“FAZ”-Selbstzerstörer, Philipp Amthors Code, Über das Schreiben

1. FAZ-Innenpolitikchef zerstört sich im Kampf gegen Rezo
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Achtung, für diesen Beitrag braucht man starke Nerven und sollte einigermaßen Fremdscham-resistent sein: Stefan Niggemeier dröselt den Twitter-Beef zwischen dem “FAZ”-Innenpolitikchef Jasper von Altenbockum und dem Youtuber Rezo auf. Niggemeier bringt es schon im ersten Satz gut auf den Punkt: “Jasper von Altenbockum sollte mehr FAZ lesen und weniger Youtube-Videos gucken.”

2. Können wir aufhören, Philipp Amthor in eine Opferrolle zu schreiben?
(twitter.com/C_Holler)
In letzter Zeit erschienen verschiedene Artikel über den Umgang mit dem CDU-Politiker Philipp Amthor (“Tagesspiegel”, “Freitag”, “Bento”). Allgemeiner Tenor: Man möge es unterlassen, Amthor für sein Auftreten zu kritisieren. Für Claudius Holler greift dies zu kurz. Sein Twitter-Thread startet mit: “Können wir aufhören, Philipp Amthor in eine Opferrolle zu schreiben? Dafür ist er viel zu schlau. Was hier vorschnell Lookismus genannt wird, ist die Sichtbarmachung seines Codes. Er kleidet sich nicht unbeholfen, sondern ganz bewusst und aus Machtinteresse exakt so.”

3. “Hört den Leisen zu!”
(journalist-magazin.de, Ellen Ehni)
Das Medienmagazin “journalist” befragt regelmäßig führende Journalisten und Journalistinnen nach ihrem persönlichen Blick auf den Journalismus. In der aktuellen Ausgabe äußert sich die WDR-Chefredakteurin Ellen Ehni. In einem achtteiligen Appell fordert sie ihre Kollegen und Kolleginnen dazu auf, sich selbst und ihre Routinen zu hinterfragen. Es sind viele Selbstverständlichkeiten dabei, die aber — wie so oft bei Selbstverständlichkeiten — eben doch nicht so selbstverständlich sind.

4. Vom Politik- zum Presseskandal?
(message-online.com, Magdalena Neubig)
Magdalena Neubig fasst in einem längeren Beitrag die Verdachtsberichterstattung rund um das Bremer BAMF und dessen Leiterin Ulrike B. zusammen. Dabei lässt sie sowohl die berichterstattenden Medien als auch ihre Kritiker zu Wort kommen. Sie endet mit einem Zitat eines Strafrechtsprofessors, der es für gut möglich hält, dass es sich beim sogenannten “BAMF-Skandal” eher um einen “Skandal der (übertriebenen) Medienberichterstattung” handeln könnte.

5. Micropayments für Journalismus funktionieren nicht, Episode 736: Auch Blendle gibt auf
(neunetz.com)
Seit Jahren suchen die Verlage nach funktionierenden Erlösmodellen für ihre journalistischen Inhalte. Eine Idee war es, einzelne Artikel zum Kauf anzubieten und über Micropayment abzurechnen. Der niederländische Dienst Blendle hatte hierzu eine Infrastruktur aufgebaut, streicht jedoch jetzt die Segel. Marcel Weiss kommentiert die Entscheidung und verweist dazu auf seine Aussagen von 2015 zur Inkompatibilität von Journalismus und Micropayment: “Man liest selbst den besten journalistischen Text nur einmal. Musikstücke, vor allem die, die man sogar kauft, hört man öfter an. Noch wichtiger: In der Regel hat man den Song, den man kaufen will, bereits oft gehört -im Radio, auf YouTube, in einer TV-Serie-. Man kennt also schon das Informationsgut, das jetzt erworben wird und weiß bereits, dass es gefällt und den zu bezahlenden Preis wert ist. Das kann für journalistische Texte niemals gelten.”

6. WR953 Wie man (k)ein populärwissenschaftliches Sachbuch macht
(wrint.de, Holger Klein & Florian Freistetter, Audio: 91 Minuten)
Im “Wrint”-Podcast unterhalten sich Holger Klein und Florian Freistetter über das Schreiben von populärwissenschaftlichen Sachbüchern. Das ist insofern interessant, als dass Florian Freistetter ein erfahrener Sachbuchautor ist und Holger Klein jüngst an der Produktion eines Buchs gescheitert ist. Es geht unter anderem um Ideenfindung, Arbeitsweise und Strukturierung, die Wahl eines passenden Verlags und was unter dem Strich finanziell hängenbleibt.

Recherchieren? Nein, danke!

Filipp Piatov sitzt bei “Bild” in der Politikredaktion, und man muss das einmal aufschreiben, denn man würde sonst nicht auf die Idee kommen, dass er in einer Politikredaktion sitzt.

In einem Kommentar über die Grünen schrieb Piatov gestern:

Screenshot Bild.de - Kommentar zum Habeck-Hype - Regieren? Nein, danke! - Warum sich die Grünen jetzt nicht wegducken dürfen

Niemand hat so dringende Sorgen wie die Grünen: Das Klima muss gerettet, die Welt vor dem Untergang bewahrt und der Jugend ihre Zukunft zurückgegeben werden.

