Quelle: “Bild”

Vor sechs Jahren drehte ein aus Halbwahrheiten, Spekulationen und Großbuchstaben zusammengeschustertes Geschichtenkonstrukt der “Bild”-Zeitung eine große Runde durch die Medienlandschaft. Damals ging es um das Video eines Fallschirmspringers, der “[Jürgen] Möllemanns Todessprung mit einer Kamera” gefilmt hatte.

“Bild” hatte auf der Titelseite groß verkündet:Möllemann - Todes-Video aufgetaucht!

Dabei war das Video in Wahrheit schon vier Jahre zuvor “aufgetaucht” — die Staatsanwaltschaft hatte es bereits kurz nach Möllemanns Tod im Jahr 2003 ausgewertet.

Doch viele andere Medien verbreiteten die Nachricht vom plötzlich aufgetauchten Video und die Spekulationen der “Bild”-Zeitung kopflos weiter, obwohl viele von ihnen schon im Jahr 2003 selbst über das Video berichtet hatten.

Wir haben diesen Fall und sein juristisches Nachspiel (denn das Video war noch dazu geklaut) seinerzeit hier, hier und hier dokumentiert.

Leider haben die Medien seither nichts dazugelernt.

Am Mittwoch verkündete “Bild” groß auf der Titelseite:10 Jahre nach Todessprung - Möllemanns letzter Brief aufgetaucht

Dabei war der Brief in Wahrheit schon vor sechs Jahren “aufgetaucht” (wie wir am Mittwoch berichtet haben).

Doch viele andere Medien verbreiten die Nachricht vom plötzlich aufgetauchten Brief und die Spekulationen der “Bild”-Zeitung kopflos weiter. Mal wieder.

Die dpa veröffentlichte Meldungen über den “jetzt bekanntgewordene[n] Brief”, “Spiegel Online” und Handelsblatt.com erzählen vom “bisher unbekannten Abschiedsbrief “, auch n-tv.de, T-Online.de, “RP Online”, Tagesspiegel.de, Welt.de, das “Hamburger Abendblatt” und viele andere zogen mit — in den meisten Fällen beriefen sie sich dabei allein auf den “Bild”-Artikel.

Nur wenige Medien haben sich die Mühe gemacht, selbst ein bisschen zu recherchieren. So wie (überraschenderweise) stern.de:

Tatsächlich hatte sich FDP-Politiker Kubicki schon vor über zwei Wochen mit der “Bunten” über den Tod seines Freundes, dieses Schreiben und die Übergabe vor zehn Jahren unterhalten. Auch in einer TV-Dokumentation aus dem Jahr 2007 (“Der Tag als Jürgen W. Möllemann in den Tod sprang”) hält Kubicki den Brief in die Kamera.

Es wäre auch für andere Journalisten kein Ding der Unmöglichkeit gewesen, das herauszufinden: Die “Süddeutsche Zeitung” hatte die Szene in einer TV-Kritik von 2007 explizit erwähnt: “Ziemlich am Ende des Films zitiert [Kubicki] aus einem Brief, den Möllemann ihm für den Fall der Fälle geschrieben hatte […]”.

Doch wenn das Leitschafmedium einmal losgetrampelt ist, lässt sich die Herde nicht mehr aufhalten. Inzwischen ist die Geschichte sogar schon in der Wikipedia gelandet:
Am 5. Juni 2013 wurde ein Brief bekannt, den Möllemann im April 2013 im Hamburger Hotel

Als Quelle aufgeführt ist: “Bild”.

Zu Gaffern gemacht

Nach all den schlimmen Hochwasser-Nachrichten der letzten Tage wollte “Bild” am Donnerstag auch mal eine positive Seite der “Jahrhundertflut” zeigen. Im Grunde ist es also eine ganz schöne Geschichte, die das Blatt da veröffentlicht hat:

SCHIPPEN, SCHLEPPEN, SCHRUBBEN - Tausende packen freiwillig bei der Jahrhundertflut an

Es ist eine Welle der Solidarität, Deutschland krempelt die Ärmel hoch! So schlimm die Jahrhundertflut über den Osten und Süden hereinbrach, so groß ist die Hilfsbereitschaft! Zehntausende Freiwillige schippen, schleppen, schrubben!

