Seit einer Woche wird der Frankfurter Millionärssohn Andreas Grimm vermisst. “Immer mehr spricht dafür, daß der 25jährige nicht aus freien Stücken untertauchte oder sich das Leben nahm, sondern verschleppt wurde”, meldete “Bild” Frankfurt gestern. “Die Mordkommission ermittelt!”
Heute titelt “Bild”:
“Gestern stellte die Mordkommission erneut seine [Grimms] Luxus-Wohnung im [Frankfurter Stadtteil] Gallus auf den Kopf, suchte nach weggewischtem Blut. Und nahm einen Kokain-Dealer aus dem direkten Umfeld des 25jährigen fest.”
Kommt jetzt Klarheit in den Fall? Was weiß der Dealer über Grimms Verschwinden? Hat er die mögliche Entführung mitgeplant?
Die Antwort auf diese Fragen lautet bisher: nein. Die Polizei hat “Bild” zufolge bloß herausgefunden, dass der Festgenommene “den BWL-Studenten mit Stoff versorgt haben soll” und zufällig in der Wohnung des Dealers einen “Berg Koks” gefunden. Deshalb die Festnahme. Und “Bild” ergänzt ganz zum Schluss:
“Mit Grimms Verschwinden hat er aber nach ersten Erkenntnissen nichts zu tun.”
Dass die “Bild”-Schlagzeile das Gegenteil suggeriert, ist sicher bloß ein blödes Versehen.
Wenn allerdings “Deutschland jüngste Abgeordnete” Julia Bonk, 18 Jahre, gutaussehend “und derzeit wieder solo”, “in Pulli, Mini-Rock und schwarzen Strümpfen” bzw. mit “Schmollmund, roter Mähne, bauchfreiem T-Shirt” abgebildet werden kann, dann ist die “SED-Nachfolgepartei”, für die die “sexy Sächsin” im Landtag sitzt, plötzlich nur noch – “die PDS”.
Unklar ist, was sich genau am frühen Donnerstagmorgen vor einem Londoner Nachtclub zwischen Prince Harry und einem Paparazzo abgespielt hat. Sicher ist, dass nicht das passiert ist, was “Bild” behauptet:
Niemand ging “k.o.”. Ein Paparazzo (nicht mehrere Paparazzi) trug Verletzungen an der Unterlippe davon.
Es gab offenbar eine Rangelei, als Prinz Harry den Club verließ und sich einen Weg durch eine Gruppe von Fotografen bahnen musste. Ob er zuerst eine Kamera ins Gesicht bekam und dem Fotografen versehentlich dessen Apparat ins Gesicht stieß oder er den Paparazzo absichtlich attackierte, ist umstritten.
“Bild” macht daraus eine “wilde Prügelei” und einen “Prügelskandal”, spricht vom “prügelnden Prinzen” und dem “Rüpel royal”. EnglischsprachigeMedienbeschreiben das Geschehen eher als “scuffle”, was man mit “Handgemenge” oder “Rauferei” übersetzen kann.
Aber “Rauferei” konnte “Bild” ja schlecht schreiben — bei einer Rauferei geht halt selten einer k.o.
Nachtrag 11.20 Uhr: Inzwischen hat der Italien-Beauftragte von Bild Online seinen Dienst angetreten und das Wort “Paparazzi” in “Paparazzo” geändert. Schön. Jetzt steht die falsche Aussage wenigstens in richtiger Grammatik da.
Wenn die “Bild”-Zeitung mal lustig sein will, schreibt sie “Danke Anke” über ein paar Zeilen zur letzten “Anke Late Night” heute Abend, stellt der “deprimierend langweiligen (…) A. E.” (F.J.W.) im Namen von Sat 1 ein “Zeugnis” aus und schreibt daneben:
“Schade, schade! Heute moderiert Anke Engelke zum letzten Mal ihre Late-Night-Show. Dieses Zeugnis soll die Moderatorin trösten.”
“Dieses Zeugnis” ist dann natürlich alles andere als tröstend, sondern im Zeugnisdeutsch eine ziemlich negative Bewertung für die “Comedy-Queen” (“Sie war immer bemüht…”, “…neuen Situationen im wesentlichen gewachsen…”, “Frau Engelke hat versucht…”).
