CDU-Parteitag, Blick in die Glaskugel, Unwort “Kampfkandidatur”

1. Wie über eine Wahl berichten, die auf dem Sofa entschieden wird?
(uebermedien.de, Anne Haeming)
Heute und morgen treffen sich 1.001 Delegierte zum 33. Parteitag der CDU. Der Termin wird mit großer Spannung erwartet, denn dort soll entschieden werden, wer neuer Parteichef wird: Friedrich Merz, Norbert Röttgen oder Armin Laschet. Die Berichterstattung über das wichtige Ereignis ist nicht einfach, denn es handelt sich um eine digitale Veranstaltung. Anne Haeming hat sich mit verschiedenen Medienvertreter:innen über die schwierige Versuchsanordnung unterhalten.

2. Darum ist “Kampfkandidatur” der falsche Begriff
(deutschlandfunk.de, Stefan Fries, Audio: 1:50 Minuten)
Und noch einmal zum CDU-Parteitag: Es sollte eigentlich der Idealfall sein, dass bei einer Wahl mehrere Kandidatinnen oder Kandidaten antreten. Trotzdem ist bei Wahlen oft von einer “Kampfkandidatur” die Rede. Medien sollten diesen Begriff nicht verwenden, findet Stefan Fries beim Deutschlandfunk-“Sprachcheck”: “Sie problematisieren also, dass es jemand wagt, gegen einen als gesetzt geltenden Kandidaten anzutreten. Und bemänteln damit das eigentlich größere Problem, dass Parteigremien manchmal eine echte Wahl verhindern, indem sie nur einen Kandidaten aufstellen. Eine Wahl haben die Wähler dann nämlich nicht.”

3. Datenboulevardjournalismus der taz zu Corona
(datenjournalist.de, Lorenz Matzat)
Datennjournalist Lorenz Matzat kritisiert eine “taz”-Grafik zu einer Corona-Mutation: “Das Boulevardeske an dieser Titelgrafik ist, dass sie – um Alarmismus zu betreiben – eine Datenentwicklung zeigt, ohne sie analytisch in einen Kontext zu stellen.”

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4. Thomas Knüwer rät Medienprofis: Sei ein Büffel!
(kress.de, Thomas Knüwer)
Medienexperte Thomas Knüwer hat seine Glaskugel herausgeholt und schaut in die Medienzukunft des Jahres 2021. Knüwer hat dabei sieben Entwicklungen im Blick: Zoom, Livestreaming, Social Commerce, Twitch, Instant Messaging, Peloton und Podcasts.

5. Shoot the Messenger
(netzpolitik.org, Ingo Dachwitz)
WhatsApp zwingt seinen Nutzern und Nutzerinnen neue Geschäftsbedingungen auf, die in vielerlei Hinsicht bedenklich sind. Ingo Dachwitz kommentiert: “Nach all den Skandalen und all den Versprechen, es in Zukunft besser machen zu wollen, versucht Facebook wieder, uns an der Nase herumzuführen. Statt klarer Kommunikation und echter Transparenz über die Datennutzung setzt uns der Marktführer unverständliches Kauderwelsch und widersprüchliche Angaben vor. Der Konzern geht davon aus, dass die Nutzer:innen die Bedingungen schon schlucken werden, auch ohne sie zu verstehen.” Wer den Artikel liest, dürfte nicht umhinkommen, eine der dort genannten Alternativen zu installieren.

6. Happy Birthday, Reparierer
(taz.de, Steffen Grimberg)
Das medienkritische Online-Magazin “Übermedien” feiert sein fünfjähriges Bestehen – und von überall kommen Glückwünsche (hiermit natürlich auch von uns). Steffen Grimberg, Medienredakteur der “taz”, schließt sich den Glückwünschen an: “Mensch, ihr seid schon fünf. Wehe, ihr werdet neunmalklug und ernst, wenn ihr nächstes Jahr in die Schule kommt. In diesem Sinne: Reingehauen!”

Semsrotts Parteiaustritt, Parlers folgenreiches Datenleck, Mausiläum

1. Semsrott verlässt Die Partei nach Rassismusvorwürfen gegen Sonneborn
(zeit.de)
Der Europaabgeordnete und Satiriker Nico Semsrott hat seinen Austritt aus der Partei Die Partei verkündet. Konkreter Anlass ist ein Zwist mit seinem nun ehemaligen Parteikollegen Martin Sonneborn über einen Tweet, der von vielen als rassistisch wahrgenommen wurde, und Sonneborns Umgang mit Kritik. Bei der Einordnung hilft auch der Beitrag Wenn Sonneborn nicht bald aufhört, wird er zum peinlichen Onkel auf der Familienfeier (vice.de, Robert Hofmann). Sonneborn hat mittlerweile mit einem Statement reagiert, in dem er seine Sicht darlegt und sich für die Folgen des Tweets entschuldigt.

2. Die unsichtbaren Helfer der Kriegsreporter
(ndr.de, Manuel Daubenberger & Florian Guckelsberger, Video: 16:58 Minuten)
Auslandsberichterstattung aus Krisenregionen ist ohne die Unterstützung der sogenannten Fixer nicht denkbar. Sie leiten Journalistinnen und Journalisten sicher durch die Region, stellen Kontakte her und dienen häufig als Fahrer und Übersetzer. Dabei setzen sie oft ihr eigenes Leben aufs Spiel. “Zapp” macht einen der unsichtbaren Helfer sichtbar, den 30-jährigen Simultanübersetzer Norayr Iskandaryan.

3. GPS-Daten zeigen, wie Trump-Anhänger ins Kapitol vordrangen
(spiegel.de, Matthias Kremp)
Beim in rechten Kreisen beliebten Alternativ-Netzwerk Parler gab es ein Datenleck. Nachdem Apple, Google und Amazon der Plattform die technische Unterstützung entzogen hatten, konnten Aktivisten die bei Parler gespeicherten Inhalte sichern. Rund 70 Terabyte an Daten sollen auf diese Weise zusammengekommen sein. Daten, die nun dabei helfen können, die Vorgänge um die Erstürmung des Kapitols aufzuklären.

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4. Auch Youtube sperrt Trump
(sueddeutsche.de)
In den vergangenen Tagen hatte Donald Trump bereits verschiedene seiner Social-Media-Kanäle verloren, nun deaktiviert Youtube Trumps Konto für zumindest eine Woche. Der US-Präsident kann somit erstmal keine neuen Videos hochladen. Außerdem seien wegen “Bedenken ob des anhaltenden Gewaltpotenzials” Inhalte auf Trumps Kanal entfernt worden.

5. Übersterblichkeit unter Celebrities
(deutschlandfunk.de, Arno Orzessek, Audio: 4:07 Minuten)
Es könnte eine Formel sein: Je prominenter ein Mensch ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass er oder sie im Internet fälschlicherweise schon mal für tot erklärt wurde. In seiner Deutschlandfunk-Kolumne stellt Arno Orzessek einige der jüngsten Schein-Todesfälle aus den Sozialen Medien vor. Das Ganze sei jedoch beileibe kein neues Phänomen: Bereits 1964 habe die dpa gemeldet, KPdSU-Chef Nikita Chruschtschow sei aufgrund einer “akuten Hephocapalytirosises” gestorben, was sich als doppelt falsch herausstellte: Weder war Chruschtschow gestorben noch gab es die als Todesgrund genannte Krankheit.

6. Mausjubiläum
(faz.net, Oliver Jungen)
Man sieht es ihr nicht an, weil sie sich über die Jahre gut gehalten hat, aber die Maus wird fünfzig. Zum Mausjubiläum gratuliert Oliver Jungen: “Leibesfülle hin, das fröhlich aufgetragene Müllwagen-Orange her: So gut altern die wenigsten Medienmäuse. Denn tatsächlich handelt es sich nicht nur um eine der erfolgreichsten, sondern auch um eine der bildendsten Sendungen, die das deutsche Fernsehen je produziert hat.”

