“Bild” kämpft anvordersterFront gegen das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, das es als “Zensur” bezeichnet. In der “Süddeutschen Zeitung” lesen sich die Folgen der Entscheidung ein bisschen anders:
“Da läuft eine verlogene Debatte“, stellt der Essener Anwalt Stephan Holthoff-Pförtner fest. “Es geht um Kohle für einige Verlage, und die machen eine Kampagne daraus. Bedroht ist nicht der investigative Journalismus, sondern der Kloakenjournalismus.” …
“Im Klartext: Über viele Skandale dürfte dann nicht mehr berichtet werden”, schrieb Bild am Dienstag. “Vor allem über die inszenierten”, kommentiert Anwalt Holthoff-Pförtner knapp. …
Bundesverfassungsrichter Hoffmann-Riem findet … “keines der Beispiele der Behinderung der Wächterfunktion der Presse wird von der Straßburger Entscheidung erfasst. Sie behindert insbesondere keine Recherchen der Presse zwecks Aufdeckung von Skandalen.”
Etwas überspitzt lässt sich der Artikel des SZ-Redakteurs Hans Leyendecker so zusammenfassen: Seriöse Journalisten haben das Straßburger Urteil nicht zu fürchten. “Bild” schon.
Mit Dank an Nils K. für den sachdienlichen Hinweis.
Nachtrag, 5.9.2004: Immerhin hat Bild.de mittlerweile ebenfalls herausgefunden, für wen Frau Hilton künftig wirbt und das sogar in die “Internet-Klatsch”-Rubrik geschrieben.
Andere Frage: Wie zur Hölle soll man bloß diese “Bild”-Serie “Hitlers letzte Tage” bebildern? Etwa mit Fotos aus der Hitler-Zeit? Gibt es da zu der Vorlage für die “Bild”-Serie (“Der Untergang”) nicht auch gerade einen gleichnamigen Film? Und gibt’s zum Film nicht auch ein Buch? Und sehen die Bilder aus dem Filmbuch nicht viel, viel besser aus als die ollen Originalfotos? Ach ja, und wenn man die “Hitler”-Serie dann tatsächlich mit Fotos aus dem Film bebildert, sollte man das dann nicht klipp und klar dazuzuschreiben?
Ja, eigentlich ja.
Wenn aber “Bild” nun so ein Filmbild gedruckt hat, das (siehe Ausriss aus der Montags-“Bild”)einfach nur eine Straßenszene zeigt (Trümmer, eine Explosion und vorn ein Mann in Uniform mit Stahlhelm, wie tot), langt es dann nicht, wenn man einfach nur “Straßenkampf in Berlin. Die Gefallenen werden nicht mehr bestattet” dazuschreibt und sonst nix? Ist es nicht eigentlich egal, ob da nun Statisten in Kulissen liegen oder echte Leichen?
Der US-Rapper 50 Cent ist “Verlierer des Tages” in “Bild”. Weil er “bei einem Rockfestival in London ausgebuht, mit Flaschen und Matsch beworfen worden” ist, daraufhin die Bühne verlassen hat und die Zuschauer “wüst beschimpft” haben soll. Weswegen “BILD meint: Die Musik ist keine 50 Cent wert”.
Stimmt. Wer in der Rubrik Kino & Musik / Musik Download “50 Cent” in die Titelsuchmaschine eingibt, wird aufgeklärt: Die Titel von “50 Cent” sind keineswegs 50 Cent wert. Sondern 1,19 Euro. Zumindest beim Bild-T-Online-Download-Partner. Aber das nur so am Rande.
[Nachtrag vom 2.9.] Ach ja: Und das „Rockfestival in London“ fand eigentlich im britischen Reading statt. Aber auch das macht ja fast keinen Unterschied.
Dank an Oliver B. für diesen zusätzlichen sachdienlichen Hinweis.
Auweia: Wie “BamS” und “Bild” kürzlich in Sorge um die Pressefreiheit, aber komplett unkommentiert, einen offenen Brief an den Bundeskanzler im Wortlaut abdruckten, ist eine Sache. Und eine komplizierte obendrein – wie übrigens auch der Anlass für den Brief.
