Der Wunsch nach Rache ist verbreitet

Schau|pro|zess, der (abwertend): auf propagandistische Massenwirkung angelegtes öffentliches Gerichtsverfahren.
Duden, 5. Auflage

“Bild” macht heute Jörg Armbruster zum Verlierer des Tages. Der ehemalige Nahost-Korrespondent der ARD hat vorgestern im “Tagesthemen”-Kommentar die Befürchtung geäußert, dass der Prozess gegen Saddam Hussein zum “Schauprozess” werden könnte. Außerdem ist Armbruster der Meinung, dass “der Sinn für Gerechtigkeit” im Irak noch unterentwickelt sei, der “Wunsch nach Rache” hingegen sei verbreitet. Deswegen fragt “Bild”:

Entdeckt da jemand sein Herz für Saddam?

Am Ende steht:

BILD meint: Erst denken, dann reden!

Und wir möchten die Aufforderung gerne zurückgeben. Schließlich bezeichnet Armbruster Saddam in seinem Kommentar mehrfach als “Massenmörder”, wirft ihm mehrfach Folter und Vertreibung vor und sagt:

Zehntausende Iraker ließ der Diktator hinrichten, sie hatten keine Chance sich zu verteidigen, sie kamen erst gar nicht auf die Anklage- sondern gleich auf die Folterbank.

Armbrusters abschließende Sätze zeigen eigentlich recht deutlich, worum es ihm geht:

Sie [die Richter] müssen dem Massenmörder Saddam einen juristisch einwandfreien Prozess bieten. Nur so können sie die Iraker überzeugen, dass es so etwas gibt wie eine demokratische Justiz im neuen Irak, erst so bekommt der Prozess einen tieferen Sinn. Denn kein Strafmaß kann die Verbrechen Saddams je wieder gut machen.

Wie kommt man bei “Bild” also dazu, Armbruster vorzuwerfen, er habe “sein Herz für Saddam” entdeckt? — Armbruster sagt:

Den Satz, auch ein Schwerverbrecher hat einen Anspruch auf einen fairen Prozess, diesen wichtigen Satz verstehen viele Iraker nicht.

Offenbar nicht nur die.

Stille Post Ultra

Eigentlich hatten wir ja gedacht, dass die “Bild am Sonntag” in ihrer “Korrekturen”-Rubrik am vergangenen Sonntag klarstellen würde, dass es sich bei Rumänien nicht um Moldawien handelt. Andererseits gehen diese Fünfeinhalb auf einen Streich dann zweifellos vor:

Schwer verletzt, mit Schramme

Schon Günter Wallraff wunderte sich in seiner Zeit bei der “Bild”-Zeitung über deren Praxis, dass derjenige, der die Überschrift zu einem Artikel macht, nicht zwangsläufig dessen Inhalt kennt. Dreißig Jahre später scheint sich nicht viel verändert zu haben.

(Hervorhebungen von uns)

 

Kurz korrigiert (22)

Anders als “Bild” heute auf der Titelseite schreibt, wurde die Tochter des Bundespräsidenten keineswegs “beraubt”. Möglicherweise wurde sie betrogen (und zwar vor über fünf Jahren). Jedenfalls schreibt “Bild” im Text dazu etwas von einem “Betrugsprozess”. Und so, wie “Bild” den Sachverhalt schildert, wurde Köhlers Tochter weder Gewalt angetan, noch wurde sie mit “gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben” bedroht. Das ist beim Raub, anders als beim Betrug oder beispielsweise beim Diebstahl, aber Tatbestandsvoraussetzung. Nicht zuletzt deswegen wird Raub ja auch am härtesten bestraft.

Mit Dank für den sachdienlichen Hinweis an Alex B.

Angst und Verunsicherung

“Mit der Angst wächst die Verunsicherung”, schreibt “Bild” heute über die Vogelgrippe. Mit dem “Bild”-Zeitung-Lesen wächst sie auch.

“Alle Vögel weggesperrt”, steht dort auf Seite 1, und den damit erweckten zeitlichen Eindruck bestätigt der Text im Inneren:

Ab sofort muß alles Geflügel in Ställe gesperrt werden.

Das stimmt nicht. Die entsprechende Eilverordnung tritt — wie manche Agenturen schon in der Überschrift melden und sich auf der Homepage des Verbraucherschutzministeriums nachlesen lässt — erst am Samstag in Kraft.