Trump-Deplatforming, RTL-Rauswurf der “Hitler-Transe”, Lobo wird 10

1. Warum Trumps Accountsperrungen richtig und hochproblematisch sind
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Donald Trump steht seit einigen Tagen ohne Twitter-Account und Facebook-Konto da. Die Plattformen haben ihn verbannt und ihn damit, zumindest auf Social Media, verstummen lassen. Dieses Deplatforming ist nicht unproblematisch. Kritiker und Kritikerinnen wenden ein, dass es sich um eigenmächtige Entscheidungen von wirtschaftlich befangenen Marktteilnehmern handele, die die Meinungsfreiheit einschränken. Außerdem löse es keine gesellschaftlichen Probleme, wie Markus Reuter anfügt: “Fraglich ist natürlich auch, ob ein Deplatforming ausreicht, um antidemokratische und menschenfeindliche Ideologien zu bekämpfen. Kein Rassist wird durch ein Deplatforming zum Demokraten. Vielleicht führt die Maßnahme sogar zu einer Radikalisierung der Betroffenen, weil Gegenrede auf den Nischenplattformen vollkommen wegfällt.”
Weitere Lesehinweise: Beim “Neuen Deutschland” ist Daniel Lücking ebenfalls skeptisch: “Wir mögen die Trump-Sperrung, müssen aber das Prozedere ablehnen”. Beim Deutschlandfunk weist Internetrechtler Matthias Kettemann auf die problematischen Aspekte derartiger Sperren hin (deutschlandfunk.de, Bettina Köster, Audio: 8:36 Minuten).
Und weil es thematisch dazugehört: Twitter sperrt 70.000 weitere Konten der QAnon-Bewegung (zeit.de).

2. Re: Hass im Netz
(arte.tv. Kathrin Wildhagen, Video: 31:46 Minuten)
Hass im Netz ist kein abstraktes Phänomen, sondern hat ganz konkrete Auswirkungen für und auf die angegriffenen Personen. Was machen organisierte Shitstorms und Morddrohungen mit ihren Opfern? In der Arte-Dokumentation lernt man drei Menschen kennen, die regelmäßig Hass im Netz ausgesetzt sind: die Wiener Politikwissenschaftlerin und Rechtsextremimus-Expertin Natascha Strobl, die Feministin Fatima Benomar aus Paris und den Hannoveraner Politiker Belit Onay, den ersten deutschen Oberbürgermeister mit türkischen Wurzeln.

3. RTL-Rauswurf der “Hitler-Transe”: Lügen von “BILD”, PR vom RBB
(nollendorfblog.de, Johannes Kram)
Eigentlich war die Berliner Dragqueen Nina Queer für die Teilnahme am “Dschungelcamp” (RTL) vorgesehen, doch wenige Tage vor dem Start der Aufzeichnung erfolgte die Ausladung durch den Sender. Der verkürzte Grund: Queers Selbstbezeichnung als “Hitler-Transe”. In der Berichterstattung und der Bewertung des Falls ist einiges weggelassen worden und durcheinandergeraten. Johannes Kram hat sich Queers Original-Zitate angeschaut und mit dem verglichen, was daraus in den Medien wurde.

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4. Härte des Rechtsstaats
(uebermedien.de, Sina Aaron Moslehi)
Sina Aaron Moslehi verrät auf “Übermedien” sein Lieblings-Hasswort. Es ist die Phrase von der “Härte des Rechtsstaats”. Moslehi ergänzt seine Kritik an dem Begriff mit einer Beobachtung: “Bemerkenswert ist auch, dass besondere Strenge dem Menschen immer dann als angemessen erscheint, wenn andere in den Verdacht geraten, Straftaten begangen zu haben. Man selbst lässt sich ja nie etwas zu Schulden kommen. Und falls das ausnahmsweise mal geschehen sollte, so hat man Milde verdient. Man weiß ja selbst am besten, was für ein eigentlich guter Mensch man ist.”

5. Expansion in Berlin
(deutschlandfunk.de, Manfred Götzke, Audio: 6:04 Minuten)
Die “Neue Zürcher Zeitung” weitet ihr Deutschland-Engagement aus. Ex-Springer-Mann Jan-Eric Peters dirigiert als “NZZ”-Deutschland-Geschäftsführer mittlerweile zehn Journalistinnen und Journalisten in München, Frankfurt und vor allem in Berlin. Der Leipziger Medienwissenschaftler Uwe Krüger verortet die “NZZ” im konservativ-liberal-bürgerlichen Lager. Die Kolumnen des Schweizer Chefredakteurs Eric Gujer würden im rechten Spektrum fischen und Begriffe wie “Gesinnungspolizei”, “Redeverbote”, “Tugendwächter” verwenden. “Das sind alles Signale dafür, dass man sich auch an ein Publikum richtet, dass sich AfD nah fühlt zum Beispiel”, so Krüger. “NZZ”-Deutschland-Chefredakteur Marc Felix Serrao weist eine AfD-Nähe von sich und seinem Blatt: Bei einer von der “NZZ” in Auftrag gegebenen Allensbach-Umfrage sei herausgekommen, dass man unterproportional AfD-Sympathisanten und überproportional Grünen-Sympathisanten in der Leserschaft habe.

6. Warum mich Sascha Lobo manchmal sehr traurig macht
(spiegel.de, Judith Horchert)
Seit zehn Jahren schreibt Sascha Lobo seine Kolumne bei “Spiegel Online” beziehungsweise beim “Spiegel”. Für Redakteurin Judith Horchert ein willkommener Anlass, ihre zehn Lieblings-Lobo-Kolumnen aus der zurückliegenden Dekade vorzustellen. Denn: “Erschreckend viele Texte von Sascha Lobo sind gut gealtert. Das liegt einerseits an Saschas Hellsichtigkeit und daran, dass er den Einfluss der Digitalisierung auf die Gesellschaft gut verstanden hat und gut erklären kann.”

“Spiegel” auf Psychedelika, Lächeln im Lockdown, Twitters Trump-Sperre

1. Hochmut kommt vor der Rüge: “Spiegel” blamiert sich beim Presserat
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Häufig passieren die entscheidenden Fehler beim Umgang mit Fehlern. Der Presserat hat den “Spiegel” wegen eines “Selbsterfahrungsberichts” einer Psychedelika-Lobbyistin gerügt. Anstatt die Rüge hinzunehmen, den Fehler einzugestehen und womöglich Besserung zu geloben, beantragte das Nachrichtenmagazin die Wiederaufnahme des Verfahrens – und unterlag erneut. Der Medienkritiker Stefan Niggemeier hat sich den unwürdigen Ablauf angeschaut, inklusive des unrühmlichen Endes. Dazu ergänzte Niggemeier auf Twitter: “Apropos ‘peinlich’: Die gedruckte Bild-Zeitung hat seit 1 ½ Jahren keine Rügen des Presserat für ihre Verstöße gegen den Pressekodex mehr veröffentlicht. Inzwischen steht rund ein Dutzend Rügen aus. Aber die Rügen für *andere* auf Seite 1 veröffentlichen. Bigott.”

2. Angstmache, Falschmeldungen und Gerüchte
(tagesschau.de, Patrick Gensing)
ARD-“Faktenfinder” Patrick Gensing nimmt einen deutlichen Zuwachs an Desinformation zur Impfthematik wahr. Eine Impfgegner-Gruppe auf Facebook sei innerhalb von wenigen Wochen auf 75.000 Mitglieder angewachsen: “In den täglich Dutzenden Beiträgen in diesen privaten Gruppen finden sich Versatzstücke aus zahlreichen Falschmeldungen und Gerüchten, die seit Monaten verbreitet werden. Besonders groß ist die Angst, der Impfstoff könnte das Erbgut verändern. Dies ist allerdings ein Missverständnis: Die sogenannte mRNA gelangt lediglich in die Zelle und wird dort ‘abgelesen’. Danach wird sie abgebaut.”

