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Die “taz” bestellt ein ACAB-Eis, das der Polizei nicht schmeckt

Es gibt vermutlich keine Redaktion in Deutschland, die bei Bildunterschriften so viel pubertäre Kreatvität an den Tag legt wie die der “taz”.

Hier zum Beispiel:

Oder bei diesem legendären Exemplar:

(2011, inzwischen offline.)

Wegen einer Bildunterschrift aus jüngster Zeit hat die “taz” jetzt allerdings Ärger mit der Polizei.

Dazu muss man wissen: Wer auf taz.de einen Artikel lesen will, kommt zuerst auf eine Hinweisseite, auf der man gefragt wird, ob man taz.de finanziell unterstützen möchte, dazu ein Foto samt flotter Bildunterschrift. Zum Beispiel so:

Das Portal hat eine Reihe solcher Hinweisseiten mit verschiedenen Fotos und Bildunterschriften im Repertoire, die in zufälliger Reihenfolge erscheinen.

Vor knapp vier Wochen waren auf einem dieser Fotos ein paar Polizisten vor einer Eisdiele zu sehen. Darunter stand:

Welche Kugeln hier bestellt werden? Acht Cookie, Acht Banane.

Acht Cookie, Acht Banane. Kurz: ACAB. Das ist, wie Sie als aufmerksame BILDblog-Leser natürlich wissen, ein türkischer Vorname die Abkürzung für „All cops are bastards“.

Das fand die Polizei Bremen überhaupt nicht lustig und reichte Beschwerde beim Presserat ein. In einem internen Schreiben der Polizei heißt es, dies sei „keine verantwortungsvolle Berichterstattung und kein angemessenes journalistisches Verhalten“. Polizeipräsident Lutz Müller sagte demnach:

Hier werden indirekt und offensichtlich gewollt Polizisten beleidigt und in ihrer Ehre verletzt. Diese Darstellung widerspricht journalistischer Ethik. Das ist für mich nicht akzeptabel und daher wenden wir uns an den Presserat.

Jan Feddersen von der „taz“ hat uns die Geschichte bestätigt. Foto und Bildunterschrift seien Anfang Juli für drei Tage online gewesen. Verantwortlich für den Inhalt sei aber nicht die Redaktion, sondern das „site management“ von taz.de, das mit den „humoristisch gehaltenen“ Bildunterschriften auf den Hinweisseiten „bewusst kleine Irritationen setzen“ wolle, um die Aufmerksamkeit der Leser zu erregen.

Zur Presserats-Beschwerde sagt Feddersen, die „taz“ warte die weitere Entwicklung „in interessierter Gelassenheit“ ab. Die Bremer Polizei wollte die Sache auf Anfrage „weder bestätigen noch dementieren“.

Mit Dank an den Hinweisgeber!

Nachtrag, 11.15 Uhr: Heute hat die “taz” auf ihrer Titelseite eine Nachricht an die Bremer Polizei untergebracht:

Warum es da nur jeweils sechs sind, wissen wir allerdings nicht.

Nachtrag, 15.25 Uhr: … haben aber die Vermutung, dass es ein Versehen war. Wie uns mehrere Leser geschrieben haben, sind es in einigen Ausgaben nämlich tatsächlich acht. Wahrscheinlich wurde der Fehler zu spät bemerkt und erst in den Zeitungen, die später gedruckt wurden, korrigiert.

Nachtrag, 31. Juli: “taz”-Titelseite heute:

Mit Dank an Dennis und Dominik G.

Nachtrag, 13. Oktober: Nachdem die Polizei Beschwerde beim Presserat eingelegt hatte, durfte die “taz” Stellung zu der Sache nehmen. Sie schrieb:

Für die Nöte der Bremer Polizei, vor allem im heißen Sommer haben wir Verständnis, ebenso wie für die Tatsache, dass sich unsere Ordnungshüter bei Gelegenheit mit einem Eis erfrischen. Über ihre Präferenzen bei der Eisbestellung können wir allerdings nur Mutmaßungen anstellen, was in der inkriminierten Bildunterschrift deutlich durch ein Fragezeichen ausgedrückt wird.

