Vor ziemlich genau fünf Monaten erlitt der Fußballspieler Chavdar Yankov (Hannover 96) auf dem Spielfeld eine Verletzung. Die Haut an seinem Penis war eingerissen und musste mit mehreren Stichen genäht werden.
Wie berichtet, behauptete “Bild” damals mehrere Tage lang, der Spieler Benjamin Köhler (Eintracht Frankfurt) sei für die Verletzung verantwortlich gewesen. Und als sich herausstellte, dass es ganz offensichtlich nicht Köhler, sondern Köhlers Team-Kollege Christoph Spycher war, der Yankov verletzt hatte, berichtete “Bild” nicht mehr.
Zumindest bis gestern.
Allerdings (siehe Ausriss) ließ “Bild” die günstige Gelegenheit einer beiläufigen Korrektur nun leider ungenutzt verstreichen und schrieb stattdessen unter der Überschrift “Penis-Opfer hat wieder einen geilen Hammer” unverbesserlich:
“Im September hatte ihm der Stollen von Frankfurts Köhler den Penis aufgeschlitzt.”
Aber womöglich ist es ja das, was “Bild”-Chef Kai Diekmann meinte, als er mal davon sprach, auch seine Zeitung müsse “die ‘innere Wahrheit’ eines Sachverhalts (…) richtig wiedergeben”: Aus dem internen “Bild”-Archiv unkorrigierte Fehler abschreiben.
Bild.de (bzw. laut Bild.de auch “Bild”) berichtet ja heute, die “Big Brother”-Kandidatin Michelle Littbarski sei, nachdem die Zuschauer sie jüngst per Televoting aus der RTL2-Show gewählt haben, “am Ende”:
“Vom Papa verstoßen, kein Job, kein Geld!
Pierre Littbarskis (45) schöne Tochter Michelle (18) steht seit gestern Abend vor dem Nichts. (…)”
Desweiteren erinnert der Bericht daran, dass ihr Vater die Unterhaltszahlungen von monatlich 766,94 Euro eingestellt habe, und schreibt: “Auch Mama Monika wird kaum helfen können.”
Und wir wissen nicht, wie Bild.de (oder “Bild”?) darauf kommt, dass “Mama Monika” ihrer Tochter “kaum helfen können” wird. (Schließlich hat Monika Littbarski die Frage nach “finanziellen Schwierigkeiten” noch gestern in der “Bild am Sonntag” ausdrücklich und unwidersprochen verneinen dürfen). Aber dafür wissen wir jetzt, was man im Hause “Bild” unter “Nichts” bzw. “kein Geld” versteht:
9166,80 Euro nämlich.
Denn eben diese auf der offiziellen “Big Brother”-Website (siehe Ausriss) unter dem Stichwort “Konto” vermerkte Summe, die immerhin knapp zwölf der o.g. monatlichen “Unterhaltszahlungen” entspricht, darf Littbarski nach ihrer Teilnahme an der Show behalten.
Eigentlich sollte man es bei “Bild” jaambestenwissen: Der zweijährige Tim aus Elmshorn wurde im November 2005 tot in einer Sporttasche in einem Garten gefunden. Seit seinem Verschwinden damals war eine Woche vergangen.
Warum also steht in einem Text auf Bild.de über den Prozess gegen den mutmaßlichen Täter das hier?
Hervorhebung von uns
Mit Dank an Simon S. und Maja I. für den sachdienlichen Hinweis.
Nachtrag, 7.2.2006:
Bild.de hat den unsinnigen Satz inzwischen ersatzlos entfernt.
Übrigens: Der echte Canossa-Gang führte Heinrich IV. im Jahr 1077 über die Alpen nach Italien, um den Papst durch Buße zu bewegen, seinen Bann gegen ihn zurückzunehmen.
Mit Dank an Uwe B., Alexander W., Jens S. und Ralf H.
Nachtrag, 22.1.2006:
Auf Bild.de wurde der entsprechende Absatz inzwischen geändert. Nun heißt es auch dort korrekterweise:
Anders als Bild.de behauptet, gewann der FC Bayern das Testspiel gegen Hansa Rostock nicht 2:1 durch Tore von “Ismael (19.) und Guerro (50.) bei einem Eigentor von Hansen (68.)”. Denn abgesehen davon, dass der Schütze zum 2:0 Guerrero heißt, spielt Hansenbei Hansa. Ein Eigentor durch ihn hätte also das 3:0 für Bayern bedeutet. Tatsächlich führte ein Handelfmeter, den Hansen verwandelte, aber zum 2:1 Endstand.