3. Die Macht der Konzerne
(taz.de, Daniel Bouhs)
Wollen Sender oder Verlage ein Live-Video-Angebot im Netz starten, sind sie auf die Genehmigung der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich, kurz KEK, angewiesen. Doch das Medienkonzentrationsrecht habe dringenden Reformbedarf, die KEK-Entscheidungen seien entsprechend anfällig für Anfechtungen. Eigentlich hätte es längst ein gesetzgeberisches Update geben sollen, doch zwei Bundesländer hätten das Projekt ausgebremst. Daniel Bouhs erklärt die verschiedenen Interessenlagen.

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4. Massenüberwachung des BND muss vor Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
(netzpolitik.org, Serafin Dinges)
Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) hat beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Beschwerde gegen den Bundesnachrichtendienst (BND) eingereicht. Die Beschwerdeführer würfen dem BND vor, Korrespondenzen zwischen RSF-Mitarbeitenden und im Ausland ansässigen Journalistinnen und Journalisten überwacht zu haben. “Dass die Beschwerde von RSF nun vom Gerichtshof in Straßburg akzeptiert wurde, ist umso bemerkenswerter, da ähnliche Klagen in Deutschland bereits 2013 vom Bundesverwaltungsgericht und 2017 vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen wurden.”

5. Twitter sperrt Trump, Facebooks Hardware-Ambitionen, Twitter kauft Breaker, Umbau von Facebook Pages
(socialmediawatchblog.de)
Das “Social Media Watchblog” arbeitet in einer frei lesbaren Ausgabe seines Briefings den Trump-Rauswurf durch Twitter auf. Die Entscheidung sei richtig, komme jedoch Jahre zu spät und offenbare die problematischen Kräfteverhältnisse im Internet. Wie immer sind die Informationen und Ableitungen gut strukturiert, eingeordnet und mit Quellen und Leseempfehlungen angereichert.

6. RTL will für mehr “Lächeln im Lockdown” sorgen
(dwdl.de, Uwe Mantel)
Die gestrige Nachrichtensendung “RTL aktuell” fand ein überraschendes Ende: Für “mehr Lächeln im Lockdown” las das Moderationsduo Passagen aus einem Buch der Komikerin Gabi Köster vor. Ähnliche Aktionen seien laut RTL für alle Magazin- und Nachrichtenformate geplant.

Lockdown-Schulfernsehen, K(l)eine Anfragen, Duden passt an

1. ARD und ZDF erweitern Bildungsprogramm
(tagesschau.de)
ARD und ZDF erweitern während der Lockdown-Phase ihr Bildungsprogramm. In der ARD-Mediathek seien die nach Klassenstufen sortierten Angebote in der Rubrik “Zu Hause lernen” gebündelt. Außerdem werde es ab heute für drei Wochen Sonderprogrammierungen auf allen Kika-Plattformen geben. Beim Bildungskanal ARD-alpha gibt es werktags zwischen 9 und 12 Uhr Lernformate für alle Schularten und Fächergruppen. Auch die dritten Programme sind mit Angeboten für Schüler und Schülerinnen dabei.

2. “Wir müssen leider abbrechen”
(sueddeutsche.de, Georg Mascolo)
Der Sturm auf das Kapitol in Washington war von Angriffen auf Journalistinnen und Journalisten begleitet. Dafür seien nicht nur Trump und einige Republikaner verantwortlich, sondern auch Teile der US-Medien: “Die USA sind auch im Bereich der Medien ein Land schwer zu erklärender Widersprüche. Aus dem Land kommt der beste und der schlechteste Journalismus der Welt – der Grund, stolz auf diesen Beruf zu sein, oder sich dafür zu schämen.”
Weiterer Lesehinweis: Im Interview mit der “taz” berichtet ZDF-Korrespondent Elmar Theveßen, wie er und sein Team am Kapitol von Rechtsextremen angegriffen wurden: “Einer sagte ‘You are next'” (taz.de, Peter Weissenburger).

3. “Die Lösung zu all unseren Problemen könnte in PDFs schlummern, die niemand liest”
(netzpolitik.org, Ingo Dachwitz)
Über sogenannte Kleine Anfragen können Parlamentarierinnen und Parlamentarier Auskünfte von der Exekutive (Regierung/Verwaltung) verlangen. Die Kleinen Anfragen sind ein wichtiges Instrument der parlamentarischen Kontrolle, die Antworten darauf eine wichtige Informationsquelle für Politik und Öffentlichkeit. Da es keine zentrale Sammelstelle dafür gibt, hatte Maximilian Richt 2014 mit großem technischen Aufwand und viel Fleiß das Portal kleineanfragen.de ins Leben gerufen. Leider kann er das Projekt nicht fortführen. Im Gespräch mit netzpolitik.org spricht er mit einer Spur nachvollziehbarer Bitterkeit über die Gründe der Einstellung des Dienstes.

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4. Wir
(jetzt.de, Franziska Koohestani)
Der Duden passt seine Einträge für Personen- und Berufsgruppen an und verwendet dabei geschlechtersensible Sprache. Das bedeute jedoch nicht das Aus für das generische Maskulinum. Kathrin Kunkel-Razum, Chefredakteurin des Dudens: “Unser Hauptanliegen war es, zu präzisieren: Und dazu gehörte auch, die weibliche Form auszuarbeiten”.

5. “Wichtig, richtig, viel zu spät”
(zeit.de, Meike Laaf)
Jonas Kaiser beschäftigt sich wissenschaftlich mit der Frage, wie rechte Bewegungen in den USA und in Deutschland über das Internet kommunizieren. Im Interview mit “Zeit Online” äußert er sich zu der Rolle der Sozialen Medien und der Radikalisierung im Netz. Kaiser empfiehlt unter anderem Youtube, von Empfehlungsalgorithmen für politische Inhalte abzusehen: “Der Effekt dieser Änderung wäre: Wer mehr von einer bestimmten Sorte Inhalt sehen will, kann sie weiter suchen und finden – so sie sich denn noch in einem legalen Rahmen bewegen. Aber sie müssen ja nicht gleich empfohlen werden. Damit beugt man dem Effekt der rabbit holes, in die man stürzt, vor.”

6. Wenn man in den Deutschaufsatz rhetorische Figuren einbauen soll
(twitter.com, Alex Grantl, Video: 32 Sekunden)
Die Journalistin Hanni Hüsch ist – nomen est omen – eine ausgelassene Anhängerin von Alliterationen. Ihr Kollege Alex Grantl hat einige der hübschesten Hüschismen zu einem Video verarbeitet, das gleichzeitig eine Bewerbung für die ständigen Stabreim-Stakkatos von “Bauer sucht Frau” sein könnte.

Zu spät beim Kapitol-Sturm?, Takeover-Problem, Fragwürdiges

1. ARD und ZDF beim Sturm auf das Kapitol: Late to the party?
(ndr.de, Nils Altland & Daniel Bouhs)
Bei der Berichterstattung über aktuelle Ereignisse hagelt es gegen ARD und ZDF immer wieder Kritik. Regelmäßig beanstanden Zuschauer und Zuschauerinnen, dass zu spät, zu wenig oder zu spät und zu wenig berichtet wird. Auch bei den Ausschreitungen am und im US-Kapitol mussten sich die öffentlich-rechtlichen Sender Spott und Kritik gefallen lassen. Selbst der ehemalige “Tagesschau”-Chefredakteur Ulrich Deppendorf beklagte sich via Twitter: “In Washington gibt es einen Anschlag auf die US-Demokratie und DAS ERSTE sendet Hans Albers! Verstehen tue ich das nicht mehr. Auch nicht das ZDF.” Nils Altland und Daniel Bouhs haben sich angeschaut, was an der Kritik dran ist.
Weiterer Lesehinweis: Auch beim “Spiegel” beschäftigt man sich mit der Live-Problematik von ARD und ZDF: Bedingt sendefähig (spiegel.de, Christian Buß & Anton Rainer & Alexander Kühn).