Dass nun die Beschwerdeführer der Bremer Polizei in die Bestellung „Acht Cookie, Acht Banane“ das ehrverletzende Akronym „All Cops Are Bastards“ hineinlesen, war nicht vorauszusehen. Im Vorfeld hatten wir auf einer Konferenz hier im Hause schon einige Bestellkombinationen verworfen. Zum Beispiel „Limone, Mandarine, Amareno, Aprikose“ (Leck Mich Am Arsch). Auch „Walnuss, Tiramisu, Feige, Himbeer“ (What The Fucking Hell) wollten wir nicht durchgehen lassen, und „Sieben Sahne, Acht Heidelbeer“ (SSAH) kam nicht in Frage, da es sich dabei um ein möglicherweise sittenwidriges Kfz-Kennzeichen handelt.

Wir haben uns deshalb für die Lieblingssorten der diensthabenden Redakteurin, Cookie und Banane entschieden. Da es sich auf dem Bild um vier Personen handelt und eine durchschnittliche Eisbestellung im Hochsommer laut Statistischem Bundesamt etwa vier Kugeln beträgt kam es zu den je acht Cookies und Banane. Dass wir nach den den oben genannten Kombinationen und ihrer Akronyme hier nicht auch noch eine sittenwidrige oder ehrverletzende Abkürzung herauslesen konnten, hatte einen nachvollziehbaren Grund: es war einfach zu heiß.

Der Presserat hat sich nun mit dem Fall befasst und entschied: Da es sich nicht um ein journalistisches, sondern ein Werbeelement handele, sei er nicht zuständig.

In ihrem “hausblog” schreibt die “taz”, sie werde nun entspannt abwarten,

ob die von einer Eisbestellung so schwer beleidigte Bremer Polizei die Sache weiter und auch noch vor dem deutschen Werberat verfolgen wird, oder ob sich seit dem Abklingen der Hitzewelle auch die Gemüter mittlerweile abgekühlt haben.

“Asylkritiker”, Ferrari-Werbung, mit 10 Franken durch die Schweiz

1. “Asylkritiker” oder “Rassist”? Die Suche nach den richtigen Worten
(sz-online.de, Julia Kilian)
Wenn man über die deutsche Flüchtlingsproblematik … Nein, da fängt es schon an: Wenn man über die deutsche Debatte über den Umgang mit Geflüchteten schreibt, ist es wichtig, seine Worte mit Bedacht zu wählen. Zuerst warnte David Hugendick vor dem Euphemismus “Asylkritiker”, daraufhin reagierte die dpa und kündigte an, künftig auf solche verharmlosenden Begriffe zu verzichten. Das veranlasste Julia Kilian, Sprachwissenschaftler zu Ausdrücken wie “Asylgegner”, “Asylanten” oder “Wirtschaftsflüchtlinge” zu befragen. Noch einen Schritt weiter geht Sascha Lobo, der fordert: “Nennt sie endlich Terroristen!”

2. Attacken gegen Flüchtlinge: Terror in Deutschland
(spiegel.de, Maximilian Popp)
Mehr als 200 Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte im ersten Halbjahr 2015 — und Politiker und Journalisten haben eine Mitverantwortung, meint Maximilian Popp. Er wirft etwa dem “Focus” vor, populistisch Stimmung gegen “falsche Flüchtlinge” zu machen, nimmt seinen Arbeitgeber aber nicht aus: “DER SPIEGEL hat in den Neunzigerjahren den Populismus, den er heute zu Recht beklagt, mit Titeln wie ‘Zu viele Ausländer?’ selbst befeuert.” Auch Kai Budler übt im Störungsmelder-Blog Medienkritik: “Und auch die Medien haben in den vergangenen 20 Jahren offenbar nichts gelernt, denn wieder einmal hantieren sie mit Angstmetaphern wie dem ‘Das Boot ist voll’-Bild.” Und Tagesschau-Chefredakteur Kai Gniffke appelliert, den Ressentiments Fakten entgegenzusetzen und Menschen zu portraitieren, die sich für Flüchtlinge engagieren.