Zum Schluss steht da:
“Frau Engelke und Sat 1 trennen sich in gegenseitigen [sic] Einvernehmen. Für ihren weiteren beruflichen Weg wünschen wir ihr alles Gute.”
Stimmt bloß nicht. Anke Engelke und Sat 1 trennen sich natürlich nicht in gegenseitigem Einvernehmen. Sie trennen sich gar nicht.
“Anke Engelke (…) und Sat.1 arbeiten weiter eng zusammen“, lautete der zweite Satz der Sat.1-Pressemitteilung von vor zwei Wochen, als der Sender das Ende der Show bekannt gab.
Abgesehen davon stimmt auch nicht (mehr), dass “zuletzt (…) nur noch 700 000 Zuschauer eingeschaltet” hatten.
Vermutlich ist es “Bild”-Redakteuren einfach verboten, witzig gemeinte Beiträge mit unnötigen Recherchen zu versauen. Selbst, wenn das nur zwei Minuten gedauert hätte.
Ehre, wem Ehre gebührt. In der jetzigen Situation ein Exklusiv-Interview mit dem angeschlagenen Bundesliga-Spieler Sebastian Deisler zu bekommen, ist ein Hammer. Wir gratulieren den Kollegen von “Bild” und bekunden unseren Respekt vor dieser journalistischen Leistung dadurch, dass wir das Gespräch in voller Länge dokumentieren:
BILD: Sebastian, wie geht es Ihnen? Sie hören sich gut an.
Deisler: “Danke, mir geht es auch gut.”
BILD: Wann werden wir Sie wieder bei Bayern sehen?
Deisler: “Dazu möchte ich noch nichts sagen.”
BILD: Wir wünschen Ihnen gute Besserung und freuen uns, Sie bald wieder zu sehen.
Deisler: “Danke, bis dann.”
Nehmen wir einmal an, bei “Bild” würden 100 Redakteure arbeiten. Einer davon (nennen wir ihn Günni) nimmt Kokain, und fast jeder zweite Kollege weiß es. Eines Tages kommen ein paar Studenten von der Uni Münster vorbei und machen eine Umfrage über den Drogenmissbrauch unter Boulevard-Journalisten. Sie fragen jeden einzelnen Redakteur, ob er einen Kollegen in der Redaktion kennt, der kokst. Wahrgemäß antworten 46 von ihnen: Ja. (Und denken sich: der Günni.) Die Studenten fahren nach Hause. In ihrer Studie wird korrekterweise der Satz stehen: “46 Prozent aller ‘Bild’-Redakteure kennen jemanden, der Kokain nimmt.”
Wenn diese Studie dann aber wieder in die Hände der “Bild”-Redakteure kommt, staunen die und denken sich garantiert: “Wow. Fast jeder zweite von uns nimmt Kokain?”
Dies ist vermutlich für jeden Prominenten eine der schlimmsten Schlagzeilen, die neben seinem Foto in der Zeitung stehen können:
Sicherlich wird sich selbst ein Blatt wie “Bild” bei solchen Vorwürfen Mühe geben, besonders sorgfältig vorzugehen und nicht fahrlässig den Ruf eines Unschuldigen zu zerstören.
— Um es vorwegzunehmen: Das Gegenteil ist der Fall.
Kinderschänder nicht angezeigt
TV-Star Pocher jetzt zum Polizei-Verhör
Jetzt rückt der Comedy-Star ins Visier von Polizei und Staatsanwalt!
In der Show von Johannes B. Kerner im ZDF gab Oliver Pocher (26, “Rent a Pocher”) zu, daß er vom Mißbrauch an einem Mädchen weiß. Er hat den Täter aber nicht angezeigt! […]
“Da kann man nicht einfach hingehen und jemanden beschuldigen und das vor Gericht durchbringen.”
Was denkt sich der TV-Star bloß bei solchen Aussagen – in Zeiten, wo fast täglich Kinder in Deutschland geschändet werden?
Im Text zum Foto nennt “Bild” Pochers Worte eine “Skandalaussage”.