2. »An euren Händen klebt Blut«
(spiegel.de, Markus Böhm)
Markus Böhm analysiert den Umgang der Sozialen Netzwerke mit Donald Trump und die damit verbundenen Schwierigkeiten: “Schmeißen die Firmen Trump ganz von ihren Plattformen oder sperren sie ihn länger, wird ihnen in ihren eigenen Netzwerken der Unmut von Millionen Trump-Fans entgegenschlagen. Zündelt der Präsident online aber weiter, können sich die Dienste auch nicht aus ihrer Verantwortung stehlen: Was die Worte Trumps auslösen könnten, zeichnet sich seit Langem ab. Nach dem Sturm auf das Kapitol lässt es sich aber überhaupt nicht mehr wegdiskutieren.”
Weiterer Lesehinweis: Beim Bayrischen Rundfunk schreibt Christian Schiffer über die möglichen Folgen von Moderation und Regulierung: “Diese Maßnahmen könnten dazu führen, dass sich die Anhänger von kruden Ideen in ihre eigenen Filterblasen zurückziehen. Sie könnten aber zugleich dazu führen, dass diese Ideen ein sehr viel kleineres Publikum finden.” Angriff auf das Kapitol: Facebooks Werk & Twitters Beitrag (br.de).

3. Die “Zeit”, das Takeover-Problem und eine erstaunlich kurze Zündschnur
(weicher-tobak.de, Frederic Servatius)
Die “Zeit” hat via Twitter eine Falschmeldung über den US-Vizepräsidenten Mike Pence verbreitet. Als Frederic Servatius auf den Fehler hinwies, antwortete der “Zeit”-Account in einem merkwürdigen und passiv-aggressiven Ton. Es ist aber nicht die Patzigkeit der Antwort, die Servatius nachdenklich macht, sondern die “Takeover-Kultur”, die er als das eigentliche Problem ausmacht. Bei der “Zeit” übernehmen nämlich regelmäßig Einzelpersonen und Gäste den Account – mit allen Risiken und Nebenwirkungen.

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4. Exklusiv: Die meistzitierten Medien des Jahres 2020
(kress.de, Marc Bartl)
Der Mediendienst “kress” hat das Ranking der in Deutschland meistzitierten Medien des vergangenen Jahres veröffentlicht. Es basiere aus Qualitätsgründen nicht auf computerunterstützten Analysen, sondern werde von Medienanalytikern vorgenommen. Auf den ersten fünf Plätzen liegen “Spiegel”, “New York Times”, “Bild”, “Handelsblatt” und “Financial Times”.
Ergänzend dazu aus dem “taz”-Archiv: Steffen Grimberg über das Institut, das dieses Ranking seit Jahren erstellt: “Bei Media Tenor handelt es sich um einen Laden, der mit der Kneifzange anzufassen ist.”

5. Haben Sie Verständnis für solche Umfragen? Gut 100 Prozent sagen: Nein!
(uebermedien.de, Boris Rosenkranz)
Das konservative Lokalblatt “Siegener Zeitung” führt immer wieder Online-Umfragen durch, die alles andere als unvoreingenommen sind. Zuletzt war es der ehemalige Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen, der die hübsch aufbereiteten Ergebnisse eines “Stimmungsbilds” der “Siegener Zeitung” für sich und seine Anti-Coronamaßnahmen-Agenda nutzte. Boris Rosenkranz erklärt, wie tendenziös und unseriös derlei Umfragen sind und warum die “Siegener Zeitung” dennoch an ihnen festhält.

6. Das Wikipedia Versprechen
(arte.tv, Jascha Hannover & Lorenza Castella, Video: 51:28 Minuten)
Zum Wochenende noch ein Filmtipp: Wikipedia ist eine einzigartige Erfolgsgeschichte und als Onlinelexikon nicht mehr wegzudenken. Doch die Utopie hat Kratzer: Interessengeleitet werden Inhalte manipuliert, bestimmte Gruppen sind unterrepräsentiert. In der Arte-Doku geht es um die Licht- und Schattenseiten des Projekts.

Sturm aufs Kapitol, Impfotainment, Der Kardinal und das Gutachten

1. “Das ist ein Angriff auf Amerika”
(n-tv.de, Can Merey & dpa)
Ein vom derzeit noch amtierenden US-Präsidenten Donald Trump angestachelter Mob hat gestern das Kapitolgebäude in Washington gestürmt. Dabei kam es auch zu Angriffen auf Kamerateams und Medienschaffende.

2. Twitter und Facebook blockieren Account von Donald Trump
(zeit.de)
Twitter und Facebook haben Donald Trumps Social-Media-Accounts – zumindest für die nächsten Stunden – lahmgelegt. “Es handelt sich um einen Notfall, und wir ergreifen angemessene Notfallmaßnahmen”, sagte Facebook-Vizechef Guy Rosen dazu. Mit einer in den Sozialen Netzwerken verbreiteten Videobotschaft verstärke Trump das “Risiko der andauernden Gewalt, anstatt es zu verringern”.

3. Lesen und Schweigen
(sueddeutsche.de, Matthias Drobinski & Christian Wernicke)
Das Erzbistum Köln hatte Journalistinnen und Journalisten Einblick in das von Kardinal Rainer Maria Woelki zurückgehaltene Missbrauchsgutachten in Aussicht gestellt, doch dazu kam es nicht. Die Medienschaffenden sollten eine “Vertraulichkeitsvereinbarung” unterschreiben, die sie in ihrer Berichterstattung eingeschränkt hätte. Beobachter würden das Erzbistum als Wagenburg erleben: “Drei Kommunikationsberater hat Woelki in fünf Jahren Amtszeit in Köln verschlissen.”

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4. BBC sendet täglich Schulfernsehen während Lockdown
(heise.de, Niklas Dierking & dpa)
Als Reaktion auf die Schulschließungen in Großbritannien startet die BBC ab Montag mit einem auf die Lehrpläne abgestimmten Schulfernsehen. Ähnliche Angebote existieren in Deutschland beim Bayrischen Rundfunk beziehungsweise dem Bildungskanal ARD alpha. Das Online-Portal “Planet Schule” von SWR und WDR biete bereits seit einigen Jahren Bildungsinhalte im Netz (alle Angebote sind im Beitrag verlinkt).

5. Debatte “sensationell übertrieben”
(deutschlandfunk.de, Brigitte Baetz, Audio: 7:39 Minuten)
Brigitte Baetz hat mit dem Medienwissenschaftler Hektor Haarkötter über die mediale Berichterstattung über die Impfkampagne gesprochen. Vor allem “Bild” hantiere mit lautstarken Formulierungen und Forderungen. Haarkötter hält die aufgeregten Berichte für eine Form von “Impfotainment”: “Ich würde immer raten, die Situation erst einmal gelassener zu betrachten”.

6. Nach KZ-Vergleich: RTL schneidet Wendler aus “DSDS” raus
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Der Schlagersänger Michael Wendler war während der Dreharbeiten für die aktuelle Staffel der TV-Show “Deutschland sucht den Superstar” überraschend nach Florida abgereist. Seitdem veröffentlicht er in seinem Telegram-Kanal verschwörerische Corona-Statements und repostet finsterste Fake-News-Schleudern. Die fertig gedrehten “DSDS”-Folgen mit Wendler als Juror wollte RTL trotz der Beendigung der Zusammenarbeit noch ausstrahlen. Doch nun sorgte der Sänger mit einem KZ-Vergleich für erneute Empörung. Für RTL-Geschäftsführer Jörg Graf ist damit eine Grenze überschritten: “Mit den gestrigen neuen Äußerungen ist klar: RTL wird Michael Wendler komplett aus der Sendung schneiden, selbst wenn dabei für die Zuschauer sichtbare, dramaturgische Lücken entstehen.”

