Es gibt ein paar beeindruckende Ausnahmen. Alan Posener in der “Welt” zum Beispiel oder Christian Gesellmann auf “Krautreporter”. Dort streiten Männer gegen die Bagatellisierung sexueller Übergriffe gegen Frauen, verdeutlichen, warum der Skandal um den Filmproduzenten Harvey Weinstein nicht nur mit Hollywood, nicht nur mit den USA zu tun hat, sondern auch Mechanismen beschreibt, die in unserer Gesellschaft allgegenwärtig sind.
Aber wer die Meinungsartikel zum Thema liest, insbesondere die, die um die Bewegung um das Hashtag #metoo geschrieben wurden, der liest vor allem Beiträge, die von Frauen geschrieben sind. Auf den ersten Blick erscheint das sinnvoll, geht es bei dem Thema doch um eines, bei dem Frauen um Sichtbarkeit ihrer Situation kämpfen. Doch müssten nicht eigentlich genau deshalb vor allem Journalisten-Männer in die Bresche springen? Gerade weil Frauen die Opfer des Missstandes sind, müsste die journalistische Debatte doch so laufen, dass es nicht zum Frauen-Thema gemacht wird, dass es nicht vor allem Frauen sind, die hier Veränderungen fordern. Wenn es vor allem Frauen sind, die diese Debatte führen müssen, bleibt der Eindruck der Befindlichkeit.
Ich als Schwuler kenne das aus der leidigen Diskussion um die rechtliche Gleichstellung Homosexueller. Auch hier waren es — im Gegensatz zu den Debatten in anderen Ländern — vor allem Lesben und Schwule, die das Thema nach vorne bringen mussten. Auch wenn die allermeisten heterosexuellen Journalistinnen und Journalisten die Ehe für alle wohl unterstützen, haben sie sie nie richtig zum Thema gemacht. Sie empfanden sie als und erklärten sie für überfällig, aber auch als und für zweitrangig, beschrieben sie mehrheitlich als eine Angelegenheit, die vor allem Lesben und Schwule anging. Ich bin mir sicher, dass die Ehe für alle in Deutschland schon bedeutend früher eingeführt worden wäre, wenn — wie etwa in England, Frankreich oder den USA — mehr Journalistinnen und Journalisten hier ebenfalls ein Gespür dafür entwickelt hätten, dass die Ehe für alle auch wirklich alle angeht, dass es sich um einen Emanzipationsschritt für die gesamte Gesellschaft handelt, dass es kein Minderheiten-, sondern ein Menschenrechtsthema ist.
Deutsche Medien neigen oft dazu, gesellschaftliche Konfliktthemen den “Betroffenen” aufzubürden, was dazu führt, dass diese vor allem als Bittsteller wahrgenommen werden. Warum waren es fast immer Lesben und Schwule, die in Talkshows erklären mussten, warum sie nicht diskriminiert werden wollen? Warum saßen da nicht in erster Linie heterosexuelle Eltern, Unternehmer, Lehrer, Politiker und so weiter, um zu verdeutlichen, wie sehr die ganze Gesellschaft von Vielfalt profitiert und davon, dass es allen gut geht?
Und warum kommen jetzt so wenige Redaktionen auf die Idee, Männer mit einer Herausforderung zu konfrontieren, die ohne Männer nicht bewältigt werden kann? Die letzten Diskussionen in Deutschland über Sexismus und sexuelle Gewalt sind weitgehend ohne einen gesamtgesellschaftlichen Erkenntnisgewinn versandet. Der #aufschrei nach der Brüderle-Debatte wurde zwar gehört, aber nicht verstanden. Seitdem sich jedes genauere Hinschauen auch noch verstärkt gegen den latenten Vorwurf einer angeblichen Political Correctness wehren muss, ist es teilweise sogar noch schwieriger geworden, eine solche Debatte jenseits der bekannten Reflexe zu führen. Diesmal könnte es anders sein. Gefragt wären dafür: Männer.