Doch die Skandal-Spürnasen von “Bild” haben selbst inmitten all der Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe noch etwas gefunden, über das sie sich empören können:

Andere gaffen nur! - Gaffer betrachten das Hochwasser! Psychologe Thiel:

Oder nochmal in der Online-Variante:

Andere gaffen nur! - Gaffer betrachten das Hochwasser! Psychologe Thiel:

“Bild” schwingt also voller Entsetzen die Moralkeule — und haut sie, was der Leser dann allerdings nicht mehr mitbekommt, mit Schmackes ins Leere.

Denn im System des dpa-Bildfunks trägt das Foto folgende Beschreibung:

Sonniges Wetter in Düsseldorf
02.06.2013 16:45:19
Bei strahlendem Sonnenschein und Temperaturen um die 20 Grad sitzen am 02.06.2013 in Düsseldorf-Wittlaer (Nordrhein-Westfalen) Ausflügler auf Stühlen auf dem Rheindeich in einem Biergarten. Foto: Horst Ossinger/dpa

Das, was die “Gaffer” in den Gartenstühlen “betrachten”, sind also keine Katastrophenszenen – sondern Schiffe.

Mit Dank an Bernd W. und Mo.

Nachtrag, 10. Juni: “Bild” hat heute eine Berichtigung abgedruckt:

Berichtigung - In der Ausgabe vom 6. Juni berichteten wir mit einem Foto von Flut-Gaffern. Dabei ist uns ein bedauerlicher Fehler unterlaufen. Auf dem Foto sind keine Schaulustigen zu sehen, sondern Ausflügler am Rhein. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

B.Z., Monsanto, Robert Ménard

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Die Unabhängigkeitstat”
(freitag.de, Georg Seeßlen)
Georg Seeßlen analysiert ein Foto, das Kai Diekmann und Philipp Rösler in Umarmung zeigt: “Nach allgemeiner Übereinstimmung meta-demokratischer Event- und Bildkritik ist dieses Bild ein ‘Lapsus’. Eine unfreiwillige Selbstoffenbarung. Oder zumindest eine Inszenierung, die nicht den gewünschten Erfolg erzielt. Wie aber, wenn dieses Spiel doch offenkundig sein soll und die missmutigen Kommentare der anderen Zeitungen den Effekt in Wahrheit verstärken, der sich um die Bild-Zeitung und ihren Politiker entwickelt?”

2. “‘Das stimmt so nicht’ – Falscher Presse-Hype um Monsanto-Rückzug aus Europa”
(mariannefalck.de)
Monsanto dementiert Meldungen, dass die Vermarktung von gentechnisch verbessertem Saatgut in Deutschland und Europa eingestellt wurde: “Das stimmt so nicht.” Siehe dazu auch “‘Das stimmt so nicht’ – Monsanto widerspricht Berichten” (keine-gentechnik.de) und “Monsanto gibt Europa NICHT auf!” (experimentselbstversorgung.net, Michael Hartl).

3. “Papst Franziskus: Presserat rügt taz-Titelseite”
(blogs.taz.de/hausblog, Sebastian Heiser)
Der Presserat rügt die taz-Titelschlagzeile “Junta-Kumpel löst Hitlerjunge ab”: “Die Nähe Bergoglios zur argentinischen Militärdiktatur sei nicht ausreichend bewiesen, um sie als Tatsache darzustellen.”

4. “Der Jonny K.-Prozess ist geplatzt”
(radioeins.de, Lorenz Maroldt, Audio, 4:21 Minuten)
“Tagesspiegel”-Chefredakteur Lorenz Maroldt kritisiert die “B.Z.” für eine Titelgeschichte, die zur Verschiebung des Jonny-K.-Prozesses führt. Siehe dazu auch “Durchgezappt” (ndr.de, Video, ab 1:25 Minuten) und “Tagesspiegel-Chef beleidigt B.Z. Warum?”, eine Entgegnung auf Maroldt von “B.Z.”-Mitarbeiter Gunnar Schupelius.

5. “In eigener Sache: Robert Ménard und Front National”
(reporter-ohne-grenzen.de)
“Die deutsche Sektion von Reporter ohne Grenzen hat mit Befremden zur Kenntnis genommen, dass der Gründer und langjährige Generalsekretär unserer Dachorganisation Reporters sans Frontières (RSF), Robert Ménard, angekündigt hat, bei den französischen Kommunalwahlen 2014 für die rechtsextreme Partei Front National zu kandidieren.” Siehe dazu auch “Rebell, Reporter, Radikaler” (medienwoche.ch, Adrian Lobe).