Gecancelte “Cancel Culture”, Tief Ahmet, Drohnen-Führerschein

1. Endlich geklärt: Was “Cancel Culture” wirklich bedeutet
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
In der “Welt am Sonntag” durften sich Ende des Jahres fünf Autoren und Autorinnen über die angeblich in Deutschland vorherrschende “Cancel Culture” beklagen. Der Medienkritiker Stefan Niggemeier hat sich die dort aufgeführten Beispiele angeschaut, die alles andere als Opfer seien: “Es ist eine, ganz ohne Ironie, außerordentlich instruktive Übersicht, und man möchte nach dem Lesen sofort einen Preis ins Leben rufen: für den journalistischen Artikel, dem es am überzeugendsten gelingt, das Gegenteil von dem zu beweisen, was er behauptet.”

2. Nur ein erster Erfolg
(zeit.de, Kai Biermann)
Wikileaks-Mitgründer Julian Assange soll einem britischen Gerichtsbeschluss zufolge nicht in die USA ausgeliefert werden, doch damit sei die Sache für ihn nicht ausgestanden: Die USA hätten bereits Berufung angekündigt. Kai Biermann ordnet den Vorgang rund um das juristisch umstrittene Auslieferungsverfahren ein und spricht dabei auch die fragwürdigen Haftbedingungen an.
Weiterer Lesehinweis: Die “EU rührt keinen Finger für Assange”, kommentiert Eric Bonse auf seinem Blog “Lost in Europe”. Seine Vermutung: “Vermutlich ist man in Brüssel vollends damit beschäftigt, den Empfang für den neuen US-Präsidenten Joe Biden vorzubereiten und die Scherben zusammenzukehren, die das Last-Minute-Investitionsabkommen mit China in den USA hinterlassen hat!?”

3. Kommentar: Der Fernpiloten-Nachweis für Drohnenpiloten ist ein Witz
(heise.de, Johannes Börnsen)
Der neue Sachkundenachweis für Drohnenpiloten sei das Papier nicht wert, auf das man ihn nach bestandener Prüfung ausdrucken kann, meint Videoproducer Johannes Börnsen. Er hat sich ohne Vorbereitung durch den offiziellen Test geklickt: “Nach etwa 15 Minuten habe ich alles beantwortet und gebe meine Prüfung ab. Das Ergebnis erscheint sofort: Ich habe 92 Prozent richtig, die Prüfung bestanden und kann meinen ‘Nachweis für Fernpiloten über den Abschluss eines Online-Lehrgangs’ direkt herunterladen und ausdrucken. Einen Lehrgang, den ich nie absolviert habe.”

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4. Brücken fürs britische TV
(taz.de, Wilfried Urbe)
Wie wirkt sich der Austritt Großbritanniens aus der EU auf die europäische Fernsehlandschaft aus: Welche Folgen hat der Brexit für die EU-Fernsehwelt, und welche Folgen hat er für das TV-Business des Vereinigten Königreichs? Wilfried Urbe erklärt die Situation rund um Sendelizenzen, Kooperationen und Filmförderung.

5. Viele neue Werke sind ab diesem Jahr gemeinfrei
(netzpolitik.org, Anna Biselli)
Mit dem Jahreswechsel gingen in Europa viele Bilder, Schriftstücke und Filme in das Allgemeineigentum (Public Domain) über, darunter Werke von George Orwell, George Bernard Shaw und Kurt Weill. Generell betreffe dies Autorinnen und Künstler, die im Jahr 1950 gestorben sind. 70 Jahre nach dem Tod seien deren Werke frei nutzbar und könnten bearbeitet und veröffentlicht werden. Aber Vorsicht: Dies beziehe sich nur auf das Originalwerk. Für Übersetzungen literarischer Werke gelte dies meist nicht.

6. Eine kleine Korrektur fürs Wetter – eine große für unsere Gesellschaft
(wetterberichtigung.org, Neue Deutsche Medienmacher*innen)
Im Wetterbericht tragen Hochs und Tiefs gerne Namen wie Gisela oder Helmut, migrantische Namen blieben bislang außen vor. Um Diversität auch auf der Wetterkarte sichtbar zu machen, hat eine Initiative rund um die “Neuen deutschen Medienmacher*innen”14 Patenschaften für die Hoch- und Tiefdruckgebiete in diesem Jahr übernommen: “Wir kapern das Wetter 2021 und schleusen neue deutsche Namen in den Wetterbericht.” Demnächst würden Namen wie Ahmet, Chana, Khuê und Romani im Wetterbericht auftauchen.

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“Wenn ich Reichelt hier sehe, habe ich den Eindruck, dass er in einer Art Kriegszustand lebt”

Günter Wallraff recherchierte einst investigativ und verdeckt als “Hans Esser” bei “Bild” und sorgte mit seinen Büchern “Der Aufmacher” (1977) und “Zeugen der Anklage” (1979) für viel Aufsehen. Jakob Buhre hat für BILDblog Wallraff am 12. Dezember in Köln getroffen und mit ihm einige Passagen der neuen Amazon-Doku “Bild.Macht.Deutschland?” angeschaut.

Protokoll/Interview: Jakob Buhre

***

Heiko Maas nach einem “Bild-Live”-Interview in der “Bild”-Redaktion, Folge 1: “Die ‘Bild’ ist eines der größten Printmedien in Deutschland, sie vermittelt einem Zugang zu der breiten Masse der Öffentlichkeit, und Politiker sind darauf angewiesen, dass sie kommunizieren können, in die Öffentlichkeit, mit dem was sie tun, mit dem was sie für richtig halten. Und dafür ist die ‘Bild’ ein richtig gutes Instrument.”

Wallraff: Man kann es schon fast als Unterwerfung deuten, wie staatstragende Politiker hier bei “Bild” ihre Aufwartung machen und antichambrieren. Aber hat unser Außenminister so etwas wirklich nötig?

Peter Tschentscher, Folge 1: “Die ‘Bild’ ist eine konservative Zeitung, ich bin ein konservativer Mensch und die Sozialdemokraten in Hamburg sind sehr bodenständig. Insofern passt das gut zusammen.”

Wallraff: Da bekennt ein Sozialdemokrat vor dem Springer-Hochhaus: “ich bin konservativ”. Ehrlich gesagt hat mich das jetzt erstmal verunsichert, ob Tschentscher nicht am Ende CDU-Mitglied ist. Warum dieser Kotau? Was passt denn da so gut zu zusammen?

Karl Lauterbach, Folge 3: “Es kommt drauf an, ob ich, um Hetze zu betreiben, kleine Unterschiede hochjazze und damit den Eindruck erwecke, die widersprechen sich alle, oder ob ich das Gemeinsame betone und einräume: an der Spitze gibt es noch unterschiedliche Bewertungen.”

Wallraff: Ich bin mit Karl Lauterbach befreundet. Für mich ist er ein Ausnahme-Politiker. Er hat kein sicheres Bundestagsmandat, redet keinem nach dem Mund und macht sich nicht gemein, sich denen anzubiedern. Er spricht hier davon, dass “Hetze betrieben wird”, das finde ich mutig. Und immerhin zeigen uns die Filmemacher das.


“Allein die Liaison “Bild”-Amazon ließ das Schlimmste befürchten.” (Foto: Christoph Michaelis)

Wie ist denn Ihr Eindruck insgesamt vom Filmischen her?

Wallraff: Da waren gerade sehr viele Zeitungen zu sehen. Können wir nochmal dahin spulen? – Hier, diese Stapel, das sind alles “Bild”-Exemplare. Entweder liegen in den Redaktionen auf den Schreibtischen wirklich keine anderen Zeitungen oder ist es eine plumpe Werbung?

Die Auswahl der Themen und Schauplätze wirkt auf mich sehr beliebig. Man erfährt nur wenig über den Durchschnitt der Artikel, die in der Zeitung erscheinen, welche Themen dort bevorzugt werden. Mir fehlen auch die “Bild”-Leserinnen und -Leser.

