“Bild” organisiert Upstand

Sie werden es vielleicht nicht gemerkt haben, aber in der vergangenen Woche ist es laut “Bild” zu einem “Künstleraufstand” gekommen, “wie es ihn in der deutschen Musikbranche noch nie gegeben hat!” Nun ja: Ein Dutzend ehemaliger deutscher Teilnehmer am Eurovision Song Contest hatte auf Initiative der Zeitung einen Aufruf an die Sängerin Gracia unterschrieben. Sie solle wegen der Vorwürfe gegen ihren Produzenten, die Charts manipuliert zu haben, nicht am Wettbewerb teilnehmen.

Inzwischen versuchen “Bild”-Redakteure etwas zu organisieren, das sie vermutlich einen Künstleraufstand nennen würden, wie es ihn in der internationalen Musikbranche noch nie gegeben hat. Zu diesem Zweck hat sich “Bild” jetzt die Mühe gemacht, alle Grand-Prix-Teilnehmer dieses Jahres zu kontaktieren. Sie versendet E-Mails, in denen die Künstler aufgefordert werden, gegenüber “Bild” ihren “standpoint” in dieser Angelegenheit deutlich zu machen. Da an den meisten von ihnen der “huge scandal here in Germany” bislang vorbei gegangen sein dürfte, liefert “Bild” in dem Schreiben, das uns vorliegt, eine praktische Kurzzusammenfassung der “Affair” mit:

Gracia only got into the contest because of her good chart-position.

Now that this seems to be a result of manipulation, most Germans don’t want her to represent Germany in Kiev anymore.

Der erste Satz ist falsch, der zweite zumindest unbewiesen.

Sollte es also in den nächsten Wochen in der “Bild”-Zeitung zu einem noch nie dagewesenen, internationalen Künstleraufstand gegen Gracia kommen, wüßten wir, wie “Bild” die Aufständischen rekrutiert hat.

Quizfrage

“Bild” (also die Zeitung, die gut zwei Monate vor der Papstwerdung Kardinal Ratzingers behauptet hatte, “nach 944 Jahren gäbe es mit ihm erstmals wieder einen deutschen Papst”, obwohl das doch, wie wir jetzt längst wissen, gar nicht stimmt) hatte vor knapp drei Wochen eine Art Paparazzifoto der FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper in hochhackigen Schuhen abgedruckt (siehe Ausriss) und dazu (unter dem Stichwort “Bandscheiben-Schwindel”) berichtet, Pieper “habe einen Bandscheibenvorfall erlitten”. “Merkwürdig” hatte “Bild” das damals gefunden und gefragt:

“Ist dieser Bandscheibenvorfall nur ein Polit-Schwindel?”

Nun, knapp drei Wochen später, druckt “Bild” (unter dem Stichwort “Nach Bandscheiben-OP”) endlich die Auflösung. Zusammengefasst lautet sie überraschenderweise:

Nein.
 

Märchen vom schwulen Pilz


Tja, da wundert sich der Achtklässler. Schwule Killer-Pilze? Das klingt ja nun nicht gerade nach seriöser Wissenschaft. Ist es auch nicht, es ist kompletter Blödsinn. Es stimmt zwar, dass Cryptococcus neoformans (C.n.) ein nicht ganz ungefährlicher Krankheitserreger ist, davon, dass er schwul sei, kann allerdings keine Rede sein. Und das sagt einem ja eigentlich schon das Basis-Wissen Biologie – oder der gesunde Menschenverstand.

(Eine, etwas vereinfachte, wissenschaftliche Begründung wollen wir dennoch nicht unterschlagen: Zunächst mal haben Pilze streng genommen überhaupt keine Geschlechtschromosomen, sondern es gibt auf ihren Chromosomen Regionen, die das Geschlecht bestimmen. Die nennt man “mating type loci”. Auch deswegen unterscheidet sich die Sexualität der Pilze gravierend von menschlicher Sexualität, weshalb es Unsinn ist, hier mit dem Begriff schwul zu operieren. Außerdem verfügen Pilze über zwei verschiedene “mating types” (Paarungstypen). Da wäre “mating type a” und “mating type alpha”. Sexuelle Fortpflanzung zwischen Pilzen kann nur zwischen kompatiblen, also verschiedenen Paarungstyp-Zellen stattfinden. Darin unterscheidet sich C.n. nicht von anderen Pilzarten. Deshalb ist es, selbst wenn man unsinniger Weise das unter 1. gesagte außer Acht lässt, immer noch Quatsch Cryptococcus schwul zu nennen. Warum also kam man bei Bild.de auf die absurde Geschichte? Möglicherweise deshalb: Joseph Heitmann fand heraus, dass die Entwicklung der geschlechtsbestimmenden Regionen auf den Chromosomen von C.n. und deren Anordnung Ähnlichkeiten zum menschlichen Y-Chromosom aufweisen, welches ja bekanntlich mit männlichen Eigenschaften assoziiert wird. Aus wissenschaftlicher Sicht ist das u.a. deshalb so interessant, weil man an C.n. die genetische Entwicklung von Geschlechtschromosomen studieren und Einblicke in die Ursachen für Unfruchtbarkeit gewinnen könnte.)