Doch die Grünen sind wie ein Beifahrer, der über den Fahrstil meckert, aber bloß nicht selbst ans Steuer möchte. Warnen, mahnen und die Regierung kritisieren, das können sie — aber regieren wollen sie nicht. (…)

Wer so dringende Sorgen wie die Grünen hat, müsste das nutzen: Neuwahlen fordern, Kanzlerkandidaten ins Rennen schicken! Und vor allem: keine Zeit verlieren.

Dass Piatov behauptet, die Grünen würden nicht regieren wollen, ist etwas überraschend, schließlich sitzt die Partei aktuell in neun Bundesländern in der Regierung: in Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen. In Baden-Württemberg stellt sie mit Winfried Kretschmann sogar den Ministerpräsidenten. Und das seit mehr als acht Jahren, was dafür spricht, dass auch Filipp Piatov das mal mitbekommen haben könnte.

Aber offenbar hat er ja nicht mal die Sondierungsgespräche zu einer möglichen Jamaika-Koalition nach der Bundestagswahl 2017 mitbekommen. Denn die sind am Unwillen der FDP gescheitert und nicht am vermeintlichen Nicht-Regieren-Wollen der Grünen. Und nun ist es auch historisch gesehen nicht so, dass sich die Grünen noch nie an einer Regierung beteiligt hätten.

Dass die Grünen entgegen seiner Aussage durchaus schon mal Neuwahlen ins Spiel gebracht haben, hätte Piatov mit einer recht einfachen Google-Suche (“Grüne Neuwahlen”) herausfinden können. FAZ.net berichtete beispielsweise vor gut einer Woche:

Screenshot FAZ.net - Bundesregierung - Grüne wollen Neuwahl bei Scheitern der Koalition

Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock sagte zu möglichen Neuwahlen:

Wenn diese Bundesregierung keine Kraft mehr hat, dann muss die Gesellschaft, dann müssen die Bürgerinnen dieses Landes neu entscheiden

Da steckt dann auch ein entscheidender Punkt drin: Die amtierende Regierung aus CDU/CSU und SPD müsste entscheiden, ob sie weitermachen will oder nicht. Und nicht die Grünen. Neuwahlen gibt es in Deutschland in der Regel nicht durch das Fordern von Neuwahlen durch eine Partei, die in aktuellen Umfragen bei ordentlich über 20 Prozent liegen mag, die im Bundestag allerdings nach wie vor mit den 8,9 Prozent aus der Wahl 2017 vertreten ist. Das ist, zum Glück, dann doch ein etwas komplexerer Vorgang. Es mag Piatov überraschen, aber nicht mal die Grünen in ihrem derzeitigen Höhenflug haben die Möglichkeit, den Bundestag im Alleingang aufzulösen.

Wenn man sich mal die Mühe macht und sich hinsetzt, um Filipp Piatov das alles einmal in Ruhe zu erklären, dann fängt er einfach wieder von vorne an.

Kampf der “NZZ” gegen PC, Staatshumor, Klarnamenpflicht

1. Verteidigung der Missionarsstellung
(tagesanzeiger.ch, Andreas Tobler)
Andreas Tobler hat bei der “NZZ” so etwas wie ein eigenes Genre entdeckt: den Artikel gegen die “politische Korrektheit”. Allein im vergangenen Jahr seien in der “NZZ” über hundert dieser Anti-PC-Beiträge erschienen. Tobler kommentiert: “Gehegt und gepflegt wird das Phantasma der politischen Korrektheit nicht zuletzt, um sich ja nicht mit der schlichten Tatsache zu beschäftigen, dass Normalität schon immer einer gesellschaftlichen Aushandlung unterlag.”

2. Zuhause ist, wo die Männer sind
(tagesspiegel.de, Gerrit Bartels)
Das kommende Herbst- und Winterprogramm des Rowohlt-Verlags bestehe zu 90 Prozent aus Titeln von Männern, kritisiert Gerrit Bartels. Sein Unmut darüber mündet in einem langen Satz: “Man muss kein Feminist sein, um das seltsam und unbedacht zu finden, gerade in Zeiten, in denen der Verlag Klett-Cotta in seiner Vorschau bei der Ankündigung eines Buches von Lady Bitch Ray das “Trendthema Feminismus” entdeckt hat; in denen in den sozialen Medien alle halbe Jahre sorgfältig gezählt wird, wieviel Titel die Verlage von Frauen und Männern veröffentlichen; in denen, genau, das interessiert Verlage, junge Feministinnen nicht nur wie Stokowski, sondern auch wie Sophie Passmann oder Jagoda Marinic mit “Alte weiße Männer” und “Sheroes” gerade Bestseller veröffentlicht haben; in denen, auch das ist bekannt, Frauen mehr zu Büchern greifen als Männer, zu Belletristik überdies.”