3. Talkshow-Kritik: Völlige Einseitigkeit und ein nationaler Wir-Diskurs
(heise.de, Marcus Klöckner)
Die Medienwissenschaftler Matthias Thiele und Rainer Vowe haben die zahlreichen Griechenland-Runden der politischen Talkshows im deutschen Fernsehen untersucht. Die Sendungen seien “vor allem von Polemiken, Ressentiments und einer arroganten Haltung gegenüber der neuen griechischen Regierung und den Griechen dominiert” gewesen, erzählt Thiele im Interview. Fast durchgehend sei “mit der symbolischen Frontstellung von ‘Wir’ versus ‘die Anderen'” operiert worden.

4. Wofür das “F” in “FAZ” steht
(stefan-niggemeier.de, Boris Rosenkranz)
Auf der Internetseite der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” erschien in dieser Woche ein Video, in dem ein “FAZ”-Redakteur den Formel-1-Piloten Sebastian Vettel interviewt. Dabei sitzen die beiden in einem Ferrari, machen eine Spritztour mit dem Ferrari, tragen Mützen von Ferrari, sprechen über Ferrari, und produziert wurde das Ganze — von Ferrari. Nach der Kritik von Boris Rosenkranz nahm faz.net den Werbeclip offline.

5. Chronistenpflicht, Chronistenkür
(wortvogel.de, Torsten Dewi)
Eigentlich wollte Torsten Dewi die alte, dicke “Chronik des 20. Jahrhunderts” in einer Bücherkiste vor dem eigenen Haus verschenken, machte sie dann aber doch zu seiner “Frühstücks/Badezimmer/Bett-Lektüre”:

Und tatsächlich: Das Buch hat auch im Zeitalter von Wikipedia und YouTube seine Existenzberechtigung. Weil es strikt chronologisch vorgeht, Entwicklungen nachvollziehbar macht, Kontext liefert. Information nicht punktuell und im luftleeren Raum, sondern als Bestandteil eines riesigen Puzzles aus Kultur, Politik, Natur und Wissenschaft.

Beim Blättern stößt Dewi beispielsweise auf eine ihm bisher unbekannte und völlig desaströse ARD-Fernsehshow zum Geburtstag des Automobils, die der damalige Daimler-Benz-Chef höchstpersönlich abbrechen ließ.

6. Die Grand Tour of Switzerland mit 10 Franken in 10 Tagen
(herrfischer.net, Tin Fischer)
Tin Fischer wurde zu einer Pressereise durch die Schweiz eingeladen, mit luxuriöser Unterkunft, einem eigenen Auto und “geballter Spitzenkulinarik”. Stattdessen erkundet der Journalist nun alleine die Strecke der Reise. Mit nur 10 Franken und der Hoffnung, auf hilfsbereite Menschen zu treffen.

Und noch ein anderes Journalisten-Projekt aus der Schweiz: Unser lieber Kollege und Ex-6-vor-9-Kurator Ronnie Grob will ebenfalls auf Tour gehen und für das Projekt “Nach Bern!” sechs Wochen lang den Schweizer Wahlkampf beobachten. Dafür sucht er noch finanzielle Unterstützung.

Die Unfuglotsen von Bild.de lassen es wieder beinahe krachen

Puh, da hätte es beinahe mal wieder geknallt, also in der Fantasie der Bild.de-Redakteure.

Ein Amateurfilmer hatte ein, nun ja, Manöver von zwei Passagiermaschinen auf dem Flughafen in Birmingham aufgenommen und das Video bei Youtube hochgeladen. Bild.de hat die Aufnahmen zweimal hintereinandergeschnitten (weil die 21 Sekunden sonst nicht für den Sprechertext gereicht hätten) und ein kleines Drama daraus gestrickt:

Aber wie so oft im Beinahe-Journalismus hat Bild.de eine ganz eigene Interpretation des Beinahe-Geschehens.

Der erste Komplettquatsch steckt in der Behauptung “Zwei auf einer Landebahn”. Bild.de glaubt, dass beide Flugzeuge landen. Aber das stimmt nicht: Das hintere Flugzeug landet, das vorder startet. Der Flughafen in Birmingham hat nur einen “Runway” in Betrieb, der sowohl für Starts als auch für Landungen genutzt wird.

Der Sprecher im Bild.de-Video sagt über den Piloten der vorderen Maschine:

Weil hinter ihm ein Airbus A320 landen will, startet er kurzerhand durch. Mit seinem bedachten Handeln verhindert er vielleicht ein Unglück.