6. “‘Das Besondere wird nicht gewollt'”
(epd.de)
Ein Interview mit Dokumentarfilmer Klaus Stern: “Kulturstaatsminister Bernd Neumann hat im vergangenen Jahr beim Filmpreis in einer Brandrede gesagt, dass es nicht angehe, wie der Dokumentarfilm im öffentlich-rechtlichen Fernsehen behandelt wird. Ich habe aber noch keine Veränderung bei der ARD gesehen. Natürlich gehen mir manche Dokumentarfilmer auch mit ihrer Jammerei auf die Nerven, aber ich finde es schändlich, wie die ARD mit diesem großen Pfund umgeht. Das Besondere wird oft nicht gewollt. Die Redakteure sagen dann immer: Der Zuschauer will das nicht sehen. Die Redaktionen sagen: Unser Zuschauer ist 57 Jahre alt, weiblich und hat einen Hauptschulabschluss. Und so sollen Sie den Film konzipieren.”

Bild  

“Bild” schlachtet alten Möllemann-Brief aus

Gestern titelte “Bild”:

10 Jahre nach Todessprung - Möllemanns letzter Brief aufgetaucht

Auf den Tag genau zehn Jahre nach dem Freitod von FDP-Politiker Jürgen W. Möllemann († 57) gibt ein bisher unbekannter Brief neue Rätsel auf.

Nun ja. “Aufgetaucht” ist der Brief streng genommen schon vor zehn Jahren. Denn Möllemann hatte ihn wenige Wochen vor seinem Tod an Parteifreund Wolfgang Kubicki gegeben.

Und die Zitate aus dem “bisher unbekannten” Brief, die “Bild” als neu verkaufte, sind der Öffentlichkeit größtenteils schon seit 2007 bekannt — Kubicki hatte damals in einer Dokumentation des Hessischen Rundfunks aus dem Brief vorgelesen.

Aber was das Ausschlachten von Möllemanns Tod angeht, sind solche Methoden für “Bild” ja nichts Neues mehr.

Mit Dank an Chris G., Insider, Boludo und Anonym.

Männermagazin, Altersheim, Fußball-Trainer

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “Harte Stecher”
(taz.de, Philip Meinhold)
Philip Meinhold geht Rollenklischees in Männermagazinen nach: “Ebenso wie sexuelle Machtphantasien in den Texten sprachlich konnotiert sind, ist ihnen das Leistungsprinzip eingeschrieben. Auffällig ist vor allem der Superlativ, der die Magazine durchzieht.”

2. “Vergleiche dich! Erkenne, dass du nichts bist!”
(faz.net, Morten Freidel)
“Wir leben längst weniger in einer Konkurrenz- als in einer Evaluierungsgesellschaft”, schreibt Morten Freidel in einem Beitrag über Castingshows. “Wenn jemand irgendwo einen Schritt macht, dann macht er nicht einfach einen Schritt, er macht bei Youtube einen coolen, peinlichen oder auch großen Schritt für die Menschheit.”

3. “‘Unabhängiger’ TV-Moderator im Sold der Basler Kantonalbank”
(tageswoche.ch, Matieu Klee)
Matieu Klee fragt nach Interessenskonflikten von SRF-Mitarbeiter Reto Lipp, der als Moderator der Wirtschaftssendung “Eco” auftritt, als Experte in der Polit-Talkshow “Arena” und als Moderator einer Veranstaltung der Basler Kantonalbank.

4. “Sport-PR: Ehrenamtliche One-Man-Show oder akademisches Profiteam?”
(fachjournalist.de, Michael Schaffrath)
Der Beruf des Sport-Pressesprechers: “Gemäß dem Aufgaben- und Kompetenzprofil verwundert es kaum, dass vor allem Ex-Sportjournalisten in der Sport-PR tätig sind. 41 Prozent der Befragten arbeiteten früher für Zeitungen oder Zeitschriften. Fast jeder Fünfte war vorher beim Radio oder Fernsehen. Rund 14 Prozent bringen Kenntnisse aus ihrer Zeit bei Presseagenturen oder Online-Medien mit.”

5. “Trainer!”
(ardmediathek.de, Video, 89:31 Minuten)
Der Beruf des Fußball-Trainers. Ab Minute 35 sprechen Hans Meyer, Jürgen Klopp, Michael Oenning und andere über ihr Verhältnis zu den Medien.