Deshalb wissen wir auch nicht, ob Nonsens-Sätze wie die folgenden aus Desinteresse, Dummheit, boshaftem Zynismus entstanden sind – oder schlicht aus Homophobie:

Der hefeähnliche Pilz Cryptococcus neoformans (Foto) ist nicht nur schwul, er zeugt mit seinem gleichgeschlechtlichen Partner sogar jede Menge Nachwuchs!
(…)
Gefährlich! Der schwule Pilz ist ein tödlicher Krankeitserreger. Er befällt den Menschen, verursacht lebensgefährliche Infektionen im Gehirn.
Hervorhebungen von Bild.de

Nachtrag, 22.4.2005:
Leider haber wir übersehen, dass es offenbar tatsächlich neue Erkenntnisse gibt, weshalb dieser Eintrag, so wie wir ihn gemacht haben, nicht stimmt. Wir bitten um Entschuldigung.

Überraschend ist etwas anderes

“Die Geschichte geht so: Da gibt es einen Volker Schäfer aus Kassel. Der ist gelernter Kunstlehrer, freiberuflicher PR-Berater und steht den Grünen nahe. In jeder Beziehung! ‘Das ist mein Lebensgefährte, wir lieben uns’, stellte Grünen-Parteichefin Claudia Roth den Mann aus Kassel vor wenigen Monaten überglücklich vor, nahm ihn mit zu einer Gala beim französischen Botschafter.

So weit, so gut. Überraschend ist etwas anderes: Der ‘Kulturexperte’ Volker Schäfer verdient seit einiger Zeit kräftig Geld nebenbei dazu – als Kommunikationsberater für das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS).”

So ähnlich geht die “Geschichte” noch eine ganze Weile weiter. Und weil sie gestern unter der Überschrift “Amigo-Affäre um Grünen-Chefin Roth – Warum bekam ihr Freund so lukrative Staatsaufträge?” in der “Bild”-Zeitung stand, konnte der Eindruck entstehen, es gebe einen kausalen Zusammenhang zwischen der Beauftragung Schäfers als Kommunikationsberater des BfS und seiner Beziehung zu Roth.

Roth jedoch ließ nach dem “Bild”-Bericht mitteilen, der Eindruck, es gäbe einen kausalen Zusammenhang zwischen der Beauftragung Schäfers als Kommunikationsberater des BfS und seiner Beziehung zu Roth, “entbehrt jeglicher Grundlage”. So heißt es jedenfalls in einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa, die außerdem einen “Bild”-Sprecher zitiert, der sagt, die Fakten in “Bild” seien korrekt und würden nicht bestritten. “Wir haben uns nichts vorzuwerfen” lautet das Resümee bei “Bild”, das allerdings leider nicht so ganz nachvollziehbar ist.

Denn Roth hat nicht nur rechtliche Schritte gegen “Bild” angekündigt, ihr Anwalt weist zudem ausdrücklich darauf hin, Roth habe Schäfer “zu einem Zeitpunkt kennen gelernt, als dieser bereits seit über einem Jahr als Kommunikationsberater für das Bundesamt für Strahlenschutz tätig war”. Und das bedeutet doch, die Fakten in “Bild” (egal wie “korrekt” und “nicht bestritten” sie auch sein mögen) sind derart unvollständig, dass von einer “Amigo-Affäre” womöglich überhaupt gar keine Rede sein kann, oder?

Mit Dank an Max P., CS und Pascal-Nicolas B. für die Hinweise.