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass das alles sehr im gegenseitigen Einvernehmen von Amazon und “Bild” stattgefunden hat. Wären die Filmemacher unabhängig, hätten sie auch mit Opfern der “Bild”-Berichterstattung oder externen Medienkritikern gesprochen. So ist das die reinste “embedded”-Reportage.

Christian Lindner, von dem “Bild” einen Paparazzo-Abschuss druckte, äußert sich allerdings auch in der Doku.

Wallraff: Na, und. Aber wenn es um die namenlosen Opfer von “Bild” geht, das sehe ich hier nicht, dass die einmal zu Wort kommen. In Folge 7, von der Sie mir gerade Auszüge gezeigt haben, ist die Diskussion der Redaktion über Persönlichkeitsrechte zu sehen, immerhin. Allerdings vermute ich, dass die wenigsten Zuschauer sich diese ermüdende Serie bis zur letzten Folge antun werden.

Auch von Ihren Recherchen bei “Bild” gibt es Filmaufnahmen. Wie sind Sie damals mit Kameras in die “Bild”-Redaktion gekommen?

Wallraff: Das war gar nicht so einfach, es gab ja noch keine versteckten Kameras. Mir half damals ein Freund vom niederländischen Fernsehen, Jan Kuiper. Sein Sender hat vorgegeben, dass sie im Rahmen einer Städtepartnerschaft-Reportage auch in Hannovers Redaktionen filmen wollten. Die erste Anfrage hatte mein Redaktionsleiter abgelehnt. Also hat ein Team zwei bis drei andere Drehs simuliert und so getan, als würden sie zum Beispiel bei der “Hannoverschen Allgemeinen Zeitung” Filmaufnahmen machen. Das hat bei “Bild” die Eitelkeit geweckt, und sie sind drauf angesprungen. Meine Freunde kamen schließlich mit zwei Teams. Die einen haben den Chefredakteur in ein Dauer-Interview verwickelt, die anderen haben im Großraumbüro das zynische Treiben gefilmt.


Günter Wallraff 1977 als “Hans Esser” in der “Bild”-Redaktion Hannover. (Foto: Günter Zint)

Zurück zur Amazon-Doku: Wie beurteilen Sie die Aussagen der Blattmacherinnen und Blattmacher, die Sie hier sehen?

Wallraff: Es kommen hier welche zu Wort, wo ich sagen würde: Diesen Typus gab es zu meiner Zeit höchst selten. Durchaus reflektierte, vielleicht auch entsprechend ausgebildete Journalisten, die in anderen Blättern vermutlich einen seriösen Journalismus vertreten würden, ihn hier aber nur schwerlich durchsetzen können.

Zu meiner Zeit gab es viel mehr den Drücker-Typ, der den Opfern halb-betrügerisch ins Haus einfiel. Und dann vor allem Machos: Mein Redaktionsleiter hatte einen Schießstand in seiner Penthouse-Wohnung, es wurde Blitzschach gespielt, und man musste sich als trinkfest beweisen. Es war sehr männerbündlerisch. Hier sehe ich, zumindest zwischendurch, auch vereinzelt Frauen, und die kommen eher nachdenklich zu Wort.

Ein großer Unterschied ist auch: Zu meiner Zeit bei “Bild” wurde dem Chef so gut wie nie widersprochen. Der Redaktionsleiter duzte alle, musste aber gesiezt werden.

Wir hatten damals auch viele Kettenraucher, und Whiskey war in der Redaktion das Leitgetränk. Es scheint doch einiges harmloser geworden zu sein, jetzt kaut der Chefredakteur seine Gummibärchen.

Redaktionskonferenz, Folge 1, Redakteur aus dem Off: “Wir wollen die Rede [von Angela Merkel] vernichten?” – Julian Reichelt: “Nein, ich will sie nicht vernichten.”

Wallraff: “Abschießen, vernichten” waren zu meiner Zeit bei “Bild” Alltagsbegriffe. Es ging oft darum, Menschen “fertig zu machen”. “Bring die Sau zur Strecke!” Es gab auch keine Trennung zwischen Berichterstattung und Meinung.

Wenn ich Reichelt hier sehe, habe ich den Eindruck, dass er in einer Art Kriegszustand lebt. Dazu passt ja auch sein Feldbett im Büro. Man weiß von ihm, dass er sich als jemand sieht, der Politik macht – und nicht begleitet.

“Bild am Sonntag”-Chefredakteurin Alexandra Würzbach in einer Redaktionskonferenz, Folge 4: “Wir haben gesagt ‘Refugees Welcome’ und haben es uns zwei, drei Jahre später anders überlegt.” […] – 
Julian Reichelt: “Wir haben uns ‘Refugess Welcome’ nicht anders überlegt, das ist falsch, das lasse ich so nicht stehen.” Es folgen Filmaufnahmen von Paul Ronzheimer im Flüchtlingslager Moria.

Wallraff: Das überrascht mich und entspricht tatsächlich nicht dem Klischee. Vielleicht liegt es auch daran, dass Reichelt noch unter Kai Diekmann selbst in Kriegsgebieten war, in Afghanistan, in Syrien und im Irak, und sogar Flüchtlingen geholfen haben soll, nach Deutschland zu kommen, wie einst der “Spiegel” berichtete. So etwas prägt. Wenn “Bild” Not und Elend im Flüchtlingslager zeigt, könnte man daraus die Forderung an die Politik ableiten, dass sie sich des Themas annimmt.

Filipp Piatov in Folge 3: “Ich bin bei ‘Bild’, weil mir gewisse Grundlinien des Hauses sehr zusagen: Transatlantische Partnerschaft, gutes Verhältnis zu Israel, klares Verhältnis zur Marktwirtschaft, Ablehnung von linken und rechten extremen Ideologien.”

Wallraff: Naja, das sind so Gemeinplätze. Ein paar Gebetssäulen. Ich finde, das ist ein bisschen wenig.

Alexander von Schönburg in Folge 3: “Ich war früher bei der ‘FAZ’, bin jetzt bei der ‘Bild’ und empfinde das, was ich hier mache, als Aufstieg, auch als intellektuellen Aufstieg. […] Wer Wichtiges zu sagen hat, kann es in kurzen Sätzen sagen, dazu zwingt einen ‘Bild’. Darum habe ich persönlich profitiert, für mein eigenes Schreiben, dass man sich zwingt, kurz und präzise zu schreiben. Und nicht, wie das bei der ‘FAZ’ oder ‘SZ’ zum Teil ist: Du schreibst, um deine Kollegen zu beeindrucken.”

Wallraff: Ach, du Schande. Er tut mir richtig leid. Was muss der Mann erlitten haben, dass er sich hier so klein macht? Konnte er sich früher beim Schreiben nicht klar ausdrücken? Es gibt in der “FAZ” und der “SZ” doch genug Artikel, die eine deutliche und klare Sprache benutzen und trotzdem verständlich und differenziert sind.

Früher steckte in der “Bild”-Sprache sehr oft eine Aggression, Verächtlichmachung und Vernichtungswille bis hin zum Rufmord. Für mich benutzt “Bild” immer wieder eine in der Versimplung auch denunzierende Sprache.


“Das ist doch lächerlich und anmaßend.” (Foto: Christoph Michaelis)

Julian Reichelt in Folge 3: “Unser natürlicher Aggregatszustand ist zu hinterfragen. Und wie sehr wir hinterfragen, sieht man uns halt ein bisschen mehr an, weil unsere Überschriften größer sind und unsere Sprache klarer.”

Wallraff: Das ist doch lächerlich und anmaßend. Es klingt so, als würden andere Medien weniger hinterfragen, weil sie kleinere Buchstaben verwenden. Dabei sind es gerade sie, die differenzieren und auch zwischen Kommentar und Bericht zu trennen wissen.