6. “Düstere Aussicht”
(sz-magazin.sueddeutsche.de, Almut Mangold)
Ein halbes Jahr als Pflegehelferin einer Leasingfirma in deutschen Altersheimen.

Mein neuer Freund

Die “Süddeutsche Zeitung” widmete ihren Aufmacher im Ressort “Wissen” gestern einer Studie zum Thema Online-Dating:
Der Klick zum Glück
Der Teaser lautete:

Immer häufiger finden Menschen ihre Lebensgefährten über das Internet. Zugleich mehren sich die Hinweise, dass online angebahnte Ehen mindestens so glücklich verlaufen und so lange halten wie traditionell gebildete Partnerschaften

Selbst auf der Titelseite wurde der Text angerissen:
Der Klick zum Glück: Online-Dating stiftet die besseren Ehen > Wissen
Auch “Spiegel Online” schreibt:
Online-Dating: Im Netz gestiftete Ehen halten länger

Wer sich zuerst online begegnet ist, dessen Ehe hält länger – das ist das Ergebnis einer aktuellen Studie aus den USA. Wer seinen Partner aus dem Netz kennt, ist mit seiner Beziehung demnach auch zufriedener

Und AFP vermeldet in Bezug auf dieselbe Studie (und mit leichten grammatikalischen Schwächen):
Großteil der US-Ehen kommen über das Internet zustande
Was die Journalisten allerdings nicht erwähnen — und zwar weder in der “Süddeutschen Zeitung” noch bei “Spiegel Online” noch bei AFP: Diese Studie wurde von “eHarmony” in Auftrag gegeben — einer amerikanischen Online-Partnerbörse.

Einige der beteiligten Wissenschaftler arbeiten außerdem schon seit Längerem mit dem Unternehmen zusammen: Der leitende Forscher etwa ist wissenschaftlicher Berater von “eHarmony”, ein anderer Autor der Studie war mal Leiter der “eHarmony Laboratories”.

So etwas muss nicht zwingend Einfluss auf die Studienergebnisse haben. Dass “eHarmony” in der Studie unter den Dating-Seiten am besten abgeschnitten hat, kann natürlich auch Zufall sein.

Aber man sollte diesen Interessenskonflikt doch zumindest erwähnen, wenn man als Journalist über die Studie berichtet. Vor allem, weil man dafür gar nicht lang hätte recherchieren müssen: Im Aufsatz (PDF), auf den sowohl “Spiegel Online” als auch Süddeutsche.de verlinken, weisen die Wissenschaftler in einem “Conflict of interest statement” nämlich selbst darauf hin.

Mit Dank an Basti.

B.Z., Ines Pohl, Brennpunkt

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “‘B.Z.’ bringt Prozess zum Platzen”
(taz.de, Plutonia Plarre)
Der Prozess um den Todesfall Jonny K. vor dem Landgericht Berlin: “‘Berlins mutigster Schöffe spricht’ – die B.Z.-Schlagzeile sprang Richter Schweckendieck am Montagmorgen in der S-Bahn an. ‘Weil ein Laienrichter das sagte, was alle dachten, droht das Verfahren zu platzen’, heißt es im Text. Genau das ist nun passiert: weil das Springer-Blatt kräftig nachgeholfen hat.”

2. “‘Das ist unsere Antwort auf die Krise'”
(journalist.de, Hans Hoff)
Ein ausführliches Interview mit taz-Chefredakeurin Ines Pohl: “Wir setzen uns immer wieder auch mit den eigenen Rollenbildern auseinander und zwar nicht verhaftet im grünen Muff der 80er. Wir sind schon sehr kritisch auch mit dem, woher wir kommen. Manche sagen, wir sind zu wenig links. Das sehe ich anders.”

3. “Raubüberfälle: Dramatische Panikmache der Krone”
(kobuk.at, Yilmaz Gülüm)
Eine Überprüfung der “Kronen-Zeitung”-Titelschlagzeile “Dramatischer Anstieg der Raubüberfälle”.