Und was “Bild” heute über Oliver Kahn schreibt, stimmt auch nicht:
Hervorhebung von uns
Tatsächlich war Oliver Kahn in der Welttorhüter Rangliste des IFFHS nämlich schon im Jahr 2004 auf Rang sechs abgerutscht. Folglich verbesserte er sich2005 wieder um einen Platz.
Mit Dank an Jean-Paul I. und Holger K. für die Hinweise
Seit der französischen Revolution ist der Großteil der Welt schrittweise dazu übergegangen, Längen nicht mehr in Elle oder Klafter, sondern in Meter oder Zentimeter anzugeben. So macht das auch Hessens Versammlungsstättenverordnung (VStättV § 10 Abs. 2): “Stufen in Gängen (Stufengänge) müssen (…) einen Auftritt von mindestens 0,26 m haben.”
Im umstrittenen Test der Fußball-WM-Stadien bemängelt Stiftung Warentest nun an der Commerzbank-Arena in Frankfurt einen steilen Oberrang und einige Stufen, die angeblich nur 22 Zentimeter tief sind (siehe “hessenschau”). Frankfurts Bürgermeister Achim Vandreike widerspricht energisch: Es seien “Werte zwischen 26,8 und 30 Zentimetern”.
Um das endgültig zu entscheiden, hat “Bild” einen Reporter zum Nachmessen ins Stadion geschickt. Beruhigendes Ergebnis: Die Stufen sind etwas weniger als anderthalb Peter-Dörr-Handspannen tief.
Man könnte, im übertragenen Sinne, sagen, dass das Kreuzband die Achillesferse des Bundesliga-Spielers Jens Nowotny ist. Aber eben doch nur im übertragenen Sinne.
Nach Ansicht von Experten ist die große Macht von “Bild” eines der Haupthindernisse bei der Fusion des Axel-Springer-Konzerns mit ProSiebenSat.1. Vor diesem Hintergrund sagt der Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner in der “Frankfurter Allgemeinen” heute:
Daß die “Bild”-Zeitung mit ihrer hohen Auflage eine starke Marktstellung hat, ist unbestritten. Aber wir verschieben die Gewichte, wenn “Bild” zu einer Art Gegenregierung aufgebaut wird. Dann verlagern wir die politische Autorität auf die Straße. Die “Bild”-Zeitung ist eine Unterhaltungs- und Boulevardzeitung. Sie ist aber nur so wichtig, wie sie von politischen Eliten genommen wird. Man sollte die “Bild”-Zeitung nicht zum vorherrschenden politischen Leitmedium überhöhen. Das ist für die Redaktion zwar ein Kompliment, aber ob es das auch für den geistigen Zustand unserer Republik ist, da habe ich meine Zweifel. Die Boulevardisierung der Qualitätsmedien und die Boulevardisierung weiter Teile der Politik sind das Problem.
Zum Vergleich: Im Herbst 2004, als die Macht von “Bild” noch kein Problem für Springer war, schrieb “Bild”-Chefredakteur Kai Diekmann in einer E-Mail an seine Mitarbeiter:
Wir sind in der Tat — und das wird selbst von unseren strengsten Kritikern eingeräumt — DAS LEITMEDIUM. Mit unserer exzellenten Sport-Berichterstattung, mit unseren Enthüllungen aus Politik und Unterhaltung, mit unseren präzisen Recherchen und Scoops im Nachrichtenbereich aus dem In- und Ausland, mit unseren Top-Themen in über 30 Lokal- und Regionalausgaben.
Das Schöne an Zeitungen beispielsweise ist, dass sie Sachverhalte einordnen, dass sie erklären, was für den laienhaften Leser andernfalls schwer oder gar missverständlich sein könnte. “Bild” beispielsweise tut das (angeblich) immer wieder: Ob Olympia oder Ecuador, das “neue Öko-Angstwort”, das Papst-Gewand oder die Beschlüsse der neuen Regierung — “BILD erklärt”, heißt es dann gern.
Aber nicht nur “Bild” erklärt. Nachdem sich das ZDF entschieden hatte, ein Interview mit der Archäologin Susanne Osthoff über ihre Geiselnahme im Irak auszugsweise im gestrigen “heute journal” auszustrahlen, war man auch dort bemüht, das fraglos grotesk wirkende Gespräch einzuordnen.
