denen auch Vertreter der Gewerkschaften und Kirchen gehören, musste Harlaß mit aller Macht selbst herbeischreiben, denn der Flyer gibt sie beim besten Willen nicht her:

In diesem Workshop wird gelehrt, wie bei Demonstrationen “Polizeisperren umgangen oder durchflossen (durchbrochen, d. Red.) werden”. (…)

Oder man lernt an der Uni, “wie ein Finger funktioniert”. So nennen Linksextremisten Handzeichen, mit denen der Mob dirigiert wird. Denn in der Chaoten-Szene gibt es dafür viele geheime Regeln. (…)

Zwar suggeriert der redaktionelle Einschub (“durchbrochen”) den Einsatz von Gewalt, doch in Wirklichkeit handelt es sich bei dem von “Bild” angesprochenen “Finger” um die “Fünf-Finger-Taktik”. Und die ist – und das ist entscheidend – ein gewaltfreies Konzept zum Umgehen von Polizeiabsperrungen. Dazu spaltet sich eine große Gruppe in – meist fünf – kleinere Gruppen auf, die Polizeisperren dann einfach umgehen bzw. umfließen.

Mathias Winkler von der Deutschen Polizeigewerkschaft kommentierte die von “Bild” behaupteten Gewalttaten entsprechend so:

Richtig wütend reagiert Mathias Winkler (48) von der Deutschen Polizeigewerkschaft: “Das ist Vorbereitung einer Straftat. Es gilt zu prüfen, ob es in diesem Fall nicht auch bandenmäßig geschieht. Die Verantwortlichen sollten mal im Strafgesetzbuch blättern. Ein Skandal, dass so etwas in öffentlichen Gebäuden stattfindet.”

Kaum zu glauben, dass Winkler über dieselbe Veranstaltung spricht wie der Student Daniel Rehda in der “Leipziger Volkszeitung”:

Im Workshop sollte es darum gehen, was man dazu mitnehmen muss und wie man erfolgreiche Blockaden organisiert. “Die Formulierung war unschön, sie hat den eigentlichen Inhalt verfehlt”, begründete Daniel Rehda vom Studentenrat der TU, dass dieses Training nicht von vornherein aus dem Programm gestrichen worden ist. “Es geht weniger darum, Teilnehmer auf Straftaten vorzubereiten, es geht um Besonnenheit und darum, sie vor Gefahren zu schützen”, erklärte Rehda den Workshop.

Was auf den “Bild”-Bericht folgte, ist erschreckend. Der Dresdner Innenminister Markus Ulbig (CDU) ließ sich nur einen Tag später gegenüber “Bild” (“Innenminister warnt vor getarnten Radikalen!”) zu dieser Behauptung hinreißen:

“Mit dieser Aktion zeigen die Leute von ‘dresden nazifrei’ ihr wahres Gesicht. Das sind keine friedlichen Demonstranten. Sie wollen Gewalt. Gewalt gegen die Polizei und damit Gewalt gegen die Gesellschaft. Also gegen uns alle. Wer das Durchbrechen von Polizeiketten übt, ist kein Demokrat.”

Ähnlich hysterisch und scheinbar ohne genauere Kenntnis der Sachlage äußerte sich ein weiterer Politiker:

Auch Sachsens FDP-Chef Holger Zastrow (42) warnt nun vor Aktivitäten der getarnten Linksextremisten: “Die Veranstaltung an der TU enthüllt die wahren, demokratiefeindlichen Absichten und die extremistische Gesinnung der Veranstalter. Hier wird offenkundig beraten, wie man den Staat selbst angreift und wie man Straftaten begeht.”

Wen wundert es da noch, dass die TU Dresden den Workshop nur einen Tag nach dem “Bild”-Bericht verboten hat?

Und so konnte sich jemand freuen, dessen demokratiefeindliche Absichten und extremistische Gesinnung einigermaßen offensichtlich ist. Die NPD schrieb auf ihrer Internetseite:

Kurz nach der Stellungnahme des NPD-Abgeordneten Andreas Storr wurde bekannt, daß das Blockadetraining abgesagt wurde. Der innenpolitische Sprecher der Nationaldemokraten begrüßte das schnelle Handeln der parteilosen Wissenschaftsministerin von Schorlemer.