4. “Where are we now?”
(kreuzer-leipzig.de, Juliane Streich)
Juliane Streich stellt fest, dass sie über westdeutsche Themen besser Bescheid weiß als über ostdeutsche: “Löblich, dass es Die Zeit inzwischen auch als Ost-Ausgabe gibt. Doch liegt dahinter ein bezeichnendes Problem: Unser Postbote steckt uns manchmal statt der SZ versehentlich die FAZ in den Briefkasten, weil er beide nicht kennt, wie er selbst einmal erklärte. Denn hier abonniert kaum einer die überregionalen großen Zeitungen der alten Republik, was daran liegen könnte, dass sie die neuen Bundesländer hauptsächlich in Artikeln über Neonazis oder Hartz IV thematisieren. Dann doch lieber die SuperIllu oder MDR. Die von hier. Aber Berichte über die Befindlichkeiten von Achim Menzel, Kati Witt und Manfred Krug können es ja nun nicht gewesen sein.”

5. “‘Schlimmer als erwartet’: Wie der ‘Brennpunkt’ Katastrophen-Rhetorik zelebriert”
(ulmen.tv, Peer Schader)
Der ARD-“Brennpunkt” mit Sigmund Gottlieb zum Hochwasser: “Es ist ja richtig: Das Hochwasser richtet großen Schaden an. Darüber sollte das Fernsehen berichten. Im Gegensatz zu den besonnen agierenden Helfern, die derzeit in den Beiträgen porträtiert werden, wirken Journalisten mit übertriebener Sensationsrhetorik, die genüsslich das Wort ‘Katastrophengebiet’ betonen und sich mit Höchststandmeldungen übertrumpfen, aber besonders fehl am Platze. Erst recht in einem Sender, der so sehr die eigene Nachrichtenkompetenz vor sich herträgt.”

6. “Hochwassergebiete halten Flut besorgt dreinblickender Politiker nicht mehr lange stand”
(der-postillon.com)

Panther-Parolen

Die Leute von “Bild” mögen die Leute von Blockupy offenbar nicht besonders. Zumindest gibt sich das Blatt seit Tagen redlich Mühe, die Protest-Bewegung in Verruf zu bringen. Nachdem “Bild” mit kräftiger Unterstützung des hessischen Verkehrsministers zunächst versucht hatte, dem linkspolitischen Bündnis irgendeinen Nazi-Skandal anzuhängen (BILDblog berichtete), legt Bild.de jetzt nach.

In einem Text über die “Blockupy-Sitzenbleiber” (hihi) fassen die Reporter zusammen, was am vergangenen Freitag in der Frankfurter Innenstadt passiert ist. Der Artikel endet so:

Und die Flughafen-Protestler trollen sich wieder Richtung Bahnhof. Mit der Parole: “Heute ist nicht alle Tage…” Der Paulchen-Panther-Spruch, den die Nazi-Mörder vom NSU für ihr widerliches Bekenner-Video nutzten …

Das ist um so viele Ecken gedacht, dass das Kreuz Haken schlägt.

Mit Dank an Teresa M.

Mittendrin statt nur dabei

Während viele Medien immer noch darüber nachdenken, wie sie im Internet Geld verdienen können, war das “Hamburger Abendblatt” vergangene Woche schon einen Schritt weiter:

Polizei schießt auf Bewaffneten auf dem Kiez – hier im Video. Jetzt weiterlesen ... Mit einem Online-Abonnement des Hamburger Abendblatts haben Sie vollen Zugang zum ePaper, zu allen Artikeln und zum Online-Archiv.

Gut, wer die mindestens 1,20 Euro bezahlt hat, um zu sehen, wie die Polizei auf den “Bewaffneten auf dem Kiez” schießt, wurde enttäuscht: An der entscheidenden Stelle bleibt der Bildschirm schwarz, weil die Bilder “zu brutal sind, um sie hier zu zeigen”. Aber immerhin kann man die Schüsse hören, während die Musik einer Gaststätte im Hintergrund läuft.

Der monotone Off-Kommentar ist auch nicht mit den reißerischen Ansagen aus dem US-Fernsehen zu vergleichen, eher mit einem Vortrag über das Element Caesium im “Telekolleg”. Aber ansonsten bekommt der Leser/Zuschauer für sein Geld schon ordentlich was geboten: Den Teil der Videoaufnahmen, den die Redaktion von abendblatt.de offenbar nicht für “zu brutal” hielt.

Also etwa den (womöglich psychisch kranken) Mann, der sich – notdürftig unscharf gemacht – eine Waffe an den Kopf hält, einen Schwenk auf die Polizisten, die nach den Schüssen auf seine Beine um ihn herumstehen, und Rettungssanitäter, die den Mann wegbringen, sowie umstehende Polizisten und Fotografen.