Um herauszufinden, dass er nicht durchstartet, sondern lediglich startet, hätte ein Blick in die Beschreibung des Originalvideos gereicht:

Landing Airbus A320 and Embraer 195 taking off at BHX showing that pilots and controllers sometimes don’t have very long to make decisions.

Und auch die angeblich gerade noch so verhinderte Kollision auf der Start- und Landebahn ist aller Wahrscheinlichkeit nach ein Gedankenspiel von Bild.de. Zunächst dürfte die Perspektive der Videoaufnahme — wahrscheinlich von einem relativ weit entfernten Punkt mit einem Teleobjektiv gefilmt — die Situation verzerren und den Abstand der Flugzeuge deutlich geringer erscheinen lassen.

Ein Fluglotse, der an einem deutschen Verkehrsflughafen arbeitet, erklärte uns, dass das Bildmaterial einen Vorgang zeige, “der völlig legal und sicher ist und in dieser Form mehrere hundert Mal täglich allein in Deutschland vorkommt”:

Vorne startet ein Flugzeug, kurz danach setzt dahinter ein landendes Flugzeug auf. Hat das vorausfliegende Flugzeug dabei das Pistenende noch nicht überflogen, spricht man von “Reduced Runway Separation”, also reduzierter Pistenstaffelung.

Um ihre Beinahe-Crash-These zu untermauern, hat sich die Bild.de-Videoredaktion noch einen Beleg ausgedacht. Der Sprecher sagt:

Der Tower hatte den Piloten zuvor mit einem Close Call vor der anderen Maschine gewarnt.

Einen “Close Call” gibt es in der Fluglosten-Sprache nicht. Der Ausdruck bedeutet “Beinaheunfall” oder “knappe Sache” — und steht einzig als Titel über dem Youtube-Video des Amateurfilmers.

Mit Dank an Christian G.!

Autorisierung, Radio Lotte, Wurzeln des Internets

1. So a hacker brought down your news site. Now what? New York magazine found out today
(niemanlab.org, Madeline Welsh, englisch)
Am Montag wurde die Website des “New York Magazines” mit einer DDoS-Attacke für etliche Stunden lahmgelegt (ob der Angriff im Zusammenhang zur Cover-Story über Bill Cosby steht, ist noch unklar). Die Reaktion: Die Redaktion kommunizierte während der Downtime permanent über Twitter mit ihren Lesern, postete Auszüge der Bill-Cosby-Geschichte auf Instagram und veröffentlichte den kompletten Text später auch auf Tumblr. Gegen solche DDoS-Attacken könnten sich Medien kaum wehren, sagt eine Expertin: “This is like someone buying out the entire print run of New York magazine, for the same reason — that they didn’t want anyone to see the cover.”

2. Blattkritik: Lann Hornscheidt
(blogs.taz.de, Manuel Schubert und Patricia Hecht)
Bei allen Tageszeitungen sind Blattkritiken fester Bestandteil der Morgenkonferenz. Manchmal kommen dafür externe Blattkritiker, so auch bei der “taz”. Kürzlich war dort Lann Hornscheidt, Profx für Gender Studies an der Berliner Humboldt-Universität, zu Gast. Hornscheidt hatte viel zu kritisieren, und die Reaktion der Redaktion fiel “erstaunlich aggressiv” aus. Deshalb hat die “taz” Lann Hornscheidt erneut zum Gespräch gebeten und zur Blattkritik interviewt.

3. Keine Häme mehr für Radio Lotte
(deutschlandfunk.de, Henry Bernhard, Audio, 5:05 Min.)
Das mediale Interesse am NSU-Prozess in München war einst so groß, dass die Presseplätze verlost werden mussten. Reichlich Häme gab es damals für das eher unbekannte Bürgerradio “Lotte Weimar”, das — anders als manch großes Medienhaus — einen Platz im Gerichtssaal bekam. Seitdem berichtet Lotte-Korrespondent Friedrich Burschel von der Verhandlung, mitunter in sechsstündigen Sondersendungen. “Lotte”-Kritiker gibt es heute kaum noch. Siehe dazu auch “Zeit Online”: “Was senden sie denn?”

