Archiv für Juni 29th, 2017

B.Z., Bild  

“Bild” und “B.Z.” legen Grünen-Politikerin falsches Zitat in den Mund

Rummms!

Mit dieser Haudrauf-Interjektion zeigt die “Bild”-Zeitung in der Regel, dass irgendjemand irgendetwas Knalliges/Heftiges/Stammtischiges gesagt hat. Und sie freut sich in der Regel dann, weil sie dadurch eine Debatte anheizen kann.

Gestern gab es in der Berliner Regionalausgabe mal wieder einen “Bild”-“Rummms!”, in einem Vorabbericht zur inzwischen durchgeführten Zwangsräumung des linken Kiezladens Friedel54 im Neuköllner Reuterkiez:

In BILD spricht jetzt Grünen-Politikerin Katrin Schmidberger (34) Klartext: Sie wohnt in diesem Kiez, befürchtet gewalttätige Ausschreitungen.

Schmidberger sagt: “Ich will nicht, dass Rigaer-Straße-Wixxer in meinen Kiez kommen und alles zerdeppern. Das ist unser Kiez. Schreiben Sie Wixxer mit zwei x.”

Und weiter: “Spaß haben, sich auf den Gipfel in Hamburg eingrooven, das können sie meinetwegen auf dem Tempelhofer Feld. Da haben sie genug Platz zum Steineschmeißen.”

Rummms!

Das Problem dabei: Katrin Schmidberger hat weder das eine noch das andere gesagt. Sie hat überhaupt nicht mit “Bild”-Autor Olaf Wedekind gesprochen. Und sie wohnt auch nicht “in diesem Kiez”. Es ist alles völlig falsch.

Doch der Reihe nach.

Gestern veröffentlichte die Berliner “Bild”-Redaktion einen großen Artikel über eventuelle Ausschreitungen während der Friedel54-Räumung:

Das Aufmacher-Foto zeigt Katrin Schmidberger, Sprecherin für Wohnen und Mieten der Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Sie setzt sich schon lange für bezahlbaren Wohnraum und gegen die Verdrängung aus den Kiezen ein. Dass ausgerechnet sie, wie von “Bild” durch die Sprechblase illustriert, die Aktivisten in der Rigaer Straße in Berlin-Friedrichshain als “Wixxer und Steinewerfer” bezeichnet, wäre eine große Überraschung. Genau das richtige “Rummms!”-Potential, nach dem “Bild” stets sucht.

Die Redaktion warb mit dieser Geschichte auch auf Aufstellern, die vor Kiosken in der ganzen Stadt stehen — unter anderem vor einem Laden in der Rigaer Straße, wo die “‘Rigaer-Straße-Wixxer'” vorbeikommen.

“Bild”-Rechercheur Peter Rossberg erklärte den Artikel am Abend vor dessen Erscheinen bei Twitter zu seiner “Lieblingsgeschichte morgen”:


(Den Tweet hat Rossberg inzwischen gelöscht.)

Die “B.Z.” brachte ebenfalls einen Text von Olaf Wedekind zum Thema, zwar etwas kürzer, aber genauso falsch:

Die Zitate in “Bild” und “B.Z.” stammen nicht von Katrin Schmidberger, sondern von ihrer Fraktionskollegin Anja Kofbinger. Die hat, anders als Schmidberger, auch tatsächlich ihr Wahlkreisbüro im Reuterkiez. Die Verwechslung der beiden Politikerinnen durch “Bild” und “B.Z.” dürfte nach Angaben der Grünen in etwa so zustande gekommen sein: Nach einem Anruf der Redaktion bei den Grünen in Neukölln, hat Anja Kofbinger zurückgerufen. Ein Kollege von Olaf Wedekind leitete den Anruf an diesen weiter, womöglich mit der Ansage, dass Katrin Schmidberger am Apparat sei. Wedekind hat dann mit der Frau am anderen Ende der Leitung telefoniert, ohne wirklich zu wissen, mit wem er da spricht. Anja Kofbinger soll allerdings mehrfach gesagt haben, dass sie Anja Kofbinger ist.

Katrin Schmidberger veröffentlichte gestern auf ihrer Website eine “Richtigstellung zu angeblichen Zitaten in der Bild/B.Z.” und schrieb bei Facebook, dass sie mit niemandem aus dem Springer-Verlag gesprochen habe.

