Bild  

Überwachungsfan Reichelt verschweigt “Pegasus”-Affäre

Sucht man auf der Internetseite der “Süddeutschen Zeitung” nach “Pegasus”, findet man aus den vergangenen Tagen mehr als 20 Artikel, in denen es um die Spionagesoftware eines israelischen Unternehmens geht. Denn wie ein internationales Journalistenkonsortium am Wochenende enthüllte, sollen mit Hilfe der “Pegasus”-Software – die eigentlich nur bei der Überwachung von Terroristen zum Einsatz kommen sollte – zahlreiche Journalisten, Politiker und Menschenrechtler ausgespäht worden sein. Die “Süddeutsche Zeitung” hat an den Recherchen mitgewirkt, genauso wie die “Zeit”, der WDR und der NDR, die ebenfalls ausführlich über das Thema berichten.

Tatsächlich berichten so gut wie alle Medien darüber, von der “New York Times” bis zum “Sauerlandkurier”, teilweise in langen Artikeln und umfangreichen Dossiers.

Sucht man hingegen bei “Bild” nach “Pegasus”, findet man als aktuellsten Treffer:

Screenshot von BILD.de: "Chaos am Düsseldorfer Flughafen - Pegasus Airlines soll 40 Mitarbeitern gekündigt haben"

Dieser Artikel ist mehr als zwei Wochen alt. Zum aktuellen “Pegasus”-Thema und dem weltweit für Aufsehen sorgenden Skandal um die Spionagesoftware liest man in den “Bild”-Medien: kein einziges Wort.

Wir haben beim “Bild”-Sprecher Christian Senft nachgefragt, warum das so ist. Er hat nicht reagiert.

Uns würden spontan drei mögliche Gründe einfallen, warum die Sache für “Bild” kein Thema ist. Zunächst einmal stammt die Software aus Israel, und Israel steht beim Axel-Springer-Verlag seit jeher ganz weit oben auf der Freundesliste; es ist sogar ausdrücklich Teil der Grundsätze und Werte des Unternehmens (“Wir unterstützen das jüdische Volk und das Existenzrecht des Staates Israel”). Dass die Nichtberichterstattung etwas damit zu tun hat, ist aber unwahrscheinlich – schließlich berichtet die “Welt”, die ebenfalls zum Axel-Springer-Verlag gehört, recht ausführlich über das Thema.

Der Grund muss also irgendwo bei “Bild” liegen.

Vielleicht ist es einfach so, dass “Bild”-Chef Julian Reichelt den Medien, die das Thema recherchiert haben, diesen Scoop nicht gönnt und das Thema deshalb ignoriert.

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Reichelt ein großer Fan von Spionagesoftware ist. Schon 2013, nachdem Edward Snowden die globalen Überwachungsmethoden des amerikanischen Geheimdienstes NSA offengelegt hatte, kommentierte Reichelt:

Ausriss aus der BILD-Zeitung: Kommentar von Julian Reichelt: "Snowden ist kein Held!"

Denn Snowden ist dafür verantwortlich, dass jeder Terrorist der Welt in den letzten Tagen sein Handy weggeworfen, seine E-Mail-Adresse abgeschaltet hat.

Er ist dafür verantwortlich, dass nun jeder detailliert im Internet und in allen Zeitungen der Welt nachlesen kann, wie die USA und ihre westlichen Verbündeten die gefährlichsten Männer dieses Planeten jagen.

Ja, wir wissen jetzt, wie umfassend die USA das Internet überwachen. Wir können das als Sieg unserer Bürgerrechte feiern.

Aber wahr ist auch: Wir feiern mit den Falschen. Snowden ist auch ein Held für all jene, die in Berlin, Madrid, London Busse in die Luft sprengen wollen.

Zwei Jahre später, nach dem Anschlag auf die französische Zeitschrift “Charlie Hebdo”, insinuierte Reichelt sogar, dass Snowden womöglich Schuld an den Anschlägen sei. Seine Quellen seien sich einig, “dass niemand der Verhinderung von Terroranschlägen so sehr geschadet hat wie Edward Snowden mit all dem, was er über technische Überwachung enthüllt hat”. Und wieder rief er:

Screenshot von BILD.de: "Zwischenruf zum Anschlag in Paris - Warum wir die Überwachung der NSA gegen den Terror brauchen"

Immerhin befänden wir uns im “Krieg gegen den islamistischen Terrorismus”, und in diesem Krieg seien die Methoden “nicht schön, aber notwendig – und geboten”.

Nicht unwahrscheinlich also, dass die “Bild”-Medien ihren Lesern die “Pegasus”-Geschichte verschweigen, weil ihr Chef so sehr auf Überwachung steht. Und ebenfalls nicht unwahrscheinlich, dass Reichelt beim nächsten Terroranschlag nicht den Terroristen die Schuld gibt, sondern den Journalisten, die solche Überwachungsmethoden enthüllen.

Mit Dank an Luca für den Hinweis.

Bildblog unterstuetzen

Nachtrag, 17.35 Uhr: Eineinhalb Stunden nachdem wir bei “Bild” nachgefragt hatten, warum dort nicht über “Pegasus” berichtet wird, erschien plötzlich dieser Artikel:

Screenshot von BILD.de: "Nur für Abonnenten von Bild+ - Nach Pegasus-Skandal - Drei Antiviren, die Stalker-Apss zu 100 Prozent erkennen"

Darin geht es auch um den “Pegasus”-Skandal – ganze drei Sätze lang.

Nachtrag, 17.40 Uhr: Der „Bild“-Sprecher hat sich nun doch noch gemeldet. Er schreibt:

Die Redaktionen bei Axel Springer entscheiden über ihre Berichterstattung unabhängig.

Übrigens ist in der BILD-Gruppe darüber berichtet worden, ausgiebig auch bei WELT.

https://www.computerbild.de/artikel/cb-News-Sicherheit-Pegasus-Journalisten-und-Menschenrechtler-systematisch-ausspioniert-30502495.html

https://www.welt.de/politik/ausland/article232595215/Cyberwaffe-Pegasus-Zahlreiche-Journalisten-und-Aktivisten-wurden-offenbar-ausgespaeht.html

Ansonsten lag der Schwerpunkt der Berichterstattung bei BILD in den letzten Tagen für alle sichtbar auf dem Hochwasser und dessen Auswirkungen auf die Menschen in den betroffenen Gebieten.

Politik auf Social Media, Westverlage im Osten, Süßes Geliergeheimnis

1. Das Social Media Dashboard zur Bundestagswahl 2021
(interaktiv.tagesspiegel.de, Madeline Brady & Benedikt Brandhofer & Lena-Maria Böswald & Hendrik Lehmann & Jesse Lehrke & David Meidinger & Helena Wittlich & Nikolas Zöller)
Der “Tagesspiegel” hat sein Social-Media-Dashboard zur Bundestagswahl 2021 auf den neuesten Stand gebracht. In Teil 1 der interaktiven Analyse stehen die Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten und deren Aktivitäten auf Facebook, Twitter, Instagram und Youtube im Zentrum. Die Daten liefern interessante Informationen, zudem ist die Analyse grafisch überzeugend umgesetzt.