3. Rezo-Video: Trend vom Lesen weg zum Vorlesen wie im Mittelalter
(infosperber.ch)
“Infosperber” greift ein “Deutschlandfunk”-Interview des Medienwissenschaftlers Christoph Engemann auf, das dieser anlässlich des Rezo-Videos (“Die Zerstörung der CDU”) gegeben hat. Wie ist diese Art der “Vorlesung” einzuordnen, was bedeutet dies für die Kommunikationskultur, und wie soll man darauf reagieren? Der Kommunikationswissenschaftler Martin Emmer erklärt, warum sich die CDU so schwer mit einer Reaktion tut: “Das ganze politische System ist stark formalisiert und strukturiert. Man kennt sich. Das war bisher eine gut geölte Maschine. Wenn da plötzlich irgendein Akteur aus dem Nichts kommt, den man auch nicht richtig einordnen kann, nicht ein Parteiakteur, keiner der für irgendwelche Interessengruppen steht, eher so ein Halbprominenter in einer bestimmten Generation, der sehr massiv, sehr fundiert und eben sehr gut sichtbar seine Meinung äussert — das irritiert die Politiker natürlich.”

4. Was soll der Müll
(freitag.de, Hannah Schlüter)
Hannah Schlüter beschäftigt sich mit dem erfolgreichen Genre der Aussteiger- und Reisefilme. Die Protagonisten seien oft Influencer oder würden es durch ihre Filme werden wollen: “Der blinde Fleck der Filme bleibt die eigene Herkunft, die ökonomischen Bedingungen, unter denen die Protagonisten auf ihre Reisen gehen können (und anschließend auf Kinotour durch Deutschland). Und der große Unterschied zwischen ihnen und den Leuten, die sie auf ihren Reisen treffen: Sie können am Ende wieder nach Hause. Sich doch wieder den Ballast eines Hauses gönnen und sesshaft werden.”

5. Das Problem heißt Hass
(taz.de, Johanna Roth)
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat eine Klarnamenpflicht im Internet gefordert. Eine derartige Pflicht wäre jedoch wenig hilfreich, findet “taz”-Redakteurin Johanna Roth: “Eine Klarnamenpflicht verhindert keine Hasskommentare. Facebook fordert seine User schon lange dazu auf, sich mit echten Namen zu registrieren, auch wenn eine entsprechende Verpflichtung im vergangenen Jahr für rechtswidrig erklärt wurde. Das hält Nutzer aber nicht davon ab, Beleidigungen und Morddrohungen zu posten. Das Problem heißt nicht Anonymität, das Problem heißt schlicht: Hass.”

6. Hoch lebe der Staatshumor
(heise.de, Wolf Reiser)
Wolf Reiser hat einen Artikel über die Humor- und Kabarettsendungen der öffentlich-rechtlichen Sender geschrieben und dabei reichlich Ohrfeigen verteilt. Den ARD-Satiriker Dieter Nuhr beschreibt er wie folgt: “Die Marke Nuhr ist eine seltsam konturlose Gestalt, ein wenig Disko-Türsteher, einem auch bei Lehrern beliebten Klassenclown, einem durchreisenden Jahrmarkt-Jakob und einer sprechenden Parkuhr.” Das ZDF mit seiner “heute show” kommt nur wenig besser weg: “Natürlich ist das frech, keck und oft auch richtig lustig, hat seinen Reiz wie eine gewisse Berechtigung und verärgert mitunter sogar ungelenke Parlamentarier, die sich für ein Drehverbot unter der Glaskuppel stark machen. Letztlich endet der Klamauk aber bei dem Bubenhumor im Pausenhof einer Waldorfschule, wo sich die Raucher von den Strebern trennen und sich als elitäre Sekte feiern.”
Nachtrag: Der Beitrag ist ein wildes Rumgebashe in viele möglichen Richtungen, manchmal auch in die falschen. Eine Leseempfehlung in den “6 vor 9” bedeutet nicht automatisch, dass der Kurator sich die Aussagen in den verlinkten Texten zu eigen macht. Dies gilt für diesen Text ganz besonders.

“Bild am Sonntag” schleicht mit Jogi Löw und VW werbend durch Berlin

Vor eineinhalb Wochen erschien in “Bild am Sonntag” ein etwas überraschendes Doppelinterview. Reporterin Tanja Treser und Reporter Michael Witt begleiteten Fußballnationaltrainer Jogi Löw und VW-Chef Herbert Diess auf deren Weg durch Berlin zum DFB-Pokalfinale. Löw, Diess, Treser und Witt fuhren dabei mit einem Elektroauto von VW durch die Stadt. Jogi Löw durfte ein bisschen staunen (“Löw sitzt zum ersten Mal am Steuer eines Elektroautos und staunt über die Beschleunigung.”), Herbert Diess durfte ein bisschen was verraten (“Diess verrät ihm bei der Fahrt noch Details über den Prototypen.”). Aber eigentlich sollte es in dem Gespräch um Gemeinsamkeiten von Löw/Diess beziehungsweise Nationalteam/VW gehen. Und die fand das “BamS”-Duo mit etwas Hingebiege an manchen Stellen auch:

Ausriss Bild am Sonntag - Ihr hattet ein paar schlechte Spiele, wir eine tiefe Krise

An anderen hingegen überhaupt nicht:

Sie sind bis auf wenige Monate gleich alt. Haben Sie in Ihrer Jugend gegen irgendwas demonstriert?

DIESS: Ja, ich war sehr politisch, wir hatten damals natürlich andere Motive. Damals waren Amerika und Vietnam ein großes Thema. Es gab viele Ungerechtigkeiten, ich habe beispielsweise gegen das Hochschulrahmengesetz demonstriert. (…)

LÖW: Wo ich aufgewachsen bin, im Schwarzwald, gab’s nur heile Welt.