4. Erfahrungen beim Verfassen eines Interviews
(verlag.baz.ch, Benedict Neff und Erik Ebneter)
Benedict Neff und Erik Ebneter trafen Martin Walser für ein Interview. Über zwei Stunden sprachen sie mit dem Schriftsteller, am Ende kam von Walsers Verlag das Veto samt “juristischer Drohkulisse”: unpublizierbar! Über die Gründe können die beiden Journalisten nur spekulieren, ein Grund dürfte in unterschiedlichen Interpretationen des Wortes “autorisieren” liegen.

5. The hidden dangers of ethnic minority data in big surveys
(onlinejournalismblog.com, Paul Bradshaw, englisch)
Journalisten und Statistik, das ist seit jeher ein schwieriges Verhältnis. Wenn Medien über Umfragen oder Studien berichten, geht das häufig schief. Paul Bradshaw erklärt im Online Journalism Blog, warum man vorsichtig sein sollte, wenn man sich aus einer scheinbar großen Grundgesamheit einzelne Altersgruppen und/oder ethnische Minderheiten herauspickt: Dann wird das Sample schnell so klein, dass es jegliche Aussagekraft verliert.

6. Die wilden Wurzeln des World Wide Web
(arte.tv, Video, 88 Min.)
Die Dokumentation (Erstausstrahlung: 2013) bietet einen interessanten Überblick über die Anfänge des Internets, beleuchtet aber auch entscheidende Wendepunkte und aktuelle Entwicklungen. Zu Wort kommen beispielsweise Julian Assange, Rick Falkvinge, Jeff Jarvis, Richard Stallman und andere Aktivisten, Hacker und Wissenschaftler. Noch bis einschließlich 5.8. kostenlos bei arte+7 abrufbar.

Symbolfoto LVII

In Köln sind am vergangenen Wochenende zwei mutmaßliche Drogendealer festgenommen worden. Polizisten hatten die 19 und 37 Jahre alten Männer zuvor bei der Übergabe von Gegenständen beobachtet und bei der anschließenden Kontrolle Marihuana in deren Hosentaschen gefunden.

Das steht auch alles so in der Pressemitteilung, die die Polizei dazu herausgegeben hat. Was dort nicht steht, ist, wer die Männer genau sind oder woher sie kommen. Oder welche Hautfarbe sie haben.

Dennoch bebilderte der “Express” den Artikel gestern mit folgendem Symbolbild:

Mit Dank an Nicole C.!

Fehler bei der “New York Times”, kostenlos fliegen, Alpha-Kevins

1. A Clinton Story Fraught With Inaccuracies: How It Happened and What Next?
(publiceditor.blogs.nytimes.com, Margaret Sullivan, englisch)
Vergangene Woche veröffentlichte die „New York Times“ eine Geschichte, in der es hieß, das Justizministerium wolle eine Ermittlung gegen Hillary Clinton starten. Grund: Ihr E-Mail-Verhalten während ihrer Zeit als Außenministerin. Doch die Story bekam schnell Risse und schließlich zeigte sich, dass die „NYT“ die Sache ziemlich falsch dargestellt hatte. Public Editor Margaret Sullivan hat nun versucht zu analysieren, wie es dazu kommen konnte, ob die Redaktion angemessen damit umgegangen ist und wie solche Fehler in Zukunft verhindert werden können.

2. Hi, I’m Ben … And I Don’t Travel The World For Free
(onemileatatime.boardingarea.com, Ben Schlappig, englisch)
Ben Schlappig reist gerne, sucht akribisch nach Möglichkeiten, Bonusprogramme von Fluggesellschaften zu seinem Vorteil zu nutzen, und schreibt darüber in seinem Blog. Das brachte ihm ein Portrait im “Rolling Stone” ein — und die Artikelüberschrift, er fliege “Around the World for Free”. Das sei absurd, schreibt er jetzt, er gebe “a lot of money” für seine Reisen aus. Dennoch griffen weltweit Medien die angebliche Kostenlos-Reise-Geschichte auf und machten alles noch schlimmer:

But I think the ridiculous life-of-its-own that the story took on when it was picked up by the “media” can be summarized by this article, in German: Not only is it suggesting I travel the world completely for free, but the person in the picture is apparently me … except it’s clearly not!

