“Bild” beschließt Renten-Reform

Der Paragraph 30 des Abgeordnetengesetzes des Deutschen Bundestages muss dringend geändert werden. Darin steht, dass der Bundestag innerhalb eines halben Jahres nach seiner konstituierenden Sitzung darüber entscheidet, wie die Diäten der Abgeordneten verändert werden. Der Präsident leitet den Fraktionen einen entsprechenden Gesetzesvorschlag zu.

Das kann natürlich so nicht bleiben. Richtig müsste es heißen: Die “Bild”-Zeitung beschließt, wie die Diäten der Abgeordneten verändert werden. Über eventuelle eigene Pläne infomiert der Bundestagspräsident die “Bild”-Redaktion. Er ist ihr in jedem Fall Rechenschaft schuldig, noch bevor er sich mit den Vertretern der Fraktionen abgestimmt hat.

Zur Zeit sträubt sich Bundestagspräsident Norbert Lammert allerdings noch gegen diesen klitzekleinen Eingriff in das demokratische Verfahren.

Was bisher geschah:

Am Samstag berichtet der einschlägig bekannte “Bild”-Redakteur Dirk Hoeren über eine angebliche “Geheimstudie” des Bundestagspräsidenten. Darin werde erstmals “ein möglicher Systemwechsel wie in Nordrhein-Westfalen angedeutet”. Dort wurden gerade die Diäten erheblich erhöht, dafür fallen viele Privilegien insbesondere bei der Altersversorgung weg.

Lammert widerspricht noch am selben Tag ausdrücklich: Der von “Bild” erweckte Eindruck, eine Entscheidung sei bereits gefallen, sei falsch. Insbesondere gebe es keine Tendenz zum nordrhein-westfälischen Modell. Dies sei “von den Präsidenten aller übrigen Landtage (…) ausdrücklich nicht als Grundlage einer möglichen Neuregelung empfohlen” worden. Bei der “Geheimstudie” handele es sich im übrigen nur um ein Beratungspapier, das Diätenregelungen in verschiedenen Bundesländern vorstelle.

Am Montag berichtet der bei “Bild” für Renten-Lügen zuständige Dirk Hoeren erneut, auch über Lammerts Erklärung. Davon, dass der Bundestagspräsident “Bild” widersprochen hat, erfahren die “Bild”-Leser allerdings nichts. Im Gegenteil: Das klare Dementi des Bundestagspräsidenten verdreht Hoeren in sein Gegenteil: Lammert habe “bestätigt”, “daß es das von BILD enthüllte Papier als ‘Beratungsunterlage’ gebe”. Auch die Überschrift des “Bild”-Artikels suggeriert erneut, dass bereits eine Entscheidung gefallen sei. Sie lautet: “Diese Luxus-Pensionen sollen jetzt abgeschafft werden”.

Am Dienstag verheddert sich die “Bild”-Zeitung zunehmend in den eigenen Behauptungen. Noch am Vortag hat sie den Eindruck erweckt, der CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder sei für eine Pensions-Reform im Sinne von “Bild” (gab “grünes Licht für eine Reform der Ruhegelder”). Nun schreibt das Blatt, Kauder habe signalisiert, seine Fraktion werde “bei größeren Kürzungen für die Altersversorgung der Parlamentarier nicht mitmachen!”

“Bild”-Redakteur Rolf Kleine kommentiert:

Und an die Adresse derjenigen Parlamentarier, die glauben, sich bei dieser Reform davonstehlen zu können, sei gesagt: VERGESST ES!

Gleichzeitig verschärft “Bild” den Druck auf Norbert Lammert:

BILD wollte es gestern genau wissen und fragte bei Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) nach: Wie soll die Reform der Diäten aussehen?

Und: Wann schaffen Sie endlich die Luxuspensionen der Abgeordneten ab? Sollen die Abgeordneten ihre Privilegien behalten, wenn überall in Deutschland gekürzt und gespart wird?

Lammert will die “Bild”-Fragen nicht beantworten, was sich vielleicht nachvollziehen lässt, wenn er erst am nächsten Montag über das Thema mit den Fraktionschefs berät und erst im April einen Vorschlag vorlegen will. “Bild” aber nennt dieses demokratische Verfahren “Geheimniskrämerei” und fragt in einer großen Überschrift:

Warum beantworten Sie die Fragen von BILD nicht, Herr Bundestagspräsident?