Mit dieser zwanghaften Suche nach Berührungspunkten geht es dann immer weiter (“Sind Nationalelf und VW in die Krise gerutscht, weil sie zu arrogant waren, weil sie dachten: Wir sind die Nr. 1, uns kann keiner was?”, “Sie kommen beiden aus einfachen Verhältnissen. Papa Löw war Ofensetzer, Vater Diess Maler. Hatten Sie es dadurch schwerer?”, “Herr Diess, Sie sind mit 16 Jahren gestürzt, weil Sie mit dem Skateboard bei 60 km/h an einem Auto hingen. Dabei brachen Sie sich den Arm.” (…) “Haben Sie auch solchen Blödsinn gemacht, Herr Löw?”).

Am Montag, also einen Tag nach Erscheinen des Interviews in “Bild am Sonntag”, gab VW bekannt, dass Jogi Löw das neue Werbegesicht des Konzerns sein werde, speziell für die Elektromobilität. Jürgen Stackmann, Vertriebsvorstand der Marke Volkswagen Pkw, betont in der Pressemitteilung die Gemeinsamkeiten des neu gewonnenen Markenbotschafters und seines eigenen Unternehmens:

Joachim Löw trainiert die Nationalelf seit vielen Jahren auf höchstem Niveau und hat sich dabei auch von sportlichen Rückschlägen nicht beirren lassen. Außerdem ist es ihm immer wieder gelungen, Umbrüche einzuleiten. Deshalb passt er perfekt zu Volkswagen. Mit Käfer und Golf haben wir Klassen über Jahre geprägt und leiten nun mit dem ID.3 den nächsten Umbruch in der Marke ein. Wir wollen mit der Elektromobilität Millionen begeistern — ebenso wie der Bundestrainer mit seiner neuen Mannschaft.

Also ziemlich genau der Spin, der einen Tag zuvor in “BamS” zu finden war. Zufälle gibt’s.

Und davon gibt es noch ein paar mehr: In dem Artikel von “Bild am Sonntag” steht nicht ein Wort darüber, dass Jogi Löw das neue Aushängeschild bei VW wird. Dabei müssen die Fotos, die in “BamS” zu sehen sind, bei derselben Gelegenheit entstanden sein wie die Werbefotos, die VW Medien für deren Berichterstattung zur Verfügung stellt. Und im offiziellen PR-Video von VW, in dem Löw und Diess in einem Elektroauto durch Berlin fahren und in dem Diess erzählt, wie sehr Löw über die Beschleunigung des Wagens gestaunt hat, ist zu sehen, wo diese Fahrt beginnt: vor dem Axel-Springer-Hochhaus.

Screenshot aus dem VW-Werbevideo, auf dem das Elektroauto vor einem Axel-Springer-Schuld zu sehen ist

Wir haben bei “Bild”-Sprecher Christian Senft nachgefragt, ob die Artikel in “Bild am Sonntag” und bei Bild.de Teil einer VW-Werbekampagne sind. Er schrieb uns:

Selbstverständlich war das Interview nicht Teil einer Werbekampagne, Redaktion und Verlag sind bei Axel Springer strikt getrennt. Gerade BILD am SONNTAG hat sich in den vergangenen Jahren sehr kritisch mit VW und der Dieselaffäre auseinandergesetzt und ist für seine investigativen Enthüllungen dazu ausgezeichnet worden.

(Dazu sei noch einmal kurz daran erinnert, dass ein anderes Springer-Blatt, die “Welt”, erst vor Kurzem Herbert Diess zum Co-Chefredakteur machte und dem VW-Konzern eine komplette Ausgabe überließ.)

Auf unsere Frage, ob die “BamS”-Redaktion davon wusste, dass Jogi Löw neuer Markenbotschafter bei VW werden soll, antwortete Christian Senft nur: “Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns zu redaktionellen Entscheidungen und Prozessen grundsätzlich nicht äußern.”

Den Schuss nicht gehört, den Rumms umso lauter

In Dänemark fand vorgestern die Parlamentswahl statt, oder wie Bild.de schreibt:

Rumss-Wahl in Dänemark

Auch vor der Europawahl neulich hatte Bild.de verkündet:

Das wird eine fürchterliche RUMMS-Wahl!

Und auch sonst macht es derzeit wahlenmäßig bei den “Bild”-Medien vor allem eines:

RUMMS! Diese Woche gibt es einen klaren Gewinner
Rumms-Umfrage schockt SPD
Bei diesen Parteien macht es richtig RUMMS
Heute macht es RUMMS in Bayern
So sieht Deutschland nach dem Rechts-RUMMS aus
Droht jetzt ein neuer Europa-Rumms?
Endlich mal RAUF statt RUMMS
Droht ein Rechts-Rumms bei der Europa-Wahl?
In Brandenburg droht ein Rechts-Rumms
Wo der Rechts-Rumm am schlimmsten wird
Rezo-Rumms für die CDU

Bei “Bild” rummst es aber nicht nur bei Wahlen, sondern … überall.

Wenn Prinz Philip einen Unfall hat:

Schlagzeile: Rumms!

Wenn Uli Hoeneß einen Spieler kritisiert:

Textauszug: RUMMS!

Wenn Franck Ribéry seine Kritiker beleidigt:

Textauszug: RUMMS!