Und zum “Hinterfragen”: Wenn sie Christian Drosten eine Stunde Zeit geben, um eine Anfrage zu seiner wissenschaftlichen Kompetenz abzuverlangen, nennen sie das “hinterfragen”? Ich fand, das war gegenüber Drosten eine Unverfrorenheit, eine Allmachtsallüre. Dass Drosten sich darauf nicht eingelassen hat, das ehrt ihn.

Die Causa Drosten wird in der Doku sehr ausführlich behandelt, mit vielen kritischen Stimmen von innerhalb und außerhalb der Redaktion.

Wallraff: Da blieb ihnen wohl nichts anderes übrig. Ich habe da jetzt Redakteure gesehen, die sich als Opfer gerieren, keinerlei Reue zeigen, sich auch nicht entschuldigen. Und wenn es Reue gab: Wurde sie in der “Bild” zum Ausdruck gebracht? Ich habe nichts davon gehört.

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Wenn Sie einmal “Bild” 1977 und “Bild” 2020 vergleichen …

Wallraff: Die “Bild” hat heute nicht mehr die zerstörerische Kraft und Macht, auch längst nicht mehr das kriminelle Potential wie damals. “Harmlos” wäre der falsche Begriff, aber sie hat nicht mehr die Relevanz. Damals war es ein beherrschendes, flächendeckendes Medium. Und was ich erlebt habe, war ein Hetzblatt, das auch Menschen mit Falschberichterstattung in den Suizid getrieben hat wie zum Beispiel den Schauspieler Raimund Harmstorf. Ich meine, dass ich mit dazu beitragen habe, dass diese Ära überwunden wurde.

Es gab damals die Rubrik “Bild hilft”, die vielen Menschen aber gar nicht geholfen, sondern hilfsbedürftige Personen bis ins Privateste hinein vorgeführt hat. Ein Junge mit Schulproblemen wurde als “Deutschlands faulster Schüler” und eine Frau, die sich wegen Problemen mit ihrer Fahrschule an “Bild hilft” gewandt hatte, fast kampagnenartig als “Deutschlands schlimmste Fahrschülerin” abgestempelt. Ich habe einen Rechtshilfe-Fonds finanziert, durch den “Bild”-Opfern zu Gegendarstellungen und Unterlassungen verholfen wurde bis hin zu Schadenersatz und Schmerzensgeld: Zum Beispiel für die hinterbliebenen minderjährigen Söhne eines Mannes, der sich nach einem Verleumdungsartikel umbrachte. In seinem Abschiedsbrief rief er zum “Bild”-Boykott auf: “Diese Schande kann ich nicht überwinden, ich wollte zuerst diesen Verbrecher, der K. [der “Bild”-Reporter] heißt, umbringen. Aber ihr solltet keinen Mörder als Vater haben. Durch meinen Tod aber ist er zum Mörder geworden. Wer etwas Ehrgefühl und Verstand hat, der sollte dieses Lügenblatt nicht kaufen!”

Es gibt heute natürlich auch eine andere Gegenöffentlichkeit: Es gibt die Rügen des Presserats, “Bild” liegt hier mit weitem Abstand vorne, lehnt es aber häufig ab, sie abzudrucken. Es gibt die Kollegen vom BILDblog, einige Prominente boykottieren “Bild”, und viele Gerichte betrachten die Persönlichkeitsrechtsverletzungen nicht mehr als Kavaliersdelikt.

Mehmet Scholl, Folge 6: “Die ‘Bild’-Zeitung hat mich ein Jahr lang völlig zerlegt, weil ich nicht mit ihnen gesprochen habe. […] Wenn die “Bild” im Sport alles schreiben würde, was sie wissen … Das tun sie aber nicht, weil sie schlau genug sind, zu wissen: Wir bekommen andere Informationen im Austausch dafür.”

Wallraff: Das sagt natürlich sehr viel aus. Da wird jemand zum Feindbild, weil er nicht mit “Bild” spricht. Und dass man bestimmte Geheimnisse nutzt, um an andere Informationen zu gelangen, das ist eigentlich eine Geheimdienst-Strategie: Wenn bestimmte Dienste Material über Verfehlungen von Politikern besitzen, können sie diese bei Bedarf “gefügig” machen.

Mehmet Scholl: “Ich habe mit der ‘Bild’ die Abmachung: keine privaten Storys. Wenn eine kommt, fragt mich – und dann haben wir es immer gemeinsam entschieden.”

Wallraff: Es gibt Prominente, die der “Bild” bis ins Intimleben hinein Dinge preisgeben, weil sie glauben, dass es ihnen nützt und dass sie geschont werden. Christian Wulff hat sich bis hin zur Home-Story zur Verfügung gestellt, aber es hat ihm nichts genützt. Er war für “Bild” irgendwann fällig, vermutlich aufgrund seiner Äußerung “Der Islam gehört zu Deutschland”. Da ging der Daumen nach unten, und es folgte eine der infamsten Rufmordkampagnen.

Was denken Sie heute über Journalisten, die für “Bild” arbeiten?

Wallraff: Ich differenziere. Wir haben jetzt einen gesehen, der von der “FAZ” zur “Bild” gegangen ist, die Mehrheit hat, glaube ich, eine Journalismus-Ausbildung. Aufgrund meiner früheren Erfahrungen würde ich mich aber nicht auf ein Interview oder eine Home-Story einlassen. Und denjenigen, die es tun, würde ich einen Warnhinweis mitgeben: “Alles, was Sie fortan sagen oder auch nicht sagen, kann gegen Sie verwendet werden.”

Ich kenne auch Menschen, die, durch meine Aufdeckungen inspiriert, zur “Bild” gegangen sind, weil sie es selber wissen wollten. Sandra Maischberger zum Beispiel erzählte in einem “Tagesspiegel”-Interview [Ausgabe vom 10. Februar 2002], dass sie deswegen bei “Bild” ein Praktikum machte und dann ein bisschen enttäuscht gewesen sei, weil sie das “Über-Leichen-gehen” dort nicht erlebt habe. Sie wurde dann übrigens am Ende gefragt, wie oft sie in dem Interview gelogen habe, worauf sie antwortete: einmal. (lacht)

Sollten Politiker heute “Bild” boykottieren?

Wallraff: Das wagt doch kaum noch jemand, aber sie sollten der eigenen Glaubwürdigkeit wegen zumindest Distanz wahren.


Günter Wallraff heute als Günter Wallraff. (Foto: Privat)

Hat man Sie eigentlich für die Amazon-Dokumentation angefragt?

Wallraff: Nein, ich hätte da auch abgesagt. Allein die Liaison “Bild”-Amazon ließ das Schlimmste befürchten.

Sie selbst sagen von sich, dass Sie Amazon boykottieren. Warum kann man dann Ihre Bücher dort kaufen?

Wallraff: Das kann ich leider nicht verhindern. Ich habe meinen Verlag schon vor langer Zeit angewiesen, meine Bücher nicht an Amazon auszuliefern. Mir wurde gesagt, ich würde dadurch zehn bis 15 Prozent Umsatz verlieren – damit kann ich leben. Amazon unterläuft meinen Boykott, indem sie meine Bücher jetzt über Zwischenhändler ordern. Das kann ich nicht verhindern, aber so muss Amazon sie etwas teurer einkaufen, als wenn mein Verlag sie direkt beliefert. Für mich ist Amazon eine globale Seuche, gegen die auch kein Impfstoff hilft.

Seuche ist ein starkes Wort, nicht nur angesichts der aktuellen Situation, wo Menschen froh sind, wenn sie Geschenke online kaufen können.