Mayhardt Graf Nayhauß hat dennoch versucht, die Sache in einem knappen halben Dutzend “Bild”-Zeitungszeilen zusammenzufassen. Grund für seine heutige “Berlin vertraulich”-Kolumne ist demnach:
“(…) ein Gesetz des Europäischen Gerichtshofs, das künftig jegliche Berichterstattung in Wort und Bild über Privates von Prominenten verbietet (…)”
Richtig gelungen ist ihm die Zusammenfassung jedoch nicht: Das angebliche “Gesetz” ist nur ein Urteilspruch, wenn auch kein unwichtiger. Dass allerdings das Urteil “künftig jegliche Berichterstattung in Wort und Bild über Privates von Prominenten verbietet”, ist schlichtweg falsch – erstens, weil ein Urteil sowas gar nicht kann, zweitens, weil es in dem verhandelten Fall ausdrücklich um Fotos ging, und drittens, weil es sich dabei um Paparazzi-Fotos handelte, die Caroline von Hannover “im Rahmen ihres Alltagslebens” bzw. “bei rein privaten Tätigkeiten” zeigten und “ohne ihr Wissen”, “ohne ihre Einwilligung” und “zuweilen auch heimlich” gemacht und anschließend veröffentlicht worden waren!
(Und wer jetzt trotzdem neugierig geworden ist auf das, was Nayhauß sonst noch so in die heutige “Bild” geschrieben hat, kann ja hier klicken oder hier oder hier, hier, hier und hier. Schließlich wird auch der Rest seiner Kolumne mit jedem Lesen hanebüchener.)
Nachtrag, 01.09.04: Vielleicht liest man, um die Angelegenheit mal aus einer anderen Perspektive zu sehen, aber auch einfach mal, was der Medienanwalt Christian Schertz der “Zeit” dazu gesagt hat.
Es stimmt tatsächlich, Thomas Gottschalk “protestiert” gegen die neue Rechtschreibung. Schlägt man nämlich das Wort “protestieren” z.B. bei Langenscheidt nach, dann steht da u.a. “Ablehnung, Missfallen, Mangel an Übereinstimmung kundtun”. Genau das tut Gottschalk wirklich im “Bild”-Interview und so steht es auch in dessen Überschrift.
Laut “Bild”-Titelseite geht Gottschalk aber noch über den Protest hinaus. Jedenfalls steht dort das hier:
Und das hier steht bei “Bild”-Online:
Am Ende des Interviews allerdings steht dann folgendes:
BILD: Und wie soll’s weitergehen? Gottschalk: Es ist nicht so, dass mir dieses Thema den Schlaf raubt. Meinetwegen soll jeder schreiben, wie er will. Ich lese lieber etwas Vernünftiges falsch geschrieben als richtig buchstabierte Dummheiten.
Heute nun druckt “Bild” den selben Brief unter der Überschrift “Herr Bundeskanzler, stoppen Sie die Zensur!” noch einmal, unterzeichnet von “Bild”-Chef Kai Diekmann und 39 anderen Chefredakteuren.
Kann man ja machen, logo, klar! Zumal in “Bild” aus irgendeinem Grund 10 Unterzeichner aus der “BamS” abhanden- und 11 neue Unterzeichner hinzugekommen sind. Und alles 40 haben dieses Mal sogar Gesichter, deren Abdruck allerdings echt verdammt viel Raum einnimmt. Um so verständlicher, dass sich da auch “Bild” eine begleitende Berichterstattung spart. Na, logisch. Klaro. Warum nicht! War eben schlicht kein Platz für. Oder so.
Wie jetzt? Echt? Schreibt doch die “Bild”-Zeitung tatsächlich: “Heute (…) kommt Anke Engelke (38) aus der Sommerpause zurück”! Dabei hieß es vor acht Tagen noch in der “Bild am Sonntag”: “In acht Tagen kommt Anke Engelke (38) aus der Sommerpause zurück”!
Aber okay, “Bild” weiß natürlich noch mehr: “Engelkes Schreibtisch wird zukünftig näher am Saalpublikum stehen, damit die Moderatorin intensiver und besser mit den Zuschauern in Kontakt treten kann.” Und das, obwohl doch es vor acht Tagen noch hieß: “‘Ankes Schreibtisch steht dann näher am Saalpublikum. So kann sie intensiver und besser mit den Zuschauern Kontakt aufnehmen’, hofft Sat.1-Sprecher Dieter Zurstraßen.”
Immerhin hat “Bild” offenbar mit Sat.1-Senderchef Roger Schawinski gesprochen und zitiert: “Wir werden zusätzlich Kameras im Publikum aufstellen, damit die Zuschauer das Gefühl bekommen, mit im Saal zu sitzen.” Und das ist doch schon was, denn vor acht Tagen hieß es nur: “Außerdem werden Kameras direkt im Publikum aufgestellt – die Zuschauer sollen das Gefühl bekommen, mit im Saal zu sitzen.”
Und sonst so? Naja, “Bild” schreibt: “Außerdem sollen in der Show mehr Sketch-Elemente auftauchen.” Dabei stand doch in der “BamS” vor acht Tagen bloß: “Nach BamS-Informationen sollen in der Show mehr Sketch-Elemente auftauchen.”
