Entweder haben Tanja May, Mitglied der “Bild”-Chefredaktion, und Cathy Hummels, Influencerin und Unternehmerin, beide ein sehr schlechtes Gedächtnis. Oder sie halten die “Bild”-Leserinnen und -Leser für so bescheuert, dass sie kein Problem damit haben, sie ganz offensichtlich zu verarschen.
Vergangenen Mittwoch berichtete May über Hummels bei Bild.de:
Einen Tag später schaffte es diese Entdeckung sogar auf die “Bild”-Titelseite …
… und groß ins Blatt:
Was sagt denn Cathy Hummels dazu?
Im exklusiven BILD-Interview gibt die schöne Single-Mama zu, dass sie sich jetzt bei “Raya” tummelt: “Erwischt! Ja, das stimmt. Modernes Dating? Bin ich auch dabei.”
Dass die eine berichtet, jemanden “erwischt” zu haben, und die Erwischte sich “erwischt” fühlt, ist etwas überraschend. Denn vor mehr als acht Monaten, im Dezember 2022, berichtete Bild.de schon einmal über Cathy Hummels und die Dating-App Raya:
“Ich habe die Dating-App Raya ausprobiert”, verrät die Mama eines kleinen Sohnes (Ludwig, 4) jetzt gegenüber BILD.
Die Autorin des Artikels damals: Tanja May.
Es ist schon eine tolle Symbiose: Auf der einen Seite Prominente, die trotz der eigenen Reichweite in den Sozialen Medien offenbar immer noch das Boulevardscheinwerferlicht brauchen. Und auf der anderen eine Klatschredaktion, die mit derartigen Nichtigkeiten Online-Abos und gedruckte Exemplare verkaufen kann – zur Not sogar als aufgewärmtes “Erwischt!”-Märchen.
Bei der Ursachenforschung zur Frage, warum namhafte Politiker und Politikerinnen so gern den “Bild”-Medien Interviews geben, wird meist die Reichweite als zentraler Aspekt identifiziert: Mit “Klartext”-Parolen in “Bild”, “Bild am Sonntag” und Bild.de kann man nach wie vor eine Menge Leute erreichen. Aber vielleicht spielt noch etwas anderes eine wichtige Rolle: Dass man beim Interview Leuten gegenübersitzt, die einen jeden Unsinn ohne Faktencheck erzählen lassen.
In “Bild am Sonntag” erschien gestern ein großes Interview mit CDU-Politiker Jens Spahn:
Spahn erklärt darin unter anderem seine Idee von einer im Grundgesetz verankerten “Belastungsbremse” für die Sozialabgaben. “Bild am Sonntag” will daraufhin wissen: “Braucht es darüber hinaus auch eine Steuerreform?” Antwort Spahn:
Leistung muss sich wieder mehr lohnen. Überstunden sollten steuerfrei sein. Zudem zahlt ein Facharbeiter mit 62.000 Euro Jahresgehalt schon den Spitzensteuersatz. Der sollte künftig erst ab 80.000 Euro greifen.
Da könnte man als Redaktion natürlich erstmal nachfragen, nachforschen und die Info nachliefern, wie viele “Facharbeiter mit 62.000 Euro Jahresgehalt” es in Deutschland denn so gibt. Sicher, in der richtigen Branche und/oder mit vielen Jahren Berufserfahrung gibt es die bestimmt. Aber Jens Spahn kann beim nächsten Besuch in der Kita oder im Seniorenheim oder in der Kantine des Bundestags ja mal eine Erzieherin, einen Pfleger oder eine Köchin fragen, was die so mit ihren 62.000 Euro Jahresgehalt anstellen. Wenn er Glück hat, wird er von den Fachkräften nur ausgelacht und nicht wütend rausgejagt.
Das aber nur nebenbei. Eigentlich soll es um Spahns Behauptung gehen, dass man “mit 62.000 Euro Jahresgehalt schon den Spitzensteuersatz” zahle. Das ist nämlich Unsinn. Und die “Bild”-Medien verbreiten diesen Unsinn unhinterfragt.
Richtig ist, dass der Spitzensteuersatz von 42 Prozent für das Jahr 2023 ab 62.810 Euro gilt (2022 lag diese Grenze bei 58.597 Euro). Aber es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen dem von Spahn genannten Jahresgehalt und dem zu versteuernden Einkommen. Letzteres ist für die Berechnung des Steuersatzes entscheidend. Und auf dem Weg vom Jahresgehalt zum zu versteuernden Einkommen gibt es verschiedene, individuelle Möglichkeiten, Ausgaben geltend zu machen und damit die Summe zu reduzieren: Den wichtigste Posten dürften die Sozialversicherungsbeiträge bilden, beispielsweise die Beiträge zur Krankenversicherung. Dazu kommen noch weitere Vorsorgeaufwendungen, die die Summe drücken können, Freibeträge wie der Kinderfreibetrag oder der Entlastungsbetrag für Alleinerziehende, außergewöhnliche Belastungen wie Krankheitskosten oder Pflegekosten für die eigenen Eltern und Sonderausgaben wie Spenden oder Kinderbetreuungskosten.