Wallraff: Das ist das Tragisch-Vertrackte, so ist Amazon auch noch der größte Corona-Krisengewinner, kann seine Umsätze verdoppeln und durch Steuervermeidungsstrategien Milliarden am Staat vorbei einstreichen. Ich verstehe jeden, der keine Möglichkeit hat, in ein Geschäft zu gehen, und deswegen online etwas bestellt. Ich selbst kann und möchte dieses Allmachtstreben von Jeff Bezos nicht unterstützen, der sein Unternehmen ursprünglich “Relentless”, “Gnadenlos” nennen wollte und Konkurrenten als Gazellen bezeichnet, die man jagen müsse. Die Innenstädte sterben aus, die Arbeitsbedingungen bei Amazon sind miserabel – es ist eine seelenlose, total überwachte Arbeitsorganisation. Ich kenne Menschen, die bei Amazon gearbeitet haben und von unheimlichem Druck erzählen. Wer nicht mindestens im Durchschnitt der übrigen Mitarbeiter liegt, fällt heraus. Und nach dem Weihnachtsgeschäft wird aussortiert. Dafür nutzt Amazon den Begriff “ramp down”, der aus dem Vieh-Transport stammt und so viel bedeutet wie “die Rampe runter treiben”. Diejenigen, die entlassen werden, können sich ja dann später neu bewerben, man will so ihre Festanstellung verhindern.

Zum Schluss: Haben Sie mit “Team Wallraff” aktuell jemanden bei “Bild” eingeschleust?

Wallraff: Kein Kommentar.

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Amazons peinliche “Bild”-Doku, Abmahnwesen, “Goldenes Brett”

1. So toll ist es also bei der “Bild”
(faz.net, Oliver Jungen)
Die ab heute abrufbare Amazon-Doku “Bild.Macht.Deutschland?” verspricht “exklusive Einblicke in die Redaktion von Deutschlands bekanntester und größter Medienmarke”. Oliver Jungen hat sich das Werk angeschaut. Sein Fazit: “Amazons eingebettete, kritikfreie Reportage über die ‘Bild’-Zeitung ist journalistisch eine Nullnummer. Ein Kniefall. Peinlicher geht es kaum.”
Weiterer Lesehinweis: Bei der “taz” kritisiert Peter Weissenburger besonders zwei Dinge: “Die Postproduktion, die immer wieder dramatisch das Springer-Haus im Zeitraffer zeigt und sich bei Einblendungen am Design der Bild orientiert, als wäre es ein Imagefilm. Und die Recherche, die kaum andere Stimmen zu Wort kommen lässt, als Bild-Leute.” (Rumsitzen im Krawallklub, taz.de)
Weitere Hör-Empfehlung: Die Journalistin Ferda Ataman hat sich Amazons “Bild”-Beobachtung für Deutschlandfunk Kultur angesehen. Ihr Urteil: “Bild”-Chefredakteur Julian Reichelt habe sich mit der Serie keinen Gefallen getan. (Kampf mit allen Mitteln, deutschlandfunkkultur.de, Audio: 7:29 Minuten)

2. “Vielleicht Seite schließen?” – Troll-Kommentare aus dem RBB-Netz auf Planet Interview
(planet-interview.de, Jakob Buhre)
Jakob Buhre ist nicht nur für seine gut vorbereiteten Interviews, sondern auch für seine nachfassenden Fragen bei Pressekonferenzen der Öffentlich-Rechtlichen bekannt. Sein kritisches Hinterfragen und seine wohltuende Unbequemlichkeit haben ihm dort anscheinend nicht nur Freunde beschert: Buhre berichtet, wie sich allerlei Negativkommentare verschiedenster Nutzerinnen und Nutzer auf seinem Blog ergießen. Allesamt von der IP-Adresse 192.108.72.0 versendet – ein Adressraum, der dem öffentlich-rechtlichen rbb zugeordnet ist.

3. Amtsgericht Hamburg: Abmahnungen von Christoph Scholz durch Rechtsanwalt Lutz Schroeder waren rechtsmissbräuchlich
(kanzleikompa.de, Markus Kompa)
Der Creative-Commons-Foto-Abmahner Christoph Scholz hat lange Zeit ein lukratives Geschäft betrieben, doch nun habe das Amtsgericht Hamburg vier nahezu gleich lautende Urteile gegen ihn gesprochen. Das Gericht sehe in seinem Handeln einen Rechtsmissbrauch. Die Art und Weise der Organisation des Abmahnwesens habe das “Gepräge einer Einkommensgenerierung durch provozierte Rechtsverletzungen”. Der Jurist Markus Kompa fasst zusammen: “Herr Scholz hat damit weder Anspruch auf Ersatz eines Lizenzschadens noch auf Ersatz von Anwaltskosten. Umgekehrt muss Herr Scholz dem Abgemahnten die Kosten vorgerichtlicher Abmahnabwehr ersetzen sowie alle Prozesskosten.” Kompas Fazit: “Diese aktuellen Urteile sind weitere Sargnägel für das Abmahn-Business der Urheberrechtsfallensteller.”

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4. Floskel des Monats: durchstarten
(journalist.de, Sebastian Pertsch & Udo Stiehl)
Sebastian Pertsch und Udo Stiehl sind die Initiatoren des sprach- und medienkritischen Projekts “Floskelwolke”, in dem sie Floskeln, Phrasen und Formulierungen in deutschsprachigen Nachrichtentexten analysieren. Im Fachmagazin “journalist” stellen sie regelmäßig die “Floskel des Monats” vor. Aktuell: “durchstarten”.

5. In der Druckkammer
(taz.de, Anne Fromm)
Die Corona-Pandemie hat viele Medienhäuser in Bedrängnis gebracht. Die “Süddeutsche Zeitung” begegnet dem mit einem rigorosen Sparprogramm. Trotz steigender Abozahlen und erhöhtem Arbeitsaufkommen sei die Redaktion in Kurzarbeit geschickt worden. Nun wolle der Verlag sich von 50 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen trennen. Gleichzeitig ändere sich die Unternehmenskultur: Die Chefs würden neuerdings duzen und sprächen von “Town Hall Meetings” und “Lunch mit Christian”.
Weiterer Lesehinweis: “Süddeutsche”-Autorin Aurelie von Blazekovic hat sich in der Medienbranche umgehört, ob und wie die Verlage ihre Mitarbeitenden in dem Corona-Jahr unterstützt haben. Bei Condé Nast habe es in Deutschland eine Corona-Sonderzahlung in Höhe von 1.000 Euro gegeben, bei der “Süddeutschen Zeitung” soll eine “Corona Beihilfe” von 100 Euro ausgezahlt werden (Ein freier Tag und schönen Dank, sueddeutsche.de).

6. Das Goldene Brett 2020 für Sucharit Bhakdi: “Noch nie gab es einen passenderen Kandidaten”
(blog.gwup.net)
Mit dem Negativpreis “Das goldene Brett” prämiert die Gesellschaft für kritisches Denken Personen oder Institutionen, die “mit wissenschaftlich widerlegten oder unsinnigen Behauptungen Medienpräsenz anstreben, Angst machen oder Geld verdienen wollen.” Diesjähriger Preisträger ist der Arzt Sucharit Bhakdi, der für seine Äußerungen zur Corona-Pandemie, nun ja, ausgezeichnet wird: “Es gab vielleicht noch nie einen Kandidaten, auf den das ‘Goldene Brett vorm Kopf’ so perfekt gepasst hat wie auf ihn.” Der Preis fürs “Lebenswerk” geht an Ken Jebsen und dessen Kanal KenFM. Dieses Jahr fand die Verleihung nicht live statt, es gibt jedoch ein Video mit den Laudationen von Katharina Nocun (Ballweg), “Hoaxilla” (Hildmann) und Krista Federspiel (Bhakdi) (youtube.com, 44:35 Minuten).
(Transparenzhinweis: Der “6 vor 9”-Kurator war im Jahr 2016 selbst Laudator des “Goldenen Bretts”.)

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Dies ist die letzte “6 vor 9”-Ausgabe in diesem Jahr (mit dem sonstigen BILDblog-Programm geht es noch ein paar Tage weiter). Wir bedanken uns für Eure Treue und verabschieden uns in die “6v9”-Winterpause. Allen Leserinnen und Lesern unserer morgendlichen Medienrundschau frohe Festtage und ein gesundes Wiedersehen im kommenden Jahr!

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