2. Mehr als 100 Tote bei der #Hochwasserkatastrophe in RLP. Daher will ich nochmal über den SWR sprechen.
(twitter.com, Maximilian Rieger)
In Zusammenhang mit dem Hochwasser hat sich Maximilian Rieger nachträglich noch einmal die TV-Berichterstattung des SWR angeschaut und dazu einen Twitter-Thread verfasst. Sein Fazit: Die Berichte über die sich ankündigende Naturkatastrophe seien “teils verharmlosend, widersprüchlich und ohne konkrete Warn- und Verhaltenshinweise” gewesen.
Weiterer Lesehinweis: Die “taz” hat mit Inge Niedeck gesprochen, die jahrzehntelang als Fernsehmeteorologin beim ZDF beschäftigt war: “Man muss überlegen, wie man die Leute gezielter über mögliche Auswirkungen informiert. Nicht alle können sich unter ‘Starkregen’ etwas vorstellen. Ich muss also unter Umständen den Hinweis geben: Das kann schwerwiegende Folgen haben! Auch dann, wenn man sich noch nicht sicher ist.”

3. Wie Westverlage die ostdeutsche Regionalpresse übernahmen
(katapult-magazin.de)
Das in Greifswald ansässige “Katapult”-Magazin hat auf einer Landkarte die Verbreitungsgebiete größerer ostdeutscher Regionalzeitungen und deren Eigentümer eingetragen. Bis auf eine Ausnahme befänden sich alle im Besitz westdeutscher Verlage. Der Grund sei historisch bedingt: die Privatisierungswelle der Nach-Wende-Zeit Anfang der 90er-Jahre.

Bildblog unterstuetzen

4. Kleiner, konzentrierter, gut
(sueddeutsche.de, Gerhard Matzig)
Das ZDF präsentiert die “heute”-Sendungen aus einem neuen Studio und hat sich bei dieser Gelegenheit von dem riesigen Moderationstisch getrennt. Eine Entscheidung, die von “SZ”-Redakteur Gerhard Matzig mehr als begrüßt wird: “Man wird diesem elf Meter langen Missverständnis aus Tischler-will-ins-Buch-der-Rekorde-Ehrgeiz, Biomorphismus und formverleimter Dielenware (Nussbaum) nicht hinterherweinen. Im Gegensatz vielleicht zu Kleber. Der neue, deutlich kleinere Tisch, auch er hat sich demonstrativ der Tiny-Idee verschrieben, ist also schon mal angenehm proportioniert. L-Förmig, geschwungen (dem Gegenwartsdesign geschuldet), aus Holz (dem Gegenwartsdesign geschuldet) – aber jedenfalls nicht mehr so… so absurd futuristisch und überambitioniert. Man sollte den alten Tisch Putin schenken. Der mag so was.”

5. Zeichner Kurt Westergaard gestorben
(deutschlandfunk.de, Annika Schneider, Audio: 6:31 Minuten)
Der dänische Karikaturist Kurt Westergaard löste 2005 mit seiner Mohammed-Karikatur eine außenpolitische Krise und eine Debatte über Meinungsfreiheit aus. Für ihn persönlich hatte dies schwerwiegende Konsequenzen: Ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung musste er mit der Angst vor Angriffen und ständigem Personenschutz leben. Nun ist Westergaard im Alter von 86 Jahren gestorben. Der Deutschlandfunk blick auf das Geschehen von damals zurück.

6. Geliergeheimnis gelüftet: Maite Kelly und Roland Kaiser im Marmeladenbad der Gefühle
(uebermedien.de, Mats Schönauer)
Mats Schönauer ist nicht nur BILDblog-Autor, sondern auch der offizielle Regenbogenpressebeauftragte des medienkritischen Portals “Übermedien”. Dort ruft er regelmäßig zum “Schlagzeilenbasteln” auf: “Sie wollen lernen, wie man aus einem Pferd einen Grabstein macht, aus einem Hashtag eine bittere Demütigung und aus einem Biergartenfoto eine Sensation über Michael Schumacher? Dann sind Sie hier goldrichtig!”

Pegasus-Projekt, Es ist heiß in Dubai, Schecks “Anti-Kanon”

1. Cyberangriff auf die Demokratie
(zeit.de, Kai Biermann & Astrid Geisler & Gero von Randow & Holger Stark & Sascha Venohr)
Ein internationales Redaktionskonsortium, dem auch “Zeit”, “Süddeutsche”, NDR und WDR angehören, hat Erschreckendes zutage gefördert: Geheimdienste und Polizeibehörden haben offenbar weltweit Journalistinnen, Menschenrechtsaktivisten, Anwälte und Politikerinnen überwacht und dabei die Spionagesoftware Pegasus eingesetzt. Grundlage der Recherche ist eine Liste mit mehr als 50.000 Handynummern aus rund 50 Ländern, die den Medien und Amnesty International zugespielt wurde.
Weitere Lesehinweise: Hier der Bericht der ebenfalls an der Recherche beteiligten “Süddeutschen Zeitung”. Und hier der Text von NDR und WDR.

2. »Der Subtext dieser Erzählung bleibt ihm verborgen«
(nd-aktuell.de, Karsten Krampitz)
In seiner SWR-Sendung hat der Literaturkritiker Denis Scheck einen “Anti-Kanon” mit den angeblich schlechtesten Büchern eingeführt. Die Liste wird eingeleitet von Adolf Hitlers “Mein Kampf”, auf Platz vier befindet sich Christa Wolfs Erzählung “Kassandra”. Die ehemalige Buchverlegerin und jetzige Linken-Abgeordnete Simone Barrientos ist entsetzt über Inszenierung und Ton: “Er darf das Buch beschissen finden. Er darf auch sagen, es gehört nicht in seinen Kanon. Das Buch aber zu löschen, und das tut er, das ist infam. Und natürlich entsteht da auch eine Assoziation zur Bücherverbrennung. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass Scheck, um genau diesen Vorwurf auszuhebeln, den Verriss von Hitlers »Mein Kampf« an den Anfang der Reihe gesetzt hat. Aber ich mag mir nicht seinen Kopf zerbrechen.”