“Bild” hat heute eine “Richtigstellung” veröffentlicht:

Sie finden sie nicht auf Anhieb? Sie steckt dort rechts, eingeklemmt zwischen “Bier-Botschafter” und “U-Bahn-Strecken”:

Und auch in der “B.Z.” gibt es eine “Berichtigung”:

Ehe für alle, MDR-Pate angeklagt, Abgehört

1. Merkels Privat-Audienz bei „Brigitte“
(uebermedien.de, Stefan Niggemeier)
Ausgerechnet ein Talk von Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Frauenzeitschrift “Brigitte” ermöglicht nun wahrscheinlich die Öffnung der “Ehe für alle”. Stefan Niggemeier fragt sich, was das über Bundeskanzlerin und “Brigitte” aussagt: “Ein Teil des Spotts, den man nun über die „Brigitte“ liest, ist in Wahrheit Ausdruck der Wut über die Kanzlerin, dass sie sich einer ernsthaften politischen Auseinandersetzung über das Thema selbst in dem Moment noch verweigert, in dem sie sich bewegt – auch dank der Bühne, die ihr die „Brigitte“ mit dem netten Plauschformat bietet.”

2. Aufgeflogen: Gespräch mit Journalisten abgehört
(ndr.de, Hendrik Maaßen)
In Sachsen wurden Gespräche von mindestens drei Journalisten im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens abgehört und jahrelang gespeichert. Das belegen Unterlagen der Polizei Sachsen, die dem “NDR” vorliegen. Entgegen der gesetzlichen Benachrichtigungspflicht wurden alle drei Journalisten nach eigenen Angaben nicht über die Überwachung informiert. Hintergrund: Die Generalstaatsanwaltschaft Sachsen hatte gegen Personen aus dem Umfeld des Leipziger Fußball-Oberligisten “BSG Chemie Leipzig e.V” wegen des Verdachts auf “Bildung einer kriminellen Vereinigung” ermittelt.

3. Betrogen und bestochen
(faz.net, Michael Hanfeld)
Es sind schwere Vorwürfe, mit denen sich der ehemalige Unterhaltungschef des Mitteldeutschen Rundfunks konfrontiert sieht. Das Landgericht Leipzig hat am Dienstag die Anklage gegen ihn zugelassen. Es geht um Betrug in dreizehn Fällen, Steuerhinterziehung in fünf Fällen sowie Untreue und Bestechlichkeit in je einem Fall. Wenn man den Beitrag liest, versteht man, warum der Mann auch als “der Pate des ARD-Unterhaltungsfernsehens” bezeichnet wird.

4. Das sind die größten Herausforderungen für Journalisten
(horizont.net, Katharina Brecht)
Die größten Herausforderungen für Journalisten sind Glaubwürdigkeit, Fake News und Unabhängigkeit. Dies ist jedenfalls das Ergebnis einer Umfrage unter mehr als 1.700 Journalisten. In der Umfrage ging es auch um den Umgang mit Social Media und wie es um das Verhältnis zu Pressesprechern bestellt ist.

5. „Facebook-Gesetz“ – Eine Ehrenrettung
(carta.info, Christian Humborg)
Das umstrittene Netzwerkdurchsetzungsgesetz* ist besser als sein Ruf, findet Christian Humborg in seiner Kolumne auf “Carta”. Es verteidige die Meinungsfreiheit, weil es die Meinung der anderen, also der Opfer von Hasskriminalität, zu schützen versuche.

6. Unkontrollierbare Scheißstrecke: Warum die Rocket Beans Erfolg haben
(wired.de, Max Biederbeck)
“Wired” war zu Gast bei einem der erfolgreichsten Internet-Kanäle: “Rocket Beans TV” in Hamburg. Die Produktionsfirma hat sich innerhalb von drei Jahren zu einem florierenden Unternehmen mit 90 Angestellten entwickelt. Im weitesten Sinn geht es um Unterhaltung und Nerdthemen: ob Computerspiele, Filme, Musik oder Brettspiele. Max Biederbeck zeichnet die Entwicklung der Firma nach und hat sich angeschaut wie die “Beans” arbeiten.

*Nachtrag, 6. Oktober: In einer früheren Version hatten wir fälschlicherweise vom “Netzwerkdurchsuchungsgesetz” geschrieben. Das ist natürlich Unsinn.