Archiv für August 9th, 2024

Es gilt die Unschuldsvermutung, nur in der “Bild”-Überschrift nicht

In Göteborg sitzt ein Mann aus Berlin in Untersuchungshaft, er steht unter Mordverdacht. Der 64-Jährige hat gemeinsam mit einem 71-jährigen Bekannten an einer Regatta in Norwegen teilgenommen. Er wird verdächtigt, seinen Segelkollegen auf dem Weg zurück nach Deutschland getötet zu haben. Der 71-Jährige wurde vor der Westküste Schwedens aus dem Meer geborgen und später für tot erklärt. Die schwedische Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Mann, der in Untersuchungshaft sitzt, die Tat begangen habe. Die Gründe für diese Annahme nennt sie bislang allerdings nicht, auch keine Details zum Vorfall auf dem Segelboot oder zur genauen Todesursache. Der Anwalt des Tatverdächtigen sagt, dass sein Mandant den Vorwurf bestreite.

In solchen Fällen spielt die Unschuldsvermutung eine wichtige Rolle.

In Artikel 48 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union heißt es beispielsweise:

Jeder Angeklagte gilt bis zum rechtsförmlich erbrachten Beweis seiner Schuld als unschuldig.

Oder in Artikel 11 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen (PDF):

Jeder, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, hat das Recht, als unschuldig zu gelten, solange seine Schuld nicht in einem öffentlichen Verfahren, in dem er alle für seine Verteidigung notwendigen Garantien gehabt hat, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist.

Bei “Bild” sieht die Unschuldsvermutung so aus:

Ausriss Bild-Zeitung - Deutscher tötet Segel-Freund nach der Regatta

In ihrer Überschrift hat die Redaktion keinen Platz für rechtsstaatliche Grundprinzipien. Dabei schreibt sie selbst im ersten Satz des Artikels:

Was sich auf dem Segelboot von zwei deutschen Touristen genau abgespielt hat, ist bislang nicht klar.

In einem weiteren Artikel zum selben Fall (Einleitungssatz: “Es bleibt mysteriös”) bietet “Bild” übrigens einen interessanten Einblick in die eigene Arbeitsweise – Angehörige behelligen:

Als BILD am Haus des mutmaßlichen Mörders [A.] in einer beschaulichen Villengegend in Berlin-Zehlendorf klingeln möchte, verabschiedet die Frau gerade einen Bediensteten und sagt: “Bete für [A.], dass er schnell wieder nach Hause kommt.” Offenbar ist sie von seiner Unschuld überzeugt. Gegenüber BILD will sie die Vorwürfe nicht kommentieren, sagt nur vielsagend: “Können Sie sich das nicht vorstellen?”

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Hier im BILDblog war es – abgesehen von den “6 vor 9” – lange Zeit sehr ruhig, was unter anderem leider auch immer noch hiermit zu tun hat. Doch das soll sich nun ändern: Es soll wieder mehr und regelmäßig gebloggt werden.

Loblied auf Randsport-Reporter, Der Penis und die Latte, Musks KI-Bot

1. Warum Tagesschau24 zeitweise keine “Tagesschau” sendete
(dwdl.de, Alexander Krei)
Wie Alexander Krei bei “DWDL” berichtet, musste der Nachrichtenkanal Tagesschau24 am Donnerstag wegen eines Streiks beim NDR für mehrere Stunden auf die Ausstrahlung der “Tagesschau”-Nachrichten verzichten und stattdessen ein Ersatzprogramm senden. Auch das Hauptprogramm der ARD sei betroffen gewesen. Der Streik, der bis zum heutigen Freitag andauern soll, betrifft auch andere öffentlich-rechtliche Sender wie den Bayerischen Rundfunk. Die Gewerkschaften fordern eine Gehaltserhöhung von 10,5 Prozent.

2. Ein Hoch auf die Randsport-Kommentatoren bei Olympia!
(rnd.de, Imre Grimm)
Beim “Redaktionsnetzwerk Deutschland” singt Imre Grimm ein Loblied auf die Kommentatorinnen und Kommentatoren der olympischen Randsportarten und die von ihnen ausgelöste, überspringende Freude: “Die Spiele von Paris sind ein wundervoll gestaltetes, lavendel­farbenes, perfekt inszeniertes und medial stabil begleitetes Fest der Freude. Es wird nicht dazu führen, dass sich Hundert­tausende Kinder in Deutschland nächste Woche für Judo, Kanu-Polo oder Wellenreiten vor Spiekeroog anmelden. Bis Sonntag aber sind wir alle Randsportler.”

3. Bekannte Bilder
(taz.de, Carolina Schwarz)
In der neuen ZDF-Reportagereihe “Deutschland, warum bist du so?” ist die Journalistin Eva Schulz in Sachsen, Thüringen und Brandenburg unterwegs und spricht mit Menschen vor Ort über Politik und die anstehenden Landtagswahlen. Carolina Schwarz hat sich die Politdoku angesehen und einiges Gutes entdeckt: “Dabei kommen wiederholt auch Rechte und Rechtsextreme zu Wort, wie sollte es anders sein. Doch sie bekommen hier keine große Bühne, sondern werden kritisch befragt.” Letztlich ist Schwarz aber nicht wirklich überzeugt: “Doch trotz allem bleibt man als Zuschauer_in unbefriedigt zurück. Denn was bleibt? Das ohnehin schon bekannte Bild von AfD-Wähler_innen, die sich im Stich gelassen und abgehängt fühlen.”

Bildblog unterstuetzen

4. Digitale Angriffe gegen Exilmedien
(reporter-ohne-grenzen.de)
Die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) berichtet, dass die Facebook-Seiten kambodschanischer Exilmedien seit Anfang des Jahres von regierungsnahen und armeefreundlichen Accounts mit Hasskommentaren überflutet würden. Dies scheine eine gezielte Aktion zu sein, um die Medien zu diskreditieren und die Regierung zu unterstützen. Das kambodschanische Verteidigungsministerium weise die Vorwürfe jedoch zurück. Die Pressefreiheit in Kambodscha habe sich laut ROG in den vergangenen Jahren drastisch verschlechtert. Das Land sei mittlerweile auf Platz 151 von 180 in der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit zurückgefallen.

5. Irische Datenschützer gehen wegen KI-Bot gegen X vor
(spiegel.de)
Irische Datenschützer sollen rechtliche Schritte gegen Elon Musks Plattform X/Twitter eingeleitet haben, weil Daten von Nutzerinnen und Nutzern möglicherweise ohne Einwilligung für das Training des KI-Bots “Grok” verwendet wurden. Obwohl X kürzlich eine Opt-Out-Möglichkeit für die Datennutzung eingeführt habe, gelte diese Praxis im europäischen Datenschutzrecht als umstritten. X betone jedoch, alle erforderlichen Maßnahmen zur Einhaltung der Vorschriften getroffen zu haben, und weise darauf hin, dass Wettbewerber wie Meta ähnliche Probleme hätten.

6. Lattendrama: “Spiegel” erklärt Penis fälschlicherweise für unschuldig
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
In Stefan Niggemeiers Text geht es diesmal um einen besonders kuriosen Fall der olympischen Berichterstattung: einen Stabhochspringer, eine berührte Latte und die Frage, was ein Penis damit zu tun hatte.