Mit Dank an Vincent M. und Torben I.

Nachtrag/Korrektur, 10. Oktober: Eine Pressesprecherin der TU Dresden hat uns darauf hingewiesen, “dass nicht die TU Dresden einen Workshop verboten, sondern der Stura (Studentenrat) als Veranstalter der Aktivierungskonferenz selbigen abgesagt hat.”

AppleInsider, Amanda Knox, Temporärjobs

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Deutsche Zeitungen stehen kaum noch online”
(perlentaucher.de, Thierry Chervel)
“Könnte es sein, dass die Zeitungen systematisch versuchen, die Leser aus dem Netz zu holen?”, fragt Thierry Chervel, der beobachtet, dass sich deutsche Zeitungen aus dem freien Netz in die geschlossene Welt der Apps zurückziehen: “Bestimmte Eigenschaften, die das Netz so faszinierend machen, drohen dort wieder zu verkümmen: die Offenheit, das Kooperative, die Diskussionkultur, die Verweisstruktur der Links und Empfehlungen.”

2. “Der Mann, der Apple wurmt”
(spiegel.de, Kirsten Rulf)
Ein Besuch bei “Gerüchte-Blogger” Josh Ong von appleinsider.com: “Ong berichtet von Hedgefonds, die Bloggern wie ihm selbst über Mittelsmänner hohe Summen anbieten. Sie sollen im Gegenzug ihr Wissen über Apple nicht veröffentlichen, sondern an Investoren verkaufen – so Ongs Darstellung. Er habe solchen Verlockungen nie nachgegeben.” Siehe dazu auch: “From media reports and previews, you’d think there’s an iPhone 5. There isn’t.” (regrettheerror.com, englisch).

3. “Daily Mail jumps gun on ‘Amanda Knox guilty’ story”
(malcolmcoles.co.uk, englisch)
Der Kampf um den ersten Artikel zur Gerichtsverhandlung im Mordfall Meredith Kercher: “At the sound of the word ‘guilty’, they hit publish on a story about her appeal being rejected that includes reactions from the family and prosecutors being delighted – reactions that can’t have happened as she was found NOT guilty of murder.”

4. “‘Bild’-Zeitung hilft dem Innenminister bei der Extremistenjagd”
(l-iz.de, Ralf Julke)
Ralf Julke schreibt über den Artikel “Innenminister warnt vor getarnten Radikalen!” der Dresdner Regionalausgabe von “Bild”.

5. “Unnecessary Journalism Phrases”
(unnecessaryjournalismphrases.tumblr.com, englisch)
“This blog was created to showcase linguistic crutches journalists employ. Each entry looks at a particular phrase, an unnecessary one, if you will, and links to the offending article.”

6. “Wirtschaftsflüchtling Vera Schulz – Aus Deutschland in die Schweiz vertrieben”
(videoportal.sf.tv, Video, 22:27 Minuten)
“Irgendetwas läuft falsch in diesem Deutschland, das sich als Exportweltmeister feiern lässt, dessen Wirtschaftszahlen gar nicht so schlecht sind. Doch viele der neuen Arbeitsplätze sind nur Leiharbeitstellen – mies bezahlte Temporärjobs.”

Kochrezepte für den Suizid

Journalisten scheinen ziemlich morbide Menschen zu sein. Jedenfalls gibt es kaum ein Thema, an dem sie sich so sehr weiden können, wie an Selbsttötungen anderer Menschen. Da wird gezeigt, wie es aussieht, wenn eine Frau an den Ort kommt, an dem sich ihr Mann gerade das Leben genommen hat; da wird den jugendlichen Lesern erzählt, wie es (mutmaßlich) war, als sich eine 15-Jährige erhängte, “weil sie zu hübsch war”, und da wird generell alles getan, um Nachahmungstaten anzustacheln, die eine öffentliche Zurschaustellung von Selbstmorden erwiesenermaßen nach sich zieht.