3. Nach antisemitischen Äußerungen: Verlag beendet Zusammenarbeit mit Bhakdi
(volksverpetzer.de, Thomas Laschyk)
Als der umstrittene Wissenschaftler und Corona-Verharmloser Sucharit Bhakdi in einem Interview Dinge sagte, die von vielen nicht nur als absurd und falsch, sondern eindeutig antisemitisch angesehen wurden, ging sein Verlag auf Distanz: “Bevor wir jetzt mögliche weitere Konsequenzen ziehen, verlangt die Fairness, dass wir dazu mit Herrn Bhakdi sprechen. Wir haben ihn kontaktiert und warten darauf, dass er sich zurückmeldet.” Die Gespräche sind anscheinend nicht zur Zufriedenheit der Verlags gelaufen. Dieser hat die Zusammenarbeit mit seinem Bestseller-Autor beendet.

Bildblog unterstuetzen

4. “Ich glaube nicht, dass sich Jebsen über die Schlagzeilen freut”
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Am Wochenende haben wir an dieser Stelle den Podcast “Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen?” mit folgenden Worten empfohlen: “Die Serie über die Verwandlung Ken Jebsens vom aufstrebenden Radiomoderator zum berühmt-berüchtigten Verschwörungsideologen ist äußerst überzeugend umgesetzt. Die Macherinnen und Macher haben mit vielen Zeitzeugen gesprochen und sind erkennbar bemüht, ein möglichst facettenreiches Bild von der Person Jebsen zu zeichnen.” Heute reichen wir das Interview mit dem Journalisten und Podcast-Macher Khesrau Behroz nach, der die Produktion umgesetzt hat.

5. Wo Sachsen-Anhalt beim Gendern steht
(mdr.de, Oliver Leiste)
“Gibt wichtigeres” – “Stört beim Lesen” – “Spaltet mehr als es verbindet”: Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch hat für den MDR sechs Thesen aus der Genderdebatte einem Realitäts-Check unterzogen.

6. Influencer sagen plötzlich »Du-bye!«
(spiegel.de, Anton Rainer)
Mehrere nach Dubai ausgewanderte Youtube- und Instagram-Stars kündigen ihre Rückkehr nach Deutschland an. Hat das etwas mit den Steuer-CDs zu tun, die Bundesfinanzminister Olaf Scholz vor rund einem Monat ankaufen ließ, wie vielfach spekuliert wurde? Eher nicht, schreibt Anton Rainer im “Spiegel”. Der Grund sei vermutlich weitaus profaner: Die Influencerinnen und Influencer hätten festgestellt, dass es in Dubai – Überraschung, Überraschung – im Sommer recht heiß ist.

Die Opfer von “Bild” (4)

In der vergangenen Woche (5. bis 11. Juli) haben die “Bild”-Medien mindestens 19 Mal Fotos von Menschen gezeigt, die Opfer eines Unglücks oder Verbrechens geworden sind. Keines der Fotos war verpixelt.

Nur bei einem Foto haben Angehörige der Veröffentlichung laut “Bild”-Angabe zugestimmt (bei einer Frau, die bei einer Bootskollision auf dem Gardasee ums Leben gekommen ist und deren Gesicht “Bild” schon in den vergangenen Wochen immer wieder gezeigt hatte).

***

Ohne erkennbare Zustimmung der Hinterbliebenen veröffentlichte Bild.de das Foto eines 12-jährigen Kindes, das erstochen wurde:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Gericht spricht Urteil - 14-Jähriger tötet Kind (12) mit 70 Messerstichen", dazu ein Foto des Jungen

(Unkenntlichmachung von uns.)

“Bild” hat das Foto von einer Internetseite, auf der Spenden für die Beerdigung des Kindes gesammelt wurden.

Erschwerend kommt in diesem Fall noch hinzu, dass der getötete Junge durch die Kombination aus Foto und Schlagzeile sogar für den Täter gehalten werden kann. Denn auch von Tatverdächtigen und Tätern zeigt die “Bild”-Redaktion immer wieder unverpixelte Fotos.

***

Gezeigt wurde in der vergangenen Woche auch das Gesicht einer jungen Frau, die bei dem Messerangriff in Würzburg getötet wurde (zuvor hatte “Bild” auch das Gesicht eines anderen Opfers aus Würzburg groß und unverpixelt veröffentlicht). In diesem Fall ist es eine nachgedruckte Traueranzeige:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Bewegende Traueranzeigen für Opfer von Würzburg-Attacke - So nimmt ihre Familie Abschied von [...]", dazu die Traueranzeige für die Frau, auf der auch ein Porträtfoto von ihr zu sehen ist

(Unkenntlichmachung von uns. “Bild” hat lediglich den Nachnamen der Frau verpixelt.)

Diese Traueranzeige hatte die Familie in ihrer Heimatzeitung geschaltet; “Bild” hat sie offenbar einfach kopiert. In einem ähnlichen Fall – als “Bild” nach dem Germanwings-Unglück eine Traueranzeige aus einer anderen Zeitung nachgedruckt hatte – wertete der Presserat den Nachdruck als “Verstoß gegen presseethische Grundsätze”, weil “nicht von einer grundsätzlichen Einwilligung zu einer identifizierenden Abbildung für die deutschlandweite Medienöffentlichkeit auszugehen” sei.

Im Fall der Frau aus Würzburg instrumentalisierte die “Bild”-Redaktion die Traueranzeige anschließend noch für ihre politische Agenda:

Ausriss aus der BILD-Zeitung: Oben auf der Seite groß die Traueranzeige, dazu ein Foto ihres Sarges und ein Foto des Tatverdächtigen, der von der Polizei auf den Boden gedrückt wird. Dazu die große Überschrift: "Warum schweigt die Kanzlerin bis heute zum Islamisten-Mord von Würzburg?"

Genau so waren zuvor auch Islamfeinde und rechte Stimmungsmacher vorgegangen. Zwei Tage vor dem “Bild”-Artikel hatte etwa Erika Steinbach die Traueranzeige getwittert und dazu geschrieben: “Das junge Mordopfer von Würzburg, für das die Kanzlerin bis heute kein Wort der Anteilnahme hatte.”

“Bild” verbreitete die Traueranzeige auch in Sozialen Netzwerken, allein bei Facebook gab es darauf tausende Reaktionen:

Post auf der BILD-Facebookseite: Die Trauernazeige samt Foto der jungen Frau ist groß zu sehen, die Überschrift des Artikels lautet: "Nach Messer-Attacke in Würzburg: Familie nimmt Abschied von [...] (✝24)". Der Teaser lautet: "In den Traueranzeigen spiegelt sich das Unverständnis für die grausame Tat wider." Der Post hat 7.585 Likes (und andere Reaktionen) bekommen, 1.471 Kommentare und wurde 641 Mal geteilt.