3. Ködern mit den Alpha-Kevins
(sueddeutsche.de, Karoline Meta Beisel)
Karoline Meta Beisel sieht in “ze.tt”, dem neuen jungen Angebot des “Zeit”-Verlags, das seit gestern online ist, eine wenig originelle Mischung aus “Buzzfeed”, “Vice” und “Leo”, dem verlagseigenen Kindermagazin.

4. Warum das Wort Shitstorm scheiße ist
(wired.de, Hakan Tanriverdi)
Immer wenn in einem Artikel von einem “Shitstorm” die Rede ist, höre er mit dem Lesen auf, schreibt Hakan Tanriverdi. Das Wort werde von Autoren taktisch eingesetzt: “Kaum ist es geschrieben, kann man plötzlich alle Diskussionspunkte ignorieren. Wer das Wort Shitstorm nutzt, hindert seine Gegner nicht nur daran, Kritik zu äußern, sondern bestraft sie auch für den Versuch einer Debatte.”

5. fiene & mein whatsapp-service
(danielfiene.com, Daniel Fiene)
Markenbildung oder bloß die Ablösung des guten, alten RSS-Feeds? Daniel Fiene startet seinen eigenen Whatsapp-Kanal — bislang nutzen vor allem Medienmarken Whatsapp als weiteren Verbreitungsweg. Fiene ist überzeugt, dass Facebook und Twitter alleine nicht in die “Kommunikationsrealität der Leser” passen. Der Journalist will auch Inhalte extra für Whatsapp produzieren.

6. Häkelmütze im Pegida-Land
(stefan-niggemeier.de, Ulrich Wolf)
Ulrich Wolf von der “Sächsischen Zeitung” über seine Erfahrungen mit der “Pegida”-Berichterstattung, die medialen Waffen der Neuen Rechten und darüber, wie der öffentliche Diskurs bedroht werde. “Nahezu ohnmächtig müssen wir mit ansehen, wie viele Menschen für Fakten und Argumente nicht mehr zugänglich sind.”

Trauerspiel

Die Bundesligafußballer von Bayer Leverkusen stecken momentan mitten in der Saisonvorbereitung. Vergangene Woche musste Abwehrspieler Ömer Toprak im Trainingslager eine Einheit aus persönlichen Gründen abbrechen: Er soll vor dem Training erfahren haben, dass ein Familienmitglied gestorben ist.

Ein gefundenes Fressen für “Bild” und Bild.de:

Eine bewegende Szene im Bundesliga-Alltag. Gestern um 10.03 Uhr beim Leverkusen-Training in Zell am See in Österreich.

Abwehr-Boss Ömer Toprak (26) bricht die Kraft-Übungen ab, weint plötzlich hemmungslos. Trainer Roger Schmidt (48) reagiert, nimmt seinen Spieler in den Arm und führt ihn in die Kabine.

Und “Bild”-Reporter Phillip Arens hält voll drauf:


(Veröffentlicht wurde das Foto — natürlich vollständig — in riesiger Größe bei Bild.de und etwas kleiner in “Bild”.)

Doch beim Fernfotografieren beließ es Arens nicht und quetschte anschließend noch Trainer Roger Schmidt aus:

Schmidt sichtlich bewegt zu BILD: “Es ist eine private Angelegenheit, mehr gibt es dazu nicht zu sagen.”

Das sahen der “Bild”-Mann und seine Redaktion etwas anders:

Mit Dank an Sabine K.

Der ausgeladene Hulk, Reporterhölle, Spaghettimonster

1. F wie …
(taz.de, Anne Fromm)
Anne Fromm beobachtet mit kritischem Blick den engen Tanz zwischen Verlagen und Facebook bei den sogenannten “Instant Articles”. Dabei veröffentlichen Medien ihre Texte nicht auf ihrer Internetseite, sondern direkt bei Facebook. Ein Deal, bei dem die Journalisten „viel aus der Hand“ geben, den aber auch deutsche Medien eingegangen sind, um ihre “Marke zu festigen”.

Nur: Wie stark kann die Marke sein, wenn Leserinnen und Leser ihre Inhalte künftig größtenteils bei Facebook finden? Heißt es dann bald wirklich noch: „Ich hab dazu einen guten Artikel bei Zeit Online gelesen“, oder wird man nicht eher „Das hab ich bei Facebook gelesen“ sagen?