Dazu heißt es aus dem Off:

Schießerei auf dem Kiez: Die Besucher eines Restaurants an der Seilerstraße haben am Mittwoch mit einem Handy diese Bilder aufgenommen. Darauf ist zu sehen, wie sich ein 48-jähriger Mann eine Pistole an den Kopf hält. Als der Mann später mit durchgeladener Waffe auf die Polizeibeamten zugeht, eröffnen diese das Feuer. Bilder, die zu brutal sind, um sie hier zu zeigen. Sie treffen den Mann zweimal: Eine Kugel trifft den 48-Jährigen am Oberschenkel, eine zweite Kugel verletzt ihn am Unterschenkel. Kurz nach der Schießerei bringt ein Krankenwagen den Mann ins Krankenhaus. Das Motiv des 48-Jährigen ist bislang noch unklar.

Auch bei Bild.de gibt es ein Video des Vorfalls: “Ex-Touché-Sänger Karim Mattaoui (38), in den 90ern ein Boygroup-Star und Teenie-Idol” hatte für Sekundenbruchteile einen unscharfen Blick auf den Mann werfen können und das wacklige Videodokument auf Facebook hochgeladen.

Nach den Schüssen hatte sich übrigens herausgestellt, dass der “Amokläufer”, wie “Bild” und “Hamburger Morgenpost” den Mann nennen, eine Gaspistole bei sich trug.

Mit Dank an Stefanie.

Bild, Sonntagszeitung, Schlaraffenland

6 vor 9

Um 6 Minuten vor 9 Uhr erscheinen hier montags bis freitags handverlesene Links zu lesenswerten Geschichten aus alten und neuen Medien. Tipps gerne bis 8 Uhr an [email protected].

1. “‘Bild’ warnt vor Homo-‘Propaganda’ an Schulen”
(queer.de, dk)
Eine von Bild.de zitierte “Expertin” glaubt, dass Jugendliche durch die Thematisierung von Homosexualität “in die Homosexualität” getrieben werden können.

2. “Mit ‘Bild’ in einem Boot”
(faz.net, Stefan Niggemeier)
Die Bezahlstrategie des Axel-Springer-Verlags, die Nähe des Kaders zu Politikern und die Berichterstattung der anderen Medien: “Nun erscheint Döpfner in der Berichterstattung in der Rolle des Heilsbringers für den Journalismus, die vor Jahren Apple-Gründer Steve Jobs hatte.”

3. “Alles nur Fake?”
(journalist.de, Matthias Daniel)
“Journalist”-Chefredakteur Matthias Daniel prüft ein Foto, das auf der Titelseite der Mai-Ausgabe seiner Zeitschrift abgedruckt war: “Der direkten Frage, ob die Rebellen für Manzano posieren, weicht der Fotograf aus. Aber er sagt, dass zahlreiche Rebellen keine geschulten Militärs seien. Er habe Filmaufnahmen von Kampfsituationen in Syrien gedreht, auf denen Rebellen schießen wollten – und dann feststellten, dass ihre Waffe noch gesichert war. So erklärt Manzano auch die unprofessionelle Handhaltung des Rebellen. Manche wüssten schlicht nicht, wie man eine solche Waffe richtig bedient.”

4. “Ich will keinen Medientrailerpark, ich will ein mediales Schlaraffenland”
(journelle.de)
Journelle listet auf, was sie nicht findet im Journalismus: “Theoretisch könnten mir die ‘alten’ Medien immer mehr egal werden, schließlich finde ich genug Substition in Blogs, internationalen Online-Medien und dank meiner diversen Timelines, die immer wieder feine Sachen heranspülen. Praktisch bin ich aber traurig, dass es nicht noch mehr Angebote gibt und dass so viele Medienschaffende nicht die Chancen am Schopfe packen, die sich gerade ergeben.”

5. “Was ist ein Interview?”
(bundesplatz.blog.nzz.ch, René Zeller)
Die “Sonntagszeitung” lässt sich vier Fragen von der Kommunikationsabteilung des Schweizer Finanzdepartements beantworten. Auf der Titelseite verkauft sie diese als Interview mit Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf.

6. “#nichtschlechtstaunte”
(nichtschlechtstaunte.tumblr.com)

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