Archiv für April 16th, 2018

“Bild” könnte sich laut “Bild” mehrfach strafbar gemacht haben

Manchmal stehen in der “Bild”-Zeitung auch interessante Sätze. Zum Beispiel am vergangenen Samstag in der Leipzig-Ausgabe:

Wenn sich das so bestätigt, ist das ohne Frage eine widerliche Tat. Aber klar sollte auch sein: Wer private Fahndungsaufrufe verbreitet, kann sich strafbar machen.

Oder leicht abgewandelt ebenfalls am Samstag bei Bild.de:

Wenn sich das so bestätigt, ist das ohne Frage eine widerliche Tat. Allerdings: Wer private Fahndungsaufrufe verbreitet, kann sich möglicherweise strafbar machen.

Das, was sich “so bestätigen” könnte, ist ein Vorfall vom vergangenen Dienstag im sächsischen Schkeuditz. Dort soll ein Mann beim örtlichen Reitverein eine Stute mit einem stockähnlichen Gegenstand missbraucht haben. Eine Überwachungskamera lieferte Fotos des Mannes, die eine Pferdewirtin auf Zettel druckte, die sie wiederum in der Region verteilte. Die FDP Nordsachsen verbreitete die Aufnahmen des Mannes, ebenfalls ohne Unkenntlichmachung, auf der eigenen Facebook-Seite und fragte dazu: “Wer kennt diesen Mann?”

Darüber berichteten dann auch “Bild” und Bild.de:

Screenshot Bild.de - Polizei verärgert über Facebook-Post - FDP suchte nach mutmaßlichem Pferdeschänder
Ausriss Bild-Zeitung - Polizei verärgert über Facebook-Aufruf - Nordsachsen-FDP fahndet nach mutmaßlichem Pferdeschänder

Diese Fahndung sei nicht in Ordnung, sagt ein Polizeisprecher in “Bild”:

“Wir fangen erst an zu ermitteln und haben längst nicht alle Mittel ausgeschöpft. Eine Öffentlichkeitsfahndung ist dabei die letzte Maßnahme!”

Im Anschluss weisen die “Bild”-Medien in der bereits zitierten Passage darauf hin, dass man sich mit einem privaten Fahndungsaufruf strafbar machen könne.

Es ist gut und wichtig, dass die “Bild”-Redaktion mal so deutlich Position bezieht zu Fahndungsaufrufen, die nicht durch Gerichte angeordnet wurden. Denn als “Bild”-Leserin oder -Leser könnte man fast meinen, dass derartige Fahndungsaufrufe von Privatleuten oder Privatunternehmen das Geilste sind, wo gibt völlig in Ordnung sind.

Zur Erinnerung: So sah die “Bild”-Titelseite wenige Tage nach den Ausschreitungen rund um das G20-Treffen in Hamburg aus:

Ausriss Bild-Titelseite - Gesucht! Wer kennt diese G20-Verbrecher?
(Alle Unkenntlichmachungen in diesem Beitrag durch uns.)

Die “Bild”-Redaktion veröffentlichte im vergangenen Juli diesen Fahndungsaufruf in Millionenauflage, Vorverurteilung inklusive. Eine Öffentlichkeitsfahndung der Polizei gab es zu diesem Zeitpunkt nicht. Wir zitieren an dieser Stelle gern die Leipziger “Bild”-Ausgabe vom vergangenen Samstag:

Wer private Fahndungsaufrufe verbreitet, kann sich strafbar machen.

Anderes Beispiel. Im vergangenen Oktober hat in Hamburg ein Mann seine eigene Tochter getötet und ist dann geflohen. Polizei und Staatsanwaltschaft verzichteten auf eine Öffentlichkeitsfahndung, weil man noch über erfolgsversprechende Ermittlungsansätze verfügte, die am Ende auch zur Festnahme des Mannes führten. Bild.de fragte bereits wenige Stunden, nachdem der Tod des Kindes bekannt geworden war, ungeduldig:

Warum fahndet die Polizei nicht öffentlich nach dem Killer?

Ein paar Tage später — es gab weiterhin keine Öffentlichkeitsfahndung durch die Polizei — reichte es den “Bild”-Medien. Sie veröffentlichten, ohne irgendeine Verpixelung, ein Foto des damals Tatverdächtigen:

Screenshot Bild.de - Dringend gesucht - Das erste Foto des Kinder-Killers

Noch einmal:

Wer private Fahndungsaufrufe verbreitet, kann sich strafbar machen.

Man muss aber nicht mal ins Archiv schauen, um auf die “Bild”-Bigotterie zu stoßen. Es reicht schon, in derselben Leipziger “Bild”-Ausgabe, aus der die Aussage zu privaten Fahndungsaufrufen stammt, vier Seiten zurückzublättern. Dann landet man im überregionalen Teil und bei dieser Geschichte:

Ausriss Bild-Zeitung - Ständig kriegt Marianne Fotos der Diebe - Diese Jungs haben mein Handy geklaut

Nicht nur Marianne “kriegt (…) Fotos der Diebe” zu sehen, sondern auch die gesamte “Bild”- und Bild.de-Leserschaft. Sowohl online als auch in der Printausgabe zeigt die Redaktion ein unverpixeltes Foto der zwei Jungen, die die 70-Jährige beklaut haben und laut “Bild” “etwa zehn Jahre alt” sein sollen. Etwa zehn (!) Jahre alt.