Wenn Tony Marshall über Otto meckert:

Textauszug: RUMMS!

Wenn ein Paar beim Sex im Auto einen Unfall baut:

Schlagzeile: ER (70) und SIE (34) machten erst bums, dann rumms

Wenn eine Terrasse in eine Hofeinfahrt kracht:

Schlagzeile: RUMMS! Terrasse kracht in Hofeinfahrt

Wenn Henning Baum ein Auto schrammt:

Schlagzeile: Henning Baum - Mit nem Rummms zurück

Wenn eine “Tatort”-Kommissarin eine Ohrfeige austeilt:

Schlagzeile: RUMMS! Hier schlägt die neue Tatort-Kommissarin zu

Wenn der FC Bayern München nicht den gewünschten Trainer bekommt:

Textauszug: Rumms!

Wenn eine Hollywood-Schauspielerin einer Kollegin etwas Böses auf Instagram schreibt:

Textauszug: Rumms!

Wenn ein Hund einen Herd einschaltet:

Schlagzeile: Hund schaltet Herd ein - Explosion! - Rrrrumms!

Wenn was auch immer passiert, bei “Bild” macht es:

Schlagzeile: Rumms, da war das Auto FORD!
Schlagzeile: RUMMS! Neuer Griechen-Chef schockt Finanzwelt
Schlagzeile: Waschen, Schneiden, Rumms!
Schlagzeile: Hilfe, wir wohnen in der Rumms-Bumms-Straße
Schlagzeile: Rumms mit Pep!
Schlagzeile: Rumms-Raub im Goldstübchen
Schlagzeile: Das Rumms-Mobil der besoffenen Bulgaren
Schlagzeile: RUMMS! SEK stürmt falsche Wohnung
Schlagzeile: Ganz Berlin hat einen Rumms!
Schlagzeile: Video: hier macht es Rumms beim Rocker-Boss
Schlagzeile: Nach schwül kommt RUMMS!
Schlagzeile: Rumms, Bumms, KUNST!
Schlagzeile: Rummms! Der BILD-Party-Hammer
Schlagzeile: Herr Lehmann, wann macht es wieder RUMMS?
Schlagzeile: Wo ist die Beute der RUMMS-RÄUBER?
Schlagzeile: Fahrschüler rasselt mit RUMMS durch Prüfung!
Schlagzeile: Die bittere Wahrheit über diesen Rumms
Schlagzeile: Beim Rollator-Rumms hat es gefunkt
Schlagzeile: Monis Rumms-Bumms-Rache
Schlagzeile: Rumms! Rams-Rambo rammt sich zum Blitz-Touchdown

Welches Geräusch es macht, wenn der Kopf eines BILDbloggers bei einer solchen Recherche auf der Tischplatte landet? Richtig.

Lästige Prozesswelle, Klöckner-Video wohl Schleichwerbung, Todes-Drama!

1. Euros für Ärzte: CORRECTIV wehrt sich gegen Prozesswelle
(correctiv.org, Frederik Richter)
Es ist wahrlich eine verrückte Geschichte, die der stellvertretende “Correctiv”-Chef Frederik Richter erzählt. Ein Berliner Anwalt überziehe “Correctiv” und “Spiegel Online” wegen der Datenbank “Euros für Ärzte” mit einer beispiellosen Prozesswelle. Mit jedem der nahezu identischen Schriftsätze trete er irgendwo in Deutschland vor Gericht an und kassiere eine Niederlage. Es gäbe bereits 53 Urteile für “Correctiv” und 83 Urteile für “Spiegel Online”. Was sich unsinnig anhört, kann aus der Sicht des Anwalts jedoch sinnvoll sein: Er kassiert jedesmal nicht nur eine Niederlage, sondern auch das Geld seiner Mandanten beziehungsweise das ihrer Versicherungen. Für die betroffenen Redaktionen gestaltet sich die Sache jedoch weitaus weniger attraktiv, denn neben der vielen Arbeit besteht ein erhebliches finanzielles Risiko.

2. Niemand sieht Dein YouTube-Video
(heise.de, Daniel AJ Sokolov)
Nach den Erhebungen der Video- und Musiksuchmaschine Pex würden nur 0,64 Prozent aller Youtube-Videos mehr als 100.000 Zugriffe erreichen. Diese seien jedoch für mehr als vier Fünftel des Traffics verantwortlich. Daniel AJ Sokolov konstatiert: “Mehr als 99 Prozent aller gehosteten Videos könnte YouTube theoretisch löschen, ohne nennenswerte Umsatzeinbußen zu erleiden — denn diese Videos schaut sowieso fast niemand an.”

3. Bundesweit Razzien wegen Hasskommentaren im Internet
(zeit.de)
Anlässlich des dritten Aktionstags zur Bekämpfung von Hasspostings (das Bundeskriminalamt (BKA) spricht vom vierten Aktionstag) ist die Polizei in 13 Bundesländern gegen Hasskommentierer vorgegangen, hat Wohnungen durchsucht und Verdächtige vernommen. Laut BKA ließen sich 77 Prozent der Hasspostings dem rechtsextremen Spektrum zuordnen, 14 Prozent entsprängen unterschiedlichen Ideologien und neun Prozent würden aus dem linksextremen Milieu stammen.