Nur wer nach all diesen Abzügen ein zu versteuerndes Einkommen von über 62.810 Euro hat, zahlt 2023 den Spitzensteuersatz (aber natürlich nicht auf die gesamte Summe, sondern nur auf den Betrag, der über dieser Grenze liegt; der Durchschnittssteuersatz liegt deutlich darunter: bei einem zu versteuernden Einkommen von exakt 62.810 Euro beträgt er laut Rechner des Bundesfinanzministeriums 26,12 Prozent). Oder anders gesagt: Wer “62.000 Euro Jahresgehalt” bekommt, zahlt nicht den Spitzensteuersatz.
Die Leserschaft von “Bild am Sonntag” und Bild.de erfährt von all dem nichts. Wer sich selbst mit dem Thema nicht so auskennt, wird einfach glauben, was der CDU-Politiker da erzählt.
Jens Spahn war Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Er ist als stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion unter anderem zuständig für das Thema Wirtschaft. Es ist ausgesprochen unwahrscheinlich, dass er den Unterschied zwischen Jahresgehalt und zu versteuerndem Einkommen nicht kennt. In den “Bild”-Medien kann Jens Spahn unwidersprochen seine falsche Botschaft verbreiten.
1. Prompt auf Fake News reingefallen (taz.de, Florian Bayer)
Wie die “taz” unter Berufung auf Andre Wolf vom Blog “mimikama” berichtet, sind die ORF-Nachrichten auf zwei prorussische Propagandavideos hereingefallen. Die Aufnahmen wurden fälschlicherweise als Beispiele für Zwangsrekrutierungen in der Ukraine ausgestrahlt, tatsächlich sollen sie aber unter anderem die Festnahme eines russischen FSB-Spions zeigen. Trotz breiter medialer Kritik und Hinweisen von Faktencheckern habe der ORF zunächst heftig widersprochen und erst nach einiger Zeit den Fehler eingestanden.
2. Musk will auf X das Blockieren verhindern (spiegel.de)
Elon Musk, Eigentümer des früher als Twitter bekannten Kurznachrichtendienstes X, will offenbar die Blockierfunktion abschaffen – eine Grundfunktion eines Sozialen Netzwerks, mit der man verhindert, dass bestimmte Konten einen kontaktieren, Beiträge sehen oder einem folgen können. Das Blockieren werde als Feature abgeschafft, mit Ausnahme von Direktnachrichten, so Musk in einem Beitrag auf X.
Weiterer Lesehinweis: Untersuchungen des Fachmagazins “Nature” und der Zeitschrift “Trends in Ecology & Evolution” würden zeigen, dass viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Mitglieder der Klima-Community die Plattform X/Twitter verlassen oder ihre Aktivitäten reduziert haben: Wenn die Wissenschaft verstummt (zeit.de, Eike Kühl).
3. Nur Krisen und Krieg? Afrika-Berichterstattung in Deutschland (sr.de, Michael Meyer, Audio: 17:10 Minuten)
In der aktuellen Folge des SR-Medienmagazins “Cross und Quer” geht es um die Afrika-Berichterstattung deutscher Medien. Der Kontinent komme dort meist nur vor, wenn es um Krieg und Krisen gehe. Michael Meyer hat sich mit dem freien Journalisten und Afrika-Kenner Issio Ehrich über die Herausforderungen und Gefahren seiner Arbeit unterhalten.
4. Kann sich die Sportschau behaupten? (tagesspiegel.de)
Die ARD-“Sportschau” habe in Zeiten von Streamingdiensten und Pay-TV an Bedeutung verloren und verzeichne sinkende Zuschauerzahlen. Ihren “Nimbus als Pflichtveranstaltung für Fußballfans” habe sie “längst verloren”, schreibt der “Tagesspiegel”. Drei Mitglieder der Redaktion geben ihre Einschätzungen zur Zukunft der “Sportschau” ab: Joachim Huber, verantwortlicher Redakteur Medien, Kulturredakteur Christian Schröder und Sportredakteur Martin Einsiedler.
5. Fremder Fehler könnte das Aus bedeuten (faz.net, Jochen Zenthöfer)
Jochen Zenthöfer berichtet in der “FAZ”, dass die gemeinnützige Rechtsprechungsdatenbank “OpenJur” wegen der Veröffentlichung eines von einem Gericht nicht ausreichend anonymisierten Urteils verklagt wird. Trotz einer schnellen Anonymisierung des Namens nach einem Hinweis klage nun ein Betroffener vor dem Landgericht Hamburg auf Schadenersatz. Die Klage stelle eine existenzielle Bedrohung für das Projekt dar, so Zenthöfer: “Sollte die Klage erfolgreich sein, wäre die einzige gemeinnützige Rechtsprechungsdatenbank in Deutschland am Ende.”
6. Wie das deutsche Fernsehen zum Losverkäufer wurde (dwdl.de, Christian Richter)
Christian Richter zeichnet bei “DWDL” die Entwicklung und den Einfluss der Fernsehlotterien im deutschen Fernsehen nach. Die Geschichte beginnt 1955 mit der Spielshow “1:0 für Sie”, moderiert von Peter Frankenfeld, der durch seine humorvolle Art und die Interaktion mit dem Publikum große Popularität erlangte. Frankenfelds Idee, westdeutsche Familien zur Aufnahme von Kindern aus dem isolierten Berlin für eine Art Erholungsferien zu bewegen, führte zur Gründung der “ARD-Fernsehlotterie”, die sich aus dem Verkauf von Losen finanzierte und bedürftigen Kindern Ferienreisen ermöglichte.