Soweit die “Bild”-Zeitung. Jetzt die Wahrheit:
Oliver Pocher war am 8. Oktober, also vor fast zwei Wochen, bei Johannes B. Kerner. Nach dem üblichen Smalltalk fragte der Moderator den Komiker, ob es ein Thema gebe, bei dem er ernst werde. Pocher sagte: Ja, Kindesmissbrauch. Er sei für das Thema “extrem sensibilisiert”, weil er damit vor Jahren konfrontiert gewesen sei. Es habe unter anderem einen Fall in der “näheren Bekanntschaft”, in der “weiteren Nachbarschaft” gegeben.
Man hat versucht, dann dem Mädchen zu helfen. Man hat das teilweise erst so spät mitbekommen. … Aber konnte auch nicht wirklich so direkt gegen vorgehen, weil das gar nicht mal so einfach ist, weil letztendlich muss ja auch die Person selber zum Beispiel denjenigen anzeigen wollen, das ist halt alles ‘n bisschen komplizierter. Man kann nicht einfach nur hingehen und sagen: Der macht das. … Es ist schwieriger, das vor Gericht auch durchzubringen.
Pocher sagte, er habe den Fall erst “später mitbekommen, viel später”. Erst mit 14 Jahren sei er auf das Thema Kindesmissbrauch aufmerksam geworden. Der mutmaßliche Täter laufe noch frei herum:
Dann kommt’s einem ehrlich gesagt hoch. … Das ist etwas, das einem sehr nahe geht, gerade wenn man damit sehr viel zu tun hat.
Unter anderem wegen dieser Erfahrung engagiere er sich für ein Projekt eines Freundes, der ein Kinderhaus in Nepal gegründet habe.
Der Fall liegt, nach Pochers Beschreibung, mindestens zehn Jahre zurück. Pocher war anscheinend in keiner Weise beteiligt oder Zeuge. Wer das Video der Sendung gesehen hat, dürfte zu dem Schluss kommen, dass Pocher bei Kerner nicht über das Thema sprach, um Kindesmissbrauch zu verharmlosen, sondern im Gegenteil: um für die Alltäglichkeit solcher Fälle zu sensibilisieren.
Im Übrigen sagt es viel über die “Bild”-Zeitung aus, wenn sie das (verkürzte) Zitat Pochers, “Da kann man nicht einfach hingehen und jemanden beschuldigen und das vor Gericht durchbringen”, für eine Skandalaussage hält. Man könnte es auch für das Wesen eines Rechtsstaates halten. Nicht natürlich ein Blatt, das fast täglich einfach hingeht und jemanden beschuldigt…
“Frankfurter Rundschau: Müssen noch mehr Redakteure gehen?”,
fragt “Bild” Frankfurt am Dienstag und fügt hinzu:
“Letzte Woche hatte die zu 90 Prozent der SPD-Presse-Holding gehörende Rundschau das Abschmelzen von derzeit rund 1000 auf 750 Mitarbeiter verkündet. Heftige Reaktionen blieben aus.“
Heftige Reaktionen blieben aus? Wieso denn das? Weil’s keinen mehr kümmert?
Oder vielleicht, weil SPD-Schatzmeisterin Inge Wettig-Danielmeier schon Anfang August, also vor zweieinhalb Monaten, in der “Berliner Zeitung” sagte:
“Die Zahl der Beschäftigten soll Ende des Jahres 750 Vollzeitbeschäftigten entsprechen.”
Schauspieler Karsten Speck sitzt in Untersuchungshaft und “Bild” ist “das Drama” täglich einen Bericht wert. Jetzt kommt die Schreckensmeldung:
“Seit fünf Tagen hat Mutter Ellen keinen Kontakt mehr zu ihrem Sohn. Jetzt sagte Ellen Speck gegenüber der Tageszeitung B.Z.: ‘Wir dürfen nicht mit ihm sprechen!'”
Und außerdem:
“Das ist eine schreckliche Geschichte. Nur sein Anwalt hat noch Kontakt zu ihm. Er hält uns auf dem Laufenden.”
“Seit fünf Tagen sitzt der TV-Star in Haft. Die Mutter zu BILD: ‘Als ich ihn im Gefängnis anrief, hat er geweint.’“
Vermutlich darf man sich jetzt raussuchen, ob man — wenn überhaupt — lieber der “Bild” oder doch der “B.Z.” glauben möchte. “Bild” jedenfalls glaubt offenbar lieber den Kollegen.