4. Wendepunkt am Buchmarkt 2018: Verlage und Buchhandlungen entwickeln erfolgreich Wege zum Leser
(boersenverein.de)
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels blickt auf ein positives Jahr 2018 zurück. Die Zahl der Buchkäufer sei erstmals seit 2012 wieder gestiegen. Die Branche habe vergangenes Jahr ihren Umsatz gehalten und sei mit Zuwächsen ins Jahr 2019 gestartet. Der stationäre Buchhandel sei immer noch für rund 47 Prozent Buchverkäufe verantwortlich. Den stärksten Umsatzzuwachs habe es bei Sachbüchern gegeben (+5,5 Prozent).

5. “Sie hätte das Posting als Werbung kennzeichnen müssen”
(deutschlandfunk.de, Sebastian Wellendorf)
Kurz nachdem die Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner ihr umstrittenes Nestlé-Video veröffentlichte, tauchte die Frage auf, ob es sich dabei um Werbung beziehungsweise Schleichwerbung handele. Der “Deutschlandfunk” hat dazu den Medienanwalt Christian Solmecke nach dessen Einschätzung befragt: “Es gibt zwar unterschiedliche Urteile der verschiedenen Gerichte zum Thema Schleichwerbung, aber hier hat sich Frau Klöckner ausnahmslos positiv zugunsten eines Unternehmens ausgesprochen, und da muss man auch, gerade wenn man die Influencer-Urteile der letzten Monate ins Kalkül zielt, sagen, ja, sie hätte das Posting als Werbung kennzeichnen müssen.”

6. “Neue Post”: Schwerer Abschied von Roland Hag
(uebermedien.de, Mats Schönauer & Boris Rosenkranz, Video: 4:14 Minuten)
Todes-Drama bei der “Neuen Post”! Chefredakteur Roland Hag verlässt das Blatt. Sterben damit nun auch all die Lügen- und Quatschgeschichten, mit denen die Leserinnen und Leser 25 Millionen Mal im Jahr hinters Licht geführt werden? Keiner kann darauf eine schönere Antwort geben als Mats Schönauer und Boris Rosenkranz in diesem Video. Überaus gut angelegte vier Minuten vor dem Start ins Wochenende.

“Bild” schickt Bundeswehr in den Zweiten Weltkrieg

Vor 75 Jahren sind die Alliierten in der Normandie gelandet. Die komplette letzte Seite der heutigen “Bild”-Ausgabe dreht sich um den D-Day am 6. Juni 1944. Um den Leserinnen und Lesern noch mal zu erklären, wie viele Soldaten wo genau an der französischen Küste angekommen und auf wen die Briten und US-Amerikaner und Kanadier getroffen sind, hat die Redaktion diese Grafik dazugestellt:

Ausriss Bild-Zeitung - Grafik der Küste der Normandie mit den verschiedenen Strandabschnitten und Pfeilen, welche Einheiten wo gelandet sind
(Hier klicken für eine größere Version.)

Das ist für “Bild”-Verhältnisse eine bemerkenswerte Detailliebe: Die Redaktion hat für Kanada extra die alte Flagge des Landes rausgesucht.

Das Symbol, das “Bild” und auch Bild.de stellvertretend für die deutschen Soldaten zeigen, ist hingegen, nun ja, überraschend: Es zeigt nicht etwa das Balkenkreuz, das die Wehrmacht verwendete, sondern das Tatzenkreuz, das die Bundeswehr verwendet. Die Nutzung dieses “Erkennungszeichens” hatte Bundespräsident Theodor Heuss am 1. Oktober 1956 angeordnet.

Mit Dank an Marco B. für den Hinweis!

Nachtrag, 16. Juni: Da loben wir die “Bild”-Redaktion noch, dass sie sich die Mühe macht und die alte Flagge Kanadas raussucht, und dann schludert sie bei der Flagge der USA. Denn die Version, die in “Bild” zu sehen war …

Ausriss Bild-Zeitung - Großaufnahme der Flagge der USA, die in der Bild-Grafik gezeigt wird

… hat 50 Sterne (müsst ihr nicht extra nachzählen — haben wir schon gemacht). Die Siegesflagge der US-Armee sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg, die Old Glory Flag, hatte allerdings nur 48 Sterne. Erst seit dem 4. Juli 1960 hat die US-Flagge 50 Sterne, nachdem, nach Alaska als Bundesstaat Nummer 49, auch Hawaii als Bundesstaat Nummer 50 als Stern darauf hinzukam.

Mit Dank an @mountainman1977, @Bayern1932, @JornEngbers und @presroi für die Hinweise!

Schock! Es ist kein völlig ausgetrocknetes Flussbett!

Für einen Artikel über eine “Schock-Prognose” …

Screenshot Bild.de - Australische Forscher warnen vor dem Nichts-tun - Schock-Prognose zur Klimakatastrophe

… braucht Bild.de selbstverständlich auch ein Schock-Foto samt Schock-Bildunterschrift. Et voilà:

Screenshot Bild.de - das Foto zeigt eine Brücke mit ein bisschen Wasser. Ansonsten große Trockenheit - Bildunterschrift: Ein völlig ausgetrocknetes Flussbett in Hessen: Klima-Forscher prophezeien der Menschheit ein nahes Ende, wenn der Kohlendioxid-Ausstoß nicht bald extrem verringert wird
(Hier klicken für eine größere Variante.)