Unter dem Post sammeln sich seitdem etliche Kommentare wie …

„Mutti“ hat versagt, mit den Grünen wird es noch schlimmer. Trauriger Verlust, aber die junge Frau wird leider nicht das letzte Opfer sein. R.I.P.

oder

Wenn ihr das verhindern wollt, wählt endlich die Altparteien ab! Bald habt ihr die Möglichkeit dazu! Deutsche, wacht endlich auf!

oder

Raus mit so ein mùll

***

In einem anderen Fall veröffentlichte Bild.de das Gesicht einer jungen Frau, die mutmaßlich von ihrem Ex-Freund getötet wurde:

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Als sie Schluss machte, drehte er durch - Schwangere Ex mit 76 Stichen getötet", dazu ein Foto des Verdächtigen vor Gericht sowie ein Foto der jungen Frau

(Unkenntlichmachung von uns. Bild.de hat lediglich dem Verdächtigen einen schwarzen Balken über die Augen gelegt.)

Woher das Foto der Frau stammt, wird nicht angegeben. Es sieht aus, als hätte der “Bild”-Fotograf ein analoges Foto abfotografiert.

***

Gezeigt wurde auch das Gesicht einer Frau, die in Russland von mehreren umstürzenden Bildschirmen erschlagen wurde. Fotoquelle: “privat”.

Screenshot von der BILD.de-Startseite: "Tod im Nachtclub - Russin feiert Geburtstag und wird von Riesen-Fernseher erschlagen", dazu ein großes Foto der Frau

(Unkenntlichmachung – auch in allen folgenden Screenshots – von uns.)

***

Und das Gesicht eines Mannes, der in Honduras von einem Lynchmob getötet wurde.

Screenshot von BILD.de: Großes Foto eines Mannes, dazu die Bildunterschrift: "Opfer des Lynchmobs: Der Italiener [...]"

Quelle: “privat”.

***

Und das Gesicht eines Mannes, der in Teheran von seinen Eltern ermordet worden sein soll:

Screenshot von BILD.de: Großes Foto eines Mannes, dazu die Bildunterschrift: "Von den eigenen Eltern ermordet: Der Iraner [...] (†47)"

Quelle: “.”

***

“Bild am Sonntag” und Bild.de veröffentlichten auch das Gesicht eines obdachlosen Mannes, der auf einer Parkbank getötet wurde.

Ausriss aus BILD am SONNTAG: "Obdachloser nachts im Schlaf erstochen", dazu ein Foto von Forensikern, die die Parkbank untersuchen sowie ein Foto des Obdachlosen, der eine Decke umgehängt hat und einen Becher in der Hand hält

Dem Anschein nach wurde das Foto (des damals noch lebenden Mannes) aus einiger Entfernung aufgenommen.

Auch in diesem Fall könnte man durch die Kombination von Foto und Schlagzeile das Opfer für den Täter halten:

Screenshot von der BILD.de-Startseite. Große Schlagzeile: "Polizei jagt  Kapuzen-Killer", dazu das Foto des Obdachlosen sowie das Foto der Forensiker an der Parkbank

Eine Verwechslung, die nicht passieren könnte, wenn “Bild” Gesichter verpixeln würde.

***

Seit einem Monat beobachten wir diese Praxis nun etwas genauer. In dieser Zeit haben die “Bild”-Medien 124 Mal Fotos von Menschen gezeigt, die Opfer eines Unglücks oder Verbrechens geworden sind. In 18 Fällen von Minderjährigen.

Nur in vier Fällen haben Angehörige der Veröffentlichung laut “Bild”-Angabe zugestimmt.

In sechs Fällen waren die Augen verpixelt, in fünf Fällen die Gesichter. In 113 Fällen verzichtete “Bild” auf jede Unkenntlichmachung.

***

Nach einem Verbrechen oder Unglück in Social-Media-Profilen zu wühlen und daraus Fotos der Opfer zu veröffentlichen, ist redaktioneller Alltag bei “Bild”. Häufig erscheinen solche Fotos ohne jede Verpixelung und ohne Zustimmung der Angehörigen oder Hinterbliebenen.

In vielen Fällen werden Freunde, Kollegen oder Familienmitglieder sogar von Reportern bedrängt, damit sie Fotos der Menschen herausrücken, die sie gerade verloren haben.

“Bild” begründet die Veröffentlichung solcher Bilder damit, dass “nur so” die Tragik “deutlich und fassbar” werde.

Wie jedoch viele Betroffene selbst darüber denken, kann man zum Beispiel hier nachlesen. Dort sagt der Vater eines Mädchens, das beim Amoklauf von Winnenden getötet wurde und deren Foto in den Tagen darauf immer wieder in der “Bild”-Zeitung erschien:

Die “Bild”-Zeitung und andere, auch Fernsehsender, ziehen Profit aus unserem Leid! Dreimal hintereinander sind Bilder [unserer Tochter] erschienen, ohne dass wir das gewollt hätten. Wir hätten das nie erlaubt. Die reißen die Bilder an sich und fragen nicht danach, was wir Hinterbliebenen denken und fühlen.

Pressekodex Richtlinie 8.2

Die Identität von Opfern ist besonders zu schützen. Für das Verständnis eines Unfallgeschehens, Unglücks- bzw. Tathergangs ist das Wissen um die Identität des Opfers in der Regel unerheblich. Name und Foto eines Opfers können veröffentlicht werden, wenn das Opfer bzw. Angehörige oder sonstige befugte Personen zugestimmt haben, oder wenn es sich bei dem Opfer um eine Person des öffentlichen Lebens handelt.

In einem Interview in unserem Buch sagt ein anderer Betroffener, dessen Bruder bei einem Skiunfall gestorben ist und später ohne Erlaubnis der Angehörigen groß auf der Titelseite der ”Bild”-Zeitung zu sehen war:

Das war eines der schlimmsten Dinge an der Geschichte: Dass die “Bild” die Kontrolle darüber hat, mit welcher Erinnerung mein Bruder geht. Dass das letzte Bild von der “Bild”-Zeitung kontrolliert wird und nicht von ihm selbst oder von uns.

Auch in anderen Medien kommt es vor, dass solche Fotos veröffentlicht werden. Doch niemand macht es so häufig und so eifrig wie “Bild”. Mehr als die Hälfte aller Rügen, die der Presserat je gegen die “Bild”-Medien ausgesprochen hat, bezog sich auf die unzulässige Veröffentlichung von Opferfotos.

Um zu verdeutlichen, in welchem Ausmaß “Bild” auf diese Weise Profit aus dem Leid von Menschen zieht, wollen wir hier regelmäßig dokumentieren, wie häufig die “Bild”-Medien solche Fotos veröffentlichen.

KW 28: Hör- und Gucktipps zum Wochenende

Hurra, endlich Wochenende – und damit mehr Zeit zum Hören und Sehen! In unserer Samstagsausgabe präsentieren wir Euch eine Auswahl empfehlenswerter Filme und Podcasts mit Medienbezug. Viel Spaß bei Erkenntnisgewinn und Unterhaltung!