Lammert beantwortet diese Frage am Dienstag erneut in einer Pressemitteilung. Er erklärt darin, dass es “bei dem durch das Gesetz vorgegebenen Zeitplan und dem mit allen Fraktionen des Bundestages vereinbarten Verfahren bleiben” werde, dass die “Beratungsunterlagen” (die “Bild” bekanntlich “Geheimstudie” nennt) “weder Empfehlungen noch konkrete Vorschläge” enthalten und Entscheidungen bisher nicht getroffen seien. Am Ende wiederholt er:

Das sogenannte “Düsseldorfer Modell” wird von den Präsidenten aller übrigen Landtage nicht als Grundlage einer möglichen Neuregelung empfohlen.

Das hatte er fast wörtlich bereits am Samstag gesagt, als er den “Bild”-Artikel vom selben Tag dementierte. Nun, am Mittwoch, tut “Bild” aber so, als handele es sich um eine Neuigkeit:

Am Ende seiner Erklärung läßt der Bundestagspräsident dann die Katze aus dem Sack. (…) Im Klartext: Es sieht so aus, als bräuchten die Abgeordneten auch künftig keinen Beitrag zu ihrer Altersversorgung zu zahlen ….

Was “Bild” als neuen Skandal darstellt, ist der unveränderte Stand von letzter Woche.

Aber “Bild” “gibt nicht auf”, fleht diesmal:

Herr Bundestagspräsident, bitte beantworten Sie diese Fragen, Herr Bundestagspräsident!

und kündigt an, Lammert auch heute “Fragen” zukommen zu lassen. Dabei hatte der Bundestagspräsident zu der “Bild”-Kampagne schon gestern gesagt, was dazu zu sagen war — und “Bild” hatte seine Worte sogar zitiert:

Der Ehrgeiz der “Bild”-Zeitung, anstelle des Parlaments Bezüge und Versorgung der Abgeordneten festzulegen, ist buchstäblich kaum übersehbar.

Danke auch an Harald L.!

Allgemein  

Heute anonym IV

Wie schon so oft, war es Bild.de auch heute wieder nicht gelungen, die Unkenntlichmachung von Personen zum Schutz ihrer Persönlichkeit konsequent durchzuhalten. Seit gestern abend zeigte Bild.de auf ihrer “News”-Seite einen Teaser (“Inzest-Mutter (21) – 5. Baby! Zum 1. Mal war es nicht der Bruder, sondern ER”), auf dem u.a. die “Inzest-Mutter” und ihr viertes Baby zu sehen sind. Doch während das Gesicht des Kindes im eigentlichen Artikel von Bild.de durch Verpixelung unkenntlich gemacht worden war, fehlte die Unkenntlichmachung im Teaser.

Nachdem wir Bild.de auf die abermalige Inkonsequenz beim Schutz der Persönlichkeit aufmerksam gemacht und um Stellungnahme gebeten hatten, erhielten wir abermals keine Antwort. Abermals aber wurde die unterlassene Unkenntlichmachung anschließend nachgeholt.

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber — auch für die Screenshots.

Allgemein  

Polizei dementiert “Bild”-Meldung

Am 10. März gab die Kölner Polizei eine Pressemeldung heraus. Ein Unbekannter habe am Vortag bei einem Kioskangestellten zwei Stangen Zigaretten mit einem “600-Euro-Schein” bezahlt, bei dem es sich um den Werbegag einer nicht jugendfreien Internetseite handelte.

Anschließend berichteten verschiedene Medien, u.a. auch die britische Internetseite Ananova.com. Dort, aber auch in anderen, z.T. internationalen Medien heißt es, der Geschädigte sei ein 33-jähriger Mann namens “Bernd Friedhelm”.

Das ist offenbar falsch. Wie uns ein Sprecher der Kölner Polizei sagt, wird der Kiosk von einer iranischen Familie betrieben. In der Polizeiakte sei zudem von einem 25-jährigen Geschädigten und einem 63 Jahre alten Mann (vermutlich der Kioskbesitzer) die Rede.