Hessen passt. Und trocken sieht das auch aus. Allerdings zeigt das Foto kein “völlig ausgetrocknetes Flussbett”, sondern den Edersee, bei dem es sich um einen Stausee handelt, aus dem seit Jahrzehnten im Sommer regelmäßig kontrolliert große Mengen Wasser abgelassen werden, um den Binnenschiffsverkehr auf der Oberweser garantieren zu können. Die Edertalsperre wurde 1914 fertiggestellt. Wenn der Pegel des Edersees weit genug sinkt, kommt das “Edersee-Atlantis” zum Vorschein — zum Beispiel die Aseler Brücke, die auf dem Foto oben zu sehen ist. Als Symbol für das prophezeite “nahe Ende” der Menschheit taugt das Bild also nicht so richtig.

Über diesen ganzen Vorgang (Wasser ablassen für die Schifffahrt auf der Weser, das Erscheinen des “hessischen Atlantis” und den Ärger von Anwohnern und Gastronomen, weil man für längere Zeit auf dem Edersee nicht mehr tauchen oder segeln kann) hat im vergangenen Jahr unter anderem ein Portal namens Bild.de berichtet.

Mit Dank an Nico für den Hinweis!

Nachtrag, 18:37 Uhr: Klammheimlich und ohne irgendeinen Korrekturhinweis hat die Bild.de-Redaktion das Foto ausgetauscht. Die Bildunterschrift zum neuen Aufmacherbild lautet nun:

Ein Blitz entlädt sich in der Nähe von Laverne, Oklahoma, während eines Tornados. Die Studie sagt für Nordamerika extreme Wetterereignisse im Jahr 2050 voraus

Wer wissen will, wie es aktuell am Edersee aussieht, kann sich hier verschiedene Webcam-Streams anschauen.

Mit Dank an @joergprante für den Hinweis!

Klöckners Nestlé-Video, Heiße Luft um Wetterkarten, Assistenzwanzen

1. Viel heiße Luft um die Wetterkarte
(tagesschau.de. Patrick Gensing)
AfD-Verbände stellten “Tagesschau”-Wetterkarten mit ähnlichen Temperaturen von 2009 und 2019 mit unterschiedlicher Farbgebung gegenüber: die von 2009 im freundlichen Grün und jene von 2019 im bedrohlichen Glutrot. Die Unterstellung: Die “Tagesschau” würde die Zuschauer manipulieren und die Auswirkungen des Klimawandels gezielt übertreiben. Es handelt sich jedoch um zwei völlig verschiedene Wetterkarten, die sich nicht miteinander vergleichen lassen, so Patrick Gensing vom ARD-“Faktenfinder”.

2. Klöckner wegen Nestlé-Video in der Kritik
(spiegel.de)
Das Landwirtschaftsministerium hat auf Twitter ein Video veröffentlicht, in der Landwirtschaftsministerin und CDU-Vizechefin Julia Klöckner mit Nestlés Deutschland-Chef Marc-Aurel Boersch allerlei lobpreisende Dinge über Nestlé-Produkte in die Kamera plaudert. Kritiker gaben daraufhin zu Bedenken, die Ministerin lasse sich von dem Lebensmittelkonzern für PR-Zwecke ausnutzen. Klöckner verteidigt das Video und bezeichnet die Kritiker als “Hatespeaker”. Die Twitterin @dasnuf fragt in einem Kommentar: “Fällt das Video nicht unter Schleichwerbung @mabb_de ? Warum gelten für ein Ministerium andere Regeln als beispielsweise für YouTuber?” Die angesprochene Medienanstalt Berlin-Brandenburg will den Fall nun prüfen.

3. Die Mär von “Social Bots”
(background.tagesspiegel.de, Florian Gallwitz & Michael Kreil)
Immer wieder wird vor sogenannten “Social Bots” gewarnt, die automatisiert in den Sozialen Medien Stimmung machen würden. Die Erhebungen dazu sind jedoch äußerst zweifelhaft, wie Medieninformatiker Florian Gallwitz und Datenjournalist Michael Kreil ausführen. Das traurige Resümee: “Die sogenannte “Social-Bot-Forschung” hat sich in wenigen Jahren zu einem Forschungsfeld mit prall gefüllten Fördertöpfen entwickelt, sich dabei allerdings von der Realität entkoppelt. Politik und Fördermittelgeber sollten diese Entwicklung zur Kenntnis nehmen.”

4. Umbruch bei der “Kronen Zeitung”
(deutschlandfunk.de, Antje Allroggen, Audio: 7:34 Minuten)
Im berühmten Ibiza-Video malte sich der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache aus, wie man bei der “Kronen Zeitung” die Herrschaft an sich reißen könne. Er schlug einer vermeintlichen Investorin vor, Anteile an der “Krone” zu erwerben, und wollte danach allerlei Personaländerungen im Sinne seiner Partei vornehmen. Welchen Einfluss hat dies auf die “Kronen Zeitung”? Wie wird es dort weitergehen? Der “Deutschlandfunk” hat mit dem ORF-Redakteur Stefan Kappacher gesprochen. Und der äußert sich auch zur Beteiligung des Investors René Benko: “Jetzt wird natürlich vermutet, dass es Absprachen zwischen Politik und dem Investor gegeben haben könnte”.