Weiter schreibt “Bild”:

(…) neue Vogelgrippe-Fälle in Rußland. Dort erreichte die ansteckende Seuche jetzt die europäische Region Tula. (…) Die Region wurde unter Quarantäne gestellt.

Tatsächlich wurde nur ein einziges Dorf, Jandowka, unter Quarantäne gestellt.

Danke an Andreas für den Hinweis!

Kurz korrigiert (20)

Anders als Bild.de aktuell und seit über fünf Stunden berichtet, heißt der Musiker Captain Jack, der eine Hirnblutung erlitten haben soll, mit bürgerlichem Namen nicht Francesco Guterrez, sondern Francisco Alejandro Gutierrez. Er ist außerdem nicht 42 Jahre alt, wie Bild.de berichtet, sondern 43. Beide Informationen findet man u.a. auf seiner Homepage www.captain-jack.de.

(Namen scheinen bei “Bild” ausschließlich per Stille-Post-Spiel übermittelt zu werden.)

Danke an Matthias K. für den sachdienlichen Hinweis.

Nachtrag, 20.15 Uhr: Anscheinend hat Bild.de doch nicht “Stille Post”, sondern “Copy & Paste” gespielt. Die Nachrichtenagentur AP verbreitet den falschen Namen (allerdings das richtige Alter).

Nachtrag, 22.30 Uhr: Inzwischen hat Bild.de den Namen korrigiert. Nun ist noch das Alter falsch.

Irgendwem ist irgendwas mit Schlangen passiert

Bei “Bild” haben sie wieder “Stille Post” gespielt.

Gerade einmal 14 Zeilen ist der Artikel lang. Er trägt die Überschrift “Mutiger Ami würgt Würgeschlange!”, steht heute auf der letzten Seite und geht in voller Länge so:

Er wollte die Zierfische vor einem vier Meter langen Python retten… Tim Monahan aus Florida (USA) sah im Gartenteich seines Nachbarn eine Schlange. Er stürzte sich ins Wasser, wollte sie herauszerren. Der Python biß ihm in die Hand — und fraß ein paar Fische. Monahan suchte das Weite.

Nach Berichten verschiedener Lokalmedien (es war sogar eine Kamera dabei) ist festzuhalten:

Der Mann heißt nicht Tim Monahan, sondern Tim Callahan.

Der Python ist nicht vier Meter lang, sondern drei Meter (10 Fuß).

Der Python biss nicht erst ihn und dann ein paar Fische. Trotz ihrer Gegenwehr landete die Schlange in einem Kopfkissenbezug und später in einem Käfig.

Entsprechend musste auch “Monahan”/Callahan nicht das Weite suchen, im Gegenteil.

(Die eigentlich interessante Geschichte, dass ausgesetzte Riesenschlangen den Behörden in Florida zunehmend Sorgen machen, oder der nicht ganz unwichtige Hinweis, dass Pythons ungiftig sind und normalerweise auch keine Fische fressen, stehen natürlich ohnehin nicht in “Bild”.)

Sexuelle Belästigung? Nichts leichter als das!

“Bild” berichtet heute ein wenig aus dem Arbeitsrecht. Einem Düsseldorfer Koch wurde beispielsweise gekündigt, weil er eine Kollegin anrief und ihr folgendes sagte:

“Du kleine süße Sau, jetzt nimm mal deine Hände von deinen Titten, fahre damit tiefer …”

Und ein Verkäufer aus Hamm wurde entlassen, weil er einer Kollegin einen Brief folgenden Inhalts schrieb:

“Bei Bedarf werd’ ich Dir Deine hübschen Pobacken versohlen, du Miststück!”

Und ein Hausmeister aus Halle an der Saale wurde gefeuert, weil er “eine Flasche Wasser seines Chefs trank.”

Wie? Sie finden, man kann sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz nicht mit dem Diebstahl einer Flasche Wasser im Wert von 30 Cent vergleichen? “Bild” findet, man kann. Ihr dient der Fall vom Hausmeister, über den sie bereits gestern berichtete (“Irrer Fall vorm Arbeitsgericht – Gefeuert! Nur weil er aus der Wasser-Kiste vom Chef trank”), als Aufhänger für die heutige Arbeitsrechtsgeschichte. Die trägt folgende Überschrift:

Mit Dank für den sachdienlichen Hinweis an Anke S.