2. Russland, Die Welt und Hulk — eine unglaubliche Geschichte
(demokratie-reloaded.de, Dominique Schmidt)
Dass der brasilianische Fußballer Hulk am Samstag nicht, wie eigentlich geplant, bei der Auslosung der Gruppen für die WM 2018 in Russland dabei war, ist für „Die Welt“ ein „Skandal“: Hulk sei ausgeladen worden, mutmaßt der Autor und liefert gleich die Begründung: Weil er es „gewagt“ habe, „unangenehme Wahrheiten im Putin-Reich“ anzusprechen. Blödsinn, meint Dominique Schmidt, und erklärt, warum die “Welt”-Spekulation schon aus zeitlichen Gründen unlogisch ist.

3. A Crucial Realization About Journalism is Learned by Being its Subject
(firstlook.org/theintercept, Glenn Greenwald)
Glenn Greenwald über seine Erkenntnisse, wie (falsch) viele Medien berichten, wenn man mal selbst zum Objekt der Berichterstattung wird:

Over the past two years, there’s been extensive media coverage and public discussion of both the Snowden story and the building of First Look Media/The Intercept, in which I’ve been very personally involved. So much of what has been said and still gets said about those things — not just by random online commenters and conspiracy-mongers but by the largest and most influential media outlets — is just plainly wrong: not “wrong” in the sense of resting on unpersuasive opinions or even casting a misleading picture, but “wrong” in the sense of being factually, demonstrably false.

4. This is where I leave you. (For a while.)
(nerdcore.de, René Walter)
René Walter macht erstmal Pause (“eine Weile Ruhe im Puff”) mit seinem Blog “Nerdcore”. Weil er reisen will und weil ihm so ziemlich alles nicht passt an aktuellen Entwicklungen im Netz: die Übermacht von Clickbait-Artikeln, das damit einhergehende Verdrängen von interessanten, unbekannten Inhalten, technologischer und kultureller Stillstand. Auf seiner Reise will Walter sich überlegen, wie es nach seiner Rückkehr mit “Nerdcore” weitergehen könnte.

5. Reporterhölle
(zeit.de, Abdalle Ahmed Mumin)
Der Journalist Abdalle Ahmed Mumin über seine Heimat Somalia — für Journalisten „einer der schlimmsten Orte der Welt“.

6. Auch Spaghettimonster zahlen Rundfunkbeitrag
(faz.net, Patrick Bahners)
Das Verwaltungsgericht München musste klären, ob für ein Grafikbüro, das als Kultstätte der “Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters” dient, der Rundfunkbeitrag genauso entfällt, wie für gottesdienstlich genutzte Stätten beispielsweise der katholischen Kirche. Patrick Bahners hat die Verhandlung verfolgt, mit einigen Erkenntnissen “über Gott und die Welt. Vor allem über Bayern.”

Balken vorm Kopf

Hoffentlich wird’s eine Erfolgsgeschichte wie beim “Schmusekater”.

Danke an Dominik L.

***

Verdammte Zensur.

Danke an Thilo P.

***

Also eigentlich sind wir ja immer für Unkenntlichmachung, aber …

Danke an Sara S.

Das “Kollaps”-Drama von Bayreuth: Merkel fällt vom Stuhl

Sie müssen sich sehr beeilt haben bei der “Bild am Sonntag”. So schafften sie es noch, die dramatische Meldung vom späten Samstagabend in einem Teil ihrer Auflage unterzubringen:

Das Drama in Bayreuth spielte sich in diesem Jahr nicht nur auf der Bühne ab. Nach Informationen von bild.de erlitt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei den Bayreuther Festspielen einen Kollaps!

(…) Um 16 Uhr beginnt “Tristan und Isolde”. Gegen 17.20 Uhr ist der erste Akt zu Ende. Während der Kaffeepause fällt die Kanzlerin in Ohnmacht, rutscht von ihrem Stuhl. Zwei Minuten soll es gedauert haben, bis Merkel wieder auf die Beine kommt. Die Menschen an ihrem Tisch kümmern sich um sie. Unter anderen Bundestagspräsident Norbert Lammert und Kulturstaatsministerin Monika Grütters.

Offenbar war es ein ähnlicher Kollaps wie beim CDU-Parteitag in Köln, damals ging man von Stress und Dehydrierung aus. Auch diesmal zeigte Merkel Nehmer-Qualitäten, ließ sich den Empfang nach der Aufführung nicht nehmen!