Und insofern (nur insofern) ist das, was Bild.de vier Tage später unter Berufung auf Ananova.com zu berichten wusste, zunächst “richtiger”: Dort steht nämlich was von einem “Kioskbesitzer (62)”. Und am 16. März wurde “Bild” sogar noch genauer: “Deutschlands dümmster Kioskbesitzer” hieß nun “Sorush E. (62, Iraner)” und war sogar auf einem Foto abgebildet. Dass er gar nicht derjenige war, der das Falschgeld angenommen hatte, ließ “Bild” zwar unerwähnt. Dafür hatte das Blatt andere Neuigkeiten. So wusste “Bild” nun, dass der unbekannte Täter ein “17jähriger” gewesen sei — und behauptete:

“Erst am nächsten Morgen fiel der Schwindel auf. Allerdings immer noch nicht Sorush E.. Der ging auf den Großmarkt Einkäufe machen. Bezahlen wollte er die dann natürlich auch — und zwar mit der Blüte! ‘Mein Kollege hat sich Lachen gekringelt’, erzählt der Kioskbesitzer, der dann auch skeptisch wurde und die Polizei rief.

Die machte den Kunden schnell ausfindig. Reumütig gab er die Zigaretten und das Wechselgeld zurück. (…)”

Nach Angaben der Polizei ist das falsch. Wie uns ein Polizeisprecher sagt, sei der jugendliche Täter (“Baujahr 1990”) im Kiosk von sich aus “mit seiner Mama vorstellig geworden”. Davon, dass ihn die Polizei, wie “Bild” behauptet, “schnell ausfindig” gemacht habe, ist der Polizei nichts bekannt.

Auch das hat sich “Bild” offenbar einfach ausgedacht.

Mit Dank an Jörg B. für die Anregung.

Joachim Huber hat Recht

Der “Tagesspiegel”-Redakteur Joachim Huber hat sich offenbar nicht zufriedengeben wollen mit der eigenwilligen Art und Weise, mit der die “Bild”-Zeitung vor knapp zwei Monaten eine ihn betreffende Falschmeldung, ähm, korrigiert hatte, und vor Gericht eine Gegendarstellung durchsetzen können, die “Bild” am gestrigen Montag auf ihrer Seite 2 abdrucken musste (siehe Ausriss).

Wie bereits berichtet, war die damalige “Bild”-Behauptung, “‘Tagesspiegel’-Redakteur bleibt in Grimme-Preis-Jury!” schon bei ihrem Erscheinen [am Montag, dem 30. Januar] eine Ente, die “Bild” einfach ungeprüft aus dem “Focus” übernommen hatte.

In der Gegendarstellung Hubers heißt es deshalb:

“Ich habe gegenüber dem Grimme-Institut bereits am Freitag [dem 27. Januar] erklärt, dass ich für die Jury nicht mehr zur Verfügung stehe.”

Allgemein  

“Bild” macht Kaninchen schwanger

RudiDieser sympathische Riesen-Flauschzottel hier rechts ist Rudi. Rudi ist ein Kaninchen von beachtlicher Größe, amtierender Landesmeister in der Farbkategorie wildgrau, begehrter Fernsehstar und internationale Berühmtheit und Star einer beliebten Rammelnovela in den Berliner Boulevardzeitungen. In der weiblichen Hauptrolle: Frenzy, die noch mehr wiegt als Rudi, aber unter Kinderlosigkeit leidet, was sie immer wieder an den Rand des Kochtopfes bringt.

Seitdem Rudi und Frenzy eine gemeinsame Nacht gemeinsame fünf Minuten miteinander verbrachten, warten die Zuschauer auf ein Happy End. Wird Rudi Frenzy davor bewahren, ein Braten zu werden? Wird Frenzy Rudi kleine Riesenrammler schenken? Ja! Jaaa! JAAA!

Am 28. Februar berichtete die Berliner Boulevardzeitung “B.Z.”: “Berlins dickste Häsin (10,4 Kilo), ist keine Jungfrau mehr!” Am 2. März verkündete sie noch einmal: “Und jetzt steht fest: Frenzy ist endlich schwanger!” Geschafft! Rudi Rammler, du bist ein Riese!Und am 17. März meldete “Bild” Vollzug (siehe Ausriss): “Jetzt hat das tierischste Liebespaar Berlins Nachwuchs bekommen.” Zehn kleine, große Kaninchenbabys, die die “Bild”-Zeitung namentlich aufzählte. Und zu einsetzenden Geigen schrieb sie quasi den Abspann:

Rudi Rammler machte nicht nur seinem Namen alle Ehre. Er rettete auch das Leben von Fränzy. Wäre die nämlich nicht bis April Mama geworden, hätte sie Ostern in die Bratröhre geguckt…

Happy End.