***

1. 13 Fragen: Hass im Netz
(zdf.de, Video: 30:03 Minuten)
Bei dem TV-Format “13 Fragen” wird eine Diskussion über ein strittiges Thema auf ein Spielfeld verlagert: Auf aufgemalten Feldern stehen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gegenüber, können sich aber während der Debatte noch stärker voneinander weg- oder aufeinander zu bewegen. In der aktuellen Folge geht es um das Thema “Hass im Netz” und die Frage, ob Soziale Medien stärker reguliert werden müssen. Mit dabei sind: Electra Pain (Drag Queen), Hans Block (Regisseur), Canel Ataman (Künstlerin und Aktivistin), Diana zur Löwen (Influencerin, Unternehmerin und Autorin), Linus Neumann (Chaos Computer Club) und Maya El-Auwad (Rechtsanwältin und Redakteurin bei “iRights”).

2. Cui Bono: WTF happened to Ken Jebsen?
(ardaudiothek.de, Audio: sechsteilige Serie)
Wir haben die sechsteilige Podcast-Produktion bereits nach zwei veröffentlichten Folgen empfohlen, nun steht sie komplett zum Abruf bereit. Daher der erneute Hörtipp: Die Serie über die Verwandlung Ken Jebsens vom aufstrebenden Radiomoderator zum berühmt-berüchtigten Verschwörungsideologen ist äußerst überzeugend umgesetzt. Die Macherinnen und Macher haben mit vielen Zeitzeugen gesprochen und sind erkennbar bemüht, ein möglichst facettenreiches Bild von der Person Jebsen zu zeichnen.

3. Wild Wild Web – Die Kim Dotcom Story
(br.de, Janne Knödler & Benedikt Dietsch & Simon Garschhammer & André Dér-Hörmeyer, Audio, sechsteilige Serie)
Unterhaltsames und informatives sechsteiliges Feature über einen der schillerndsten deutschen Internetunternehmer und Medienfiguren: “Kim Dotcom war Deutschlands berühmtester Computer-Nerd, dann der superreiche Betreiber der Plattform Megaupload und heute ein von der US-Justiz Gejagter. Die Bilder seiner Festnahme in Neuseeland gingen um die Welt. Muss Kim Dotcom für den Rest seines Lebens ins Gefängnis? Und was hat sein Fall mit der Freiheit des Internets zu tun?”

Bildblog unterstuetzen

4. Die Macht der Plattformen
(techundtrara.podigee.io, Moritz Stoll, Audio: 1:05:11 Stunden)
Der “Tech-und-Trara”-Podcast hat sich den Kultur- und Medienwissenschaftler, Sachbuchautor und Journalisten Michael Seemann eingeladen, der sich in seinem neusten Buch mit der Macht der Plattformen auseinandergesetzt hat: Wie kann man Plattformen definieren? Welche Arten von Plattformen es gibt? Und welche Macht haben sie?

5. Verantwortungsvoller Journalismus über Konflikte
(youtube.com, DJV NRW, Sascha Fobbe, Audio: 31:24 Minuten)
In der aktuellen Podcastausgabe des Deutschen Journalisten-Verbands NRW geht es um die Frage, worauf Journalistinnen und Journalisten achten sollten, wenn sie von Konflikten und Krisen reden oder schreiben. Das Stichwort lautet: konfliktsensitiver Journalismus. Das bedeute, “dass auch über Konflikte fair und korrekt berichtet wird, dass alle Parteien zu Wort kommen und dass Journalist:innen sich ihrer möglichen eigenen Vorurteile zu einem Thema bewusst sind. Auch die Auswahl der Sprache und Bilder sollte beachtet werden. Eine Missachtung der gängigen Qualitätskriterien kann bei Konfliktthemen gravierende Folgen haben, Medien können dann zur Radikalisierung des Diskurses beitragen.”

6. Medien scheitern am Hochwasser
(funk.net, Walulis Daily, Video: 12:06 Minuten)
Philipp Walulis knöpft sich die Berichterstattung über die aktuelle Naturkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz vor. Er thematisiert dabei auch die Rolle von Politikern und deren mediales Auftreten. Natürlich auf gewohnt ironische Walulis-Art …

WDR-Versäumnisse, Peng!-Razzia, Propagandaspiele in Tokio

1. WDR räumt Versäumnisse ein
(deutschlandfunk.de, Isabelle Klein, Audio: 6:44 Minuten)
In Zusammenhang mit der Unwetter-Berichterstattung gab es teilweise heftige Kritik am WDR. So warf “DWDL”-Chefredakteur Thomas Lückerath dem Sender “unterlassene Hilfeleistung” vor und sprach von einem “Totalausfall”. Im Deutschlandfunk konfrontiert Isabelle Klein den WDR-Verantwortlichen Stefan Brandenburg mit den Vorwürfen. Der verteidigt das Vorgehen, räumt aber auch Versäumnisse ein.
Weiterer Lesehinweis: Hochwasser flutet Wuppertaler Radiosender, Journalisten berichten trotzdem die ganze Nacht durch – anders als der WDR (rnd.de, Matthias Schwarzer).

2. Peter R. de Vries gestorben
(djv.de, Hendrik Zörner)
Der Deutsche Journalisten-Verband trauert um den niederländischen Journalisten Peter R. de Vries, der am gestrigen Donnerstag seinen schweren Verletzungen erlegen ist: “Mit Peter R. de Vries verliert der Journalismus einen engagierten, mutigen Kollegen, der Licht ins Dunkel krimineller Machenschaften gebracht hat und dafür mit dem Leben bezahlen musste.” Der Kriminalreporter war vergangene Woche Opfer eines Anschlags geworden, hinter dem die Drogenmafia stecken soll.

3. Razzia gegen Aktionskünstler wegen Online-Karte
(netzpolitik.org, Markus Reuter)
Die Polizei hat Büroräume des Peng!-Kollektivs und die Wohnungen von zwei Peng!-Mitgliedern durchsucht und dabei Computer, Festplatten und Aktenordner beschlagnahmt. Die Maßnahme habe im Zusammenhang mit der kolonialismuskritischen Website “Tear Down This Shit” gestanden, die Peng! gemeinsam mit der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland veröffentlicht hat.

Bildblog unterstuetzen

4. Vom Wert des Journalismus bei den Propagandaspielen in Tokio
(jensweinreich.de)
Jens Weinreich ist zu den Olympischen Spielen nach Tokio aufgebrochen, es sind seine mittlerweile achten Sommerspiele. In seinem Beitrag schreibt er über die Umstände einer Reise, bei der es, wie immer, auch um die Aufdeckung der Versäumnisse, Schwachstellen und Inszenierungsversuche des Veranstalters gehen wird. Man glaubt gerade Weinreich sofort, wenn er schreibt: “Olympia ist kein Tourismus, sondern ein Knochenjob, ziemlich brutal, wenn man es richtig macht.”