Nachtrag, 21:15 Uhr
Um noch deutlicher zu machen, wie “leicht” es für den Verkäufer aus Hamm tatsächlich war, seinen Job zu verlieren, sei hier ein etwas längerer Auszug aus dem letzten seiner Briefe an die Kollegin zitiert:

“Bei Bedarf werde ich Dir Deine hübschen Pobacken versohlen; wenn mir danach ist, nehm ich dazu einen Rohrstock (Miststück)! Wenn Du Sonntag nicht um 16.00 Uhr bei … (für uns unleserlich) am S………………… steht, garantiere ich Dir, daß ich Dich verdammtes süßes Miststück irgendwo erwische und dann nagele ich Dir einen Fuß fest und Du läufst nur noch im Kreis. Tschüß”

Der ganze Sachverhalt lässt sich übrigens hier nachlesen. Und das hat schon eine etwas andere Qualität, als Wasser vom Chef zu trinken.

Mit Dank für den sachdienlichen Hinweis an Johannes B.

Parasiten

Dirk Hoeren ist ein Mann, der sich auch schon mal eines beunruhigenden Demokratieverständnisses verdächtig macht, populistische Kommentare schreibt, sich bestens mit “Intim-Verhören” auskennt und sich in der Vergangenheit schon mal als “Hartz IV-Inspektor” verdingte.

Kurzum: Dirk Hoeren arbeitet für “Bild”.

Und was muss das für ein Tag gewesen sein für die “Bild”-Zeitung und ihren Dirk Hoeren, als ihnen ein “Report vom Arbeitsmarkt im Sommer 2005” unterkam, der (herausgegeben von Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit mit einem Vorwort von Wolfgang Clement) gleich mit einem “Thekenwitz” beginnt, in dem von Männerunterhosen, Kühlschrankinhalten, nackten Oberkörpern in Ehebetten, jammernden Libanesen und wiederholt von “Abzocke” die Rede ist und in dem Sätze stehen wie:

“Dieter Schuster aus Mannheim wusste jedenfalls sofort, welche Richtung er einzuschlagen hatte, als er frühmorgens im Flur leise Stimmen und den Begriff ‘Prüfdienst’ hörte. Fluchtartig flitzte Schuster in Unterhose aus dem Schlafzimmer Richtung Terrassentür. Draußen empfingen ihn feiner Nieselregen und bibbernde Kälte – leider kam der Prüfdienst Anfang März.”

Oder dies:

“Biologen verwenden für ‘Organismen, die zeitweise oder dauerhaft zur Befriedigung ihrer Nahrungsbedingungen auf Kosten anderer Lebewesen – ihren Wirten – leben’, übereinstimmend die Bezeichnung ‘Parasiten’. Natürlich ist es völlig unstatthaft, Begriffe aus dem Tierreich auf Menschen zu übertragen. Schließlich ist Sozialbetrug nicht durch die Natur bestimmt, sondern vom Willen des Einzelnen gesteuert. Wer den Grundstock seines Haushaltseinkommens bei der Arbeitsagentur oder der für das Arbeitslosengeld II zuständigen Behörde kassiert und im Hauptberuf oder nebenher schwarzarbeitet, handelt deshalb besonders verwerflich.”

Kurzum: Laut Netzeitung.de wurde aufgrund der 33-seitigen Broschüre gegen Wolfgang Clement bei der Staatsanwaltschaft Ellwangen Strafanzeige wegen Volksverhetzung gestellt. Der paritätische Wohlfahrtsverband nannte die Wortwahl “menschenverachtend”.

Und Dirk Hoeren? Als ihm das obige Papier unterkam, machte er sich an die Arbeit, nannte den Report “Clement-Papier” und das Papier distanzlos einen “aufrüttelnden Report”. Und dann suchte Hoeren darin kurzerhand “die schlimmsten Fälle” und musste, um sie “Bild”-gerecht aufzuschreiben, im Grunde nur hie und da ein wenig kürzen, woraufhin es am vergangenen Montag auf Seite 1 der “Bild”-Zeitung hieß:

Die üblen Tricks der Hartz IV-Scharotzer!

Thea Dückert, Arbeitsmarktexpertin der Grünen, nannte den Report laut FTD anschließend “eine Steilvorlage für eine billige Hetze gegen Leistungsbeziehende in der Boulevardpresse”.

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