Von wegen! Frenzy ist nach wie vor unschwanger und kinderlos. Rudi hat tatsächlich Nachwuchs gezeugt, aber die Mutter ist nicht Frenzy, sondern Ramona. Die war bislang noch gar nicht in dieser Kaninchensoap aufgetaucht, soll nach Informationen des “Berliner Kurier” aber Rudis angestammte Kaninchendame sein. Frenzy sei “wohl irgend so ein medien-geiles Flittchen, das nur unbedingt mal in die Zeitung wollte”, empörte sich der “Kurier” und titelte am Samstag unter Bezugnahme auf “Bild”:

Rudi: Die Rammel-Lüge von Spandau

Aber natürlich haben wir uns in so einer brisanten Frage nicht auf die Lokalkonkurrenz von “Bild” verlassen, sondern selber recherchiert. Doch eine Nachfrage bei Klaus-Dieter Peter, Frenzys Züchter, bestätigt: keine Mini-Riesen, null. Die “B.Z.” hatte die Schwangerschaft der Kaninchendame, “Bild” ihre Niederkunft schlicht erfunden.

Wie geht es weiter? Wird Ramona Rudi den Seitensprung verzeihen? Wird Rudi die Rammel-Lügner bei der Hamburger Staatsanwaltschaft verklagen? Und schaut Frenzy nun endgültig in die Bratröhre?

Wenigstens die letzte Frage können wir beantworten: Nein, sagt uns Frenzys Züchter Klaus-Dieter Peter, sie wird überleben. Einen Medienstar isst man nicht, den mästet man.

Fortsetzung folgt.

Danke an Heiko für den sachdienlichen Hinweis!

Kurz korrigiert (74 75 — 78)

Fast hätten wir Bild.de loben müssen: Schließlich war es Bild.de heute gelungen, eine falsche Altersangabe zu korrigieren, ohne dass wir zuvor darauf hingewiesen hätten. (Obwohl es in einem Artikel über das Älterwerden der Original-“Dallas”-Darsteller zu Patrick Duffy alias Bobby Ewing ausdrücklich heißt, dass er jüngst “unglaubliche 57!” geworden sei, stand in der dazugehörigen Fotogalerie zunächst: “Er ist 60 Jahre alt” — was Bild.de inzwischen in “57” korrigiert hat.)

Andererseits können wir bei der Gelegenheit dann doch nicht unerwähnt lassen, dass Larry Hagman nicht “71”, sondern 74 Jahre alt ist, Linda Gray nicht “63”, sondern 65 Jahre, Susan Howard nicht “62”, sondern 63 Jahre — und ob Mary Crosby, die Frau, die in ihrer “Dallas”-Rolle als Kristin Shepard auf J.R. Ewing schoss, mit “62” auch “noch immer eine schöne Frau” ist, zeigt sich erst im Jahr 2021

Mit Dank an die vielen Hinweisgeber.

Nachtrag, 23.10 Uhr. Hoppla, auch wir hatten uns zunächst an dieser Stelle bei Mary Crosby und Linda Gray verrechnet.

Nachtrag, 21.3.2006: Bild.de hat die Altersangaben zu Larry Hagman und Mary Crosby korrigiert.

Es ist nicht immer der Gärtner

Machen wir’s kurz: “Bild” macht heute den SPD-Generalsekretär Hubertus Heil zum “Verlierer” des Tages (s. Ausriss) — und das vermutlich zu Recht. “Bild” schreibt:

“Er konnte sich im SPD-Präsidium mit seinem Wunschkandidaten (…) für einen wichtigen Abteilungsleiterposten im Willy-Brandt-Haus nicht durchsetzen”.

Und man kann darüber streiten, wie sachlich richtig es von “Bild” ist, desweiteren zu behaupten, das Präsidium habe “den Heil-Vorschlag schlicht für ‘ungeeignet'” erklärt. Nach unseren Informationen dürfte der Vorschlag Heils nicht zuletzt daran gescheitert sein, dass sein Wunschkandidat keine Frau war. Aber geschenkt.