5. Fragwürdiger Verband im Rundfunkrat
(taz.de, Steffen Grimberg)
Im WDR-Rundfunkrat sitzt für die nächsten fünf Jahre der Verband kinderreicher Familien Deutschland, in dessen Umfeld sich auch einschlägig konservativ-rechtskatholisches Gedankengut tummele. Steffen Grimberg fragt: “Dass in den Rundfunkrat eine Organisation einzieht, die sich um die Belange von Kindern kümmert, ist ja eigentlich total positiv. Aber wieso erst ab drei an der Zahl? Warum wurde nicht der Kinderschutzbund ausgewählt, der auch auf der Vorschlagsliste stand?”

6. Dubai-Influencer: Wenn das Regime doch nicht so geil ist
(meedia.de, Luca Schallenberger)
In Jüngster Zeit gab es eine auffällige Abwanderung von deutschen Influencern und Influencerinnen nach Dubai. Jetzt kehren zwei der Youtube-Promis dem Emirat den Rücken zu. Luca Schallenberger spekuliert über die Gründe: “Ob die Dubai-Flucht der Influencer*innen mit dem Kauf von Steuer-Daten aus Dubai durch die deutsche Regierung zu tun haben? Unklar. Wie der ‘Spiegel’ berichtete, sollen ‘länderübergreifende Steuerstraftaten von erheblichem Ausmaß’ aufgedeckt werden. Letztendlich kann man nur hoffen, dass die Influencer*innen Dubai aufgrund der dortigen humanitären und nicht der eigenen finanziellen Lage verlassen. Letzteres wäre ein Armutszeugnis.”

WDR lässt Westen im Stich, “Fake-News”-Eigentor, Sportwetten

1. Unterlassene Hilfeleistung: WDR lässt den Westen im Stich
(dwdl.de, Thomas Lückerath)
Als es in weiten Teilen des WDR-Sendegebiets zu Unwettern mit dramatischen Folgen kam, habe der Sender die Menschen weitgehend im Stich gelassen, kommentiert Thomas Lückerath: “Man kann dem WDR nur raten, sich in der Verteidigung dieses Totalausfalls in Radio und TV nicht zu viel auf einen einsamen Live-Ticker auf der Website oder Twitter einzubilden. Wenn sich die gesamte Kompetenz des mächtig ausgestatteten Westdeutschen Rundfunk in einer Krisensituation, die weite Teile des Landes erfasst hat, in einem banalen Text-Ticker erschöpfen soll, dann ist das ein Armutzeugnis, aber nicht nur: Wenn Angebote im Netz das Angebot im Rundfunk ersetzen soll, dann untergräbt man damit selbst die Legitimation eines bis heute über TV und Radio definierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks.”

2. Wo endet Berichterstattung, wo beginnt Werbung?
(deutschlandfunk.de, Michael Borgers, Audio: 5:00 Minuten)
Bremens Innensenator Ulrich Mäurer wirft “Bild” eine “besorgniserregende, da gezielt verharmlosende” Berichterstattung über Sportwetten vor und hat sich deswegen an den Presserat gewandt. Der Axel-Springer-Konzern gibt sich unschuldig und weist alle Vorwürfe zurück. Was ist dran an den Vorwürfen? Und welche Rolle spielt der neue Glücksspielstaatsvertrag? Darüber hat der Deutschlandfunk mit Ilona Füchtenschnieder vom Fachverband Glücksspielsucht gesprochen.

3. Springers neue “Welt”-Strategie ist ein Frontalangriff gegen die “FAS”
(meedia.de, Gregory Lipinski)
Der Axel-Springer-Verlag will die “Welt am Sonntag” mit einer Frühausgabe bereits am Samstag an die Kioske bringen. Ein schlauer Schachzug, wie Gregory Lipinski findet, der sich vor allem gegen die “Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung” richte. Profiteur der neuen “Welt”-Vertriebsstrategie sei Springer-Chef Mathias Döpfner, der sich vor den Investoren von KKR für die schwache Sparte rechtfertigen müsse.

Bildblog unterstuetzen

4. Plädoyer für die Plagiatsjagd
(medienwoche.ch, Lothar Struck)
Lothar Struck hält ein Plädoyer für die Plagiatsjäger, die er als Korrektive für schläfrig gewordene Institutionen bezeichnet: “Sie werden immer dann aktiv, wenn ein Versagen vorliegt. Wenn Promotionsausschüsse ihren Prüfungspflichten nicht ausreichend nachkommen, Lektorate in Verlagen nur oberflächlich ausgeführt werden oder Journalisten in politischer Sympathie Bücher von Mandatsträgern nicht genau untersuchen – dann schlägt ihre Stunde.”

5. Antisemitismus-Eklat um Corona-Bestsellerautor
(t-online.de, Lars Wienand)
Der umstrittene Wissenschaftler Sucharit Bhakdi ist so etwas wie ein Held der Corona-Leugner-Szene. Nun sorgt er mit Äußerungen für Aufsehen, die als antisemitisch wahrgenommen werden können. Der Goldegg-Verlag, der auch Bhakdis letzten Corona-Verharmlosungs-Bestseller veröffentlichte, geht auf vorsichtige Distanz und verlangt von seinem Autoren eine Erklärung. “T-Online”-Redakteur Lars Wienand weist in seinem Beitrag auf einen interessanten Umstand hin: “Bhakdi selbst fasste seine Äußerungen in dem Interview möglicherweise nicht antisemitisch auf: Er sagte in dem Interview auch, er habe Juden verehrt und sei jüdischen Künstlern nachgereist. Marina Weisband, Jüdin, Psychologin und heute bei den Grünen aktive frühere Geschäftsführerin der Piratenpartei, ordnete das auf Twitter ein: ‘Ich glaub ihm das’, schrieb sie. ‘Philosemitismus [jemanden verehren, weil er Jude ist, Anm. d. Red.] ist die kleine Schwester des Antisemitismus. Niemand, der sich als ‘Juden-Verehrer’ bezeichnet, hat ein sauberes Verhältnis.”

6. Fake News Eigentor
(twitter.com, Tilo Jung, Video: 7:07 Minuten)
Tilo Jung dokumentiert auf seinem Youtube-Kanal regelmäßig Veranstaltungen der Bundespressekonferenz. Von der gestrigen Sitzung hat Jung etwas mitgebracht, das er als “Fake News Eigentor” bezeichnet: “Ein ‘Reporter’ von Russia Today hat es heute in der Bundespressekonferenz geschafft, gleich zweimal bei der Verbreitung von Desinformation live entlarvt zu werden.”