Doch die echte Gefahr lauert nicht bei verantwortungslosen Journalisten in Fernseh- und Zeitungsredaktionen, die echte Gefahr lauert – natürlich – im Internet. Dort gibt es “ein Problem, bei dem staatliche Kontrolle an ihre Grenzen stößt”, wie die “Spiegel TV”-Moderatorin Maria Gresz im ihr eigenen staatstragenden Domina-Tonfall erklärt. In zahlreichen Selbstmordforen würden Ratschläge angeboten, “die in ihrer Ausführlichkeit an Bedienungsanleitungen erinnern”.

Vorwand für den nun folgenden Beitrag ist die Geschichte dreier junger Frauen, die sich über das Internet kennengelernt und zum gemeinsamen Suizid verabredet hatten. Der Fall in Niedersachsen hatte bundesweit für Schlagzeilen gesorgt — auch, weil die Polizei “ungewöhnlich ausführlich” über die Selbsttötungen informiert hatte, wie das NDR-Medienmagazin “Zapp” im August berichtet hatte.

Nun also “Spiegel TV”. Das RTL-Boulevardmagazin, produziert von der TV-Tochter des Nachrichtenmagazins “Der Spiegel”, hat die Mutter von Stefanie besucht, einem der drei Mädchen. “Spiegel TV” zeigt Bilder von der Trauerfeier, Bilder von der Stelle im Wald, an der sich die Drei töteten, und Bilder von der Mutter, die bei der Polizei abholen “darf”, “was ihre Tochter am Todestag bei sich trug”. Die Frau schüttelt den Kopf und murmelt, es seien so viele Fragen offen. “Welche”, fragt die Reporterin von außerhalb des Bildes und dann formuliert diese um Fassung ringende Frau ihre offenen Fragen für die Reporter und Zuschauer von “Spiegel TV” noch einmal aus: “Warum? Einfach nur warum?”

Eine ehemalige Mitschülerin zeigt den Reportern ein Kinderfoto von Stefanie — dabei haben die bei der Mutter doch längst eine viel ergiebigere Quelle aufgetan: Vor laufender Kamera blättert die Mutter in Stefanies Tagebuch, aus dem die Off-Sprecherin dann die vermeintlich todessehnsüchtigsten Sätze der damals 14-Jährigen zitiert, begleitet von dramatischer Musik.

Und dann zeigt “Spiegel TV”, wo man sich diese “Ratschläge, die in ihrer Ausführlichkeit an Bedienungsanleitungen erinnern”, holen kann:

Nur noch mal zum Mitdenken: Da gibt es also ein Forum, in dem ungehindert über die besten Methoden diskutiert wird, um aus dem Leben zu scheiden, und “Spiegel TV” hält es für eine Spitzenidee, dieses Forum mit bildschirmfüllender Internetadresse vor 2,3 Millionen Fernsehzuschauern nachgerade zu bewerben.

Man muss wohl Mitarbeiter von “Spiegel TV” sein, um dann folgende Überleitung zu ersinnen oder zu verstehen: “Ein ähnliches Internetforum betreibt auch Rebekka von Fintel. Diskussionen über Suizidmethoden sind hier jedoch verboten — wer konkrete Pläne äußert, wird sofort kontaktiert.”

Doch zurück zum Internetforum, in dem “Selbstmordmethoden aller Art” diskutiert werden, “wie andernorts Kochrezepte”:

Die Off-Sprecherin erklärt: “Ein perfider Plan, den Stefanie tatsächlich umsetzt: Sie kauft sich ein Zelt, baut es probehalber in ihrem Zimmer auf und macht ein Foto davon.” Und weil es dieses Foto gibt, muss “Spiegel TV” es natürlich zeigen.

Die Familie des zweiten Opfers war offensichtlich nicht so kooperationsbereit wie die von Stefanie. Macht nichts, dann zeigt “Spiegel TV” halt ein anonymisiertes Foto und filmt ein bisschen auf Facebook herum.

Der Taxifahrer, der die drei Mädchen in dem Glauben gefahren hatte, dass sie Zelten wollten, erzählt, den Dreien seien ihre Pläne nicht anzumerken gewesen. “Spiegel TV” zeigt ein paar Bäume und nennt den Namen der Ortschaft, zu dem der Wald gehört, in dem die Mädchen “die Anleitungen aus dem Internet” “minutiös ausgeführt” haben. Wie minutiös, das erklärt ein Polizist noch einmal minutiös. Wie andernorts Kochrezepte halt.