Dummerweise nämlich nennt “Bild” auch den Namen des angeblichen “Wunschkandidaten”: “Lutz Gärtner”.

So heißt er nicht. Und auch Carsten Stender, Büroleiter des Generalsekretärs, bestätigt uns auf Anfrage:

“Ich kenne keinen Lutz Gärtner.”

Ebensowenig übrigens wie der Generalsekretär selbst, der im Anschluss an die “Bild”-Meldung immerhin “nach ‘Lutz Gärtner’ gegoogelt und einen Sanitärhändler in Frankfurt gefunden” habe, bei dem es sich allerdings nicht um seinen “Wunschkandidaten” handele.

Tatsächlich war Heils Wunschkandidat jemand ganz anderes. Und wir wissen auch wer. Doch anders als für “Bild” spielt das für uns keine Rolle.

Mit Dank — auch an den Hinweisgeber.

Allgemein  

Freunde fürs Leben

Bild.de berichtet heute ausführlich über eine Studie, wonach verheiratete Männer länger leben als unverheiratete, Frauen durch die Ehe dagegen anscheinend ihre Lebenserwartung reduzieren. Und ergänzt:

Trotzdem überleben Ehefrauen ihre Partner meist um gute viereinhalb Jahre, da die durchschnittliche weibliche Lebenserwartung (91 Jahre in Deutschland) höher ist als die männliche (86 Jahre).

Komisch, nach der jüngsten Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes liegt die durchschnittliche Lebenserwartung rund zehn Jahre unter den “Bild”-Zahlen: Ein neugeborener Junge kann danach nur damit rechnen, 76 zu werden, ein Mädchen 82.

Wie kommt Bild.de auf die höheren Zahlen?

Vermutlich über die Freunde aus der Versicherungsbranche. Die “Allianz” hat nämlich vor einigen Monaten erklärt, die Deutschen schlössen zu niedrige private Rentenversicherungen ab, weil sie ihre Lebenserwartung dramatisch unterschätzten. Die “Allianz” beruft sich dabei auf die Daten der “Deutschen Aktuarvereinigung”, die von 86 Jahren bei Männern und 91 Jahren bei Frauen ausgeht.

Nur beziehen sich diese Zahlen nicht auf die Gesamtbevölkerung, sondern allein auf die Versicherten. Und da zum Beispiel Menschen, die aufgrund einer chronischen Krankheit von einer kurzen Lebensdauer ausgehen, natürlich weniger solcher Langzeit-Policen abschließen, ist die realistische Alterserwartung deutlich niedriger, als von der “Allianz” und von Bild.de angegeben.*

Nachtrag, 17.30 Uhr. Die Bild.de-Rechnung, dass Frauen ihren Ehemann im Durchschnitt um gute viereinhalb Jahre überleben, ist natürlich kompletter Unfug: Das hängt ja auch davon ab, wie groß der durchschnittliche Altersunterschied von Eheleuten ist. Und darüber geben die Statistiken über die Lebenserwartung keine Auskunft.

*) Der Vollständigkeit halber: Die realistische Alterserwartung ist allerdings höher als die offiziellen Zahlen vom Statistischen Bundesamt, was daran liegt, dass das den zu erwartenden medizinischen Fortschritt in den nächsten Jahren und Jahrzehnten nicht berücksichtigt.

Danke an Michael H., Uwe R. und Frohmut W.

Sensation: “Bild” veröffentlicht Kekilli-Rüge!

Die Freiwillige Selbstkontrolle der Presse funktioniert. Im Februar des Jahres 2004 berichtete “Bild” unter Überschriften wie “Deutsche Filmdiva in Wahrheit Porno-Star” mehrfach verächtlich über die Schauspielerin Sibel Kekilli*. Nur zehn Monate später kassierte das Blatt dafür eine heftige Rüge vom Deutschen Presserat. Und nur fünfzehn weitere Monate später, insgesamt also über zwei Jahre nach ihren ursprünglichen Berichten, entledigt sich “Bild” der Selbstverpflichtung, diese Rüge zu veröffentlichen. Heute, fast ganz unten auf Seite 4:

Presserat rügt BILD. Wegen der Berichterstattung im Februar 2004 über die Schauspielerin Sibel Kekilli hat der Deutsche Presserat eine Rüge gegen BILD nach Ziffer 1 und 12 Pressekodex ausgesprochen.