Nachtrag, 22.4.2005:
Wie die Nachrichtenagentur dpa berichtet (siehe Netzeitung.de), hat Roth nach Angaben einer Parteisprecherin vorm Landgericht Berlin wegen des “Bild”-Berichts eine Einstweilige Verfügung gegen die “Bild”-Zeitung erwirkt, wonach das Blatt eine Gegendarstellung abdrucken müsse. Weiter heißt es: Das BfS und das Bundesumweltministerium betonten, der Vertrag Schäfers sei einwandfrei, er arbeite projektbezogen seit März 2001 für das BfS. Der Axel Springer-Verlag will dennoch Rechtsmittel einlegen.

“Bild” holt Papst aus der Nazi-Ecke

Die “Bild”-Zeitung. Erst seit einem Tag Papst, und schon alle Hände voll zu tun. Zum Beispiel den Mit-Papst Benedikt XVI. vor fiesen Angriffen zu schützen. Und die sind nirgends schlimmer als im Inland. Außer im Ausland.

Engländer beleidigen deutschen Papst

empört sich “Bild” und regt sich vor allem über die “Sun” auf, die gestern mit der zweifellos grenzwertigen Schlagzeile “Von der Hitler-Jugend zum Papa Ratzi” aufmachte.

“Bild” schreibt:

60 Jahre nach Kriegsende zerrt das Blatt die Jugend des Papstes ins Rampenlicht, drängt ihn in die Nazi-Ecke: “Es gab Fan-Gesänge für den Ex-Feindsoldaten im Zweiten Weltkrieg, der jetzt Papst Benedikt XVI. ist.”

Um zu behaupten, dass die “Sun” den Papst in eine Nazi-Ecke drängt, muss man allerdings, wie “Bild”, den Schluss des “Sun”-Artikels ignorieren. Er lautet:

Er war 14, als er gezwungen wurde, der Hitler-Jugend beizutreten. Später war er deutscher Flak-Helfer — bevor er desertierte.

In ihrem Kommentar fügt die “Sun” in Bezug auf die Position Ratzingers zu moralischen Fragen hinzu:

Wir applaudieren einem Mann, der erkannt hat, dass Werte nicht verhandelbar sind.

Auch skandinavische Zeitungen “verzerren” nach Ansicht von “Bild” Ratzingers Vergangenheit:

Das „Aftonbladet“ (Schweden) schreibt: “Der neue Papst war in Hitlers Armee Kindersoldat. (…) Am Ende packte er es nicht mehr, und er desertierte.”

Fest steht: Der neue Papst war in Hitlers Armee Kindersoldat. Am Ende packte er es nicht mehr, und er desertierte. Offen ist: Welchen Teil dieser Aussage findet “Bild” ehrenrührig?

Seit 23.16 Uhr ist dieser Text online

“Bild” kennt sich aus mit dem Papst. Schließlich hatte sie ihm vor nicht allzu langer Zeit eine Bibel geschenkt. Und wenn etwas passiert, jetzt zum Beispiel, protokolliert “Bild” das Geschehen minutiös.

Vor ein paar Tagen etwa titelte “Bild” auf Seite 2:

“Um 19.12 Uhr verlor der Papst das Bewusstsein”

Das stimmte zwar nicht (weil die Bewusstlosigkeit bereits um 19.11 Uhr von verschiedenen Nachrichtenagenturen ohne genaue Zeitangabe, dafür aber unter Berufung auf den Fernsehsender Sky Italia, der sich seinerseits auf die Nachrichtenagentur Apcom berief, vermeldet worden war) — aber was soll’s: In derselben “Bild”-Ausgabe stand schließlich auch, wann genau die rechte Bronzetür des Petersdoms geschlossen wurde – nämlich wahlweise um “19.12 Uhr” (“Bild”, Seite 1) oder um “19.14 Uhr” (“Bild”, Seite 2).

Und gestern? Da hat sie’s wieder getan, die “Bild”: Wo andernorts bloß vage von “kurz nach 20 Uhr” oder “kurz nach acht Uhr abends” die Rede war, wusste sie’s wieder ganz genau und schrieb:

“Um 20.06 Uhr jubelte die Menge auf dem Petersplatz. Grauer Rauch quoll aus dem Schornstein auf der Sixtina, wurde heller — und färbte sich schwarz. Der erste Wahlgang im Konklave hat keinen Papst gebracht.”

Und wieder hatte es nicht gestimmt, hatten verschiedene Nachrichtenagenturen bereits um 20.05 Uhr vermeldet, was laut “Bild” doch erst um 20.06 Uhr stattfand.