Mit melodramatischer Musik und den Worten, den Angehörigen bleibe nur die Trauer und absolute Ratlosigkeit, endet der Beitrag. Maria Gresz kommt wieder ins Bild und sagt:

Gegen den Betreiber der Seite […] können deutsche Behörden übrigens nur schwer vorgehen, eben weil er seinen Sitz auf den Bahamas, sprich: im Ausland, hat.

Ihr nächster Satz, im gleichen Atemzug, lautet dann:

Von einem vollkommenen Kontrollverlust könnte man mittlerweile auch bei den russischen Autofahrern sprechen.

Es steht zu befürchten, dass das “auch”, auch wenn es sonst überhaupt keinen Sinn ergibt, nicht selbstkritisch gemeint ist.
 

Wie Medien über Suizide berichten sollten, um Nachahmungstaten zu vermeiden:

  • Sie sollten jede Bewertung von Suiziden als heroisch, romantisch oder tragisch vermeiden, um möglichen Nachahmern keine post-mortalen Gratifikationen in Form von Anerkennung, Verehrung oder Mitleid in Aussicht zu stellen.
  • Sie sollten weder den Namen der Suizidenten noch sein Alter und sein Geschlecht angeben, um eine Zielgruppen-Identifizierung auszuschließen.
  • Sie sollten die Suizidmethode und – besonders bei spektakulären Fällen – den Ort des Suizides nicht erwähnen, um die konkrete Imitation unmöglich zu machen.
  • Sie sollten vor allem keine Informationen über die Motivation, die äußeren und inneren Ursachen des Suizides andeuten, um so jede Identifikations-Möglichkeit und Motivations-Brücke mit den entsprechenden Lebensumständen und Problemen des Suizidenten vermeiden.

(Quelle: psychosoziale-gesundheit.net)

Mit Dank an Kai H.

Bild  

Der letzte Blondikaner

Es spricht für die eigene geistige Gesundheit, wenn man nicht ganz versteht, warum “Bild” ausgerechnet zum 21. Jahrestag der Deutschen Einheit ein “Zukunfts-Special” darüber bringt, wie die Welt in 20 Jahren aussehen wird (“Ein Putz-Roboter macht unsere Hausarbeit”, “Fährt die Formel 1 bald elektrisch?”).

Franz Josef Wagner plagen in seiner “Post” an das “Liebe Jahr 2031” ganz andere Sorgen:

abgesehen davon, dass es in 20 Jahren kaum noch echte Blondinen gibt, wird sich die Welt nicht groß verändern. (…)

Natürlich ist es ein Verlust, wenn die Blondinen aussterben, “weil die Erbanlagen für dunkle Haare das blonde Haar dominieren” (so der Genetikforscher Prof. Steve Jones von der Universität London).

Welche Verluste, außer den Blondinen (blondes have more fun), werden wir in 20 Jahren spüren? (…)

2031 wird es im Winter schneien, der Mond wird aufgehen, die Sterne werden funkeln.

Ein 17-Jähriger wird eine chemisch gefärbte Blondine küssen.

Wagners Horrorvision einer Zukunft ohne Blondinen ist so befremdlich wie unbegründet. Zwar ist es korrekt, dass das “Blond-Gen” (oder besser Allel) rezessiv ist und sich daher in der Regel nicht durchsetzt, was zu einem (leichten und langsamen) Rückgang der Anzahl an (phänotypisch) blonden Menschen führen wird. Da das rezessive Gen aber auch in Nicht-Blonden schlummert und sogar dazu führen kann, dass zwei Nicht-Blonde blonde Kinder bekommen, ist ein Aussterben nahezu unmöglich.

Überhaupt ist das Aussterben der blonden Haarfarbe eine gut gepflegte Urbane Legende, die es sogar zu einem eigenen Eintrag in der englischen Wikipedia gebracht hat. Dort heißt es:

Bei dem verschwindenden Blond-Gen handelt es sich um eine pseudowissenschaftliche Behauptung, die seit 1865 immer wieder durch die Medien geistert. (…)

Die Behauptung basiert auf einer Fehlinterpretation von Rezessivität in der Genetik. In Wirklichkeit ist es unwahrscheinlich, dass blonde Haarfarbe ausstirbt (…).
(Übersetzung von uns.)