Um 22:59 Uhr hatte Bild.de das unter der Überschrift “Schock in Bayreuth: Angela Merkel – Kollaps!” gemeldet.

Keine halbe Stunde später alarmiert eine Reihe von Online-Medien seine Leser mit Eilmeldungen. “Festspiele in Bayreuth: Merkel offenbar kurzzeitig kollabiert”, berichtet “Spiegel Online”. “Kollaps während der Pause – Schock in Bayreuth: Angela Merkel bricht zusammen”, tickert “Focus Online”. “Zusammenbruch! Sorge um die Kanzlerin”, schreibt Bunte.de.

Um 0:23 Uhr verbreitet die Nachrichtenagentur AFP die “Bild”-Meldung:

“Bild”: Merkel bei Wagner-Festspielen kurzzeitig in Ohnmacht gefallen
– Kanzlerin offenbar schnell wieder auf den Beinen

Berlin (AFP) – Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat bei den Richard-Wagner-Festspielen in Bayreuth laut einem Medienbericht einen Kollaps erlitten. Die 61-Jährige sei am Samstag während der ersten Pause der Oper “Tristan und Isolde” in Ohnmacht gefallen und vom Stuhl gerutscht, berichtete das Nachrichtenportal “Bild Online”. (…)

Eineinhalb Stunden später rudert AFP zurück:

Regierungssprecher: Merkel bei Wagner-Festspielen nicht kollabiert – Kein Schwächefall – Stuhl der Kanzlerin brach zusammen

Berlin (AFP) – Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Eröffnung der Richard-Wagner-Festspiele in Bayreuth am Samstag trotz eines Zwischenfalls in der Pause unbeschadet überstanden. Merkel habe keinen Schwächeanfall erlitten, lediglich der Stuhl der Kanzlerin sei zusammengebrochen, sagte Vize-Regierungssprecher Georg Streiter der Nachrichtenagentur AFP.

Er dementierte damit einen Bericht des Nachrichtenportals “Bild Online”, wonach die 61-Jährige während der ersten Pause der Oper “Tristan und Isolde” kurzzeitig in Ohnmacht gefallen und vom Stuhl gerutscht sei.

Auch die Agentur dpa, die die “Bild”-Behauptung, anders als AFP und viele Online-Medien, nicht ungeprüft verbreitet hatte, vermeldet gegen zwei Uhr früh das Dementi.

Nutzer von “Focus Online” bekommen bald darauf erneut eine “Eilmeldung”: “Nicht Merkel brach zusammen, sondern ihr Stuhl”. Online-Medien löschen ihre alten Meldungen, korrigieren sie eilig oder fügen nur am Ende noch einen kleinen Absatz an.

Und bei Bild.de steht an der Stelle, an der gerade noch über den dramatischen “Kollaps” der Kanzlerin berichtet wurde, nun ein Stück über eine “Panne bei Bild.de”, nee: “bei Festspielen in Bayreuth: “Weshalb Angela Merkel mit ihrem Stuhl zusammenbrach”:

Zunächst hatte es geheißen, die Bundeskanzlerin habe einen Schwächeanfall gehabt und sei kollabiert. Lokale Medien und auch BILD hatten darüber berichtet.

Na sowas: Als “Bild” noch an die Richtigkeit der eigenen Geschichte glaubte, war von anderen, “lokalen Medien” als Quelle noch nicht die Rede gewesen.

PS: In einem großen Artikel über die Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Presse hatte die “Bild am Sonntag” zum Tag der Pressefreiheit vor zwei Monaten übrigens erklärt:

Viele Medien, wie auch BILD am SONNTAG, haben zudem einige praktische Regeln für ihre Arbeit. Dazu gehört zum Beispiel das Zwei-Quellen-Prinzip. Das bedeutet: Es genügt nicht, eine Information zu bekommen, sie kann erst verwendet werden, wenn sie durch mindestens eine zweite Quelle bestätigt wurde.

Nachtrag, 12:25 Uhr. “Bild am Sonntag”-Chefredakteurin Marion Horn schreibt auf Twitter, es habe zwei Quellen für den Merkel-Kollaps gegeben, “nicht unbekannte Menschen, die dort waren”.

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