Bauers Daniel-Küblböck-Lüge, “Welt” schrumpft, Händewaschen in Wien

1. “InTouch” hat zu Daniel-Küblböck-Lüge nichts zu sagen
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Der Bauer-Verlag geht bei der Jagd auf Klicks gerne mal über Leichen. Ein Beispiel: Ein besonders verwerflicher Versuch der Promi-Postille “InTouch”, mit dem verstorbenen Daniel Küblböck Reichweite und Kapital zu generieren. Medienkritiker Stefan Niggemeier hat den Fall dem Presserat gemeldet und Antwort erhalten: Der Bericht verletze die Wahrhaftigkeit und das Ansehen der Presse. Der Bauer-Verlag hat den Artikel daraufhin von der Website entfernt – mehr oder weniger achselzuckend.

2. Springer: Kürzungen bei “Welt”, “WamS” auch samstags
(dwdl.de, Timo Niemeier)
Seit Jahren geht es bei der gedruckten “Welt” abwärts. Allein im ersten Quartal 2021 sei die harte Auflage – also die Summe aus Abo- und Einzelverkauf – um mehr als 20 Prozent auf nur noch 42.000 Exemplare gesunken. Nun hat der Axel-Springer-Verlag ein neues “redaktionelles Konzept” für die “Welt” angekündigt. Und das besteht anscheinend hauptsächlich darin, den Umfang der Zeitung zu reduzieren.

3. Die AfD läuft sich auf TikTok warm
(belltower.news, Thilo Manemann & Theresa Lehmann)
Die AfD habe es laut Thilo Manemann und Theresa Lehmann längst geschafft, sich in den großen Sozialen Medien Räume zu sicher, und versuche nun, das nächste Netzwerk zu erobern: “Gerade hier funktioniert aber die demagogische Sprache der Partei besonders gut, da sie viele Reaktionen hervorruft und so durch die Algorithmen größere Reichweite erhält. Nachdem es den Rechtsradikalen auf Facebook, Twitter und Instagram gelungen ist, Unterstützer:innen zu finden, heißt das neue Ziel TikTok.”

Bildblog unterstuetzen

4. Es gibt mehr Meinungsfreiheit als je zuvor – Wir müssen schauen, dass das so bleibt
(volksverpetzer.de, Constantin Huber)
Die Meinungsfreiheit sei vielleicht so frei wie noch nie, findet Constantin Huber in einem Gastbeitrag für den “Volksverpetzer”. Es müsse jedoch auch Gegenrede möglich sein: “Die Angst der Mehrheitsgesellschaft vor Kritik, wenn öffentlich Unsinn verbreitet wird, fußt auf falschen Prämissen. Das zur Verantwortung ziehen von Menschen, die Fragwürdiges äußern, das Hinterfragen von Privilegien & Machtstrukturen, das Eindämmen von sektenhaften Handhabungen und begründete Einschränken der Meinungsfreiheit sind nicht per se verwerflich, sondern in der Regel der Gesellschaft enorm dienlich.”

5. “Es sind strukturelle Probleme”
(taz.de, Volkan Ağar)
Daniela Kraus ist Generalsekretärin des in Wien ansässigen Presseclubs Concordia, der sich für unabhängigen Journalismus und die Interessen von Journalistinnen und Jour­na­lis­ten einsetzt. Im ihrem Gespräch mit der “taz” geht es um die massiven strukturellen Probleme bei der Unabhängigkeit (beziehungsweise der Abhängigkeit) der österreichischen Medienlandschaft. So nutze die Regierung ihre Inseratenpolitik als Druckmittel gegenüber Medien. Die Boulevardmedien führen im Gegenzug Kampagnen, “die entweder Abstrafung dafür sind, dass sie nicht genug Werbung bekommen, oder eine Drohgeste, damit mehr kommt.”

6. Der SPIEGEL – die Lage am Morgen: Korrekturhinweis
(spiegel.de, Martin Knobbe)
Der “Spiegel” ist auf eine satirische CDU-Fake-Gruppe hereingefallen. In einem Korrekturhinweis schreibt der Leiter des “Spiegel”-Hauptstadtbüros Martin Knobbe: “Wir haben heute in der »Lage am Morgen« auf eine angekündigte Pressekonferenz eines »CDU-Zukunftsrates« hingewiesen. Wie das Konrad-Adenauer-Haus mitteilt, handelt es sich offenbar um eine Fake-Gruppierung, kreiert von Klimaschützern.”

Aufstand bei der ARD, Abgewickelt, “Disziplinierung der Presse”

1. Aufstand bei der ARD
(sueddeutsche.de, Claudia Tieschky)
Bei der ARD existieren Pläne, die Sendezeiten für Politmagazine einzudampfen und den renommierten “Weltspiegel” auf einen unattraktiven Sendeplatz zu verschieben. Dagegen wehren sich nun Redaktionsleiter, Korrespondentinnen und freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Weiterer Lesehinweis: “Übermedien” dokumentiert den offenen Brief der Betroffenen: “Die geplanten Reformen würden die investigative, politische Berichterstattung deutlich beschneiden”.

2. Wegen IPO-Flaute: Beirat der Bundesregierung fordert “Disziplinierung der Presse”
(handelsblatt.com, Larissa Holzki, Klaus Stratmann, Michael Verfürden)
Der Beirat Junge Digitale Wirtschaft berät laut offizieller Beschreibung den Bundesminister für Wirtschaft und Energie aus erster Hand zu aktuellen Fragen der digitalen Transformation. Zu dieser Beratung gehört anscheinend auch die aktuelle Empfehlung, Medien vorschreiben zu lassen, wie und über welche Börsengänge sie berichten sollen. Ein “Erlass von Regeln zur Vermeidung einseitig diffamierender Artikel” soll der “Disziplinierung der Presse zu sachlicher, richtiger und vollständiger Information” dienen. Das Bundeswirtschaftsministerium habe sich auf Anfrage des “Handelsblatts” zunächst von Inhalten des Positionspapiers distanziert. Zu später Stunde sah sich der zuständige Minister Peter Altmaier noch zu einer eindeutigeren Stellungnahme gezwungen und twitterte: “Pressefreiheit ist ein herausragendes Grundrecht, dessen Schutz wir verpflichtet sind. Das Positionspapier des Beirates junge digitale Wirtschaft, war mir ebensowenig bekannt wie seine Veröffentlichung auf der Homegage. Ich habe soeben die umgehende Entfernung angeordnet.”

3. Die Verleger, die Abwickler und ich
(uebermedien.de, Klaus Ungerer)
Klaus Ungerer kann auf ein langes Berufsleben in der Medienbranche zurückblicken: Er war unter anderem Feuilletonist bei der “FAZ”, Satiriker bei “Spiegel Online” und Textchef beim “Freitag”. Nun hat er für sich eine Art persönliche Zwischenbilanz gezogen, und die ist nicht nur herausragend gut geschrieben, sondern verrät mehr über das Mediengeschäft als manch nüchterner Beitrag. Am Ende ist klar: Ungerer muss unbedingt weitermachen, sollte sich jedoch auf Bücher konzentrieren. Der “6-vor-9”-Kurator bestellt hiermit schon mal das erste Exemplar!