Dabei ist noch gar nicht berücksichtigt, dass 20 Jahre evolutionsbiologisch ohnehin eine lächerlich kurze Zeitspanne sind.

Jeder, der im Jahr 2031 in den Archiven der bis dahin längst eingestellten “Bild”-Zeitung wühlt, wird nur ein Kopfschütteln für die Sorgen von Wagner übrig haben — mit wallendem blonden Haar versteht sich.

Wissenschaftsverlage, Urban Priol, RTL

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Dagegen ist Murdoch ein Sozialist”
(freitag.de, George Monbiot)
George Monbiot über die monopolistischen Praktiken der Wissenschaftsverlage: “Zuerst wird eine öffentliche Ressource monopolisiert, um ihre Nutzung dann mit exorbitanten Gebühren zu belegen. Ein anderer Begriff für diese Praxis wäre ökonomischer Parasitismus. Um an Wissen zu gelangen, dessen Enstehung bereits bezahlt wurde, müssen Lehen an die Gutsherrn entrichtet werden.”

2. “Der Fips Asmussen von Phnom Penh”
(farorientalism.blogspot.com)
Wie sich “Die Wochenshow” und Urban Priol über den Bundesvorsitzenden der FDP, Philipp Rösler, lustig machen.

3. “Antwort auf RTL”
(fernsehkritik.tv)
Die Pressestelle von RTL reagiert auf den Beitrag von Fernsehkritik.tv zur Sendung “Die Super Nanny”, Holger Kreymeier antwortet.

4. “Talkshow-Berater”
(sprengsatz.de, Michael Spreng)
“Wenn Politiker und Wirtschaftsführer in Talkshows gehen, dann kommen sie nicht allein.”

5. “Das wahre Leben im Netz”
(faz.net, Stefan Niggemeier)
Stefan Niggemeier denkt nach über die Echtheit von Beziehungen im Netz: “Unser Diskurs über das Internet wird von der Prämisse geprägt: Offline-Beziehungen seien richtige Beziehungen; Online-Gespräche seien keine richtigen Gespräche. Es ist, als würden im Internet die Computer miteinander kommunizieren, nicht die Menschen, die sie bedienen.”

6. “Mickey Mouse-Abhängigkeit”
(dasnuf.de)
Fahrradfahrsucht und die Droge “Mickey Mouse”.

B.Z.  

Konkordanzdenken

So richtig überraschend ist es nicht, wenn “Berlins legendäre Bürgermeister” auf die Frage …

A 100: Soll das Volk gefragt werden?

… die gleiche Antwort haben:

Nein. Nein.

Eberhard Diepgen legt sich bei der Ablehnung der Frage, ob die Weiterführung der Bundesautobahn 100 vom Volk entschieden werden soll, mächtig ins Zeug. Sogar die Schweiz, die ihren Bürgern seit über 100 Jahren Volksrechte zugesteht und doch nicht kollabiert, dient ihm als negatives Beispiel:

Volksabstimmungen können nur eine sachlich begrenzte Ergänzung der Formen parlamentarischer Demokratie sein. Je mehr Volksabstimmungen, desto mehr werden Regierungen nur noch zu ausführender (bürokratischer) Verwaltung. Deswegen gibt es in der Schweiz verfassungsrechtlich festgeschriebene Allparteienregierungen und nicht unser gewohntes Gegeneinander von Regierung und Opposition.

Tatsächlich sind Volksabstimmungen “eine sachlich begrenzte Ergänzung der Formen parlamentarischer Demokratie”. Die Konkordanzdemokratie, also die von den wichtigsten gewählten Parteien gemeinsam übernommene Regierungsverantwortung, ist seit vielen Jahren in der Schweiz Tatsache, siehe dazu die Sitzverteilung im Bundesrat, der “obersten leitenden und vollziehenden Behörde des Bundes”, wie es in der Bundesverfassung heißt.