(Ja, das ist die komplette Meldung. Und als Größenvergleich rechts im gleichen Maßstab ein kleines “g” der Hauptschlagzeile von Seite 1.)

Natürlich wissen die “Bild”-Leser, dass sich hinter Ziffer 1 des Pressekodex “die Wahrung der Menschenwürde” als eines der “obersten Gebote der Presse” verbirgt. Und hinter Ziffer 12 das Verbot, jemanden aufgrund seines Geschlechtes oder seiner Zugehörigkeit zu einer “rassischen, ethnischen, religiösen, sozialen oder nationalen Gruppe” zu diskriminieren. Klar, das musste “Bild” nicht erklären.

Und sicher war den “Bild”-Lesern auch bekannt, wie der Presserat seine Rüge begründete. Dass nämlich die “Bild”-Berichterstattung die Betroffene “entwürdigt” hätte. Denn, so wörtlich:

“Das öffentliche Interesse deckt eine Form der Berichterstattung nicht, in der die Persönlichkeit der Betroffenen auf das reduziert wird, was man über diese in den Klappentexten von Pornofilmkassetten lesen kann.”

Diesen Satz — und damit genug der Ironie — hat “Bild” nicht verstanden. Aus der Rüge sei für die “Bild”-Redaktion “nicht eindeutig” hervorgegangen, über welche Verfehlungen sie die Leser hätte informieren wollen, sagte im Februar 2005, ein Jahr nach den ursprünglichen Berichten, ein “Bild”-Sprecher. Man habe daher den Presserat gebeten, die Ausführungen zu präzisieren. Die Zwischenzeit hatte “Bild” genutzt, in anderer beleidigender Form über Kekilli zu berichten. Zweimal untersagten Gerichte dies, einmal mit der Begründung, Kekilli sei im Rahmen einer Kampagne von “Bild” “in höhnischer Weise herabgesetzt und verächtlich gemacht” worden. “Ein derartiger Eingriff in die Würde eines Menschen” sei durch die Freiheit der Berichterstattung “nicht mehr gedeckt”.

Ein knappes Jahr später hatte der “Bild”-Sprecher eine neue Begründung dafür, dass “Bild” die Rüge noch nicht abgedruckt hatte. Im Januar 2006 sagte er, die Rüge sei “unter schweren Verstößen gegen die Verfahrensordnung zustande gekommen” und man warte seit vielen Monaten auf eine Erklärung des Presserates, wie nun zu verfahren sei. Gleichzeitig wartete der Presserat nach eigener Auskunft darauf, dass “Bild” die insgesamt sechs noch nicht abgedruckten öffentlichen Rügen aus dem Jahr 2004 noch drucken würde.

Offenbar hat man inzwischen miteinander gesprochen, verhandelt, gefeilscht, erklärt. Und damit die Mühe nicht umsonst war, zeigen wir einfach noch mal das Ergebnis dieses jahrelangen Vorgangs:

Das wird “Bild” eine Lehre sein.

*) Die “Bild”-Autoren Bernhard Kelm und Patricia Dreyer veröffentlichten die Details über Kekillis Vergangenheit unmittelbar nachdem der Film “Gegen die Wand” mit ihr in der Hauptrolle den Goldenen Bären gewonnen hatte. Die Zeitung “berichtete” über Kekilli unter anderem: “Blasen gehört neben Doggystyle zu ihren bevorzugten Sexualpraktiken” und veröffentlichte, auch online, Bilder aus den Pornos (“klicken Sie hier”). Kekilli sagte danach gegenüber der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung”: “Die ‘Bild’-Zeitung sagt mir zum Beispiel: Wir wollen jetzt an deine Eltern ran. Aber wir können sie in Ruhe lassen, wenn du uns ein Interview gibst. Ich laß mich ganz bestimmt von denen nicht erpressen.”
 

(Weiterlesen: Presserat: Mehr Rüge muss nicht sein.)

In eigener Sache

Schon wieder Schleichwerbung für BILDblog:


(Cartoon aus dem aktuellen “Stern”, 12/2006, Seite 90.)

Mit herzlichem Dank an den Cartoonisten Til Mette — auch für die freundliche Abdruckgenehmigung.

Blättern:  1 ... 1033 1034 1035 ... 1141