Womöglich ließe sich daraus ableiten, dass “Bild” dann am genauesten berichterstattet, wenn sie sich Sachen ausdenkt. Aber, wie gesagt, was soll’s… Schließlich hat der Erdkreis ja doch noch einen neuen Papst bekommen – und die “Bild”-Redaktion offenbar eine neue Uhr.

Zumindest tickt die jetzt genauso wie der Vatikan.

Allgemein  

Im Nichtspielen stark

Aber wer glaubte, die “Bild”-Zeitung, die gestern zusammen mit Kardinal Ratzinger zum Papst gewählt wurde, sei nun unfehlbar, sieht sich enttäuscht.

Schulz: 4. Fahrenhorst: 2“Stark” findet sie in dem “Zeugnis”, das sie den Spielern des DFB-Pokal-Halbfinales ausstellt, die gestrige Leistung des Verteidigers von Werder Bremen, Frank Fahrenhorst, und gibt ihm eine “2”. Fahrenhorsts Kollege Christian Schulz erhält von “Bild” für seine “ausreichende” Leistung nur eine “4”.

Beide haben nicht gespielt.

Danke an die zahlreichen Hinweis- und Pointengeber!

Habent papam

Wir sind Papst!

Joseph Kardinal Ratzinger ist Papst Benedikt XVI., der erste Papst mit eigener Boulevardzeitung.

“Schummel-Gracia”

Es gibt keinen Betrugsvorwurf gegen Gracia. Liebe “Bild”-Mitarbeiter, wir haben Ihnen einen kleinen Notizzettel geschrieben. Nur damit Sie nicht irgendwann selbst glauben, was Sie seit Tagen suggerieren. Wenn Sie die Sängerin Gracia, gegen deren Produzenten es Manipulations-Vorwürfe gibt, “Schummel-Gracia” nennen. Oder wenn Sie ihren Namen ganz dicht unter den Begriff “Grand-Prix-Betrug” schreiben. Oder wenn Sie unter ein Foto von ihr den Satz schreiben: “Grand-Prix-Gewinnerin Gracia ist sich keiner Schuld bewußt.” Oder wenn Sie die Frage formulieren: “Glaubt Gracia, daß ihre Karriere nach den Betrugsvorwürfen überhaupt noch eine Chance hat?”

Das ist alles so geschickt zweideutig formuliert. Im Gegensatz zu dem ganz und gar eindeutigen Satz in der Pressemitteilung der deutschen Phonoverbände:

Der Manipulationsverdacht richtet sich ausdrücklich weder gegen die betroffenen Künstler noch gegen die Vertriebsfirmen.

Struve dementiert “Struve”

Seit Tagen kämpft “Bild” gegen eine Teilnahme der Sängerin Gracia am Eurovision Song Contest. Weil ihr Manager beschuldigt wird, er habe die Plazierung ihrer Single “Run And Hide” in den Charts künstlich verbessert, zitiert “Bild” immer neue Unbeteiligte mit der Forderung, Gracia dürfe nicht beim Finale in Kiew antreten. Es gab allerdings nach Angaben des NDR, der dafür verantwortlich ist, keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Chart-Plazierung und Gracias Teilnahme am Vorentscheid zum Song Contest.

Bislang hat die ARD immer betont, an Gracia festzuhalten, weil sie von der Mehrheit der Zuschauer rechtmäßig per Telefonabstimmung gewählt worden sei. Die “Bild”-Zeitung tut heute so, als habe sich an dieser Position der ARD etwas geändert:

Immerhin will sich Programmdirektor Günter Struve (65) jetzt persönlich um den Fall kümmern. Struve zu BILD: „Wir werden auf unserer nächsten Sitzung darüber diskutieren. Wenn sich herausstellt, daß massiv betrogen wurde, ist Deutschland in Kiew nicht dabei.

Dieses Zitat von Struve geistert heute durch viele Medien. Fragt man jedoch bei der ARD nach, heißt es, Struve habe sich nie so geäußert.

Heute nachmittag trat Struve im ARD-Boulevardmagazin “Brisant” auf. Dort sagte er über Gracias Teilnahme in Kiew exakt das Gegenteil von dem, was er angeblich “Bild” gegenüber gesagt haben soll:

“Es gibt gar keinen ernsten Grund, weshalb sie es nicht tun sollte, denn sie ist auf rechtmäßige Weise zustande gekommen. (…) Sie wird nicht nur in Kiew starten, sondern sie muss es, denn sie hat einen Vertrag mit uns.

Blättern:  1 ... 1097 1098 1099 ... 1146