Anders als Diepgen behauptet, ist die Konkordanzdemokratie (“Allparteienregierung”) allerdings nicht in der Verfassung festgeschrieben. Dieser aus freien Stücken eingegangene Konsens kann sich jederzeit wieder zur Konkurrenzdemokratie wandeln.

Ups, verliehen

Dieses lange Wochenende dürfte bei Medienwissenschaftlern und in etlichen Redaktionsstuben noch für Gesprächsstoff sorgen. Zum einen wird darüber zu diskutieren sein, ob ein Festakt, bei dem die Höhepunkte des letzten Fernsehjahres ausgezeichnet werden sollen, tatsächlich mit 24-stündiger Verspätung ausgestrahlt werden muss — ganz so, als bräuchte RTL so lange, um aus der Verleihung des deutschen Fernsehpreises eine ansehnliche Sendung zu schneiden.

Zum anderen wird man auch (wieder einmal) darüber sprechen müssen, ob das Konzept der “Sperrfrist”, das entwickelt wurde, damit Printmedien am Morgen über Preisträger berichten können, die erst am späten Abend gekürt wurden, im Zeitalter von automatisierten Online-Tickern nicht doch ein bisschen antiquiert wirkt:

Eil +++ Bitte verwenden Sie die Meldung zum Deutschen Fernsehpreis nicht rpt nicht vor Ablauf der Sperrfrist. Die Meldung hat Sperrfrist 3. Oktober 2300. Fernsehpreis für Nina Kunzendorf und Jörg Hartmann = Köln (dpa) - Nina Kunzendorf und Jörg Hartmann sind Deutschlands beste Schauspieler 2011. Sie wurden für ihre Leistungen am Abend in Köln mit dem Deutschen Fernsehpreis bedacht. Die 39-Jährige erhielt die Trophäe für ihre Rolle im ARD-Drama "In aller Stille". Darin spielt sie eine Polizistin spielt, die zunächst wie gewohnt ihre Tochter in den Kindergarten bringt und dann einen dramatischen Tag erlebt. Der 42-jährige Hartmann bekam den Preis für seinen Auftritt in der ARD-Serie "Weissensee" als Stasi-Major Falk Kupfer. Den Publikumspreis erhielt als bester Entertainer Stefan Raab.

Eil +++ Bitte verwenden Sie die Meldung zum Deutschen Fernsehpreis nicht rpt nicht vor Ablauf der Sperrfrist. Die Meldung hat Sperrfrist 3. Oktober 2300. Fernsehpreis für Nina Kunzendorf und Jörg Hartmann = Köln (dpa) - Nina Kunzendorf und Jörg Hartmann sind Deutschlands beste Schauspieler 2011. Sie wurden für ihre Leistungen am Abend in Köln mit dem Deutschen Fernsehpreis bedacht. Die 39-Jährige erhielt die Trophäe für ihre Rolle im ARD-Drama "In aller Stille". Darin spielt sie eine Polizistin spielt, die zunächst wie gewohnt ihre Tochter in den Kindergarten bringt und dann einen dramatischen Tag erlebt. Der 42-jährige Hartmann bekam den Preis für seinen Auftritt in der ARD-Serie "Weissensee" als Stasi-Major Falk Kupfer. Den Publikumspreis erhielt als bester Entertainer Stefan Raab.

Eil +++ Bitte verwenden Sie die Meldung zum Deutschen Fernsehpreis nicht rpt nicht vor Ablauf der Sperrfrist. Die Meldung hat Sperrfrist 3. Oktober 2300. Fernsehpreis für Nina Kunzendorf und Jörg Hartmann = Köln (dpa) - Nina Kunzendorf und Jörg Hartmann sind Deutschlands beste Schauspieler 2011. Sie wurden für ihre Leistungen am Abend in Köln mit dem Deutschen Fernsehpreis bedacht. Die 39-Jährige erhielt die Trophäe für ihre Rolle im ARD-Drama "In aller Stille". Darin spielt sie eine Polizistin spielt, die zunächst wie gewohnt ihre Tochter in den Kindergarten bringt und dann einen dramatischen Tag erlebt. Der 42-jährige Hartmann bekam den Preis für seinen Auftritt in der ARD-Serie "Weissensee" als Stasi-Major Falk Kupfer. Den Publikumspreis erhielt als bester Entertainer Stefan Raab.