Im Artikel sagt ein Polizeisprecher:

“Wir haben die Fotos der Jungen gesichert und fahnden jetzt nach ihnen.”

Es braucht also keine zusätzliche, mediale Fahndung nach zwei Kindern durch “Bild” und Bild.de. Zumal man sich mit dieser “strafbar machen” könnte. Das stand jedenfalls mal in “Bild”.

Mit Dank an Thomas, andreas und Alex F. für die Hinweise!

Metcalfe’s Law, Echo auf den Echo, Goldener Zaunpfahl

1. Facebooks Macht steckt in dieser Formel
(zeit.de, Tilman Baumgärtel)
Bei der Diskussion um die Vormachtstellung Facebooks kommt gelegentlich das Argument auf, jeder könne ja ein neues Netzwerk gründen und damit die Alleinherrschaft des Social-Media-Giganten beenden. Doch dem steht unter anderem ein Theorem aus der Frühzeit des Internets entgegen, das Metcalfesche Gesetz: „Der Wert (V) eines Netzwerks ist proportional zur Zahl seiner Nutzer (n) im Quadrat. Weil alle Nutzer mit allen anderen kommunizieren können, ist ein Netzwerk mit zehn Nutzern nicht zehnmal so wertvoll wie eins mit nur einem Nutzer, sondern hundertmal so wertvoll (10²).“ Medienwissenschaftler Tilman Baumgärtel erklärt in lesbaren Worten, warum das Internet Monopole fördert.
Weiterer Lesetipp: Der Bericht vom Internationalen Journalismusfestival, bei dem zwischen Wein und Pizza über die Zukunft der Medien philosophiert wurde. Bezahlt unter anderem von Facebook und Google. Facebook und der Journalismus: Eine Geschichte voller Missverständnisse (netzpolitik.org, Alexander Fanta)

2. Deshalb nennen Radiosender jetzt so oft ihren Namen
(t-online.de, Marc Krüger)
Haben Sie sich auch schon mal gewundert, warum Radiosender zu bestimmten Zeiten des Jahres von nichts anderem als sich selbst zu sprechen scheinen? Ob über Gewinnspiele, Plakate oder penetrante Wiederholung des Sendernamens. Nun, das hat etwas mit dann stattfindenden Quotenmessung zu tun, die sich auf die zu erzielenden Werbeeinnahmen auswirkt. Marc Krüger erklärt die Zusammenhänge.

3. Die Sache mit den Rezensionen, die nicht geschrieben werden
(dunkle-zeiten.info, Catalina Cudd)
Die Buchautorin Catalina Cudd hat sich auf unterhaltsame Weise mit dem Rezensionswesen beschäftigt. Sie ermutigt die Leser, weiterhin ihre Meinung zu sagen, auch wenn die mal drastisch ausfallen sollte. Und den Autoren und Autorinnen rät sie zu mehr Gelassenheit: „Kritik tut immer weh, keine Frage. Aber es ist weitaus professioneller, in solchen Fällen in den Keller zu gehen und ein paar Pfeile auf eine Pappfigur zu werfen, die ein Schild mit der Aufschrift BLÖDER LESER um den Hals trägt. Dann setzt man sein Profilächeln auf, geht wieder nach oben und schreibt am nächsten Roman weiter.“

4. „Echo hat keine Berechtigung mehr“
(taz.de)
Der Echo-Musikpreis ist am Ende, findet der ARD-Koordinator für Unterhaltung, Thomas Schreiber. Es sei beschämend und schamlos, dass sich die deutsche Musikindustrie in einer Live-Übertragung im deutschen Fernsehen am Gedenktag der Opfer des Holocaust auf diese Weise feiere. Es habe gleich ein dreifaches Versagen beim Echo Pop 2018 gegeben, „die Nominierung der beiden Ekelrapper Kollegah und Farid Bang, der sinn- und geschmacksfreie Auftritt dieser beiden am Ende der Show, die Sprachlosigkeit der Verantwortlichen“.

5. Vermutlich weiterer Deutscher in der Türkei festgenommen
(faz.net)
Von türkischer Seite gibt es keine Auskünfte, doch das Auswärtige Amt geht davon aus: Offenbar ist der deutsche Reporter Adil Demirci in Istanbul festgenommen worden. Nach Aussagen der Journalistin Mesale Tolu, die selbst über Monate in der Türkei inhaftiert war, gehört Demirci zu den drei Mitarbeitern der linken Agentur „Etha“ und habe sich nur zum Urlaub in der Türkei aufgehalten.

6. Diese Produkte sind so sexistisch, dass sie für einen Negativ-Preis nominiert sind
(ze.tt, Bianca Nawrath)
Am 18. April 2018 wird in Berlin der „Goldene Zaunpfahl“ verliehen, ein Negativpreis für Gender-Marketing. Nominiert sind unter anderem: ein Plüsch-Bohrmaschine für Jungs, eine Bibel für Frauen und der „Barbie Experimentierkasten“.