Und wenn das jetzt so aussieht, als hätte “Bild” nur aus der “BamS” von letzter Woche abgeschrieben, ist das natürlich Quatsch. “Bild”-Leser wissen schließlich mehr – zum Beispiel den genauen Sendeplatz: “(23.15 Uhr, Sat.1)”
So steht es in der “Bild am Sonntag”. Mit Ihr ist Lady Di gemeint, bei den Genannten handelt es sich um Patrick Jephson, Peter Settelen, Andrew Morton, Simone Simmons, Ken Wharfe, Paul Burrell sowie James Hewitt – und bei den Geldbeträgen um lauter Summen, die laut “BamS” fast alle der genannten Sieben mit irgendwelchen Büchern über Lady Di verdienten (die zudem meist an ihrem Todestag erschienen). Kein Wunder also, dass die Zeitung die Verfasser der Diana-Bücher schon in der Überschrift kurzerhand als “Grabräuber” bezeichnet, oder? “Grabräuber”…? Egal. Am Ende der Berichterstattung heißt es:
“Lesen Sie Montag die große Serie in ‘Bild’ – mit dem geheimen Fotoalbum der Prinzessin!”
Wobei: Dass das geheime Fotoalbum der Prinzessin, aus dem die “Bild”-Zeitung seit Tagen und ganz “exklusiv” zahlreiche Bilder zeigt, letztlich nur ein nach Aufmerksamkeit heischender Vorabdruck des (am 31. August erscheinenden) Buchs “Diana – das Porträt” ist, lässt selbstverständlich auch die “BamS” nicht unerwähnt. Im Gegenteil druckt die “BamS” sogar selbst vier Fotos aus dem Band, dessen Verfasserin Rosalind Coward heißt und deren Name dennoch nicht der einzige ist, der in der “Grabräuber”-Liste fehlt…
Mit Dank an Lars W. für den sachdienlichen Hinweis.
Das ist jetzt etwas komplizierter. Deshalb der Reihe nach:
1. Vor gar nicht allzu langer Zeit hatte ja des Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein Urteil gefällt, das Fragen der Pressefreiheit betrifft (und hier in Kurzform nachgelesen werden kann). Das EU-Urteil ist umstritten, und bis zum 25.09.2004 hat die Bundesregierung Gelegenheit, die EU-Entscheidung anzufechten.
2. Aus diesem Grund wurde Gerhard Schröder kürzlich ein offener Brief überreicht und in der “Welt” abgedruckt, in dem u.a. Mathias Döpfner den Kanzler ersuchte, gegen das o.g. Urteil vorzugehen. Aber das nur nebenbei.
3. An diesem Wochenende nun erreichte den Kanzler noch ein weiterer offener Brief – diesmal unterschrieben von Kai Diekmann und Claus Strunz sowie weiteren 37 Chefredakteuren unterschiedlichster Provenienz.
Das Schreiben ist vergleichsweise jovial gehalten. Es werden darin sogar ein paar Berichterstattungsfälle aus der Vergangenheit herbeizitiert, die nach dem EU-Urteil “unzulässig” würden: die “private Adlon-Sause” des (offenbar vornamenlosen) Ernst Welteke beispielsweise oder “das wenig adelige Verhalten des Prinzen Ernst August von Hannover am türkischen Expo-Pavillon”. Und weiter heißt es:
“Wie sich diese Personen sonst verhalten, mit wem sie sich treffen, mit wem sie Geschäftskontakte haben oder von wem sie sich den Urlaub bezahlen lassen, darf dann nicht mehr berichtet werden.”
Wie die 39 Unterzeichner darauf kommen, dass dergleichen unzulässig werden könne, steht leider nicht in dem Brief. Muss ja auch nicht. Ist schließlich nur ein Brief.
In einer Zeitung allerdings, in einer ZEITUNG, wo für gewöhnlich eingeordnet, kommentiert, erklärt wird, sieht die ganze Sache dann schon ganz anders aus. Doch auch in der vom Co-Unterzeichner Strunz verantworteten “Bild am Sonntag”, die das Schreiben in ihrer heutigen Ausgabe quasi weltexklusivim Wortlaut dokumentiert, fehlt jegliches Wieso-weshalb-warum. Genau so wie der Hinweis, dass das EU-Urteil für Publikationen über Politiker Ausnahmen zulassen will und sich ohnehin ausdrücklich (deshalb hier noch mal der dazugehörige Link) auf die Veröffentlichung von Paparazzi-Fotos bezieht.
Stattdessen heißt es in Brief und “BamS” nur, es entstünde womöglich “ein Bild jenseits von Wahrheit und Wirklichkeit”. Und das kann ja wirklich keiner wollen.