So sei, sagte die Interviewerin Marietta Slomka vor der Ausstrahlung, Osthoff zu einer Fernsehaufzeichnung nur bereit gewesen, “wenn ihr Gesicht verschleiert bleibt”. Das Resultat wirkte befremdlich, nicht zuletzt, weil Osthoff schwarze Kleidung und einen Gesichtsschleier trug, der einem Niqab (oder Nikab) nicht unähnlich sah. Aber was wissen wir schon — außer vielleicht, dass eine Verschleierung wie die Osthoffs weltweit für viele Musliminnen Tradition, Ausdruck ihrer Religiösität oder schlicht Alltag ist.
Und “Bild”? Schreibt unter der Überschrift “Irrer TV-Auftritt” auf der Titelseite:
“Vermummt wie eine radikale Islamistin zeigte sie sich vor der Kamera (…)”
Und weil “Bild” der irre Vergleich offenbar irre gut gefällt, steht’s auf Seite 2 gleich nochmal:
“Vermummt wie eine radikale Islamistin zeigte sich die deutsche Ex-Geisel vor der Kamera.”
Mit anderen Worten: Wenn Osthoff für “Bild” also “wie eine radikale Islamistin” aussah, erklärt das nicht Osthoffs rätselhafte Verschleierung. Aber es sagt viel darüber, wie “Bild” erklärt.
Es gibt Dinge, die sind fast total sicher. Dass an Silvester “Dinner for One” läuft zum Beispiel. Kann man drauf wetten. Da muss man nicht immer mit so komischen Möglichkeitsformen arbeiten, wenn man drüber schreibt.
Und dann gibt es Dinge, die sind nicht so sicher. Sondern nur wahrscheinlich. Oder nur möglich. Oder nicht ganz ausgeschlossen. Dass es an Weihnachten regnen wird zum Beispiel. Tja: Wer weiß? Besser vorsichtig formulieren. Mit “könnte” und “vielleicht” und so.
Gute Zeitungen erkennt man unter anderem daran, dass sie einem helfen, das Sichere von dem Möglichen zu unterscheiden. Dann testen wir das mal an diesem Artikel aus der “Bild”-Zeitung vom 11. November 2005:
Brasilien will nach Castrop-Rauxel
(…) BILD erfuhr, wo Brasilien wirklich sein WM-Quartier aufschlägt:
Man höre und staune – in CASTROP-RAUXEL. (…)
Ein Sprecher von Brasiliens Fußball-Verband bestätigte:
“Wir machen definitiv in der Nähe von Dortmund Quartier. Von dort haben wir das lukrativste Angebot bekommen.” (…)
Auch er nimmt Quartier in Castrop-Rauxel: Brasiliens Ronaldinho.
Das fällt in die Kategorie “völlig sicher”, oder? Die “Bild”-Meldung machte die Runde, auch wenn manche Medien sie wohlweislich relativierten. Bei ARD.de formulierte man vorsichtig: “Glaubt man der Bildzeitung dann dürfen sie in Castrop Rauxel schon bald Samba tanzen vor Freude” — und trug einige Zweifel an der Richtigkeit der Meldung zusammen. In der “WAZ” dementierten Sprecher des Hotels, dass schon etwas beschlossen sei. Und die “Süddeutsche Zeitung” zitierte den brasilianischen Trainer Parreira drei Wochen später mit den Worten, Castrop-Rauxel sei nur “eine Option von vielen”. Ja: könnte, würde, vielleicht — laaaangweilig.
“Bild” hatte in der Zwischenzeit schon andere wichtige Dinge am angeblich sicheren Quartiersort recherchiert. Zum Beispiel, dass es dort ein Bordell gebe, ein “Sex-Sterne-Laden”:
Eintritt 50 Euro. Die Liebes-Luder verlangen bis zu 150 Euro. Für die WM wird ihr Kader vergrößert (von 18 auf ca. 40). An WM-Top-Zuschlag wird gedacht.
Die dralle Elsa: “Dafür gibt’s aber auch brasilianische Wochen mit Caipi und Spezial-Buffet.”
Machen wir es kurz: Brasilien macht nicht in Castrop-Rauxel Quartier, sondern in Königstein und Bergisch Gladbach. Und als Bild.de vergangene Woche von der Entscheidung gegen Castrop-Rauxel erfuhr, stand dort:
Noch vor ein paar Wochen hieß es, die WM-Mannschaft werde sich in einem 4-Sterne-Hotel in Castrop-Rauxel (NRW) einquartieren.
Ja, so hieß es noch vor ein paar Wochen. In “Bild” und anderen Medien, die “Bild” glaubten.