5. Persona non grata
(taz.de, Benno Stieber)
In der “Badischen Zeitung” erschien ein Artikel über die NS-Vergangenheit eines Freiburger Unternehmens, der den Unmut des Chefredakteurs auslöste. Von journalistischen Mängeln war die Rede. Man muss jedoch auch wissen, dass es sich bei dem kritisierten Unternehmen um einen guten Anzeigenkunden handelt. Mehr als zehn Monate später bot der freie Autor der Freiburger Lokalredaktion einen Text über ein anderes Kaufhaus an. Zunächst kam die Zu-, dann die Absage.

6. Alexa & Co.: Innenminister wollen Zugriff auf Daten aus dem “Smart Home”
(netzpolitik.org, Tomas Rudl)
Amazons Alexa zählt zur “Smart Home”-Technologie, doch der Begriff “Assistenzwanze” beschreibt es auch ganz gut. Auf diese Wanzen wollen nun die Innenminister zugreifen können, wie netzpolitik.org mit Hinweis auf eine entsprechende Meldung berichtet.

Unerwähnt, was der Springer-Boss pro Jahr verdient

Eine große Leidenschaft der “Bild”-Redaktion: das Aufzählen von Managergehältern. Jedes Jahr, wenn Analysten und Beratungsunternehmen die Geschäftsberichte der größten Konzerne ausgewertet und daraus Gehaltsranglisten erstellt haben, verwursten die “Bild”-Medien diese zu Artikeln. Vor einer Woche schrieb Bild.de beispielsweise über “die Gehälter von Europas Top-Managern 2018”. Vor drei Tagen dann noch einmal. Bereits vor zwei Monaten ging es um “die Bezüge deutscher Topmanager”.

Screenshot Bild.de - Steve Angel - Unfassbar, was der Linde-Boss pro Jahr verdient
Screenshot Bild.de - Gehaltscheck - So viel verdienen die Top-Bosse
Screenshot Bild.de - Bestverdienender Manager Deutschland - Beiersdorf-Boss bekam mehr als alle anderen

In den Beiträgen nennt Bild.de die Jahresgehälter von Steve Angel (Linde), Severin Schwan (Roche), Carlos Brito (Anheuser-Busch InBev), Sergio Ermotti (UBS), Bill McDermott (SAP), François-Henri Pinault (Kering), Carlo Messina (Intesa Sanpaolo), Stefan Heidenreich (Beiersdorf), Oliver Bäte (Allianz), Dieter Zetsche (Daimler), Harald Krüger (BMW) und Herbert Diess (VW). Sie reichen von 5,8 Millionen bis 55,8 Millionen Euro für das Jahr 2018 (wobei die Grundlagen für die Berechnungen teils unterschiedlich sind — bei manchen sind “Boni und Pensionsansprüche” oder Aktienoptionen dabei, bei manchen nicht).

Jetzt könnte man natürlich fragen, ob Julian Reichelt die Familien dieser Manager in Gefahr bringt und würde damit nur strikt der Logik des “Bild”-Chefs folgen.

Interessanter aber finden wir, wen die “Bild”-Redaktion in ihren Aufzählungen nie erwähnt, obwohl er mit der Höhe seines Gehalts locker reinpassen würde: ihren eigenen obersten Chef Mathias Döpfner. Das Gehalt des Vorstandsvorsitzenden der Axel Springer SE soll im vergangenen Jahr laut “kress” 7,63 Millionen Euro betragen haben. 2017 sollen es laut der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz und der Technischen Universität München 7,41 Millionen Euro gewesen sein (PDF — wobei noch Döpfners Anteil an einer Sonderzahlung von General Atlantic hinzukommt; diese betrug für alle fünf Springer-Vorstandsmitglieder zusammen 12 Millionen Euro). Und 2016 sogar über 19 Millionen Euro und damit mehr als bei allen Vorständen der 30 Dax-Unternehmen. Dabei ist die Axel Springer SE, die im MDax gelistet ist, mit rund 16.350 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie 3,18 Milliarden Euro jährlichem Umsatz deutlich kleiner als die meisten Dax-Konzerne.

Zu Döpfners möglichem Rekord-Gehalt von 2016 sagte eine Springer-Sprecherin, dass diese Berechnung auf “extrem wackeligen Füßen” stehe. Und tatsächlich sind das alles nur Schätzungen. Denn während fast jedes andere Unternehmen im Dax und im MDax die Gehälter seiner einzelnen Vorstandsmitglieder veröffentlicht, nennt Springer in seinen Geschäftsberichten (PDF, Seite 86) lediglich eine Summe für den gesamten Vorstand. Aktionärsschützer kritisieren dieses Vorgehen schon länger.

Mit dieser intransparenten Praxis des Springer-Konzerns dürfte allerdings bald Schluss sein: Eine neue EU-Aktionärsrechterichtlinie, die den Einzelausweis bei Spitzengehältern zur Pflicht werden lässt, muss bis zum 10. Juni dieses Jahres in deutsches Recht umgesetzt werden. Wir sind uns allerdings ziemlich sicher, dass die “Bild”-Redaktion trotz ihrer großen Leidenschaft für Managergehälter auch dann nicht über Mathias Döpfner berichten wird.

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