Und so weiter und so fort …

Mit Dank an die vielen, vielen Hinweisgeber.

Urbane Legenden über Political Correctness (2)

Die Falschmeldung, dass die BBC die Bezeichungen “vor Christus” (BC) und “nach Christus” (AD) abgeschafft und durch die religionsneutralen Formulierungen “vor / nach unserer Zeitrechnung” (BCE / CE) ersetzt habe, zieht Kreise.

Die “Neue Osnabrücker Zeitung” (Neue OZ) berichtete groß in ihrer Samstagsausgabe:

LONDON. Die BBC streicht die Geburt Jesu aus dem Programm: Moderatoren sollen bei Zeitangaben nicht mehr die Begriffe “vor Christus” und “nach Christus” verwenden. Damit will der Sender auf die Sensibilitäten anderer Ethnien Rücksicht nehmen. Doch im Jahr 2011 nach der Geburt jenes Mannes, der nicht mehr genannt werden darf, regt sich viel Protest.

Was die Autorin mit “Ethnien” meint, wenn es doch um Religionen geht, ist nicht ganz klar, aber ohnehin ist das alles falsch — wie der aufmerksame Leser des Artikels immerhin erahnen kann, wenn er weiterliest bis zu der Stelle, an der plötzlich nicht mehr von einem Verbot, den Namen Jesu zu nennen, die Rede ist: “(…) jede Redaktion darf selbst entscheiden, welche Variante sie nutzt (…).”

Die BBC überlässt ihren Mitarbeitern also die freie Entscheidung. Die BBC-Religionsseiten im Internet haben sich dafür entschieden, die religionsneutralen Bezeichnungen zu verwenden, die im Schulunterricht in England und Wales ohnehin seit fast zehn Jahren verwendet werden. Die Entscheidung dieses BBC-Ressorts wurde schon vor Jahren getroffen und veröffentlicht, ist aber offenbar erst jetzt von Kritikern der BBC und der angeblichen “Political Correctness” entdeckt worden, die sie für eine sehr wirkungsvolle Desinformationskampagne nutzen.

Auch die “Westdeutsche Allgemeine Zeitung” (WAZ) wollte die längst widerlegte Mär glauben und packte eine kurze, falsche Meldung, die offenbar von derselben Autorin stammt wie die “Neue OZ”-Version, sogar auf ihre Titelseite:


Foto: pottblog.de

Sicherheitshalber ordnete die WAZ die Sache gleich noch für ihre Leser in einem Kommentar auf Seite 2 ein, der zu dem Schluss kommt:

Diese epochale Entscheidung beruhigt uns sehr. Zeigt sie uns doch, dass es nicht nur hierzulande politisch überkorrekte Bedenkenträger gibt, die Probleme vor allem dort suchen, wo sie keinen stören.

Er meint mit den beunruhigenden “Bedenkenträgern” selbstverständlich nicht die Leute, die ein Problem damit haben, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Großbritannien seinen Redakteuren die Wahl lässt, und die der BBC vorschreiben wollen, wie sie in jedem Fall die Jahrenzahlen angeben muss. Und immerhin war es die WAZ, die das “Problem” der Bezeichnung der Zeitenwende in einem kleinen Teil des BBC-Angebotes im Vergleich zu all den anderen Problemen auf der Welt wichtig genug fand, um es auf die Titelseite zu packen und einen Kommentar dafür zu verwenden.

Der vollständige Kommentar wurde übrigens noch am Freitagabend von der Nachrichtenagentur dapd weiterverbreitet, die offenbar aus irgendwelchen Gründen annahm, die WAZ-Leute kennten sich aus mit dem, was sie kommentieren.

Mit Dank an Benedikt und den Pottblogger!

Nachtrag, 5. Oktober. Die falschen Behauptungen wurden auch vom “Bonner Generalanzeiger” (“Neue Zeiten bei der BBC: Jesu Geburt wird nicht mehr genannt”), der “Kölnischen Rundschau” (“Bei der BBC wird Jesu Geburt nicht mehr genannt”) und dem “Mannheimer Morgen” (“Christus fliegt aus dem Programm”) verbreitet.