Bildblog unterstuetzen

4. Laschet-CDU hievt offenbar homophoben Verband in WDR-Rundfunkrat
(queer.de)
Laut einem “Spiegel”-Bericht (nur mit Abo lesbar) hat die CDU eine umstrittene Organisation in den WDR-Rundfunkrat gehievt: “Im Beirat des Verbands kinderreicher Familien sitzen ein Wissenschaftler mit völkisch-nationalistischen Ideen und ein Opus-Dei-Mitglied. Die CDU-Fraktion im NRW-Landtag unterstützte die Organisation trotzdem, nun hat sie Einfluss auf den WDR.”

5. Die Koalition der Hass-Bekämpfer
(deutschlandfunk.de, Tobias Nowak, Audio: 5:28 Minuten)
In der männerdominierten Gaming-Szene herrscht teilweise ein verachtender Ton gegenüber Frauen. Dem wollen die Digitalen Helden etwas entgegensetzen: “Wir thematisieren das Thema ‘Frauen in Games’, weil Frauen sprachlichen Anfeindungen ausgesetzt sind, weil es Grenzüberschreitungen gibt, weil es Beleidigungen, Hasskommentare im Internet gibt, aber eben auch in den Games selber.” Auf der Helden-Website gibt es verschiedene Angebote für mehr Medienkompetenz: Webinare, Lehr- und Informationsmaterialien und ein ganzjähriges Mentorenprogramm für Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler. Aber auch bei den Konzernen tue sich etwas, wie der Deutschlandfunk berichtet.

6. Der deutsche Fußball und seine Reporter: Boah
(post-von-horn.de, Ulrich Horn)
Im Nachgang zur Fußball-Europameisterschaft kommentiert Ulrich Horn: “Die Krise der Teams, das lässt sich kaum noch verbergen, ist auch eine Krise der Fußballberichterstattung. Wer die Spiele der Nationalmannschaft bei ARD und ZDF am Fernseher verfolgt, erlebt seit Jahren bei der Übertragung zwei Inszenierungen in einer: das Spiel der Mannschaften und den Auftritt der TV-Bediensteten, der Reporter, Kommentatoren und Experten.”

Netzwerk Klimajournalismus, Pferderennen, Pandemisches Drehen

1. Journalismus oder Aktivismus?
(deutschlandfunk.de, Sören Brinkmann & Torsten Schäfer, Audio: 7:34 Minuten)
Unter dem Namen Netzwerk Klimajournalismus Deutschland haben sich einige Journalistinnen und Journalisten zusammengeschlossen, um ähnlich wie das Netzwerk Recherche oder das Europäische Datenjournalismus-Netzwerk regelmäßig über inhaltliche und redaktionelle Fragen zu diskutieren. Umweltjournalist und Journalismus-Professor Torsten Schäfer hat das Projekt mitgegründet und erklärt im Deutschlandfunk die Hintergründe und Zusammenhänge.

2. Lange historische Bögen
(taz.de, Dirk Knipphals)
Dirk Knipphals kommentiert die Entscheidung des WDR, sich von den “Buchtipps” mit Christine Westermann zu trennen: “Auch wenn man kein literaturkritischer Fan von Christine Westermann ist, kann einen die Begründung, mit der ihre Literaturtipps im WDR nun gestrichen werden, doch einigermaßen erschüttern. Im Kern läuft sie auf die Behauptung hinaus: Die Mehrheit interessiert sich nicht für Bücher. Selbst wenn das so wäre, sollte das gerade für ein öffentlich-rechtliches Fernsehen nicht Ansporn sein, das zu ändern?”

3. SPIEGEL-Kulturchef schürt Angst vor trans: Ahnungslos durch die Nacht?
(nollendorfblog.de, Johannes Kram)
Beim “Spiegel” kritisierte Sebastian Hammelehle, Leiter des Kulturressorts, in einem Essay (nur mit Abo lesbar) den Wunsch eines Schauspielers, den Namen seiner ehemaligen geschlechtlichen Identität nicht mehr zu erwähnen (“So baut sich unsere aufgeklärte Gesellschaft einen Kokon aus neuen Verboten.”) Johannes Kram antwortet: “Hat der SPIEGEL-Kulturchef nicht mitbekommen, wie gegen trans Menschen gehetzt wird? Und welche Rolle dabei alte Bilder und der alte, der Deadname spielt, das Vergnügen des rechten Pöbels, diesen immer wieder sichtbar zu machen als ‘Beweis’ dafür, dass der Mann oder die Frau gar nicht ‘echt’ ist, sondern sich nur ‘verkleidet’?”

Bildblog unterstuetzen

4. «Es geht nicht nur darum, einfach mehr über Frauen zu schreiben»
(medienwoche.ch, Thomas Häusermann)
Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Uni Zürich haben die Darstellung von Frauen in Schweizer Print- und Onlinemedien untersucht. Die Ergebnisse sind ernüchternd. Die “Medienwoche” hat Verlage und Redaktionen befragt, was sie über den anhaltend tiefen Frauenanteil in ihren Medien denken und welche Maßnahmen sie ergreifen wollen, um die Situation zu ändern.

5. “Der Wahlkampf ist kein Pferderennen”
(deutschlandfunkkultur.de, Jenny Genzmer & Martin Böttcher, Audio: 11:15 Minuten)
Der Begriff “Horse-Race-Journalismus” bezeichnet die Eigenart einiger Medien, die politische Berichterstattung wie ein Sport-Event zu behandeln, bei dem es ausschließlich darum geht, wer gerade in Führung liegt. Die Medienwissenschaftlerin Margreth Lünenborg erklärt, was dabei zu kurz kommt – die Inhalte: “Die Aufgabe von Journalismus ist zweifelsohne, auf den Zahn zu fühlen und kritisch zu prüfen, ob die Versprechen, die da jetzt ausgeschüttet werden, auch tatsächlich tragfähig sind. Also tatsächlich Inhalte in den Mittelpunkt zu stellen.”

6. Mit Risiken und Nebenwirkungen
(sueddeutsche.de, Nicolas Freund)
Die Corona-Pandemie hatte weitreichende Folgen für das TV- und Kinogeschäft. Monatelang waren kaum Dreharbeiten möglich und auch die jetzigen Bedingungen sind kompliziert. So soll es am Set von “Star Wars” einige Covid-Fälle gegeben haben. Nicolaus Freund berichtet über das Drehen unter pandemischen Bedingungen.

Blättern:  1 ... 112 113 114 ... 1146