B.Z.  

Träumt weiter!

Wir entschuldigen uns an dieser Stelle schon mal für den Ohrwurm, den Sie gleich für den Rest des Tages haben werden, aber da müssen wir jetzt gemeinsam durch!

Das Lied “Summer Of ’69” ist eines der bekanntesten Werke des kanadischen Rockmusikers Bryan Adams — und war gestern der “Song des Tages” der Berliner Boulevardzeitung “B.Z.” und des Berliner “Spreeradios”:

Song des Tages: "Summer of

Nun ist es so, dass Adams im Sommer 1969 tatsächlich erst neun Jahre alt war. Adams selbst erklärte daher vor einigen Jahren auch, dass diese “69” da im Titel eine sexuelle Anspielung sei.

Doch das Wort “sex” taucht im Songtext gar nicht auf. Adams singt “I got my first real six string”, womit ein “Sechssaiter”, also eine (mutmaßlich elektrische) Gitarre gemeint ist.

Ein Trost für die Leute von der “B.Z.” ist vielleicht, dass sie nicht die Einzigen sind, mit denen bei diesem Song die (schmutzige) Phantasie durchgegangen ist, wie Bryan Adams vor zwei Jahren erzählte:

I had someone in Spain ask me once why I wrote the first line “I had my first real sex dream”… I had to laugh.

Mit Dank an Rayko M.

Euro-Krise, Sexualisierung, Augustin

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die Medien müssen die Euro-Krise besser erklären”
(tagesschau.de, Jörn Unsöld)
Gabriele Goderbauer-Marchner bringt Vorschläge, wie man die Euro-Krise besser erklären könnte: “Es kann nicht sein, dass um 12.50 Uhr eine Meldung veröffentlicht ist, fünf Minuten später schon die ersten Kommentare dazu auf Homepage sind – und nach weiteren drei Stunden womöglich alles schon wieder relativiert wird.”

2. “Peinlich-Auftritt von Herzlos-Vermieter”
(belleslettres.eu)
“Wo gar nichts Festes ist, schmie­den sie däm­liche Kom­posita”, schreibt “Belles Lettres” über “das In­fan­tile bei der Sprache der Bild­zei­tung und vom Spie­gel”. “Die sollen aussehen, als hätte der Redak­teur den Kern der Sache ge­fun­den, ein Wort, das alles erklärt. Aber in Wahr­heit ist nichts mehr im Fluß, wenn ein Be­griff erst ein­mal ge­bil­det ist, das Den­ken ist fest­gefügt und sim­ples Schema.”

3. “Der Abgeordnete 2.0”
(journalist.de, Wolfgang Lenders)
Eine Auswertung der Twitter- und Facebook-Nutzung von Bundestagsabgeordneten.

4. “Der Mediensport unter Sexualisierungsdruck”
(journalistik-journal.lookingintomedia.com, Jörg-Uwe Nieland und Daniela Schaaf)
Weil sowohl unter den Produzenten als auch unter den Rezipienten von Sportjournalismus vorwiegend Männer anzutreffen sind, seien Frauen dazu gezwungen, “ihre Weiblichkeit stärker zu betonen, um eine redaktionelle und werbliche Berücksichtigung zu erzielen”. “Anzumerken ist jedoch, dass die Sexualisierung nicht nur mehr die Sportlerinnen betrifft, sondern zunehmend auch ihre männlichen Kollegen.”

5. “‘Augustin’-Fälschung: Herausgeber fürchtet Nachahmer”
(diepresse.com)
Von der Wiener Straßenzeitung “Augustin” sind vermutlich gefälschte Ausgaben im Umlauf. “Hinter den Fälschungen sollen fünf Slowaken stecken, die den ‘Augustin’ in ihrer Heimat gefälscht und in Österreich mit falschen Ausweisen verkauft haben.”

6. “30 000 Jahre Fehlentwicklung”
(wahrheitueberwahrheit.blogspot.com, Thomas Steinschneid)

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